Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 24.07.2006
Helmolt Vittinghoff

Im Mittelpunkt der Welt stehen

Olympische Spiele 2008 in Peking
Nahezu eine halbe Million Chinesen kam auf dem Platz des Himmlischen Friedens zusammen und feierte stolz und voller Lebensfreude die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) am 13. Juli 2001, die 29. Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking zu vergeben. Die Hauptstadt des Entwick-lungslandes China hatte sich in der Endausscheidung durchgesetzt gegen so prominente und potente Bewerber wie Osaka, Paris, Toronto und Istanbul.

Vergessen war die als nationale Schande empfundene Niederlage vor zehn Jahren, als Pekings Bewerbung um die Ausrichtung der Milleniumspiele 2000 im letzten Wahlgang abgelehnt worden war - zugunsten Sydneys. Jetzt sahen die Bewohner des bevölkerungsreichsten Staates der Erde ihren Traum erfüllt, wieder, wenn auch nur für einige Wochen, Mittelpunkt der Welt zu sein. Auch die führenden Politiker verkündeten eilends vor den Mikrofonen und laufenden Fernsehkameras, dass die Wahl Pekings der "nationalen Ehre" gereiche und die chinesische Regierung und das chinesische Volk alles tun werden, um die Olympischen Spiele 2008 zu dem herausragenden Ereignis werden zu lassen, das im olympischen Geist den Weltfrieden fördere und die Freundschaft zwischen Völkern vertiefen werde. Der Pekinger Bürgermeister und Parteisekretär Liu Qi, Vorsitzender des olympischen Bewerbungskomitees, verstieg sich sogar zur Aussage, dass "China, ein Land mit langer Geschichte, ein neues Kapitel in der Geschichte der Olympischen Spiele aufschlagen werde".

Bau- und Marketingplanungen wurden unverzüglich in die Wege geleitet, mit den weltweiten Sponsoren und Medienkonzernen wurde ebenso verhandelt, wie neue, chinesische und ausländische, gewonnen wurden, alles streng nach den Regeln des IOK. Insbesondere die ausländischen Olympia-Sponsoren erhoffen sich den Spitzenplatz in ihrem Marktsegment im größten Wachstumsmarkt der Welt, was sie sich große Summen auch für die Sportförderung in China kosten lassen werden. Ein neuer Goldrausch schien begonnen zu haben.

Umfangreiche Investitionen nötig

Die Baumaßnahmen bewegen sich in gleichen Dimensionen. Zwar gibt es seit den Asiatischen Spielen 1990 viele geeignete Sportstätten in Chinas Hauptstadt, doch die meisten von ihnen müssen erneuert und vergrößert werden. So zum Beispiel das National-Stadion, in dem die Eröffnungs- und Schlussfeiern sowie die Leichtathletikwettbewerbe und die Fußballendspiele stattfinden werden, das Schwimmstadion, das Radstadion, die Sporthalle für die Handballspiele, Reitwettbewerbe und die Schießhalle. Neu gebaut werden muss ein Tennis-Center, neu angelegt Beach-Volleyball, Softball-, Baseball- und Hockey-Felder, Bogenschuss-, Ruder- und Kanuanlagen, von den benötigten Trainingsmöglichkeiten gar nicht zu reden.

Aber auch weit entfernt von Peking muss investiert und gebaut werden, für die Segelwettbewerbe in der Hafenstadt Qingdao, 890 km südöstlich von Peking, für Fußball-Vorrundenspiele in Tianjin und sogar in Shanghai, nahezu 1800 km entfernt. Alle Sportstätten sollen spätestens Mitte 2007 fertiggestellt sein, damit sie dann auch noch getestet werden können.

Zu all dem kommen ehrgeizige Infrastrukturmaßnahmen hinzu, die eine besondere Umweltkomponente beinhalten müssen, denn es sollen "Grüne Olympische Spiele" werden. Damit hatte Peking geworben. Im Kampf gegen die Luftverschmutzung müssen jetzt schon viele Busse und Taxen mit Flüssiggas betrieben werden. Auch großangelegte Aufforstungen im Norden Pekings wurden ebenso in Angriff genommen und, bis auf wenige Ausnahmen, die Großwohnanlagen auf Erdgasheizung umgestellt, so dass während der Spiele sauber geatmet werden kann.

Mindestens ebenso große Anstrengungen unternimmt die Volksrepublik China auch im Sportbereich. Nicht nur die Sportler werden in knallharten Wettbewerben ausgesucht und auf Höchstleistung getrimmt, sondern auch die Trainer und die Trainingsmethoden stehen unter ständiger Kontrolle, werden teils im Ausland ausgebildet und stehen in gnadenlosem Konkurrenzkampf. Im olympischen Hochleistungssport kann man zu Recht sagen: Die Chinesen kommen! In Sydney 2000 mussten sie sich noch hinter den USA und Russland mit dem dritten Platz im Medaillenspiegel begnügen, in Athen 2004 wurde dann Russland überflügelt - und in Peking? Es wird leicht vergessen, dass die erste olympische Medaille eines Chinesen erst in Rom 1960 gewonnen wurde, der aber schon 1984 in Los Angeles viele folgten - im Bogenschießen und Turnen. Das jetzige Ziel, auf das mit allen Kräften und Mitteln hingearbeitet wird, ist sicherlich, die meisten Medaillen vor den USA zu gewinnen. Die Aussichten sind nicht einmal schlecht. Um die führende Sportnation zu werden, braucht es jedoch erheblich mehr als Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Hochleistungssport müsste viel stärker zum Nachahmen, zum Breitensport anregen. Für den müssten aber die staatlichen Institutionen mehr tun, angefangen bei Ausgaben für Sportplätze und Sportlehrer und nicht mit noch mehr Investitionen in Straßen, Brücken und Großgebäuden. Doch davon ist China noch meilenweit entfernt. Die Größe des Landes und die hohe Zahl der Bevölkerung sind unerschöpfliche Quellen für den Spitzensport, der zunächst immer nur unter dem Aspekt des Geldverdienens gesehen wird. Das hindert eher den Breitensport, der den Einzelnen zu einem gesünderen Leben führt. Dafür schwören die Chinesen zu Recht auf ihre eigenen Traditionen, die allerdings noch keinen olympischen Status genießen, auf Taiji, Wushu und vieles mehr.

Die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking werden sehr erfolgreich sein, für die Sportler, für die in- und ausländischen Wirtschafts- und Medienunternehmen, in China und in den betreffenden Ländern, denn diese werden viel Kapital investieren. Aber auch für das IOK, das damit viel Sportförderung in anderen unterentwickelten Ländern finanzieren wird.

Durchsetzungsfähige, strenge Herrschaftsstrukturen lassen erwarten, dass die Olympischen Spiele 2008 in Peking perfekt organisiert sein werden mit reibungslosem Terminablauf, ohne terroristische Anschläge, ohne Autostaus und Straßenbettler, mit freundlichen Menschen, die die Chinesen allerdings sowieso waren und sind. Und solche Olympischen Spiele werden ein weiterer Schritt der Integration Chinas in die globale Vernetzung sein. Viele Vorurteile gegen die Chinesen werden ausgeräumt werden - so, wie es die zurückliegende Fußballweltmeisterschaft den Deutschen beschert hat. Aber die große Sportschau wird auch die wahren Probleme Chinas überdecken und zukleistern, allerdings nur für eine sehr kurze Zeit. Die Ängste der Nachbarstaaten - vielleicht sogar nicht einmal die der mächtigen Industrienationen - vor der deutlich sichtbar werdenden wirtschaftlichen und politischen Potenz Chinas werden nicht gerade ausgeräumt werden. Das chinesische Selbstwertgefühl wird sicherlich wachsen. Und jeder Chinese wird zu noch mehr Anstrengung und Arbeit angespornt werden, Geld zu verdienen, um sich dem Lebensstandard der bewunderten Besucher aus den entwickelten Ländern zu nähern, der im chinesischen Fernsehen hinreichend gezeigt wird. Die chinesischen Vorurteile gegenüber der Außenwelt wird dieses Mega-Sportereignis allerdings kaum verringern helfen - auch oder gerade weil es an den meisten Chinesen weitgehend vorbeigeht. Sie können es sich wegen der "westlichen" Eintrittspreise und der weiten Reise zu den Veranstaltungsorten kaum leisten, direkt daran teilzunehmen. Aber auch Zuschauen auf öffentlichen Großleinwänden schafft, wie wir alle gerade erfahren haben, ein erhöhtes Nationalbewusstsein. Aber haben dies die Chinesen wirklich nötig? Und welche Konsequenzen hätte das?

Und dennoch sollten wir uns alle auf dieses, wie auf jedes andere, sportliche Großereignis freuen. Wenn die besten Sportler der Welt sich in ihre Leistungen messen, dann gibt uns das Hoffnung auf eine bessere Welt, wenn auch nur kurzfristig.

Der Autor lehrt Sinologie an der Universität zu Köln.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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