Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 20 / 15.05.2006
Volker Müller

Was die Bürokratie den Bürger kostet

Koalition will Gesetze von einem unabhängigen Gremium prüfen lassen

Die Koalition will jetzt Ernst machen mit dem Bürokratieabbau. Der Bundestag hat am 11. Mai in erster Lesung einen Gesetzentwurf von Union und SPD beraten, der die Einrichtung eines Nationalen Normenkontrollrates vorsieht. Das klingt zwar nach Bürokratieaufbau, soll aber das Gegenteil bezwecken. Es handelt sich dabei um ein Gremium von unabhängigen Fachleuten, das die Kosten jedes Gesetzes, jeder Rechtsverordnung und jeder Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung überprüft. Der Kontrollrat soll nach den Worten des Unionsabgeordneten Norbert Röttgen kein "politischer Zensor" sein. Er soll die Bürokratiekosten nicht selbst messen, sondern dies den Ministerien überlassen. Seine Rolle ist die eines "Methodenwächters", so die Koalition.

Röttgen verwies im Bundestag auf das Vorbild der Niederländer, Briten und Dänen, die das System der "standardisierten Kostenmessung" bereits eingeführt haben. So hätten die Niederländer herausgefunden, dass staatlich verordnete Bürokratie 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt. Zugleich hätten sie sich vorgenommen, ihre Bürokratiekosten in vier Jahren um ein Viertel zu senken. Würde man dieses Ziel auf Deutschland übertragen, hätte man es mit einem Einsparvolumen von 20 Milliarden Euro zu tun, so Röttgen. Kein anderes Gesetz könne für die Unternehmen eine so enorme Kostenentlastung bewirken.

Röttgens Kollege Rainer Wend (SPD) machte die erhofften Wirkungen des Gesetzes an einem Beispiel deutlich: Wenn ein Bauunternehmen sich jeden Monat vier Stunden mit vorgeschriebenen Dokumentations- und Berichtspflichten beschäftigen muss und die Kosten mit einem Stundensatz von 30 Euro beziffert werden, so macht dies 1.440 Euro im Jahr aus. Bei rund 300.000 Bauunternehmen in Deutschland würden sich diese Bürokratiekosten auf 432 Millionen Euro summieren. Wenn sich der Gesetzgeber angesichts dieser Summe darauf einigt, solche bürokratischen Pflichten nur noch einmal jährlich einzufordern, würde dies die Baubranche deutlich entlasten.

Für die Grünen hat Matthias Berninger Zustimmung in Aussicht gestellt, wenn nicht nur Gesetzentwürfe der Regierung, sondern auch des Parlaments auf den Prüfstand kommen und wenn neben Gesetzen auch andere bürokratische Belastungen gemessen werden. Auch Martin Zeil (FDP) will die Kontrollaufgabe über Regierungsinitiativen hinaus erweitern. Wichtig ist für ihn, wer dem Normenkontrollrat angehören wird: "Es dürfen keine Frösche zur Trockenlegung der Sümpfe eingesetzt werden." Sabine Zimmermann (Die Linke) plädierte dafür, beim Bürokratieabbau mit dem "Monster Hartz IV" zu beginnen und keine sozialen und ökologischen Standards abzubauen.

Die Mitglieder des beim Bundeskanzleramts angesiedelten Kontrollrats sollen ehrenamtlich tätig sein und ähnlich berufen werden wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Sie sollen aber ein Sekretariat mit hauptamtlichen Mitarbeitern erhalten.

Der Bundestag hat darüber hinaus eine weitere Gesetzesinitiative der Koalition zum Abbau bürokratischer Hemmnisse vor allem im Mittelstand an die Ausschüsse überwiesen. So soll künftig in Unternehmen erst dann ein Datenschutzbeauftragter bestellt werden müssen, wenn sich ständig mehr als neun Personen mit der Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen. Derzeit liegt die Schwelle bei vier Arbeitnehmern. Die steuerliche Buchführungspflichtgrenze soll von 350.000 Euro Jahresumsatz auf 500.000 Euro angehoben werden, um Existenzgründer zu entlasten. Die Statistik über Gewerbeummeldungen soll ganz wegfallen. Schließlich will die Koalition die Genehmigung für den gewerblichen "Gelegenheitsverkehr mit Kraftfahrzeugen" (betroffen sind der Taxiverkehr, Ausflugsfahrten und Ferienzielreisen sowie der Verkehr mit Mietomnibussen und Mietwagen) von vier auf fünf Jahre verlängern.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.