Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 27 / 03.07.2006
Bernard Bode

Föderalismus in neuem Gewand

Bundestag beschließt weitreichende Verfassungsreform
Die größte Reform des Grundgesetzes seit seiner Verkündung 1949 ist am 30. Juni vom Bundestag beschlossen worden. Für den Entwurf der Föderalismusreform stimmten 428 Abgeordnete und damit 18 mehr als für eine Grundgesetzänderung notwendig gewesen wären. 162 votierten dagen, drei enthielten sich. Die Koalitionsfraktionen hatten zuvor deutlich gemacht, dass sie mehrheitlich für eine Verfassungsänderung stimmen würden. Die Opposition hatte sich mehrheitlich dagegen entschieden. Der Bundesrat entscheidet am 7. Juli über die Reform.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, dies sei der Abschluss einer herausragenden Gesetzgebung und "seit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 ein Gesetzgebungswerk, das sowohl von der Anzahl wie von der Bedeutung der damit verbundenen Änderungen her die größte Ergänzung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland" darstelle.

Dies sei "ein guter Tag für Deutschland", meinte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Weichen seien richtig gestellt worden. Unverkennbar sei im Bund-Länder-Verhältnis eine Schieflage entstanden, wer wofür zuständig ist. Diese werde nun korrigiert. Das staatliche Handeln werde damit durchschaubarer gemacht. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie freue sich über die Veränderungen beim Hochschulsystem, die in letzter Minute gelungen seien. Auch der Umweltbereich zähle zu den Gewinnern der Reform. Jetzt werde Umweltgesetzgebung "aus einem Guss" möglich.

Wolfgang Bosbach hatte zuvor die Opposition dafür kritisiert, dass sie versucht hatten, die Grundgesetzänderungen wieder von der Tagesordnung zu nehmen. "Wir haben einen Marathonlauf hinter uns und keiner würde verstehen, wenn wir jetzt fünf Meter vor dem Ziel kollabieren", so der Fraktions-Vize der Union. Bosbach erklärte, dies sei die "größte Staatsreform in der Geschichte Deutschlands".

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck äußerte, der Bundestag schreibe die gute Tradition des Föderalismus fort. Ohne die beabsichtigte Reform wären Bund und Länder in "akute Handlungsunfähigkeit" geraten. Zur Kritik, der Bund gebe zu viele Kompetenzen an die Länder, sagte der Fraktionschef, Landtagsabgeordnete seien "nicht dümmer" als Mitglieder des Bundestages.

Zweifellos seien Verbesserungen im Hochschulbereich erreicht worden, so Struck. Dem Bund müsse es möglich bleiben, die Länder auch bei der Forschung und bei der Lehre zu unterstützen. Im Umweltbereich sei zwar nicht das "Ziel aller Wünsche" erreicht worden, gestand der Fraktionsvorsitzende, aber ein ausgewogener Kompromiss.

Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, und der Abgeordnete Ernst Burgbacher (FDP) kritisierten, dass die Reform der Finanzbeziehungen nicht Teil der Verfassungsreform sei. Das ganze Thema sei "auf die lange Bank" geschoben worden, kritisierte Westerwelle. Man habe bis heute keine verbindliche Arbeitsgrundlage. Burgbacher merkte an, ohne die Reform der Finanzbeziehungen bleibe von der Reform nur ein "Torso" übrig. Die Koalition sei ein Versprechen schuldig geblieben.

Bundeskanzlerin Merkel erklärte dazu, es sei "bedenklich", dass die FDP so tue, als wäre sie nicht beteiligt worden. Es sei völlig klar, dass nach der Verabschiedung der ersten Stufe der Reform die zweite, nämlich die Reform der Finanzbeziehungen, folge.

Niemand bezweifele, dass das Verhältnis der Länder zum Bund enflochten werden müsse, so Bodo Ramelow (Die Linke). Aber es sei ein "fauler Kompromiss" aus den Parteizentralen gezimmert worden - zuguns-ten der reichen Länder. Die von der SPD reklamierten Verbesserungen bei der Bildung entpuppten sich nach wie vor als "Weg in die Kleinstaaterei". Ein einziges Bundesland könne eine gefundene Lösung schon verhindern. Das Ganze sei keineswegs die "Mutter aller Reformen", sondern ein "Zombie aus Schwiegermutter und Stiefmutter".

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Renate Künast, bemühte ebenfalls ein sprachliches Bild: Diese Vorlage sei ein "Scheinriese". In ihr steckten eine Menge sachfremder Deals, die das Land nicht weiterbrächten. Das Ergebnis der Stoiber-Müntefering-Kommission sei schon schlecht gewesen, das heute präsentierte Papier aber noch schlechter.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.