Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Sylvia Bräsel

Ansichten eines geteilten Landes

Zwei Publikationen über Korea im globalen Zeitalter
Als im Dezember 2005 in der Kim Dae Jung-Bibliothek an der renommierten Yonsei Universität in Seoul eine erste internationale Konferenz mit dem Ziel stattfand, die Forschung über die Politik Koreas im In- und Ausland zu fördern, vertrat Gottfried-Karl Kindermann die deutsche Seite. Kindermann, der seit Mitte der 70er-Jahre wiederholt in seiner Funktion als Ordinarius für Internationale Politik an der Universität München in Korea weilte, hat sich in mehr als 50 Jahren ein breitgefächertes Kontaktgefüge zu Politikern, Diplomaten und Wissenschaftlern in Ostasien und in den USA aufgebaut. So verwundert es nicht, dass er sein Buch "Der Aufstieg Koreas in der Weltpolitik" den Kollegen und Freunden in Korea widmet.

Kindermann, geboren 1926, studierte in Wien, Stanford und Chicago und erlebte den Ausbruch des Koreakriegs als Volontär beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York. Das sollte ihm Türen öffnen. Nicht nur dass er Staatsmännern wie Chiang Kai Shek, Pandit Nehru, Achmed Sukarno, Richard Nixon, Henry Kissinger oder Yasuhiro Nakasone begegnete, er wusste diese Verbindungen auch für seine Arbeit produktiv zu machen. Diese Spezifik durchzieht wie ein roter Faden das Buch und wird vom Autor bewusst eingesetzt. So setzt sein "Aufstieg Koreas in der Weltpolitik" mit einem Vorwort des ehemaligen Dissidenten, koreanischen Präsidenten (1998-2003) und Friedensnobelpreisträger Kim Dae Jung ein, der als Freund des Autors eingeführt wird.

Das Standartwerk Kindermanns, einer stark erweiterte Fassung der Ausgabe von 1994, ist als Überblicksdarstellung mit Schwerpunkt Geschichte nach 1945 konzipiert und wendet sich insbesondere an Lehrende und Lernende im wissenschaftlichen Bereich.

Die frühen Reiche von Silla bis Choson im Spannungsfeld der Mächte und die kolonialen Bestrebungen, die 1910 Korea endgültig zur japanischen Kolonie machten, werden auf etwa 50 Seiten nur skizziert. Mehr als 300 Seiten widmet Kindermann der Entwicklung Koreas nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei werden insbesondere die politischen Umbrüche beziehungsweise der südkoreanische Weg zu einem demokratischen Staatswesen mit Liebe zum Detail und wiederholten Verweisen auf die jüngste deutsche Geschichte ausgeführt. Hier bietet das Buch aus der genauen Kenntnis politischer Vorgänge heraus ein beachtliche Menge an Fakten und Details, die wiederum interessante Einblicke in weltpolitische Mechanismen vermitteln. Das ist eine Stärke dieser Publikation.

Die Wende der amerikanischen Chinapolitik, die wirtschaftliche Öffnung, die Annäherung an Japan schon in der Ära von Präsident Park Chung Hee, die "Neue Nordpolitik" und die Beziehungen zu Moskau und Peking, die Mitgliedschaft in der UNO wie auch das Grundsatzabkommen zwischen Süd- und Nordkorea 1991/92 werden in diesem Kontext thematisiert. Hier belegt Kindermann, dass es um einen multilateralen Dialogprozess geht, den es stetig auszubauen gilt. Jedoch stört ein aus Zeiten der Konfrontation weitergeführter tendenziöser Sprachgebrauch - zum Beispiel "berühmt-berüchtiger Platz des Himmlischen Friedens" oder "nationalchinesische Regierung" - ab und an die Sachlichkeit einer auf Wissenschaftlichkeit abzielenden Darlegung.

Auch zum Korekrieg (1950-1953) findet man in der Publikation von Kindermann eine Fülle von Fakten und Details. Der Autor setzt sich überdies vehement mit Fehleinschätzungen aller Konfliktparteien auseinander. Jedoch verliert sich im Eifer der Darlegungen manchmal die geschätzte Weisheit des Historikers. So werden zum Beispiel nachträglich aus der historischen Sicht den Konfliktparteien Fehler vorgehalten, als seien sie jetzt noch korrigierbar.

Da es Kindermann - nicht nur in diesem Kontext - um die Darstellung Koreas "im Brennpunkt der Weltpolitik" geht, wäre eine Aufarbeitung von Quellen und wissenschaftlichen Wortmeldungen aller beteiligter Großmächte von Gewinn gewesen. Leider blendet das Buch wichtige russische Publikationen mehr oder minder aus. Dabei bieten gerade Arbeiten von Wissenschaftlern wie Andrei N. Lankov interessanten Stoff zur Diskussion einiger durch den Kalten Krieg eingespielten Positionen.

Das betrifft in bestimmter Weise zugleich die Ausführungen zur Nordkorea-Problematik, die Kindermann in drei Kapiteln ("Führersystem und Ideologie Nordkoreas", "Neue Konfrontation und das Streben nach Krisenbewältigung: Nordkoreas vermutete Nuklearrüstung", "Kim Jong Il und der Konflikt um Nordkoreas Nuklearpolitik") abhandelt. In den Repliken zu Nordkorea unter Kim Il Sung werden jedoch zum Teil noch Fragen gestellt, die elf Jahre nach der Ersterscheinung des Buches nicht mehr aktuell sein können. Eine inhaltliche Überarbeitung anlässlich der erweiterten Neuauflage wäre hier notwendig gewesen. Diese inhaltlichen Brüche zeigen sich auch formal im Gebrauch verschiedener Umschriften für Namen (Kim Dschong Il und auch Kim Jong-Il) und für Begriffe. Überhaupt wird mit koreanischer Umschrift recht uneinheitlich verfahren.

Die dem Band angefügte umfangreiche Auswahlbibliografie, die schon Quellen aus den 40er-Jahren aufführt, ist besonders für den wissenschaftlichen Gebrauch von Relevanz. Deshalb sollten diese Angaben verlässlich sein. So verwundert es doch ein wenig, dass Periodika wie "China Aktuell", "Far Eastern Economic Review" oder "Asian Survey" mit nicht zutreffenden Erscheinungsdaten bibliografiert werden.

Kim Il Sungs Juche-Doktrin

Es sei darauf hingewiesen, dass gerade in den letzten Jahren jüngere Wissenschaftler wie zum Beispiel Charles K. Armstrong und Rüdiger Frank, die über entsprechende Kenntnisse der koreanischen Geschichte, Ökonomie, Mentalität und Sprache verfügen, Publikationen vorgelegt haben, die relevante Fragen aus der Sicht der veränderten Weltsituation nach 1990 ansprechen. Das betrifft auch die von Kindermann angerissene Problematik der Bedeutung konfuzianistischer Normen für die Gestaltung moderner ostasiatischer Politik. Berechtigt zitiert Kindermann Park Chung Hee, der die These vertrat, Korea bedürfe einer "koreanischen Demokratie". Leider wird diese interessante Aussage nur in Ansätzen für die südkoreanische Politik problematisiert, während die Verbindung von feudalen konfuzianistischen Strukturen und "religiösem" Sektentum in Kim Il Sungs Juche-Doktrin nicht aufgegriffen wird. Der undifferenzierte Gebrauch des Wortes "kommunistisch" verdeckt die Spezifik des Regimes in Nordkorea, das eben aus Quellen schöpft, die nicht mit einer einfachen ideologischen Klammer zu erfassen sind. Diesen Gedankengang provoziert übrigens nicht nur der rasche Zusammenbruch sozialistischer Staaten und Ideologien in der DDR und den osteuropäischen Ländern 1989/90. Koreanische Literatur von Lee Hochol oder Choi In-Hun machen das auf andere Art transparent.

Überhaupt bieten die Neuerscheinungen des Koreajahres 2005 sehr vielschichtige Zugänge zur Auslotung der neuen Anforderungen und Möglichkeiten in den Beziehung zwischen Ost und West in einer sich verändernden Welt. Der Sammelband "Deutschland, Korea - geteilt, vereint", ist ein Beispiel dafür. Die vom Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk in seiner Funktion als Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft initiierte und mit viel Engagement herausgegebene und fundiert eingeleitete Publikation bietet ein Spektrum an Aufsätzen, das verschiedene Adressatenkreise anzusprechen vermag.

Die Beiträge reichen von Grußworten von Bundespräsident Horst Köhler und des Präsidenten der Republik Korea, Roh Moo-Hyun, über Wortmeldungen aus Politik und Diplomatie bis hin zu Einzelfragen aus Wirtschaft, Kultur, Religion, Geschichte und Politik. Dabei werden die Erfahrungen einer mehr als 120-jährigen Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und Korea zur Klammer und zum Ausgangspunkt der einzelnen Beiträge, die ein komplexes Bild der deutsch-koreanischen Beziehungen zeichnen.

Berechtigt verweist Bundespräsident Köhler in seinem Grußwort auf die Möglichkeiten der Globalisierungsprozesse, in die sich Gegenwart und Zukunft der deutsch-koreanischen Beziehungen einbinden. Der Titel "Deutschland, Korea - geteilt, vereint" steht dafür auch als Programm und zeigt die Gemeinsamkeiten wie die Spezifik der Wege beider Völker auf. Korea wurde im 20. Jahrhundert Spielball kolonialer Interessen und nach dem Zweiten Weltkriegs - im Gegensatz zu Deutschland - schuldlos geteilt. Die Erfahrungen von Teilung und Wiedervereinigung werden so aus verschiedener Sicht immer wieder angesprochen. Die zahlreichen Aufsätze von Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Kirche spiegeln die Bandbreite der Themen und verdeutlichen zugleich produktive Möglichkeiten für den Ausbau der Zusammenarbeit. So stehen die wissenschaftlich-technischen Kooperation mit Südkorea neben Ausführungen zum verdienstvollen Wirken der Benediktiner in Nordkorea. Koreanische Migration in Deutschland wird ebenso diskutiert wie kulturelle Tradition und Zusammenarbeit oder Wirtschaftsreformen und Chancen für die deutsche Wirtschaft in Nordkorea.

Der von Koschyk herausgegebene Sammelband bietet interessante Sichtwechsel und fördert damit einen Dialog über Kulturgrenzen hinweg, der für die Zukunft nur von Nutzen sein kann.

Gottfried-Karl Kindermann: Der Aufstieg Koreas in der Weltpolitik. Von der Landesöffnung bis zur Gegenwart. Olzog Verlag, München 2005; 428 S., 34 Euro.

Hartmut Koschyk (Hrsg.): Deutschland, Korea - geteilt, vereint. Olzog Verlag, München 2005; 336 S., 29,80 Euro.


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