Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Friedemann Müller

Der große Hunger nach Energie

Hohe Preise - weite Transportwege - begrenzte Ölmengen

China ist mit Macht und viel Effekt auf den internationalen Energiemärkten eingestiegen. 1992 war das Land noch Nettoexporteur auf dem Rohölmarkt, inzwischen ist es zum zweitgrößten Ölimporteur nach den USA aufgestiegen.

Das Wachstum der Ölimporte Chinas hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der globale Ölmarkt seit dem Jahr 2000 von einem durch die Verbraucher dominierten Markt zu einem Verkäufermarkt geworden ist. Im Jahr 2000 hatte die OPEC angekündigt, den Ölpreis auf einem höheren Niveau als in den 90er-Jahren zu stabilisieren und zwar in einem Preiskorridor zwischen 22 und 28 Dollar. Drei Jahre lang hat diese Preispolitik funktioniert. Doch die Nachfrage hat den Preis im Jahr 2003 nach oben ausbrechen und auf das Dreifache steigen lassen. Ein Drittel des gesamten globalen Nachfragewachstums zwischen den Jahren 2000 und 2005 geht allein auf die Rechnung Chinas. Dazu kommen andere asiatische Länder wie Indien, die mit Zeitverzögerung dem chinesischen Drang zum Import von Öl folgen, das insbesondere für den Verkehrssektor gebraucht wird.

Langfristige Trends

Dieser massive Einstieg Chinas und anderer asiatischer Länder als Nachfrager auf den internationalen Ölmärkten kommt zu einer für die westlichen Industrieländer unpassenden Zeit. Dies liegt an langfristigen und kaum umkehrbaren Trends: Erstens: Der Mittlere Osten verfügt schon jetzt über 62 Prozent der gesicherten konventionellen Ölreserven. Diese Konzentration erhöht sich weiter, weil in allen anderen Regionen die Reserven schneller erschöpft sind als am Persischen Golf. Diese Region ist aber bereits heute politisch fragil. Ein Verteilungskampf zwischen China und der westlichen Welt würde eine zusätzliche krisenhafte Zuspitzung bedeuten. Zweitens: Die Ölproduktion geht in den kommenden beiden Jahrzehnten in allen großen Verbraucherregionen - China und die OECD-Welt eingeschlossen - absolut zurück. Das bedeutet, dass die Importabhängigkeit wächst und noch kritischere Schwellen erreicht. Drittens: Die Re-Nationalisierung der Produzentenländer und Politisierung der Energieverfügbarkeit schreitet voran. Dies gilt in Venezuela ebenso wie in Russland und Iran. Auch in Saudi-Arabien herrscht der Trend vor, Investitionen, die der Markt fordert, zu ignorieren und keine ausländischen Investoren zur Ölerschließung ins Land zu lassen.

China erweckt den Eindruck, dass es als Späteinsteiger jeden Preis zu zahlen bereit ist, um für seine Versorgungssicherheit Vorsorge zu treffen. Dies wird zwar in den westlichen Ländern mit Besorgnis registriert. Tatsächlich verfügen diese aber durch die Platzierung ihrer Energieunternehmen bei der Erschließung in den wichtigsten Regionen, durch die militärische Präsenz der USA am Persischen Golf und die Transportinfrastruktur von Russland und Nordafrika nach Europa über einen großen Beschaffungsvorteil.

China setzt viel ein, um sich in Regionen zu etablieren, in denen noch Felder im Bieterverfahren zu bekommen sind und westliche Unternehmen wenig Neigung zum Engagement haben. Den drei staatlichen chinesischen Unternehmen China National Petroleum Corporation (CNPC), China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) und China National Petrochemical Corporation (Sinopec) steht dabei viel politische Unterstützung zur Verfügung. So hat CNPC in Sudan praktisch die gesamte Produktion des Landes in Höhe von rund 400.000 Barrel pro Tag übernommen. Diese Produktion wird von etwa 4.000 Mann chinesischem nicht uniformiertem Bewachungspersonal geschützt. Im Mai 2006 hat der chinesische Ministerpräsident Wen Ji-bao eine Reise durch verschiedene afrikanische Staaten unternommen. Dabei wurden in Nigeria die Erschließungsrechte für ergiebige Ölfelder mit mehr als zwei Milliarden Dollar Investitionssumme an CNPC übertragen. Dieser Zuschlag wurde mit Zusagen Chinas erkauft, in Infrastrukturprojekte Nigerias rund vier Milliarden US-Dollar zu investieren. Nicht nur westliche Unternehmen empfinden dies als Wettbewerbsverzerrung. Auch Indien hat sich schon 2005 in Peking über solches Vorgehen beschwert. China sieht sich jedoch dermaßen unter Druck, seinen wachsenden Versorgungsbedarf zu decken, dass es weder zurückscheut, korrupte Regime zu stützen, noch die etablierten Spielregeln auf den Bietermärkten zu seinen Gunsten zu verändern. Es gibt allerdings auch in China eine Diskussion über den außenpolitischen Schaden dieses rigorosen Vorgehens. In exemplarischer Weise wurde sie angestoßen in einem Aufsatz von Zha Daojiong, dem Direktor des renommierten Forschungszentrums für Energiestrategie in Peking.

Von westlicher Seite wird China immer wieder geraten, sich nicht um die Ölerschließung zu kümmern, sondern das Öl auf dem Weltmarkt zu kaufen. Dem stehen die chinesischen Ambitionen entgegen, eine Weltmacht zu werden. 2005 beschaffte China sich 40 Prozent seiner Ölimporte aus dem Mittleren Osten. Dieser Anteil wird weiter steigen, weil andere Lieferanten mit dem Importwachstum Chinas kaum mithalten können. Am Persischen Golf ist aber die amerikanische Marine dominant. Sie kann alle nach China fahrenden Tanker stoppen. Der Zustand ist für China nicht akzeptabel, auch wenn es sich intensiv um gute Kontakte im Ölbereich zu Saudi-Arabien kümmert.

Langfristig wäre für China eine enge Kooperation mit Iran ideal. Iran verfügt über die zweitgrößten Ölreserven und zweitgrößten Erdgasreserven unter allen Staaten der Erde und ist unter den großen Reservestaaten derjenige mit der größten politischen Distanz zu den westlichen Industrieländern. Iran verfügt bei Öl und noch viel mehr bei Erdgas über große Potenziale, die Produktion zu erhöhen und es liegt geografisch von allen großen Golfstaaten am nächsten zu China. Wenn es gelänge, mit Turkmenistan und Kasachstan eine Vereinbarung über eine stabile Transportinfrastruktur (Pipeline) zu schaffen, könnte sich China aus der Abhängigkeit von dem Seeweg durch die Straßen von Hormus und Malakka befreien.

Gegengewicht zu den USA

Es deutet sich an, dass China einen sehr hohen Preis zu zahlen bereit ist, um mit Iran eine langfristig enge Partnerschaft einzugehen. Im Oktober 2004 hat Sinopec mit Teheran ein Abkommen zur Erschließung des Yadavaran-Ölfeldes abgeschlossen und sich die Lieferung von 150.000 Barrel Öl pro Tag über 25 Jahre und 250 Millionen Tonnen Flüssiggas über 30 Jahre gesichert. Das gesamte Projekt wird auf einen finanziellen Umfang von 70 Milliarden Dollar geschätzt und stellt das bisher größte Auslandsgeschäft Chinas dar. Im Vergleich dazu sind die angestrebten Geschäfte mit Russland eine Kategorie kleiner. Hier ist vor allem das jahrelange Bemühen Pekings um eine Ölpipeline von Angarsk, Sibirien, zum chinesischen Ölzentrum Daqing zu nennen. Es steht in Konkurrenz mit dem japanischen Bemühen um eine Pipeline von Angarsk zum Pazifik mit einem Verteiler an der Küste. Auch im kaspischen Raum kam China später als die westlichen Länder und musste sich bezüglich der Kapazitäten mit einer vergleichsweise bescheidenen Pipeline von dem kasachischen Usen-Ölfeld nach Westchina zufrieden geben. In Lateinamerika kann China mit seinen großzügigen Investitionsangeboten ein freudig aufgenommenes Gegengewicht zu den USA bilden. Dort stehen aber weite Transportwege in einem ungünstigen Verhältnis zu begrenzten Ölmengen. Der Preis, den China an den Iran zu zahlen bereit ist, lässt sich nicht nur monetär ausdrücken, er reicht weit in die internationale Politik hinein. Dies kann dem Westen in seinem Bestreben, Iran als Konfliktquelle im Nahen und Mittleren Osten stillzulegen, noch große Sorgen bereiten.

Der Autor ist Leiter der Forschungsgruppe "Globale Fragen" der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.