Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 21.08.2006
Monika Pilath

Der Langzeitarbeitslose im Glashaus

Die Hartz-IV-Reformen werfen bei Datenschützern Fragen auf

Wer Arbeitslosengeld II (ALG II) bezieht, dessen persönliche Verhältnisse dürfen neuerdings stärker durchleuchtet werden als die anderer Bürger. Seit 1. August ist das so genannte Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz in Kraft - ein Ziel ist die bessere Eindämmung möglichen Leistungsmissbrauchs. Einige der neuen Regelungen sind aus datenschutzrechtlicher Sicht bedenklich. Dazu zählt der automatische Datenabgleich etwa zur Aufdeckung verschwiegener Leistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar monierte bereits in seiner Stellungnahme zur Bundestagsanhörung im Mai, dass nicht zu überprüfen sei, ob ein solcher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig ist. Die Koalition habe dazu keine Fakten vorgelegt.

Neuerdings sind die mit Hartz IV befassten Arbeitsgemeinschaften beispielsweise verpflichtet, einen Außendienst zur Missbrauchsbekämpfung einzurichten. Die Sprecherin des Bundesdatenschutzbeauftragten, Ira von Wahl, bekräftigte auf Anfrage die Forderung, "dass verbindliche, allgemeine Handlungsanweisungen für diese Außendienstmitarbeiter geschaffen werden, damit ein einheitliches, transparentes Vorgehen gewährleistet ist". Unzweifelhaft seien Hausbesuche nur mit vorheriger Zustimmung des Betroffenen und als Ultima Ratio zulässig, so von Wahl, keinesfalls dürften sie im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung, zum Beispiel bei Erstanträgen, erfolgen.

Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) sieht darin keine Probleme: Die Einrichtung von Außendiensten obliege den einzelnen Trägern, welche "selbstverständlich an die Bestimmungen des Datenschutzes gebunden" seien, so eine Sprecherin zu dieser Zeitung.

Seit 1. August können die Behörden Langzeitarbeitslose in der Zeit von 8.00 bis 20.00 Uhr aber auch zu Hause anrufen und Informationen verlangen. Diese telefonischen Befragungen von Arbeitslosengeld-II-Beziehern, beruhigt das Ministerium die Kritiker, trügen dem Datenschutz jedoch ebenfalls Rechnung. Ira von Wahl bestätigt das: Anfängliche datenschutzrechtliche Schwierigkeiten seien ausgeräumt worden. Anrufe würden nun nach einem mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten abgestimmten Gesprächsleitfaden geführt, zudem seien die Forderungen ihrer Behörde nach einer postalischen Vorabinformation der ALG-II-Empfänger und dem deutlichen Hinweis im Gespräch auf die freiwillige Teilnahme erfüllt worden.

Alle datenschutzrechtlichen Defizite der Reform sind damit aber nicht beseitigt. Vor allem die Hartz-IV-Software A2LL bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) bereitet den Datenschützern Sorgen. Nach Informationen der Grünen-Fraktion im Bundestag haben zurzeit 40.000 Mitarbeiter Zugriff auf die zentral in Nürnberg in einer Datenbank hinterlegten Angaben der ALG-II-Bezieher - und damit auf sensible Daten über Drogensucht, Vorstrafen oder Eheprobleme. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern haben das Fehlen entsprechender Berechtigungskonzepte und eine Protokollierung der Zugriffe mehrfach angemahnt. Das BMAS hat nun eine Kleine Anfrage der Grünen zum Anlass genommen, zu reagieren: Es habe, so das Ministerium, den A2LL-Anbieter T-Systems, eine Telekom-Tochter, aufgefordert, "die datenschutzrechtlichen Unzulänglichkeiten des IT-Verfahrens bis Ende des Jahres zu beheben" und "ein mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten abgestimmtes Berechtigungskonzept sowie eine vollständige Protokollierung der Suchanfragen bis 31. Dezember 2006" sicherzustellen.

Ira von Wahl dazu: "Wie weit die Arbeiten gediehen sind, ist dem Bundesdatenschutzbeauftragten nicht bekannt. Er ist daran bisher nicht beteiligt worden."

Die Autorin ist Redakteurin bei "Das Parlament".


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