Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 21.08.2006
Cordula Tutt

Einträgliche Nachforschungen

Geheime Kontenabfrage

Der Sachbearbeiter vom Finanzamt fragte am Telefon, wie der Makler sein Haus für 300.000 Euro finanziert habe - so ohne Eigenkapital. Der Mann aus Berlin war erbost: "Das geht Sie nichts an!" Und merkte zu spät, dass die Steuerbehörden einige Register zogen. Nach einer Kontoabfrage über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) entdeckte das Amt ein unbekanntes Konto bei einem Discount-Broker. Was folgte, ist schon Alltag für den Fiskus: Bankdaten wurden eingefordert, angeschaut und verglichen. Der Makler hatte es wohl nicht immer genau genommen mit den Kapitalerträgen. Er musste mehr als 12.000 Euro Steuern nachzahlen.

Aber nicht nur solche Fälle durchleuchten Behörden seit April 2005. Seither ist eine umfangreiche Kontenabfrage möglich. Das umstrittene "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" erlaubt Finanz- und Sozialämtern, Arbeitsagenturen oder BAföG-Stellen, auf die Konto-Stammdaten mutmaßlicher Steuersünder zuzugreifen. Dabei dürfen sie Name, Adresse und Geburtsdatum des Inhabers und die Kontonummer abrufen. Ziel der Anfragen ist, nicht deklarierte Einkünfte zu finden. Verdächtig ist jemand, der hohe Werbungskosten für Bankberatungen ausweist, aber angeblich die richtige Anlageform nicht findet - und kaum Kapitalerträge erzielt. Erfolgsmeldungen kommen bei der Erbschaftsteuer. In Finanzämtern gehen nach dem Tod eines Bürgers automatisch Meldungen der Banken über entsprechende Konten ein. Betrug kann teuer werden oder zur Strafanzeige führen.

Immer wieder trifft es aber auch Leute, ohne dass sie etwas falsch gemacht haben oder ausreichend Verdacht besteht. Es reicht Beamten manchmal, wenn "Zweifel" an der Steuererklärung bestehen. Das Gesetz wird "teils sehr großzügig" ausgelegt, klagen Verbraucherschützer und Banker, die den Zugang zu Daten ermöglichen müssen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück verweist darauf, dass der Staat ein Recht habe, Transparenz herzustellen und Steuern einzutreiben. Durch die Abfragen kämen verborgene Konten ans Licht. "In Einzelfällen konnten mehrere 100.000 Euro durch Vollstreckung eingenommen werden", sagt Steinbrück.

Das Nachforschen ist für den Staat einträglich. Die Bürger müssen auch mit stetig mehr Abfragen rechnen, weil ab 2007 ein neues Verfahren kommt. Zur Zeit fordern Beamte die Kontoinformationen etwa 1.500 Mal im Monat an. Die Banken haben sich aber verpflichtet, bald mindestens 5.000 Abfragen zu ermöglichen - pro Tag und pro Kreditinstitut. Es sei denn, das Bundesverfassungsgericht verhindert das. Das wünschen sich Banker und Datenschützer, die das Verfahren als nicht mehr verhältnismäßig sehen.

Noch 2006 will das oberste Gericht über eine Verfassungsbeschwerde entscheiden, die die Volksbank aus dem westfälischen Raesfeld eingelegt hat. Deren Vorstands-

chef Hermann Burbaum ist erbitterter Gegner des Gesetzes, inzwischen wird er auch von seinem Verband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) unterstützt. "Damit wird ein Volk unter Generalverdacht gestellt", wettert der Bankvorstand. "Datenschutz und Bürgerrechte spielen weder bei CDU noch bei SPD noch eine Rolle." Burbaum warnt, das Bankgeheimnis sei bald am Ende. "Das trifft den Finanzplatz Deutschland und macht sich irgendwann auch bei Wachstum und Wohlstand bemerkbar." In Bayern wanderten Privatleute und Mittelständler mit ihrem Geld ins benachbarte Österreich.

Dort gilt eine Abgeltungssteuer, die Experten auch hier fordern. Banken führen die Steuer für ihre Kunden ab - einen bestimmten Prozentsatz für Zinsen und Dividenden sowie Veräußerungsgewinne. "Diese Steuer an der Quelle wäre der richtige Weg", sagt Harald Noack, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Banken. Auch reichten bisherige Gesetze aus, um Steuersünder zu finden.

Die simple Abgeltungssteuer will auch der Westfale Burbaum. Der Volksbanker hält seine Branche für mitverantwortlich an dieser Lage. "Ich kritisiere auch massiv meine eigenen Leute, dass sie so weit dem Druck des Staates nachgegeben haben." Ohne Zutun der Banken sei die Vereinbarung für mehr Kontenabfragen ab 2007 nicht möglich gewesen. Dabei sei vielen klar, dass sich die Behörden nicht immer an die Regeln hielten, die das Verfassungsgericht bereits bestimmt hat.

Die Richter hatten vorläufig festgelegt, dass die Abfragen nur in engen Grenzen möglich sein sollten. So muss ein Sachbearbeiter seinen Wunsch begründen und ein Vorgesetzter den Antrag unterschreiben. Die "Dokumentation" soll sichern, dass die Nachforschung plausibel ist und gerichtlich geprüft werden kann. Auch müssen Betroffene informiert werden. Volksbank-Chef Burbaum verweist aber auf die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens. Die habe hier gravierende Verstöße festgestellt. In neun von zehn Fällen hätten die Beamten weder die Abfragegründe dokumentiert noch die betroffenen Bürger informiert.

Das bereitet auch vielen Verbraucherschützern Probleme. Statt Transparenz herrscht Misstrauen, was der Staat tatsächlich in Erfahrung bringt. "Wir wollen hier zumutbare Rahmenbedingungen", sagt Manfred Westphal vom Verbraucherzentrale Bundesverband e.V (vzbv). "Bisher läuft das wohl einfach, ohne dass Bürger immer etwas erfahren." Alle tappten im Dunkeln. "Mir bereitet das ein schlechtes Gefühl in der Magengegend." Die Verbraucherschützer sehen auch möglichen Missbrauch, wenn das Verfahren im größeren Stil auf Hartz-IV-Empfänger angewendet wird.

Das bestreitet eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. "Die Empfänger des Arbeitslosengelds II sind vom Gesetz ausdrücklich ausgenommen", sagt Ilona Mirtschin. Zwar hat die Arbeitsbehörde im Dezember 2005 erstmals 2,45 Millionen Menschen überprüft, die diese staatliche Stütze erhalten. Doch das bedeute nur, dass geprüft werde, ob jemand einen Bank-Freistellungsauftrag für Kapitaleinkünfte habe. In bestimmten Fällen wird dann angenommen, dass jemand mehr Geld als angegeben hat. "Wenn es da einen Verdacht gibt, muss der Leistungsbezieher selber offen legen, wie sein Vermögen aussieht", sagt Mirtschin. Weiter gehe die Prüfung nicht. Die Bundesagentur schöpfte in rund 23.000 Fällen Verdacht, 4.200 mal fiel der Anspruch auf die Arbeitslosenhilfe weg.

Die Autorin ist Politikredakteurin bei der "Financial Times Deutschland" in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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