Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 27 / 03.07.2006
Tom Rolff

Deutscher Alleingang unerwünscht

Streit um Regulierung der Telekommunikationsmärkte

Vom deutschen "Sonderweg" spricht EU-Kommissarin Vivian Reding mit Bedacht. Der historisch belastete Begriff soll klar machen, dass die Deutschen in Europa isoliert sind, jedenfalls wenn es darum geht, die "Vorgärten" der Deutschen Telekom zu schützen. Gemeint ist damit, dass man in Berlin offenbar darüber nachdenkt, den Managern des ehemaligen, staatlichen Monopolisten die alleinige Regie über neue Datenleitungen zu überlassen, die sie in deutschen Großstädten verlegen wollen.

Bislang legt die Regulierungsbehörde in Bonn fest, zu welchen Bedingungen die Telekom ihren Wettbewerbern Leitungen überlassen muss. Das soll nach Ansicht der EU-Kommission auch so bleiben. In der vergangenen Woche hat Vivian Reding eine ernüchternde Bilanz der Liberalisierung in der Telekommunikation gezogen. Fast ein Jahrzehnt nachdem die Monopole beseitigt wurden, ist echter Wettbewerb noch immer eher die Ausnahme als die Regel. Nur bei Telefongesprächen im Festnetz können die Verbraucher zwischen vielen Anbietern wählen. Dort seien die Preise auch entsprechend gefallen, sagt die Kommissarin - um zwei Drittel bis drei Viertel seit dem Jahr 2000. Die Regulierer sollen das Telefonieren im Festnetz deswegen in Zukunft dem Wettbewerb überlassen. Ob auf die Genehmigung von Preisen auch in anderen Teilen der Branche verzichtet werden kann, soll eine Befragung der Mitgliedstaaten und der betroffenen Verbände ergeben, die die Kommission in den nächsten Monaten durchführen wird.

Auf den meisten Telekommunikationsmärkten sei die Regulierung auch in Zukunft unverzichtbar, sagt Vivian Reding. "Allerdings brauchen wir jetzt den Mut, die Liberalisierung zu vervollständigen". Die europäischen Vorschriften müssten deswegen strenger und gleichmäßiger angewandt werden.

Bisher müssen sich die nationalen Regulierungsbehörden von Brüssel nur vorschreiben lassen, welche Märkte und welche Unternehmen sie regulieren. In Zukunft will die Kommission auch die ergriffenen Maßnahmen genehmigen. Man könne dafür auch eine unabhängige, europäische Regulierungsbehörde nach dem Vorbild der Europäischen Zentralbank einrichten, sagt die Kommissarin. Wer Auflagen der Regulierungsbehörden ignoriere, müsse mit höheren Bußgeldern rechnen als in der Vergangenheit. Die Kommissarin hat klar gemacht, dass sie die von der Deutschen Telekom verlangten "Regulierungsferien" für schnelle Datenleitungen unter keinen Umständen akzeptieren will. Statt dessen droht sie mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, sollte der Bundestag das deutsche Telekommunikationsgesetz im Sinne der Telekom novellieren.

Ein deutscher "Sonderweg" wäre das insofern nicht, als auch die anderen ehemaligen Monopolisten die lästige Regulierung gerne abschütteln würden. "Wir brauchen einen Fahrplan, nach dem die Regulierung beendet wird", sagt der Cheflobbyist der Ex-Monopolisten in Brüssel, Micheal Bartholomew. Tatsächlich sei die europäische Regulierungspolitik ein Hindernis für den Wettbewerb. Die Kommissarin lässt sich davon nicht beeindrucken. Wenn es den Regulierungsbehörden nicht gelinge, für Wettbewerb zu sorgen, müsse über weitergehende Maßnahmen nachgedacht werden. Eine vollständige Trennung der Leitungsnetze von den Dienstleistungen, die damit erbracht werden, dürfe kein Tabu sein. In Brüssel verweist man auf das britische Beispiel, wo die Leitungen der British Telecom zwar noch gehören, aber von einer völlig unabhängigen Gesellschaft vermarktet werden. Dadurch könnten andere Anbieter das Leitungsnetz zu den gleichen Bedingungen nutzen wie British Telecom selbst. Die Konkurrenten des britischen Ex-Monopolisten haben mit mehr als 17 Prozent einen doppelt so hohen Marktanteil wie im EU-Durchschnitt. Neue Wege will Vivian Reding auch beim Umgang mit Funkfrequenzen gehen, die in der Telekommunikation eine immer größere Rolle spielen. Rund 200 Milliarden Euro Umsatz werden schon heute mit drahtlosen Diensten erwirtschaftet, Tendenz: steigend. Ein Teil der nötigen Frequenzen soll in Zukunft von einer europäischen Regulierungsbehörde zugeteilt und nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen genutzt werden. "Für Europa ist es ein Wettbewerbsnachteil, dass wir - anders als die USA - kein einheitliches System der Frequenzverwaltung haben, sondern 25", sagt die Kommissarin. Sie weiß, dass die Mitgliedstaaten ähnliche Vorstöße aus Brüssel in der Vergangenheit zurück-gewiesen haben. Frequenzen, die die Mitgliedstaaten für ihre Polizei, für die Feuerwehr oder das Militär brauchen, sollen deswegen weiter national verwaltet werden.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.