Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006

"Es landen keine Marsmenschen"

Interview mit Jürgen Rollmann, WM-Koordinator der Bundesregierung
Vor seiner Karriere als Sport-Organisator hütete Jürgen Rollmann das Tor bei den Bundesligisten MSV Duisburg und Werder Bremen. Von 1994 bis 1996 war der Diplomjournalist Präsident der Spielergewerkschaft VdV . Für ihn ist die WM eine "wunderbare Gelegenheit" in Sachen Standort-Marketing.

Das Parlament        Herr Rollmann, hat der WM-Koordinator der Bundesregierung noch Zeit für Sport?

Jürgen Rollmann         Wenig. Das liegt aber eher daran, dass ich seit Monaten eine Meniskus-Operation vor mir herschiebe. Momentan helfe ich lediglich gelegentlich beim Training der C-Jugend des FC Spandau 06, denn da spielt mein Sohn.

Das Parlament        Das Standort-Marketing für Deutschland spielt im Gastgeberkonzept der Bundesregierung eine zentrale Rolle. Seit längerem finden dazu Imagekampagnen im In- und Ausland statt. Wie lässt sich der Erfolg solcher Kampagnen konkret messen?

Jürgen Rollmann         Wahrscheinlich wird man erst ein halbes oder dreiviertel Jahr nach der WM seriös beurteilen können: Was haben diese Maßnahmen gebracht, wie viele Gäste sind gekommen, wie viele Arbeitsplätze sind tatsächlich über die WM hinaus erhalten geblieben? Ob sich ausländische Investoren in Deutschland nun konkret deshalb engagieren, weil sie die Veranstaltungen im Rahmen von "Invest in Germany" besucht haben, wird sich schwer messen lassen. Aber den Standort optimal darzustellen, ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Mit dem Anpfiff am 9. Juni wird der Fußball im Mittelpunkt stehen. Aber seit dem Jahr 2000 bis zum Anpfiff war es für die Politik, für Bund, Länder, für die WM-Städte, für die Partner, und Wirtschaftsverbände eine wunderbare Gelegenheit, um Werbung für das WM-Gastgeberland zu machen. Und vor allem: Erst die WM hat es möglich gemacht, dass Regierung und Wirtschaft gemeinsam versuchen, den Standort positiv darzustellen. Ansonsten ziehen die einzelnen Interessenvertreter ja eher an verschiedenen Strängen. Der Stimmungsaufschwung durch die WM wird sich hoffentlich auch wirtschaftlich positiv auswirken. Fakt ist: DieWM hat vielfältige Wachstumsimpulse ausgelöst.

Das Parlament        Damit die deutsche Wirtschaft tatsächlich von der WM profitieren kann, muss sie jedoch auch vor Ort die Möglichkeit haben, sich zu präsentieren. Im Umfeld der Stadien wird dies aufgrund der FIFA-Auflagen nicht möglich sein. In vielen deutschen Unternehmen gab es über diese Auflagen bereits großen Unmut.

Jürgen Rollmann         Ich kenne keine substantiellen Beschwerden von deutschen Top-Unternehmen. Jeder, der sich etwas damit auseinandersetzt, wird anerkennen, dass es Regeln gibt und geben muss. Ob die jetzt in allen Einzelheiten immer so glücklich kommuniziert waren, sei dahingestellt. Aber wenn Hertha BSC ein Bundesligaspiel bestreitet, hat Hertha BSC Berlin Exklusivsponsoren. Das ist normal. Und so muss man es auch bei der Weltmeisterschaft sehen. Das ist eine Veranstaltung der FIFA, die hat ihre exklusiven Sponsoren und versucht natürlich, diese exklusiven Sponsoren zu schützen. Dennoch gibt es genügend Möglichkeiten, die WM zu nutzen, um Werbung zu machen, ohne irgendwelchen Marketingrichtlinien in dieser Richtung zu verletzen. Zum Beispiel im Rahmen der Initiative "Deutschland - Land der Ideen". Darüber hinaus gibt es in fast in jedem Bundesland und in den WM-Städten Kampagnen, die versuchen, anlässlich der WM Orte und Regionen im besten Licht erscheinen zu lassen. Unmut wäre nur angebracht gewesen, wenn man die enormen Chancen, die dieses sportliche Großereignis bietet, nicht genutzt hätte.

Das Parlament        Das Organisationskomitee hat eine Service- und Freundlichkeitskampagne gestartet, mit dem sich Deutschland als freundliches und weltoffenes Land präsentieren möchte. Sind wir nicht freundlich genug?

Jürgen Rollmann         Umfragen zeigen, dass die Deutschen im Ausland als pünktlich, zuverlässig, diszipliniert, aber weniger als besonders humorvoll oder serviceorientiert gesehen werden. Das stimmt pauschal natürlich nicht. Aber: Die WM steht unter dem Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden". Deutschland wird als Gastgeberland vier Wochen im Mittelpunkt stehen, und auf diese Rolle sollte man bestmöglich vorbereitet sein. Das Besondere ist, dass im Rahmen dieser Kampagne bis zur WM über 100.000 Menschen von verschieden Partnern und Anbietern geschult werden: im Hinblick auf die Mehrsprachigkeit, im Hinblick auf Auskünfte zu Spielstätten oder auch, was Fußball-Begrifflichkeiten angeht. Es geht darum, den Tourismusbereich zu unterstützen und die Serviceorientiertheit, die man als Gastgeber seinen Gästen entgegen bringen sollte, in breiteren Bevölkerungsschichten ins Bewusstsein zu rufen. Dafür hat der Bund 3 Millionen Euro bereitgestellt, auch mit dem Ziel, etwas anzuschieben, was hoffentlich über die WM hinaus Bestand hat.

Das Parlament        Wie gut haben Sie inzwischen die von den Verbraucherzentralen kritisierten Mängel an Stadien oder die Wettskandale bewältigt?

Jürgen Rollmann        Die Verbraucherschützer haben die Formalien der Ticketvergabe kritisiert. Daraufhin haben wir einen runden Tisch initiiert, es gab ein Gespräch mit den Verbraucherschützern, dem zuständigen Ministerium und dem Organisationskomitee. Seitdem ist das Thema beruhigt. Und zur Stiftung Warentest: Hören Sie noch irgendwas davon? Im Sportausschuss wurde darüber vor vielen Wochen mit großer Emotionalität gesprochen. Und dort sagte ein Abgeordneter nach vier Stunden Zuhören: also in dieser Zeit hätten die paar Mängel auch beseitigt werden können. Das war gut auf den Punkt gebracht. Was den Wettskandal betrifft: Ein leidiges Thema überall auf der Welt, aber ohne WM-Bezug. Wichtiger in diesem Zusammenhang war das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum staatlichen Wettmonopol. Hier müssen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Fußball Liga, dem Deutschen Fußballbund und weiteren Beteiligten neue Lösungen gefunden werden.

Das Parlament        Der Einsatz der Bundeswehr zum Objektschutz während der WM ist inzwischen vom Tisch. Dennoch werden die Sicherheitsmaßnahmen massiv sein. Werden die Besucher etwas davon mitbekommen?

Jürgen Rollmann         Wenn man Gäste zu sich einlädt, muss auch das Menschenmögliche getan werden, damit diese Gäste sich wohl und sicher fühlen. Es ist unstrittig, dass es das Sicherheitsgefühl der Bürger erhöht, wenn zum Beispiel die Polizei auch in Uniform in S- oder U-Bahnen oder im Bahnhofsbereich präsent ist. Es findet ja hier nicht die erste Großveranstaltung statt. Wir hatten im vergangenen Jahr den Weltjugendtag, es gibt jedes Jahr riesige Silvesterfeiern oder große Volksfeste mit dem Münchner Oktoberfest an der Spitze, deren sicherer Ablauf bewältigt wird. Also: Es landen zur WM definitiv nicht die Marsmenschen, sondern es ist vier Wochen lang ein Fest der Freude. Ich habe großes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, die sich ebenfalls jahrelang sehr gewissenhaft vorbereitet haben.

Das Parlament        Der Begriff des "Public Viewing" ist in jüngster Zeit sehr populär geworden. Massen von Fans fiebern vor der Großbildleinwand mit? Hat sich unser Bild vom Fußball gewandelt?

Jürgen Rollmann         Ich würde nicht sagen, dass das Bild sich gewandelt hat, sondern dass dieser Sport von viel mehr Menschen als früher live erlebt werden will. Der Fußball ist mit das letzte Feld, auf dem man ein ganz besonderes Gemeinschaftsgefühl erleben, den mitunter harten Alltag mal vergessen kann. Darin liegt die Faszination.Der Fußball ist in Bevölkerungsschichten vorgestoßen, für die er lange Jahre nicht existierte: Künstler, die den Sport vielleicht vor vielen Jahren als profane Angelegenheit betrachteten, sehen auch, dass es sehr spannend sein kann, Fan einer Mannschaft zu sein oder ein Spiel im Stadion live mitzuerleben. Für die meisten Frauen war Fußball lange Zeit ein blöder Männersport. Aber nun haben wir eine Frauennationalmannschaft, die Weltmeister geworden ist. Heute spielen so viele Mädchen wie noch nie Fußball in einem Verein. Und schließlich: Die Nachfrage nach den WM-Tickets war derart gigantisch, dass für die vielen Fans ohne Ticket ein Angebot wie die public viewings geschaffen werden musste, damit zur WM wirklich jeder die Chance hat, vier Wochen lang mitzufeiern und dabei zu sein.

Das Interview führte Claudia Heine


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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