Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 27 / 03.07.2006
Gerd Renken

Brückenbauer zwischen den Kulturen

Eine Biografie über Léopold Sédar Senghor

Die Regel ist es nicht, dass afrikanische Staatsmänner ihr Amt freiwillig einem Nachfolger übergeben. Léopold Sédar Senghor ist schon deshalb eine Ausnahmeerscheinung auf einem Kontinent, dessen Potentaten in der Nachfolge der Kolonialherrscher zumeist eine Blutspur hinterlassen haben. Wenn schon nicht dies, dann waren sie bestenfalls "Weiße in schwarzer Haut" - so der Volksmund über den langjährigen Statthalter von Frankreichs Gnaden in der Elfenbeinküste, Félix Houphouet-Boigny.

János Riesz würdigt in seinem Buch einen ganz und gar ungewöhnlichen Mann, der einen solchen Vorwurf nie verdient hat, aber als Präsident des Senegal von seinen Gegnern das Etikett "Onkel Tom" erhielt. Die Momente und Phasen des "Aufbruchs" im Leben und im schriftstellerischen Werk dieses Politikers, Dichterphilosophen und Verkünders der "Négritude" verbindet der Autor mit dem Blick in die Epoche des afrikanischen Aufbruchs im 20.Jahrhundert.

Wie kein anderer hat Senghor Argumente dafür geliefert, dass dieser Aufbruch gelingen könnte. Er selbst schien das lebende Argument zu sein: Seine Sprache wurde weltweit verstanden, es war die Sprache eines universalen Humanismus, entstanden in einem Herzen, in dem es nicht finster war. Schon während des Studiums an der Sorbonne verstand Senghor sein "Schwarzsein" als positiv, als anders: Er wollte keine weiße Haut, sondern die von den Europäern beklagte Kulturlosigkeit der Schwarzen als Vorurteil entlarven.

Den Unterschied beschrieb er in einem Vortrag: "Der Weiße hält den Gegenstand auf Distanz. Er betrachtet ihn, analysiert ihn, tötet oder zumindest zähmt ihn, um ihn zu gebrauchen. Der Negro-Afrikaner berührt den Gegenstand, noch bevor er ihn wahrnimmt, er schließt sich seinen Wellen und Konturen an, um dann, quasi in einem Liebesakt, sich ihm anzugleichen, um ihn in seiner ganzen Tiefe kennen zu lernen. Dort, wo sich die diskursive Vernunft, die Augenvernunft des Weißen, mit der Erscheinungsoberfläche der Dinge zufrieden gibt, dringt die intuitive, umklammernde Vernunft des Afrikaners über das bloß Sichtbare hinaus in die tiefer liegende Realitätsschicht vor, um deren Sinn zu erfassen."

Wer auf dem Schwarzen Kontinent bereits vor nahezu 150 Jahren Erfahrungen gemacht hatte, wie etwa der deutsche Ethnologe Leo Frobenius, Verfasser der "Kulturgeschichte Afrikas", konnte als Pate solcher Urteile herhalten. Er half Senghor in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts dabei, seine Theorien zu ordnen und "wasserdicht" zu machen. Dabei war der spätere Staatsmann keineswegs "farbenblind". Die große Schwäche Afrikas, schrieb er, bestehe darin, die Intuition höher zu bewerten als die diskursive Rationalität, die Absicht mehr als die Tat, die Gegenwart und die Vergangenheit mehr als die Zukunft. Afrika sei mehr Emotion, mehr "Elan d'amour" als überlegter Wille. Von daher rührten Afrikas artistische Errungenschaften, seine außerordentliche Fähigkeit zur Assimilation, zugleich aber auch sein Widerstand gegen den Fortschritt, sein Verharren in einer zeitlosen Welt.

Auch auf dem europäischen Teil seines Weges ist Senghor mit Ämtern und Ehrungen überhäuft worden. Er wird Gymnasiallehrer in Paris, rückt 1934 in die französische Nationalversammlung ein, gerät 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft, vertritt nach dem Krieg den Senegal in der verfassungsgebenden Versammlung.

In diesen Jahren hat er bereits seiner schriftstellerischen Begabung freien Lauf gelassen, seine Gedichte und Essays finden weltweit eine große Leserschaft. Das zentrale Anliegen seiner Schriften ist die Verschmelzung europäischer und afrikanischer Kultur. 1984 wird Senghor in die Versammlung der Unsterblichen, in die Académie française aufgenommen - da liegt schon ein langes Leben als Politiker hinter ihm, aber fast zwei Jahrzehnte als Schriftsteller bleiben ihm noch.

1951 beginnt im Senegal, einem der kleineren Staaten an der Westküste Afrikas, die Ära Senghor. Er wird zum politischen Wortführer der Region und 1960 Staatspräsident des Landes. Senghor bleibt der Brü-ckenbauer zwischen den Kulturen und bricht nicht radikal mit den kolonialen Mächten. Er ist nicht korrupt wie viele andere, sondern versucht, seinem Land unter Berücksichtigung der strategischen Bedürfnisse Frankreichs eine auf afrikanische Traditionen gründende Zukunft mit sozialistischen Akzenten zu geben. Auch wenn auf wirtschaftlichem Gebiet seine Erfolge eher bescheiden sind: Für seine Landsleute ist Senghor jener Staatsgründer, der auf einem von Unruhen zerrissenen Kontinent im Senegal den Frieden bewahrte und Nationalgefühl wie demokratische Tugenden weckte und stabilisierte, so dass sie sich behaupten konnten.

Härte und Nachgiebigkeit

Senghor hat etwas Einzigartiges versucht: Er beschwor und führte den Kulturkampf - nicht gleichzusetzen mit dem viel zitierten und missverständlichen Begriff Huntingtons vom Kampf der Kulturen - auf seine Weise. Er wusste, dass man dieser Welt nicht entkommen kann, schon gar nicht der eigenen Geschichte. Sein Biograf János Riesz hat gerade deshalb an einer Stelle angesetzt, die auch Senghors "Zerrissenheit" einzuordnen versucht. Dieser Staatsmann - nach dem Urteil der Zeitung "La Libération" ein "gefürchteter politischer Stratege", der "je nach Bedarf mit Härte oder Nachgiebigkeit zu regieren" verstand - war auch gefangen in historischen Konstellationen, die in Verbindung stehen mit den - so Riesz - "darin liegenden historischen Herausforderungen und den Versuchen, daraus die Lehren für die eigene Person, das eigene Land, den afrikanischen Kontinent und die Gemeinschaft aller Schwarzen und Kolonisierten zu ziehen und in politisches Handeln umzusetzen".

Aus diesem Blickwinkel heraus kann man nur als "Missverständnis" einordnen, was 1968 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Senghor vor der Paulskirche als Flugblatt des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" verteilt wurde. Da wurde er ein "sensibler Poet" genannt, dessen "lyrisierendes Geschwätz die weißen Werte der Faschisten als schwarze Kultur der Neger verkauft". Unter einem guten Afrikaner konnte man sich wohl nur, so damals die "Süddeutsche Zeitung", den Chef einer Guerilla-Truppe vorstellen.

 

János Riesz: Léopold Sédar Senghor und der afrikanische Aufbruch im 20. Jahrhundert. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2006; 348 S., 24,90 Euro.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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