Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 18.09.2006
Karl-Otto Sattler

Lotsen für grenzüberschreitendes Arbeiten in Europa

Das EURES-Programm hilft nicht nur Arbeit in anderen Ländern zu finden

Zuweilen wird es auch für eine Expertin wie Eta Abasow richtig kompliziert. Da möchte jemand, der nach Spanien wechseln will, am Telefon Genaueres über Details des dortigen Arbeitsrechts wissen. Doch da muss sie sich erst einmal selbst kundig machen: "Auch ich lerne immer noch dazu", erzählt Abasow im "Haus der Begegnung" im Berliner Stadtteil Neukölln, wo sie sich bei der Diakonie um Migrationsfragen kümmert. Oder es meldet sich ein Deutscher, der 15 Jahre in den USA gearbeitet hat und nach seiner Rückkehr ins deutsche Sozialsystem strebt. "Doch das ist nicht so einfach", sagt sie. Ganz schwierig wird es für Abasow, wenn sie mit Tipps einem Deutschen zur Seite springen soll, der während eines beruflichen Auslandsaufenthalts erkrankt und in die Heimat kommen möchte: "So jemand hat bei hiesigen Krankenkassen keinen Leistungsanspruch." Rund 700 Kilometer entfernt schlägt sich in Saarbrücken Thomas Schulz mit Schwierigkeiten herum, die im transnationalen Arbeitsmarkt der saarländisch-lothringisch-luxemburgischen Grenzregion wurzeln. "Im Kündigungsfall kommen die Leute manchmal erst kurz vor Toresschluss, die Frist ist fast abgelaufen und alles muss schnell gehen", und das auch noch bei einer Firma in Frankreich oder Luxemburg. Der Pressesprecher des Saar-DGB hilft dann bei der Formulierung eines Einspruchs, und wenn das nichts nützt, schickt er solche Besucher zur Rechtsberatung der Gewerkschaft. Wollen sich bei einer größeren Zahl von Kündigungen Betroffene erkundigen, wie man in kleineren ausländischen Betrieben einen Sozialplan durchsetzt, ist auch Schulz am Ende seines Lateins: Dann kann nur die Gewerkschaft etwas retten. Gelegentlich stellt er fest, dass Grenzgänger in Deutschland wie Frankreich zuviele Steuern zahlen. Selbst Arbeitgeber kennen sich manchmal nicht hinreichend aus: In solchen Fällen verweist Schulz auf Fachleute beim Finanzamt, die sich konkret um solche Themen kümmern. Abasow und Schulz gehören zu einem europaweiten Netzwerk von über 700 EURES-Beauftragten, die mit Beratung und Information die transnationale berufliche Mobilität fördern sollen. Eures ist das Kürzel für "European Employment Services". Gestartet wurde dieses Projekt 1994 von der EU-Kommission zusammen mit Arbeitsverwaltungen, Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Wohlfahrtsorganisationen in der gesamten EU sowie in der Schweiz, Norwegen und Island. Im Rahmen dieses Netzwerks wurden mittlerweile 20 regionale Eures-Programme speziell in Grenzregionen ins Leben gerufen, um Berufspendlern und Arbeitgebern unter die Arme zu greifen. Mit 19 Mitarbeitern ist auch für das Saarland, Lothringen, Luxemburg und Trier ein solches Vor-Ort-Netzwerk aktiv: Die Region besitzt mit 160.000 Arbeitnehmern die meisten Grenzgänger in der EU. Die EURES-Berater wenden dabei einen Teil der Arbeitszeit ihres eigentlichen Berufs für diese Tätigkeit auf, wofür Brüssel eine entsprechende Gehaltssubvention zahlt. Schulz über EURES: "Wir haben eine Lotsenfunktion". Und seine Kollegin Abasow sagt: "Wir machen Alltagsarbeit in Europa": Die internationale Berufsausübung habe sich inzwischen zwar vereinfacht, in der Praxis türmten sich indes noch viele Hindernisse auf. Zu den Aufgaben von EURES gehört auch die Jobvermittlung. Sie ist Sache der EURES-Beauftragten bei den Arbeitsbehörden. Manchmal ruft auch mal ein schwäbischer Gastronom bei Abasow in Berlin-Neukölln an und fragt, ob sie für das neu geplante polnische Speiseangebot einen Koch aus diesem Land zur Hand habe: Muss sie passen, empfiehlt sie den Kontakt zu Eures-Kollegen jenseits der Oder. Die bei Unternehmerverbänden angesiedelten Berater sind wichtige Adressen für Chefs, die über die Ausgestaltung eines Arbeitsvertrags für Grenzgänger oder über die Modalitäten der Anwerbung von Beschäftigten bei einer Niederlassung im Ausland unterrichten wollen. An die EURES-Vertreter bei Gewerkschaften oder bei Einrichtungen wie der Diakonie wenden sich vor allem Arbeitnehmer oder Erwerbslose und Studienabsolventen, die im Ausland ihr Glück probieren möchten. Manches kann am Telefon oder per E-Mail erledigt werden, häufig aber schauen Interessenten persönlich vorbei. Gefordert sind die Berater in den unterschiedlichsten Situationen. So legt Schulz Saarländern dringend nahe, eine Bewerbung in Frankreich nicht auf Deutsch oder Englisch, sondern auf Französisch abzufassen - und den Text vorm Abschicken von einem EURES-Kollegen im lothringischen Saargemünd auf Fehler durchsehen zu lassen. Suchen junge Deutsche zwischen Abitur und Studium Praktika bei französischen Institutionen oder Unternehmen, ist das nicht einfach: Dort sind solche "stages" stärker vertraglich reglementiert als hierzulande. "Da muss man viel telefonieren", weiß Schulz aus eigener Erfahrung. Gelegentlich nutzt er auch seine eigenen, guten Kontakte wie etwa zu Krankenkassen: Kompliziert wird es zum Beispiel, wenn ein lothringischer Grenzgänger an der Saar nach der Zahlung von Krankengeld von der deutschen Kasse ausgesteuert wird und es unklar ist, wie es in Frankreich weitergehen soll. Plätze in Sprach- oder Fortbildungskursen vermittelt Schulz nicht: Aber er kann Tipps geben, welche berufliche Weiterqualifizierung die Chancen auf dem ausländischen Arbeitsmarkt zu erhöhen vermag. Bei Eta Abasow schauen auch viele erwerbslose Ostdeutsche vorbei, die sich in Skandinavien, in der Schweiz oder Österreich und deren ergiebigeren Arbeitsmärkten einen Job erhoffen. Die Liste der Probleme für Auswanderungswillige ist lang: "Das ist unglaublich vielfältig", sagt sie. Welche Zollbestimmungen gelten für Deutsche, die sich in Dänemark als Selbständige niederlassen wollen? Wie beantragt man mit dänischem Wohnsitz die Rente? Wie werden in Schweden Kleinkinder untergebracht, wie läuft es bei einem Wechsel mit dem Schulbesuch? Abasow rät allen, nicht einfach auf die offenen Grenzen zu vertrauen und sich vor dem Schritt auf ausländisches Terrain gründlich bei Eures zu informieren. Zuweilen wundert sich die Diakonie-Mitarbeiterin, wie blauäugig manche ans Werk gehen. Sie erzählt das Beispiel einer Deutschen, die samt ihrer alten Mutter nach Spanien zog, um sich dort selbständig zu machen: Das klappte nicht, sie ging pleite - "und stand dann nach der Rückkehr hier vor dem Nichts", weiß Abasow aus ihrer täglichen Praxis zu berichten. Weil das transnationale Berufsleben so vertrackt ist, nehmen die EURES-Beauftragten häufig an Fortbildungen teil. "In Portugal haben wir einmal europäisches Sozialrecht gepaukt", erzählt Abasow. Für Schulz war ein Treffen gewerkschaftlicher EURES-Berater in Brüssel sehr aufschlussreich. Insgesamt bilanziert Abasow ihre Erfahrungen mit dem Europäischen Arbeitsmarkt so: Trotz aller Fortschritte sei "die EU sehr bürokratisch, im Alltag müssen die Leute noch immer sehr viel Papierkram bewältigen."

Internet: www.europa.eu.int/eures


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