Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 07.08.2006
Sabine Muscat

Stichwort: Wachstumsbranchen

Indien und Wachstum - wer diese Begriffe zusammen denkt, landet automatisch bei der Informationstechnologie. Sie war in den vergangenen Jahren die wichtigste Wachstumsbranche des Landes. Nach Schätzungen des Branchenverbandes Nasscom wird der Sektor nach Steigerungen von rund 30 Prozent in den Vorjahren auch im Finanzjahr bis März 2007 um mindestens 25 Prozent zulegen. Dabei seien erst weniger als zehn Prozent des Marktpotenzials für Software und Dienstleistungen ausgeschöpft, sagt Verbandspräsident Kiran Karnik. Die Verlagerung von Softwareentwicklung und IT-Dienstleistungen nach Indien haben in den westlichen Ursprungsländern Debatten ausgelöst, die zwischen Begeisterung und Angst schwanken. Dabei geriet oft aus dem Blick, dass Indien mehr ist und mehr sein will als nur ein Produzent von Computerspezialisten. Das Land hat den Anspruch, in allen Spitzentechnologien führend zu sein. So empfiehlt es sich als Forschungsstandort für Biotechnologie und Pharma, aber auch in der Raumfahrt.

280 Biotechnologie-Unternehmen gibt es heute in Indien, die zusammen mehr als 1 Milliarde US-Dollar im Jahr erwirtschaften. 2010 sollen es 5 Milliarden Dollar sein. Wachstumspotenzial wird Indien auch in der Pharmabranche bescheinigt. Das Land hat sich als Hersteller von billigen Nachahmerpräparaten etablierter Medikamente (Generika) weltweit einen Ruf gemacht. Die Kosten für die Arzneimittelherstellung liegen bis zu 70 Prozent niedriger als in Industrieländern, die Entwicklungszeit neuer Medikamente ist kürzer. 15 der 20 weltweit führenden Pharmakonzerne sind heute in Indien präsent.

Neue Chancen für Unternehmen

Indiens Aufschwung und die Bedürfnisse der wachsenden Mittelschicht bieten neue Chancen für Unternehmen, die den Binnenmarkt im Blick haben. Mit rund 14 Prozent jährlicher Steigerung ist der Automobilsektor einer der Wachstumsstars. Der Zuliefersektor wächst sogar mit Raten von um die 19 Prozent. Ein schnelles Tempo legt auch die Medienindustrie vor: Von einem öffentlichen Fernsehsender hat es Indien in wenigen Jahren auf 350 verschiedene Kanäle gebracht. Der Markt für Fernsehwerbung wird auf mehr als 1 Milliarde US-Dollar geschätzt.

Die Mittelschicht will ihr Geld nicht nur ausgeben, sondern es auch sparen. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass das Privatkundengeschäft der Banken sich bis 2010 auf einen Umsatz von 16,5 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln wird. Ein lohnendes Geschäft ist die Immobilienfinanzierung. Nicht nur der Wohnungs- und Büromarkt boomt. Nach einem Bericht von Merrill Lynch dürfte die Zahl der Einkaufszentren in Bombay, Bangalore, Delhi, Haiderabad und Pune von derzeit 40 auf 250 steigen.

Nicht in jedem Sektor haben es internationale Unternehmen leicht, Fuß zu fassen. Ausländische Banken haben noch keinen unbegrenzten Marktzugang - ihre Töchter sollen indischen Geldinstituten erst im Jahr 2009 gleichgestellt werden, Beteiligungen an indischen Banken sind nur bis zu 74 Prozent erlaubt. Im Mediensektor wurden die Beschränkungen für ausländische Beteiligungen gelockert, sind aber immer noch streng. Und die lokale Konkurrenz ist stark. Der Markt für Arzneimittel ist fest in einheimischer Hand: Indische Firmen kontrollieren 70 Prozent des Marktes. Und sie schlucken sogar ihre ausländischen Konkurrenten. So kaufte der indische Generikaproduzent Dr. Reddy's im Februar den deutschen Hersteller Betapharm.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.