Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
Mirko Heinemann

Sie treten um zu treffen: Hooligans

In den Kneipen sollen "Nettigkeiten" ausgetauscht werden
Im Internet chatten Fußballfans, Hooligans und so genannte "Ultras" in öffentlichen Foren völlig unbeschwert miteinander. Unverhohlen ruft dort ein gewisser "Infernale" zu Gewalt gegen die Gesetzeshüter auf: "Die Zielscheibe der Hools sind nicht unbedingt nur die Hools aus England oder Holland, sondern vielmehr die grünen Hoolizisten." Andere Einträge lassen befürchten, dass gewaltbereite Fans die Stadien zwar womöglich meiden, stattdessen aber die Innenstädte unsicher machen werden. In den Kneipen würden dann die "Nettigkeiten ausgetauscht", droht ein gewisser "Talvern".

Anzahl und Vorgehensweise der gewaltbereiten Fußballfans sind Unsicherheitsfaktoren im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft. Erfasst werden potenzielle Gewalttäter bei der "Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze" (ZIS) in Düsseldorf. "Rund 7.000 sind bei uns namentlich registriert, weil sie auffällig geworden sind", erklärt Frank Scheulen, Pressesprecher des LKA Nordrhein-Westfalen, dem die ZIS unterstellt ist. Weitere 10.000 gewalttätige Fans, schätzt er, gebe es bundesweit. Die Polizei unterteilt die Fußballfans in drei Kategorien: Kategorie A sind die friedlichen Fans, die nur das Spiel sehen wollen. Kategorie B umfasst die so genannten "Gewalt geneigten" Fans, die nicht mit der Absicht kommen, Gewalt auszuüben, aber Aggressionspotenzial in sich tragen. Die "Gewalt suchenden" Fans dagegen, die unter die Kategorie C fallen, sind an den Fußballspielen weniger interessiert als an den Schlägereien danach.

Im Mai wird die ZIS auf die linke Rheinseite, nach Neuss, umziehen, dann werden 145 Beamte rund um die Uhr im Einsatz sein, unterstützt von 33 Kontaktbeamten aus den WM-Teilnehmerstaaten. Hier laufen alle Informationen über potenzielle Gewalttäter aus dem In- und Ausland zusammen. Die ZIS erstellt Lagebilder, bewertet die Gefahren für alle 48 WM-Spiele und koordiniert die Kontakte zwischen den internationalen Behörden. Die Lageberichte werden den Polizeidienststellen der Länder zugestellt, die ihrerseits vor Ort sind. Mit Hilfe der ZIS-Daten können Landesbehörden präventiv tätig werden, beispielsweise Reiseverbote und Meldeauflagen aussprechen.

Der Soziologie-Professor und Fan-Forscher Gunter Pilz rät zur Gelassenheit: "Wir wissen, dass sich erst in einem Klima von Angst und Repression Gewalt entlädt", sagt Pilz. Im Gegenzug habe sich während der Europameisterschaft 2004 in Portugal gezeigt: "Wo Menschen ein fröhliches Fest feiern, fällt es Hooligans schwer, einem die Faust ins Gesicht zu schmeißen." Pilz vertraut auf die Arbeit der Polizei: "Ich glaube, dass wir mit dem nationalen Sicherheitskonzept gut aufgestellt sind."

Eskalationen werden weniger in den zwölf WM-Stadien befürchtet, deren Zugänge scharf kontrolliert werden, sondern eher in Bahnhöfen oder an den 300 öffentlichen Plätzen, an denen die Spiele auf Großbildleinwänden übertragen werden (Public Viewing). Bei letzteren liege die Sicherheit in der Verantwortung des Veranstalters, so Frank Scheulen vom LKA Nordrhein-Westfalen. Ihm obliege es, mit Zugangskontrollen und in Zusammenarbeit mit den örtlichen Polizeikräften mögliche Gewalttäter auszusondern.

Die bundesweite Strafverfolgung gewalttätiger Fans koordiniert der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Klaus Bronny. Im Nachrichtenmagazin "Focus" kündigte er an, während der Weltmeisterschaft mit "Schnellverfahren", hohen Geldstrafen und Ausweisungen gegen Hooligans vorzugehen. Danach werden ausländische Straftäter eine sofortige "Sicherheitsleistung" zwischen 150 und 1.200 Euro hinterlegen müssen - geregelt durch einen bundesweit gültigen Katalog mit Straftaten von Hausfriedensbruch bis zur gefährlichen Körperverletzung. Die Zahlungen sollen Verfahrenskosten sowie zu erwartende Geldstrafen decken.

Die meisten WM-Gäste werden aus England erwartet. Großbritannien hat vorsorglich rund 3.500 bekannten Hooligans ein gerichtliches Ausreiseverbot erteilt. Bei einer Online-Umfrage in einem einschlägigen Hooligan-Forum unter Gleichgesinnten zum Thema "Wer hat die schlimmsten Hools bei der WM?", votierten allerdings die Meisten für Polen. An zweiter Stelle folgten die Engländer, deutsche Hooligans landeten auf dem dritten Platz. "Polnische Hooligans haben eine äußerst gewalttätige Tradition", erklärt Fan-Forscher Gunter Pilz. "Sie sind in Mafia-Strukturen organisiert, handeln mit Drogen und schrecken auch vor Mord nicht zurück. Sie verfügen über Geld, könnten sich demnach also auch WM-Karten leisten." Allerdings, so Pilz, seien sie eher den Vereinen verhaftet als der Nationalmannschaft, daher gehe er davon aus, dass nur wenige polnische Hooligans zur WM anreisen werden.

In Polen werden Gewalttäter nicht wie in Deutschland zentral, sondern in den Regierungsbezirken erfasst, den so genannten Wojewodschaften. Es haben bereits Treffen zwischen den Polizeibehörden stattgefunden, um die Daten abzugleichen, zudem setzt die (ZIS) auf so genannte "szenekundige Beamte" aus allen Teilnehmerstaaten. Sie werden bei der WM zugegen sein, um Gewalttäter zu identifizieren. Die 1992 gegründete ZIS hat, so Scheulen, "enge Kontakte zu den Behörden aller wichtigen Fußballnationen aufgebaut".

Neben Randale sind es Rassismus und rechtsradikale Parolen, vor denen sich der WM-Gastgeber Deutschland fürchtet. Die Szene der Hooligans und der Neonazis vermischt sich mancherorts, wie zuletzt Anfang April in Hamburg beobachtet werden konnte. Dort nutzten rechtsradikale Hooligans das Regionalligaspiel FC St. Pauli gegen den Chemnitzer FC als Kulisse für rassistische Parolen und Schlägereien. Die Vereine, so Diplompädagoge Michael Backendorf, der zum Thema Rassismus im Profifußball geforscht hat, hätten zwar Transparente mit rechtsextremen Inhalt konsequent aus den Stadien verbannt, doch seither seien die Parolen "konspirativer" geworden. "Beliebt sind T-Shirts mit der Zahl ,88' darauf, die für ,Heil Hitler' steht", sagte Backendorf der Internet-Plattform "Mut gegen rechte Gewalt".

Rassismus, erklärt Fan-Forscher Gunter Pilz, sei aber nicht nur unter Hooligans verbreitet, sondern ziehe sich quer durch die Bevölkerung. "Es gibt viele rechtsradikale Hooligans, aber nicht alle Hooligans sind rechtsradikal." Besonders in den alten Bundesländern entstammten viele Hooligans der akademischen Oberschicht. Sie stünden zwar in der Tradition von Fußballfans, der Fußball spiele aber heute eine untergeordnete Rolle. "Es geht ihnen ausschließlich um die Lust an der Gewalt, um den Kick", so Pilz.

Anders sei dies in Ostdeutschland, wo Hooligans mehrheitlich aus den unteren Schichten kommen. "Sie brauchen Gewalt, um ihr Selbstwertgefühl aufzubauen." So genannte "Ultras" dagegen, originäre Fußballfans, die in den Fanblocks der Stadien für gute Stimmung sorgen, seien selten gewalttätig. Weil viele von ihnen das WM-Spektakel ablehnten und überdies kein Geld für Eintrittskarten für WM-Spiele hätten, sei davon auszugehen, dass sie der Weltmeisterschaft die kalte Schulter zeigen würden. Einige indes könnten aus Enttäuschung zu Gewalt neigen und sich an die Hooligan-Szene andocken. Diese "Hooltras", wie sie Gunter Pilz bezeichnet, würden wohl dem Archetyp des gewalttätigen Fußball-Fans am ehesten entsprechen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.