Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 21.08.2006
Johanna Metz

Editorial

 

Es ist ein beklemmender Gedanke: Die Vorstellung, dass irgendwo auf dieser Welt ein gigantischer Server steht, der alle je über uns gesammelten Daten feinsäuberlich speichert und analysiert und sich von jedem Ort der Erde aus ansteuern lässt. Gäbe es ihn, es bräuchte nur einen Mausklick, um alles über einen Menschen zu erfahren. Hat Bürger X Schulden? Legt er Wert auf teure Klamotten und neueste Technik? Hat er eine Krankheit? Besucht er Pornoseiten im Internet? Klaut er? Und was verdient er überhaupt?

Ein paar Fragen nur und das Leben des Bürgers, Arbeitnehmers und Konsumenten X läge offen vor uns wie der Schaltplan eines Elektrogeräts. Jetzt muss der an X interessierte Nutzer nur noch die richtigen Knöpfchen bedienen. Ganz einfach: Die Banken werden X keine Kredite mehr geben, wenn sie erst von seinen Schulden erfahren. Supermärkte und Modeboutiquen werden ihm eigens auf ihn zugeschnittene Werbung schicken, wo sie doch nun wissen, was er gerne kauft. Und surft X erst mal im Internet, werden prompt viel versprechende bunte Banner aufleuchten, die ihn direkt auf die neuesten Erotikseiten führen. Vielleicht kann der ahnungslose Bürger aber auch bald keine Lebensversicherung mehr abschließen, weil die Versicherung erfährt, dass er Diabetes hat. Oder er bekommt den begehrten Job nicht, weil sein künftiger Chef Wind bekommt von seiner Klaustrophobie. Eine Utopie? Die Panikmache von Menschen, die zu viel Orwell gelesen haben?

Leider nicht. Denn auch wenn ein solches digitales Superhirn offenbar noch nicht existiert; es gibt sie längst, die vielen kleinen und größeren Lauschstationen, in denen unsere individuellen Profile, ja letztlich Teile unserer Lebensgeschichte lagern, ohne dass wir davon je etwas zu Gesicht bekommen. Schlimmer noch: Kein Datenschutzbeauftragter und keine Datenschutzrichtlinie kann wirklich etwas dagegen tun. Wir haben die Kontrolle über unsere Daten längst verloren.

Warum ist das so? Weil die Gesetze nicht ausreichen oder weil andere Menschen gegen unseren Willen Daten von uns verbreiten und auswerten? Auch. Viel wichtiger aber ist die Erkenntnis: In den meisten Fällen sind wir selber schuld. Denn wir gehen mit unseren Daten um, als wären es Seifenblasen, die platzen, kaum dass man sie in die Luft gepustet hat. Doch Pustekuchen: Tatsächlich schwirren unsere Daten wie feiner Staub durch den digitalen Äther, unsichtbar, dafür aber hartnäckig und beweglich wie Treibsand. Wer sich für diesen Datenstaub interessiert, braucht ihn nur einzufangen - von uns unbemerkt, mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand.

Besonders einfach ist das im World Wide Web: Wer dort chattet oder in Foren seine Probleme, Neigungen und Wünsche offenbart, muss wissen, dass er es vor den Augen der versammelten Netz-Gemeinschaft tut. Noch Jahre später können Millionen die Einträge lesen - auch der Chef oder der eigene Ehemann. Aber wir hinterlassen noch viel mehr digitale Spuren: Wir wickeln unsere Bankgeschäfte im Internet ab und zahlen im Online-Shop freimütig mit unserer Kreditkarte. Wir beteiligen uns an Gewinnspielen und schreiben dafür unsere Adressen, Geburtsdaten, Telefonnummern und E-Mail-Adressen auf bunte Kärtchen. Wir gehen mit unseren Kundenkarten einkaufen und sammeln im Supermarkt fleißig "HappyDigits". Wer macht sich schon Gedanken darüber, dass wir mit alldem Menschen in die Lage versetzen, individuelle Profile über uns zu erstellen?

Eigentlich ist die Sache klar: Datenschutz funktioniert nur, wenn wir alle besser auf unsere Daten aufpassen. Und wenn wir sie als das behandeln, was sie sind: nämlich zutiefst persönliche, ja intime Informationen darüber, wer wir sind und wie wir leben.

Die Autorin ist Volontärin bei "Das Parlament".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.