Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 - 41 / 02.10.2006
Sandra Schmid

Die Kanzlerin ist Aktionärin

Braunschweiger Schülerfirma

Moritz Schulze war gerade 18 Jahre alt und auf der Suche nach einer Fahrschule, die gut und günstig ist. Tagelang telefonierte er, ließ sich Angebote schicken, verglich die Preise. Ein zeitaufwändiges Unterfangen. "Das muss doch einfacher gehen", dachte Moritz. Und: "Es müsste einen Guide geben, der jungen Leuten in jeder Lebenslage hilft, der Orientierung bietet etwa bei der Wahl der besten Tanzschule oder Kneipe, des günstigsten Sportstudios oder Friseurs." Das gab es aber nicht in Braunschweig. Und dann kam ihm die zündende Idee: "Warum nicht einen solchen Stadtführer selbst herausgeben?" Die Marktlücke war gefunden. Sein Freund Konstantin schlug schließlich vor, eine eigene Firma zu gründen. In Wales, wo er ein Jahr zur Schule gegangen war, hatte er den Gründerwettbewerb "Young enterprise" kennen gelernt. So etwas, meinte er, müsse es doch auch in Deutschland geben.

Mit "Junior", einem Preis, den europäische Wirtschaftsverbände jährlich ausschreiben, wurden sie fündig. Moritz und Konstantin war sofort klar: "Das ist etwas für uns!" Sie überredeten die Mitschüler Miro, Jan und Hendrik aus ihrer Jahrgangstufe, der 12. Klasse des Braunschweiger Wilhelm-Gymnasiums, mitzumachen. Und schon wenig später, am 4. November des vergangenen Jahres, hoben sie ihr eigenes Unternehmen mit dem Namen "Know it" aus der Taufe und vertreiben seither mit dem "Know it -Youth Guide" ein besonderes Produkt: Den ersten Braunschweiger Stadtführer speziell für Jugendliche.

Doch zum Feiern oder für ihre Hobbys wie Fußballspielen blieb fortan wenig Zeit. Sogar in der Schule mussten sie ab und zu ein paar Stunden ausfallen lassen. Denn was dann kam, war Arbeit. Viel Arbeit. "15 Stunden pro Woche hat jeder von uns investiert", sagt Moritz. Manchmal war es sogar mehr: Die Braunschweiger Schüler wollten sich schon im darauf folgenden März für den Landeswettbewerb qualifizieren, und dafür mussten sie schnellstens einen Geschäftsbericht vorgelegen.

Erfolgreiche Teamarbeit

Mit viel Elan und einer straffen Organisation machten sie sich ans Werk: Jan war verantwortlich für die Verwaltung, Konstantin für die Finanzen, Miro für das Marketing und Hendrik für die Technik. Moritz übernahm den Vorstandsvorsitz. "Zuerst hatten wir eine richtige Hierarchie", erzählt er, "aber im Laufe der Zeit hat sich das geändert, wir haben dann im Team gearbeitet." Vieles konnten sie selbst machen, manches nicht: "Die Grafik haben wir outgesourced", sagt Moritz mit besten Wirtschaftsvokabular. Eine Kunststudentin habe Coverdesign und Layout gestaltet. Schließlich, betont er, solle der Stadtführer nicht aussehen wie ein "Schülerheftchen". Einige der Artikel für den redaktionellen Teil über Braunschweig haben Mitschüler aus der Klasse geschrieben. Um alles andere kümmerten sich die Firmengründer dagegen selbst: Plötzlich war jeder Mädchen für alles. Sie feilten am Konzept und begannen bald damit, Klinken bei Banken, Friseuren, Restaurants, Discos und Sportstudios zu putzen - in der Hoffnung, den Stadtführer nur durch Anzeigen finanzieren zu können. Zuerst waren ihre Bemühungen nur von mäßigem Erfolg gekrönt. "Wir haben schon gedacht, wir schaffen es nicht", erinnert sich Moritz. Aber aufgeben wollte niemand, die Schüler änderten einfach ihre Verkaufsstrategie: Die persönliche Anzeigenakquisition weiteten sie auf Telefon, Brief und E-Mail-Marketing aus. Das Konzept ging auf: Ihr "Know-it - Youth Guide" wurde durch Anzeigen finanziert und konnte kostenlos an die Jugendlichen in Braunschweig verteilt werden. "Das ist unser Alleinstellungsmerkmal", sagt Moritz - und das klingt wieder sehr professionell.

Der Erfolg gibt ihm Recht: Über 12.000 Euro haben die Schüler schon erwirtschaftet, mittlerweile ist die erste Auflage des Stadtführers - immerhin rund 5.000 Stück - fast vergriffen. Das Produkt kommt an. Das Schülerunternehmen wirft Gewinn ab.

Und auch die Juroren von "junior" haben der Guide und seine Macher überzeugt: Nach dem Gewinn des Landeswettbewerbs in Niedersachsen räumten die Schüler im Mai auf Bundesebene ab und verwiesen kürzlich auch bei der europaweiten Ausscheidung in Interlaken die Mitbewerber auf die hinteren Plätze. Es war dennoch kein leichter Sieg.

Viele der 26 Teilnehmer hatten sich der internationalen Jury nämlich mit durchaus kreativen Produktideen präsentiert: Das schwedische Team etwa hatte einen Ziegelstein erfunden, mit dem man Mauern praktisch ohne Mörtel errichten kann, eine estnische Schülerfirma bewarb sich mit Handytaschen aus recycleten Tetrapacks. Doch die Präsentation der Braunschweiger am Messestand gab den Ausschlag: In diesen Stand hatten Moritz und seine Freunde viel Arbeit gesteckt. Sie zeigten einen Film über das Geschäftsjahr, zudem gab es einen Tresen mit Werbematerial wie Kugelschreibern und Mousepads. Außerdem lobte die Jury Struktur und Effizienz der Schülerfirma: "Softskills wie Teamfähigkeit wurden stark bewertet", erzählt Moritz. "Wir waren ein echtes Team, haben alle an einem Strang gezogen." Die offene und dynamische Firmenstruktur sei der entscheidende Punkt gewesen.

Dieser Sieg macht die fünf Braunschweiger mächtig stolz. Einen Preis gab es zwar nicht, "aber die Ehre", wie Moritz es ausdrückt. Zudem haben sie nützliche Erfahrungen gemacht - nicht zuletzt, wie man mit Medien umgeht. Nach jedem neuen Sieg wurde nämlich die Zahl der Zeitungen, Fernseh- und Radiosender länger, die um ein Interview baten. Kein Problem für die Jungs. Denn schüchtern sind sie nicht. Schließlich waren sie es selbst, die Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Anteilsschein für ihre Firma angeboten haben. Die Bundeskanzlerin muss das Firmenkonzept überzeugt haben: Zumindest kaufte sie eine Aktie und wünschte den jungen Unternehmern "viel Glück". Das hat wohl gewirkt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.