Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Markus Brach-von Gumppenberg

Erfolgreicher Balanceakt

Kasachstan - Ein Land in der Größe eines Kontinents
Kasachstan ist ohne Zweifel der wirtschaftlich wichtigste Staat unter den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion in Zentralasien. Präsident Nursultan Nasarbajew regiert seit mehr als 16 Jahren mit harter Hand ein Gemeinwesen, dessen Größe eher die Bezeichnung Kontinent verdiente.

Kasachstan ist ein multi-ethnisches Land. Mehr als 100 verschiedene Ethnien leben innerhalb seiner Grenzen, von denen die zu Russland mit 6.846 km die längste ist und die zu China mit 1.533 km die zweitlängste. Mit seinen Nachbarstaaten China, Russland, Usbekistan und Kirgistan kooperiert Kasachstan im Rahmen mehrerer bi- und multilateraler Vertragswerke sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen und sicherheitspolitischen Bereich. Die wichtigsten dieser Institutionen sind die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS), der "Kollektive Sicherheitsrat" (CSTO) sowie die "Shanghai Organisation für Zusammenarbeit" (SOZ) und die "Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft" (EAWG).

Außenpolitisch betreibt Kasachstan eine relativ erfolgreiche Politik der Balance zwischen russischen, amerikanischen und chinesischen Interessen. Nach dem 11. September 2001 bot Präsident Nasarbajew den USA Überflugrechte und Stationierungsmöglichkeiten für die Operation "Enduring Freedom" in Afghanistan an. Kasachstan steht mit einem kleinen Kontingent von Soldaten im Irak an der Seite Washingtons. Im Rahmen der SOZ bemüht sich Kasachstan um eine gute Kooperation mit China - vor allem bei der Bekämpfung von Terrorismus, Separatismus, von Drogen- und Waffenhandel sowie der Grenzsicherung (Migrationskontrolle). Innerhalb der GUS/CSTO gibt es eine intensive sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland. Auch hierbei stehen Bekämpfung von Separatismus, Extremismus sowie von Waffen- und Drogenschmuggel im Vordergrund. Militärisch ist Kasachstan in weiten Teilen abhängig von russischen Waffensystemen.

Innenpolitisch kann man die Lage als stabil bezeichnen. Der Präsident bestimmt aus seiner verfassungsmäßigen Machtfülle heraus die innen- und außenpolischen sowie die wirtschaftlichen und sozialen Geschicke des Landes. Gestärkt wird diese Position durch ein kaum zu überschauendes Geflecht aus Klientelismus, ökonomischer Günstlingswirtschaft und Korruption. Eine wirkliche politische Opposition existiert nicht. Die oppositionellen Parteien sind untereinander zerstritten und verfügen selten über programmatische Ausrichtungen. Die Regierungspartei Otan ("Vaterland") dominiert die politische Landschaft. Naserbajew wurde im Dezember 2005 für weitere sieben Jahre im Präsidentenamt bestätigt. Die OSZE kritisierte im Vorfeld der Wahlen vor allem die Einschränkung der Medien und Festnahmen von Journalisten und Oppositionspolitikern.

Wirtschaftlich haben reiche Öl- und Gasvorkommen im kaspischen Raum für einen enormen Wachstumsschub gesorgt. Die kasachische Wirtschaft wächst seit Jahren bedingt durch die Petroindustrie konstant mit einem knapp zweistelligen Prozentsatz. Erdöl und -gas machen zwei Drittel des Exports aus. Weitere rund 20 Prozent der Ausfuhren sind andere Rohstoffe. Das unterstreicht die Einseitigkeit der Exportwirtschaft des Landes. Die allgemeine Wirtschaftslage sowie der Arbeitsmarkt sind noch immer von großen Problemen gekennzeichnet. Das Land ist bei Konsum- und Investitionsgütern stark vom Ausland abhängig. Wichtigste Außenhandelspartner sind China, Russland und Deutschland.

Für das Verhältnis zwischen Kasachstan und der Volksrepublik China sind nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen von Bedeutung. Auch ethnische Probleme und bevölkerungspolitische Entwicklungen spielen eine wichtige Rolle.

Mit der Inbetriebnahme der rund 960 km langen Pipeline Atasu-Alashankou begann am 25. Mai 2006 eine neue Ära der Energieversorgung in China. Die Pipeline mit einer Kapazität von bis zu 20 Millionen Tonnen pro Jahr führt zu einer Verfünffachung des Ölexportes aus Kasachstan in die chinesische Provinz Xinjiang. Bisher wurde Erdöl nur auf dem Schienenweg in die Westprovinzen Chinas gebracht. Die maximale Kapazität auf diesem Wege lag bei knapp fünf Millionen Tonnen. Beide Länder investierten seit 2004 rund 700 Millionen US-Dollar in den Bau. Für China bedeutet dies strategisch, dass es mit diesem ersten Schritt die Abhängigkeit von den Öllieferungen über den Seeweg aus dem Mittleren Osten abzubauen beginnt. Vor allem der staatlich subventionierte Wirtschaftsaufschwung in der westchinesischen Stadt Urumchi wird von diesen Lieferungen profitieren. Für Kasachstan bedeutet dieses Projekt, dass es nun auch im Osten einen lukrativen Ölmarkt bedienen kann, der bislang den arabischen Ländern beziehungsweise den russischen Konzernen vorbehalten war. Wie weit sich Kasachstan in einen Konflikt mit den westlichen Ölproduzenten im kaspischen Raum - zum Beispiel mit "Tengis Chevroil"- einlässt, ist noch nicht abzusehen. Die chinesischen Interessen am kasachischen Öl beschränken sich jedoch nicht auf die Infrastruktur. Schon im letzten Jahr hatte die chinesische "China National Petrol Company"(CNPC) das in Kasachstan aktive kanadische Unternehmen "Petrokasachstan" gekauft. China exportiert im großen Stil preiswerte Konsumgüter nach Kasachstan. Manche grenznahen Basare sind von chinesischen Händlern dominiert. Der verstärkte Erdölexport dürfte die bislang negative Handelsbilanz mit China ausgleichen.

Seit den 70er-Jahren betreibt Peking eine staatlich geförderte Migration aus dem bevölkerungsreichen Osten der Volksrepublik in ihren Westen. Die dort angesiedelten Han-Chinesen dominieren inzwischen die traditionell dort lebenden Uighuren und Kasachen. Die uighurische und kasachische Bevölkerung fühlt sich zunehmend diskriminiert und marginalisiert. In Xinjiang wächst die Zahl militanter uighurischer Oppositioneller. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Anschlägen und terroristischen Aktionen mit Toten und Verletzten. Die Situation für Kasachstan ist prekär: Auf der einen Seite kooperiert es mit China in der SOZ bei der Bekämpfung von Separatismus und Extremismus, auf der anderen Seite gewährt es uighurischen und kasachischen Flüchtlingen Exil. In Almaty hat sich inzwischen eine starke Interessenvertretung der Uighuren - "Eastern Turkestan Islamic Movement - Eastern Turkestan Youth" (ETIM) - gebildet. Die US-Regierung hat die ETIM 2002 offiziell als "islamistische Terrororganisation" eingestuft. Die Zahl der Uighuren in Kasachstan schätzt man auf rund 300.000 Menschen. Durch die Fortsetzung der Bevölkerungspolitik Pekings wächst der Druck auf die uighurische und kasachische Minderheit in Xinjiang, was weitere Radikalisierungen auslösen könnte. Im Rahmen der SOZ ist die Migrationskontrolle zwischen beiden Staaten als sicherheitspolitische Größe definiert und birgt daher durchaus Risiken.

Grundsätzlich können die Beziehungen zwischen Kasachstan und China als kooperativ eingestuft werden. Die innenpolitischen Verhältnisse - wirtschaftliche Liberalisierung bei politischer Restriktion - sind durchaus vergleichbar. Beide Staaten sind aus wirtschaftlichen Gründen an einer langfristigen Stabilität in der Region interessiert.

Der Autor ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik in Zentralasien, München.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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