Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 39 / 25.09.2006
Klaus Bachmann

Kaczynski feuert Lepper

Die unendliche Koalitionskrise in Polen

Schon nach einem halben Jahr ist Polens national-populistische Regierungskoalition am Ende. Nach einem heftigen Streit zwischen dem Parteichef der "Selbstverteidigung", Andrzej Lepper, mit der Führung der größten Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), entließ Premier Jaroslaw Kaczynski am vergangenen Donnerstagabend Lepper von seinem Posten als stellvertretender Premierminister und Leiter des Landwirtschaftsressorts. Die nationalkatholische "Liga der polnischen Familien" (LPR) bleibt in der Regierung - doch eine Parlamentsmehrheit haben Premier Kaczynski und Liga-Chef Roman Giertych im Parlament nun nicht mehr.

Anlass für den Streit war vordergründig die Entsendung von zusätzlich 1.000 polnischen Soldaten nach Afghanistan im Rahmen der dortigen NATO-Mission ISAF. Verteidigungsminister Radek Sikorski hatte die Entscheidung anlässlich eines Washington-Besuchs bekanntgegeben, worauf Lepper heftig protestierte und mit der Beendigung der Koalition drohte. Er sei als Regierungsmitglied darüber nicht informiert worden. Bei den Budgetverhandlungen stellte er dann über die Medien hohe Forderungen nach zusätzlichen Sozialausgaben. Deren Annahme hätte nicht nur das Haushaltsdefizit über die Maastricht-Kriterien hinaus ansteigen lassen, sondern auch die Rückkehr der angesehenen liberalen und wirtschaftsfreundlichen Finanzministerin Zyta Gilowska in die Regierung unmöglich gemacht. Gilowska war wegen Vorwürfen, ihre Stasi-Vergangenheit verheimlicht zu haben, im Sommer zurückgetreten, dann aber von einem Gericht von den Vorwürfen entlastet worden.

Der Konflikt, der mit dem Bruch der Koalition kulminiert ist, hat allerdings tiefere Ursachen. Als PiS im Herbst 2005 die Wahlen gewann und zugleich die größte Parlamentsfraktion und den Präsidenten stellte, rechnete das ganze Land damit, die Partei werde eine Koalition mit der liberalen Bürgerplattform (PO) eingehen. Die Verhandlungen zerschlugen sich schnell, und die Law-and-Order-Partei ließ sich von zwei radikal-populistischen Gruppieren - LPR und "Selbstverteidigung" - zunächst tolerieren und ging dann eine Koalition mit ihnen ein. Das Bündnis beruhte allerdings von Anfang an nicht auf gegenseitigem Vertrauen und einem gemeinsamen Programm, sondern auf gegenseitiger Erpressung. Solange PiS in den Umfragen besser abschnitt als bei den Wahlen von 2005 und PiS und "Selbstverteidigung" durch Neuwahlen Einbußen drohten, setzte PiS seine Forderungen mit der Drohung mit Neuwahlen durch. Inzwischen hat sich das Blatt allerdings gewendet: Umfragen zufolge würde bei Neuwahlen nun PO stärkste Partei werden (und damit den Premierminister stellen), LPR würde an der 5-Prozent-Klausel scheitern und PiS und "Selbstverteidigung" hätten keine Parlamentsmehrheit mehr. Nun ist plötzlich PiS erpressbar geworden.

So hat Andrzej Lepper Sondierungsgespräche mit PO begonnen, während PiS dazu übergegangen ist, der "Selbstverteidigung" Abgeordnete abzuwerben. Die Taktik war bereits gegenüber LPR so erfolgreich, dass mehrere Abgeordnete zu PiS wechselten und die Partei so geschwächt wurde, dass sie nun nur noch wenige Chancen hat, bei Neuwahlen ins Parlament einzuziehen. Diese Vorgehensweise hat einen Haken: Sie hilft PiS beim unmittelbaren Machterhalt, mindert aber nach Neuwahlen die Aussichten auf eine erneute Regierungsbeteiligung, denn PiS eliminiert damit nach und nach alle potenziellen Koalitionspartner. Die Folge: Andrzej Lepper konstatierte, dass es für den Zusammenhalt seiner Partei besser ist, Neuwahlen zu riskieren als sich von Premier Kaczynski die Abgeordneten abwerben zu lassen. Andere Parteien, mit denen PiS über einen Eintritt in die Regierung verhandelt, haben abgewinkt - PiS ist ihnen zu unberechenbar.

Premierminister Jaroslaw Kaczynski kann nun versuchen, mit einem Minderheitskabinett weiterzuregieren und andere Parteien zu zerschlagen. Als wahrscheinlichste Lösung gilt zurzeit in Warschau aber, dass sich Regierung und Opposition auf Neuwahlen einigen. Klare Mehrheiten für eine inhaltlich homogene Regierung danach werden davon aber auch nicht erwartet.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.