Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 18.09.2006
Christian Hacke

Verspätete Einsichten

Abschied von der neokonservativen Ideologie
Francis Fukuyama war in den vergangenen Jahrzehnten eine Ikone der neokonservativen Bewegung in den USA. Als Schüler von Leo Strauß und Allan Bloom, als Mitarbeiter der RAND-Corporation und von Verteidigungsminister Paul Wolfowitz begründete er die geistig-politischen Grundlagen für eine uneingeschränkte Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten mit. Seine These vom Ende der Geschichte, vom Endsieg der Demokratie, wurde jedoch ebenso widerlegt wie sein anfänglicher Glaube an die Richtigkeit des Krieges im Irak.

Das vorliegende Buch ist eine durchaus selbstkritische und deshalb lesenswerte Bestandsaufnahme der Außenpolitik der Regierung Bush, weil nicht nur der Irak-Krieg schonungslos analysiert werden, sondern ebenso die neokonservativen Grundüberlegungen dieser Administration. Diese neokonservative Denkschule besteht laut Fukuyama aus vier Komponenten: 1. Die Regierungsform eines Staates bildet die Grundlage für das außenpolitische Verhalten. 2. Die USA sollen sich außenpolitisch vor allem von moralischen Überlegungen leiten lassen. 3. Völkerrecht und internationale Organisationen sind nur sehr begrenzt geeignet, die Probleme der Weltpolitik zu lösen. 4. Außenpolitische Eingriffe in einen anderen Staat dürfen die sinnvolle Entfaltung dort nicht behindern beziehungsweise vorwegnehmen. Fukuyama lehnt den Krieg im Irak nicht prinzipiell ab, sondern würde ihn eventuell auch jetzt noch befürworten, wenn er klüger begründet, militärstrategisch angemessen geführt und die Nachkriegsordnung vorausschauender geplant und umsichtiger realisiert worden wäre. Dass dieser Krieg in der Logik der neokonservativen Überheblichkeit liegt, macht Fukuyama deutlich, wenn er die Geschichte der Neokonservativen, auch mit ihren ideologischen Verblendungen, klar ausleuchtet. Kein Wunder, dass er mit diesem Buch bei seinen Weggefährten wie William Kristol und Robert Kagan auf Ablehnung stößt. Doch hinterlässt die Lektüre den Eindruck, dass Fukuyama trotz aller Kritik die Brücke zu den Neokonservativen nicht völlig abbrechen möchte, doch versucht er sich dabei feinsinnig von den Ideologen zu lösen, fühlt sich aber nach wie vor zu den neokonservativen Realisten hingezogen. "Realistischer Wilsonianismus" Diesen hochkomplizierten Spagat versucht Fukuyama mit der Formel vom "realistischen Wilsonianismus" als Leitidee für eine neue amerikanische Außenpolitik: "Weitreichende Entmilitarisierung und eine Wiederbesinnung auf andere Typen des politischen Instrumentariums. Präventivkriege und Regimewechsel durch Militärintervention sollten als Möglichkeit nicht völlig ausgeschlossen werden, doch unter der Voraussetzung, dass dies sehr extreme Maßnahmen sind." Fukuyama hält den Krieg gegen den Terror für notwendig. Der radikale Islam, der Dschihadismus, ist für ihn eine ernstzunehmende Bedrohung, wobei er nicht die frommen Muslime im Vorderen Orient, sondern entfremdete und entwurzelte Fanatiker in Europa im Visier hat, die, wie früher die Marxisten und Faschisten, in einem ideologischen Weltbild ihr Heil suchen. Fukuyama sieht den Dschihadismus als Abfallprodukt von Modernisierung und Globalisierung. Für ihn ist der Terror weniger eine Folge von Demokratiedefizit in der arabischen Welt, sondern Ausdruck von Entfremdung in der modernen Massengesellschaft. Fukuyama sieht also die künftigen Herausforderungen im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, dem er ein breites und gekonntes Kapitel widmet, nicht im Nahen und Mittleren Osten oder in Afghanistan, sondern vor allem in Westeuropa. Konsequenterweise sollen sich die USA weniger auf den Kampf gegen den Terror konzentrieren, sondern sich für die Gestaltung einer neuen Weltordnung einsetzen. Diese Trennung erscheint ein wenig künstlich, aber Fukuyamas Plädoyer für eine amerikanische Außenpolitik, die sich stärker auf Wirtschaftshilfe und kluge Diplomatie stützt, überzeugt. Zu Recht beklagt Fukuyama, dass die Wiederherstellung amerikanischer Glaubwürdigkeit keine Sache von geschickter Werbung ist, sondern dass vor allem gutes Regieren, politische Verantwortlichkeit und kluge Demokratisierung gefordert sind. Sein Plädoyer für mehr "soft power", für einen Primat der Diplomatie, für Sensibilität und Geschmeidigkeit überzeugen, zumal er die verhängnisvollen Fehler und Versäumnisse dieser Regierung bloßlegt. Doch diese Einsicht kommt spät, hat er doch selbst den Glauben an eine amerikanische Sonderstellung und irreale Vorstellung von Demokratisierung postuliert, die die USA letztlich weltweit isoliert und ihre zivilisatorische Attraktivität auf das Schwerste beschädigt haben.

Francis Fukuyama Scheitert Amerika? Supermacht am Scheideweg.  Aus dem Englischen von Udo Rennert. Propyläen Verlag, Berlin 2006; 224 S., 20 Euro.


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