Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
Michael Pöppl

Echte Fans wollen lieber ein echtes Spiel sehen

Fußballfilme fahren selten große Siege ein

Ende Januar 2006 kam der Film "Eine andere Liga" von Buket Alakus in die deutschen Kinos. Eine heiter-tragische Geschichte um eine junge Türkin, der es trotz Brustkrebs und dank des Fußballs gelingt, das Leben zu meistern und die große Liebe zu finden. Ein toller Streifen, der es auf der nach oben offenen Harry-Rowohlt-Skala auf immerhin "drei Mal geheult" bringt aber trotz Kritikerlob und guter Schauspieler wie Karoline Herfurth, Ken Duken oder dem großartigen Thierry van Werweke an den Kinokassen floppte. Ebenso ging es eineinhalb Jahre zuvor der Komödie "Männer wie wir" von Sherry Hormann, einem schwulen Fußballfilm, der das Zeug zur nächsten deutschen Lieblings-Homokomödie nach "Der bewegte Mann" hatte. Bis auf wenige Ausnahmen zeigt sich, dass Fußballspielfilme - abgesehen von Dokumentarfilmen - fast immer reines Kassengift sind.

Warum ist das so? Fußball und Kino, das ist eine unglückliche Liaison, eine Mesalliance. Es sind zwei Massenphänomene der Moderne, die eigentlich gar nicht miteinander klar kommen. Vielleicht gerade, weil sie soviel gemeinsam haben: Ein perfektes Fußballspiel hat Helden, große und tragische, überraschende Wendungen. Und eine eindeutige Botschaft: Der Bessere - natürlich "unsere" Mannschaft - soll gewinnen. Dasselbe gilt eben auch für einen mitreißenden Kinofilm: Helden und Heldinnen, Gute und Böse, und wenn irgend möglich auch ein schönes Happy End nach 90 Minuten. Länger braucht ein guter Film nicht zu sein, und - wenn unsere Mannschaft führt - auch kein Fußballspiel (Fragen Sie mal Bayernfans nach der 93. Minute im Championsleague-Finale 1999 gegen Manchester United). Fußball auf der Leinwand funktioniert nur bedingt. Den wesentlichen Unterschied zum Stadionbesuch macht wohl die Unberechenbarkeit des Spiels aus, oder, wie es Sepp Herberger in einem seiner berühmten Axiome formulierte: "Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht."

Ganz abgesehen vom Publikumserfolg, es gibt aus Fan-Perspektive durchaus interessante Fußballfilme. Sie zeichnen sich vor allem durch realistische Spielszenen aus. Sogar der große Sepp Herberger hat, zusammen mit Nationalspielern wie Fritz Walter, bei einem solchen Film mitgewirkt. In Berlin wurde 1941 "Das große Spiel" gedreht, das Motto des UFA-Streifens lautete "Elf Kameraden und ein Gedanke: Glauben an den Sieg". Regisseur Robert A. Stemmle holte sich den damaligen Reichstrainer als fußballerischen Berater auf den Platz. Die Dramaturgie des Filmfinales entspricht fast genau der des WM-Endspiels von Bern 1954: Die Mannschaft des Bergarbeitervereins Gloria 03 liegt bei der deutschen Meisterschaft 0:2 zurück, das Sorgenkind des Teams (gespielt von René Deltgen) schießt das entscheidende Tor zum 3:2-Sieg. Doch abgesehen von den farbig gedrehten Spielszenen im Olympiastadion kann man "Das große Spiel" als klassische "Durchhalteschmonzette" einordnen.

Besonders schlechte Fußballfilme ärgern den Fan vor allem deswegen, weil sie den Sport nur als Folie benutzen, um meist eher unerquickliche Heiterkeit zu produzieren. Ein typisches Beispiel wäre da "Der Theodor im Fußballtor" mit Theo Lingen, Hans Moser und Josef Meinrad. Die seichte Verwechslungskomödie von 1950 ist nur wegen des von Lingen genäselten Titelsongs erwähnenswert: "Wie der Ball auch kommt, wie der Schuss auch fällt, der Theodor der hält." Einzig erwähnenswerter Bezug zur Fußballrealität ist, dass der Theodor im Kasten des TSV 1860 steht, als der Film unter Mitwirkung einiger Sechziger-Spieler im Grünwalder Stadion gedreht wird.

In den 70er-Jahren wird es besonders schlimm. Während in Schweden "Fimpen, der Knirps", einer der besten Kinderfilme überhaupt entstand, kam hierzulande Wim Wenders mit "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" ins Kino. Vorlage war das Buch von Peter Handke, über das schon "Radi" Radenkovic, der populäre Keeper der Sechziger, gesagt haben soll: "Nix viel über Fußball" sei darin enthalten. Und, folgerichtig, im Film spielt Fußball auch keine große Rollle. Später erschienen die Popstars des deutschen Fußballs auf der Leinwand: Franz Beckenbauer in "Libero" (1973), einer Pseudobiografie, die so schlecht war, dass der "Kaiser" noch Jahre später versucht haben soll, sämtliche Kopien aufzukaufen. Auch Paul Breitners Auftritt als wuschelköpfiger Colonel Baxter in "Potato Fritz" (1976) ist vor allem optisch sehenswert und blieb dankenswerter Weise einmalig. Nicht mal "der deutsche Weltstar" Hardy Krüger konnte den Absturz an der Kinokasse aufhalten.

Dass es nicht nur am deutschen Film liegt, wenn der Fußball im Kino scheitert, beweist 1981 der Regisseur John Huston mit "Escape", einem kruden Lagerfilm mit dem unfähigsten Keeper aller Zeiten im Tor: Sylvester Stallone versteht auch nichts von Fußball. Genauso wie die meisten Amerikaner. Darum entstehen die besten Kickerfilme auch im Mutterland des Fußballs. Im sozialkritischen britischen Kino der 90er-Jahre boomt der Dreh mit dem Kick: Bestechend authentisch wirkt "When Saturday comes" von 1995, ein Film über ein fußballerisches Ausnahmetalent, das beinahe seine große Chance auf den Durchbruch verspielt. Der Zuschauer fühlt sich irgendwie an Paul Gascoigne erinnert. Beinahe echt kommt die Verfilmung von Nick Hornbys "Feverpitch" daher, auch wenn Colin Firth als durchgeknallter Arsenalfan nicht so ganz überzeugt (dafür sieht er einfach zu gut und zu nett aus).

Doch es ist nicht alles schlecht. Auch in Deutschland gibt es Achtungserfolge im Kino. Adolf Winkelmanns "Nordkurve" (1991) ist ein atmosphärisch dichter Ruhrpottfilm über Fans und Hooligans. Die Schalke-Komödie "Fußball ist unser Leben" kommt 2000 ins Kino und ist Dank bekannter Darsteller wie Uwe Ochsenknecht einigermaßen erfolgreich. Für die Schalkefans ist der Streifen entweder "Kult" oder wegen der prolligen Klischees schlichtweg unerträglich. "Die wilden Kerle" schafft es 2003 in die obersten Kinocharts und beschert Joachim Masannek, dem Autor der beliebten Kinderbücher, ungeahnte Popularität und entsprechende Merchandising-Einnahmen.

Der erfolgreichste deutsche Fußballspielfilm startet ebenfalls 2003. Bei der Premiere zu "Das Wunder von Bern" erzählt ein sichtlich gerührter Bundeskanzler Gerhard Schröder, dass er die Rohfassung gesehen habe, und da "schon geheult" habe. Über 3,6 Millionen Zuschauer sehen die Neuauflage deutschen Gefühls. Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern" erhält den Publikumspreis beim Filmfestival in Locarno, drei Mal wird der Streifen für den Deutschen Filmpreis 2004 nominiert. Der Erfolg des jungen Regisseurs war absehbar: Zum Ersten hat er einen grandiosen Plot, den sich auch ein begabter Drehbuchschreiber nicht besser hätte ausdenken können, zum Zweiten stimmt der Zeitpunkt. 50 Jahre nach dem WM-Finale im Wankdorfstadion boomt die Gedenkindustrie, Fritz Walter und Helmut Rahn werden als nationale Helden wiederentdeckt. Wenigstens beim "Wunder von Bern" darf man endlich Deutscher und stolz darauf sein. Die intellektuellen Bedenken in den Feuilletons, Wortmanns Film sei zu pathetisch oder gar "national-allegorisch" (Dietrich Dietrichsen in der "Zeit" vom 16.10.2003) interessieren das klassische Unterhaltungspublikum wenig. Denn darum geht es ja im Kino - um das große Gefühl und sei es aus Fußballpatriotismus. Die echten Fußballfans freuen sich lieber über die realistischen Spielszenen, für die Wortmann professionelle Fußballer aus Regional- und Oberliga gecastet hat.

Bei allem Wohlwollen, Fußballfilme werden wohl immer etwas Exotisches bleiben, auch wenn im WM-Jahr diesbezüglich noch einiges Schlimmes auf uns zukommen wird. Denn die meisten Filmfans interessieren sich nicht für Fußball. Und die Fußballfans wollen lieber das echte Spiel sehen, weil man eben nicht weiß, wie es ausgeht. Ins Kino gehen wir, um der schnöden Welt zu entfliehen, ins Stadion, um inmitten Gleichgesinnter größtmögliches Glück und tiefstes Elend zu erfahren. Wer schon jemals nach einem Tor spontan einen unbekannten, nach Bier riechenden Stehplatznachbarn umarmt hat oder nach einer bitteren Niederlage den Trost von Fremden erfuhr, der kennt das. Solche Gefühle kann kein Spielfilm auslösen.

Michael Pöppl ist Redakteur beim Berliner Stadtmagazin "zitty" und Verfasser des Buches "Fußball ist unser Leben".


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