Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Frank Umbach

Die USA könnten in der Region geschwächt werden

Russland und China - strategische Partner oder dauerhafte Gegner?
Russland und China eint eine politische Strategie, die auf eine Schwächung der USA in ihrer Nachbarschaft und vor allem in Zentralasien sowie der kaspischen Region zielt. Während die Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) von Seiten Europas und den USA bisher weitgehend ignoriert worden ist, haben die wirtschaftlichen und militärischen Kooperationen stetig zugenommen.

Mitte August 2005 fand mit dem gemeinsamen Manöver "Peace Mission 2005" das bis dahin größte gemeinsame Manöver zwischen den Streitkräften Russlands und Chinas seit den Tagen der "Hoch-Zeit" ihrer bilateralen Beziehungen in den 50er-Jahren statt. Die Übung an der nordöstlichen Küste Chinas, an der mehr als 9.000 Soldaten teilnahmen, war offiziell als SOZ-Manöver mit einer "anti-terroristischen" Zielsetzung proklamiert worden. Tatsächlich handelte es sich um eine groß angelegte Übung in konventioneller Kriegführung unter Einsatz schwerster und modernster konventioneller Waffensysteme. Auf russischer Seite kamen sogar Nuklearbomber zum Einsatz und der Abschuss von U-Boot-gestützten Nuklearraketen (SLBMs) wurde simuliert. Es handelte sich also keineswegs um gemeinsame anti-terroristische Operationen, zumal diese weit weg von Zentralasien direkt an der Küste Chinas stattfanden, wo auch amphibische Landungsmanöver geübt wurden. Während russische Medien unter anderem über die gemeinsame Besetzung Nordkoreas spekulierten, wurde aus chinesischer Sicht eher die Invasion Taiwans geprobt. Nicht wenige Beobachter sahen in diesen Übungen bereits eine neue Militärallianz zwischen Russland und China entstehen, während die SOZ sich zu einer Art "Nato des Ostens" entwickelt. Da gleichzeitig auch die Energiepartnerschaft zwischen Moskau und Peking enger wird, stellt sich die Frage, ob hiermit bereits eine Art strategische Gegenallianz zu den USA entsteht, die möglicherweise auch eine Militärallianz vorsieht. Ein nüchterner Blick auf die verschiedenen bilateralen Kooperationsfelder zeigt allerdings, dass eine solche strategische Allianz zwischen beiden Seiten wenig wahrscheinlich ist. Vielmehr handelt es sich weiterhin um eher eine taktische Allianz und ein Zweckbündnis auf Zeit in Bezug auf selektive beiderseitige Interessensgebiete.

Trotz der zunehmenden Kooperationen auf vielen Feldern von Politik und Wirtschaft spielt auf beiden Seiten bis heute ein erhebliches Misstrauen gegenüber der Politik der anderen Seite eine zentrale Rolle in den bilateralen Beziehungen. Dies gilt insbesondere für die russische Seite. Moskau fühlt sich seit Jahren bereits eher in der Juniorrolle gegenüber dem wirtschaftlich und militärisch kontinuierlich expandierenden China. Aufgrund der katastrophalen demografischen Entwicklungen, die ein Absinken der Gesamtbevölkerung Russlands von 145 Millionen im Jahr 2002 auf weniger als 100 Millionen in 2050 und damit auch eine weitgehende Entvölkerung des gesamten sibirischen Raumes befürchten lassen, droht östlich des Urals und vor allem in den Gebieten entlang der gemeinsamen Grenze ein wirtschaftlich-demografisches Vakuum. Der russische Ferne Osten könnte damit zukünftig auf den Status eines Satelliten Chinas hinabsinken. Schon heute wird in der Region des östlichen Sibiriens eine zunehmende "Sinisierung" Russlands wahrgenommen. Auch wenn die russischen Zahlen von chinesischen Migranten in den russischen Gebieten des Fernen Ostens häufig überzeichnet sein dürften, ist das Gefühl einer zunehmenden asymmetrischen Bevölkerungsentwicklung zu Lasten der Russischen Föderation für Moskau nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein sicherheitspolitischer Faktor, der für die Außen- und Sicherheitspolitik Russlands sowohl in Asien selbst als auch in den Beziehungen zu den USA und der EU eine wichtige Rolle spielt.

Zwar ist das bilaterale Handelsvolumen zwischen Russland und China 2005 gegenüber 2004 um 34 Prozent auf 30 Milliarden US-Dollar angestiegen, es macht aber weniger als die Hälfte des deutsch-chinesischen Handels aus und lediglich zwei Prozent des gesamten chinesischen Außenhandels, ein Zehntel des bilateralen Handels Chinas mit den USA, ein Neuntel des Handels mit Japan, ein Achtel des Warenaustausches mit der EU und sogar nur ein Sechstel des Handelsvolumens mit Korea. Trotz der Ausrufung eines offiziellen "Russlandjahres" in China 2006 und der einvernehmlichen Lösung der strittigen Demarkierungsprobleme der 4.300 km langen gemeinsamen Grenze beschränkt sich der Export russischer Güter nach China bisher noch immer fast ausschließlich auf Erdöl- und andere Rohstofflieferungen sowie russische Militärtechnologie.

Obwohl Russland der größte Rüstungsexporteur für China ist, gibt es dennoch technologische Restriktionen auf Seiten Moskaus. Weder sind bisher Nuklearbomber an China verkauft oder geleast worden, noch erstreckt sich die rüstungstechnologische Zusammenarbeit auf die Entwicklung völlig neuer Waffengenerationen. Hierzu ist Moskau mit Indien aber durchaus bereit, was zu erheblicher Verärgerung in China geführt hat. Dies ist zugleich ein wesentliches Motiv Pekings, die EU zur Aufhebung ihres Rüstungsembargos von 1989 zu bewegen. Peking möchte Rüstungsimporte diversifizieren und von der EU weniger vollständige Hauptwaffensysteme importieren, als vielmehr Dual-Use-Schlüsseltechnologien als Streitkräfte- und Rüstungstechnologiemultiplikatoren erwerben.

Seit Mitte der 90er-Jahre haben Russland und China ihre wirtschafts- und insbesondere energiepolitischen Beziehungen stetig ausgebaut. Während dies für Russland neben den Waffenexporten die wichtigste Einnahmequelle ist und Moskau mit dem Selbstverständnis einer zukünftigen "Energiesupermacht" versucht, den einstigen weltpolitischen Status auf Augenhöhe mit den USA wieder zu erlangen, sieht Peking im Ausbau der Energiepartnerschaft mit Moskau die Möglichkeit, den Rohöl- und Erdgasimport zu diversifizieren. Dies würde einen geringeren Anstieg der Abhängigkeiten vom Mittleren Osten und damit auch der Gefährdung und Verwundbarkeit der Schiffstransporte durch die Seestreitkräfte Indiens, Japans und vor allem der USA im Indischen Ozean zur Folge haben. Doch das beiderseitige wirtschaftliche Interesse ist auch von his-torischem Misstrauen auf Seiten Chinas geprägt. So erinnert sich China noch an die abrupte Einstellung der zivilen und militärischen Zusammenarbeit mit der UdSSR in der Chruschtschow-Ära bei der Nutzung der Kernenergie Ende der 50er-Jahre, die in China zu wirtschaftlichen Problemen und zu einer erheblichen Verzögerung des Nuklearwaffenprogramms geführt hatte. Peking strebt zwar eine immer engere Energiepartnerschaft mit Moskau an, doch wegen der historischen Erfahrung achtet es zugleich darauf, von Russland nicht zu abhängig zu werden. China knüpft an diese Zusammenarbeit auch eine Reihe Bedingungen. Dies gilt insbesondere für Investitionen in die russische Energieinfrastruktur - wie Pipelines - und Beteiligungen im Rahmen gemeinsamer Projekte. Zuletzt offerierte Peking, sich an den russischen Unternehmen direkt als Anteilseigner zu beteiligen. China sucht dabei aber eine gleichberechtigte Partnerschaft, die Moskau wiederum ablehnt. Ähnlich wie in Europa beharrt die russische Regierung auf dem Export- und Pipelinemonopol, da Moskau hiermit nicht nur ökonomische, sondern vor allem auch außen- und geopolitische Interessen instrumentalisiert.

Aufgrund der Renationalisierungs- und faktischen Wiederverstaatlichungstendenzen vor allem im Energiesektor ist Russland für China wirtschaftlich und politisch unberechenbar geworden. Peking hat aber keine wirklichen Alternativen zur Diversifizierung von Pipelines über Land und ist somit auf eine zukünftige Kooperation mit Russland angewiesen. Russland möchte vor allem vermeiden, dass China der einzige Importeur der sibirischen Energieressourcen Russlands wird. Aus Sicht Moskaus könnte dies erhebliche negative Auswirkungen für seine sibirische Region des Fernen Osten und den zukünftigen Zusammenhalt der Russischen Föderation haben.

Der Autor arbeitet am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Asien-Pazifik-Programm, Berlin.


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