Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 39 / 25.09.2006
K. Rüdiger Durth

Rot-Rot oder Rot-Grün in Berlin?

Klaus Wowereit will sich mit der Senatsbildung Zeit lassen

Rot-Rot oder Rot-Grün - das ist die Frage, vor der die Berliner SPD unter ihrem Spitzenkandidaten Klaus Wowereit nach der Landtagswahl am 17. September steht. Im zurückliegenden Wahlkampf hatte Wowereit, der seit 2001 Regierender Bürger- meister von Berlin ist, jede Koalitionsaussage abgelehnt. Lediglich von einer Neuauflage einer großen Koalition wollte er nichts wissen. Ansonsten bestand er darauf, nach der Wahl freie Hand bei der Bildung eines neuen Senats zu haben. Das Ziel hat er auch erreicht. Allerdings wird die Mehrheit knapp sein.

Aufgrund von Überhangmandaten wird das künftige Abgeordnetenhaus über 149 Sitze verfügen, von denen auf die SPD 53 (plus 9) entfallen, auf die Linkspartei 23 (minus 10) und auf die Grünen ebenfalls 23 (plus 9), sodass sich eine Mehrheit von 76 zu 73 Mandaten ergeben würde. Die CDU gewann 37 Sitze, die FDP 13 Sitzen (je minus 2).

Die Grünen unter ihrer Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig fühlen sich als eigentlicher Wahlsieger, denn sie konnten gegenüber 2001 um vier auf 13,1 Prozent zulegen. Die SPD erreichte trotz der Popularität Wowereits lediglich 30,8 (plus 1,1) Prozent.

Interessant ist, dass bei einer geringen Wahlbeteiligung von 58 Prozent (minus 10,1) die kleinen Parteien zusammengenommen mit knapp 14 Prozent der Stimmen drittgrößte "Fraktion" geworden sind: Graue 3,8, Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) 2,9, NPD 2,6, Republikaner 0,9 und Sonstige 5,6 Prozent. Erleichterung herrschte darüber, dass es den Rechtsextremen nicht gelungen ist, in das Abgeordnetenhaus einzuziehen. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass in einigen Bezirken, in denen die Drei-Prozent-Hürde und außerdem ein Wahlalter ab 16 Jahren gilt, die NPD in drei Bezirksvertreterversammlungen (BVV) im Osten der Stadt in Fraktionsstärke gewählt worden ist.

Fast untergegangen ist die Tatsache, dass die 2,4 Millionen wahlberechtigten Berliner auch über eine Verfassungsänderung abzustimmen hatten, die künftig Volksentscheide erleichtern soll. Nun sind nur noch 20.000 statt bislang 25.000 Unterschriften nötig, um ein Volksbegehren zu einem Gesetz zu beantragen. Im Volksbegehren selbst müssen sieben (statt bislang zehn) Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. 84 Prozent der Wähler stimmten der Verfassungsänderung zu, 16 Prozent lehnten sie ab.

Zurück zur Wahl des neuen Abgeordnetenhauses: Die SPD will sich für die Koalitionsverhandlungen Zeit lassen, zumal die jetzige Legislaturperiode erst am 26. Oktober ausläuft. Deshalb ist auch der Senat voll handlungsfähig. Allerdings wird er sich in den kommenden Wochen nur mit Routinethemen beschäftigen, um dem neuen Abgeordnetenhaus nicht vorzugreifen. So wurden zunächst Sondierungsgespräche mit der Linkspartei und den Grünen geführt. Danach wird zu entscheiden sein, mit welchem Partner die meiste "sozialdemokratische Politik" - so Wowereit am Wahlabend - durchsetzbar ist.

Während die CDU bereits den unterlegenen Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger mit 33 Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen und einer Gegenstimme zum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt hat - auch die FDP bestätigte ihren bisherigen Fraktionsvorsitzenden Martin Lindner -, melden die Grünen bereits drei Senatorenposten an und nennen auch schon die dazu passenden Namen. Unter anderem will man das Justiz- und Stadtplanungsressort besetzen und wünscht sich noch die Bildung dazu. Das hat bei der SPD für große Verstimmung gesorgt, obwohl man in der Partei einem rot-grünen Senat den Vorzug vor einer Fortführung des rot-roten Senats gibt. Fraglich ist auch, ob die Linke nach den schweren Verlusten vor allem im Osten nicht die Opposition vorzieht.

Da Klaus Wowereit schon angekündigt hat, künftig bundespolitisch eine größere Rolle spielen zu wollen, könnte ein rot-grüner Senat in das Konzept passen. Schließlich gäbe es dann wieder eine rot-grüne Landesregierung, nachdem die in anderen Bundesländern mittlerweile alle abgewählt wurden. Andererseits hat Wowereit nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm die Zusammenarbeit mit der Linkspartei gefallen hat. Schließlich gab sich die PDS in den fünf Senatsjahren als sehr pflegeleicht. Ihm dürfte es auch gefallen, wenn sich die SPD bundespolitisch mehrere Optionen für eine Koalition offen halten kann.

Die SPD wiederum macht sich selbstverständlich auch Gedanken darüber, wen sie in den künftigen Senat schickt. Wowereit steht außerhalb jeder Diskussion. Das gilt auch für Innensenator Erhart Körting. Als "unverzichtbar" wird Finanzsenator Thilo Sarrazin angesehen, dessen striktem und überzeugendem Sparkurs sogar die Opposition die Anerkennung nicht verweigert. Offen ist, ob der SPD-Landesvorsitzende Michael Müller Interesse an einem Senatorenamt hat.

Pflüger, der im Gegensatz zu Wowereit kein Direktmandat errang, will für eine Übergangszeit auch Bundestagsabgeordneter bleiben - "ohne doppelte Diäten". Sein Amt als Parlamentarischer Staatssekretär wird er wie angekündigt aufgeben. Da die CDU in Berlin ihr schlechtestes Wahlergebnis eingefahren hat, muss er große Anstrengungen unternehmen, um seine Partei im Abgeordnetenhaus zu einer schlagkräftigen Opposition zu machen. 2011 will Pflüger erneut antreten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.