Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 - 41 / 02.10.2006
Heinz-Peter Dietrich

Kein Paradies für Asylsuchende

Die Schweizer haben sich für schärfere Gesetze ausgesprochen

Die Schweizer stimmen bei Volksabstimmungen in der Regel klug und überlegt ab. Vor vier Jahren lehnten sie - wenn auch knapp - eine Verschärfung der Asylbestimmungen ab, weil ihnen die Zeit für ein härteres Vorgehen gegen Asylanten noch nicht reif und die Argumente nicht überzeugend genug schienen. Am 24. September jedoch war die Volksmeinung deutlich. Rund 70 Prozent der Stimmwähler sagten Ja zu einer Verschärfung des Asyl- und Ausländerrechtes. Damit gilt in der Schweiz eine der schärften Handhabungen gegen Asylmissbrauch in Europa. Gleichzeitig kann sie aber die bereits im Lande befindlichen Ausländer besser kontrollieren - oder , wie es von den Befürwortern heißt - integrieren.

Etwa 1,6 Millionen der rund 7,5 Millionen Bewohner der Eidgenossenschaft besitzen keinen Schweizer Pass. 200.000 Ausländer davon haben gar keine Papiere (sans-papiers). Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren viele Ausländer aufgenommen. Allerdings geht die Zahl der Asylsuchenden auch in der Schweiz kontinuierlich zurück. Die Schweizer Presse, besonders die schnell informierenden, auf das Bunte spezialisierten Blätter im ansonsten sehr seriösen Journalismus des Landes, sind in der Berichterstattung über Verfehlungen von Ausländern nicht zimperlich. Als etwa kürzlich - vor der Abstimmung - bekannt wurde, dass in einer kleinen Gemeinde ein fünfjähriges Mädchen von einem 13-Jährigen vergewaltigt worden sein soll, wurde in der Boulevardpresse der Name des mutmaßlichen Täters zwar geändert - doch das Synonym für seinen Namen ließ eindeutig auf seine Herkunft schließen. Auch die angeblich höhere Gewaltbereitschaft und Kriminalität jugendlicher Täter mit ausländischem Hintergrund wird breit herausgehoben.

Dies war und ist die Stunde der Populisten - oder der wirklichen Schweizer, wie sie sich selbst nennen. Was vor vier Jahren gescheitert war, wurde nun in einem neuen Anlauf vor allem von Justizminister Christoph Blocher, dem großen Mann der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), sorgfältig in Angriff genommen. Heraus kamen zwei Gesetzesänderungen: einmal für Asyl und einmal für das von 1931 stammende Ausländerrecht. Schlagwort: Die Schweiz soll für illegale Einwanderer, Schlepper, Schwarzarbeiter und Kriminelle weniger attraktiv werden. Blocher folgten nicht nur der Bundesrat, die Regierung, sondern auch beide Parlamentskammern. Grüne und linke Gruppierungen sowie Vertreter von Menschenrechtsgruppen und kirchlichen Organisationen sammelten Unterschriften, um das Vorhaben per Volksabstimmung zu kippen. Vergeblich.

Nun haben die Schweizer Behörden Mittel an der Hand, die so in Europa kaum ihresgleichen haben, obwohl auch etwa in den Niederlanden deutlich schärfere Bestimmungen gegen Asylanten und Ausländer in Kraft getreten sind als früher üblich. Das jetzt revidierte Asylgesetz sieht zwar in Fällen, in welchen die Personen voraussichtlich länger in der Schweiz bleiben dürfen, eine bessere Integration vor. Doch ansonsten können die Behörden nun verschärft bei Missbrauchsverdacht vorgehen. Etwa bei Asylsuchenden, die ihre Papiere vernichtet haben und so ihre Identität verschleiern. Das neue Gesetz sieht vor, dass Asylsuchende, die keine Identitätspapiere abgeben, in einem beschleunigten Verfahren abgewiesen werden, es sei denn, sie können glaubhaft erklären, warum sie keine Papiere haben. Künftig wird zudem bei abgewiesenen Asylsuchenden bei Bedarf nur eine Nothilfe zur Verfügung gestellt, die sich auf Essen, Unterkunft, Kleidung und notwendige medizinische Betreuung beschränkt. Hinzu kommen auch Zwangsmaßnahmen, die die Kantone gegen - wie es heißt - renitente, illegal anwesende ausländische Personen anwenden können. Im Klartext: Wer nicht freiwillig geht, muss ins Gefängnis, was auch für jüngere Asylanten zwischen 15 und 18 Jahren gilt.

Attraktiver werden soll die Schweiz dagegen durch das neue Ausländergesetz. Hintergrund ist, dass die Regierung selbst die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung als mangelhaft bezeichnet. So seien Arbeitslosigkeit, Straffälligkeit und die Anzahl der Sozialhilfebezieher unter den Ausländern überdurchschnittlich hoch.

Nun wird für Personen von außerhalb der Europäischen Union und der Staaten der Europäischen Freihandelszone die Zulassung zum schweizerischen Arbeitsmarkt beschränkt. Allerdings will man sich im Gegenzug auf beruflich besonders qualifizierte Arbeitskräfte konzentrieren und Anreize zum Eintritt in das Berufsleben schaffen. Insgesamt erhält die Schweizer Wirtschaft durch diese für den 1. Januar 2008 geplanten neuen Regelungen nach Einschätzung der Regierung in Bern die Arbeitskräfte, die sie benötigt.

Die Kritik vor und nach der Abstimmung war und ist vielfältig und weit davon entfernt zu verstummen. Nicht nur, dass von einer Abkehr der Schweizer Traditionen für Asyl und Ausländeraufnahme die Rede ist. So hieß es etwa polemisch, viele der während der Nazizeit geflüchteten Juden bekämen nach diesen Gesetzen kein Asyl mehr. Bemängelt wird auch eine zu materielle Vorgehensweise, die die menschlichen Schicksale hinter den Wanderungsbewegungen außer Acht lasse. Dies kritisieren auch kirchliche Gruppen. Ihnen drohen nun Strafen, wenn sie - wie häufig üblich - Menschen ohne Papiere oder Abgewiesene verstecken oder versorgen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das seinen Sitz in Genf hat, hatte die Regierung mehrmals an ihre humanistischen Verpflichtungen erinnert und vor einer Annahme der schärferen Gesetze gewarnt. Sie seien auch etwa mit der UN-Flüchtlingskonvention oder dem Menschenrecht auf Asyl kaum zu vereinbaren. Bei der EU-Kommission gab es zwar keine offizielle Reaktion. Ein Sprecher in Brüssel ließ aber durchblicken, dass die Schweiz, wäre sie EU-Mitglied, solche Bestimmungen nicht in Kraft setzen könnte. Dies gilt etwa dafür, dass Personen, die nicht innerhalb von 48 Stunden ihre Personalpapiere vorlegen, gar nicht in die Asylprozedur aufgenommen werden müssen. Die Schweizer verweisen aber darauf, dass auch Belgien oder Dänemark solche Verfahren anwenden. Ohnehin sei die EU selbst in der Asyl- und Ausländerpolitik uneins.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.