Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
Annette Rollmann

Editorial

Fußball ist ein Spiel mit 22 Spielern, einem Schiedsrichter und zwei Linienrichtern. So weit, so gut, so unzureichend. Denn das sagt nichts über Erfolg, Geheimnis und Seele des Fußballs aus. Wieso ist er die einzige Leidenschaft, die Männer (und viele Frauen) verbindet, altersunabhängig, schichtenübergreifend, bierkompatibel, stets anfeuernd und buhend, trauernd und jubelnd. Fußball ist der Kick im Kopf, der vom Rasen angestoßen wird. Was also führt dazu, dass sich wildfremde Männer umarmen, dass 80-Kilo-Muskelberge im Fall eines Tores einem anderen in die ausgebreiteten Arme springen, wie sonst nur Kinder ihren Vätern? All das vermag Fußball und all dem gehen wir in dieser Ausgabe nach.

Früher gab es den Kirchgang, die lingua franca, über die sich die Menschen fanden, spirituell bewegt wurden. Heute hat die Religion in der westlichen Welt diese allumfassende Kraft verloren. Aber genau wie in der Religion gehört auch beim Fußball zum Glauben Leiden, wie der Chefredakteur des evangelischen Magazins "chrismon", Arnd Brummer, es beschreibt. Das Tor im Fußball hat eine erlösende Dimension, so wie bei den Katholiken die Wallfahrt oder Buße.

Auch zwischen Politik und Fußball gibt es Parallelen. Der Publizist Hajo Schumacher zeigt in einem Doppelporträt, wie man in der Politik und im Fußball zusammen spielt, wie man führt, wie man siegt. Allerdings löst die Politik meist nicht mehr jene Leidenschaften aus, die die Menschen im Innersten erreichen, aufwühlen, erzürnen. Heute unterhält man sich mit dem politischen Gegner beim "gepflegten" Bier ohne ihn anzugehen - denn eigentlich versteht man ihn. Beim Fußball ist das anders: Da gibt es Fankurven und jeder weiß, man sollte tunlichst in der richtigen stehen.

Warum hat Fußball so viele außerprofessionelle Akteure, Kenner, Fans wie kein anderer Sport, wie kein anderes Kulturphänomen? Eine Antwort ist: Weil die Fußballarena eine perfekte Simulation des Lebens für 90 Minuten ist. Hier kann man echte Gefühle erleben als wären sie real. Und gerade weil die Ereignisse, Ergebnisse und Gefühle keine tatsächlichen Folgen haben, leisten wir sie uns. Friedrich Schiller hat gesagt: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."

Im Fußball geht es aber bei der Weltmeisterschaft noch um viel mehr. Es geht um Geld. Fußball hat sich zu einem Milliardengeschäft entwi-ckelt. Die Zauberworte heißen Marktanteile und Marketingrechte, Verwertungsrechte und Gehälter. Den Kampf und Zwist beschreibt Rainer Franzke vom Sportmagazin "Kicker". Die Medien mischen dabei ganz vorne - und doch hinter den Kulissen - mit. Der Zuschauer erfährt davon meist wenig. Er wird neben den Spielen vor allem die Fernsehmoderatoren vor den Augen und im Ohr haben, denen Holger Gertz von der "Süddeutschen Zeitung" die Sätze auseinander genommen hat.

Auch Deutschlands Wirtschaft präsentiert sich natürlich nicht nur aus reiner Spielfreude zur WM. Das zeigt Cordula Tutt von der "Financial Times Deutschland". Die Erwartungen sind groß. Viele Branchen versprechen sich einen Mitnahmeeffekt, schneidern spezielle Angebote. Der Tourismus - drei Millionen Besucher werden erwartet - hofft auf sehr gute Ergebnisse. Angesichts wirtschaftlich schlechter Zeiten, gerade in Ostdeutschland, ist die WM für viele Menschen ein Hoffnungsschimmer. Und die Hoffnung verändert auch die Stimmung.

Deutschland hat emotional, wirtschaftlich und sportlich endlich mal wieder ein gemeinsames Programm, ein Ziel: die Fußball-WM. Es sollen spannende Spiele mit hohem Tempo, Drop-Kicks, Fallrückziehern und Glanzparaden werden. Und am Ende sollen Tore stehen, die die Welt nicht vergisst. Möge die beste Mannschaft siegen. Wir freuen uns, ach Unsinn, wir jubeln, schreien, hüpfen, wenn es unsere Jungs sind, die gewinnen.

Annette Rollmann ist Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.