Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
Helmut Merschmann

Mit dem Zug zur Öko-WM

Green Goal: wie die Organisatoren den Umweltschutz in die Stadien tragen

Auf Schalke, wieder zurück ins Olympiastadion an der Spree, anschließend in die Allianz-Arena. Wer die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 live erleben will, muss mobil sein, darf mehrfach quer durchs Land reisen. Bei einem einmonatigen Großevent und über 3,2 Millionen reiselustiger Fußballfans aus dem In- und Ausland zeitigt dies schwerwiegende Folgen für die Umwelt. Bereits 1993 bei der initialen Bewerbung des DFB für die diesjährige Fußballweltmeisterschaft spielten erste Gedanken zum Umweltschutz eine Rolle. Zehn Jahre später war es dann so weit: Zusammen mit dem Organisationskomitee (OK) präsentierte das renommierte Freiburger Öko-Institut sein Umweltprogramm "Green Goal", ein innovatives und Maßstäbe setzendes Ökologiekonzept.

Green Goal repräsentiert den ehrgeizigen Anspruch, dem Umweltschutz eine zentrale Rolle bei der Weltmeisterschaft zukommen zu lassen. Die WM 2006 wird die erste klimaneutrale Sportgroßveranstaltung mit ebenso messbaren wie nachhaltigen Zielen für den Umweltschutz sein. "Bei der WM schaut die ganze Welt auf Deutschland", erklärte Franz Beckenbauer in seiner Funktion als OK-Präsident anlässlich der Präsentation von Green Goal im März 2003. "Da wollen wir natürlich auch beim Umweltschutz vorbildlich sein." Und tatsächlich ist schon heute eine der nachhaltigsten Wirkungen überhaupt erzielt worden: Sowohl die olympischen Winterspiele 2010 im kanadischen Vancouver als auch die Olympiade 2012 in London haben ein dezidiertes Interesse am deutschen Green-Goal-Konzept und an einer freiwilligen Klimakompensation angemeldet.

Das wohl wichtigste ökologische Ziel von Green Goal ist die Klimaneutralität. Insgesamt 100.000 Tonnen Treibhausgas-Emissionen werden durch den zu erwartenden Reiseverkehr, die Stadienbeleuchtung und Warmwasserversorgung freigesetzt. Eine große Belastung für das Weltklima. Durch eine enge Kooperation mit der Deutschen Bahn, die vergünstigte Tickets anbietet, und dadurch, dass das WM-Ticket in den einzelnen WM-Städten gleichzeitig auch als Fahrschein für den öffentlichen Nahverkehr fungiert, wird ein Großteil an Emissionen vermieden. Gerechnet wird damit, dass 50 Prozent des Reiseaufkommens via Bahn geschieht. "Man kann schon jetzt sagen, dass wir das wichtige Umweltziel der Klimaneutralität erreichen", sagt Christian Hochfeld, stellvertretender Geschäftsführer des Öko-Instituts, "alle Emissionen werden vermieden beziehungsweise kompensiert."

Ein zusätzlicher CO2-Ausstoß bleibt allerdings nicht ganz aus. Er soll durch die Finanzierung von Klimaschutz-Projekten in Entwicklungsländern, beispielsweise kleinen Biogasanlagen für Privatfamilien in der Tsunami-Region, kompensiert werden. Es handelt es sich hierbei um immerhin 30.000 Tonnen eingesparter Emissionen, die - unabhängig von der Geografie - dem Weltklima zugute kommen. Kein einziger Cent an öffentlichen Mitteln ist derweil in den Umweltschutz gewandert - Steuergelder werden für Green Goal nicht angetastet. Allein dem DFB ist die Klimaneutralität der Fußball-WM eine halbe Million Euro wert. Der Weltverband FIFA beteiligt sich mit 400.000 Euro, die Deutsche Telekom mit zusätzlichen 200.000 Euro - Geld, das beispielsweise in die Kompensationsprojekte in Südafrika und Indien fließt.

Ein weiteres Ziel von Green Goal liegt beim Wasserbedarf. Alle zwölf WM-Stadien benötigen zusammen etwa 42.000 Kubikmeter Trinkwasser. 20 Prozent davon sollen durch die Nutzung von Regen-, Oberflächen- und Brunnenwasser eingespart werden. Auch die anfallenden Abfallmengen beim Catering und Merchandising will man durch den Einsatz verpackungsfreier Systeme und ein ausgeklügeltes Abfallmanagement reduzieren. Notwendig hierfür war es, die WM-Stadien mit einer entsprechenden Infrastruktur auszustatten beziehungsweise nachzurüsten. Die Umweltschutzbemühungen reichen dabei vom verkehrsschonenden "Park & Ride" beim Berliner Olympiastadion über Photovoltaikanlagen, wie sie im Dortmunder WM-Stadion jährlich 550.000 Kilowattstunden "sauberen" Strom produzieren, bis zum ausgeklügelten Regenwasser-Versickerungssystem in München. Dem Nürnberger Frankenstadion ist sogar das strenge EMAS-Siegel (Eco-Management and Audit-Scheme) der Europäischen Union verliehen worden. Es gilt als das umweltfreundlichste aller WM-Stadion.

Nach den Vorstellungen des Öko-Instituts hätte man beim Stadienbau den Umweltschutz allerdings noch etwas stärker akzentuieren können. Weil einige der Bauplanungen und deren Vertragswerke vor Gründung des OK und seiner Zusammenarbeit mit dem Öko-Institut im Jahr 2000 zustande kamen, konnten beispielsweise keine weiteren Photovoltaik-Anlagen auf die Stadiendächer installiert werden. Die privaten Bauträger hätten im Nachhinein keine Gewähr für die Statik und Dichtigkeit übernehmen können. So liefen die Interventionen seitens des Öko-Instituts während der Bauphasen ins Leere. "Zumindest bei den beiden Stadien in Leipzig und Berlin, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden", kritisiert Christian Hochfeld, "hätte der Bund mehr Einfluss auf die Umweltperformance nehmen können. Es ist nämlich nicht teurer, umweltgerecht zu bauen, man muss es nur von vorneherein einplanen."

Nichtsdestoweniger sind die hochgesteckten Umweltziele lobenswert. Ob sie im Einzelnen eingehalten werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht konkret sagen. Frühestens im September liegt eine endgültige Bilanz, der so genannte "Sustainable Legacy Report" vor, worin das nachhaltige Erbe der Fußball-WM 2006 festgehalten sein wird. Schwer einzuschätzen ist zum Beispiel der Stromverbrauch. Zwar sind alle WM-Stadien, die Medienzentren und öffentlichen Fernsehstuben zum Stromsparen angehalten und mit entsprechenden energieeffizienten Geräten ausgestattet. Doch ob der gesamte Stromverbrauch die maximal kalkulierten 13 Gigawattstunden - das entspricht dem Jahresverbrauch von 4.000 Einfamilienhäusern - wesentlich unterschreiten wird, steht noch nicht fest. Wenigstens ist der aus Schweizer Wasserkraftwerken stammende Strom grün.

Noch ein weiteres Umweltziel von Green Goal lässt sich nur schwerlich einkalkulieren: Die WM soll Anlass sein, ein ausgemachtes Interesse an Umwelt- und Naturschutz beim Fußballfan zu wecken. Ob da die geplanten Werbe-Jingles im Stadion-TV ausreichen, wird sich erst zeigen müssen. Als sicher gilt indes, dass es keine zukünftige Fußball-WM ohne grüne Tore mehr geben wird. Und das ist doch auch schon etwas.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.