Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
Helga Grandlgruber

Die Welt zu Gast im Westen: Der Osten verliert 1:31

Die neuen Bundesländer waren als WM-Quartiere nicht gefragt

Am Niveau der Hotels kann dieses Ungleichgewicht nicht liegen, meint Hartmut Pirl, Direktor im Seminaris Seehotel Potsdam, das sich auf den Besuch aus der Ukraine vorbereitet. Das Personal lernt Redewendungen in der slawischen Sprache, vier ukrainische TV-Sender werden eingespeist, und die Spieler bekommen einen Clubraum mit Billard, Darts, Playstation und Kartenspielen. Noch wichtiger: Drei Rasenplätze ganz in der Nähe werden neu präpariert.

Scheitert es andernorts im Osten etwa an unzureichenden Trainingsbedingungen? Zwar kritisiert WM-Legende Jürgen Sparwasser die "schlechten Fußballstrukturen" in den neuen Bundesländern, Fakt ist aber: Auch im Westen haben die Greenkeeper viel zu tun, um die Anforderungen der Profis zu erfüllen. Würzburg leistete sich einen neuen 100.000-Euro-Rasen - bevor überhaupt klar war, dass Ghana die Stadt als Quartier wählt. Und in den Sportpark Bad Kissingen werden gar 250.000 Euro für Ecuador investiert.

"Im Osten ist der Gartenbau genauso fortgeschritten wie im Westen", macht Ulrich Wolter dieser Diskussion ein Ende. Der Geschäftsführer des Leipziger WM-Organisationskomitees sieht den Osten auch nicht aufgrund von Vorurteilen verschmäht. Viele Teams hätten ja Unterkünfte in der ehemaligen DDR begutachtet, sich dann aber anders entschieden. Seine Begründung: Durch UEFA-Pokal- und Champions-League-Spiele seien westliche Städte im Ausland einfach bekannter. "Welchen Ost-Verein und damit welche Ost-Stadt kennt man denn aus der Bundesliga", fragt Hoteldirektor Hartmut Pirl bei diesem Thema.

Lange Liste von Bewerbern

Hinterzarten und Königstein spielen zwar auch nicht in der höchsten Liga, aber die Nähe zu Freiburg und Frankfurt am Main hat den Holländern und Brasilianern offenbar genügt. Das Team von Marco van Basten sah sich im Osten um, wählte jedoch ein Fünf-Sterne-Haus in Hinterzarten: nicht gerade zentral hinsichtlich der Spielorte, aber ruhig, mit Privatpark und kleinem Flughafen in der Nähe. Ebenfalls das komplette Hotel mieten die Brasilianer, deren Entscheidung hauptsächlich von der Qualität der Unterkunft beeinflusst war. Das dortige Kempinski hat fünf Sterne plus, davon gibt es nur sieben Hotels in ganz Europa. Vielleicht bekam Pelé den Tipp von Franz Beckenbauer. Der Kaiser mietet sich immer im Kempinski ein, wenn er in Frankfurt zu tun hat. Königstein hatte sich übrigens nicht einmal als Standort bei der FIFA angemeldet.

Die Liste der Bewerber war auch so lang genug: Bundesweit 350 Hotels wollten eine Nationalmannschaft beherbergen, nach einer Sichtung gab das Organisationskomitee einen Empfehlungskatalog mit 110 Quartieren an die insgesamt 32 Teams. Auf dieser Liste stand auch Bad Saarow. Die Schweden interessierten sich für den Ort in Brandenburg, sagten jedoch die geplante Reise dorthin kurzfristig ab. "Aus der offiziellen Präsentation und der Homepage war für uns klar ersichtlich, dass das Hotel in Bad Saarow nicht mit unseren anderen beiden Favoriten mithalten konnte", erklärt Teamsprecher Mats Engqvist. Auch die Polen nahmen Kontakt nach Bad Saarow auf, haben nun jedoch eine Bleibe in Barsinghausen bei Hannover.

Solche Geschichten hört Michael Hillmann nicht gerne. Der Geschäftsführer des Fußball-Landesverbandes Brandenburg ist sich sicher, dass alle vorgeschlagenen Quartiere des Bundeslandes - vier an der Zahl - geeignet gewesen wären. "Wir sind jedenfalls sehr froh, dass wir in Potsdam die Ukraine empfangen dürfen." Das ist auch Hoteldirektor Hartmut Pirl: "Unser Haus steht im Rahmen der WM mit im Blickwinkel der Weltöffentlichkeit." Im Rampenlicht zu stehen, nicht nur als Spiel-, sondern aus als Quartierort: Das hätte sich Ulrich Wolter für Leipzig und die "dynamische Region" gewünscht. Aber alle Werbung in dieser Richtung, die WM-Auslosung in Leipzig und selbst ein Appell der Bundesregierung halfen nichts.

Eine Standortfrage

"Die Welt zu Gast im Westen" könnte das WM-Motto nun lauten. Dass dem so ist, liegt natürlich auch an den Spielorten: Große Stadien finden sich hauptsächlich im Westen. Nur fünf von 57 Partien finden in Leipzig statt. Aber nicht nur für die Ukraine mit Vorrundenspielen in Leipzig, Hamburg und Berlin ist eine Bleibe im Osten praktisch. Auch für Angola (Köln, Leipzig, Hannover) wäre der Standort günstig gewesen, weshalb Dessau ein Angebot machte. Ergebnis: wieder eine Absage. Diese sei nicht etwa in der Furcht vor rassistischen Übergriffen begründet, versicherte ein Verbandssprecher. Vielmehr wolle die Mannschaft noch näher an den Spielorten sein - mit einem Quartier in Celle bei Hannover.

Von Schwedens Absage in Bad Saarow hat Bremen profitiert. "Als Spielort sind wir nicht Teil der WM, dafür aber als Mannschaftsquartier", freut sich Jens Wehrenberg für seine Stadt, vor allem aber für das Park Hotel Bremen. Der Sprecher des Fünf-Sterne-Superior-Hauses erwartet sich durch die prominenten Gäste "Effekte für die Zeit nach der WM": "Schweden ist der stärkste Tourismusmarkt für Bremen. Wir sind das Durchreiseziel vieler Schweden, die in Richtung Süden unterwegs sind." Neben dem Team um die Stars Ibrahimovic, Ljungberg und Larsson hatten die Holländer, Engländer, Portugiesen und Australier angefragt. "Über die hätten wir uns genauso gefreut", sagt Wehrenberg. Die Verbindung Bremen - Schweden jedoch sei wirtschaftlich die interessanteste.

Die Nähe zu den Spielorten und/oder eine erstklassige Unterkunft - das gab also meistens den Ausschlag, aber nicht immer. Dass die Argentinier in Herzogenaurach residieren, hat wohl nur einen Grund: Ihr Ausrüster Adidas hat dort seinen Sitz. Und dass es die USA nach Hamburg gezogen hat, erklärt US-Trainer Bruce Arena so: "Hamburg ist unseren Städten sehr ähnlich." Er nennt "tolle Restaurants und viele Unterhaltungsmöglichkeiten" - noch vor dem Hotel und den Trainingsplätzen. Den Amerikanern ist egal, dass die nötige höchste Sicherheitsstufe in einem überschaubareren Umfeld leichter umzusetzen gewesen wäre. Ganz gründlich schauten sich die Engländer um. Nachdem der Verband an die 30 deutsche Hotels in Augenschein genommen hatte, fiel die Wahl auf eines in Baden-Baden. Vielleicht wegen des nahen Kasinos? Die Engländer sollen Roulette und Black Jack nicht abgeneigt sein.

Als Quartier ausgewählt zu werden, ist eben auch ein Sache des Glücks.

Helga Gandlgruber ist Redakteurin beim "Münchner Merkur" in München.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.