Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
Rainer Franzke

Allergische Reaktionen

Wie die FIFA die Regeln für die Fußball-Weltmeisterschaft bestimmt
Sein Vorwort zum "FIFA-Finanzbericht 2005", der den Delegierten des 56. FIFA-Kongresses in München am Vortag des WM-Eröffnungsspiels zwischen Deutschland und Costa Rica am 9. Juni in München vorgelegt wird, beginnt Joseph S. Blatter, Präsident des Weltfußballverbandes, so: "Liebe Mitglieder der internationalen Fußballfamilie, für eine Institution wie die FIFA stellt sich der Erfolg auf geschäftlicher und finanzieller Ebene nur dann ein, wenn sie in sportlichen Belangen kompetent und glaubwürdig agiert." Folgend lässt Blatter wissen, "dass es uns nach dem Turnaround gelungen ist, die FIFA und ihr Flaggschiff, die Fußball-Weltmeisterschaft, aber auch den Fußball allgemein auf dem internationalen Sportrechtemarkt als äußerst begehrtes Gut zu positionieren. Damit hat die FIFA ihr Ziel, ihre wirtschaftliche Zukunft langfristig zu sichern, erreicht."

Dieses (erreichte) Ziel widerspricht im Grunde den Statuten des Verbandes, in denen es heißt: "Die FIFA ist als Verein gemäß Artikel 60 fortfolgende des Schweizerischen Zivilgesetzbuches errichtet worden. Gemäß Artikel 2 der Statuten ist die FIFA verpflichtet, den Fußball laufend zu verbessern und weltweit zu verbreiten, insbesondere durch Jugend- und Entwicklungsprogramme. Die FIFA ist eine nicht-gewinnorientierte Organisation und hat ihre Gewinne, Reserven und Mittel für diesen Zweck zu verwenden." Bei einem Umsatz von 874 Millionen Schweizer Franken hat die im Jahr 1904 aus der Taufe gehobene FIFA das Jahr 2005 mit einem Rekord-Gewinn in Höhe von 214 Millionen Schweizer Franken abgeschlossen und ihr Eigenkapital auf 461 Millionen Schweizer Franken aufgestockt.

Nicht-gewinnorientiert? Da müsste man sich in der FIFA-Zentrale in Zürich nun kräftig an die Ausschüttung machen. Anteilig wird das geschehen. "Diese positive Entwicklung und die komfortable Liquiditätssituation haben die FIFA in die Lage versetzt, den 32 Endrundenteilnehmern der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006 bereits im Berichtsjahr die Gelder zur Deckung der Vorbereitungskosten von jeweils einer Million Schweizer Franken auszubezahlen", bemerkt Julio H. Grondona, der Vorsitzende der Finanzkommission.

Zudem erhält jede der 32 an der WM-Endrunde beteiligten Nationen 6 Millionen Schweizer Franken für die drei Spiele in der Gruppenphase; der Weltmeister wird insgesamt 24,5 Millionen Schweizer Franken kassieren. Für die Preisgelder wird die FIFA insgesamt etwa 300 Millionen Schweizer Franken ausschütten. Ihr Eigenkapital muss sie deshalb nicht angreifen. Im Gegenteil: Über die Vermarktung der WM in Deutschland rechnet die FIFA zum Jahresende mit einer Eigenkapitalbasis von etwa 500 Millionen Schweizer Franken, die bis zur folgenden Weltmeisterschaft im Jahr 2010 in Südafrika mal so eben verdoppelt werden soll - auf eine Milliarde Schweizer Franken. Für den Zeitraum von 2007 bis 2010 rechnet die FIFA mit Einnahmen von etwa 3,7 Milliarden Schweizer Franken und Ausgaben von etwa 3,2 Milliarden, wobei 25 Prozent der Einnahmen in den Entwicklungsbereich und 44 Prozent in die Finanzierung der FIFA-Turniere fließen.

Dabei sind exklusive Veranstaltungen eingeschlossen, wie zum Beispiel die Gala bei "Chez Ali" vor den Toren Marrakeschs am 11. September 2005 am Rande des 55. FIFA-Kongresses. Die internationale Küche der Marokkaner, die in der Bewerbung für die Weltmeisterschaft 2010 Südafrika unterlegen waren, genügte den Ansprüchen der FIFA nicht. So wurden denn Speis und Trank, Geschirr und Personal aus Deutschland und der Schweiz eingeflogen. Kosten der Fete mit Feuerwerk belaufen sich nach Schätzungen eines Insiders auf gut zwei Millionen Schweizer Franken. In der deutschen Delegation um DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und Blatter-Freund in der FIFA-Exekutive, sowie Franz Beckenbauer, Präsident des Organisationskommitees WM 2006, war auch Werner Hackmann, der Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL). Der frühere Hamburger Innensenator wirkte angestochen angesichts der pompösen Gala: "Hier wird das Geld verfeiert, das die FIFA nur durch die Abstellung der Spieler der Profivereine für Weltmeisterschaften generieren kann."

Kein Zweifel: Die FIFA lässt ihre Mitglieder leben. Seit 1999 erhält jeder der ihr angehörenden 207 nationalen Fußball-Verbände jährlich 250.000 US-Dollar und jede der sechs Konföderationen 2,5 Millionen Dollar "für die Weiterentwicklung des Fußballs". Dabei schreibt die FIFA seit 2005 vor, dass davon jährlich mindestens 25.000 Dollar zur Förderung des Frauenfußballs eingesetzt werden müssen. Daneben sind über das beim Kongress in Los Angeles 1999 verabschiedete "Goal-Programm" seither 223 Projekte in 176 Ländern finanziert worden. Für einen Vier-Jahres-Zyklus von 2002 bis 2006 budgetierte die FIFA 100 Millionen Schweizer Franken für diese Projekte, finanzierte im Jahr 2005 in Ruanda, Sudan, Malawi, Bhutan, Nepal, Bangladesch, Guam, Niger, Honduras, Trinidad und Tobago, Vanuatu und Griechenland Funktionsgebäude, Jugendzentren und Sportplätze.

Gleichwohl steht der Weltverband immer in der Kritik. Das millionenschwere Polster der FIFA, und auch der Europäischen Fußball Union (UEFA), auf der einen, die milliardenschweren Schulden der europäischen Topligen in Italien, Spanien, Frankreich, England und Deutschland auf der anderen Seite haben längst zu einem Zerwürfnis zwischen den mächtigen Verbänden und den führenden europäischen Klubs geführt. Die 18 in der so genannten "G14" vereinten europäischen Klubs, unter ihnen aus Deutschland der FC Bayern München, Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen, haben gemeinsam mit dem belgischen Verein Sporting Charleroi die FIFA vor dem Handelsgericht in Charleroi verklagt. Auslöser war eine monatelange Verletzung des in Diensten von Charleroi stehenden marokkanischen Nationalspielers Abdelmajid Oulmers nach einem Länderspiel gegen Burkina Faso im Jahr 2004. Ursprünglich forderte Sporting Charleroi eine Entschädigung in Höhe von 1,5 Millionen Euro. Die "G14" witterte darin allerdings einen Präzedenzfall. Ihr Anwalt Jean-Louis Dupont, der an der Seite des Profis Jean-Marc Bosman vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg am 15. Dezember 1995 das berühmt-berüchtigte "Bosman-Urteil" erstritt, das die freie Wahl des Arbeitsplatzes für Sportler in den Staaten der EU garantiert und die bis dahin üblichen Transfer-Entschädigungen beim Vereinswechsel nach Vertragsablauf untersagt, meinte zu Beginn des Prozesses in Charleroi am 20. März 2006: "Wir fordern nun 860 Millionen Euro. Soviel Geld haben die Klubs in den vergangenen zehn Jahren verloren, weil Nationalspieler verletzt von Länderspielen zurückgekehrt sind."

FIFA und UEFA reagierten postwendend. Auf dem UEFA-Kongress am 24. März richtete Blatter einen flammenden Appell an die Delegierten aus 52 europäischen Staaten. Und der FIFA-Präsident ist fest entschlossen, die über die sechs Konföderationen weltweit 207 der FIFA angeschlossenen Länder zu mobilisieren. FIFA und UEFA drohen den 18 klagenden Topklubs mit dem Ausschluss aus allen nationalen und internationalen Wettbewerben. Mit Ausnahme von Deutschland und England stimmten alle der UEFA angeschlossenen Nationen folgender Resolution zu: "Eine selbsternannte Gruppe von Klubs stellt die Regeln in Frage. Es geht ihnen nicht um den Wettbewerb, sondern einzig und allein um sich selbst, um ihre wirtschaftlichen Interessen, und darum, anderen ihre Bedingungen zu diktieren. Die UEFA stellt sich keinem in den Weg, der die Fußball-Familie (und damit auch die nationalen Wettbewerbe) verlassen will. Die UEFA kann in dieser Frage auf die Unterstützung aller Nationalverbände zählen." Eben mit Ausnahme des deutschen und des englischen Verbandes.

Ein Zufall, dass Sepp Blatter just seit diesen Ereignissen plötzlich Kritik am WM-Ausrichter Deutschland übt? Zum Beispiel am Ticketkauf, das das deutsche WM-Organisationskommitee selbst durchführt. Ein Zufall, dass mit Franz Beckenbauer erstmals der Präsident eines nationalen WM-Organisationskommitees keine Worte der Begrüßung vor dem WM-Eröffnungsspiel sprechen soll? Ein Zufall, dass die schon weit geplante WM-Eröffnungsfeier in Berlin von der FIFA abgeblasen worden ist? Das alles las sich noch anders vor Monaten. Da kündigte Blatter der Fußball-Welt an, "was für ein wunderbares Land Deutschland tatsächlich ist; die Schönheit und Vielfältigkeit der Landschaft, das reiche kulturelle Erbe und nicht zuletzt die Freundlichkeit und der Humor der Menschen" und pries auch das "Organisationstalent" und die "legendäre deutsche Arbeitsmoral".

Die Weltmacht FIFA reagiert sehr allergisch und stringent, wenn nicht nach ihrer Pfeife getanzt wird und womöglich Dritte an einer Weltmeisterschaft partizipieren oder gar von ihr profitieren möchten. Der verständlich gewährte Schutz der 15 FIFA-Partner von Adidas bis Yahoo, die jeweils 42,3 Millionen Euro für die WM zahlen, geht aber soweit, dass sogar die Schriftzüge der Namensgeber der zwölf WM-Arenen in Deutschland entfernt und die Stadien eigens zur WM umbenannt werden müssen. Eine kostenintensive Aktion, die Klaus-Peter Müller, Vorstandsvorsitzender der Commerzbank und Sprecher der deutschen Banken, der Stadt Frankfurt erspart hat. Auf der Commerzbank-Arena, die drittgrößte deutsche Bank ist seit 2005 als Partner der Stadt Frankfurt Namensgeber des neu gebauten WM-Stadions, wird der Schriftzug des Unternehmens erstmals nach der WM angebracht.

Aber nicht nur in den WM-Arenen, sondern auch in Bannmeilen um die Stadien und selbst bei den Public-Viewing-Veranstaltungen in den Städten wacht die FIFA mit einer Heerschar an Kontrolleuren darauf, dass niemand seine Produkte, zum Beispiel deutsches Bier, an den Mann bringt oder bewirbt, der nicht dem Kreis der 15 FIFA-Sponsoren und der sechs nationalen Förderer (Deutsche Bahn, EnBW, Obi, Hamburg-Mannheimer, Postbank, Oddset mit jeweils 10 Millionen Euro Lizenzgebühr) angehört. Wen die FIFA dabei erwischt, verklagt sie.

Selbst Begriffe wie "WM 2006", obwohl in diesem Jahr auch die Weltmeisterschaften im Hockey, Reiten und Hallenrad in Deutschland stattfinden, ließ sich die FIFA 2003 vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) schützen. Schließlich aber gab das DPMA den Anträgen mehrerer Firmen statt, Begriffe wie "WM 2006" wieder zu löschen. In nächster Instanz vom Bundespatentgericht abgeschmettert, rief die FIFA den Bundesgerichtshof an und scheiterte: Ende April lehnte der BGH nicht nur den Markenschutz für die Marke "Fußball WM 2006" komplett ab, den der Verband für über 860 Waren und Dienstleistungen hatte eintragen lassen. Dagegen hatte unter anderem der Süßwarenhersteller Ferrero geklagt. Das Gericht bestätigte außerdem die teilweise Löschung der Marke "WM 2006" durch das Bundespatentgericht. Für die FIFA bedeutete dies eine herbe Niederlage - der Verband reagierte mit Unverständis.

Ein "zweites Deutschland" mit all diesen Streitigkeiten und Klagen um Rechte und Marken wird es nicht mehr geben. Die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika wird die FIFA ganz allein in die Hände nehmen - vom Catering bis zum Ticketkauf. Mit ihrer eigenen Vermarktungs- und Organisationscrew, die sich der Weltverband nach der Pleite seines langjährigen Partners ISL/ISMM, vormals weltgrößter Vermarkter des Sports, im Frühjahr 2001 aufgebaut hat. Damals hatte auch die FIFA einen Verlust in Höhe von 51 Millionen Schweizer Franken erlitten. Und noch in ihrer Eröffnungsbilanz per 1. Januar 2003 wies sie ein Eigenkapital in Höhe von minus 15 Millionen Schweizer Franken aus. Jetzt steuert sie auf ein Plus von 1 Milliarde Schweizer Franken an Eigenkapital zu: mit geschätzten Einnahmen von etwa 4 Milliarden Euro bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika gegenüber etwa 2,3 Milliarden Euro bei der WM 2006 in Deutschland über die schon geschlossenen Verträge mit künftig nur noch sechs (statt 15) Hauptsponsoren und mit den Fernseh-Anstalten.

Rainer Franzke ist Chefreporter beim kicker-Sportmagazin.


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