Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 04.09.2006
Alexander Weinlein

Der ganz normale Wahnsinn

Zwei Romane zum Thema Selbstmordattentate
Selbstmordattentate - dieser Stoff schreit nach literarischer Verarbeitung. Ob sie in den Ländern des westlichen Kulturkreises allerdings dazu beitragen kann, dieser erschreckend alltäglichen Erscheinungsform islamistischen Terrors mehr als nur angewiderte Ratlosigkeit entgegen zu bringen, ist eine andere Frage. Nun haben sich zwei Schriftsteller an den Stoff gewagt, deren Hintergrund kaum unterschiedlicher sein könnte - der Amerikaner John Updike und der Algerier Mohammed Moulessehoul, der seine Romane unter dem Pseudonym Yasmina Khadra publiziert. Schon aus diesem Grund lohnt die Lektüre.

Immer wieder erschüttert es mich", schrieb 1998 der Terrorexperte Bruce Hoffman, "welch unerwartet ,normalen' Eindruck die meisten Terroristen hinterlassen, wenn man sich wirklich mit diesen Menschen zusammensetzt und mit ihnen redet. Viele von ihnen unterscheiden sich deutlich von den glutäugigen Fanatikern oder wahnsinnigen Killern, die wir zu erwarten gelernt haben." Yasmina Khadra und John Updike präsentieren mit ihren Hauptfiguren weder glutäugige Fanatiker oder wahnsinnige Killer. Ganz im Gegenteil: Sie erscheinen nicht nur als völlig "normale" Menschen, sondern gehören obendrein jenen Bevölkerungsschichten an, die jeglicher terroristischer Neigungen unverdächtig erscheinen.

In Yasmina Khadras "Die Attentäterin" ist es die Araberin Sehim, die mit ihrem Ehemann Amin Jaafari in einem schönen Haus in einem schönen Viertel von Tel Aviv lebt. Sie besitzen einen israelischen Pass, Amin arbeitet als angesehener Arzt in einem Krankenhaus, unterhält freundschaftliche Beziehungen zu seinen jüdischen Kollegen und in die besseren Kreise. Voll integriert in die israelische Gesellschaft führen die beiden seit 15 Jahren eine scheinbar glückliche Ehe. Doch ein Terroranschlag setzt dem schönen Schein ein Ende. Eine Selbstmordattentäterin sprengt sich zusammen mit 17 Menschen - größtenteils Kindern - in einem Restaurant in die Luft. Es ist Sehim.

Die Ausgangslage stellt sich in John Updikes "Terrorist" nicht unähnlich dar. Der 18-jährige Ahmed Mulloy Ashmawy könnte ein ganz durchschnittlicher, angepasster Junge von der Ostküste der USA sein. Der Sohn einer irischen Mutter und eines Ägypters - der Vater hat seine Frau verlassen als Ahmed gerade drei Jahre alt ist - steht kurz vor dem High-School-Abschluss. Er ist ein braver Schüler, seine guten Noten könnten dem Abkömmling des viel zitierten "melting-pot" ein Stipendium für den College-Besuch ermöglichen und damit den endgültigen Eintritt in die Gesellschaft der unbegrenzten Möglichkeiten. Doch Ahmed hat sich dem fundamentalistischen Islam verschrieben. Seine Gedanken hangeln sich von einer Koran-Sure zu nächsten, das kapitalistisch-liberale Amerika stößt ihn ab. Es ist zu egoistisch, oberflächlich, gottlos, materialistisch, voll von Sex, Drogen und Gewalt. Unrein eben. Seine Mitschülerinnen erscheinen ihm als verführerische Teufel. "Diese Teufel wollen mir meinen Gott nehmen." Angeleitet von einem dubiosen Imam namens Rashid in einer Hinterhof-Moschee kapselt sich Ahmed ab und beginnt seinen Weg, der ihn in einen sprengstoffbeladenen Lkw führen wird, mit dem er sich im Lincoln-Tunnel nach Manhattan in die Luft sprengen will.

Die Reaktionen auf die beiden lesenswerten Romane hätten nicht unterschiedlicher ausfallen können: Während der sonst so hoch gelobte und mehrfach ausgezeichnete, darunter mit zwei Pulitzerpreisen, Updike für seinen "Terrorist" gescholten wurde - den Kritikern war Ahmed entweder zu sympathisch oder zu stereotyp gezeichnet - avancierte Khadras "Attentäterin" in Frankreich zum 150.000 mal verkauften Bestseller, der unter anderem den Preis der Buchhändler 2006 erhielt und nun verfilmt werden soll.

Die Kritik, er zeige zu viel Sympathie für "seinen" Terroristen, verbinde all zu gängige antiamerikanische und antikapitalistische Ressentiments mit islamistischen Lehren, hat Updike mit folgenden Worten zurückgewiesen: "Es gibt genug Menschen, die vor der arabischen Bedrohung warnen. Da darf man es mir zugestehen, den jungen Mann so sympathisch darzustellen, wie es mir möglich ist. Er ist mein Held. Ich habe versucht, ihn zu verstehen und seine Welt zu beschreiben." Das Unverständnis vieler seiner Landsleute dürfte ihm für diese Äußerung im Jahr Fünf nach dem 11. September gewiss sein.

Sein im französischen Exil lebender Kollege Mohammed Moulessehoul, alias Yasmina Khadra, würde Updike vielleicht entgegen halten, dass er als Angehöriger des westlichen Kulturkreises überhaupt nicht in der Lage sei, sich in die Gefühlslage islamistischer Selbstmordattentäter zu versetzen. "Für Sie als Europäer ist es unmöglich, Terrorismus zu verstehen. Sie kennen einfach die Mentalität der Araber, der Muslime nicht", sagte der Schriftsteller erst kürzlich in der 3-Sat-Sendung "Kulturzeit". Moulessehoul blickt nicht nur auf eine langjährige literarische Karriere zurück, sondern auch auf die eines Offiziers der algerischen Armee, in deren Verlauf er selbst gegen islamistische Fundamentalisten kämpfte: "Ich bin praktizierender Muslim. Ich bin Araber. Ihr kennt die Terroristen aus Büchern. Ich kenne sie von nahem. Ich habe sie auf dem Schlachtfeld getroffen. Mehr als einmal habe ich buchstäblich Überreste vom Boden aufgekratzt." Updike ist sich des Problems durchaus bewusst. Sein Einblick in die Gedankenwelt des amerikanischen Heimatschutzministers in "Terrorist" bringt das Dilemma des Westens, wenn er sich mit islamistischen Selbstmordattentätern konfrontiert sieht, deutlich zum Ausdruck: "Selbst für einen wackeren Kirchgänger wie den Minister sind ein Gottes-Wille-geschehe-Fatalismus und eine todsichere Wette auf die nächste Welt Dinge, die fernen, finsteren Zeiten angehören."

Dies wissend versucht Khadra eher behutsam an die Gefühlswelt "seiner" Selbstmordattentäterin heranzuführen. Während Updike seine Leser bereits auf der ersten Seite in die so fremden Gedanken des jungen Ahmed stößt, schickt Khadra seine Leser aus dem Blickwinkel des Amin Jaafari auf die Spur der Selbstmordattentäterin. Auch wenn der arabische Arzt auf dem OP-Tisch direkt mit den Opfern von Attentaten konfrontiert wird, so ist ihm die dahinter liegende Welt letztlich genau so fremd und unbegreiflich wie einem Europäer. Also macht er sich auf in jene Region, die als Brutstätte des Terrors gilt - in die jenseits der von Israel errichteten Mauer liegenden Palästinensergebiete. An dieser Stelle hat es Khadra deutlich einfacher als Updike. Denn der bewaffnete Kampf der Palästinenser speist sich eben nicht aus fundamentalistisch-religiösen Überzeugungen, sondern auch aus der Sehnsucht nach nationaler Selbstbestimmung und Würde. "Kein Kind kann je wirklich in Sicherheit sein, wenn es kein Vaterland hat", schreibt Sehim ihrem Gatten in einem Abschiedsbrief. Solche Sätze versteht man im Westen vielleicht besser als Aufrufe zum "Heiligen Krieg". Aber deswegen Selbstmordattentate? Der Leser bleibt am Ende doch ratlos zurück. Genau wie Amin Jaafari.

 

Yasmina Khadra: Die Attentäterin. Roman. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Nagel & Kimche, München, Wien 2006; 270 S., 19,90 Euro.

John Updike: Terrorist. Roman. Deutsch von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006; 397 S., 19,90 Euro.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.