Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 - 41 / 02.10.2006
Interview

"Auch wir sind dieses Land!"

Interview mit Walid Nakschbandi, Teilnehmer der Islamkonferenz
Mit der ersten Islamkonferenz in Deutschland ist nach Meinung der Teilnehmer eine gute Grundlage für einen Dialog zwischen Vertretern der Muslime, dem Staat und der deutschen Mehrheitsgesellschaft geschaffen worden. "Seit dem 27. September ist der Islam in Deutschland keine Auslandsreligion mehr", schlussfolgerte der liberale Muslim Walid Nakschbandi. Er hofft auf einen dauerhaften und ernsthaften Dialog. Dabei müssen deutsche Musslime "ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und dürfen dabei ihren religiösen Hintergrund nicht leugnen".

Das Parlament            Herr Nakschbandi, was erhoffen Sie sich von der Islamkonferenz?

Walid Nakschbandi    Die Konferenz ist der ernsthafte Beginn eines hoffentlich dauerhaften Dialogs. Es ist das erste Mal in der Geschichte unseres Landes, dass der Staat sagt: Wir brauchen so ein Gremium, weil wir den Dialog suchen. Seit dem 27. September ist der Islam in Deutschland keine Auslandsreligion mehr. Das ist eine große Erkenntnis. Die Konferenz ist gründlich und seriös geplant und auf mehrere Jahre angelegt - anders als beim Integrationsgipfel des Kanzleramtes in diesem Sommer, von dem wenig übrig geblieben ist. Wir alle können froh sein, dass ein Politiker wie Wolfgang Schäuble, ohne Multi-Kulti-Gehabe, an der Spitze dieses Gremiums steht. Er ist undogmatisch und wird von den Muslimen ernst genommen.

Das Parlament            Warum kommt dieser Vorstoß zu der Konferenz erst jetzt?

Walid Nakschbandi    Das ganze Verhältnis ist wie bei einem älteren Ehepaar, bei dem der Mann nach vierzig, fünfzig Jahren plötzlich feststellt: Oh, meine Frau ist ja ganz depressiv und ich muss mich um sie kümmern. Es gibt bei uns ganz offensichtlich Probleme im Zusammenleben zwischen den Muslimen und Nicht-Muslimen - kleine alltägliche Probleme wie der Islamunterricht in Schulen, Sprachkurse, Mitsprache in Gremien, Moscheenbau und so weiter, aber auch große Probleme, besorgniserregende. Aber es wird grundsätzlich auch darum gehen, wie die Muslime zu dieser Gesellschaft, zu unserer Verfassung tatsächlich stehen? Welchen Wertekonsens haben sie? Politisch wird die Frage des Zusammenlebens dann, wenn einzelne Muslime gegen Gesetze verstoßen. Wenn es um Gewalt und Terror geht, müssen wir alle uns dagegen wehren - kompromisslos.

Das Parlament            Artikuliert sich die islamisch-deutsche Öffentlichkeit grundsätzlich deutlich genug?

Walid Nakschbandi    Naja, das ist ein Teil des Prob-lems. Es gibt bei uns Muslimen eben nicht den Zentralrat wie bei unseren jüdischen Freunden. Und wenn ein Ergebnis der Konferenz sein sollte, dass die Muslime beschließen, künftig mit einer Stimme in Deutschland zu sprechen, warum nicht? Das könnte ein wichtiger Schritt sein. Das müssen die Muslime dann aber schon selbst in die Hand nehmen.

Das Parlament            Im Vorfeld wurde von den organisierten muslimischen Verbänden die Einladungspolitik kritisiert. Es seien zu viele säkulare, nicht organisierte Moslems hinzu gebeten worden, hieß es.

Walid Nakschbandi    In Deutschland leben mehr als drei Millionen Muslime und es gibt nur einige wenige kleine Verbände. Diese repräsentieren einen Bruchteil der Muslime in Deutschland. Die Mehrzahl der Muslime hier ist unorganisiert. Diese Mehrheit soll, ja muss endlich zu Wort kommen. Insofern ist die Einladungspolitik logisch und konsequent.

Das Parlament            Zunehmend gibt es einen Teufelskreis aus Ablehnung und Ausgrenzung junger Muslime. Wie kann der Kreis durchbrochen werden?

Walid Nakschbandi    Ich habe etwas dagegen, sich ständig in diese Opferrolle zu begeben. Die Muslime müssen endlich ihre Stimme erheben wie in Frankreich oder England. Was ist der Kulturkreis eines Türken, Afghanen oder Pakistanis, der seit seinem zweiten Lebensjahr hier lebt oder gar hier geboren ist? Diese Menschen müssen ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und dürfen dabei ihren religiösen Hintergrund nicht leugnen. Diese Generation muss unüberhörbar zum Ausdruck bringen: Wir gehören zu diesem Land! Auch wir sind dieses Land! Und die herrschende Klasse muss begreifen, dass diese Menschen nicht Fremde sind, sondern Deutsche!

Das Parlament            Aber jenseits dessen gibt es viele kulturelle Eigenheiten, die der Gesetzgeber nicht verfolgt, weil sie nicht strafbar sind. Zum Beispiel, wenn ein muslimischer Mann einer Frau nicht die Hand gibt. Diese Welt ist uns als Westler fremd...

Walid Nakschbandi    Das geht mir genauso und verzweifelt schüttle auch ich den Kopf über ein solches Mittelalterverhalten. Dieses befremdliche Benehmen erlebt man beispielsweise noch nicht mal in weiten Teilen der Türkei. Da fragt man sich schon, warum soll die muslimische Welt in Berlin weniger aufgeklärt sein? Aber auch da stellt sich die Frage: Wie will man damit umgehen? Wir leben in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft, die einschließt, dass auch konservative Muslime nach ihren kulturellen und religiösen Vorstellungen leben dürfen. Gefährlich wird es jedoch, wenn diese Haltung, diese Lebensgewohnheiten plötzlich umschlagen, sich radikalisieren und die Gesetze missachtet werden.

Das Parlament            Der Papst war wegen seines umstrittenen Zitats in den Schlagzeilen. Wie haben Sie die Debatte wahrgenommen?

Walid Nakschbandi    Ich bewundere diesen Mann. Er hat es ja vergangene Woche glücklicherweise geschafft, die muslimischen Vatikan-Vertreter in Castelgandolfo zu begeistern. Sie haben lange applaudiert und waren von der Rede des Heiligen Vaters überzeugt. Aber zu Regensburg: Was soll eine Auseinandersetzung mit dem Islam, mit Gewalt oder mit Toleranz mit einem Zitat aus dem 14. Jahrhundert? Das finde ich taktisch ungeschickt. Es gab von islamischer Seite auf die Vorlesung in Regensburg sehr unterschiedliche Reaktionen. Ein Vorbild ist die Türkei. Von religiöser Seite hat es massive Kritik gegeben. Schließlich wurde auch der Staatspräsident zu den Einlassungen des Papstes gefragt und der hat geantwortet: "Ich als Staatspräsident kann mich nicht äußern." Das ist sehr klug. Dass Papst-Puppen und deutsche Fahnen durch den Mob verbrannt worden sind, macht mich gleichwohl sehr nachdenklich und vor allem wütend.

Das Parlament            Die Deutsche Oper hat die "Idomeneo"-Inzenierung abgesagt, eine Wiederauflage von 2003, bei der die abgeschlagenen Häupter von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed auf der Bühne drapiert werden. Auch wenn man so eine Inzenierung persönlich als abstoßend empfinden mag, ist das nicht bereits eine Form von Selbstzensur? Drohen wir in vorauseilendem Gehorsam unsere freie Gesellschaft bereits aufzugeben?

Walid Nakschbandi    Jenseits dessen, dass ich es ohnehin unappetitlich finde, wenn bei einem Theaterstück symbolisch geköpft, ekelerregender Geschlechtsverkehr gezeigt wird oder Blut fließt, gilt immer: Kunst darf alles! Wenn einem ein Stück nicht gefällt, kann man immer vorzeitig gehen. Das Wichtigste aber ist, Respekt gegenüber anderen Menschen und ihren Religionen. Das ist gerade in dieser höchst hysterischen Zeit wichtig, in der man merkt, dass es gewisse Kräfte in der islamischen Welt gibt, die nur auf Anlässe warten, um mal wieder draufzuhauen. Auch deswegen ist die Konferenz so wichtig, um miteinander in den Dialog zu treten, nicht auszuflippen, nicht beleidigt zu sein und dem anderen nicht gleich das Schlimmste zu unterstellen.

Das Interview führte Annette Rollmann


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.