Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 - 41 / 02.10.2006
Jarmila Bugala

Sünder nach Punkten

Damals ... vor 50 Jahren am 11. Oktober 1956: Die Geburtsstunde des Verkehrszentralregisters in Flensburg

Der Kandidat hat hundert Punkte. Ein Satz, der in der Regel Freude auslöst. Denn das Anhäufen möglichst vieler Punkte zieht beim Sport oder bei Gewinnspielen erwartungsgemäß Positives nach sich. Äußerst unbeliebt indes ist die Ansammlung so genannter "Flensburger Punkte". Sie zählen zur Kategorie der Strafpunkte und führen gemeinhin zu wenig Lob. Vor 50 Jahren wurde die Führung einer "Kartei über Verkehrsübertretungen und -vergehen" im Bundestag beschlossen. Deutschland hielt damals weltweit einen traurigen Rekord an Unfallopfern. Auf je 10.000 Kraftfahrzeuge kamen 796 Verkehrstote und Verletzte.

Die gemeinsame Konferenz der für den Verkehr, für die Polizei, für die Finanzen und für den Straßenbau zuständigen Minister der Länder hatte daher bereits 1954 festgestellt: "Die steigende Zahl der Unfälle im Straßenverkehr, insbesondere die stark anwachsende Zahl der getöteten und verletzten Menschen, macht einschneidende und nachdrückliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle erforderlich." Künftig sollten "alle Verurteilungen wegen Verkehrszuwiderhandlungen für die Zwecke der Justiz- und Verkehrsbehörden kartei- oder registermäßig erfasst werden."

Gleich dreierlei Nutzen versprach man sich von der Einrichtung dieses Registers: Richtern sollte eine Grundlage für die neutrale Beurteilung von Verkehrsdelikten und deren Verursachern zur Verfügung gestellt werden. Der Verwaltung sollte eine Handhabe gegeben werden, nachlässige und unvorsichtige Fahrer aus dem Verkehr zu ziehen. Zudem sollte die Kartei Aufschluss darüber geben, welche Verkehrsbestimmungen tatsächlich wirkungsvoll durchsetzbar sind und welche nicht.

Neben zahlreichen Befürwortern gab es allerdings auch eine breite Front an Gegnern. Der Rechtsausschuss des Bundestages leistete erheblichen Widerstand und sprach sich mehrheitlich gegen die Einführung einer solchen Zentralkartei aus. Das Bild der Persönlichkeit des Täters sei unvollkommen, argumentierte der Ausschuss. Wer viel fahre, werde leichter gegen Bestimmungen verstoßen und häufiger eingetragen als der, der wenig fahre. In seiner Begründung machte der Ausschuss geltend, dass die Polizei nicht überall konsequent durchgreife und die Mehrzahl der tatsächlich vorkommenden Verstöße gar nicht festgestellt würde. Die Einrichtung weiterer Karteien werde dazu führen, dass der Staatsbürger registriert, überwacht und beobachtet werde.

Die Idee der Erfassung von Daten über Verkehrsteilnehmer war indes nicht neu. Bis 1910 bestand eine beim Polizeipräsidium errichtete "Sammelstelle für Nachrichten über Führer von Kraftfahrzeugen". Sie erfasste im Wesentlichen Informationen über die Entziehung der Fahrerlaubnis oder über Fahrverbote. Auch Daten von Fahranfängern wurden dort gespeichert. Daneben gab es bei den örtlichen Verkehrsbehörden rund 600 so genannte Fahrerlaubnisregister. Sie beinhalteten die im Strafregister nicht eingetragenen Verkehrsvergehen, die heutigen Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Am 2. Januar 1958 wurde mit der zentralen Speicherung von Daten über Verkehrsverstöße begonnen. Seither werden in der Verkehrssünderdatei alle im Straßenverkehr auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmer registriert. Zu Beginn mussten die Personendaten noch handschriftlich in die Kartei eingetragen werden, die damals aus großen Drehständern bestand, in denen jeweils 30.000 Sünder erfasst werden konnten.

Schon damals hatten die zuständigen Mitarbeiter des Kraftfahrt-Bundesamtes jede Menge zu tun. Falsches Überholen, übermäßige Geschwindigkeit, Vorfahrtverstöße und Alkoholeinfluss waren in der Autofahrernation Deutschland weit verbreitet.

Auch heute zählen Geschwindigkeitsüberschreitungen weiterhin zu den häufigs- ten Verkehrsdelikten. Bei mehr als der Hälfte der insgesamt 8,2 Millionen im Verkehrszentralregister verzeichneten Personen ist der Verstoß gegen eine zulässige Höchstgeschwindigkeit die Ursache für ihren Eintrag. Bis zu vier Punkte und eine Geldstrafe von maximal 425 Euro sieht der Maßnahmenkatalog für einen Raser vor. Auch ein Fahrverbot kann dem Sünder auferlegt werden - ab 18 Punkten ist der Führerschein weg. In Abhängigkeit von der Art und der Schwere des Deliktes verjähren die Punkte und werden nach einer bestimmten Frist wieder aus der Kartei gelöscht. Zentnerweise werden infolgedessen wöchentlich die beim Kraftfahrt-Bundesamt gesammelten Bußgeldbescheide vernichtet. Ein reines Gewissen hat dann erst wieder jener Autofahrer, der von sich sagen kann: "Ich habe null Punkte."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.