Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Andreas Rieck

Eine emotionale und politische Affinität zu China

Pakistan und das Reich der Mitte dürften in Zukunft noch enger zusammenrücken

Wohl in keinem Land Asiens ist China so beliebt, geradezu verehrt, wie in Pakistan, mit dem es eine gemeinsame Grenze von mehreren hundert Kilometern teilt und seit 1978 durch den Karakorum Highway verbunden ist. Diese Straße kann trotz einer maximalen Passhöhe von mehr als 4.700 Metern fast ganzjährig von Lkws befahren werden. Die in Pakistan stets als "Allwetterfreundschaft" und mit diversen überschwänglichen Attributen charakterisierte Allianz beider Staaten begann schon in den 60er-Jahren, als Pakistan noch fest im US-geführten CENTO-Pakt verankert war. Sie hat sich seitdem fast stetig vertieft. Durch die in den vergangenen Jahren aufgebaute "strategische Allianz" zwischen den USA und Indien hat die ohnehin starke Verbindung zwischen China und Pakistan eine neue Bedeutung gewonnen. Während sich das Verhältnis zwischen Pakistan und den USA seitdem deutlich abgekühlt hat, besteht in Pakistan heute mehr denn je ein fast grenzenloses Vertrauen in die kommende Weltmacht China. Anders als im Falle der USA provoziert eine noch so demonstrative Anlehnung an China keinerlei negativen Reaktionen in der pakistanischen Öffentlichkeit, und Vertreter aller politischen Parteien und Lager in Pakistan können sich ohne Vorbehalte dazu bekennen.

Die wichtigste Grundlage dieser emotionalen und politischen Affinität zu China ist Pakistans Dauerkonflikt mit Indien. Der konnte zwar in den vergangenen Jahren scheinbar entschärft werden, aber von einer Lösung ist er auch 59 Jahre nach der Unabhängigkeit des Subkontinents von britischer Kolonialherrschaft und der Staatsgründungen Indiens und Pakistans noch weit entfernt. Chinas Grenzkrieg mit Indien 1962 erregte seinerzeit großes Interesse in Pakistan und führte zur Aufnahme politischer Beziehungen auf höchster Ebene mit China. In seinen eigenen Kriegen mit Indien 1965 und 1971 fühlte sich Pakistan vom Verbündeten USA im Stich gelassen und trieb in der Regierungszeit von Zulfiqar Ali Bhutto (1972-1977) die Annäherung an China zu Lasten der Allianz mit den USA voran. Zwar führte die sowjetische Besetzung Afghanistans 1979 zu einer neuerlichen Intensivierung des pakistanisch-amerikanischen Bündnisses, aber dies geschah nicht zu Lasten Chinas. Peking unterstützte ja ebenfalls den antisowjetischen Stellvertreterkrieg in Afghanistan und arbeitete dabei zum Teil mit Washington direkt zusammen. Nach dem Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan im Februar 1989 wurde Pakistan wegen seines Nuklearwaffenprogramms mit amerikanischen Sanktionen belegt. Das frühere gegenseitige Vertrauen zwischen den USA und Pakistan wurde seitdem nie voll wiederhergestellt, auch nicht durch die seit 2001 vielbeschworene Bedeutung Pakistans als Verbündeter Amerikas im "Krieg gegen den Terrorismus". Parallel dazu sind die Beziehungen Chinas zu Pakistan beständig enger und besser geworden.

China hat es zwar stets vermieden, im Konflikt Pakistans mit Indien um Kaschmir Partei zu ergreifen und hat in den vergangenen Jahren erfolgreich eine Politik der Annäherung an Indien betrieben. Gleichzeitig hat China jedoch schon in den 70er-Jahren Kooperation mit Pakistan auch im militärischen Bereich begonnen. Die ist in den vergangenen Jahren verstärkt worden, unter anderem durch die Koproduktion eines modernen Kampfflugzeugs. Im Übrigen wirkt China auch ohne explizite Parteinahme für Pakistan als ein Faktor, der Indien davon abschreckt, seine militärische Überlegenheit gegenüber Pakistan auszuspielen, etwa 1999 während der Kargil-Krise in Kaschmir und 2002 während des Aufmarsches indischer Truppen entlang der pakistanischen Grenze. Zusammen mit den USA hat China wesentlich dazu beigetragen, dass die beiden Konflikte nicht weiter eskaliert sind.

Während der Wert Chinas als Anlehnungsmacht für Pakistan offensichtlich ist, nimmt auch Pakistans Wert als zuverlässiger Verbündeter für China tendenziell zu. Selbst bei einer Verbesserung der chinesisch-indischen Beziehungen und einer zunehmenden wirtschaftlichen Interdependenz beider Staaten werden das wachsende weltpolitische Gewicht und der Energiehunger Chinas und Indiens deren strategische Rivalität in Zukunft noch verstärken. Erstens hat China vor diesem Hintergrund ein anhaltendes Interesse, Pakistan zu stärken und zu konsolidieren - als Gegengewicht zu indischen regionalen Hegemoniebestrebungen, wenn auch nicht in einem solchen Maß, dass dadurch das Risiko weiterer militärischer Konflikte zwischen Pakistan und Indien erhöht werden könnte. Zweitens bietet Pakistan über den Karakorum Highway China einen direkten Zugang zum Golf von Oman. Chinas Engagement beim Bau eines neuen Hafens in Gwador mit aufwändiger Infrastruktur am Indischen Ozean in Pakistans Provinz Belutschistan, ist eine deutliche Manifestation der strategischen Interessen Chinas in der Golfregion. Gwador könnte in Zukunft auch als Flottenstützpunkt dienen.

Drittens wird China auch den Ambitionen der USA in Zentralasien, Afghanistan und Iran in Zukunft wohl stärker als bisher entgegentreten und in diesem Zusammenhang die ohnehin erkennbare Lockerung der Bindungen Pakistans an die USA diskret fördern.

Noch ist das Bündnis mit den USA für die politische Elite Pakistans unverzichtbar, vor allem wegen deren Schlüsselrolle bei der Bereitstellung dringend benötigter internationaler Finanzhilfen, Kredite und Kreditstundungen. Gleichzeitig haben anti-amerikanische Ressentiments in den vergangenen Jahren in allen Bevölkerungsschichten Pakistans stark zugenommen. Ein wirtschaftlich potentes China könnte die USA auch als wichtigster Geld- und Kreditgeber Pakistans schrittweise ablösen.

Auch im chinesisch-pakistanischen Verhältnis sind in den vergangenen Jahren einige Probleme aufgetaucht, die es früher nicht gegeben hat. Das sind vor allem Pakistans wachsendes Defizit im bilateralen Handel und die Überschwemmung pakistanischer Märkte mit chinesischen Produkten aller Art. Mit mehr als 150 Millionen Einwohnern stellt Pakistan einen wichtigen Absatzmarkt dar. In Pakistans Provinzen Belutschistan und der North-West Frontier Province sind schon mehr als ein Dutzend chinesischer Ingenieure Opfer von Mordanschlägen geworden, zu denen sich belutschische Separatisten und paschtunische radikale Islamisten bekannt haben. Als deren Drahtzieher vermutet man in Pakistan jedoch auswärtige Mächte, welche die Kooperation Pakistans mit China sabotieren wollen. Pakistans enge Beziehungen zum Taliban-Regime in Afghanistan bis zur Vertreibung dieser Radikal-Islamisten Ende 2001 wurde von Peking gelegentlich kritisiert. Die chinesische Führung irritierte vor allem, dass sich damals auch uighurische "Separatisten" aus Chinas Provinz Xinjiang in Afghanistan aufhielten. Sympathisanten dieser Uighuren werden im Übrigen auch an muslimischen Religionsschulen - Madrasas - in Pakistan vermutet. In den vergangenen Jahren hat Pakistans Regierung jedoch Chinas Befürchtungen hinsichtlich Xinjiang weitgehend entkräften können und identifiziert sich ostentativ mit der Politik Chinas in dessen überwiegend von turksprachigen Muslimen besiedelter Westprovinz.

Die nationalen Interessen Chinas wie Pakistans und die ungebrochen starke emotionale Affinität der meisten Pakistaner zu China dürften beide Staaten in den kommenden Jahrzehnten eher noch enger zusammenrücken lassen. Diese Allianz muss nicht gegen andere Staaten gerichtet sein, wird aber vermutlich die Allianz Pakistans mit den USA allmählich überflüssig machen. Im indisch-pakistanischen Konflikt kann die enge chinesisch-pakistanische Verbindung sowohl dämpfend als auch verschärfend wirken - je nachdem, wie sich die chinesisch-indischen Beziehungen in Zukunft entwickeln.

Der Autor ist freier Journalist. Er war von 2002 bis 2006 Landesvertreter der Hanns-Seidel-Stiftung in Pakistan.


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