Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 - 41 / 02.10.2006
Helena Sabbagh

In den Weiten der Wüste

Lesegenuss: Eine Geschichte des Islam
Fällt das Stichwort Islam oder Muslime, so handelt es sich dieser Tage meist um das Thema Terrorismus. Wer sich über diese Angst verursachende Erscheinung unserer globalisierten Welt informieren möchte, dem mangelt es wahrlich nicht an Auswahl. Egal, ob Print, Fernsehen, Hörfunk oder Internet: Über den Terror von Islamisten wird täglich berichtet.

Wer aber jenseits des Tagesjournalismus mehr über die Ursprünge des Islams, seine religiösen Grundlagen und die historische Gestalt Mohammeds erfahren möchte, dem springen in den Regalen des Buchhandels bislang meist die farbigen Aufmachungen der Werke von Scholl-Latour und Co. ins Auge. Seltener, und wenn in zweiter Reihe, findet der willige Leser auch die Publikationen aus dem Fachbereich Islamwissenschaften. Fängt er darin an zu blättern, so lässt er es häufig auch schnell wieder sein, denn die Titel haben meist den entscheidenden Nachteil, dass sie mit ihren langen Fußnotenapparaten, verwirrenden Umschriften und ihrem glanzlosen akademischen Ausdruck die ganze Aufmerksamkeit des Lesers fordern - ohne dabei entsprechende Lesefreude zu bereiten.

Nun liegt eine aus dem Amerikanischen übersetzte Neuerscheinung von Reza Aslan vor, die beides bietet: In "Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart" paaren sich auf vortreffliche Weise Lesegenuss und eine unangestrengte Darstellung akademischen Wissens.

Reza Aslan, geboren in Iran und 1979 siebenjährig mit seiner Familie in die USA emigriert, studierte unter anderem in Harvard Religionswissenschaften und ging darüber hinaus beim renommierten University of Iowa's Writers Workshop in die Lehre.

"Keine Gott außer Gott", das im Übrigen Aslans ers-tes Buch ist, liest sich als säße man im Kinosessel: Gekonnt und leicht entspinnen sich Geschichten, aber nicht linear, sondern unterbrochen durch Szenen, auf die Aslan quasi Spotlights richtet, indem er sie literarisch-poetisch aufbereitet. So darf sich der Leser zum Beispiel fühlen, als sei er in den Weiten der arabischen Wüste selbst anwesend, wenn die Anhänger Mohammeds bei der Hidschra, dem Auszug aus Mekka nach Medina, dem Eintreffen ihres Propheten entgegenfiebern. An anderer Stelle lockern Reiseerlebnisse des Autors oder etwa sufische Verse den Textfluss auf.

Gleichzeitig gelingt es dem Autor aber, auf rund 300 Seiten kompaktes Wissen über die Geschichte des Islams, von Mohammad bis in die Gegenwart, zu vermitteln und in Bezug zu aktuellen Fragestellungen zu setzen.

In zehn Kapiteln werden so elementare wie akute Fragen behandelt, wie: Worum geht es beim Dschihad, ist der Islam eine kriegerische Religion, sind seine Grundlagen frauenfeindlich, wie sieht das Verhältnis zu anderen Religionen aus?

Wohltuend ist, dass bei aller literarischen Lebendigkeit die differenzierte Darstellung historischer Sachverhalte keineswegs zu kurz kommt, sondern im Mittelpunkt steht. Anmerkungen und Literaturhinweise sind dabei kapitelweise zusammengefasst am Ende des Buches zu finden.

Ausgesprochen interessant ist etwa in den ersten beiden Kapiteln die Einführung in die mekkanische Gesellschaft der vorislamischen Zeit. Damals hatte der Stamm der Quraisch als Hüter der Schlüssel zur Kaaba so viel Macht auf sich vereinigt, dass dadurch das in Arabien vorherrschende Stammesgefüge aus dem Gleichgewicht geriet. Das hatte für viele zur Folge, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnten, Geld zu Wucherzinsen aufnehmen mussten und dadurch zu Sklaven wurden. Mohammad, selbst Waisenkind, entging diesem Schicksal. Er hatte das Glück, zunächst unter dem Schutz seines Onkels zu stehen, bis er die einflussreiche Chadidscha heiratete. Als er später den Kampf mit der geballten Wirtschaftsmacht der Quraisch aufnahm, verfolgte er dabei klare reformerische und soziale Ziele, seine revolutionär-egalitären Botschaften zwangen Mohammed schließlich, Mekka zu verlassen.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte Aslan, damals Gastprofessor an der University of Iowa, das sprunghaft angestiegene Interesse an seinen Einführungsveranstaltungen zum Islam überrascht. Dieses Erlebnis war die ausschlaggebende Motivation für sein Buch, das er einerseits an die westliche Öffentlichkeit gerichtet wissen will, die über Religionen allgemein und auch über den Islam wenig weiß. Aber auch jenen Muslimen, die wie er in zweiter Generation in Amerika leben, will er die Modernität des Islams aufzeigen.

Aslan, der Huntingtons "clash of civilisations" für eine inadäquate Beschreibung gegenwärtiger Entwicklungen hält, sieht uns in einer Zeit der innerislamischen Reform, oder, wie es an anderer Stelle heißt, inmitten eines "muslimischen Bürgerkriegs", der, wie jeder reformatorische Umbruch der Vergangenheit, von Gewalt begleitet würde. In seinem Buch wie auch in seinen zahlreichen sonstigen öffentlichen Beiträgen lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass er am Ende jene Kräfte als Sieger sieht, die den Islam für vereinbar mit demokratischen Grundsätzen halten. Dabei postuliert er selbst für die islamisch geprägte Welt die Entwicklung einer eigenständigen Demokratie, die nicht den Säkularismus als Voraussetzung braucht, sondern den Pluralismus.

Reza Aslan: Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart. Verlag C.H. Beck, München 2006, 335 S., 34,90 Euro.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.