Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 21.08.2006
Barbara Lich

Nebelkerzen und Vorurteile

Politische Worte und Begriffe

Wörter sind Vorurteile", schreibt Wolf Schneider, "Wörter sind Mumien, die keiner entsorgt. Wörter sind Nebelkerzen, die unsere Politiker abbrennen, weil sie nicht erläutern wollen oder selbst nicht wissen, was sich dahinter verbirgt." Dass sich Schneider, Journalist und deutscher Vorzeige-Sprachpurist, stets um den korrekten Ausdruck bemüht, um Genauigkeit und Präzision, das ist spätestens seit seinem Klassiker "Deutsch für Profis" bekannt. In der Kolumnensammlung "Wörter waschen" hat der ehemalige Leiter der Hamburger Journalistenschule nun mehr als zwei Dutzend Reinigungsversuche unternommen. Der Untertitel: "26 gute Gründe, politischen Begriffen zu misstrauen". Wer da eine Unwort-des-Jahres-Liste erwartet, wird enttäuscht, sind doch die Ausdrücke viel alltäglicher: Armut, Freiheit, Lebensqualität. Oder Mut, Glück, Neid, Paradies, Fortschritt.

Schneider hat diese Begriffe eingeweicht und gekocht, geschleudert, über sein mentales Waschbrett geschrubbt und hernach wieder ausgewrungen - ursprünglich für das Magazin "NZZ Folio", in dem die Kolumnen in den Jahren 2003 und 2004 in der Rubrik Sprachlese erschienen sind.

Der Autor ordnet die Begriffe in ihren historischen Kontext, stellt Ursprungsbedeutung und aktuellen Sprachgebrauch gegenüber, zeigt verbale Unschärfen. So fragt er etwa: "Der Fortschritt - wohin führt uns der eigentlich? Fort von hier? Irgendwohin?" oder "Was also ist das, Freiheit?". Auf letzteres antwortet er zugleich: "Juristisch definiert ein schönes Anrecht - sonst ein Wortfetisch im Mund von Sonntagsrednern." Der Selbstverwirklichung ergeht es bei Schneider kaum besser: "Als modische Münze ist sie entweder ein Irrtum oder ein Tarn- und Schmeichelwort für Faulheit, Egozentrik, Nabelschau und den Hass auf alle Pflichten." Manch einen Begriff wäscht Schneider jedoch auch von seiner negativen Konnotation rein: den Neid zum Beispiel, der der Gerechtigkeit zuträglich sei. Oder die Vorurteile: "Unser Leben ist zu kurz, und seine Gefahren sind zu groß, als dass wir es uns erlauben könnten, uns unsere Meinungen erst dann zu bilden, wenn wir sie auf eine faire Menge von Erfahrungen stützen können."

Verwässert und verschoben

Schon Bert Brecht hatte 1920 übrigens eine Reinigung der Sprache empfohlen, an seine Äußerung ist der Titel von Schneiders Kolumnen-Band angelehnt. Ohne Zweifel: Brecht wie Schneider haben Recht. Die Originalbedeutung vieler Wörter, die wir Tag für Tag bedenkenlos gebrauchen, die in politischen Reden und Kampagnen ihren Dauereinsatz haben, ist heute kaum noch bekannt, hat sich im Verlauf der Zeit verwässert, nicht selten hat sich ihr Sinn sogar komplett verschoben. Zudem hilft die Schwammigkeit der Begriffe manchmal der Schwammigkeit der Gedanken im Hirn des Benutzers: Vieldeutigkeit und Interpretationsspielraum kommen gerade demjenigen entgegen, der bewusst verschleiern will. Da kann man von Gleichheit reden, Ähnlichkeit meinen und keiner hat es gemerkt.

Es ist gut, ein Bewusstsein für Sprache zu entwi-ckeln, gerade in der Politik, in den Medien, aber auch in der Gesellschaft generell. Ein gesunder Skeptizismus gegenüber großen Begriffen ist hilfreich beim Dechiffrieren des Gesagten und beim Zwischen-den-Buchstaben-lesen. Aber: Schneider lässt sich in seine Formulierungen fallen wie einst die Lenor-Flasche in den flauschigen Handtuchberg im Werbespot des Weichspüler-Herstellers. Der Autor schwelgt ein bisschen zu genüsslich in seinen Gedanken - und in jenen von Moses, Platon, Marx oder Kafka, von Goethe, Kant, Büchner oder Schopenhauer. Denn seine Kolumnen sind nicht zuletzt Zitatsammlungen, freilich elegant zu einem verbalen Gesamtkunstwerk verbunden. So sind die Texte mal unterhaltend, mal amüsant, mal interessant. Nur so richtig im Kopf kann man sie leider nicht behalten. Daher dürften sie wohl auch nur wenig Einfluss auf einen potenziell reinen Sprachgebrauch haben. Nun, mit der Wäsche ist das ja ähnlich: Auch die bleibt nicht dauerhaft sauber. Man benutzt und verschmutzt sie und manch ein Fleck setzt sich trotz Intensivbehandlung so hartnäckig im Textil fest, dass man fast vergisst, wie das Kleidungsstück mal makellos ausgesehen hatte.

 

Wolf Schneider: Wörter waschen. 26 gute Gründe, politischen Begriffen zu misstrauen. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2006, 156 S., 10 Euro.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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