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15. Wahlperiode
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   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * * * *

   25. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet!

   Zunächst möchte ich dem Kollegen Ernst Hinsken zur Vollendung seines 60. Geburtstages am 5. Februar und dem Kollegen Rainer Eppelmann, der am 12. Februar seinen 60. Geburtstag feierte, im Namen des Hauses nachträglich herzlich gratulieren.

(Beifall)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1 Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung für Ganztagsschulen

2 Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringliche Frage in Drucksache 15/419

3 Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen internationalen Lage

4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Peter Hintze, Volker Kauder und der Fraktion der CDU/CSU: Europa und Amerika müssen zusammenstehen - Drucksache 15/421 -

5 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Gemeindefinanzen dauerhaft stärken - Drucksache 15/433 -

6 Überweisung im vereinfachten Verfahren

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Finanzplatz Frankfurt stärken - Drucksache 15/369 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Walter Riester, Karin Kortmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Katrin Göhring Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Hungerkatastrophe in Simbabwe weiter bekämpfen - Internationalen Druck auf die Regierung Simbabwes aufrechterhalten - Drucksache 15/428 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning, Ulrich Heinrich, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gemeinsame europäisch-afrikanische Initiative zur Lösung der Krise in Simbabwe starten - Drucksache 15/429 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

9 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens (Spruchverfahrensneuordnungsgesetz) - Drucksache 15/371 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

   Ferner sollen die Beratung des Jahreswirtschaftsberichts mit dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates auf Freitag, 9 Uhr, verschoben werden und der Tagesordnungspunkt 10 - EU-Agrarreform - abgesetzt werden.

   Darüber hinaus mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 16. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.

   Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Otto Bernhardt, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zur Aufhebung des Vermögensteuergesetzes - Drucksache 15/196 -

Überwiesen:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:

ZP 3 Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler

zur aktuellen internationalen Lage

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Peter Hintze, Volker Kauder und der Fraktion der CDU/CSU

Europa und Amerika müssen zusammenstehen

- Drucksache 15/421 -

   Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Über den Antrag und den Entschließungsantrag werden wir später namentlich abstimmen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

   Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland trägt Verantwortung, Verantwortung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Verantwortung für die Durchsetzung einer bedingungslosen Abrüstung des Irak, Verantwortung für den Frieden. Deutschland trägt diese Verantwortung gemeinsam mit den anderen Staaten der Vereinten Nationen und an dieser Verantwortung für den Frieden halten wir unbeirrt fest.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland steht zu seinen Bündnispflichten in der NATO.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ein Partner angegriffen wird, dann werden wir ihn verteidigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das haben wir bewiesen - nicht erst, aber vor allem - als es um die Zustimmung zur Operation Enduring Freedom ging, und das haben wir bewiesen, als wir diese Operation verlängert haben. Das wird so bleiben.

   Mir kommt es darauf an, dass den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, aber auch den Partnern in der Welt klar wird: 10 000 Frauen und Männer der Bundeswehr sind mittlerweile an internationalen Einsatzorten - auf dem Balkan, in Afghanistan - stationiert, um Menschen dort Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten. Dafür gebühren diesen Soldatinnen und Soldaten unsere Hochachtung und - mehr noch - unser tief empfundener Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Aber wir tun auch unsere Pflicht für den Frieden und für die friedliche Entwaffnung des Irak. Gemeinsam mit Frankreich, mit Russland und mit anderen unternimmt die Bundesregierung alle Anstrengungen, um den Konflikt im und um den Irak auf friedlichem Wege zu lösen.

Das ist möglich und darum kämpfen wir!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich füge hinzu - dies sage ich klar und deutlich unseren Bürgerinnen und Bürgern, aber auch unseren amerikanischen Freunden -: Das verstehe ich unter meiner Verantwortung als Bundeskanzler.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen das, was man aus guten Gründen die asymmetrische Bedrohung unserer Welt nennt, erfordert nach wie vor die höchste Aufmerksamkeit. Wir können und wir müssen diesen Kampf gewinnen: im Interesse der Sicherheit der Menschen und des Friedens in der Welt. Vor dem Hintergrund dieses Interesses wollen wir ihn gewinnen. Wir haben ihn aber keineswegs bereits gewonnen. Auch wenn die Auseinandersetzung gegenwärtig durch andere gewiss wichtige Themen überlagert wird, ist zu sagen: Diese Bedrohung besteht fort und sie muss in den Mittelpunkt der politischen Anstrengungen, die wir miteinander auf uns nehmen, gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch das gilt es zu erwähnen: Das ist der Grund dafür, dass unsere Special Forces, also unsere Spezialtruppen, übrigens Seite an Seite mit den Amerikanern, in Afghanistan gegen den internationalen Terrorismus kämpfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Am Montag dieser Woche haben die deutschen Soldaten zusammen mit den niederländischen in Kabul das offizielle Kommando über die ISAF-Schutztruppe der Vereinten Nationen übernommen. Auch das muss in die deutsche Öffentlichkeit: Bis zu 2 500 Soldaten werden dort ihre Arbeit leisten; und sie leisten sie gut. Ohne Deutschland würde in diesem so schwierigen Gebiet sehr viel weniger gehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil das so ist, will ich, dass wir das unserem Volk, aber auch unseren Partnern in der NATO und in den Vereinten Nationen selbstbewusst sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenige NATO-Mitglieder leisten, was wir leisten. Das darf nicht vergessen werden!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mit der Entsendung dieser Soldaten haben wir als Regierung, aber auch als Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegenüber den Betroffenen und ihren Angehörigen eine große Verantwortung übernommen. Unsere Bevölkerung und die Menschen in aller Welt haben ein Recht darauf, zu wissen: Wir werden uns die Entscheidung über militärische Gewalt und die Entsendung von Truppen niemals leicht machen. Das war so und das muss so bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden niemals einen Zweifel daran lassen, dass wir solche Entscheidungen, die für jeden von uns zu den schwierigsten gehören, die man sich vorstellen kann, auf der Grundlage fester Prinzipien treffen. Diese Prinzipien sind universell; von ihnen lassen wir uns in unserem Handeln, aber auch in unseren Bündnissen leiten: Prinzipien der Freiheit, des Friedens und des Rechts. Es wird und es muss aber auch deutlich werden, dass wir diese Entscheidungen souverän, das heißt in unserer Verantwortung, zu treffen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Bundesrepublik - auch das gilt es in aller Welt klar zu machen - hat in einem Maße internationale Verantwortung übernommen, wie es vor einigen Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre: Verantwortung auf dem Balkan, vor allen Dingen aber auch Verantwortung nach den verheerenden Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington.

   Den deutschen Beitrag, um den Frieden zu erhalten, gegen diese asymmetrische Bedrohung zu kämpfen und die Regionen in der Welt, die besonders bedroht sind, zu stabilisieren, haben wir seit 1998 verzehnfacht: von 200 Millionen Euro im Jahr auf 2 Milliarden Euro im Jahr 2002. Niemand in Deutschland muss sich angesichts dieser enormen Leistungen verstecken und niemand muss sein Licht unter den Scheffel stellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland stellt heute nach den Vereinigten Staaten von Amerika das zweitgrößte Truppenkontingent in internationalen Einsätzen zur Sicherung und Wahrung des Friedens. Insgesamt haben seit 1998 mehr als 100 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in solchen Einsätzen ihr Leben und allemal ihre Gesundheit riskiert. Wir haben immer gewusst, dass es zu dieser Politik der Solidarität keine Alternative geben konnte und vor allen Dingen keine geben durfte.

   Solidarität, wie wir sie geleistet haben und nach wie vor leisten, schafft aber auch das Recht, ja die Pflicht, zu differenzieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass angesichts der fortbestehenden Gefahr durch den internationalen Terrorismus, etwa der al-Qaida, alle Maßnahmen und Entscheidungen auch daraufhin überprüft werden müssen, ob sie dem Kampf gegen diesen Terrorismus nützen oder schaden, das sollte für uns alle selbstverständlich sein.

   Das gilt auch bezogen auf die aktuelle Irakkrise. Wer diese Krise mit militärischen Mitteln lösen will, muss eine Antwort auf die Frage haben, ob das die weltweite Allianz gegen den Terrorismus, der auch mehr als 50 überwiegend muslimische Nationen angehören, voranbringt oder ob es diese Allianz gefährden und vielleicht sogar sprengen könnte; denn das hätte verheerende Folgen für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Noch etwas anderes muss bedacht werden, wenn man in dieser Situation verantwortungsvoll reden und entscheiden will. Ich will ein Beispiel nennen, das mich bewegt, weil ich Schwierigkeiten habe,

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wohl wahr!)

die unterschiedlichen Betrachtungsweisen zu erklären, nämlich Nordkorea. Kein Zweifel, in Nordkorea herrscht ein diktatorisches Regime. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Nordkorea über Anlagen zur Herstellung atomarer Sprengköpfe verfügt. Die Vereinigten Staaten sagen sogar, so jüngst ihr Sicherheitschef, dass es dort bereits atomare Sprengköpfe gibt. Es besteht kein Zweifel, dass Nordkorea über Trägersysteme verfügt, die diese Sprengköpfe in Ziele bringen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dort in der Lage ist, atomare und biologische Waffen herzustellen, ist groß.

   Dieses Land hat die internationalen Inspektoren des Landes verwiesen und dieses Land erhält für eine friedliche Lösung der Krise das Angebot eines Dialogs, im Einklang mit dem internationalen Recht.

(Michael Glos (CDU/CSU): Was würden Sie denn machen, Herr Bundeskanzler?)

- Ich bin mit einem solchen Dialogangebot einverstanden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Schauen wir uns jetzt den Irak an; denn da liegt mein Problem. Der Irak wird ohne Zweifel von einem Diktator beherrscht, den jeder von uns lieber heute als morgen loswürde, gar keine Frage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Irak verfügt definitiv über keine atomaren Waffen und definitiv über keine weit reichenden Trägersysteme, die das, was er nicht hat, in Ziele bringen könnten. Es gibt Hinweise darauf, dass der Irak in der Lage sein könnte, andere Massenvernichtungsmittel herzustellen. Deshalb haben wir gesagt - darin liegt die innere Begründung -: Die Inspekteure, die dort arbeiten, müssen weiter arbeiten können. Wir müssen wissen, ob der Irak über Waffen verfügt und über welche. Wir müssen dafür sorgen, dass Waffen, wenn er über solche verfügt, im Einklang mit der Resolution 1441 vernichtet werden. Das ist die Aufgabe, die wir haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben immer klar gemacht, dass die Politik der Bundesregierung eine Friedenspolitik ist. Das gilt für den Wiederaufbau in Afghanistan wie auch für unsere Bemühungen - darin dürfen wir nicht nachlassen - um dauerhaften Frieden und dauerhafte Sicherheit im Nahen Osten. Die vornehmste Aufgabe internationaler Politik ist, Kriege zu verhüten. Daran orientieren wir uns.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Keine Realpolitik und keine Sicherheitsdoktrin dürfen dazu führen, dass wir uns gleichsam schleichend daran gewöhnen, Krieg als normales Mittel der Politik

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

oder, wie es einmal gesagt worden ist, als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu begreifen. Nein, wer militärische Gewalt anordnet, der kann das nur auf der Basis ganz bestimmter Prinzipien und Möglichkeiten tun, die in der Charta der Vereinten Nationen festgehalten sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wissen: Auch als letztes Mittel der Konfliktlösung unterliegt die Anwendung militärischer Gewalt strengsten Beschränkungen. Ausnahmen bilden namentlich die Selbstverteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriff, wie es in der Charta heißt, oder die vom Sicherheitsrat mandatierte Abwehr einer unmittelbaren schweren Gefahr für den internationalen Frieden. In diesem Sinne hat sich das Völkerrecht in einem über Jahrhunderte währenden Prozess herausgebildet. Die Satzung der Vereinten Nationen beruht auf diesem Grundsatz des Gewaltverbots.

   Übrigens, treibende Kraft dabei waren immer wieder die Vereinigten Staaten von Amerika; denken wir an Namen wie Wilson oder Roosevelt. Kern dieses Prozesses ist das Prinzip, die Stärke des Rechtes an die Stelle des Rechts des Stärkeren zu setzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ungeachtet aller aktuellen Meinungsverschiedenheiten ist dies das gemeinsame Wertefundament, das uns fest mit unseren amerikanischen Freunden verbindet. Die transatlantische Freundschaft war nie eine eng oder egoistisch verstandene Zweckgemeinschaft. Sie ist und sie bleibt eine Wertegemeinschaft. Diese Wertegemeinschaft kann auch bei gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten in ihrer Substanz nicht berührt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deutsche und Amerikaner verbindet längst nicht mehr nur die Dankbarkeit, die wir für die Befreiung von der Nazidiktatur und die Chance für den demokratischen Wiederaufbau empfinden. Nein, uns verbindet mehr. Uns verbindet eine kulturelle Zusammengehörigkeit, die weit in den Alltag unserer Völker hineinreicht. Und uns eint eine Freundschaft, die auf gegenseitigem Respekt und der Verfolgung gemeinsamer Ziele beruht und in der wir deshalb zu unterschiedlichen Meinungen kommen und dies ertragen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir streiten heute nicht um Details der Sicherheitspolitik, nicht um vordergründigen strategischen oder ökonomischen Nutzen. Wir streiten übrigens auch nicht über Sein oder Nichtsein der NATO.

Es geht uns darum, ob Willensbildung multilateral bleibt. Bei dieser Frage geht es auch um die gegenwärtige, vor allem aber um die künftige Rolle Europas, und zwar des ganzen Europas. Dass dieser Kontinent, dieses unser Europa, ohne engste Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland seine Rolle nicht spielen kann, war immer eine gemeinsame Erkenntnis in diesem Hause.

   Mir scheint, dass die Union vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme und Meinungen bereit ist, diese fundamentale Position aus taktischen Gründen aufzugeben. Würde das der Fall sein, dann wäre das schlimm für Europa und schlimm für Deutschlands Interessen in Europa.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Kein Zweifel, heute stellt sich die Frage der Verantwortung, von der ich gesprochen habe, vor allen Dingen in der Golfregion. Ebenso wenig kann ein Zweifel daran bestehen, dass verantwortlich dafür das Regime in Bagdad ist, über dessen Natur sich niemand - aber auch wirklich niemand - Illusionen macht. Wir haben also dafür zu sorgen, dass der Irak die Hindernisse ausräumt, die das Regime einer friedlichen Entwicklung und der Herrschaft des Rechts entgegenstellt. Wir unterstützen daher vorbehaltlos die Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach einer bedingungslosen Abrüstung des Irak und nach seiner vollen und aktiven Kooperation mit den Waffeninspekteuren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Weltsicherheitsrat hat in seiner Resolution 687 im April 1991 als Ziel und Rahmen eine ausgewogene und umfassende Rüstungskontrolle in der Region und die Einrichtung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen und Mittleren Osten verbindlich festgeschrieben - wohlgemerkt, in der gesamten Region. Die dem irakischen Regime aufgegebene Abrüstung ist demnach nur ein erster Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel, das der Sicherheitsrat definiert hat. Durch seine wiederholten Verstöße gegen UN-Resolutionen steht der Irak bisher diesen Zielen im Wege. Das ist der Grund, warum der Weltsicherheitsrat in seiner Resolution 1441 vom 8. November 2002 einstimmig beschlossen hat, dass der Irak lückenlos Bericht zu erstatten und verbliebene Potenziale an Massenvernichtungswaffen vorbehaltlos und nachprüfbar abzurüsten hat.

   Diese Resolution trägt Deutschland mit. Wir haben aktiv an ihrer Umsetzung mitgewirkt. Wir haben Personal, Ausrüstung und Informationen - und zwar vollständige Informationen - für die Waffeninspekteure bereitgestellt. Wir unterstützen die Resolution 1441 und ihr Ziel als Mitglied und derzeitiger Vorsitzender des Weltsicherheitsrates.

   Genauso klar ist: Diese Resolution enthält keinen Automatismus zur Anwendung militärischer Gewalt - keinen Automatismus!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Wenn die Vorsitzende der CDU, wie sie das bei der Münchener Sicherheitskonferenz getan hat, das Gegenteil behauptet, dann irrt sie. Wenn sie dabei bleibt, dann führt sie die Menschen in die Irre.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die letzte Mission der Inspekteure in Bagdad hat, nach allem, was wir bisher wissen, durchaus zu Fortschritten geführt. Die Inspekteure, die morgen dem Weltsicherheitsrat erneut Bericht erstatten werden, haben nie einen Zweifel am notwendigen Umfang ihrer Mission gelassen. Unsere Verantwortung ist es, diese Inspekteure zu befähigen, ihre Aufgabe erfolgreich zu Ende zu bringen.

   Wie wir in unserer gemeinsamen Erklärung mit Frankreich und Russland, die von China unterstützt wird und auf der Linie weiterer Mitglieder des Sicherheitsrats liegt, betont haben, muss es darum gehen, sämtliche Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Konfliktes auszuschöpfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Das bedeutet: Die Inspektionen müssen fortgesetzt und ausgeweitet werden.

   Meine Damen und Herren, wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, dass tief greifende Veränderungen oft nur durch langfristige Prozesse erreicht werden können. Das glückliche Ende des Kalten Krieges ist eben auch ein Erfolgsbeweis für die Politik der Eindämmung und der Abschreckung. Ohne dass je eine militärische Option zu Gebote gestanden hätte, konnten am Ende die Ziele von Freiheit, Frieden und Rechtsstaatlichkeit erreicht werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Entscheidend war in diesem Prozess das beharrliche Eintreten für unsere Werte und Prinzipien im Rahmen des Bündnisses.

   Auch damals gab es mitunter Meinungsverschiedenheiten und vielen, die damals dabei waren, ist das auch sehr wohl bewusst. Aber genauso wie heute stand die prinzipielle Einigkeit im Ziel einer freiheitlichen, friedlichen Ordnung unseres Kontinents nie infrage. Auch heute bekennen wir uns ausdrücklich zu unseren Bündnisverpflichtungen und nehmen sie auch wahr.

   Das Bündnis hilft Partnern, die in Gefahr sind. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf die Türkei, die sich auf unsere Solidarität bei einer Gefahrenabwehr jederzeit verlassen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte auch sagen: Den Forderungen innerhalb der NATO, die in dieser Hinsicht erhoben worden sind, haben wir tatsächlich längst entsprochen. So habe ich schon im Dezember öffentlich zugesagt - daran darf kein Zweifel bestehen; gelegentlich ist er aus anderer Richtung geäußert worden -, dass die deutschen AWACS-Besatzungsmitglieder für den Schutz des Bündnisgebietes, damit auch für den Schutz der Türkei, zur Verfügung stehen. Ich habe zugleich darauf hingewiesen, dass es keine direkte oder indirekte Beteiligung an einem Krieg geben wird, und dabei bleibt es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zusammen mit den Niederlanden stellen wir der Türkei das modernste Gerät zur Raketenabwehr zur Verfügung, das es in Europa zurzeit gibt, nämlich die Patriot-Systeme. Übrigens: Wir haben diese Systeme auch nach Israel geliefert. Ich denke, wir sind uns jedenfalls insoweit einig, dass das eine notwendige und richtige Entscheidung gewesen ist.

   Hinzu kommt - auch das müssen wir unseren Partnern gelegentlich sagen -: Soldaten der Bundeswehr beschützen seit Ende Januar amerikanische Kasernen, Flugplätze und Einrichtungen. Etwa 1 000 deutsche Soldaten sind bereits für diese Aufgaben eingesetzt und es werden deutlich mehr werden. Auch aufgrund der Tatsache, dass wir diese Leistungen erbringen, halten wir mit unseren Freunden aus Frankreich und Belgien einen förmlichen Beschluss darüber vor den Erörterungen des Sicherheitsrates für nicht angemessen

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und haben uns im Einklang mit unseren Partnern in Frankreich genau so verhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Für uns steht die Solidarität mit der Türkei und die Solidarität in der Allianz außer Frage; doch wir halten - anders als die Opposition - die Aktionseinheit mit Frankreich gerade in der jetzigen Situation für unverzichtbar. Wir sagen daher deutlich: In der deutschen Politik kann es niemals darum gehen, diese Solidarität mit Frankreich aufzukündigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Das haben Sie doch gemacht!)

   Wir alle wollen die Entwaffnung des Irak. Unterschiedlicher Meinung sind wir hinsichtlich der Wahl der Mittel zur Durchsetzung und der Zeitvorstellung zur Erreichung des Ziels.

   Meine Damen und Herren, der Bundesaußenminister hat im Weltsicherheitsrat darauf hingewiesen, dass während der Inspektionen von 1991 bis 1998 nachweislich mehr Massenvernichtungswaffen im Besitz des Irak abgerüstet worden sind als während des gesamten Golfkrieges. Es spricht also alles dafür, dass kontrollierte Abrüstung und wirksame Inspektionen ein durchaus taugliches Mittel zur Beseitigung der Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen ausgeht, sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer angesichts dessen heute einer militärischen Option den Vorzug gibt, muss glaubhaft machen, dass es keine Alternative zum Krieg gibt. Die Bundesregierung - ich sage es bewusst noch einmal - ist gemeinsam mit Frankreich, Russland, China und zahlreichen anderen Staaten ausdrücklich nicht der Meinung, dass es keine friedliche Alternative gibt. Es gibt eine und wir kämpfen darum, sie zu realisieren.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Ebenso wie unsere europäischen Partner und die Vereinigten Staaten wollen wir dazu beitragen, auch im Nahen Osten eine dauerhafte und stabile Friedensordnung zu schaffen. Dazu gehört die Sicherheit Israels ebenso wie ein unabhängiger, lebensfähiger und demokratischer Staat der Palästinenser.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine militärische Auseinandersetzung im Irak würde nach unserer Einschätzung diesen Prozess nicht erleichtern, sondern deutlich verlängern und deutlich erschweren. Eine militärische Konfrontation und die Besetzung des Irak würden im Übrigen die Reform- und Dialogbereitschaft in islamischen Ländern vermutlich weiter blockieren und die Gefahr terroristischer Anschläge deutlich erhöhen.

   Wenn ich - und mit mir der Außenminister - so leidenschaftlich dafür kämpfe, dem Frieden eine Chance zu geben

(Lachen bei der CDU/CSU - Volker Kauder (CDU/CSU): Der wird auch einmal erwähnt!)

- Sie werden das heute schon noch erleben; seien Sie da ganz sicher -,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann geschieht das eben auch aus Sorge um die Folgen für die Region und aus Sorge um die Folgen für Israel. Eine neue Welle des Kamikazeterrors mit seinen entsetzlichen Opfern unter dem israelischen Volk und als Folge der Vergeltungsschläge auch unter dem palästinensischen Volk müssen gerade wir vermeiden helfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Einer der wesentlichen Gründe, warum es den Vereinigten Staaten und uns nach dem 11. September 2001 gelungen ist, eine breite Koalition gegen den Terror zu schmieden, war die Ablehnung der Idee, es könne sich um einen Kampf der Kulturen oder um einen Feldzug des Westens gegen den Islam handeln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir jetzt den Prozess der Abrüstung des Irak und der politischen Befriedung für gescheitert erklärten, würden wir, so befürchte ich, Fanatikern, die diese Konfrontation der Kulturen herbeipredigen und mit ihren schändlichen Attentaten auch herbeibomben wollen, Zulauf und Bestätigung bescheren.

   Dagegen beharren wir auf der Integrität einer jeden Zivilisation gegen die Gewalt von Terroristen und auf der Überlegenheit einer Friedensordnung des Rechts. Gerade deshalb ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, jeden Stein wirklich zweimal umzudrehen, um eine friedliche Lösung zu erreichen. Das ist die Position der Bundesregierung und ihrer Partner.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Alternative heißt eben nicht: Krieg oder Nichtstun. Wer den Krieg ablehnt, ist nicht zum Appeasement verdammt. Unser unmittelbares Vorgehen orientiert sich im Wesentlichen an fünf Punkten:

   Erstens. Die Resolution 1441 enthält keinen Automatismus zur Anwendung militärischer Gewalt. Vordringliche Aufgabe ist es, sämtliche Mittel zur friedlichen Konfliktlösung auszuschöpfen und in ihrer Anwendung zu optimieren.

   Zweitens. Irak muss umfassend und aktiv mit dem Weltsicherheitsrat und den Waffeninspektoren kooperieren. Wir brauchen eindeutige Klarheit über Massenvernichtungsmittel des Irak und, so es sie gibt, über deren endgültige Abrüstung.

   Drittens. Die Entscheidungskompetenz über den Fortschritt der Inspektionen und über sämtliche Konsequenzen liegt beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

   Viertens. Entscheidendes Instrument für die Beseitigung verbotener irakischer Rüstungsprogramme ist und bleibt ein wirksames Inspektions- und Verifikationsregime. Es muss ausgebaut und den Erfordernissen entsprechend verstärkt werden.

   Fünftens. Unser Ziel ist es, dauerhafte Strukturen für die Eindämmung von vom Irak ausgehenden Gefahren sowie für Abrüstung und Stabilität in der gesamten Region zu schaffen.

   Der französische Außenminister hat am 5. Februar im Weltsicherheitsrat Vorschläge gemacht, die auf die Schaffung eines effektiveren Inspektionsregimes abzielen. Diese Vorschläge hat Frankreich inzwischen weiter konkretisiert. Im Kern geht es darum, die Zahl der Inspektoren zu verdoppeln oder zu verdreifachen, ihre Ausstattung mit technischem Material, Infrastruktur und speziell qualifiziertem Personal aufzustocken und zu diversifizieren sowie die Koordinations-, Aufklärungs- und Eingriffsmöglichkeiten der Inspektoren zu präzisieren und zu verstärken. Diese Vorschläge werden von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Parallel dazu arbeiten wir gemeinsam mit Frankreich und anderen Partnern an Vorschlägen zur friedlichen, vollständigen und dauerhaften Abrüstung. Diese Vorschläge beinhalten unter anderem die dauerhafte Überwachung einschlägiger Anlagen und wirksame Kontrollen des Exports, aber auch des Endverbleibs kritischer Güter unter Einbeziehung vor allem - aber durchaus nicht nur - der Anrainerstaaten.

   Inspektionen und Kontrollen sollten auch dazu führen, dass wir Erkenntnisse über den Handel mit verbotenen Kampfstoffen und Komponenten sowie Erkenntnisse über die entsprechenden Vertriebswege zum weltweiten Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln wirksam nutzen können. Vor allem die Anrainerstaaten des Irak müssen stärker als bisher eingebunden werden. Die explosive Lage in der Region sowie die dort vorhandenen Waffenpotenziale erfordern eine umfassende Kooperation. Wir dürfen und wollen die Nachbarstaaten des Irak und seine Partner in der Arabischen Liga nicht aus ihrer Verantwortung für eine friedliche Lösung entlassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich hoffe, es ist sichtbar: Wir stellen uns unserer Verantwortung für den Erhalt des Friedens. Es kann nicht verkehrt sein, selbst für die allergeringste Friedenschance auch außergewöhnliche Anstrengungen auf sich zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Diese Einschätzung wird im Übrigen auch von der Mehrheit unserer europäischen Nachbarn sowie von der Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder geteilt. Auch aus diesem Grunde unterstützen wir den Vorschlag der griechischen EU-Präsidentschaft zur Einberufung eines Sondergipfels am kommenden Montag. Ich denke, dass wir es schaffen müssen - wie es Anfang Februar auch die 15 europäischen Außenminister geschafft haben -, zu einer gemeinsamen europäischen Position zurückzukommen.

(Beifall bei Abgeordneten der Welches die besten Mittel sind, werden wir in enger Absprache mit den Inspekteuren und mit unseren Partnern im Sicherheitsrat beraten. Dabei sind wir fest davon überzeugt: Es gibt noch Alternativen; es ist nicht zu spät, die Entwaffnung des irakischen Regimes friedlich zu erreichen. Nicht nur im Sicherheitsrat, nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch im Bundestag, hier im Hohen Hause, werden wir uns weiter um eine breite Mehrheit für eine gemeinsame Position in dieser Hinsicht einsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben auch die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Freunde und Verbündeten nach wie vor einen Anspruch darauf, von uns eine Antwort darauf zu erhalten, ob wir uns an einer Militäraktion beteiligen oder nicht. Diese Bundesregierung hat diese Frage mit Nein beantwortet und dabei bleibt es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Vor allem aber wollen die Bürgerinnen und Bürger - sie müssen darauf vertrauen und sie können darauf vertrauen -, dass wir alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um den Frieden auch in jener Region stabiler zu machen, um eine friedliche Lösung des Konfliktes zu erreichen. Ich will nicht akzeptieren, dass es nur darum geht, Krieg zu führen mit den Freunden oder dem Frieden eine Chance zu geben ohne sie. Wir können den Irak entwaffnen ohne Krieg.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Chance zu nutzen verstehe ich als Inhalt meiner Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Gewiss - ich weiß darum -, es gibt auch in unserem Land eine Koalition der Willigen für einen Krieg. Nach den Erklärungen aus jüngster Zeit gehört die CDU/CSU dazu.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

- Das haben Sie doch gesagt. - Denen, die die Chancen, die ich erläutert habe, nicht nutzen wollen, setzen wir mit der Mehrheit in unserem Volk den Mut zum Frieden entgegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Dieser Mut zum Frieden ist das Mandat von Rot-Grün, das uns am 22. September 2002 gewährt worden ist. Und exakt an dieses Mandat werden wir uns halten, meine Damen und Herren.

   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Die Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland ist bereit, alle Mittel, die wir für ein nachhaltiges, verschärftes Inspektionsregime zur lückenlosen Abrüstungskontrolle mobilisieren können, zur Verfügung zu stellen.

Welches die besten Mittel sind, werden wir in enger Absprache mit den Inspekteuren und mit unseren Partnern im Sicherheitsrat beraten. Dabei sind wir fest davon überzeugt: Es gibt noch Alternativen; es ist nicht zu spät, die Entwaffnung des irakischen Regimes friedlich zu erreichen. Nicht nur im Sicherheitsrat, nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch im Bundestag, hier im Hohen Hause, werden wir uns weiter um eine breite Mehrheit für eine gemeinsame Position in dieser Hinsicht einsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben auch die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Freunde und Verbündeten nach wie vor einen Anspruch darauf, von uns eine Antwort darauf zu erhalten, ob wir uns an einer Militäraktion beteiligen oder nicht. Diese Bundesregierung hat diese Frage mit Nein beantwortet und dabei bleibt es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Vor allem aber wollen die Bürgerinnen und Bürger - sie müssen darauf vertrauen und sie können darauf vertrauen -, dass wir alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um den Frieden auch in jener Region stabiler zu machen, um eine friedliche Lösung des Konfliktes zu erreichen. Ich will nicht akzeptieren, dass es nur darum geht, Krieg zu führen mit den Freunden oder dem Frieden eine Chance zu geben ohne sie. Wir können den Irak entwaffnen ohne Krieg.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Chance zu nutzen verstehe ich als Inhalt meiner Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Gewiss - ich weiß darum -, es gibt auch in unserem Land eine Koalition der Willigen für einen Krieg. Nach den Erklärungen aus jüngster Zeit gehört die CDU/CSU dazu.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

- Das haben Sie doch gesagt. - Denen, die die Chancen, die ich erläutert habe, nicht nutzen wollen, setzen wir mit der Mehrheit in unserem Volk den Mut zum Frieden entgegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Dieser Mut zum Frieden ist das Mandat von Rot-Grün, das uns am 22. September 2002 gewährt worden ist. Und exakt an dieses Mandat werden wir uns halten, meine Damen und Herren.

   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Die Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegin Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute schauen Millionen Menschen in Deutschland auf uns und hören dieser Debatte zu. Sie machen sich Sorgen, ob wir, die Politiker - egal ob Regierung oder Opposition -, unser Land durch eine schwierige Zeit, insbesondere durch den Irakkonflikt und durch den Kampf gegen den Terrorismus mit Klugheit und Weisheit führen können.

   Die Menschen in diesem Lande wollen keinen Krieg.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Das ist wahr!)

Diejenigen, die in diesem Saale sitzen, wollen auch keinen Krieg.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wie sehr Sie innerlich unter Druck stehen, hat man schon an der Lautstärke Ihrer Stimme gemerkt.

(Lachen bei der SPD)

Dass Sie es aber nötig haben, die Opposition dieses Hauses als Kriegstreiber zu verleumden,

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Pfui!)

zeigt, in welcher Ecke Sie stehen. Aus dieser Ecke werden Sie nicht herauskommen können.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wer als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland den Eindruck erweckt, irgendjemand würde sich die Entscheidung über Krieg und Frieden leicht machen und die letzte Chance aus der Hand geben, der, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, hat nicht erfasst, worum es geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich sage Ihnen: Sie sind seit Wochen auf einem Irrweg. Das Schlimmste ist - das sage ich mit großem Ernst; das ist meine feste Überzeugung -, dass insbesondere Ihr Verhalten auf dem Marktplatz von Goslar den Krieg im Irak leider nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinlicher gemacht hat; denn haben Sie den Druck auf Saddam Hussein verringert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lothar Mark (SPD): Das ist unglaublich! - Weitere Zurufe von der SPD)

Im Gegensatz zu Ihnen war ich in München und weiß, was ich gesagt habe. Niemand hat behauptet, dass es aufgrund der Resolution 1441 einen Automatismus der Gewalt gibt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig! So ist es!)

Sie haben es auf dem Marktplatz von Goslar aber für notwendig erachtet, der Weltöffentlichkeit mitzuteilen, dass Sie unter gar keinen Umständen - Ihnen ist es also egal, was die Inspekteure herausfinden und worum sie bitten - bereit sind, dafür zu sorgen, dass die Resolution 1441 mit letzter Konsequenz umgesetzt werden kann.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So ist es!)

Das ist der Dissens und um den drücken Sie sich herum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Nun versuchen Sie mit zum Teil abenteuerlichen, dilettantischen Mitteln, über größere deutsche Zeitungen aus dieser Ecke wieder herauszukommen.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie müssen sich einmal vorstellen, was in München abgelaufen ist. Dort standen ein Außenminister, der von nichts wusste, und ein Verteidigungsminister, der gesagt hat, dass wir durch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers am heutigen Donnerstag über die Blauhelme informiert werden. Fehlanzeige, Herr Bundeskanzler! Davon habe ich nichts gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Des Weiteren waren dort eine Verteidigungsministerin aus Frankreich, die erstaunt geguckt hat, ein portugiesischer Verteidigungsminister und ein amerikanischer Verteidigungsminister, mit denen natürlich auch niemand gesprochen hat, anwesend. Das ist das, was wir kritisieren. Herr Bundeskanzler, ich glaube, wir tun dies zu Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Krieg zu vermeiden ist ein richtiger Wunsch. Die Politik ist ihm verpflichtet. Ich sage aber auch: Sie vermengen die Dinge. Sie selber stehen angeblich dazu, dass die NATO eine Wertegemeinschaft ist.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Was heißt hier „angeblich“?)

Sie selber wollen die Position der UNO stärken. Es ist doch ganz natürlich, dass es hin und wieder Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich kann Ihnen im Übrigen sagen, dass ich mit den Amerikanern viele Verhandlungen über Klimaschutzabkommen geführt habe.

(Lachen bei der SPD - Zuruf von der SPD: Wissen Sie noch, wo Sie stehen?)

- Entschuldigung, wenn Sie vor lauter Selbstverliebtheit nicht mehr außer Landes kommen, wird man doch noch davon berichten dürfen, wie man mit den Amerikanern verhandelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, wir streiten hier über die Frage: Wie kann ich in einer Gemeinschaft von Freunden, denen ich mich durch gemeinsame Werte verpflichtet fühle, einen möglichst großen Teil meiner eigenen Vorstellungen umsetzen? Das kann ich nicht dadurch, dass ich Dinge verkünde, ohne mich abzusprechen, und Teilbündnisse schließe, ohne andere zu informieren.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Sagen Sie, was Sie wollen, Frau Merkel!)

Damit schwäche ich die Europäische Union, die NATO, die UNO, den Sicherheitsrat und die Arbeit der Inspekteure.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Weil Sie sich so verhalten haben, wie Sie sich verhalten haben, haben Sie außenpolitischen Schaden angerichtet. Wenn ich von Schaden spreche, können Sie sicher sein, dass ich mir das gut überlegt habe. Ich erinnere an eine Gemeinsamkeit von Konrad Adenauer über Willy Brandt und Helmut Schmidt bis Helmut Kohl, die sich jenseits aller innenpolitischen Auseinandersetzungen immer einem Ziel verpflichtet gefühlt haben: Nie wieder Krieg! Das heißt in der Umsetzung: Nie wieder ein deutscher Sonderweg!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, Sie seien mit Frankreich und anderen Ländern einer Meinung.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das bleibt nicht so!)

Der große Unterschied ist, dass sich der Präsident der Französischen Republik seinen diplomatischen Handlungsspielraum erhalten hat. Sie haben Ihren aufgegeben und damit Deutschland in eine gewichtslose Klasse hineingeführt, die nicht mehr das bewegen kann, was sie eigentlich bewegen müsste.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb gestern:

(Zuruf von der SPD: Sie müssen die von heute lesen!)
Deutschland ist in einer Sackgasse angekommen und hat, anders als Frankreich oder Russland, keine Hintertüren offen. Solange Schröder in Berlin regiert,
(Franz Müntefering (SPD): Ist alles gut!)
wird Washington ihn als Gegner sehen, in Paris und London gilt er als überambitionierter Amateur.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, Sie können die „Süddeutsche Zeitung“ in Ihrer Parteitagsdiktion nicht als Helfershelfer der Opposition bezeichnen. Deshalb rate ich Ihnen: Nehmen Sie diese Worte ernst! Wenn es nicht um so viel ginge, dann wäre die Sache mit dem „überambitionierten Amateur“ sogar zum Lachen. Aber es geht hier nicht um eine ganz normale Auseinandersetzung, sondern um das Verhalten Deutschlands in der Zukunft und damit um weit mehr als nur um einen Konflikt.

   Ich sage Ihnen sehr persönlich: 1990, als wir in Frieden und Freiheit die deutsche Einheit in Übereinstimmung mit Frankreich, Russland, den Vereinigten Staaten und Großbritannien erhalten haben, als ein Kollege aus Ihren Reihen, Markus Meckel, genauso in die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen wie viele andere eingebunden war, haben wir uns nicht träumen lassen, dass Deutschland heute einen Beitrag dazu leistet, dass Bündnisse geschwächt werden und die transatlantische Partnerschaft gegen die deutsch-französische Freundschaft ausgespielt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD - Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja wohl die Höhe!))

   Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich mache bei diesem Spiel nicht mit.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Das ist kein Spiel, Frau Merkel! - Gert Weisskirchen [Wiesloch] (SPD): Das ist ernst, kein Spiel!))

- Das ist allerdings sehr ernst. Ich war bisher gegenüber dem Bundeskanzler sehr freundlich.

   Dass es der Bundeskanzler wagt, zu behaupten, dass wir das Verhältnis zu Frankreich infrage stellen, um die transatlantische Partnerschaft zu pflegen, ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich kann es Ihnen auch auf diese Art und Weise sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, seit dem Bundestagswahlkampf schüren Sie sehr subtil einen bestimmten Antiamerikanismus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Widerspruch bei der SPD)

Sie haben im Wahlkampf festgestellt: Mit mir sind Abenteuer nicht zu machen. Was soll das bedeuten? Mit wem auf dieser Welt sind Abenteuer zu machen?

(Zurufe von der SPD: Mit Ihnen!)

   Der Senator McCain hat auf der Sicherheitskonferenz in München - die Sie vielleicht besser auch besucht hätten, Herr Bundeskanzler - sehr deutlich darauf hingewiesen, dass er es ernst nimmt, wie eine große Zahl von Menschen in Deutschland denkt.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht nur in Deutschland!)

- Auch in Europa. - Derselbe Senator hat uns eindringlich gebeten, unsererseits ernst zu nehmen, in welcher psychologischen Situation sich die Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika befinden.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tun wir, Frau Merkel!)

Sie befinden sich nach dem 11. September in einer Phase, in der sie bedroht und angegriffen werden. Ich rate uns allen dringend, gemeinsam - ich betone: gemeinsam - im Bündnis nach Lösungen zu suchen, statt Sonderwege zu beschreiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Bundeskanzler, wer entscheidet eigentlich über die Legitimität von Wünschen? Sie sind dem Wunsch der Amerikaner umgehend nachgekommen - ich unterstütze das -, deutsch-amerikanische Einrichtungen in Deutschland zu schützen. Warum kommen Sie dem Wunsch der türkischen Regierung, ihr Land bzw. Ihren Bündnispartner zu schützen, nicht nach, und zwar an dem Tage - -

(Widerspruch bei der SPD - Hans-Werner Bertl (SPD): Haben Sie eben nicht zugehört, Frau Merkel? Es ist eine klare Aussage gemacht worden! Nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, was hier gesagt wird! - Zurufe von der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller verständlichen Erregung bei diesem uns sehr bewegenden Thema bitte ich Sie doch sehr darum, der Rednerin zuzuhören und die Zwischenrufe auf ein Minimum zu beschränken.

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

   Die amerikanische Regierung hat die deutsche Regierung gebeten, ab Ende Januar amerikanische Einrichtungen in Deutschland zu schützen. Die türkische Regierung hat ihre NATO-Partner gebeten, umgehend Patriot-Raketen zum Schutz der Türkei zu senden. Warum kommen Sie diesem Wunsch nicht nach,

(Otto Schily, Bundesminister: Das tun wir doch!)

sondern meinen, selbst den Zeitpunkt bestimmen zu müssen, zu dem die Türkei ein Recht auf diese Unterstützung hat? Das ist die Frage, auf die Sie keine Antwort gegeben haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich zitiere:

Gerade wir Deutschen, die wir durch die Hilfe und Solidarität unserer amerikanischen ... Freunde und Partner die Folgen zweier Weltkriege überwinden konnten, um zu Freiheit und Selbstbestimmung zu finden, haben nun auch eine Verpflichtung, unserer neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden. Das schließt - und das sage ich ganz unmissverständlich - auch die Beteiligung an militärischen Operationen zur Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten, zur Herstellung von Stabilität und Sicherheit ausdrücklich ein.
(Zuruf von der SPD: Ja, genau!)

   Herr Bundeskanzler, das waren Ihre Worte nach dem 11. September.

(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Ja!)

Aber heute weigern Sie sich, die Legitimation der UNO anzuerkennen,

(Widerspruch bei der SPD)

Resolutionen, die sie selbst verabschiedet hat, im Ernstfall auch wirklich durchsetzen zu können. In diesem Punkt widersprechen wir Ihnen energisch, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Geschichte des Irak - auch das vermisse ich -

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach 18 Minuten kommen Sie darauf!)

ist die Geschichte eines immerwährenden Verstoßes gegen die Resolutionen der Weltgemeinschaft. Sie haben heute nur über die Anteile gesprochen, die Ihnen in den Kram passen, Herr Bundeskanzler. Der Angriff des Irak auf Kuwait ist von der UN mit einer Resolution beantwortet worden, die zum Schluss mit militärischen Mitteln durchgesetzt wurde. Damals haben Sie Plakate mit der Aufschrift „Kein Krieg für Öl“ geklebt. So haben Sie damals die UN-Resolution missachtet. Deshalb stelle ich fest: Sie haben an dieser Stelle nichts dazugelernt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es ist doch nicht so, dass die Weltgemeinschaft aus heiterem Himmel dazu kommt, darüber nachzudenken, eventuell, im allerletzten Fall, militärische Mittel einzusetzen. Der ersten Resolution sind 16 weitere gefolgt. Es ist zum Teil gelungen, den Irak zu entwaffnen, aber nach der festen Überzeugung auch von Chefinspekteur Blix ist es auch heute noch so, dass sich der Irak weigert, einem umfassenden Abrüstungskonzept entgegenzukommen.

(Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollen Sie doch nicht!)

   Herr Bundeskanzler, es gab 16 Resolutionen, der Chefinspekteur Butler hat gesagt, das mache weiter keinen Sinn, und es gab einen erneuten Anlauf. Ich unterstütze alles, was den Druck auf den Irak erhöht, und bin für alle Versuche, kriegerische oder militärische Aktionen zu vermeiden. Aber ich sage: Wir dürfen diese militärischen Aktionen als letztes Mittel nicht ausschließen, weil sich Saddam Hussein keinen Millimeter bewegen wird, wenn er weiß, dass er alles tun und lassen kann und wir die Konsequenzen letztendlich nicht ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie haben heute nur gesagt, worin keine Bedrohung durch den Irak besteht. Ich erinnere daran, dass der Irak seinerzeit Israel mit Scud-Raketen angegriffen hat. Was ist eigentlich mit unserer Verantwortung vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gegenüber dem Staat Israel? Und warum haben Sie eigentlich 80 Millionen Dosen zur Pockenimpfung gekauft, wenn Sie glauben, dass es keinerlei Bedrohung gibt?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was sagen Sie denn zu diesen Fragen? Sie müssen die Menschen doch vollständig informieren, Herr Bundeskanzler.

   Jeder hier in diesem Haus hat ein hohes Interesse daran, dass der Druck auf den Irak erhöht wird. Wir sagen, dass man deshalb die UN nicht schwächen darf - für uns geht es um die Auseinandersetzung in der UNO -, indem man schon vorher festlegt, wie man abstimmt. Das war Ihr großer Fehler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, wenn wir über die Sicherheit und über Partnerschaften sprechen, dann geht es auch darum, dass der Stil und die Art und Weise, wie in diesen Partnerschaften Konflikte ausgetragen werden,

(Franz Müntefering (SPD): Sie müssen über Stil sprechen! Das finde ich gut! Ich würde ein bisschen länger darüber nachdenken! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Sie sind nicht der Experte, Herr Müntefering, was Stil anbelangt!)

in einem Geist bestehen, der die gegenseitigen Partner anerkennt. Sie von der SPD und von den Grünen suchen sich im Augenblick die Partner so aus - und vereinnahmen sie auch noch -, dass Sie andere Partnerschaften spalten.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist mit Ihrem Antrag, Frau Merkel?)

Ich sage Ihnen: Mittel- und langfristig ist Deutschland genauso wie andere Länder auf Partnerschaften und auf einen starken Sicherheitsverbund angewiesen. Wir sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, die Sicherheit unseres Landes und die Sicherheit Europas zu schützen. Deshalb ist es unablässig erforderlich, bei allem Eintreten für den Frieden alles daran zu setzen, die Zukunft dieser Partnerschaften durch ein hohes Maß an Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie meinen Vasallentreue!)

- Jetzt kommt Herr Volmer wieder und sagt: „Sie meinen Vasallentum.“ Ich kann nur sagen: Ich rate uns allen, mit diesem Wort verdammt vorsichtig zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wer auf den Marktplatz von Goslar gehen muss, weil er nicht die Kraft hat, die Auseinandersetzung im Bündnis zu führen,

(Widerspruch bei der SPD)

der versündigt sich an der Gemeinschaft, der wir uns verpflichtet fühlen. Deshalb sagen wir: Meinungsverschiedenheiten müssen im Bündnis ausgetragen werden.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werden Sie doch auch! Darüber beschweren Sie sich doch gerade! Sagen Sie etwas zu Ihrem Antrag!)

Oberste Priorität hat das Ziel, zum Schluss im Bündnis eine gemeinsame Entscheidung gegen die Diktatoren dieser Welt zustande zu bringen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Deshalb sage ich ganz ausdrücklich: Wir werden alles unterstützen, was zwischen den Partnern möglich ist, um einen Krieg zu verhindern. Wir werden vor allen Dingen aber auch auf das hören, was die Inspekteure wünschen.

Wenn Herr Blix zum Beispiel sagt, dass es nicht darum geht, die Zahl der Inspekteure beliebig zu vergrößern, dann ist ein solches Wort für mich mindestens so wichtig wie jede zehnte Titelgeschichte des „Spiegel“, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Deshalb ist und bleibt es eben falsch, dass Sie sich festgelegt haben zu Zeitpunkten, an denen es nichts zum Festlegen gab. Ich frage mich: Warum haben Sie das getan?

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben sich auf Kriegskurs festgelegt!)

Warum haben Sie sich als einziger mir bekannter Staats- und Regierungschef bereits zu einem Zeitpunkt festgelegt, als der UNO noch nicht einmal der erste Bericht vorlag?

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben sich festgelegt, Frau Merkel! Am Wochenende!)

Warum sagen Sie, obwohl Sie doch auch der UN-Charta verpflichtet sind - die UN-Charta enthält ganz ausdrücklich die Möglichkeit, die eigenen Resolutionen auch mit militärischen Aktionen durchzusetzen -, Deutschland werde dabei nicht mitmachen?

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben sich auf militärische Aktionen festgelegt!)

   Herr Bundeskanzler, ich sage - ich habe lange darüber nachgedacht -: Es hat rein innenpolitische Gründe.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie, Herr Bundeskanzler, haben nicht das, was ein souveräner Bundeskanzler haben müsste: die innere Freiheit, in Bezug auf die internationale Staatengemeinschaft auch frei und verantwortlich und in Partnerschaft zu entscheiden.

(Zuruf von der SPD: Wir haben einen Wählerauftrag!)

   Sie haben hier und heute von den Abstimmungen über den Einsatz in Afghanistan gesprochen. Wir erinnern uns genau. Damals, unter der ganz vehementen und für alle noch fühlbaren Bedrohung des 11. September, haben Sie es nicht geschafft, eine Mehrheit in Ihren Reihen zusammen zu bekommen,

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Ihnen haben letztes Mal vier Stimmen gefehlt!)

ohne diese Abstimmung gleichzeitig mit der Vertrauensfrage zu verbinden. Herr Bundeskanzler, ich sage es ganz ruhig und es ist ja auch vollkommen klar: Sie wissen, dass Sie bei Entscheidungen für einen Einsatz deutscher Soldaten - in welcher Form auch immer; schon bei der Zurverfügungstellung von Patriot-Raketen für die Türkei - keine eigene Mehrheit in diesem Hause haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wissen, dass Ihre Stellung als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland eine zweite Vertrauensfrage nicht durchhalten würde und dass deshalb Ihr eigener Machtanspruch beendet wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, wer es nicht einmal schafft, in den eigenen Reihen eine Zustimmung zur Änderung des Kündigungsschutzes hier im Lande zu bekommen,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

der steht dann eben vor der Notwendigkeit, in der Außenpolitik Verlässlichkeit und Freundschaft mit Deutschland aufzukündigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Wahrheit ist - und das nimmt Ihnen die Souveränität -, dass Sie sich auf Ihre eigene Truppe nicht verlassen können. Deshalb werfe ich Ihnen einen Mangel an Autorität vor. Dieser Mangel an Autorität zeigt sich in außenpolitischer Unverlässlichkeit und diese außenpolitische Unverlässlichkeit werden wir bitter bezahlen müssen, weil sie die Autorität der Europäischen Union, der NATO und der UNO aufs Spiel setzt. Dabei werden wir nicht mitmachen, Herr Bundeskanzler.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Meine Damen und Herren, auf der Tribüne hat soeben Parlamentspräsident Halilow aus Usbekistan mit seiner Delegation Platz genommen. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.

(Beifall)

Wir wünschen Ihnen für Ihren Aufenthalt heute in unserem Hause und in den nächsten Tagen in Deutschland sowie für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken alles Gute.

   Ich erteile nun das Wort Bundesminister Joseph Fischer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute auf der Grundlage der Regierungserklärung des Bundeskanzlers über eine der gefährlichsten Krisen der vergangenen Jahre. Sie, Frau Merkel - das hat Ihre Landung beim Kündigungsschutz klar gemacht -, haben dagegen eine ausschließlich innenpolitische Rede gehalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Bei allem Respekt: Hätte ich nicht nachgelesen, was Sie bislang gesagt haben und was beim Abendessen in München Herr Stoiber gesagt hat, wäre mir die Haltung der Unionsfraktion nicht bewusst. Ehrlich gesagt, sie ist mir nach Ihrer heutigen Rede nicht klarer geworden. Mich erstaunt schon, dass Sie nichts dazu gesagt haben, dass sowohl Sie als auch - beim Abendessen in München - Herr Stoiber erklärt haben, Sie seien, wenn es nicht anders gehe und eine militärische Aktion notwendig sei, für eine militärische Beteiligung Deutschlands. Das, Frau Merkel, hätten Sie heute vor dem Deutschen Bundestag sagen sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Exakt darauf hat sich der Bundeskanzler bezogen. Ich kann Ihnen nur sagen: Hier ist der Unterschied völlig klar. Ihr Kollege Pflüger war ja in München von herzerfrischender Deutlichkeit. Denn dort hat er gesagt: Wenn wir gewonnen hätten - Konjunktiv! -, dann hätten wir den Brief der Acht unterschrieben. Nun sage ich Ihnen: Sie haben nicht gewonnen. Wenn Sie aber diese Position offen im Bundestagswahlkampf vertreten hätten, dann hätten Sie noch ganz anders verloren. Denn eines müssen Sie wissen: Für diese Position gibt es in Deutschland keine Mehrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema. Sie haben fast die ganze Zeit nur über Stilfragen geredet. Wir müssen aber über die Frage reden, wie wir die Krise lösen können, und zwar so, dass es nach Möglichkeit nicht zu einer weiteren Destabilisierung kommt. Das ist die entscheidende Frage. Wir müssen Alternativen zum Krieg finden und eine Politik machen, die diese Alternativen gemeinsam mit unseren internationalen Partnern durch- und umsetzen will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben nichts gegen innenpolitische Kontroversen. Ich weiß, dass Sie und eine große Anzahl von Kollegen sich Sorgen machen. Schließlich rede auch ich im Ausschuss mit den Kollegen, und zwar nicht nur konfrontativ, sondern auch vertrauensvoll unter vier, sechs oder acht Augen. Die Sorge ist, dass wir langfristige Entscheidungen treffen, wenn es zum Krieg kommt. Ich möchte Ihre Gegenargumente gerne ernst nehmen - das ist nicht der entscheidende Punkt -, zumal sie auch „valable“ sind. Nur, lassen Sie uns nicht auf der Ebene diskutieren, die Sie vorgegeben haben. Lassen Sie uns vielmehr ringen um eine Reduktion der Risiken und um einen Weg zum Frieden. Darum geht es doch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Für mich ist entscheidend: Wir sind dem Frieden verpflichtet, Frau Merkel. Dazu haben Sie leider nichts Konkretes gesagt. Sie haben sich lediglich abstrakt dazu bekannt. Aber wo ist das Angebot der Unionsfraktion, alles zu tun - ich werde Ihnen nachher unsere Alternativen im Einzelnen darstellen -, damit die nicht kriegerischen Mittel ausgeschöpft werden können? Wenn die Opposition ein entsprechendes Angebot machen würde, wäre ihre Position wesentlich glaubwürdiger. Ich weiß, dass viele von Ihnen und vor allen Dingen auch Ihre Wählerinnen und Wähler dies teilen; denn anders ist es nicht zu erklären, dass 71 Prozent der deutschen Bevölkerung einen Krieg ablehnen. Eine solch eindeutige ablehnende Haltung gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien und in Frankreich, wo die Zahlen genauso hoch sind. Als wir gestern in Spanien waren, habe ich gelesen, dass 91 Prozent der dortigen Bevölkerung einen Krieg ablehnen. Es ist doch nicht wahr, dass die europäischen Bevölkerungen plötzlich antiamerikanisch geworden sind. Das sind keine antiamerikanischen Mehrheiten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Man muss begreifen, dass vielen Menschen nicht klar ist, wie wir nach dem 11. September, wie wir nach der tief empfundenen Solidarität mit unseren angegriffenen amerikanischen Partnern zu einer friedlichen Entscheidung im Fall des Irak kommen können.

Das ist durch Ihre Rede nicht klar geworden. Es ist auch den meisten Europäern nicht klar. Wenn es darauf keine Antwort gibt, werden Sie die Ablehnung nicht überwinden können. Bis heute habe ich darauf keine wirklich überzeugende Antwort gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Schauen wir uns die Risiken an! Wir sind durch das Grundgesetz verpflichtet, alles zu tun, um Krieg zu vermeiden, auch wegen der schlimmen humanitären Folgen. Wir wissen doch: Wenn es zu einer bewaffneten Aktion im Irak kommt, müssen viele unschuldige Menschen sterben. Genau das muss uns doch verpflichten, alles zu tun, um Alternativen zu finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Das Zweite ist die regionale Stabilität. Dazu kann ich Ihnen versichern: Diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder wird alles tun und tut alles, um das Existenzrecht und die Sicherheit Israels und seiner Menschen zu schützen. Darüber gibt es mit uns überhaupt keine Diskussion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deswegen haben wir auch die Patriot-Raketen geliefert, und zwar nicht erst, nachdem der Ernstfall eingetreten ist. Für uns war und ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir solidarisch zu Israel stehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Dietrich Austermann (CDU/
CSU): Und die Türkei?)

- Auf die Türkei komme ich noch zu sprechen.

   Die Frage der regionalen Stabilität ist eine sehr ernste. Dazu kann ich nur noch einmal sagen: In der Welt nach dem 11. September hätte ich mir - das war der erste Dissenspunkt - eine andere Prioritätensetzung gewünscht. Im Fall von Afghanistan gab es keine Alternative, weil Afghanistan die staatliche Basis des Terrors von al-Qaida war. Insofern war völlig klar, dass wir eine sehr schwierige Entscheidung zu treffen haben würden, und wir haben sie getroffen. Unsere Soldaten leisten dort eine unverzichtbare, eine riskante, aber für den Frieden zwingende Arbeit. Es gilt, ihnen dafür zu danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich will Ihnen in dem Zusammenhang einmal etwas sagen, Frau Merkel. Es gab den Hubschrauberabsturz, bei dem sieben unserer Soldaten das Leben verloren haben. Es war eine bewegende Trauerfeier. Dort waren wir mit den Angehörigen zusammen. Ich habe mit der Ehefrau von einem der tödlich verunglückten Soldaten gesprochen. Es fiel mir schwer, die richtigen Worten im privaten Gespräch zu finden, was Sie verstehen werden. Ich habe ihr unter dem Eindruck meines Besuchs dort 14 Tage vorher gesagt, dass die Präsenz unserer Soldaten im Rahmen der friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen in Kabul unverzichtbar ist. Die Ehefrau hat mir unter Tränen gesagt: Herr Fischer, auch wenn es bitter für mich ist: Wir alle am Standort wissen dies. Aber bitte, bitte nicht in den Irak! - Ich kann Ihnen versichern: Das war eine eher konservativ denkende Frau.

   Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es eine tiefe Sorge der Menschen in diesem Land gibt. Eine Regierung kann sich davon nicht abkoppeln. Das ist allerdings nicht der alleinige und zwingende Grund. Aber, Frau Merkel, Sie müssen dann schon sehr überzeugende Gründe für einen Einsatz haben, das heißt, alle friedlichen Mittel müssen wirklich ausgereizt sein. Der Bundeskanzler hat Ihnen heute dargestellt, dass dies mitnichten der Fall ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   In der Welt nach dem 11. September müssen wir uns mit der Frage des Terrors beschäftigen. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann würden wir diese Frage an die Spitze der Prioritätenliste setzen und dort festhalten. Das ist der entscheidende, der erste Punkt. Die Lösung regionaler Krisen ist für mich der zweite Punkt. Wenn Sie sich die Genesis des Konflikts anschauen, dann werden Sie feststellen, dass die Ursache für den 11. September mit seiner ganzen menschenverachtenden Brutalität letztlich zusammengebrochene Strukturen in Afghanistan, ein vergessener Konflikt, verbunden mit dem Terror waren. Die Lösung regionaler Krisen hätte für mich also die zweite Priorität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Damit komme ich zum Dritten, nämlich zur Verbindung mit Massenvernichtungswaffen. Das nehmen wir sehr, sehr ernst. Nur, wenn es so ist, dass Massenvernichtungswaffen heute ganz anders zugeordnet werden als noch zu Zeiten des Kalten Krieges, als es sozusagen eine Stabilität des Schreckens gegeben hat, dann brauchen wir doch - der Bundeskanzler hat es mit dem Beispiel Nordkorea klar gemacht - international ein wirksames und nicht nur in einem Einzelfall wirkendes Nichtverbreitungsregime und Kontrollregime. Exakt das ist die Herausforderung. In einer Welt wachsender Instabilität können wir doch nicht allen Ernstes Kriege zum Zweck der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen zur Strategie erheben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Exakt das ist der Punkt. Da nützt jegliche Warnung vor „Isolierung“ und „Sonderweg“ nichts.

   Herr Perle erzählt fünfmal die Woche, wir seien irrelevant. Ich frage mich: Warum erzählt er das so oft, wenn wir tatsächlich so irrelevant sind?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist mindestens viermal zu viel. Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir nicht irrelevant sind. Schauen Sie sich die Leistungen, die wir im Bündnis erbringen, an! Schauen Sie sich an, welche Handlungsmöglichkeiten das Bündnis ohne Deutschland hat! Sie wissen ganz genau, dass wir essenzielle Beiträge zur regionalen Stabilisierung, zur Abrüstung, zur Rüstungskontrolle und zur Friedenserhaltung leisten und auch in Zukunft im Bündnis leisten werden, Frau Merkel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Für uns ist ganz entscheidend, dass wir um den Frieden wirklich kämpfen und nicht kriegerische Alternativen so weit wie möglich ausreizen. Lesen Sie die deutsch-französisch-russische Erklärung! Der darin formulierten Position fühlen wir uns verpflichtet. Für diese Politik steht diese Bundesregierung und für diese Politik hat sie eine Mehrheit bekommen. Die Bundesregierung wird ihr Mandat erfüllen. Auch das kann ich Ihnen von dieser Stelle aus versichern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage das, damit bei Ihnen keine falschen Hoffnungen aufkommen.

   Wenn wir mit einer Alternative zum Krieg Ernst machen wollen, dann müssen wir drei Elemente umsetzen - der Bundeskanzler hat sie vorhin dargestellt -:

   Erstens. Der Irak darf keine Massenvernichtungswaffen haben. Dazu muss er entsprechend den UN-Resolutionen 1284 und 1441 voll kooperieren. Das ist der entscheidende Punkt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Jetzt frage ich einmal umgekehrt: Haben wir heute tatsächlich einen weiter gehenden Material Breach - die Herren Pflüger und Schäuble haben diese Auffassung im Ausschuss schon vertreten - und sollen deswegen Serious Consequences, das heißt kriegerische Mittel, eingesetzt werden? Wenn Sie dieser Meinung sind, dann hat das deutsche Volk, die deutsche Öffentlichkeit ein Recht darauf, das heute von Ihnen zu erfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Wir sind nicht dieser Meinung.

   Wir sind vielmehr der Meinung, dass Saddam Hussein seinen Verpflichtungen voll und ganz nachkommen muss, was er noch nicht getan hat, und dass der Druck aufrechterhalten werden muss. Das Instrument dazu darf jetzt aber nicht der Abbruch der Inspektionen sein, sondern - das ist das zweite Element; das erste Element ist die volle Kooperation Husseins - die Schärfung der Inspektionen. Das steht jetzt an. Die Arbeit von Blix, al-Baradei und ihren Teams bietet eine wirkliche Alternative zum Krieg.

   Unsere Risikoanalyse beruht auf der Beantwortung folgender Frage: Ist der Irak heute gefährlicher als noch vor einem Jahr oder gar in Zeiten des Golfkrieges? Wir wissen heute doch, dass wir es aufgrund der Inspektionen bereits mit einer erheblichen Risikominimierung zu tun haben. Können Sie der Bevölkerung erklären, warum wir bei fortschreitender Risikominimierung und einem kleiner werdenden Kooperationsdefizit des Irak die Inspektionen abbrechen und einen Krieg beginnen sollen? Können Sie das begründen? Ich kann es nicht begründen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Das dritte Element steht im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1284. Vor allen Dingen bei Biowaffen gibt es ein großes Problem. Wenn Sie sich die Details der Biowaffenproduktion einmal genau anschauen, dann werden Sie feststellen: niedrige Drücke, niedrige Temperaturen, kleine Technologie. Das heißt, wir bewegen uns nahezu ausschließlich im Bereich der Dual-Use-Güter, also im Bereich derjenigen Güter, die in hohem Maße zivil, in der Pharmazie, in der Medizin oder wo auch immer, genutzt werden. Eine Kontrolle, ob im Irak tatsächlich Biowaffen hergestellt werden, wird ohne ein langfristiges Verifikations- und Kontrollregime nicht möglich sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ohne ein solches Regime nützt jegliche Ausfuhrkontrolle nichts.

   Ich habe mir das einmal im Detail angeschaut. Man müsste dort im Grunde genommen den ganzen Pharmazie-, den ganzen Chemie- und vor allen Dingen den ganzen medizinischen Sektor lahm legen, was für die Menschen in diesem Land fatale Konsequenzen hätte. Wer tatsächlich Alternativen zum Krieg will, der kommt um ein langfristiges Verifikations- und Kontrollregime nicht herum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Merkel, ich sage Ihnen ganz offen: Unsere Alternative zum Krieg ist, diese drei Elemente umzusetzen. Wir machen dahin gehend Druck, dass der Irak voll kooperiert.

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Wie?)

- Ich kann Ihnen gern sagen, wie. Etwa bei meinem Besuch am Heiligen Stuhl in Rom habe ich mehr Bereitschaft gefunden - -

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

- Sehen Sie: Ihre Reaktion spricht wirklich für sich.

(Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich will Ihnen einmal sagen, welche große Befürchtung man am Heiligen Stuhl hatte.

Die große Befürchtung ist, dass es zu einem Krieg der Zivilisationen und auf mittlere Sicht zu einer Islamisierung der arabisch-muslimischen Welt mit fatalen Konsequenzen unter dem Gesichtspunkt Terror kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen hat der Heilige Stuhl einen Sonderbotschafter mit der klaren Botschaft nach Bagdad geschickt, dass es überhaupt keinen Spielraum mehr - das ist die Botschaft der Nachbarn, das ist auch unsere Botschaft - für etwas anderes als eine volle Kooperation mit Blix gibt.

   Sie dürfen sich die Frage stellen, warum Blix noch einmal eingeladen wurde und wie das im Zusammenhang mit einer Schärfung der Instrumente steht, wie sie unsere französischen Partner vorgeschlagen haben. Wenn wir hier noch die Mittel der langfristigen Kontrolle und der Verifikation hinzufügen, dann haben wir meines Erachtens in der Tat einen systematischen Ansatz, der eine Alternative zum Krieg darstellt und auch an anderen Orten als im Irak zum Einsatz kommen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Bezogen auf die NATO gebe ich Ihnen hier Folgendes zu bedenken: Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist? Wir haben von Anfang an - der Bundeskanzler hat es dargestellt - erklärt, was wir für den Schutz der Türkei im Rahmen des Bündnisses zu leisten bereit sind, nicht bezogen auf eine Aktion gegen den Irak, sondern strikt defensiv im Rahmen des Bündnisses. Wir leisten mehr als viele, die uns heute kritisieren. Auch das muss man hinzufügen.

(Claudia Roth [Augsburg] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kannst du laut sagen!)

   Ich konnte ja in München Erfahrungen im Umgang mit dem Verteidigungsminister eines befreundeten Landes sammeln, in der Tat mehr als andere. Ich könnte Ihnen Geschichten von der weltlichen Seite von Rom erzählen. Da würden Sie sich wundern. Aber das will ich nicht tun. Aus meiner Sicht, Frau Merkel, ist der entscheidende Punkt: Wir müssen in der NATO zusammenbleiben.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Ja, genau!)

- Ja, jetzt passen Sie gut auf. - Ich war gestern bei Präsident Chirac und habe ihm erzählt, wie viel die Union auf den Brief der Acht gibt. Das liegt hier ja heute in Form Ihres Antrags vor. Unser Ziel ist es, Frankreich, so weit es geht, in der NATO mitzunehmen und für Zusammenhalt zu sorgen. Daran habe ich die vergangenen Tage hart gearbeitet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Ihrem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben und der den Brief der Acht unterstützt, betreiben Sie, wenn Sie das ernst meinen, nichts anderes als die Isolation Frankreichs. Das wissen Sie so gut wie ich. Genauso wird das auch dort gesehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Für uns ist von entscheidender Bedeutung: Wir werden im Rahmen des transatlantischen Bündnisses und der Europäischen Union unsere Politik, wirkliche Alternativen zum Krieg zu suchen und sie mit unseren Partnern auch umzusetzen, fortsetzen. Ein Bündnis freier Demokratien und freier Völker wird auf Dauer nicht ohne Schaden bleiben, wenn man auf übergroße Mehrheiten in der Bevölkerung keine Rücksicht nimmt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Demokratien sind oft eigenwillig, in Demokratien muss man Überzeugungsarbeit leisten und für eine Sache wirklich überzeugend eintreten. Ich kann da nur unterstreichen, was der Bundeskanzler gesagt hat, nämlich dass wir uns vor dem Hintergrund unserer Geschichte die Entscheidung von Krieg und Frieden schwer und bisweilen sogar extrem schwer machen. Darin sehe ich keinen Nachteil, sondern eine Konsequenz, die sich aus unserer Geschichte ergibt. Trotzdem sind wir in der Lage, unsere Verantwortung wahrzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Unsere Politik ist deswegen Friedenspolitik in einer instabilen Welt. Wir wollen unseren Beitrag zum Kampf gegen den Terrorismus weiter leisten, und da, wo es keine anderen Alternativen zum Zerbrechen dieser Strukturen gibt, auch unter dem Einsatz militärischer, polizeilicher und geheimdienstlicher Gewalt. Wir wollen regionale Konflikte lösen. Ich halte das für unverzichtbar. Das betrifft nicht nur den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, der gefährlichste besteht zwischen den beiden Nuklearmächten Pakistan und Indien um Kaschmir. Aber auch der Kaukasus bereitet uns große Sorgen. Das alles sind regionale Konflikte, die morgen unsere Sicherheit bedrohen können. Wir müssen verhindern, dass Gruppen, die heute noch nicht kooperieren, in Zukunft kooperieren, weil wir Fehlentscheidungen treffen. Wir müssen dem Terrorismus den Nährboden entziehen, indem wir mehr und mehr Menschen Perspektiven geben, indem wir Demokratie und Beteiligung an der Globalisierung nicht nur in Sonntagsreden beschwören, sondern Menschenrechte tatsächlich ernst nehmen. Das heißt also, wir müssen gerade in dieser uns direkt benachbarten Region einen langfristigen Ansatz verfolgen. Gleichzeitig müssen wir eine echte Abrüstung bei Massenvernichtungswaffen durchsetzen und verhindern, dass sich Gewaltherrscher in den Besitz von Massenvernichtungswaffen bringen. Dazu brauchen wir ein international wirksames Kontroll- und Abrüstungsregime, das auch Zähne zeigen und zubeißen kann.

Frankreich hat dazu Vorschläge gemacht, die wir voll unterstützen, und auch wir machen Vorschläge, dies als konkrete Alternative zum Krieg im Irak umzusetzen. Das ist unsere Aufgabe im Sicherheitsrat. Wenn Sie Ihre Worte ernst meinen, dann müssen Sie uns unterstützen und dürfen uns nicht angreifen.

   Ich danke Ihnen.

(Lang anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

   Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle haben nach dem 11. September 2001 schon manche wichtige Debatte in diesem Hause geführt, gerade zur Außenpolitik. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in dieser gesamten Zeit in Fragen der Außenpolitik im Grunde genommen immer mehr auf die Opposition als auf Ihre eigenen Fraktionen verlassen können.

(Widerspruch bei der SPD)

Das Problem, das wir heute haben, ist ein Bundeskanzler, der der Opposition in diesem Hohen Hause vorwirft, sie sei - so wörtlich - „eine Allianz der Willigen zum Krieg“. Ein solcher Bundeskanzler hat den Tiefpunkt der Kultur in diesem Hause erreicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Genau das ist es, was Sie beide mit Ihren Reden heute hier beabsichtigt haben: Sie wollen in diesem Lande eine Arbeitsteilung beginnen, bei der Sie als Friedensfreunde und wir von der Opposition als Kriegstreiber fungieren. In Wahrheit ist es genau umgekehrt:

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen den Krieg wahrscheinlicher und wir sind mehr für den Frieden, als Sie es mit dieser Politik jemals erreichen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie haben hier von der Stärke des Rechts gesprochen; es gehe darum, dass nicht das Recht des Stärkeren siege. Das ist völlig richtig. Nur, wenn wir das Recht des Stärkeren verhindern wollen, dann - das hätten Sie gemäß der Tradition unseres Völkerrechts hinzufügen müssen - brauchen wir ein Gewaltmonopol der Vereinten Nationen; denn dann muss es jemanden geben, der das Recht durchsetzen kann. Ein Diktator lässt sich nicht mit guten Worten entwaffnen. Sie haben nicht nur eine Verantwortung für den Frieden in Deutschland, Sie haben auch eine Verantwortung für die Sicherheit in Deutschland.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie haben hier darauf hingewiesen, Herr Bundesaußenminister, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in Europa im Grunde genommen Ihrer Politik zustimmt. Das ist bemerkenswert. Wir alle wissen, wie solche Meinungsumfragen zustande kommen. Wenn Sie bei einer Meinungsumfrage die Frage stellen: „Sind Sie für den Frieden?“, dann wird es dafür mit Sicherheit eine große Zustimmung in diesem Lande geben. Auch jeder in diesem Saal würde zustimmen. Aber wenn Sie weiterfragen: „Sind Sie der Meinung, dass Druck auf den Diktator ausgeübt werden muss, um ihn entwaffnen zu können?“, erhalten Sie ein sehr viel differenzierteres Bild. Politik ist eben nicht so einfach.

   Sie behaupten, Sie hätten die Mehrheit auf Ihrer Seite. Dabei haben Sie doch vor kurzem in Hessen und Niedersachsen für Ihre Politik - Friedenspolitik, wie Sie behaupten - plakatiert und die Menschen haben sich gegen Sie entschieden, weil Friedenspolitik differenzierter ist und nicht mit solch einfachen Worten betrieben werden kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Manch einer in meiner Generation und diejenigen, die älter sind, werden sich noch an eine Diskussion Anfang der 80er-Jahre erinnern. Wir haben noch sehr genau in Erinnerung, wie damals für den NATO-Doppelbeschluss gestritten wurde, zunächst von Bundeskanzler Helmut Schmidt, der anschließend von den Sozialdemokraten im Stich gelassen wurde, und von Herrn Genscher und in Fortsetzung nach dem Regierungswechsel 1982/83 unter der Bundeskanzlerschaft von Helmut Kohl.

Gegen diesen NATO-Doppelbeschluss, gegen die damalige Regierung hat es eine große Zahl von Demonstrationen gegeben. Es gab Sitzblockaden und Sie waren fleißig bei denjenigen, die Transparente getragen und mit Sitzblockierern zusammengearbeitet haben. Einige von Ihnen sind damals weggetragen worden.

   Die Geschichte hat etwas anderes gezeigt. Sie hat gezeigt, dass die Standhaftigkeit der damaligen Regierung, im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses das durchzusetzen, was international richtig war, erstens den Frieden sicherer gemacht, zweitens die Vereinigung Deutschlands überhaupt erst ermöglicht und drittens den europäischen Prozess vorangebracht hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben damals Unrecht gehabt und in Wahrheit betreiben Sie diese falsche Politik von den Regierungsbänken weiter.

   Sie haben sich mit dem Hinweis auf Meinungsumfragen entlarvt, Herr Bundesaußenminister. Ihnen geht es nicht um die Außenpolitik, sondern darum, dass eine ins Schwanken geratene Regierung noch einmal einen Anker erwischt. Aber das geht schief.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Innenpolitik ist ein falsches Motiv für die Außenpolitik. Dementsprechend kann es nicht so weitergehen.

   Im Übrigen ist es spannend, zu beobachten, mit welch unterschiedlichen Maßstäben Sie argumentieren. Zunächst einmal hat Ihr Bundeskanzler darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung der Situation im Irak und bei der Bewertung von Nordkorea unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Das, was Sie sagen, ist in der Tat richtig. Genau darin liegt das Problem. Wenn nämlich die Völkergemeinschaft zulässt, dass Nordkorea in den Besitz von Massenvernichtungswaffen, in diesem Falle von Atomwaffen, kommt, und sie nicht mehr in der Lage ist, ein solches Regime zu entwaffnen, dann entsteht eine Bedrohung der Weltsicherheit und des Weltfriedens.

   Wir als Oppositionsabgeordnete wollen nicht, dass ein Diktator in unserer unmittelbaren Nachbarschaft jemals in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommt, die er auch hier in Mitteleuropa zum Einsatz bringen kann. Das ist die entscheidende Aufgabe wehrhafter Demokraten: Wer Hussein entwaffnen will, muss die Vereinten Nationen stärken. Er darf sie nicht durch einen nationalen Alleingang - weder einen amerikanischen noch einen deutschen - schwächen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Mit welcher Festigkeit Sie, Herr Bundeskanzler, hier vorgetragen haben, der Irak verfüge über keine entsprechenden Trägersysteme, ist bemerkenswert. Hier gibt es eine Zahl von Abgeordneten, die Ende des letzten Jahres vom Bundesnachrichtendienst informiert worden sind. Sie haben bis heute nicht gestattet, dass diese Erkenntnisse veröffentlicht werden. Geben Sie dem Bundesnachrichtendienst doch endlich die Erlaubnis, auch der deutschen Öffentlichkeit seine Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen! Ich bin sicher, das Meinungsbild wird dann anders sein.

   Weil Sie hiermit Politik machen, will ich es an dieser Stelle auch tun; denn ich kann nicht zulassen, dass die deutsche Öffentlichkeit hinter die Fichte geführt wird. Es ist eine konkrete Bedrohung, wenn ein irakischer Diktator in unserer unmittelbaren Nähe an Trägersystemen arbeitet, mit denen die Waffen auch uns in Mitteleuropa erreichen können. Jeder, der Verantwortung für unser Land trägt, darf das nicht zulassen; er muss die Vereinten Nationen stärken. Denn dieser Diktator lässt sich nur über Druck entwaffnen. Sie rühmen sich der Waffeninspekteure im Irak. Heute wäre kein einziger Inspekteur im Irak, wenn es nach Ihrer Politik gegangen wäre.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Das Allerschlimmste, was wir jetzt erleben, ist Ihre Behandlung unseres NATO-Mitgliedes Türkei. Sie haben hier eine babylonische Sprachverwirrung eingeführt. Allein die Lieferung von Patriot-Raketen ist eine Realsatire.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ja!)

Weil Sie sie aus Rücksichtnahme auf Ihren grünen pazifistischen Koalitionspartner nicht liefern wollen, liefern Sie sie an die Niederlande, die sie dann liefern dürfen. Das ist in der Tat eine Windung in der Außenpolitik, die man erwähnen sollte.

   Das Allerschlimmste aber ist: Gibt es eigentlich in der Außen- und Sicherheitspolitik noch irgendeine Linie? Einerseits wollen Sie die Türkei in die Europäische Union hineinholen. Aber wenn das NATO-Mitglied Türkei um Schutz bittet, sind Sie nicht in der Lage, richtig zu entscheiden. Das ist ein Widerspruch in sich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihre Außenpolitik ist nur noch Innenpolitik. Das hat man den Amerikanern früher zu Recht vorgeworfen.

   Wir erinnern uns daran, als auf Grenada eine Intervention der Amerikaner stattgefunden hat. Viele von denen, die heute auf den Oppositionsbänken sitzen, haben damals, in jüngeren Jahren, das Verhalten der Amerikaner kritisiert. Viele von uns haben den amerikanischen Verbündeten gesagt, dass das nicht der richtige Weg ist. Viele haben damals auch in Deutschland gesagt: Es kann nicht richtig sein, wenn Außenpolitik nur noch Instrument der Innenpolitik, Instrument von Wahlkämpfen wird. Das war richtig. Es war die deutsche Tradition, dass wir die Außenpolitik nicht zum Instrument der Innenpolitik, zum Instrument von Wahlkämpfen gemacht haben.

   Sie haben eine weitere Tradition gebrochen. Große sozialdemokratische Persönlichkeiten wie Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt sind in die deutsche Geschichte eingegangen, weil sie die Einbettung Deutschlands in die Völkergemeinschaft vorangebracht haben. Sie werden als Bundeskanzler der Sozialdemokratie in die Geschichte eingehen als jemand, der Deutschland aus der Völkergemeinschaft herausgeführt hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist schäbig, Herr Bundeskanzler, dass Sie sich nicht ein wenig besser und geschichtsbewusster verhalten. Ihre Politik ist unhistorisch. Sie ignoriert die gesamte Linie der deutschen Außenpolitik der Kanzler, der Außenminister Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel.

   Ich frage mich nach der heutigen Rede, was eigentlich schlimmer ist: ein Bundeskanzler, der falsch redet, oder ein Bundesaußenminister, der es besser weiß und trotzdem falsch redet, weil er fürchtet, dass seine Grünen näher an der radikal-fundamentalistischen Position des Bundeskanzlers sind?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Peter Dreßen (SPD): Schämen Sie sich!)

Das ist genau die Frage, über die wir zu entscheiden haben. Sie sind Getriebene, Sie handeln nicht mehr. Diese Bundesregierung hat Deutschland wirtschaftspolitisch ruiniert und ist jetzt dabei, dieses Land auch noch außenpolitisch zu isolieren. Das Beste für dieses Land wären zügige Neuwahlen. Dafür sollten Sie Ihren Platz frei machen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lachen bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion.

(Zuruf von der CDU/CSU: Lasst doch mal den Klose reden!)

Gernot Erler (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat eine sehr persönliche Regierungserklärung abgegeben. Er hat erklärt, warum er kämpft und wofür er kämpft. Da war ein Satz, der könnte das Motto für all diese schwierigen Wochen sein. Er lautet: Es kann nicht verkehrt sein, selbst für die allergeringste Friedenschance noch außergewöhnliche Anstrengungen auf sich zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Bundeskanzler, für die SPD-Bundestagsfraktion erkläre ich: Wir sehen diese außergewöhnlichen Anstrengungen. Wir sind froh, dass sie jetzt Früchte tragen. Wir schauen aber nicht nur zu, sondern unterstützen diese außergewöhnlichen Anstrengungen von Ihnen, vom Bundesaußenminister, vom ganzen Bundeskabinett mit aller Kraft und mit tiefer Überzeugung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sind da nicht allein. Eine sehr große Mehrheit der Menschen in diesem Land unterstützt diesen Kampf und wünscht sich sehnlich, dass er Erfolg hat - eine sehr große Mehrheit, aber nicht alle. Zu den Unterstützern dieser Politik gehört nicht die Opposition im Bundestag mit CDU/CSU und FDP. Man hört zwar von ihnen, dass sie den Krieg auch nicht möchten, aber man hört überhaupt nicht - Frau Merkel hat dazu keinen einzigen Satz gesagt -, was sie dafür eigentlich tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren von der Opposition, auch bei Ihnen gibt es außergewöhnliche Anstrengungen, in der Tat - aber in eine ganz andere Richtung. Sie strengen sich wirklich an, die Bemühungen des Bundeskanzlers und des Außenministers verächtlich zu machen, sie herabzusetzen. Besonders gerne tun Sie das, wenn ausländische Gäste dabei sind.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig! - Zuruf von der SPD: Schändlich!)

Sie diffamieren unsere Nein-Entscheidung zu diesem Krieg als bloßes innenpolitisches Taktieren.

(Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Genau das ist es auch!)

Das war die Hauptbotschaft der Reden von Frau Merkel und auch von Herrn Westerwelle. Sie sprechen uns damit die Ernsthaftigkeit unserer Sorgen und den Überzeugungshintergrund unserer Entscheidung ab.

   Sie flüchten sich auf Seitenbühnen und toben sich dort in Ihrer Kritikwut an der Bundesregierung aus, ohne die tatsächliche politische Entwicklung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Gestern gab es auf Ihren Antrag eine Aktuelle Stunde. Ich hätte mir gewünscht, dass ganz Deutschland diese Aktuelle Stunde verfolgt hätte. Sie haben sich eine geschlagene Stunde lang ausschließlich mit einer Presseveröffentlichung vom Wochenende beschäftigt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und was dahinter steckt!)

Aber Sie sind nicht mit einem Satz darauf eingegangen - Sie hätten mit uns zusammen darüber nachdenken können -, ob die deutsch-französisch-russische Initiative nicht doch noch eine Chance bietet, den Irak ohne Krieg zu entwaffnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie soll man Ihnen glauben, dass Sie wirklich das Ziel verfolgen, diesen Krieg zu vermeiden? Das fällt schwer.

   Darüber wollen Sie nämlich nicht diskutieren, weil Sie dann mit Ihren wilden Angriffen auf die Bundesregierung eine Bauchlandung erleben würden und jeder merken würde, dass Ihre Behauptung von der deutschen Isolierung schlicht und einfach nicht stimmt. Dann würde auch Ihre These, das kategorische Nein der Bundesregierung zu einem Krieg mache Deutschland handlungsunfähig, widerlegt werden. Die letzten Tage haben exakt das Gegenteil bewiesen, aber Sie wollen das nicht wahrhaben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nein, wenn Sie es mit dem Willen, den Krieg zu verhindern, ernst meinen, dann müssen Sie jetzt aus Ihrer Ecke herauskommen und über den Schatten Ihrer Fundamentalopposition springen. Dann müssen Sie wenigstens in diesem einen Punkt die Politik des Bundeskanzlers und des Außenministers und damit auch die Ziele der deutsch-französisch-russischen Initiative unterstützen. Wenn Sie das nicht können oder nicht wollen, sollten Sie wenigstens eines anerkennen: die ernsten Sorgen hinter unseren Entscheidungen.

   Kann es denn sein, dass das bisherige Regelwerk der Weltgemeinschaft nach den Anschlägen vom 11. September auf genau diese Regeln und Werte als Antwort darauf hat das mächtigste Land der Erde im Alleingang und gegen die Regeln des bisher geltenden Völkerrechts eine neue strategische Doktrin beschlossen - aus den Angeln gehoben wird? Dürfen wir überhaupt zulassen, frage ich Sie, dass beim Kernstück des Völkerrechts, dem Gewalt- und Kriegsverbot, jetzt die Beweislast umgekehrt werden soll?

   Noch immer gilt, dass Krieg nur als letztes Mittel, wenn eine unmittelbare Bedrohung besteht und alle anderen Mittel zur Abwendung dieser Bedrohung angewandt wurden, aber versagt haben, zulässig ist. Die Initiative von Deutschland, Frankreich und Russland nimmt dieses Kernstück des Völkerrechts ernst. Der wichtigste Satz der gemeinsamen Erklärung lautet: „Es gibt noch eine Alternative zum Krieg.“ Nach dem geltenden Völkerrecht ist es aber nicht in unser Belieben gestellt, dieser Alternative eine Chance zu geben, sondern wir sind verpflichtet, das zu tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer die Arbeit der Waffeninspektoren jetzt abbrechen und durch eine militärische Intervention ersetzen will, hat die Beweislast. Er muss zeigen, dass eine unmittelbare und tatsächliche - nicht eine potenzielle - Gefahr für einen Nachbarstaat oder die ganze Welt anders nicht abwendbar ist. Wir weigern uns, diese Regeln der internationalen zivilisierten Gesellschaft außer Kraft setzen zu lassen. Wir tun das aus Sorge darum, in was für eine Welt uns das führen wird. Wir spüren - dabei bekommen wir gelegentlich eine Gänsehaut -, an welcher Weggabelung wir im Augenblick stehen.

   Lange Zeit gab es auf der Grundlage internationaler Verträge, an die sich auch die Hauptwaffenbesitzer zu halten haben, einen Konsens über Abrüstung als Prinzip für den Frieden in der internationalen Politik. Die Entscheidung über den Irakkrieg führt aus diesem Konsens heraus in eine neue, dichotomische Welt. Da soll zwischen Gut und Böse unterschieden werden. Die guten Länder dürfen alle Sorten von Waffen haben, die bösen aber nicht. Wenn diese an entsprechenden Programmen arbeiten, müssen sie notfalls durch Krieg entwaffnet werden. Alle Entscheidungen darüber trifft nicht die zuständige Weltorganisation, sondern - das notfalls auch ganz allein - die stärkste und einzige Weltmacht.

Der Irakkrieg wäre in diesem Kontext ein Präzedenzfall; das ist unsere tiefste Überzeugung. Er würde das Tor in eine neue Weltordnung aufstoßen, die nicht auf Vertrag oder Konsens, sondern allein auf der Macht beruht, sie so durchzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben kein Vertrauen in eine Weltordnung, in der als böse deklarierte Länder damit rechnen müssen, dass sie durch Krieg an verbotenen Waffenprogrammen gehindert werden, wirklich böse Länder aber - wie heute Nordkorea -, die schon über einsatzfähige Massenvernichtungswaffen verfügen, keine Bestrafung fürchten müssen. Wir sagen voraus: In einer solchen Welt wird es nicht nur eine Serie von Entwaffnungskriegen geben; darin wird auch Nichtverbreitung keine Chance mehr haben. Es wird logischerweise einen heimlichen Wettlauf um den Besitz dieser Waffen geben, damit man nicht mehr sanktioniert werden kann, damit das eigene Handeln sakrosankt wird. Das ist keine Weltordnung, in der wir leben wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nein, wir bestehen auf der Rückkehr zu dem politischen Ziel umfassender Abrüstung und Rüstungskontrolle aller Länder auf der Basis internationaler Verträge. Die Waffen selber sind die Gefahr, auch wenn sie in Händen der guten Länder sind. Man kann sie nicht garantiert gegen verbotenen Zugriff und Missbrauch schützen. Wo sind denn Anthrax-Briefe verschickt worden mit der Folge, dass Regierungsgebäude und Parlamentsgebäude für mehrere Wochen geschlossen werden mussten? Wo gelangte denn Plutonium auf den freien Markt? Das war nicht in irgendwelchen Schurkenstaaten, sondern in der zivilisierten Welt, mitten unter uns. Dies zeigt doch: Es geht um die Waffen selber. Es geht um ein Regime mit der Sicherheit der gemeinsamen Abrüstung. Ein Irakkrieg führt zu einer Bewegung davon weg hin zu einer neuen Weltordnung, in der auf diese Gefahren überhaupt keine Antwort gefunden werden kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Bundeskanzler hat unser Nein zu einer Abkehr von den bisherigen Regeln der Weltgemeinschaft noch einmal bekräftigt. Unser Nein ist kein Nein des Trotzes, des Taktierens oder gar der fahrlässigen Infragestellung der westlichen Wertegemeinschaft. Dieses Nein ist - im Gegenteil - ein Nein zu einer Veränderung der Werte und Regeln dieser Gemeinschaft, die ohne jeden Verständigungsprozess durchgesetzt werden soll.

   Hier stehen wir auf der Seite von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der uns geraten hat, diese Diskussion mit unserem amerikanischen Partner zu führen, aber in Form einer Freundschaft des offenen Wortes und nicht „in blinder Unterwerfung“.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sind heute dem Kern unseres Mandates, das uns von den Wählern verliehen worden ist in besonderer Weise sehr nah. Es geht um die Verantwortung über den Tag hinaus. Wir stehen an einer Weggabelung. Dies ist der Hintergrund unserer Entscheidung und unserer Position. Wir haben das Gefühl, die vielen Menschen, die vielen Wähler, die uns unterstützen, folgen nicht einer Stimmungslage, sondern teilen diese Grundüberzeugung. Dies macht uns stark und fest.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Michael Glos (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Erler, ich greife Ihre Worte von der Verantwortung über den Tag hinaus auf. Ich bin seit mehr als 25 Jahren Mitglied dieses Hauses. Aber was in den letzten Wochen an außenpolitischem Vertrauen und Porzellan zerschlagen worden ist, macht mich fassungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Trotz der aktuellen Kriegsangst, die natürlich herrscht, wenn Truppen aufmarschieren und sich ein Diktator bis jetzt unbeugsam zeigt, müssen wir doch immer schauen, dass wir die Grundlagen unserer Sicherheitspolitik, die feste Nachkriegsarchitektur, auf die unser Land aufgebaut ist, auch für die Zukunft bewahren können.

Vertrauen ist ein ungeheuer zerbrechliches Gut, das war auf der Sicherheitskonferenz in München deutlich zu spüren. Es ist sehr schnell zerstört und es dauert sehr lange, bis es wieder aufgebaut ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir tragen Verantwortung für unser Land, jetzt und weit über den Tag hinaus. In den 57 Jahren, die seit der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg vergangen sind, hat sich Deutschland dank der Politik kluger Staatsmänner zu einem gleichberechtigten, geschätzten Partner entwickelt. Wir gehören zur westlichen Wertegemeinschaft. Das ist für ein Volk, von dem der Holocaust ausgegangen ist, weil es dem Diktator nicht rechtzeitig das Handwerk gelegt hat, nicht selbstverständlich.

   Wir sind stolz darauf, dass wir über eine gefestigte Demokratie verfügen, dass wir geschätztes Mitglied eines Bündnisses sind, dass wir eine marktwirtschaftliche Ordnung haben, dass wir uns den Prinzipien der freien Welt verpflichtet fühlen und dass wir uns ein einmalig hohes Niveau an Wohlstand und sozialer Sicherheit erarbeitet haben. Maßgeblich dafür war das Vertrauen, das uns die anderen entgegengebracht haben. Dieses Vertrauen dürfen wir nicht verletzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zu diesem Wiederaufstieg Deutschlands haben die auf gegenseitiges Vertrauen aufbauende transatlantische Partnerschaft, der Schutz durch die NATO in den Jahren des Kalten Krieges, die irreversible Einbindung in die Europäische Union und die Einbettung in eine liberale Weltwirtschaftsordnung in besonderem Maße beigetragen. Angesichts des Dilettantismus der letzten Wochen spüre ich, dass dies alles für die Zukunft beschädigt ist.

   Es stimmt schon eigenartig, Herr Bundeskanzler, was große deutsche Zeitungen schreiben; ich habe einige dabei. So ist zum Beispiel zu lesen, Wilhelm II. feiere wieder fröhliche Urstände. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt von „Gerhard II.“. Wenn man das liest, dann spürt man, dass etwas zerbricht und dass etwas entsteht, von dem wir in Deutschland geglaubt haben, dass wir es überwunden haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das ist auch zu spüren, wenn man sich im Fernsehen die aktuellen Nachrichten ansieht. Die NATO befindet sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Das von Ihnen mitgetragene Veto hinsichtlich der Planung für den Bündnisfall für die Türkei ist konzeptionslos. Es wird vieler diplomatischer Künste bedürfen, um all das zu reparieren, was an Porzellan zerschlagen worden ist.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere NATO-Partner wissen doch noch: Sie waren diejenigen, auf die die Deutschen angewiesen waren. Die NATO war die entscheidende Basis für die Sicherung des Friedens in den Jahren des Kalten Krieges. Davon haben wir profitiert. Deutschland war das potenzielle Aufmarschgebiet des Warschauer Paktes. Ohne die NATO hätten wir unsere Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit niemals erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Haupt (FDP))

   Die NATO ist für uns nicht überflüssig geworden, seitdem uns an unserer östlichen Flanke keine Panzerarmeen mehr feindlich gegenüberstehen. Die NATO ist für uns notwendig, damit wir uns gegen die neuen terroristischen Bedrohungen, die es auf der Welt gibt und die zunehmen, verteidigen können; denn nur das gemeinsame Bündnis verfügt über die entsprechenden Mittel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es geht hinsichtlich der Außenpolitik ein Riss durch Europa.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen machen Sie diesen Antrag? Ihr Antrag ist der Riss!)

- Das steht alles in dem Antrag. Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Göring-Eckardt! Hören Sie zu! Sie können nur lernen.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich mache mir keinen Sorgen!)

   Der Aufruf der acht EU-Regierungschefs zur transatlantischen Solidarität - jetzt komme ich auf den Antrag zu sprechen - ist Ausdruck der abnehmenden Gemeinsamkeit der Europäer. Warum sind denn die Deutschen nicht gefragt worden, ob sie diesen Antrag mit unterschreiben? Vielleicht wären wir zu einem gemeinsamen Antrag gekommen, Herr Bundeskanzler. Es gab aber nie den Versuch, eine gemeinsame Position in Europa herzustellen. Wenn man sich von vorneherein von seinen Partnern distanziert und ihnen zu verstehen gibt, egal was sie beschließen, man mache nicht mit und, egal was die Weltgemeinschaft vorsieht, man gehe einen Sonderweg, dann muss man sich nicht wundern, wenn man am Ende alleine dasteht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fassungslosigkeit bei unseren amerikanischen Freunden gibt es nicht nur bei George Bush, bei Rumsfeld und den Republikanern. Vielmehr ist diese Sorge auch auf der anderen politischen Seite sehr verbreitet.

   Ich war nach der Sicherheitskonferenz abends in der Residenz Nachbar von Senator Lieberman. Er war bekanntlich der Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten. Als ich ihm gesagt habe, dass wir nur wegen etwas mehr als 6 000 Stimmen den ersten Platz bei der Bundestagswahl verfehlt hatten, entgegnete er, die Demokraten in den USA hätten den ersten Platz nicht wegen der Stimmenzahl, sondern wegen des Wahlsystems verfehlt, sonst wäre er heute Vizepräsident. Aber trotz dieser Wahlauseinandersetzung ist man sich heute einig, dass man gemeinsam den Terrorismus bekämpfen muss, dass man gemeinsam gegen Schurkenstaaten vorgehen muss,

(Franz Müntefering (SPD): Das liegt doch an Ihnen! Das können Sie doch auch haben!)

dass man gemeinsam Saddam Hussein in die Schranken weisen muss. Es ist auch hier gesagt worden: Ohne amerikanische Soldaten dort wären heute keine Waffeninspekteure im Irak.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was mir mindestens so viel Sorgen macht wie der möglicherweise bevorstehende Krieg, ist die Tatsache, dass wir heute eine Art Sprachlosigkeit in den deutsch-amerikanischen Beziehungen haben. Herr Bundeskanzler, wenn Sie zum Telefon greifen und den amerikanischen Präsidenten anrufen wollen, hebt auf der anderen Seite niemand den Telefonhörer ab.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist etwas, was uns keine Schadenfreude bereitet, sondern es macht uns zutiefst besorgt. Ich darf einen Demokraten zitieren. Tom Lantos, ein hochrangiges Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, hat gesagt:

Hätte es die heldenhaften Anstrengungen des amerikanischen Militärs nicht gegeben, wären Frankreich, Deutschland und Belgien heute sozialistische Sowjetrepubliken.

   Ich frage den Herrn Bundeskanzler: Sind Sie denn eigentlich von allen guten Geistern verlassen, wenn Sie eine Außenpolitik, zum Teil an Ihrem eigenen Außenministerium vorbei, machen, nach dem Motto: „Den Herren Bush und Blair werden wir es zeigen!“? Wer das als Deutscher glaubt machen zu können, der leidet unter Großmannssucht und vor Großmannssucht sollten wir uns hüten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Heute wird die Achse Moskau-Berlin-Paris beschworen. Ganz davon abgesehen, dass das Wort „Achsenmächte“ in Deutschland und in Europa keinen guten Klang hat, muss man erst einmal abwarten, ob diese Achse am Schluss hält. Tatsache ist zum Beispiel, dass unser Partner Frankreich zwar immer bei internationalen Krisen zunächst einen eigenen Kurs verfolgt hat, aber am Ende doch auf der Seite der westlichen Gemeinschaft gestanden ist. Es ist auch Tatsache, dass sich der russische Präsident Putin alle Türen offen gelassen hat.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So ist das!)

   Die Frage ist doch: Worum geht es in diesen Tagen und Wochen? Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat es wie folgt auf den Punkt gebracht:

Als erster Diktator seit Hitler vereint Saddam Hussein in seiner Politik Elemente des europäischen Faschismus und Stalinismus, blutigen Terror gegen die eigene Bevölkerung, Aggressivität gegenüber anderen Staaten, Antizionismus und Antisemitismus, den eindeutigen Wunsch, die Kontrolle über bedeutende Teile der weltweiten Ölversorgung zu erlangen, sowie eine unbeirrbare Entschlossenheit, sich chemische, biologische und atomare Waffen zu beschaffen.

Deswegen war doch die Antwort der Völkerfamilie klar und unmissverständlich: glaubwürdige Kooperation mit der UNO, ungehinderte Arbeit der Inspektoren, nachprüfbare Entwaffnung und definitiver Verzicht auf Massenvernichtungswaffen. Der Bericht von Chefinspektor Blix und die Analyse von US-Außenminister Powell lassen jedoch erhebliche und begründete Zweifel am Irak aufkommen und diesen Zweifeln muss man nachgehen. Die politische Führung des Irak hält sich nicht an die Abmachungen. Sie täuscht, vertuscht, sie trickst und taktiert. Wenn Saddam an dieser Strategie festhält, bleibt - das befürchte ich - als Ultima Ratio, als allerletztes Mittel, nichts anderes übrig als der Einsatz militärischer Gewalt.

Ich befürchte, dass dieses Regime keine anderen Hoffnungen zulässt.

   Ich glaube, hier ist niemand, dem es nicht lieb wäre, wenn sich das auf andere Art und Weise erledigen würde.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Was tun Sie denn dafür?)

Niemand - vor allem die westliche Völkerfamilie nicht - will Krieg. Wir kennen die Lehren aus der Geschichte der Weltkriege. Wir wissen aber eines: Mit den Mitteln der Friedensbewegung werden wir den Diktator in Bagdad nicht zum Einlenken bewegen. Von der Bergpredigt lassen sich Christen und Nichtchristen, aber keineswegs Saddam Hussein und Diktatoren seines Schlages beeindrucken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Gernot Erler (SPD): Es geht um die Inspektionen!)

   Wir wissen auch - lassen Sie mich das in diesen ernsten Zeiten sagen -: Der gesinnungsethische Pazifismus mag als Haltung des Einzelnen akzeptabel und durchaus ehrenwert sein, zur Sicherung des weltweiten Friedens und zur Eindämmung von Diktatoren taugt er allerdings nicht. Hier ist Verantwortungsethik gefragt. Wer Saddam Hussein gewähren lässt, wird früher oder später für die Folgen des Wegsehens aufkommen müssen. Um welche Folgen es sich dabei handelt, war in ZDF-Sendungen an den letzten Abenden oder bei „Boulevard Bio“ deutlich zu sehen. Wohin eine falsch verstandene Appeasement-Politik führt, konnte die Welt im vergangenen Jahrhundert in der Auseinandersetzung mit dem rechten und linken Totalitarismus erleben.

   Ich habe Verständnis für die theologischen und humanitären Argumente unserer Volkskirchen. Ich freue mich auch, wenn Fischer den Papst besucht; ich habe überhaupt nichts dagegen. Ich bin Mitglied in meiner Kirche und zahle im Gegensatz zu vielen Leuten auf der Regierungsbank Kirchensteuer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu allen Zeiten habe ich mich zu dieser Kirche bekannt.

(Zuruf von der SPD: Fällt Ihnen sonst nichts ein?)

Ich kann die ablehnende Mehrheit, die gegenwärtig Angst hat, irgendwo verstehen. Ich habe auch Verständnis für eine Minderheit in meiner Fraktion, die gegen einen möglichen Militärschlag gegen den Irak ist. Wir müssen aber auch die Folgen des Pazifismus im letzten Jahrhundert sehen. Hätte die Gemeinschaft der freien Völker Hitler damals rechtzeitig durch politische und - als Ultima Ratio - militärische Mittel in die Schranken verwiesen, wäre Deutschland und der Welt sehr viel erspart geblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich glaube, all das gilt es zu bedenken. Die pazifistische Haltung der rot-grünen Bundesregierung ist wenig glaubwürdig. Als es darum ging, den serbischen Diktator Milosevic in die Schranken zu verweisen, hat sich Bundeskanzler Schröder zu einer deutschen Beteiligung bereit erklärt; dies erfolgte im Übrigen bemerkenswerterweise ohne ein Mandat der UNO. Das möchte ich hier auch noch einmal feststellen. Ich halte es trotzdem für richtig. Heute sieht es so aus, als ob die Bundesregierung den irakischen Diktator für weniger brutal hält als den serbischen Diktator. Man weigert sich nämlich, selbst wenn die UNO dies so fordern sollte - damit ist zu rechnen -, das zumindest politisch zu unterstützen. Die Strategie des Bundeskanzlers im Irakkonflikt bestand und besteht bis jetzt in einem sehr schwer erklärbaren Chaos-Schlingerkurs.

   Ich möchte noch von einem weiteren Erlebnis auf der Sicherheitskonferenz erzählen. Ein ehemaliger amerikanischer Botschafter hat mir am Samstagmittag beim Hinausgehen gesagt - zu diesem Zeitpunkt waren die Pläne, massiv mit Blauhelmen dort hineinzugehen, durch den „Spiegel“ bekannt gemacht worden -, er habe gedacht, wir hätten in Deutschland keine Soldaten mehr. Er glaubte, unsere Kapazitäten seien bis an den Rand beansprucht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das habe ich mich auch gefragt!)

Ich habe gesagt: Sie sehen das falsch, Herr Botschafter. Wir haben nur einen Mangel an grünen Helmen. Offensichtlich sind genügend blaue Helme vorhanden.

(Claudia Roth [Augsburg] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich jetzt nicht verstanden!)

- Was wollen Sie? Man kann auf so etwas nur halb scherzhaft antworten. Die anderen amüsieren sich nämlich in hohem Maße über uns.

   Diese diplomatischen Bocksprünge sind für unser Land schlecht, weil sie das Vertrauen in die deutsche Politik unterminieren. Daran können noch nicht einmal wir als Opposition Vergnügen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was das auch für unsere Wirtschaft bedeutet, was es für Folgen haben wird, wenn wir uns von Amerika, der Lokomotive der Weltwirtschaft, weiter entfernen, wenn amerikanische Investitionen ausbleiben und unsere Produkte in den USA nicht mehr gekauft werden - worauf wir angewiesen sind -, all das müssen wir bedenken, wenn wir in diesen Tagen über das Verhältnis zu den USA reden.

   Die Außenpolitik und vor allen Dingen unsere Bündnisfähigkeit und Solidarität sind zu wertvoll, um in Wahlkämpfen missbraucht zu werden. Herr Bundeskanzler, Sie haben das im Bundestagswahlkampf getan. Schon damals war ich fassungslos, weil ich geglaubt habe, die Staatsräson würde dies einem verantwortlichen Bundeskanzler verbieten. Sie haben dieses Verhalten im niedersächsischen und hessischen Wahlkampf wiederholt. Das hat allerdings keine Auswirkungen mehr gehabt. Das zeigt, wie reif die Wähler in Deutschland in dieser Hinsicht geworden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich meine, wir sollten bei all unseren Entscheidungen immer auch unsere Bündnisfähigkeit und Glaubwürdigkeit im Auge haben. Wir wissen: Wir können Diktatoren nicht besiegen, wenn wir in unserer Haltung schwanken und als freie Welt nicht entschlossen handeln. Hussein setzt auf die Zerstrittenheit des Westens und hofft bis zuletzt, dass er an der Macht bleiben kann. Er versteht die Sprache des Pazifismus nicht. Er versteht offensichtlich nur die Sprache der Waffen, weil das seine Sprache ist.

   Ich hoffe, dass eine bewaffnete Auseinandersetzung im letzten Moment abgewendet werden kann. Aber im Zweifelsfall muss ganz klar sein, dass wir an der Seite unserer Freunde aus der freien Welt, unserer Freunde im Sicherheitsrat und unserer amerikanischen Freunde stehen, was die politische Unterstützung anbelangt.

   Herr Bundeskanzler, ein letzter Punkt. Sie scheuen Abstimmungen im Bundestag für eine notwendige Unterstützung offensichtlich wie der Teufel das Weihwasser. Wenn Sie eine Zustimmung für den Einsatz von Patriot-Raketen - meinetwegen auch mit deutschem Bedienungspersonal - brauchen, wenn Sie eine Unterstützung für den Einsatz deutscher Soldaten in den AWACS-Maschinen benötigen, sich aber auf Ihre Reihen im Bundestag nicht verlassen können, dann sage ich Ihnen: Auf uns ist Verlass, wenn es um die Sicherheit unseres Landes für die Zukunft geht.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Peter Struck.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Noch einer, der überrascht war!)

   Ein halbes Jahr später hat sich dieses Land zu einem Lächeln geöffnet, insbesondere wenn man mit Kindern spricht. Diese Entwicklung wäre ohne den Einsatz der Bundeswehr nicht vorstellbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir dürfen auf den Einsatz unserer Soldaten für den Frieden in diesem geschundenen Land stolz sein. Die Menschen wenden sich vor allen Dingen den Bundeswehrsoldaten geradezu mit Liebe zu. Sie wissen, dass sie uns bzw. den Bundeswehrsoldaten die Schritte zur Normalität verdanken. Auch die Taliban wissen das. Die Taliban wie auch die Hekmatyar-Rebellen und al-Qaida-Reste wollen den ISAF-Soldaten das Handwerk legen. Uns liegen entsprechende Informationen unserer Dienste und unserer Partnerdienste vor. Sie rächen sich mit Selbstmordanschlägen und Raketenangriffen. Unsere Soldaten sind in ihrem Auftrag der Weltgemeinschaft, ein demokratisches Afghanistan aufzubauen, höchst gefährdet.

   Ich unterstreiche, was der Bundeskanzler dazu ausgeführt hat. Auch angesichts der persönlichen Gefährdung für ihr Leben, der die Soldaten vor allem in Afghanistan ausgesetzt sind, verdienen sie unseren höchsten Respekt und unsere höchste Anerkennung für ihren Einsatz. Diese Auffassung teilt sicherlich der gesamte Deutsche Bundestag.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Ich spreche das deshalb an, weil ich Ihnen meine Auffassung zu den Äußerungen meines amerikanischen Kollegen Donald Rumsfeld im amerikanischen Kongress verdeutlichen möchte. Ich habe das übrigens auch dem Kollegen Rumsfeld in einem Vieraugengespräch mitgeteilt.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Da wäre ich gern dabei gewesen!)

   Das deutsche Engagement im Kampf gegen den Terrorismus hat die USA spürbar entlastet. Daran kann wohl kein Zweifel bestehen. Angesichts der Tatsache, dass sich abgesehen von dem Kommando Spezialkräfte der deutschen Bundeswehr keine anderen Special Forces mehr im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan aufhalten - alle anderen sind schon verschwunden -, meine ich, dass wir uns nichts vorwerfen zu lassen haben, schon gar nicht von den Vereinigten Staaten von Amerika.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir vergessen nie, dass wir durch die amerikanische politische und wirtschaftliche Unterstützung in einem stabilen demokratischen Land leben dürfen. Auch ich vergesse das nie. Das heißt aber nicht, dass ich es akzeptiere, dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Deutschland in einem Atemzug mit Kuba und Libyen nennt. Das ist inakzeptabel, unfair und mehr als ungehörig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das habe ich ihm auch persönlich gesagt. Ich will Ihnen auch erläutern, warum ich das für absolut unfair und unamerikanisch halte. Das Gebot der Fairness ist schließlich fast eine amerikanische Grundtugend.

   Wir haben die Überflugrechte und die Nutzung der US-Basen beschlossen. Wir haben beschlossen, dass Truppenverlegungen über deutsches Territorium möglich sind. Wir bewachen seit dem 24. Januar US-Einrichtungen. Gestern waren für diese Aufgabe 999 Soldaten an 18 Standorten in 17 Objekten im Einsatz. Maximal können 7 000 Soldaten abgestellt werden. Ich habe Rumsfeld darauf angesprochen, was wohl unsere Soldaten, die in der Winterkälte solche Einrichtungen schützen, darüber denken, wenn ihr Land mit Libyen und Kuba gleichgesetzt wird. Das geht nicht an und das kann man ihm nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Abg. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Er ist ein Mann, der eine klare Sprache spricht. Das bin ich aber auch und ich meine, das geht nicht.

(Zurufe von der CDU/CSU: Herr Präsident!)

- Melden Sie sich doch bitte lauter zu Zwischenfragen! Ich habe nichts dagegen, Herr Präsident.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Kollege Schäuble, Sie haben das Recht zu einer Zwischenfrage. Bitte schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

   Herr Bundesverteidigungsminister, könnte in Ihren Ausführungen, dass die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland eine Menge leisten und dass im Übrigen von amerikanischer Seite nicht mehr Unterstützung seitens der Bundeswehr nachgefragt worden ist, nicht in Wahrheit die Beschreibung des Problems liegen, nämlich dass durch die unverantwortlichen Äußerungen des Bundeskanzlers die deutsch-amerikanischen Beziehungen so geschädigt worden sind, obwohl der Dissens in der Sache, was die Unterstützung selbst anbetrifft, nicht so groß ist?

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

   Nein, das sehe ich völlig anders, Herr Kollege Schäuble. In den Debatten über eine mögliche Beteiligung Deutschlands oder anderer Länder am Irakkrieg, die im Sommer begannen, war völlig klar, dass sich die Bundesrepublik Deutschland - das hat der Bundeskanzler im Sommer wie auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt erklärt - nicht an militärischen Maßnahmen beteiligen wird und dass wir eine andere politische Zielrichtung verfolgen. Der Kanzler hat das ja dargelegt.

   Das haben die Amerikaner auch akzeptiert. Sie haben akzeptiert, dass wir nicht mit Bodentruppen oder sonst etwas im Irak sind. Aber sie haben natürlich auch andere Wünsche geäußert. Ich habe eben die Erfüllung einiger Wünsche dargestellt.

   Mein Punkt ist: Wenn ich zum Beispiel darauf hinweise, dass wir natürlich die Transporte von Rheinland-Pfalz nach Bremerhaven absichern werden, wenn sie notwendig werden, dass wir die Straße von Gibraltar und die Einfahrt in den Suezkanal im Zusammenhang mit der Operation „Active Endeavour“ im Kampf gegen den internationalen Terrorismus schützen, dass unsere Marine am Horn von Afrika ist, dass wir dem AWACS-Einsatz zustimmen werden - das alles wissen Sie doch -, dann kann ich nicht verstehen, dass ein amerikanischer Verteidigungsminister so tut, als sei das alles gar nichts und wir seien genauso wie Fidel Castro oder Muammar al-Gaddafi. Das kann ich nicht verstehen. Das muss man auch sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin in dem Gespräch mit Donald Rumsfeld in dieser Frage natürlich letztlich nicht einig geworden. Er - das will ich der Fairness halber auch erwähnen - hat mir gesagt, ich möge dem Bundestag mitteilen, diese Bemerkung über Libyen, Kuba und Deutschland habe sich nur auf die Frage bezogen, die ihm ein Congressman gestellt hat, wer sich alles am Krieg nicht beteiligen wolle. Das ist schon eine eigenartige Begründung von Donald Rumsfeld.

   Nachdem das geklärt war, haben wir noch einen Punkt besprochen, den ich dem Deutschen Bundestag auch nicht vorenthalten möchte. Es gibt Meldungen - sie sind auf der Sicherheitskonferenz kolportiert worden -, amerikanische Einheiten, die für andere Zwecke schon abgezogen sind - ich sage jetzt nicht, für welche -, kämen nie wieder nach Deutschland und US-Standorte in Deutschland würden geschlossen und nach Polen verlagert werden. Ich habe ihn auf diese Meldungen angesprochen. Er hat mir klar erklärt - ich sage das hier auch dem Parlament -: Diese Meldungen sind falsch.

   Ich finde das sehr wichtig, denn es wird plötzlich eine Situation hervorgerufen, als würden wir von den Vereinigten Staaten von Amerika für unbotmäßiges Verhalten abgestraft werden. Das ist nicht so. Diese Klarstellung, begrüße ich.

   Unterschiedliche Auffassungen gibt es in dieser einen Frage. Man muss auch klar sagen, welche Positionen man hat.

   Ich möchte etwas zu den Themen Patriot und AWACS sagen. Seit dem vergangenen Freitag liegt eine Anfrage meines niederländischen Kollegen, der mit mir zusammen in Afghanistan, in Kabul, war, zur Überlassung einer gewissen Zahl von Patriot-Lenkflugkörpern in leistungsgesteigerter Version vor. Die leistungsgesteigerte Version haben nur wir und nicht die Holländer. Es geht also um Missiles, nicht um Abschussbatterien. Wir haben dieser Bitte entsprochen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wofür wollen sie die haben?)

Wir werden diese Patriot-Missiles zusammen mit den niederländischen Batterien ab morgen oder übermorgen auf dem Seeweg in die Türkei bringen. Dazu haben wir auch entsprechende Vereinbarungen geschlossen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die Holländer fragen für die Türkei! Ist das denn wahr?)

- Stellen Sie eine Zwischenfrage. Dann will ich das noch einmal beantworten. Sie sind ja sachkundig. Machen Sie das!

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Nein, Sie dürfen nicht einfach nur so einen Unsinn dazwischenrufen. Stellen Sie eine Zwischenfrage! Dann werde ich Ihnen das erklären.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

   Herr Minister, Sie haben gerade in einer etwas geheimnisvollen Sprachregelung versucht, uns zu erklären, dass uns die Holländer gebeten haben, Material zur Verfügung zu stellen, damit die Niederländer es in die Türkei bringen können. Können Sie mir erklären, warum es nicht einen direkten Weg von Deutschland in die Türkei gibt, warum der vielmehr über die Niederlande organisiert werden muss?

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

   Ich versuche das. Es gibt - da haben Sie nicht zugehört - keine Bitte der Türkei an Deutschland, Patriot-Raketen zu liefern.

(Erika Lotz (SPD): Also!)

Es gibt eine Bitte der Türkei an die Niederlande, Patriot-Batterien und -Raketen zu liefern.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

- Da müssen Sie nicht lachen, Herr Kollege. Wenn die Türkei die Niederlande bittet, Patriot-Raketen - -

(Zuruf von der FDP: Die die Holländer nicht haben! - Gegenruf des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] (SPD): Ja, sicher haben die Holländer die! Sie haben keine Ahnung!)

- Entschuldigung, natürlich haben die Holländer die. Ich muss Ihnen das erklären. Sie sind kein Verteidigungspolitiker. Sie können das nicht so wissen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Es gibt Abschussrampen, die Holland, Deutschland und die USA haben. Daneben gibt es bestimmte Missiles, Bewaffnungen dafür. Die Bewaffnungen, die die Holländer auf ihren Batterien haben, werden von der Türkei als nicht so effizient angesehen wie die, die wir haben, die punktgenauer angreifende Raketen bekämpfen können.

   Es gibt also eine Anfrage der Türkei an die Niederlande. Die Niederlande haben gesagt: Wir liefern die Batterien. Wenn gewünscht wird - so war es -, dass zielgenauere Raketen mitgeliefert werden sollen, dann tun wir das. - Sie können sich gern wieder setzen, Herr Schauerte.

   Wir tun das auch deshalb, weil wir, wie Sie wissen, Patriot-Batterien einschließlich Raketen nach Israel liefern. Ich denke, das ist auch im Sinne des Deutschen Bundestages; wir haben darüber ja im Zusammenhang mit Israel diskutiert. Das war eine vernünftige und richtige Entscheidung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich möchte Ihnen noch etwas vorhalten. Ich habe an der Münchener Sicherheitskonferenz teilgenommen. Der Bundeskanzler hat eben von der „coalition of the willing“ für den Krieg gesprochen, an der sich auch die Union beteiligen will. Da haben Sie empört reagiert. Herr Westerwelle hat die Union verteidigt und gesagt, sie sei keine Kriegspartei.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

   Ja, bitte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Bitte schön, Herr Nolting.

Günther Friedrich Nolting (FDP):

   Herr Minister, ich hatte Sie gestern im Verteidigungsausschuss schon darauf angesprochen, dass es die Idee gibt, Blauhelme im Irak einzusetzen. Der Kollege Dr. Hoyer hatte Sie auf der Sicherheitskonferenz in München danach gefragt und Sie haben darauf verwiesen, der Herr Bundeskanzler würde dazu heute Stellung nehmen. Sie haben mir gestern erklärt, auch Sie würden heute dazu Stellung nehmen. Können Sie uns sagen, wie dieser Einsatz organisiert werden soll, welche Truppen von wem zur Verfügung stehen und in welcher Größenordnung Blauhelme eingesetzt werden sollen?

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Holländische Blauhelme! - Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Truppen aus Amsterdam!)

Das ist eine Frage, die die Öffentlichkeit beschäftigt. Ich denke, Sie sollten hier eine Information dazu geben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

   Ich möchte zunächst noch einmal klarstellen, dass die Antwort auf die Frage des Kollegen Hoyer anlässlich meines Referats bei der Sicherheitskonferenz, ob ich zu dem Thema Blauhelme und deutsch-französischer Geheimplan etwas sagen wolle, war: Ich kann dazu nichts sagen. Die Antwort hieß nicht: Ich will dazu nichts sagen. Ich wollte zu dem Vorgang zu dem Zeitpunkt auch nichts sagen, was natürlich richtig war. Der Kanzler hat jetzt darüber gesprochen, welche Gespräche mit Frankreich laufen. Die Bemerkung, es sei ein Geheimplan, ist absoluter Unsinn; das haben wir auch klargestellt. Das betrifft auch die Frage der Blauhelme.

   Dazu will ich Ihnen noch eines sagen: Eine solche Situation ist im Augenblick nicht ersichtlich. Wir werden sehen, wie sich die Situation weiter entwickelt, was im Sicherheitsrat beraten wird, welche Erfolge die Initiative Deutschlands, Frankreichs und Russlands haben wird.

   Nehmen Sie gern Platz, Herr Nolting. Es dauert ein bisschen länger.

   Ich sage Ihnen nur: Jeder deutsche Politiker, der auf die Frage „Können Sie sich vorstellen, dass irgendwann im Irak auch Blauhelme zum Einsatz kommen?“ Nein sagt, hat nun wirklich sein Amt verfehlt. Natürlich kann das einmal passieren. Wir sehen das im Augenblick nicht, aber wir wollen es nicht theoretisch für alle Zeiten und ewig ausschließen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Minister, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Nolting?

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

   Also gut, noch eine kurze Zusatzfrage.

Günther Friedrich Nolting (FDP):

   Herr Minister, hat es denn in dieser wichtigen Frage eine Abstimmung zwischen dem Bundeskanzleramt, dem Bundeskanzler und Ihnen sowie den Fachleuten im Verteidigungsministerium gegeben? Man bringt so etwas ja nicht in die Öffentlichkeit, ohne dass es vorher entsprechende Planungen gibt. Ich gehe davon aus, dass Sie genau wie der Herr Bundesaußenminister auch darüber informiert waren. Oder war das nicht der Fall und konnten Sie deshalb nicht Stellung nehmen?

Die Position der Bundesregierung ist eindeutig. Wenn Sie das nicht als Pathos abtun - darum bitte ich -, dann möchte ich Ihnen auch einen persönlichen Eindruck schildern - Joschka Fischer hat schon darüber gesprochen -: Ich habe am ersten Weihnachtstag in Köln-Wahn zusammen mit den Angehörigen die sterblichen Überreste der sieben abgestürzten Soldaten empfangen. Das damit verbundene Zeremoniell und die anderthalb Stunden Vorgespräche, die ich mit den Angehörigen geführt habe und die mir Fragen wie „Habt ihr auch den richtigen Hubschrauber zur Verfügung gestellt?“ gestellt haben - Sie können sich sicherlich vorstellen, wie diese Gespräche aussahen -, haben jedenfalls mich zu einer ganz persönlichen Erkenntnis gebracht: Ich möchte als Verteidigungsminister niemals wieder - das wünsche ich auch keiner meiner Nachfolgerinnen bzw. keinem meiner Nachfolger - in die Lage kommen, tote deutsche Soldaten in der Heimat zu empfangen. Das kann man eigentlich niemandem zumuten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jeder sollte wissen, was in einer solchen Situation auf ihn zukommt.

   Jetzt zur Position der Union: Über sie muss Klarheit herrschen. Frau Merkel hat in München gesagt: Diktatoren verstehen - das ist sicherlich richtig - nur die Sprache der Bedrohung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

Wenn die friedliche Entwaffnung sich am Ende als Fehlschlag erweist, befürworten wir auch im Interesse der internationalen Sicherheit und der Autorität des UN-Sicherheitsrates ein militärisches Vorgehen.

(Barbara Wittig (SPD): Hört! Hört! - Gernot Erler (SPD): Das war eindeutig!)

Deutschland solle sich in diesem Fall nach seinem eigenen Vermögen beteiligen. Stoiber - ich saß bei seinem ersten Auftritt neben ihm; er hat mich überrascht; denn am Samstagmorgen hat er auf die Rede von Rumsfeld mit Bedenken reagiert - hat gesagt: Die Gefahren durch den Irak würden hier „so nicht in der Breite gesehen“. Er hat des Weiteren mehr Zeit für die Inspektionen gefordert. Abends beim Essen für die Teilnehmer der Sicherheitskonferenz - ich war wieder dabei - hat er Folgendes gesagt: Sollte es nicht gelingen, mit friedlichen Mitteln die Gefahren aus dem Irak zu bannen, muss Deutschland auch bei einer militärischen Auseinandersetzung an der Seite der USA stehen. Das bedeutet, das, was der Bundeskanzler vorhin gesagt hat - Stichwort „coalition of the willing“ -, ist richtig. Sie wollen in dem Fall, über den wir reden, militärisch an der Seite der USA stehen. Dazu sage ich Ihnen: Das ist falsch. Das muss man im Deutschen Bundestag deutlich herausarbeiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): An welcher Seite wollen Sie denn stehen? An der Seite Saddam Husseins?)

   Die Position der Bundesregierung ist völlig eindeutig. Wir werden nach den Beratungen im UN-Sicherheitsrat am Freitag spätestens am Samstag im NATO-Rat eine Entscheidung treffen, die den Interessen der Türkei absolut gerecht werden wird; denn wir haben niemals einen Zweifel daran gelassen - auch jetzt werde ich daran keinen lassen -, dass die Türkei ein Bündnispartner der NATO ist und den Schutz bekommt, den sie braucht, wenn unmittelbare Gefahren drohen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): Hat der Herr Bundeskanzler das gestern auch Herrn Aznar gesagt?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt von der FDP-Fraktion.

(Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): Also, ich finde schon, der Kanzler könnte bei einer solchen Debatte bis zum Schluss dableiben! Ein Skandal! Der Außenminister ist nicht da und der Kanzler ist nicht da! Sie nehmen das Thema nicht ernst!)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, beiden wird in geeigneter Form mitgeteilt werden, dass es besser wäre, wenn sie hier wären.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): Holt sie her!)

   Ich möchte nur ein paar Anmerkungen machen. Der Außenminister hat wortreich eine internationale Lageanalyse über die schwierigen Regionen dieser Welt ausgeführt. Das alles ist zwar richtig gewesen. Aber leider will sich die Welt nicht immer so entwickeln, wie es guten Deutschen richtig erscheint. Sie entwickelt sich oft anders und stellt uns vor andere Fragen als diejenigen, die von einem Planungsstab nach einer klugen Lageanalyse vorgetragen werden könnten. Die jetzige Lage, in der wir uns befinden, ist ganz einfach: Die internationale Öffentlichkeit hat versucht, Druck aufzubauen, damit das Regime von Saddam Hussein wieder Inspektoren ins Land lässt, und so im Irak Sachen auf die Spur zu kommen, die erkennbar noch vorhanden sein müssen und die andere Menschen bedrohen.

   Als sich die internationale Völkergemeinschaft darangemacht hat, hat der deutsche Bundeskanzler im Bundestagswahlkampf gesagt: Wir nicht. Wir sind am Ende nicht dabei. Keine deutschen Soldaten in den Irak. - Es hatte ihn im Übrigen auch niemand gebeten, deutsche Soldaten in den Irak zu entsenden. - Der erste große strategische Fehler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist mit dieser Aussage gemacht worden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wer erklärt, wie dies der Herr Bundeskanzler und der Bundesaußenminister hier getan haben, dass er in strikter Bindung an das Völkerrecht vorgehen will, dass er das Gewaltmonopol bei den Vereinten Nationen halten will, dass er unilaterales Vorgehen nicht akzeptiert, der muss eine Außen- und Sicherheitspolitik betreiben, die die Autorität des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen stärkt und nicht schwächt. - Das ist der erste Punkt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Damit hat die Bundesrepublik Deutschland einem Diktator angezeigt, er könne entkommen und seine Politik weiterführen, ohne mit dem Letzten rechnen zu müssen. Sie hat Frieden gesinnungsethisch definiert, aber nicht verantwortungsethisch. Ich verwahre mich dagegen, dass alle die, die Frieden und Sicherheitspolitik auch verantwortungsethisch definieren, wie dies die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hier tut, so dargestellt werden wie vorhin auch die Union, als seien sie leichtfertig eher bereit, Krieg als Mittel einzusetzen. Mit Vaclav Havel lasse ich mich gern in eine Reihe stellen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Das Zweite sage ich jetzt einmal bewusst an die Reihen der Grünen gerichtet. Völkerrecht setzt sich, wie auch Sie erfahren mussten, nicht von selbst durch. Sie haben es beim Kosovo erfahren - sogar ohne Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Sie mussten in der damaligen Situation auch in Ihren Reihen dafür werben, sich militärisch zu engagieren, weil Sie den Menschen im Kosovo sonst nicht hätten helfen können.

   Die Bundesregierung hat der Sicherheitsratsresolution 1441 zugestimmt. Diese Sicherheitsratsresolution hat alle Komponenten zum Erreichen der Entwaffnung des Irak - alle. Frankreich hat sich die letzte Option nicht verschlossen, Russland nicht und China auch nicht. Deshalb sage ich Ihnen: Wir werden das in diesem Parlament noch einmal diskutieren. Ich kann nicht ausschließen, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesaußenminister sowie die gesamte Regierung am Ende ganz allein dastehen. Ich sage Ihnen, dass Sie es nicht verantworten können, diese Linie heute dem Deutschen Bundestag vorzutragen, weil Sie im Grunde gegen Ihre eigene Position schon heute sagen, Sie wüssten genau, was die Inspektoren vortragen würden. Ihr Bundeskanzler hat in Goslar gesagt: Selbst wenn wir den Inspektoren noch vier Wochen mehr Zeit geben: Auch das Ergebnis, das sie in vier Wochen vortragen werden, interessiert uns nicht; auch wenn der Mann seine Waffen nicht abräumt, werden wir ihn nicht mit militärischen Mitteln dazu zwingen. - Ich finde, dass eine Weltgemeinschaft, auch vertreten durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die Wert darauf legt, dass sie aus der Geschichte gelernt hat, die ein Gewaltmonopol beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hält, diesem Gewaltmonopol auch Autorität und Durchsetzungsfähigkeit verschaffen muss; denn sonst trägt es nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich will damit sagen, dass Deutschland eine außerordentlich große Möglichkeit strategischer Außen- und Sicherheitspolitik vergeben hat - aus Wahlkampfgründen - in einem Moment, in dem dieses Land nach einer langen Nachkriegsgeschichte den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat und eigentlich alles hätte tun müssen, um zusammenzuführen. Ein solcher nicht nur handwerklicher, sondern auch politisch-strategischer Fehler ist in der Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ohne Beispiel.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zuletzt noch eine kurze Bemerkung zum Bundesverteidigungsminister. Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben ruhig vorgetragen, Sie engagieren sich, Sie haben hier wortreich dargestellt, wie der Verlauf der Verhandlungen über die Patriot-Raketen gewesen ist, aber Sie werden sich noch gewaltig anstrengen müssen. Sie können weder der ganzen Weltöffentlichkeit noch einem Bündnispartner erklären, selbst wenn Sie noch eine Stunde Redezeit bekämen, wieso die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die im NATO-Bündnis übrigens stärker integriert ist als Frankreich, dem Bündnispartner Türkei Lieferungen verweigert

(Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): Sehr wahr!)

oder jedenfalls nicht politisch verständlich auf eine entsprechende Anfrage antwortet. Die Türkei ist unser Bündnispartner und definiert ihre Sicherheit selbst; wir können dies nicht für sie tun.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die oberlehrerhafte Art in Deutschland, darzustellen, wie die Sicherheitsempfindungen der Türkei aussehen, steht im krassen Widerspruch dazu, die türkische Bevölkerung immer wieder dazu einzuladen, zu uns nach Europa zu kommen.

   Dieses Bündnis hat uns jahrzehntelang geschützt. Wir haben wie selbstverständlich erwartet, dass das Bündnis sofort reagiert, wenn sich die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet fühlt. Warum um alles in der Welt sind Sie nicht in der Lage, einer anderen Bevölkerung die gleiche Sicherheit zu geben, die andere uns jahrzehntelang gegeben haben? Das versteht niemand mehr. Dass Sie dazu nicht in der Lage sind, ist der Grund dafür, dass andere an uns zweifeln, dass andere fragen: „Was denken die sich denn?“, und dass die Bundesregierung allmählich jeden internationalen Kredit verspielt, im Übrigen auch emotional.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Kollege Gerhardt, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

   Das war es eigentlich schon.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt der Kollege Ludger Volmer vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute hauptsächlich darüber, wie die UN-Resolution 1441 umgesetzt werden kann. Wir reden darüber, wie Saddam Hussein dazu bewegt und genötigt werden kann, endgültig abzurüsten. An dem Ziel, ihn dazu zu bewegen, arbeiten wir alle gemeinsam. Diese Zielsetzung verbindet uns alle.

   Dennoch möchte ich einige Fragen aufwerfen. Ich möchte zum Beispiel die Frage aufwerfen, wie der Irak überhaupt ins Visier geraten ist. Damit verbunden ist die Frage: Warum ausgerechnet der Irak? Nach dem 11. September 2001 waren wir alle - einheitlich, ohne Zweifel, ohne Zögern - solidarisch mit den Vereinigten Staaten. Wir alle wussten - manchen Pazifisten fiel es schwer -, dass man auch militärische Mittel braucht, um den internationalen Terrorismus einzudämmen und niederzukämpfen. Es ging kein Weg daran vorbei, solche Mittel auch gegen das Taliban-beherrschte Afghanistan einzusetzen. Bis dahin gab es keinen Dissens.

   Aber dann begann die Diskussion über die Phase zwei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dann wurden neue Ziele Gegenstand der Diskussion und eines dieser Ziele war plötzlich der Irak. Wir haben schon damals die Fragen gestellt: Warum der Irak? Wo ist eigentlich der Zusammenhang zwischen dem Irak und dem internationalen Terrorismus? Dieser Zusammenhang ist nie nachgewiesen worden.

   Ich wundere mich wirklich, dass diejenigen, die meinen, dass der Irak ein Ziel bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus sein muss, nicht auf das vor kurzem bekannt gewordene Tonband eingegangen sind, das angeblich einen Aufruf von Bin Laden enthält. Warum wird das in dieser Diskussion verschwiegen? Das geschieht doch wohl deshalb, weil dieses Tonband eher eines beweist: Es gab keine Unterstützung von al-Qaida für den Irak; vielmehr hatten der arabische Nationalismus, für den der Irak steht, und der islamische Fundamentalismus, für den Bin Laden steht, in der Vergangenheit nichts miteinander zu tun. Ich halte jede Sicherheitspolitik für verfehlt, die diese beiden - gleichermaßen problematischen - Stränge in Verbindung bringt und sie geradezu veranlasst, sich gegen uns zu verbünden. Eine solche Sicherheitspolitik ist nicht in unserem Interesse, sie ist nicht im europäischen Interesse und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie im amerikanischen Interesse ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir müssen doch alles daransetzen, dass die arabische Welt und der islamische Fundamentalismus auseinander gehalten werden. Deshalb frage ich mich, ob diese Sicherheitspolitik - sie begründet den geplanten Angriff auf den Irak mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus - eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang bringt: die Zusammenarbeit - es hat sie vorher nicht gegeben - von Bin Laden und Saddam Hussein. Eine solche verhängnisvolle Entwicklung müssen wir verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es wird die für manche Pazifisten durchaus unbequeme Auffassung vertreten, dass man auch ein militärisches Bedrohungsszenario braucht, um einen Despoten wie Saddam Hussein in die Knie zu zwingen bzw. zu veranlassen, die ihm in internationalen Resolutionen aufgetragenen Verpflichtungen zu erfüllen. Man kann darüber streiten.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Nein!)

Aber der Aufbau einer Drohkulisse impliziert auf jeden Fall zweierlei:

   Erstens muss man selber bereit und willens sein, die Drohung auch umzusetzen. Wenn man sich dazu bekennt, kann man schlecht sagen: Wir selbst halten uns heraus und lassen andere kämpfen. Von daher muss man sich vorher Gedanken darüber machen, ob man den Weg einer Drohpolitik einschlägt. Wir waren von Anfang an skeptisch.

   Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang: Wenn die an Saddam Hussein gerichtete Drohung in dem Sinne effektiv sein soll, dass er wirklich abrüstet, dann muss ihm auch das Gefühl vermittelt werden, dass die Drohkulissen irgendwann wieder abgebaut werden. Wenn Saddam Hussein aber glauben kann, dass er auf jeden Fall angegriffen wird, stellt sich doch die Frage, wo für ihn der Anreiz zur Abrüstung liegt. Das ist vielmehr ein Anreiz zur Aufrüstung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, dies gehört zu den Unklarheiten einer solchen Drohpolitik.

   Der Inhalt der UN-Resolution 1441, auf die wir uns beziehen, ist klar: Sie hat die Abrüstung des Iraks zum Ziel. Es gibt aber viele kompetente Sprecher in und rund um die Administration in Washington, die andere Ziele verfolgen und auch nach außen hin propagieren. Sie propagieren nicht die Abrüstung des Iraks, sondern den Sturz des Diktators. Nun hat keiner von uns irgendwelche Sympathien für diesen Diktator; alle wären froh, wenn er weg wäre. Unter sicherheitspolitischen Aspekten braucht man aber klare politische Zielsetzungen, weil man sonst zu einer antagonistischen und widersprüchlichen eigenen Haltung kommt. Wenn Saddam Hussein den Glauben haben kann, dass es um seinen Kopf und nicht um die Abrüstung des Iraks geht, warum sollte er dann abrüsten? Wenn es um seinen Kopf geht, wird er die Waffen behalten und aufrüsten. Das ist eine der Unklarheiten, die sich bei einer Analyse dieser Drohkulisse ergibt.

   Meine Damen und Herren, einige der Kollegen haben argumentiert, wie richtig es damals war, mit dem NATO-Doppelbeschluss den damals noch gegnerischen Block durch Hochrüstung in die Knie zu zwingen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nachrüstung!)

Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob diese konservative Sicht der Dinge nicht auch etwas für sich hat.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Da habt ihr auch falsch gelegen!)

Aber dass es dann zur Abrüstung in beiden Blöcken kam, hing damit zusammen, dass die Drohpolitik, die mit atomarer Aufrüstung verbunden war, massiv an Rückhalt in der eigenen Bevölkerung verloren hatte. Der Ausdruck hiervon waren massenhafte Friedensdemonstrationen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Abenteuerlich, was Sie da reden!)

Diese wiederum waren in der Wahrnehmung der sowjetischen Seite mit ein Grund dafür, dass Gorbatschow zu dem Schluss kam, er könne abrüsten, ohne Gefahr zu laufen, gegenüber dem Westen in eine sicherheitspolitisch nachteilige Lage zu geraten. Auch Perzeption und Fehlperzeptionen sind Realitäten. Mit ähnlichen Fehlperzeptionen muss man bei Saddam Hussein und in der arabischen Welt rechnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Tolles Beispiel für Geschichtsklitterung!)

   Wir sind deshalb so froh, dass der Heilige Stuhl, der Papst, die katholischen Bischöfe und die EKD-Synode ein so klares Bekenntnis gegen den Krieg abgegeben haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das sind keine kleinen Gruppen schwärmerischer Friedensfreunde, das sind die wesentlichen Instanzen der christlichen Welt. Sie haben ihre Verantwortung in zweierlei Hinsicht wahrgenommen. Ich frage mich, warum die Partei, die das große C in ihrem Namen führt und sich christlich nennt, nicht zumindest aufmerksam wird, wenn der Heilige Stuhl so dramatische Mahnungen formuliert.

   Es gibt zum einen das moralische und das ethische Argument, dass ein Angriff auf den Irak ein massenweises Sterben der Zivilbevölkerung nach sich ziehen wird. Schon deshalb verbietet sich aus ethischen Gründen ein Angriff auf den Irak.

(Dirk Niebel (FDP): Was sagt denn der Heilige Stuhl zur Schwangerschaftsverhütung?)

Wir wissen, dass der Diktator, indem er seine Waffen in zivile Gebiete disloziert, mit dazu beiträgt, dieses Elend herbeizuführen. Aber da wir dieses wissen, können wir nicht mehr arglos so tun, als ginge es nur um militärische Ziele.

Wir wissen heute, dass es Zehntausende von Toten und Millionen von Flüchtlingen geben wird. Das ist ethisch einfach nicht vertretbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zum anderen hat der Heilige Stuhl deutlich gemacht, dass wir alles vermeiden müssen, was den Eindruck erweckt, es ginge hier um den fundamentalen Kampf der westlich-christlichen Welt gegen die arabisch-islamische Welt. Auch vor diesem Hintergrund - das ist die Rückmeldung aus allen arabischen Staaten - war es sinnvoll, notwendig und ein mutiger Akt, dessen Berechtigung sich jetzt wieder erweist, dass Frankreich und Deutschland von Anfang an gesagt haben: Wir beharren auf einer friedlichen Lösung; denn alles andere wäre in der Wahrnehmung - und sei es eine Fehlwahrnehmung, denn auch diese wäre Realität - der arabischen Welt so erschienen, als würde sich die gesamte westlich-christliche Welt gegen die arabisch-islamische Welt verbünden. Dann hätten wir den Kampf der Kulturen, den wir unbedingt vermeiden müssen. Auch auf diese Mahnung des Vatikans reagieren wir mit unserer Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn nun immer wieder die Blocklogik der 80er-Jahre zitiert wird, dann frage ich diejenigen, die so diskutieren, als ginge es hier um eine symmetrische Auseinandersetzung, um den Krieg zwischen Staaten, Blöcken oder Regionen: Wo ist denn heute der eine und wo der andere Block? Laufen Sie damit nicht in die Falle, indirekt den Kampf der Kulturen zu propagieren? Tun Sie dies nicht, wenn Sie sagen: Jeder, der nicht für uns ist, ist gegen uns; alle westlich-christlichen Staaten müssen zu einem bestimmten Fähnlein eilen? Besteht nicht genau dann die Gefahr, dass die anderen zu einem anderen Fähnlein eilen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Deshalb frage ich mich: Wenn diese Blocklogik heute nicht mehr bedeutsam ist und nicht mehr wirkt, wenn wir heute völlig andere, asymmetrische Konfliktstrukturen haben, wenn es die erste Aufgabe ist, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, der durch Asymmetrie gekennzeichnet ist, warum dann dieser Rückfall in einen symmetrischen Staatenkrieg? Das ist Atavismus, ein Rückfall in eine längst überwundene Historie. Wir brauchen eine neue Sicherheitspolitik und eine friedliche Lösung für den Irak. Deshalb unterstützen wir mit Nachdruck die Politik der Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP))

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Merkwürdige an dieser Debatte ist der Widerspruch zwischen dem, was wir in den Ausschüssen des Bundestags diskutieren, was in Kreisen der sich beruflich mit diesem Thema beschäftigenden Diplomaten und Sicherheitspolitiker in der internationalen Gemeinschaft, in der EU, in der NATO, in der UNO, sowie der Diplomaten im Auswärtigen Dienst diskutiert wird, dem, was die Journalisten, die sich kontinuierlich mit Außenpolitik beschäftigen, schreiben und kommentieren, und der Stimmung in der Bevölkerung.

   Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung - das hat er übrigens auch vorher in der SPD-Fraktion angekündigt - gesagt, er setze nicht darauf, was andere Staatsmänner denken und reden, sondern auf die Stimmung in der Bevölkerung. Damit ist die Sache in einer Demokratie noch nicht abgeschlossen. Aber der Bundeskanzler ist daraufhin in mehreren großen deutschen Tageszeitungen mit Wilhelm II. verglichen worden,

(Michael Glos (CDU/CSU): Na, so was!)

und zwar, weil auch dieser damals viel Zustimmung in der Bevölkerung hatte, bis weit in das Elend des Ersten Weltkriegs hinein. Es war nur leider die falsche Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD)

   Verantwortliche politische Führung hat - gerade in einer Frage, in der die Menschen in besonderer Weise betroffen sind, die man deshalb ernst nehmen und für die man Verständnis aufbringen muss - die Aufgabe, den Menschen zu erklären, welcher Weg nach sorgfältiger Prüfung wahrscheinlich der sicherere in eine Zukunft von Frieden und Freiheit ist.

(Zuruf von der SPD: Ja, eben!)

   Nun möchte ich Ihnen sagen: Für die Bundesrepublik Deutschland ist es seit 50 Jahren ganz sicher der bessere Weg, wenn wir in die zwei folgenden Elemente deutscher Außenpolitik fest eingebunden sind: in die europäische Einigung und in die atlantische Partnerschaft. Das ist das Grundaxiom deutscher Außenpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer als Regierungschef - ob im Handeln oder nur im Reden - dagegen verstößt, gefährdet die Zukunftsinteressen unseres wiedervereinten Deutschlands.

   Durch die Ausführungen des Bundesverteidigungsministers - Herr Bundesverteidigungsminister, ich wünsche Ihnen gute Besserung; es war anstrengend für Sie; ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gesundheitlich bald wieder gut geht, und bedanke mich für Ihre Antwort auf meine Zwischenfrage - ist deutlich geworden, dass niemand in den letzten Monaten von der Bundesrepublik Deutschland eine weitergehende militärische Beteiligung an etwa notwendig werdenden Maßnahmen zur Durchsetzung der Resolution des Weltsicherheitsrates gefordert hat, als die Bundesregierung im Wesentlichen zu geben bereit ist. Das ist der Punkt. Das betrifft zum Beispiel AWACS.

   Wir haben in unserem Entschließungsantrag, den wir anlässlich dieser Debatte vorgelegt haben, darauf hingewiesen. Ich empfehle ihn Ihrer Aufmerksamkeit. Darin steht, was Sie von der Fraktionsvorsitzenden gerne gehört hätten; sie hat es übrigens gesagt. In dem Abschnitt „Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf“ steht unter dem letzten Spiegelstrich:

Für den Fall, dass eine Erzwingung der Resolution 1441 des Sicherheitsrats mit militärischen Mitteln unausweichlich werden sollte, gemeinsam mit unseren Partnern in der EU diese Maßnahmen im Rahmen unserer Möglichkeiten

- dann erfolgt eine Aufzählung -

- wie mit AWACS-Flugzeugen, MEDEVAC-Kräften, ABC-Spürpanzern, Patriot-Abwehr-Systemen, der Gewährung von Überflugrechten, dem Schutz der amerikanischen Basen in Deutschland und mit Schiffen im Persischen Golf - zu unterstützen und dabei die verfassungsmäßigen Rechte des Bundestags zu wahren.

Auf Letzteres komme ich gleich zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Mehr ist von uns nicht gefordert worden. Warum haben Sie also Anfang August diese Debatte begonnen, in der Sie Kriegsängste und antiamerikanische Ressentiments züchten und schüren? Völlig umsonst, ohne jede Not und ohne Verantwortung des Regierungschefs!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Allerdings sind wir unseren Partnern - das haben Ihnen wahrscheinlich Herr Rumsfeld, den auch ich in München erlebt habe, Herr Lieberman und auch andere gesagt - die politische Solidarität schuldig geblieben,

(Beifall des Abg. Dirk Niebel (FDP))

und dies auch in der heutigen Regierungserklärung und in der Rede des Außenministers.

   Herr Außenminister, auch auf Sie komme ich noch zu sprechen. Es ist schön, dass wir zumindest amtlich einen Außenminister haben. In der Sache merkt man nichts von Ihnen. Die außenpolitischen Interessen werden mit Füßen getreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie erwecken in jeder Rede den Eindruck, als sei die eigentliche Gefahr für den Frieden die amerikanische Regierung. Das empört unsere amerikanischen Verbündeten; da haben sie Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dass wir 50 Jahre lang in gesichertem Frieden leben konnten, verdanken wir mehr der amerikanischen Verlässlichkeit als den Reden der rot-grünen Friedensbewegung. Das muss einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was die richtige Politik ist, darüber kann man lange diskutieren. Darüber diskutiert man auch in Amerika. Herr Bundesaußenminister, ich habe Sie vor zwei Wochen im Auswärtigen Ausschuss gefragt: Gibt es nicht auch Überlegungen hinsichtlich eines langfristigen Überwachungsregimes, das in jedem Fall im Irak sicherstellen muss, dass dort, wenn die biologischen Waffen etc. beseitigt worden sind, nicht wieder neue erworben werden? In unserem Antrag steht der Grundgedanke:

Jeder Versuch, nachhaltig und kontrolliert sicherzustellen, dass der Irak sein Streben nach Massenvernichtungswaffen dauerhaft aufgibt, verdient grundsätzlich Unterstützung.
Mit der angeblichen deutsch-französischen Initiative, die vom Kanzler in ein Nachrichtenmagazin lanciert wurde, ist das Gegenteil erreicht worden, weil damit nicht die Bereitschaft des Irak zur Kooperation gefördert, sondern offenbar der unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaute Druck auf den Irak gemindert werden sollte.

   Wenn man eine solche Lösung anstrebt, muss man sie mit den Amerikanern an der Spitze machen und nicht gegen die Amerikaner. Weil Sie jede Initiative gegen die Amerikaner anstatt gegen Saddam Hussein richten, schwächen Sie die Vereinten Nationen, schwächen Sie die NATO und zerstören Sie die europäische Einigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Um die Sache geht es dabei gar nicht; Sie brauchen uns wirklich nicht zu unterstellen, wir seien weniger für den Frieden als Sie und würden die Ängste der Menschen weniger ernst nehmen als Sie. Ich habe immer gesagt: Ich bin evangelischer Christ, aber wenn der Papst sagt,

(Uta Zapf (SPD): Grundsätzlich nichts Verwerfliches!)

dass die Anwendung militärischer Mittel immer nur das allerletzte Mittel sein dürfe, und wenn der Papst sagt, dass Krieg immer ein Versagen der Menschheit ist, dann hat er wohl Recht. Nur, leider kommt, weil wir Menschen eben Menschen sind, Versagen häufig vor. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass es nicht zum Krieg kommt. Ich bin den beiden Kirchen dankbar, dass sie zum Frieden mahnen. Wir müssen das ernst nehmen.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und uns nicht daran halten!)

   Ich habe dieser Tage jemanden getroffen, der gesagt hat: Am kommenden Samstag gibt es wieder eine große Friedensdemonstration. Der Herr Bundestagspräsident hat schon angekündigt, dass er dabei mitmarschieren wird. Ich hoffe, Sie beten für den Frieden, dass Saddam Hussein einlenkt - dann bin ich sehr dafür. Appellieren Sie an Saddam Hussein, einzulenken und sich dem Völkerrecht zu unterwerfen! Wenn er das tut, dann ist der Friede gesichert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann hat dieser Gesprächspartner, dem ich begegnet bin, aber gesagt: Das wird eine Demonstration wie damals beim NATO-Doppelbeschluss. Da habe ich zu ihm gesagt: Sagen Sie einmal, haben Sie eigentlich heute nicht das Gefühl, dass alle Befürchtungen der vielen Hunderttausenden, die damals gegen den Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses demonstriert haben, nicht eingetreten sind, sondern dass im Gegenteil - trotz aller Sorgen, die man auch damals ernst nehmen musste - diejenigen Recht gehabt haben, die gesagt haben, dass Festigkeit, Verlässlichkeit und Partnerschaft der bessere Weg sind, um den Frieden für die Zukunft zu sichern? Darauf hat mein Gesprächspartner gesagt: Da haben Sie Recht; das habe ich inzwischen eingesehen, wir hatten damals Unrecht. Darauf sagte ich: Dann seien Sie doch dieses Mal nicht so sicher, möglicherweise werden Sie wieder Unrecht haben!

   Sie können doch nicht bestreiten, dass der Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses die große atomare Bedrohung durch sowjetische Raketen, die auf unserem Land gelegen hat, beseitigt hat, und zwar nicht durch Ihre Reden, sondern durch unser Handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es wird immer wieder die Frage gestellt: Warum Irak, ist nicht Nordkorea gefährlicher? - Das mag sein. Wenn Nordkorea so gefährlich ist, Herr Bundesaußenminister, dann sollten Sie bald einmal im Sicherheitsrat die Initiative ergreifen, damit er sich damit beschäftigt.

(Volker Beck [Köln] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tut er doch schon!)

Aber warum Irak? - Weil der Irak seit mehr als zehn Jahren durch Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die völkerrechtlich bindende Qualität haben - wir reden doch von der Durchsetzung des Völkerrechts -, verpflichtet ist - ich kann Ihnen die Resolution 1441 noch einmal vorlesen; es gibt seit 1991 ein ganzes Bündel von Resolutionen -, sicherzustellen - das kann nur der Irak -, dass er keine Massenvernichtungswaffen hat und auch nicht den Besitz von Massenvernichtungswaffen anstrebt. Dazu muss er die notwendigen Auskünfte liefern und dazu müssen die Waffen, die er hat, unter der Kontrolle der UNO-Inspektionen vernichtet werden. Das ist das Ziel der Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

   Die Bedrohung, die sich aus der Verknüpfung von internationalem Terrorismus und asymmetrischer Kriegsführung - und was es in der neuen Unordnung in dieser globalen Welt sonst noch alles an Bedrohungen gibt - mit Massenvernichtungswaffen und Trägertechnologien ergibt, ist durch den 11. September für die meisten Menschen - auch in unserem Lande - noch aktueller sichtbar geworden. Deswegen finde ich es richtig und nicht falsch, wenn die Weltgemeinschaft der Vereinten Nationen aus dem 11. September unter anderem die Konsequenz zieht, die Durchsetzung dessen, was das Völkerrecht, was die Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen im Irak seit zehn Jahren fordert, ernster zu nehmen, als es uns bisher gelungen ist. Seit zehn Jahren haben diplomatischer Druck, Bemühungen und Wirtschaftssanktionen Saddam Hussein nicht zum Einlenken bewegt. Es wären jetzt keine Inspektoren im Irak, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika nicht militärischen Druck aufgebaut hätten. Auch das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich hoffe noch immer, dass es eine Chance gibt und man das allerletzte Mittel nicht anwenden muss. Ich bin aber ganz sicher, dass es diese Chance nur dann gibt, wenn die Europäer geschlossen und gemeinsam mit unseren atlantischen, unseren amerikanischen Verbündeten und möglichst gemeinsam in den Vereinten Nationen alle miteinander Druck auf Saddam Hussein ausüben. Er ist der Verantwortliche. An ihm liegt es, ob der Frieden gewahrt werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wer darüber täuscht, schwächt die Chancen für eine friedliche Lösung. Sie machen durch Ihre Politik den Frieden nicht sicherer, sondern den Krieg wahrscheinlicher. Das ist der Kern der Vorwürfe, die wir gegen Ihre Politik erheben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben schweren Schaden in das deutsch-amerikanische Verhältnis gebracht und die atlantische Partnerschaft als Grundlage unserer eigenen Sicherheit diskreditiert.

   Herr Struck, mit Verlaub, es tut einem weh, wenn ein Bundesverteidigungsminister so argumentieren muss, wie Sie es im Zusammenhang mit der Türkei und den Niederlanden gemacht haben: Die Türkei hat in den Niederlanden wegen der Patriot-Systeme angefragt, über die die Niederländer gar nicht verfügen. Bei uns hat sie nicht angefragt.

(Michael Glos (CDU/CSU): Weil wir welche haben!)

Deswegen stellen wir den Niederlanden auf die Bitte der Türkei die Patriot-Systeme zur Verfügung. Machen Sie sich nicht lächerlich!

(Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): Winkeladvokat!)

   Es gibt nur einen einzigen Grund: Sie haben der Türkei gesagt, fragt nicht uns, fragt die Niederlande. Die Situation wurde doch von Ihnen eingeleitet. Sie wollen im Bundestag nicht die notwendige Zustimmung dafür herbeiführen. Ich sage Ihnen: Sie haben sie, wir stimmen zu. Michael Glos hat doch schon erklärt, dass wir das tun werden. Es wird keinerlei Probleme geben. Lassen Sie diese Mätzchen, denn sie untergraben das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.

   Was denken die Menschen in der Türkei, in den Niederlanden, in Amerika und sonst wo auf der Welt über uns als Partner? 50 Jahre lang haben wir gesagt, die Amerikaner werden verlässliche Partner sein, sie werden uns doch nicht im Stich lassen, wenn wir bedroht werden. Jetzt führen wir ein solches Affentheater auf. Das ist eine Schade für unser Land! Das sollten Sie korrigieren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

   Ich will auf ein anderes schwieriges Thema eingehen. Es war die Aufgabe deutscher Außenpolitik in der Nachkriegszeit, die deutsch-französischen Beziehungen als ein Kernelement der europäischen Einigung dauerhaft und eng mit der atlantischen Partnerschaft zu verbinden. Auch bei der Diskussion über die Präambel des Élysée-Vertrags, dessen 40-jähriges Jubiläum wir vor ein paar Wochen feierlich begangen haben, ist ein Stück weit der Konflikt zwischen Atlantikern und Gaullisten sichtbar geworden.

   Es war immer unsere Politik, nicht zwischen Paris und Washington wählen zu müssen, sondern darauf zu achten, sie miteinander zu verbinden. Sie haben in den letzten Wochen ohne Sinn und Verstand genau diese Balance aufgegeben.

(Michael Glos (CDU/CSU): So ist es!)

Das ist eine große Gefahr, es schwächt Europa.

   Frankreich ist klug und in der Diplomatie erfahren genug, um nicht in diese Falle zu treten. Präsident Chirac hat immer gesagt: Wir werden erst am Schluss darüber befinden, wie wir uns entscheiden werden.

   Herr Bundesaußenminister, ich hätte mir das als Koalitionspartner nicht gefallen lassen. Sie haben im Sicherheitsrat zum ersten Mal den Vorsitz wahrgenommen und es wurde angekündigt, dass der amerikanische Außenminister in einer langen Rede zusätzliche Beweise, Hinweise oder sonstige Belege vorlegt. Bevor Sie die Sitzung eröffnet hatten, erklärte der Regierungssprecher in Berlin, dass sich, was auch immer der amerikanische Außenminister vortragen und vorlegen werde, an der Haltung der Bundesregierung nichts ändern werde. Das ist ein solcher Affront gegen den Sicherheitsrat und gegen Sie, dass Sie das einfach nicht akzeptieren dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Auch die Tonart der Regierungserklärung ist ganz wichtig. Die Tonart und die Entschlossenheit des Kanzlers heute morgen waren fest gegen unsere Verbündeten gerichtet.

(Ute Kumpf (SPD): Die war gut! Was ist dagegen zu sagen?)

- Ich möchte Sie geradezu beschwören und an Sie appellieren:

Erwecken Sie nicht länger den Eindruck, als würde Deutschland unter dieser Regierung wieder einen Sonderweg gehen. Der deutsche Weg, der Weg, den Sie einschlagen wollen, führt in die Irre. Er führt uns nicht zurück zu Wilhelm II., aber er führt uns in eine Zukunft, in der Sicherheit und Frieden weniger gesichert sind, als es bisher der Fall ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir müssen auf dem Weg verlässlicher Partnerschaft bleiben. Wir müssen europäische Einigung und atlantische Partnerschaft zusammenhalten. Je mehr eigene Beiträge wir übrigens auch zur atlantischen Partnerschaft leisten und je weniger Kritik wir üben und je weniger Ratschläge wir unseren amerikanischen Verbündeten erteilen, umso eher werden wir mit unseren Argumenten im transatlantischen Dialog Gehör finden können. Wer selber außer Rat und Nörgelei nichts zu bieten hat,

(Lachen bei der SPD)

sondern nur solche Mätzchen macht, wie Patriots über die Niederlande in die Türkei zu schicken,

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] (SPD): Das ist jetzt wunderbar!)

der muss sich nicht wundern, wenn er in Amerika nicht mehr als relevant angesehen werden wird.

(Volker Kauder (CDU/CSU): So ist es!)

   Dies liegt nicht im deutschen Interesse und dies dient auch nicht der atlantischen Partnerschaft. Wir schwächen damit die Vereinten Nationen und machen den Frieden nicht sicherer.

   Herr Bundeskanzler, wo immer Sie im Augenblick sitzen mögen, aber der Vizekanzler vertritt Sie

(Abg. Gerhard Schröder (SPD) erhebt sich - Joseph Fischer, Bundesminister: Der Bundeskanzler sitzt da drüben bei den Abgeordneten! - Michael Glos (CDU/CSU): Da soll er bleiben! - Christian Schmidt [Fürth] (CDU/CSU): Ist er schon zurückgetreten? - Joseph Fischer, Bundesminister: Sein Vorgänger hat oft zwischen den Abgeordneten Platz genommen!)

- schön -, ich wollte Sie nur ansprechen, denn mein letztes Wort in dieser Rede sollte ein Appell, eine Bitte an Sie sein: Es geht um zu wichtige Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes, als dass Sie der Versuchung nachgeben sollten, Stimmungen in der Bevölkerung einfach nur für kurzfristige Zwecke zu nutzen. Setzen Sie die Prioritäten im Sinne verantwortlicher Regierungspolitik

(Joseph Fischer, Bundesminister: Das sagt ausgerechnet Schäuble!)

im Interesse der Zukunft unseres Landes und klären Sie die Menschen entsprechend auf und informieren Sie sie.

   Auch in der Demokratie besteht eine Führungsverantwortung. Es kann nicht sein, dass wir jeder Stimmung nachgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ute Kumpf (SPD): Das sagt einer von der CDU!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Kollege Schäuble, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

   Sie schüren am Ende nur die Ängste der Menschen, statt dass Sie den Menschen mehr Vertrauen und mehr Zuversicht dahin gehend vermitteln, dass wir mit einer Politik der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit auch in der Zukunft in der Lage sein werden, Frieden, Sicherheit und Freiheit für unser Land zu garantieren.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schäuble, hören Sie bitte kurz zu, damit ich aufnehmen kann, was Sie gesagt haben. Sie sind es, der hier gesagt hat, diese Bundesregierung verfolge einen Sonderweg.

   Das sagen Sie gerade in diesem Saal, in dem es Sozialdemokraten gegeben hat, die den Sonderweg verurteilt haben, den die Konservativen nach rechts zu den Deutschnationalen gegangen sind. Das war ein Teil Ihrer Partei und das ist Ihre Vergangenheit. Dorthin gehören Sie.

(Beifall bei der SPD - Friedrich Merz (CDU/CSU): Sie sind ein Schwätzer!)

Das sagen Sie der Sozialdemokratie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schlimmer als Stiegler!)

   Herr Dr. Schäuble, Sie haben zu Beginn vom Antiamerikanismus gesprochen. Ich frage Sie: Wer war denn in der Weimarer Republik derjenige,

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Hören Sie auf!)

der nach Wilson die Verbindung zu den USA

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Man fragt sich doch, wer was getrunken hat!)

- hören Sie genau zu - gehalten hat, der dafür gesorgt hat, dass in der Weimarer Republik wenigstens die Chance auf eine Demokratie aufrecht erhalten worden ist? Diese Verbindungslinie gehört zur Sozialdemokratie und nicht zur rechten Seite dieses Parlamentes! Das will ich Ihnen einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ein bisschen lauter bitte!)

   Zur Außenpolitik. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern - vielleicht erinnern auch Sie sich, Herr Dr. Schäuble -, als es darum ging, den KSZE-Prozess zu erfinden, der mit dafür gesorgt hat, dass die Mauern in Europa eingestürzt sind. Wo war denn da die Union?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wo war sie, als diese Alternative entwickelt wurde? Nein, so einfach können Sie es sich nicht machen, lieber Kollege Dr. Schäuble.

   Ich komme zu einem zweiten Punkt, der von Ihnen angesprochen wurde und der mich sehr verwundert hat. Sie haben der Bundesregierung in der Debatte Pazifismus vorgeworfen. Wer hat denn schon 1998, also noch in Bonn, versucht, den Weg zu ebnen - das war für uns ungeheuer schmerzhaft; wir haben es zum Teil miterlebt und mit erlitten -, dass der Einsatz des Militärs, eingebettet in einen politischen Prozess, zulässig und vielleicht sogar notwendig ist, um Diktatoren zu Fall zu bringen? - Es war diese Regierung, die dafür gesorgt hat, dass diese Chance genutzt wurde!

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ohne eigene Mehrheit!)

Pazifismus kann man uns nicht vorwerfen und Antiamerikanismus genauso wenig.

   Erinnern Sie sich daran, was vor zwei Tagen zum Beispiel Dustin Hoffman hier in Berlin gesagt hat.

(Claudia Roth [Augsburg](BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war wohl auch antiamerikanisch!)

Ist das etwa auch antiamerikanisch?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ist es antiamerikanisch, wenn zum Beispiel der ehemalige Präsident Jimmy Carter in diesen Tagen genau die Alternative beschreibt, die die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich und anderen Ländern im Weltsicherheitsrat endlich zur Geltung zu bringen versucht? Ist das etwa antiamerikanisch? - Nein!

(Zuruf des Abg. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU))

- Lieber Genosse!

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Pardon, entschuldigen Sie bitte diesen Fehler, lieber Herr Schmidt.

(Christian Schmidt [Fürth](CDU/CSU): Solche Verunglimpfungen wollen wir doch bitte unterlassen! - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): „Genosse Glos“ wollte er sagen!)

Sie haben vielleicht gelesen, woher der Ursprungsgedanke stammt, der nun auch von der Bundesregierung verfolgt wird. Die Idee stammt aus dem Carnegie Endowment for International Peace. Im August des Jahres 2002 wurde dies als eine denkbare Alternative vorgeschlagen, um die bisherigen Inspektorenregimes zu verändern und zu verbessern, damit Saddam Hussein die Chance auf Massenvernichtungswaffen verliert. Das ist die Alternative, die auch in den USA längst bekannt ist.

   In der „Washington Post“ war vor zwei Tagen von Jessica Mathews, der Präsidentin von Carnegie Endowment, zu lesen. Sie beschreibt dort Punkt für Punkt - es ist in viele Teilen also identisch -, was im Weltsicherheitsrat von Paris und Berlin gemeinsam formuliert wird. Was ist denn daran antiamerikanisch, wenn wir eine Debatte, die es in den USA gibt, aufnehmen und zu einer wirklichen Alternative entwickeln? Ich kann keinen Antiamerikanismus erkennen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen an einer wirklichen Weggabelung. Wir sollten wenigstens noch eine Sekunde darüber nachdenken, ob das, was morgen Hans Blix und Mohammed el-Baradei vor dem Weltsicherheitsrat berichten werden - nämlich dass sich durch die Inspekteure eine Chance abgezeichnet hat -, genutzt werden kann. Wir wissen natürlich nicht im Detail, was die Inspekteure morgen berichten werden. Soweit wir bisher gehört haben, sagen auch sie, dass der Irak begonnen hat, sich an die Forderungen, an die Vorschläge, an den Willen und an die Erfüllung dessen, was Resolution 1441 verlangt, anzunähern.

Das ist noch lange nicht genug, das wissen wir doch auch. Deswegen kommt es darauf an, die Frage nach der Alternative zu stellen: Heißt die Alternative Krieg oder Fortsetzung einer robusten Inspektorenrolle? Die Alternative heißt für uns ganz eindeutig und klar: Alle Instrumente, die es innerhalb dieses Rahmens gibt, müssen voll ausgenutzt werden, damit die Alternative Krieg vermieden werden kann. Das ist der entscheidende Punkt, um den es jetzt geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Ihnen das, was Karol Wojtyla dazu gesagt hat, nicht reicht, nämlich dass der Krieg in der Tat eine Niederlage der Menschlichkeit und der Menschheit wäre - ich finde gut, Herr Dr. Schäuble, dass Sie das bestätigt haben -, nehmen Sie doch die Debatte, die gegenwärtig im amerikanischen Kongress läuft, wo in einem Hearing die Frage beantwortet werden soll: Was geschieht eigentlich danach, falls es zu einem Krieg käme? Man liest und hört von manchen Kollegen, wenn der Irak falle, werde ein Dominostein fallen, alle anderen Dominosteine in der Region würden dann auch fallen, dann werde es Demokratie und Harmonie in der Region geben, die Region werde befriedet sein. Das ist in der Tat auch gesagt worden; aber, entschuldigen Sie, das löst doch die Probleme nicht. Besteht nicht eher die Gefahr, dass, wenn es einen Krieg gegen den Irak gäbe, danach eine Fülle zusätzlicher Probleme auftreten könnte, viel gefährlichere als die, auf die wir jetzt durch Eindämmungspolitik eine andere Antwort zu finden versuchen?

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mister Christoph hat in der „Herald Tribune“ vor einigen Tagen die Frage gestellt, ob es denn einen besseren Weg gebe als den Krieg. Die Antwort hat er selber in der Überschrift gegeben: Ja, Containment, Eindämmung, ist die bessere Alternative, und darum geht es. Diese Alternative zur Geltung kommen zu lassen, darum müssen wir uns bemühen. Dafür setzen wir uns ein, und deswegen sagen wir: Das, was die Bundesregierung tut, ist genau das, was nicht nur die Menschen, die in Deutschland, ja in Europa leben, sondern auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages, die die Regierung tragen, wünschen. Wir fordern es und wir setzen die gesamte politische Kraft, über die wir verfügen, ein, damit die Regierung Erfolg hat und der Krieg am Ende vermieden wird. Das ist die zentrale Botschaft, die heute hier im Deutschen Bundestag von uns ausgeht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum reden wir eigentlich nicht Klartext? Denjenigen, die meinen, jetzt sei Krieg angesagt, geht es nicht um Menschenrechte. Es geht ihnen auch nicht um einen Diktator namens Hussein. Es geht um eine militärische Neuordnung der Welt, wieder einmal.

   Ich stimme allen zu, die sagen: Die Welt muss neu und besser geordnet werden. Ich stimme auch allen zu, die sagen: Menschenrechte sind ein unteilbares Gut. Und ich stimme allen zu, die sagen: Gerechtigkeit, allemal soziale, ist ein hoher, aber durch Diktatoren wie Saddam Hussein unterdrückter Wert.

   Aber all das steht nicht auf der Tagesordnung, auch nicht in der Debatte, die wir heute Vormittag hier führen. Der Streit geht darum, ob Deutschland den Vorhaben und den Vorgaben der US-Administration folgen soll oder nicht. Die CDU/CSU will dabei sein, an der Seite von Bush und Rumsfeld, notfalls gegen die UNO. Die PDS will das nicht. Soweit ich es beurteilen kann, will es Rot-Grün auch nicht. Aber viel wichtiger ist: Dreiviertel aller Deutschen wollen das nicht.

   Ich komme gleich direkt zur Irakfrage. Vorher will ich allerdings noch auf Vorwürfe eingehen, die offensichtlich aus der Propagandazentrale der CDU stammen. Es ist wirklich absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie erneut die antiamerikanische Keule gegen alle schwingen, die einem Kriegskurs nicht folgen wollen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Nach demselben Denkmuster wären Sie antifranzösisch.

   Frau Merkel, Ihr Stiefvater, Herr Adenauer, würde Sie enterben, wenn er das, was Sie heute hier aufführen, noch erleben müsste.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Genauso gefährlich ist der Versuch, Europa in ein altes und ein neues Europa, je nachdem, welcher Staat den Befehlswünschen der USA folgt oder nicht, einzuteilen. Ich finde, ein altes Europa mit einem neuen Denken ist besser als eine neue Welt mit einem alten Denken. Deutlicher gesagt: Krieg löst keine Probleme. Kriege potenzieren Probleme. Das gilt auch in Bezug auf den Irak. Deshalb sollte der Bundestag heute einen einzigen klaren Satz beschließen: Deutschland wird sich weder direkt noch indirekt an einem Krieg im Irak beteiligen. Mit einem klaren Ja zu diesem schlichten, aber sehr wichtigen Satz wären Sie übrigens auch wieder auf dem Boden des Grundgesetzes. Den verlassen Sie nämlich, wenn Sie über eine Kriegsbeteiligung jenseits des Völkerrechts reden.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie haben sich vorhin sehr aufgeregt. Wer aber über Präventivkriege schwadroniert, wie Sie es tun, der bewegt sich jenseits des Völkerrechts und des Grundgesetzes. Deshalb ist der Vorwurf, Sie befänden sich auf Kriegspfaden, so unbegründet nicht. Sie selbst bieten doch die Argumente für solche Vorwürfe.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Wir reden hier übrigens nicht nur über einen möglichen Krieg gegen den Irak. Wir debattieren auch über die Zukunft der UNO. Die US-Führung hat unmissverständlich erklärt: Ist die UNO mit uns, dann ist das okay, ist die UNO nicht mit uns, dann ist das egal. Wer vor diesem Hintergrund wie Sie von der Opposition zur Rechten die bedingungslose Solidarität einfordert, der startet zugleich einen Angriff auf die Vereinten Nationen.

   Die PDS ist grundsätzlich gegen einen Krieg; das ist bekannt. Ich bin fest davon überzeugt, dass am nächsten Samstag Millionen Menschen - unter anderem auch in Berlin ab 12 Uhr - erneut ihr Nein zum Krieg demonstrieren werden. Ich fände es gut, wenn sich viele von uns dort wiederfinden würden, um gemeinsam mit den vielen Menschen, die sagen, dass Krieg kein Mittel ist, auf die Straße zu gehen, um das sehr deutlich zu unterstreichen.

   Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Christoph Zöpel von der SPD-Fraktion.

   Die „Süddeutsche Zeitung“ ist heute mehrmals genannt worden. Sie hat weise und weniger weise Autoren. Ich zitiere einen sehr weisen Autor, Heiner Geißler:

Heute steht der Westen vor dem psychologischen und politischen Problem, dass die Zahl der Menschen, die den westlichen Regierungen, vor allem der amerikanischen, mit Argwohn begegnen und ihnen von der Folter bis zum Angriffskrieg jedes Unrecht zutrauen, weltweit rapide zunimmt - auch in Europa und den USA. Das Misstrauen geht so weit, dass viele inzwischen davon überzeugt sind, dass die USA ihre Kriegsdrohung gegen den Irak auch dann wahrnehmen, wenn gar keine Massenvernichtungswaffen gefunden werden.

Das ist so exzellent formuliert, dass ich Heiner Geißler zitieren wollte, weil ich jedem Satz zustimme.

   In dieser Situation ist es für den Westen eine Herausforderung, zu erreichen, dass wir die Basis dessen, was wir leben wollen, der Welt nicht doppelbödig, sondern eindeutig vermitteln. Dazu sollten wir alle einen Beitrag leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dazu gehört, dass ein Militärschlag - ich gehe weiter -, ein Krieg, der Zehntausende von Ziviltoten fordern könnte, wirklich nur die Ultima Ratio sein kann, wenn alles, aber auch alles versucht wurde, um ihn zu verhindern. Das ist die Position, die die Mehrheit dieses Hauses hoffentlich teilt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Weg, das zu erreichen - auch da nehme ich Heiner Geißler auf -, hat für Europa zwei Elemente. Das eine Element ist, dass Europa weiß, was Krieg gegen die Zivilbevölkerung bedeutet. Kein Land hat ihn mehr als Deutschland verschuldet und Millionen Europäer haben ihn gemeinsam erfahren.

   Heiner Geißler nennt als zweites Element, das man auch schon bei Kant findet, die Vernunft, die Basis für Menschenrechte. Sie lässt sich nur durch den öffentlichen Dialog durchsetzen. Sie werden nun lächeln: Heiner Geißler empfiehlt dazu den Gebrauch der Medien. Alles, was im „Spiegel“ stand, war für mich ein Beitrag zur Vernunft. Ich will das sehr deutlich sagen. Alles, was ansonsten dazu angemerkt wird, bringt nichts.

(Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Jetzt zitiere ich Herrn Klose!)

   In der Debatte, die wir hier führen, hat mich der Satz überrascht, die Fragen internationaler Politik und von Krieg und Frieden hätten niemals Wahlkämpfe berührt. Herr Kollege Westerwelle, Sie sind deutlich jünger als ich. Daher kann ich Ihnen nicht anrechnen, dass Sie die 50er-Jahre nicht kennen. Aber auch die Geschichtsbücher können Sie nicht gelesen haben. Die politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war durch Debatten und Wahlkämpfe über Außenpolitik geprägt.

(Beifall bei der SPD)

Stunden dieses Parlaments, die in Erinnerung geblieben sind, waren davon bestimmt. Sie beinhalteten auch immer die Möglichkeit - sie ist oft eingetreten -, dass derjenige, der Anklage erhoben hat, irrte, oder auch derjenige, der sich verteidigt hat.

   Ein Sozialdemokrat, den viele Konservative heute für sich in Anspruch nehmen möchten, Kurt Schumacher, hat zu Konrad Adenauer „Kanzler der Alliierten“ gerufen, weil er Angst hatte, deutsche Politik könne zu einseitig an die Amerikas geklammert sein. Er hat wahrscheinlich geirrt; denn entgegen den Annahmen der Sozialdemokraten ist es Adenauer gelungen, diplomatische Beziehungen zu Russland aufzunehmen und die Kriegsgefangenen zurückzubringen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Aber die Debatte war notwendig.

   Es gab die Debatte über den Élysée-Vertrag. Sie war hauptsächlich von Ihnen von CDU und CSU initiiert. De Gaulle war über das verzweifelt, was die Hälfte von CDU/CSU über den Élysée-Vertrag gesagt hat. De Gaulle selber hat erklärt, dass die Präambel den Vertrag aufhebe. Es ist nicht unrichtig, an dieser Stelle darüber nachzudenken, ob Europa im Bündnis nicht teilweise andere Interessen als die Vereinigten Staaten hat. Das hat de Gaulle zusammen mit denjenigen in Deutschland, die für ihn waren, besser erkannt, als es anderen gelungen ist.

(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Die SPD hat der Präambel zugestimmt!)

- Es geht mir um Debatten. Sie sind sehr wichtig. Entschieden wird nach der demokratischen Mehrheit.

   Wir haben eine Debatte darüber gehabt, ob der KSZE-Vertrag Europa weiterbringen würde. Eine der beiden Parteien, die hier eine Fraktionsgemeinschaft führen, hat ihn bis zuletzt für eine Gefährdung des Bündnisses gehalten. Wie man heute sieht, haben sie offensichtlich Unrecht gehabt. Diese Debatten gab es immer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Um die Ratifizierung der Verträge, die die Regierung Brandt mit Osteuropa abgeschlossen hat, hat es nach Auflösung des Bundestages einen heftigen Wahlkampf gegeben.

Herr Kollege Westerwelle, man muss aber schon ziemlich daneben sein, um zu behaupten, es habe nie außenpolitische Wahlkampfdebatten gegeben.

(Beifall bei der SPD)

   In der aktuellen Debatte gibt es historische Vergleiche, die durchaus zutreffen können, und falsche Feuilletonisten dürfen schreiben, was sie wollen; Politiker hingegen sollten vorsichtiger sein. Es ist schon abwegig, wenn auch nur zitiert wird, dass eine Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, die Agadir mit dem Panzer erreichen wollte und Fregatten in die Welt schickte, mit Gerhard Schröder zu vergleichen sei. Es ist ganz abwegig! Hier geht es um den Frieden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer das deutsche Bemühen um Frieden, das in der Welt auffällt, mit einer deutschen Politik vergleicht, die Panzer und Fregatten in die Welt schickte, sollte ein wenig in sich gehen, um es vorsichtig zu formulieren.

(Beifall bei der SPD)

   Worum geht es in der sicherheitspolitischen Auseinandersetzung im Kern? Im Kern geht es um die Logik des Kalten Krieges. Der Kalte Krieg ist aus einer sicherheitspolitischen Logik entstanden: Wenn ein Gegner uns gegenüber das Schlimmste unternimmt, dann erfolgt ein Militärschlag. Diese Logik kann aber nur dann funktionieren, wenn auch die Option besteht, dass der Militärschlag vermeidbar ist. Es gab und gibt in der amerikanischen Debatte zu viele Stimmen - auch Geißler sieht das so -, die den Präventivschlag als einzige, unvermeidbare Möglichkeit formuliert haben. Deshalb war und ist es notwendig, dass die zwingende Alternative zum vernichtenden Schlag bzw. die Möglichkeit, ihm zu entgehen, auch gegenüber Saddam Hussein zum Ausdruck gebracht wird. Das tut diese Regierung und das tut Frankreich.

   Über den Satz, Deutschland isoliere sich in der Völkergemeinschaft, würde ich einmal nachdenken, Herr Kollege Westerwelle.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ja, das habe ich vorher gemacht!)

Wörtlich genommen bedeutet er, dass mehr als 1 Milliarde Chinesen, Russland, Frankreich und derzeit weitere Mitglieder des Sicherheitsrats nicht zur Weltgemeinschaft gehören. Diese Logik steht dahinter.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wir besprechen es hier noch einmal!)

- Dass die Chinesen zur Weltgemeinschaft gehören, werden doch nicht einmal Sie bestreiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Markus Löning (FDP): Das ist ja unerträglich, was Sie hier sagen!)

   Jetzt zu Europa: Es ist nicht schön, dass es derzeit keine gemeinsame europäische Außenpolitik gibt. Aber bleiben wir doch bei den Fakten. Zehn Regierungschefs quer durch die politischen Lager haben nicht unterschrieben, als eine amerikanische Zeitung - die übrigens kein diplomatischer Akteur ist - dazu aufgefordert hat. Fünf Regierungschefs haben unterschrieben. Wir sind glücklich und zufrieden, dass wir der Mehrheit der zehn angehören statt der Minderheit der fünf, zu denen zu gehören Ihnen von CDU und CSU ein echtes Anliegen ist. So viel zur Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme zu meiner letzten Bemerkung, die ich sehr ernst meine. Es geht um das europäische Sicherheitsinteresse. Die Vereinigten Staaten und Europa befinden sich in geohistorischer und geopolitischer Hinsicht in einer unterschiedlichen Situation. Wenn sich in den Ländern mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung der Eindruck durchsetzte, es ginge um einen Krieg des Westens gegen den Islam, dann sind die Antworten nicht mit den traditionellen militärischen, sondern mit polizeilichen Mitteln zu geben. Wir sind wesentlich gefährdeter als die Vereinigten Staaten. Zwischen den Vereinigten Staaten und dem Kern der islamischen Länder liegt der Atlantische Ozean. Zwischen uns und den islamischen Ländern hingegen liegt eine nicht kontrollierbare Grenze.

(Dirk Niebel (FDP): Richtig! Es können auch Biowaffen hereinkommen! Die anderen haben sie bloß noch nicht eingesetzt!)

- Die gibt es in mehr Staaten als dem Irak. Auch wenn sie dort entfernt würden, wäre die Gefahr nicht gebannt. Unsere Hauptgefährdung besteht darin, dass handlungsunfähige islamische Staaten nicht mehr in der Lage sind, bei der Kontrolle von Menschenströmen, von normaler Kriminalität, von Gewaltkriminalität und der Kontrolle von mit Migration verbundener terroristischer Aktionen mit uns zu kooperieren. Darin besteht die eigentliche Gefährdung, vor der die Menschen Angst haben.

   Meine Wertschätzung der Experten in München, die oft zitiert wurden, hat sehr gelitten. Kein einziger dieser Experten ist auf die wirkliche Gefährdung Europas durch eine auf den Missbrauch einer Religion gestützte, mit Gewalt und möglicherweise mit Terrorismus verbundene Migration eingegangen. Das aber ist die Sicherheitsanalyse, die wir brauchen. Die entsprechende Sicherheit werden wir nur bekommen, wenn die islamische Welt uns glaubt. Jeder tote Moslem ist genau so ein unersetzliches Opfer wie jeder tote Christ und jeder tote Agnostiker. Ich meine, das sollte die Basis der notwendigen Verständigung sein.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 15/434. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.

   Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die Plätze eingenommen? Können Sie mir ein Zeichen geben? - Gut. Dann eröffne ich die Abstimmung.

   Hat noch ein Mitglied des Hauses seine Stimme nicht abgeben? - Sind jetzt alle Stimmen abgeben? - Dann schließe ich

den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Wir setzen die Abstimmungen fort: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/421 mit dem Titel „Europa und Amerika müssen zusammenstehen“. Auch hier ist namentliche Abstimmung vorgesehen.

   Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind noch an ihren Plätzen. Ich eröffne die Abstimmung.

   Wir befinden uns in der zweiten namentlichen Abstimmung. Anschließend wird der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen. Eine dritte namentliche Abstimmung erfolgt erst zu späterer Zeit.

   Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 5 auf:

3. - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Götz, Dr. Michael Meister, Friedrich Merz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz)

- Drucksache 15/30 -

(Erste Beratung 10. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz)

- Drucksache 15/109 -

(Erste Beratung 16. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 15/384 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Heinz Seiffert

b) Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 15/385, 15/386 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Steffen Kampeter

ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Gemeindefinanzen dauerhaft stärken

- Drucksache 15/433 -

   Über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU sowie über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die der Aussprache nicht beiwohnen wollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die Redner Gehör finden können. Diejenigen Kollegen, die der Aussprache folgen wollen, bitte ich, ihre Plätze einzunehmen.

   Ich gebe Ihnen noch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen internationalen Lage bekannt. Antragsteller war die CDU/CSU-Fraktion. Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 268, mit Nein haben gestimmt 301 bei drei Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.

   Ich eröffne jetzt die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 3 sowie zum Zusatzpunkt 5. Es geht um die Gemeindefinanzreform. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Bernd Scheelen von der SPD-Fraktion.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 25. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 14. Februar 2003,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15025
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