Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 - 41 / 02.10.2006
Jörg von Bilavsky

Verhängnisvolle Affären

Familiengeschichte mit Lücken: der Strauß-Clan
Dies ist weder die Biografie des Strauß-Clans noch die ihres Oberhauptes Franz Josef. Was der Journalist Thomas Schuler im Anschluss an sein viel beachtetes Porträt des Verlegerpaars Mohn jetzt als "Biografie einer Familie" verkauft, präsentiert sich auf weiten Strecken als deutungsschwache Auflistung der Affären und Seilschaften des bayerischen Vollblutpolitikers. Durchsetzt mit oberflächlichen Einblicken in das Privatleben des kompromisslosen Macht- und Familienmenschen. Abgeschlossen von einer akribischen Dokumentation des politischen Absturzes der Strauß-Nachkommen Monika und Max.

Unbestritten: Die Karriere des Franz Josef Strauß war wie keine zweite in der Geschichte der alten Bundesrepublik von handfesten Skandalen und handzahmen Skandälchen geprägt. Denn in keinem anderen Politikerleben vermischten sich private, pekuniäre und politische Interessen so eng wie in dem des bayerischen Patriarchen. Nahezu jede seiner Entscheidungen unterlag dem Primat der Machteroberung, des Machterhalts und der Machterweiterung. Wie aus unzähligen kritischen Strauß-Biografien längst bekannt, waren ihm hierbei viele Mittel recht. Nicht immer rechtsstaatliche und selten moralische. Welch massive Spuren dieser selbstherrliche Politikstil, sein dröhnendes Temperament und seine heimlichen Händel im engsten Familienkreis hinterlassen haben, will Schuler illustrieren. Doch womit dieses Buch glänzen will, ist vielfach schon bekannt.

Um der komplexen Persönlichkeit Strauß Kontur zu geben, breitet Schuler Skandal für Skandal noch einmal aus. Angefangen bei der wissentlichen Fehlübersetzung des Wortes "Assistant Landrat", mit der er sich bei Kriegsende gegenüber dem Schongauer Landrat nicht als Sekretär, sondern gleich als Stellvertreter ausgab. Bis hin zu seinen schwerer wiegenden Ver-strickungen in zweifelhafte Immobilien-, Grundstücks- und Rüstungsgeschäfte und seiner mutmaßlichen Beteiligung an diversen Stimmenkäufen. Natürlich fehlt auch die bereits andernorts bestens dokumentierte Spiegel-Affäre nicht, die ihn 1962 das Amt des Verteidigungsminister kostete und nach Meinung des Autors das "Ende seines Aufstiegs bedeutete". Doch seine erfolgreiche Zeit als Finanzminister der Großen Koalition Ende der 60er-Jahre, seine gescheiterte Kanzlerkandidatur 1979/80 oder der umstrittene Milliardenkredit an die DDR in den 80er-Jahren erhalten nur am Rande seiner Darstellung ein Plätzchen.

Annulliertes Exklusivinterview

Es klaffen also zahlreiche biografische Lücken in Schulers Charakterstudie. Zudem weiß er fast ausschließlich über die Tiefen seiner politischen Achterbahnfahrt zu berichten. Gestützt auf das Material bisheriger Biografien, der zeitgenössischen Berichterstattung und der Interviews mit ehemaligen Weggefährten. Neues Licht bringt er damit weder in die Skandale noch in den familiären Mikrokosmos. Mangels der von den Strauß-Kindern im letzten Moment annullierten Exklusivinterviews kann er nur mutmaßen. Und das tut er kräftig. "Aber seine Fehler zuzugeben, dazu ist er nicht bereit. Bei den Kindern muss der Eindruck entstehen, dass skrupellose Feinde ihren Vater zu Unrecht gestürzt haben - aus reinem Machtkalkül. Dass die Wahrheit komplizierter ist und nicht nur Strauß' Gegner überzogen reagiert haben, sondern er Misstrauen gegen sich provoziert hat, das werden sie von ihm vermutlich nicht hören." Solche Befunde liegen näher am Spekulativen als am Faktischen.

Dass die Kinder Monika, Max Josef und Franz Georg behütet, später immer mehr bewacht aufgewachsen und von ihrer Mutter Marianne zur Rückendeckung des Vaters erzogen worden sind, weiß man spätestens seitdem sie selbst die politische Bühne betreten haben. Und dass die ewigen öffentlichen Angriffe auf den Vater den familiären Zusammenhalt eher stärkten als schwächten, leuchtet psychologisch unmittelbar ein. Einer Erklärung oder Anklage seitens des Autors bedarf es da nicht mehr. Dass die Kinder "sich nicht von den Eltern lösten" und "keine distanzierte Sicht auf sie gewannen", wie Schuler resümiert, verwundert also kaum. Wie sich diese bedinglose Loyalität innerfamiliär entwickelte, hätte man gern gewusst. Sensibel geführte und gedeutete Interviews mit den Kindern hätten hier neue Erkenntnisse liefern können. Auch über die tieferen Gründe ihres beruflichen Scheiterns, das sehr wohl, aber nicht allein mit dem schwierigen väterlichen Erbe zu begründen ist.

Leider waren Schuler diese Begegnungen nicht vergönnt. So pendelt seine Biografie etwas orientierungslos zwischen verhaltener Kritik am Machtmissbrauch, am Charakter und der falschen Kindererziehung des Patriarchen. Die Verfehlungen und Skandale des Übervaters bilden jedoch nur die eine Seite der Familiengeschichte ab. Die andere beleuchtet derzeit der Journalist und Dokumentarfilmer Werner Biermann in seiner Konkurrenzpublikation "Strauß. Aufstieg und Fall der Familie" aus dem Hause Rowohlt. Auf eine ausgewogene, alle Höhen und Tiefen auslotende Kollektivbiografie wird man also weiter warten müssen.

Thomas Schuler: Strauß. Die Biographie einer Familie. Scherz Verlag, Frankfurt/Main 2006, 384 S., 19,90 Euro.


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