Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 21.08.2006
Sven Stillich

Lauschangriff aus dem Internet

Wer im Netz unterwegs ist, hinterlässt zwangsläufig Spuren
Es gibt Sätze, die immer wieder fallen, wenn sich Leute über das Internet unterhalten. Etwa: "Haben Sie denn kein schlechtes Gewissen, wenn Sie illegal Musik aus dem Netz laden? Nö. Weiß doch keiner." Oder: "Surfst Du auch immer während der Arbeit zu Ebay? Klar. Bekommt doch keiner mit." Das Schlimmste an diesen Antworten ist nicht mal die bequeme "Mich erwischt doch eh niemand"-Mentalität. Das Schlimms-te ist: Sie sind alle falsch. So erschreckend falsch, dass in jedem Fall sogar das Gegenteil richtig ist.

Jeder hat etwas zu verbergen - nur das ist sicher. Alles, was jemand im Internet anstellt, kann ein anderer mitbekommen, wenn er es denn wissen will. Denn jeder hinterlässt digitale Spuren seines Tuns. Und das nicht nur online, sondern auch außerhalb des Netzes. Im Normallfall gibt es keine Anonymität.

Der Computer ist in den vergangenen Jahrzehnten für viele privat und beruflich zu einem universellen und oft sehr persönlichen Werkzeug geworden. Das heißt: Wer heute einen tiefen Blick in einen fremden PC wirft, erfährt sehr viel über den Alltag und die Vorlieben des Besitzers. Denn der hinterlässt dort Spuren, sobald er mit seinem Computer arbeitet. Das Textverarbeitungsprogramm zeigt an, welche Briefe der Anwender zuletzt geschrieben hat (und auf Wunsch sogar, wie oft der Text an welchen Stellen wann von wem bearbeitet wurde). Der MP3-Player auf dem Monitor offenbart seinen Musikgeschmack. Und wer sich nicht die Mühe macht, den "Papierkorb" auf dem Desktop zu löschen, offenbart jedem noch dazu, was er nicht (mehr) so wichtig findet. Viele User wissen nicht einmal, dass sich sogar gelöschte Dateien meist recht leicht wieder hervorzaubern lassen. Nur weil etwas als "gelöscht" angezeigt wird, ist es noch lange nicht wirklich weg. Das Auktionshaus Ebay ist voll von Leuten, die sich einen Spaß daraus machen, gebrauchte Festplatten zu ersteigern - um dann nach Herzenslust in fremden Daten und unbekannten Leben herum zu stöbern.

Das klingt bedenklich (und schon jetzt werden sich viele fragen, ob ihnen das so recht wäre). Aber noch interessanter wird es, wenn das Internet ins Spiel kommt. Denn auch der Browser zeigt natürlich jedem noch so Unbefugten, welche Websites der Benutzer in den vergangenen Stunden oder Wochen besucht hat. Das macht er zu Hause, aber auch auf der Arbeit. Er zeigt den Surfverlauf der Geliebten, dem Ehemann, dem Abteilungsleiter, der Chefin - kurz: jedem, der in der Lage ist, eine Maus zu bedienen. Es kommt aber noch schlimmer: Der Computer speichert auf der Festplatte jedes Bild ab, das er in all dieser Zeit aus dem Internet geladen hat. Das macht er nicht, weil er es böse mit dem Benutzer meint - im Gegenteil, er meint es sogar gut: Denn was auf der Festplatte liegt (im "Cache", dem Zwischenspeicher), kann er schneller auf dem Bildschirm anzeigen, weil er es nicht noch einmal extra aus dem Internet saugen muss. Wird der Cache jedoch nicht gelöscht, eröffnet sich jemandem, der "zufällig" darüber stolpert, ein vollständiges Surfprofil des Anwenders der vergangenen Tage bis Monate. Da muss noch nicht einmal etwas Kompromittierendes dabei sein. Viele PC-Benutzer dürften sich trotzdem unwohl fühlen bei der Vorstellung, dass ihnen potenziell jemand beim Surfen über die Schulter guckt. Nur: Kaum jemand tut etwas dagegen.

Doch kommen wir erst zum Internet selbst: Bislang ging es dort lediglich um "digitale Fingerabdrücke" die viele Anwender willentlich (und meist unwissentlich) auf ihren PCs hinterlassen. Bewegt sich der Rechner durch das Internet, potenzieren sich diese Spuren jedoch. Dann gibt er bei jedem Schritt preis, wo er sich befindet. Im Normalfall wird das gleich an mehreren Stellen gespeichert - beim Provider zum Beispiel, aber auch von jeder Website, zu der man surft. Die weiß, welcher Rechner sich mit ihr verbindet. Und merkt sich das. Sie weiß sogar, von welcher Website man gerade kommt. Es gibt keine Anonymität im Netz, kein "weiß doch keiner", außer man benutzt spezielle Programme oder Dienste und Server im Internet.

Ist der Rechner mit dem Netz verbunden, finden sich darauf jedoch auch immer Spuren, die Websites auf dem PC hinterlassen - willentlich und wissentlich. Am häufigsten kommt dabei ein so genanntes "Cookie" zum Einsatz, das eine Website auf der Festplatte eines Computers speichert. Dieses "Kekschen" ist eine Textdatei, die sich in jedem Editor leicht anzeigen lässt, die aber trotzdem selten preisgibt, was sie genau auf dem Rechner will. Die Suchmaschine "Google" zum Beispiel schenkt jedem, der sie benutzt so einen Keks. Schaut man sich an, was drinnen steht, sieht man so etwas: 6c406c0613727c17. Was das ist? Das ist ein eindeutiger Schlüssel, der den PC gegenüber Google identifiziert. Nirgendwo auf der Welt gibt es einen weiteren Rechner, der in seinem Cookie diese Nummer trägt: Google weiß also, welche konkreten Suchabfragen von diesem Rechner gestartet werden. Wer davor sitzt, weiß Google zwar nicht. Aber da die Firma inzwischen viel mehr ist als nur eine Suchmaschine, könnte es eine Vielzahl an Möglichkeiten geben, Vorlieben und Konsumwünsche eines speziellen Anwenders herauszubekommen.

Nutzt er zum Beispiel den Dienst "Google Mail" und meldet sich dort an, kann ihn das Cookie bereits eindeutig als Person identifizieren. Wonach er sucht, weiß Google bereits, wofür er sich sonst interessiert, bekommt die Firma nun heraus: Schließlich durchsucht "Google Mail" maschinell alle eingehenden Mails nach...tja. Das weiß niemand. Und das ist genau das Problem: Google sagt nur, dass die Nachrichten von Computern (nicht von Menschen) gescannt werden, um zielgerichtet Werbung auf den Bildschirm bringen zu können. Wonach genau die Mails durchsucht werden, sagt Google nicht. Was gespeichert wird, weiß niemand. Wie die vielen Informationen bei Google mit anderen verknüpft werden, was mit den gewonnen Erkenntnissen passiert - all das gibt Google nicht preis. So bleibt nur, zu sagen, was möglich wäre: Dass Google mit der Zeit ein sehr detailliertes Profil eines Nutzers zeichnen könnte. Zeit genug hätte das Unternehmen dafür. Die meisten Cookies, die Internetfirmen auf den Festplatten ihrer Kunden speichern, verfallen automatisch, wenn die Website verlassen wird. Oder nach einem Tag. Oder einigen Tagen. Bei Google ist das anders. Deren Cookie hat zwar auch ein eingebautes Verfallsdatum, aber ein sehr weit entferntes: Das Google-Cookie verfällt am 17. Januar 2038. Wer bis dahin seinen Rechner löscht oder sich einen neuen PC kauft, bekommt von Google einfach einen neuen Schlüssel. Der ist dann wieder haltbar bis zum Januar im fernen Jahre 2038.

Es bleibt festzuhalten: Natürlich ist Google nicht böse, weil es einen Keks auf der Platte lagert. Das machen andere auch. Sonst würde Internet- shopping gar nicht funktionieren. Auch andere Web-Unternehmen versuchen, so viel wie möglich über ihre Kunden herauszufinden. Sonst wäre Einkaufen im Netz bei weitem nicht so bequem und interessant - weil man dann zum Beispiel nicht wüsste, für welche Bücher sich andere Leser interessieren, die dasselbe Buch gekauft haben wie man selbst. Mit Bewegungs- und Kundenprofilen im Internet werden wir leben müssen.

Es gibt nur ein Problem: Wir müssen aufhören, so zu tun, als würde sich niemand für uns im Internet interessieren und als hätten wir nichts zu verbergen. Jeder fühlt sich wohler, wenn er das Gefühl hat, dass seine Privatsphäre in guten Händen ist. Nur dazu gehört auch ein mündiger Surfer. Jemand, der sich dafür interessiert, was im Internet passiert - und wie er sich und seine Daten schützen kann. Dann wäre schon viel gewonnen.

Der Autor ist Redakteur beim "stern" in Hamburg im Ressort Auto, Computer und Technik.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.