Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 13 / 27.03.2006
Daniela Schröder

Europäische Union? Nein Danke!

Vier Länder wollen nicht Mitglied in der Gemeinschaft werden

Die einen liegen ganz am Rande Europas, die anderen im Herzen des Kontinents. Gemeinsam haben Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz, dass sie keine EU-Mitglieder sind. Und während sich die Europapolitiker erweiterungsmüde zeigen und über die Aufnahmefähigkeit des europäischen Staatenbundes diskutieren, ist der EU-Beitritt in diesen vier Nicht-Mitgliedsstaaten gar kein Thema. Alle vier fühlen sich durch eine Reihe bilateraler Abkommen ohnehin eng mit der Union verbunden. Partnerschaften, die funktionieren, heißt es in allen Hauptstädten - warum also den Status ändern?

"Die Beitrittsfrage ist nicht auf unserer politischen Agenda", sagt Norwegens EU-Botschafterin Oda Sletnes. So lange sein Team regiert, wird Norwegen der EU nicht beitreten, lautet die Linie von Ministerpräsident Jens Stoltenberg, im Amt seit September 2005. Allerdings verfolge die Mitte-Links-Regierung eine aktive Europa-Politik. "Unsere Beziehung zur EU ist ausgezeichnet und die Verbindungen so eng wie sie für ein Nichtmitgliedsland nur sein können," lobt Sletnes. Norwegen hielt 1972 und 1994 ein Referendum über den Beitritt zur EU ab. Beide Male entschieden sich mehr als 50 Prozent gegen eine Mitgliedschaft. Die wichtigste Form der Assoziation mit der EU ist die Vereinbarung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), die 1994 in Kraft trat. Mit der Zugehörigkeit zum europäischen Binnenmarkt hat Norwegen Zugang zum europäischen Handel von Waren und Dienstleistungen.

Vom EWR-Abkommen ausgenommen sind jedoch die Bereiche Landwirtschaft und Fischerei. Denn Öl, Gas und Fisch auf die Weltmärkte zu bringen ist für die Norweger kein Problem. Und würde der Fischfang in den Wirtschaftvertrag aufgenommen, müssten sich Norwegens Flotten dem Quotensystem der EU beugen. Auch beim Thema EU-Erweiterung sehen sich die Norweger als mögliche Impulsgeber für Brüssel. Das so genannte "nordische Modell" - Wirtschaftswachstum und flexibler Arbeitsmarkt verbunden mit sozialer Sicherheit und staatlichen Leistungen für alle Bürger - könne der richtigen Weg für ein sich vergrößerndes Europa sein. Über das Schengen-Abkommen arbeitet Norwegen eng mit der EU zusammen. Norwegische Soldaten und Zivilkräfte beteiligten sich zudem an EU-geführten Einsätzen in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien.

Norwegens skandinavischer Nachbar Island mit gerade einmal 300.000 Einwohnern ist als eines der reichsten Länder Europas ebenfalls kein EU-Mitglied. Es besitzt in der EU eine der am schnellsten wachsenden Ökonomien. Die Arbeitslosigkeit pendelt um zwei Prozent; die Wirtschaftlage ist seit Mitte der 1990er Jahre stabil. Nach Jahren einer europaskeptischen Regierung trat 2004 der verhalten EU-offene Halldor Asgrimsson das Amt des Ministerpräsidenten an. Vergangenen Monat kündigte er an, Island werde bis 2015 EU-Mitglied sein. Denn bereits jetzt gehöre die Republik im Nordatlantik fast jedem internationalen Bündnis an, darunter auch der EWR. Damit müsse Reykjavik ohnehin den Großteil der in Brüssel beschlossenen Richtlinien in nationales Recht umsetzen. Für die Opposition ist die EWR-Mitgliedschaft jedoch der Grund nicht beizutreten: Das Abkommen garantiere dem Land bereits 90 Prozent der Vorteile, die eine EU-Mitgliedschaft bringen könnte. Auch in Island spielt der Fisch eine entscheidende Rolle in der Beziehung zur EU. Fischprodukte machen 76 Prozent der isländischen Exporte aus. Island hat seine Bestände besser im Griff als die EU es je könnte, sagt Reykjavik, die Kontrolle über den Fischfang aufzugeben komme nicht in Frage. Ein Referendum über einen EU-Beitritt Islands ist derzeit jedoch kein Thema; die Regierung will eine Langzeit-Debatte führen. Jüngste Meinungsumfragen zeigen ein wackliges Stimmungsbild.

Der andere Europa-Mini Liechtenstein befindet sich in einer Sandwich-Lage: Einerseits EWR-Mitglied, andererseits eng mit der Schweiz verflochten, muss sich das Fürstentum sowohl an Brüssel als auch an Bern orientieren. Das laufe gut, beide Partner geben sich pragmatisch, heißt es in Vaduz. Sollte sich aber die Rechtslage etwa bei den Finanzdienstleitungen zwischen der Schweiz und der EU stärker unterschiedlich entwickeln, könnte es neue Probleme und neue Kosten geben. Aufgrund der Zoll- und Währungsunion mit der Schweiz würde Liechtenstein der EU wohl nur beitreten, wenn Bern "Ja" sagt.

In der Schweiz ist sowohl das pro-europäische als auch das europaskeptische Lager über die Integration ohne Mitgliedschaft glücklich. "Alle sind sich einig, dass wir auf unserem Weg weiter gehen können", sagte jüngst die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey. Mit dem Nicht-EWR-Mitglied Schweiz unterhält die EU eine Reihe bilateraler Abkommen in 15 ausgewählten Politikfeldern - so viele wie mit keinem anderen Nicht-EU-Land. Zwar ist ein EU-Beitritt langfristiges Ziel der Integrationspolitik des Berner Bundesrats, doch eine Volksabstimmung über die Mitgliedschaft hat es seit dem Beitrittsgesuch im Mai 1992 nicht gegeben. Eine EU-Vollmitgliedschaft ist unwahrscheinlich. Mit mehr als 60 Prozent aller Schweizer Exporte und fast 80 Prozent aller Importe ist die EU zudem Handelspartner Nummer Eins der Schweiz. Auch ohne Mitgliedschaft profitiert die Schweiz vom europäischen Binnenmarkt. Vorwürfe, die Schweiz picke sich nur die saftigsten Rosinen aus dem Kuchen der EU-Politiken und Normen, weist Außenministerin Calmy-Rey als ungerecht zurück. "Wir sind ein Land mit so vielen unterschiedlichen Facetten, dass Fragen der Demokratie und des Föderalismus fundamentale Fragen der Identität für uns sind", sagt sie. "Wir sind halt ein Spezialfall."

 

Daniela Schröder ist freie Journalistin in Brüssel.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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