Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 20 / 15.05.2006
Sabine Quenot

Fossile Zeitzeugen an der Wand

Botschaften in Berlin (XII): Kanada
Die Beziehungen zu Deutschland liegen Kanada am Herzen. Diese Botschaft ist der diplomatischen Vertretung am Leipziger Platz anzusehen. Da es früher keine kanadische Botschaft in Berlin gab, konnte sich der Staat bei seiner Wahl alle Freiheit nehmen und wählte die Mitte. Der Bau entstand als Public Private Partnership, aber nicht nur mit dieser Besonderheit der Finanzierung präsentiert sich Kanada modern und offen.

Kaum hat der Besucher die Botschaft betreten, erscheint ihm Kanada als ein schönes Land. Im Foyer empfängt ihn die kanadische Natur bereits auf verschiedene Arten, etwa als künstlerisch im schwarzen Granit des Bodens eingelegter Wasserlauf aus schimmernden Quarzit- und Granitstücken. Längen- und Breitengrade aus Zinkstreifen im ganzen Boden erinnern an Landkarten. Dahinter plätschert ein echter Wasserfall im kleinen Garten. Geht es die Treppe hoch, begegnet man sogar Wolken. Im verglasten Treppenhaus sind Wettermuster von Kanada verewigt. Wolken über Nordamerika, vom Satelliten festgehalten, von der Künstlerin mit Sandstrahl gelasert.

Die Landschaft Kanadas ist Thema dieser Kunstwerke, die fest in das Gebäude integriert und mit Materialen aus Kanada gearbeitet sind. Kunst im Bau, die auf die reiche Natur verweisen. Sogar ein Großteil der Baustoffe des Hauses stammen vor allem aus Kanada, der Marmor im Fahrstuhl, der grau marmorierte Kalkstein aus Manitoba, mit dem alle Außenwände verkleidet sind und der fossile Schnecken und andere Urzeitzeugen aus den Erdtiefen Kanadas an das Berliner Licht bringt. Wohlriechende Hölzer von Ahorn und Douglasie etwa, in großen Räumen auf Wänden und Böden verlegt, verströmen den Duft Kanadas.

Die Timber Hall als Herzstück, und wie es der kanadische verantwortliche Architekt Bruce Kuwabara sagt: das spirituelle Zentrum, ist der beeindruckendste Raum. Ein Zylinder, der sich über seine 15 Meter Höhe verjüngt, mit 900 Paneelen aus geölter Douglasie ausgekleidet. Der Boden ist mit Intarsien verschiedener Hölzer künstlerisch gestaltet. "North" zeigt die astronomische Darstellung des Großen und Kleinen Wagens. Die Prismen in der runden Glasdecke lassen das Licht farbig und je nach Sonnenstand anders in den Raum strahlen und verstärken die besondere Atmosphäre, den dieser Raum hat. Im diplomatischen Alltag dient er als Konferenzraum.

Trotz des runden Zentrums ist die Botschaft ein Haus mit Kanten und vor allem mit Ecken: Es hat einen ungewöhnlichen fünfeckigen Grundriss, damit es in die Lücke am Leipziger Platz passt, der seine oktagonale Form der Vorkriegszeit wieder erlangt hat. Hier verlief 30 Jahre lang der Todesstreifen, doch das Achteck wird wieder zu einem großstädtischen, belebten Ort.

Das Gebäude ist eine der ersten Adressen der Stadt, für Botschafter Paul Dubois, der vom sechsten Stock direkt zum Reichstag blickt, ist es das beste Grundstück, das er sich wünschen konnte. Das Diplomatenviertel liegt nicht weit, das Parlamentsviertel in Sichtweite und der Potsdamer Platz als neues kommerzielles Zentrum gleich nebenan. Er ist stolz auf das freundliche und einladende Gebäude, und sagt: "Wir möchten, dass Köpfe und Konzepte aufeinander treffen." Von den rund 100 Mitarbeitern sind 30 Diplomanten und 70 Ortskräfte, die bewusst hier gesucht wurden.

Deutschland liegt vielen Kanadiern auch gar nicht so fern. Von den 32 Millionen Einwohnern Kanadas haben knapp zehn Prozent deutsche Wurzeln. Und noch immer ist Kanada ein Einwanderungsland mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, in dem sich auch Einwanderer zum höchsten Repräsentanten des Landes hocharbeiten können. Michaëlle Jean aus Haiti wurde 2005 Generalgouverneurin und Stellvertreterin von Königin Elizabeth II., die offizielles Staatsoberhaupt Kanadas ist.

Auch die Berliner Vertretung schottet sich nicht ab, lädt zum Durchqueren und Verweilen ein. Die Nord-West-Passage im Bau führt vom Leipziger Platz in die Ebertstraße durch den Innenhof, hier treffen diplomatische Mitarbeiter auf Passanten, hier laden Geschäfte und ein Restaurant ein, und Flaneure wärmen sich beim Anblick eines weiteren Kunstwerkes. Eine 14 Meter lange Außenjalousie, bedruckt mit einem herbstlichen Blätterwald, ist ein schöner Kontrast zur kühlen Glas- und Steinarchitektur. Von der Passage aus gelangt man auch zum Marshall McLuhan Salon, dem multimedialen Informationszentrum, das ganztätig für die Entdeckung von Kanada geöffnet ist.

Noch ist die Botschaft Mieter im eigenen Haus. Denn der Neubau ist als Public Private Partnership entstanden, bei dem öffentliche Hand und Privatwirtschaft gemeinsam zu beiderseitigem Vorteil handeln. Das Grundstück gehört dem Staat Kanada, doch Bauherr des Gebäudes ist ein privater Investor. Die Hälfte des Ensembles hat die Botschaft angemietet, die restlichen 7.000 Quadratmeter sind Wohnungen, Geschäfte und Büros, die der Investor für 35 Jahre frei bewirtschaften kann. Danach erhält Kanada das gesamte Gebäude zurück.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.