Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Marcus Bensmann

Wenn der wirkliche Gegner fehlt

Der Kampf gegen den islamischen Terrorismus

Im Kugelhagel von Andischan starben am 13. Mai 2005 Hunderte Frauen, Männer und Kinder. Im bevölkerungsreichen Ferghanatal an Chinas Westgrenze zeigte die usbekische Regierung vor einem Jahr brutal, wie der Kampf gegen "Terrorismus" nach ihrer Meinung auszusehen hat. Ohne jegliche Vorwarnung schossen in der Provinzstadt Andischan usbekische Soldaten von Panzerwagen aus eine mehrtausendköpfige Menschenmenge zusammen, die gegen die Willkürherrschaft des usbekischen Präsidenten Islam Karimow demonstrierte. Moskau und Peking bekundeten Verständnis für dieses Vorgehen des usbekischen Präsidenten. Sie übernahmen dessen Version, dass es sich bei dem willkürlichen Schießen in die Masse Andischaner Bürger um die Niederschlagung eines islamischen Aufstandes gehandelt hätte. Wenige Wochen danach reiste Präsident Karimow nach Peking um seinem chinesischen Kollegen die Hände zu schütteln.

Bereits im Juni 2004, ein knappes Jahr vor dem Blutbad von Andischan, legten die Staatschefs der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) auf einem Gipfeltreffen in Taschkent das "Feindbild" fest: Unter den wohlwollenden Blicken des russischen und chinesischen Präsidenten unterschrieben die Chefs der zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan, eine Erklärung, in der Terrorismus, Separatismus und Drogenhandel als die "drei Übel der Zeit" bezeichnet wurden. Alle sechs Präsidenten stellten sich zum Gruppenbild auf - zur Erinnerung an die offizielle Eröffnung des Antiterror-Zentrums der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit. Von Taschkent aus soll mit diesem "Zentrum" der Kampf gegen die zuvor beschworenen "drei Übel der Zeit" koordiniert werden. Wenige Wochen zuvor hatten sich im Frühjahr 2004 in Taschkent und Buchara usbekische Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und die Kampferklärung der SOZ hatte blutige Aktualität.

In den Abschluss-Deklarationen des SOZ-Gipfeltreffens in Taschkent wurden weder "Demokratie" oder "Menschenrechte" noch "Rechtsstaatlichkeit" auch nur erwähnt. Obwohl keiner der zentralasiatischen Staaten von separatistischen Bewegungen ernsthaft bedroht ist, haben sich deren Staatschef darauf geeinigt, diese "Übel" ausdrücklich auf eine Liste dessen zu setzen, was sie gemeinsam bekämpfen wollen. Man kann das auch so deuten: Die vier zentralasiatischen Unterzeichner-Staaten haben sich so die Probleme ihrer mächtigen Nachbarn China und Russland zu eigen gemacht. Russland führt den fast vergessenen Krieg in Tschetschenien und Chinas Führung ist beunruhigt durch die aufkeimenden Autonomiebestrebungen der turkstämmigen Minderheit der Uighuren in der Provinz Xinjiang im Westen. Deswegen holten sie den "Kampf gegen Separatismus" auf die Agenda der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit.

Nach den zwei - auf beiden Seiten brutal geführten - Tschetschenien-Kriegen hat Russland die Taktik im Kampf um die aufsässige Kaukasusrepublik geändert. Der Kreml lässt jetzt Tschetschenen gegen Tschetschenen kämpfen. Dabei führt sich der mit Moskaus Gnaden regierende Ramsan Kadirow wie ein hemmungsloser Bandenchef auf, der mit aller Brutalität für Macht und Einfluss mordet. Eine unabhängige Berichterstattung ist aus dem kaukasischen Krisenherd verbannt. Im Gegensatz zum öffentlich wahrgenommenen Sterben im Irak ist das von Moskau sanktionierte Morden am Kaukasus beinahe aus dem Blick der Weltöffentlichkeit verschwunden.

Die mit knapp 19 Millionen Menschen sehr dünn besiedelte westliche Provinz Chinas Xinjiang grenzt im Süden gleich an zwei Krisenherde im zentralen Asien: Kaschmir und Afghanistan. Die Regierenden in Peking fürchten, aufständische Uighuren an der Grenze des Reichs der Mitte könnten sich mit den islamisch geprägten Militanten verbinden, die gegen Indiens Herrschaft in Kaschmir kämpfen,oder mit versprengten Al-Qaida-Terroristen und den Taliban in Afghanistan und einen Aufstand der turkstämmigen Muslime in China organisieren.

Zwar sind islamisch geprägte, aber auch weltlich ausgerichtete uighurische Unabhängigkeitsbewegungen teils in China, in größerer Zahl aber außerhalb aktiv. Doch ist die Furcht Pekings vor Separatismus - gemessen am tatsächlichen Ausmaß einer Bedrohung - übertrieben groß.

Vor allem in Kirgistan und Kasachstan unterhalten Uighuren nach der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten zum Argwohn Chinas Kulturzentren und versuchen, sich politisch zu organisieren. China setzt jedoch die Regierungen der zentralasiatischen Staaten massiv unter Druck, die Aktivitäten der Uighuren an Chinas Grenze zu unterbinden.

Vor dem 11. September 2001 war die Sorge Russlands und Chinas berechtigt, dass über islamistische Bewegungen in Zentralasien, Afghanistan und Kaschmir die separatistischen Kräfte Auftrieb erhalten könnten. Seit 1998 entfaltete nämlich die "Islamische Bewegung Usbekistan" (IMU) eine für die zentralasiatischen Staaten bedrohliche Aktivität. Von den Basen in Afghanistan und den Schluchten des östlichen Tadschikistans aus unternahm die von den USA als Terrororganisation eingestufte Bewegung regelrechte Angriffe - 1999 erst auf das kirgisische Territorium und dann 2000 - auch gegen Usbekistan. Zur gleichen Zeit hatte der tschetschenische Kämpfer Schamil Bassajew mit seinem Überfall auf Dagestan den zweiten Tschetschenienkrieg entfesselt.

Verteidigung der Herrschaft

Der Autor traf 1999 in Tavildaru, einem tadschikischen Gebirgsnest in den zerklüfteten Ausläufern des Vorpamirs, einen 28-jährigen Kämpfer der IMU. Der durchtrainierte Mann stellte sich als Ali Taschkentli vor, war selbst Uighure und hatte seine Kampferfahrungen unter anderem in Tschetschenien gesammelt. Die IMU hatte damals in den nordafghanischen Städten Kunduz und Masar-e-Scharif unter der Patronage der Taliban Operationsbasen unterhalten. Dort konnten sie ungestört Kämpfer ausbilden und eine effektive Logistik aufbauen. Angeführt wurde die IMU von dem Afghanistan-Veteran der Sowjetarmee Dschumaboi Namangoni und dessen Mitstreiter Tohir Juldaschaew, die beide aus dem usbekischen Teil des Ferghanatals stammten. Neben Usbeken und Tadschiken hatten sich in der Organisation auch Uighuren sowohl aus Zentralasien als auch aus der chinesischen Westprovinz organisiert und standen unter dem militärischen Befehl des 1969 geborenen Usbeken Namangoni.

Dabei wurde die wachsende Gefährlichkeit der IMU zwischen 1999 und 2001 direkt von staatlichen Stellen in Russland und Tadschikistan gefördert. Namangoni pendelte in jenem Zeitraum in Helikoptern der russischen Grenztruppen zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Unter dem Schutz des bis heute im Amt befindlichen tadschikischen Ministers für Katastrophenschutz, Mirso Sijo, unterhielt die IMU in Tawildaru bis zu 2.000 Versorgungsbasen.

Die Angriffe der IMU zeitigten das gewünschte Ziel. Der widerspenstige usbekische Präsident Karimow lenkte ein: Bis 2001 hatte sich Usbekistan vehement dagegen gesträubt, Mitglied des Schanghaibündnisses zu werden. Erst nach den massiven Attacken der IMU flüchtete Karimow unter das schützende Dach der von Russland und China dominierten Organisation.

Jedoch wurde die Schlagkraft der IMU, die in Ansätzen das Potenzial hatte, ein Verbindungsglied zwischen dem tschetschenischen und uighurischen Widerstand zu bilden, im Anti-Terror-Krieg der USA in Afghanistan praktisch aufgerieben. Den Anführer Namangoni zerfetzte im November 2001 auf der Flucht von Masar-e-Scharif eine Laser gesteuerte Rakete. Die Mitglieder der Kerntruppen der IMU wurden im Dezember 2001 bei der Niederschlagung eines Gefängnisaufstandes im Norden Afghanistans getötet.

Dem beschworenen Abwehrkampf Chinas, Russlands und der zentralasiatischen Staaten ist der wirkliche Gegner abhanden gekommen. Die Gefahr einer schlagkräftigen Befreiungsarmee, die sich für die Besetzung von Territorien einsetzen ließ, ist mit der Zerschlagung der IMU, die zeitweise in "Befreiungsbewegung Turkestan" umbenannt wurde, jedoch vorerst vorbei.

Der Kampf gegen "Terrorismus" geht jedoch weiter. Er dient den Machthabern Zentralasiens mit Rückendeckung Russlands und Chinas dazu, die autokratischen Herrschaftssysteme gegenüber der eigenen Bevölkerung zu verteidigen.

Der Autor ist freier Journalist mit Schwerpunktthemen aus Zentralasien.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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