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15. Wahlperiode
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   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * * * *

   28. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen in Drucksache 15/460

2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (Drucksache 15/461)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Graffiti-Bekämpfungsgesetz - (... StrÄndG) (Drucksache 15/404)

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Für eine Internationale Sicherheitsinitiative für Nordostasien (Drucksache 15/469)

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

4. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 12)

   Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses
(6. Ausschuss zu den Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/02 und 2 BvE 2/02 (Drucksache 15/479)

   Berichterstattung:
Abg. Andreas Schmidt (Mülheim)

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Außerdem wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 10 - Heimkehrerentschädigungsgesetz - und den Tagesordnungspunkt 11 - Schutz der Intimsphäre - bereits heute nach Tagesordnungspunkt 7 aufzurufen.

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln. Die Fraktion der FDP hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags auf Drucksache 15/458 mit dem Titel „Haushaltsentwurf 2003 überarbeitet vorlegen“ zu erweitern.

   Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.

Jürgen Koppelin (FDP):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der Freien Demokraten verlangt in ihrem Antrag, dass der Haushalt von Bundesfinanzminister Eichel zurückgezogen und überarbeitet wird.

(Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Büttenrede!)

Wir möchten diesen Antrag heute diskutieren. Die rot-grüne Koalition lehnt die Aufsetzung des Antrags auf die Tagesordnung und damit die Diskussion heute ab. Das nennt man Arroganz der Macht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir bedauern sehr, dass wir nun mit einer Geschäftsordnungdebatte versuchen müssen, zu erreichen, dass dieser Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird.

   Heute soll der Haushaltsentwurf 2003 im Haushaltsausschuss des Bundestages abschließend beraten werden. Jede Kollegin und jeder Kollege im Deutschen Bundestag konnte in den letzten Wochen erkennen, dass der von Bundesfinanzminister Eichel vorgelegte Haushaltsentwurf 2003 nicht den Tatsachen entspricht, sondern geschönt und unrealistisch ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Bundesfinanzminister Eichel ist zur Haushaltswahrheit verpflichtet; aber auch der Deutsche Bundestag - wir alle - ist zur Haushaltswahrheit verpflichtet. Es ist daher völlig unverständlich, dass ein Bundeshaushalt 2003 verabschiedet werden soll, von dem jeder im Bundestag weiß, dass wichtige Daten und Zahlen nicht stimmen und dass er höchstens noch ein Dokument einer verfehlten Arbeitsmarkt- und Konjunkturpolitik sowie besonders auch einer verfehlten Steuerpolitik ist. Weder der im Haushaltsentwurf 2003 vorgesehene Ansatz für die Arbeitslosenhilfe noch das Vorhaben, ohne Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit auszukommen, ist realistisch. Die schwache Konjunktur hat keine Berücksichtigung im Bundeshaushalt gefunden. Die im Bundeshaushalt 2003 angenommenen Steuereinnahmen sind allein Wunschdenken des Bundesfinanzministers.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Heute können Sie im „Handelsblatt“ lesen: Eichel brechen die Einnahmen weg, allein um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das sind doch Zahlen, an denen man nicht vorbei kann.

   Um den Haushalt überhaupt ausgleichen zu können, greifen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nun zu Methoden einer Bananenrepublik.

(Widerspruch bei der SPD)

Da sollen plötzlich Milliarden aufgrund eines Steueramnestiegesetzes fließen. Ein Amnestiegesetz ist richtig; aber ob die Höhe der geschätzten Steuereinnahmen richtig ist, wissen Sie überhaupt nicht. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen aus dieser Woche, immer veröffentlicht vom Finanzministerium. Dienstagmorgen: geschätzte Einnahmen durch die Steueramnestie: 1 Milliarde Euro. Bereits Dienstagabend: Schätzung durch den Finanzminister: 2 Milliarden Euro. Mittwochmorgen vermelden die Medien: Bundesfinanzminister hofft auf 5 Milliarden Euro Steuereinnahmen. - Das ist peinlich; das ist unseriös; das hat mit vernünftiger Haushaltspolitik nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Glauben Sie doch nicht, dass Sie Einnahmen in dieser Höhe bekommen! Wenn Sie hier in Deutschland keine vernünftige Steuerpolitik machen, wird niemand sein Kapital zurückholen. Deshalb werden Sie mit Einnahmen in dieser Höhe nicht rechnen können.

   Aufgrund der schlechten, hausgemachten Konjunkturentwicklung haben wir steigende Arbeitslosenzahlen: 4,6 Millionen; andere rechnen bereits mit 5 Millionen. Der Bundesfinanzminister ignoriert diese Zahlen.

   Bundesfinanzminister Eichel träumt weiter den Traum vom Wirtschaftswachstum, ohne mit seinem Haushaltsentwurf der falschen Daten und Zahlen überhaupt Impulse dafür zu geben.

Wenn dieser Haushalt, den der Bundestag in Kürze beschließen soll, nicht umgehend von Bundesfinanzminister Eichel überarbeitet wird, werden wir das gleiche Szenario wie im letzten Jahr erleben: Maastricht-Kriterien nicht erfüllt - wie im letzten Jahr -, ein Nachtragshaushalt ist nötig - wie im letzten Jahr -, noch mehr Schulden - wie im letzten Jahr.

   Auch im Jahr 2002 wurde von Rot-Grün ein Haushalt beschlossen, der an der Realität vorbeiging. Die Zahlen waren manipuliert. Da wurde getrickst und getäuscht und die Öffentlichkeit belogen. Es war ja Bundestagswahl. Und das alles, obwohl die Fakten und die Tatsachen jedem Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium bekannt und klar waren. Die Aussagen des Staatssekretärs Overhaus vom Bundesfinanzministerium vor dem Untersuchungsausschuss haben deutlich gemacht, dass Bundesfinanzminister Eichel den Bezug zur Realität längst verloren hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deswegen wagen nicht einmal die höchsten Mitarbeiter im Finanzministerium, diesem Bundesfinanzminister die Zahlen überhaupt noch vorzulegen: weil er sie nicht wahrnehmen will.

   Das zeigt auch der Bundeshaushalt 2003. Bundesfinanzminister Eichel hat dem Deutschen Bundestag einen Haushaltsentwurf zur Verfügung gestellt und zur Beratung vorgelegt, zu dem man nur sagen kann: Empfänger verweigert Annahme. Eine andere Reaktion ist da überhaupt nicht möglich.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesfinanzminister Eichel hat nicht mehr die Kraft, einzugestehen, dass sein Haushaltsentwurf 2003 bereits nicht einmal mehr das Papier wert ist, auf dem er steht.

(Beifall bei der FDP - Widerspruch bei der SPD)

Das konnten wir auch gestern im Haushaltsausschuss erleben. Diejenigen, die zurufen, waren nämlich dabei. Sie wissen, dass es so ist. Daher muss der Deutsche Bundestag die Kraft haben, diesen Haushaltsentwurf an den Bundesfinanzminister zurückzuüberweisen.

   Der Bundeshaushalt ist das Schicksalsbuch der Nation.

(Zurufe von der SPD: Oh! - René Röspel (SPD): Damit haben Sie 16 Jahre Erfahrung!))

Bundesfinanzminister Eichel macht aus diesem Schicksalsbuch das Märchenbuch der Nation. Sie können heute unseren Wunsch nach einer Debatte ablehnen. Dafür haben Sie voraussichtlich die Mehrheit. Die Konsequenz wird nur sein, dass Bundesfinanzminister Eichel mit dem Haushaltsentwurf 2003 seinen letzten Haushaltsentwurf diesem Deutschen Bundestag vorgelegt hat. Er wird dieses Jahr nicht mehr als Bundesfinanzminister überstehen.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Koppelin, das ist Wunschdenken!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man hat bei Ihnen den Eindruck, der rot-grünen Koalition und dem Bundeskanzler wäre das sogar recht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Franz Müntefering (SPD): Können Sie das alles noch einmal wiederholen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegen Walter Schöler, SPD-Fraktion.

Walter Schöler (SPD):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, du, Jürgen Koppelin, merkst gar nicht und die FDP-Fraktion merkt ebenfalls nicht, dass ihr euch mit diesem Antrag hier nur lächerlich macht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ebendeshalb gehört dieser Antrag heute nicht auf die Tagesordnung. Wir sind nicht bereit, Haushaltsberatungen, die im März stattfinden werden, auf heute vorzuziehen.

   Wer wie die FDP einen solchen Antrag stellt und - das füge ich hinzu - wer einen solchen Antrag heute unterstützt, der stellt nicht nur die schwierige und ernsthafte Arbeit des Haushaltsausschusses und seiner Mitglieder infrage, sondern auch sich selbst. Das geschieht mit diesem Antrag.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie lenken nicht nur von der eigenen Konzeptlosigkeit bei den Beratungen der letzten Wochen ab, sondern wollen auch noch aus bestimmten Gründen die Öffentlichkeit täuschen.

   Gerade heute ist diese Koppelin-Show völlig fehl am Platz. Denn Fakt ist doch: Der Bundeshaushalt 2003 ist wie jeder Haushalt zuvor nach dem bewährten Verfahrensablauf bearbeitet und beraten worden. Das heißt, er ist nach den aktuellen Erkenntnissen der Regierung Ende letzten Jahres erstellt worden. Er ist - im Übrigen mit Zustimmung der FDP-Fraktion; von wegen „Annahme verweigert“ - im Dezember in erster Lesung hier behandelt worden und danach dem Haushaltsausschuss zur Beratung überwiesen worden. Damit ist er von der Bundesregierung in die Hand des Parlaments übergegangen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten zehn Wochen hat der Haushaltsausschuss - das war sicherlich für alle nicht unbedingt immer eitel Freude - diese Beratungen in zahlreichen Berichterstattergesprächen und Ausschusssitzungen sehr konzentriert durchgeführt. Gerade heute stehen wir vor der abschließenden Befassung mit diesem Entwurf, der so genannten Bereinigungssitzung, die wir jetzt wegen Ihres Antrages um eine halbe Stunde verschoben haben.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist ja furchtbar! Das ist ja ein Schicksalsschlag!)

Wie alle kundigen Thebaner und zumindest einige Kollegen von der FDP genau wissen, werden bei der Bereinigungssitzung wie in jedem Jahr auch in diesem Jahr die aktualisierten Einschätzungen - sie liegen allen vor und sind noch gestern morgen in einer Berichterstatterrunde diskutiert worden, im Übrigen im Beisein Ihres Kollegen Rexrodt - in den Haushalt eingearbeitet, mit ihren Auswirkungen auf die Steuern, mit ihren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Genau diese Aktualisierungen, die Sie mit Ihrem Antrag ja fordern, werden heute durch den Haushaltsausschuss vollzogen. In diesen Ausschuss gehören sie auch.

   Halten Sie uns also nicht länger mit der Posse auf, die Sie heute Morgen veranstalten! Lassen Sie uns lieber unsere Arbeit tun!

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Beim Nachtragshaushalt kommen wir wieder darauf zurück!)

- Herr Gerhardt, das gehört in den Haushaltsausschuss. Sie werden erleben, wie Ihre drei Kollegen gleich wieder brav in diesem Ausschuss sitzen und mit entscheiden werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir lehnen Ihren Antrag ab und sind nicht bereit, diesen Antrag auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.

Dietrich Austermann (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer gestern Nachmittag den Bundesfinanzminister im Haushaltsausschuss erlebt hat, der hat den Eindruck gewinnen können, der Mann hat kapituliert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei der SPD)

Er hat kapituliert vor der Situation, die sich heute für ihn im Untersuchungsausschuss ergibt. Das ist der Tag und die Stunde der Wahrheit. Er hat kapituliert vor der Verpflichtung, einen Haushalt vorzulegen, der mit der Realität in Einklang steht und nicht völlig von dem abgewandt ist, was sich in Deutschland tut. Der Haushaltsentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist eine Addition von Zahlen ohne jede Perspektive und ohne jeden Bezug zur Realität. Ich will das an fünf kurzen Beispielen deutlich machen.

   Erstens. Sie unterstellen nach wie vor 1 Prozent Wachstum; im Entwurf waren es noch 1,5 Prozent, im letzten Jahr waren es noch 2,5. Der Bundesfinanzminister hat gestern - ich finde, dass darauf die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gelenkt werden sollte - im Haushaltsausschuss gesagt: Wenn das Wachstum die Marke von 1 Prozent nur geringfügig unterschreitet, werden wir die Messlatte der Maastricht-Kriterien reißen. Da inzwischen jeder weiß, dass dieses Wachstum von 1 Prozent kaum noch zu erreichen ist,

(Peter Dreßen (SPD): Woher wissen Sie das?)

es sei denn, man macht eine völlig andere Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik, kann auch jeder erkennen, dass man sich von der Einhaltung der Maastricht-Kriterien verabschiedet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen sage ich: Der Mann hat kapituliert, weil Rezepte, um das Steuer herumzureißen, nicht erkennbar sind. Diese hätte er zumindest vorschlagen sollen.

(Walter Schöler (SPD): Im Dezember war Ihre Prognose auch falsch!)

   Sie, Herr Kollege Schöler, haben gesagt, Sie hätten in den Beratungen - heute findet ja die Bereinigungssitzung statt - das Ihrige getan, um die Entwicklung aufzufangen. Nun sage ich einmal, was in den vier Wochen der Haushaltsberatungen bisher passiert ist: Sie haben die Ansätze bis zum heutigen Stand genau um 229 Millionen verändert.

(Walter Schöler (SPD): Falsch!)

Das sind noch nicht einmal 0,1 Prozent Veränderung bezogen auf das Gesamtvolumen des Haushalts.

(René Röspel (SPD): Sie haben ständig Erhöhungsanträge gestellt!)

Bei den Steuereinnahmen unterstellen Sie trotz sich vermindernden Wachstums eine Zunahme. Das macht doch deutlich, dass Sie überhaupt nicht erkennen, wie die Realität in Deutschland tatsächlich aussieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das Gleiche trifft auf meinen zweiten Punkt, das Thema Arbeitsmarkt, zu. Wir haben im letzten Jahr 5,6 Milliarden Euro Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit vorgesehen. Im Haushaltsgesetz haben Sie eine Liquiditätsreserve für die Bundesanstalt - das heißt, der Bund darf der Bundesanstalt helfen - in einer Größenordnung von 7 Milliarden Euro eingeplant - wobei dieser Ansatz deutlich gestiegen ist. Das heißt, Sie glauben selber nicht, dass die Bundesanstalt ohne einen Zuschuss auskommt. Im Haushaltsplan unterstellen Sie aber, dass das so sein wird. 7 Milliarden Euro zusätzlich wären in etwa angebracht, weil man wegen Ihrer Politik leider davon ausgehen muss, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr steigt. Wenn Sie bei geringerer Arbeitslosigkeit im letzten Jahr schon 5,6 Milliarden Euro in die Hand nehmen mussten, dann müssen es in diesem Jahr noch mehr sein. Sie sprechen aber von einem Nullzuschuss. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn man dann noch sieht, dass die Zuständigen, Herr Gerster und Herr Clement, wie die Kesselflicker streiten,

(Walter Schöler (SPD): Meinen Sie Merz oder Merkel?)

ist nicht davon auszugehen, dass irgendetwas von dem, was als Hartz-Konzept bezeichnet wird, geeignet ist, die Arbeitslosigkeit wesentlich zu verringern.

   Ich will Ihnen ein drittes Beispiel nennen: Arbeitslosenhilfe.

(Jörg Tauss (SPD): Nein! Geschäftsordnung haben wir!)

- Herr Tauss, Sie als Gewerkschafter haben doch eine gewisse Erfahrung. Es muss Sie doch bedrücken, wenn Sie feststellen, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen immer weiter steigt. Wenn die Zahl der Langzeitarbeitslosen immer weiter steigt, muss man bei der Arbeitslosenhilfe von einem höheren Betrag ausgehen. Sie dagegen senken ihn um 2,7 Milliarden. Auch deshalb muss man sagen, das Ganze hat mit der Realität nichts zu tun.

   Dann schauen wir uns das Thema Steuern an - mein vierter Punkt -: Sie gehen davon aus, dass Sie Steuermehreinnahmen haben werden, trotz sich vermindernden Wachstums und höherer Arbeitslosigkeit. Sie begründen das, wie der Kollege Koppelin schon gesagt hat, mit diesem neuen so genannten Steuerehrlichkeitsgesetz.

In einem halben Jahr wollen Sie 20 Milliarden Euro nach Deutschland zurückholen und daraus 5 Milliarden Euro für die öffentliche Hand abschöpfen. Was sollte eigentlich die Menschen dazu veranlassen, 25 Prozent Steuern auf einen bestimmten Betrag für die gesamte Zeit, in der sie ihr Geld im Ausland hatten, zu zahlen?

   Ich glaube, das spricht für sich selbst und zeigt, dass das mit Realität nichts zu tun hat. Weil Sie selber nicht daran glauben, versehen Sie das Ganze mit Kontrollmitteilungen und möglicherweise dem Versuch, das Bankgeheimnis aufzubrechen.

(Walter Schöler (SPD): Sie schützen die Steuerhinterzieher, Herr Austermann!)

So kann man das nicht betreiben.

   Der Bundesfinanzminister hat einen Lieblingsspruch. Er sagt immer, der Haushalt sei auf Kante genäht. Wir sagen, der Haushalt ist auf Sand gebaut. Weil er auf Sand gebaut ist, muss er weg. Das gilt in gleicher Weise für den Bundesfinanzminister.

(Walter Schöler (SPD): Keine Argumente!)

- Doch, ich habe es Ihnen genau vorgerechnet, Herr Schöler.

   Wer in schamloser Weise wie vor der Bundestagswahl mit dem ersten Entwurf für diesen Haushalt und nach der Bundestagswahl mit dem zweiten Entwurf die Öffentlichkeit und den Souverän belogen und betrogen hat, der hat dieses Amt nicht länger verdient. Er muss die Konsequenzen ziehen und kann seinen Haushaltsentwurf gleich mitnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt wird es wieder seriös!)

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der haushaltspolitische Sprecher der großen Oppositionsfraktion, der hier gerade lautstarke Worte gefunden hat, der sich zwei Wochen vor Abschluss des Haushalts 2002 um 8 Milliarden Euro vertan hat, als er sagte, dass dieser Haushalt noch einmal 8 Milliarden Euro draufsatteln müsse, was erwiesenermaßen falsch war und nur Sprücheklopferei in diesem Hause bedeutete -, der hat seine Seriosität doch schon vor zwei Monaten verspielt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zu dem Antrag der FDP - „Haushaltsentwurf 2003 überarbeitet vorlegen“ -, über den wir hier beraten, kann ich nur sagen, sehr geehrter Kollege Koppelin: Wir sitzen seit acht Wochen intensiv zusammen und beraten diesen Haushalt.

(Jürgen Koppelin (FDP): Aber ihr bewegt ja nichts! - Lachen bei der SPD)

Jetzt diesen Antrag vorzulegen ist eine Sonderinszenierung Ihrer Partei.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie zwingen uns mit gespieltem Ernst eine Debatte auf. Im Grunde zeigt das nur, dass Sie zur Spaß- und Gagfraktion Ihrer Partei gehören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Können Sie mal was zum Haushalt sagen?)

   Das passt aber eigentlich nicht zu der schwierigen Lage, in der wir uns befinden. In diesem Punkt haben wir keine Differenz. Wir haben eine schwierige wirtschaftliche und finanzpolitische Lage.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Und eine schlechte Regierung!)

Dazu passt nicht, dass man nach acht Wochen Beratungen sagt, es sei alles so schwierig und man wolle noch einmal von vorne anfangen. Das ist schlicht und ergreifend lächerlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Was sich eigentlich zeigt - ich will durchaus auf die Sache eingehen, denn das Thema ist es wert, in der Sache zu streiten -, ist, dass Sie vor diesen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Schwierigkeiten kapitulieren oder angesichts dessen zumindest unentschlossen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich kann das auch belegen, und zwar anhand Ihrer vier Punkte; Sie haben sich ja Mühe gegeben, das aufzuschreiben. Sie schreiben, der Haushalt sei unter der Annahme eines Wirtschaftswachstums von 1,5 Prozent aufgestellt worden. Richtig! Wir haben in diesem Hause öffentlich diskutiert, dass wir mittlerweile ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent erwarten. Daraus haben wir Konsequenzen gezogen. Sie waren doch dabei! Wir werden nach der alten Kalkulation Steuermindereinnahmen von 1 Milliarde Euro haben. Dazu gibt es mittlerweile den Haushaltsabschluss 2002, in dem man erkennen kann, dass wir positive Basiseffekte aus den Steuereinnahmen haben. Das wird sich fortsetzen. Darüber hinaus bekommen wir eine Zinsabgeltungsteuer, über die Sie gerade sogar einen positiven Nebensatz verloren haben. Das Thema wurde aufgegriffen, vielleicht nicht so, wie Sie es wünschen; aber das Argument, dass das Thema Steuereinnahmen nicht aktualisiert sei, stimmt nicht.

   Zweitens: Steuervergünstigungsabbaugesetz. Es ist schlicht falsch, was in Ihrem Antrag steht. In dem Antrag der Bundesregierung ist genau das gleiche Volumen wie im Haushalt enthalten. Haben Sie Ihren Antrag zu früh geschrieben? Das Risiko besteht darin, dass im Bundesrat viele unionsgeführte Länder vertreten sind. Deshalb haben wir ein Problem. Man muss sich den Realitäten anpassen, meine Damen und Herren, und überlegen, ob man nicht in einem gewissen Maße die Einnahmebasis der Länder und Kommunen stabilisieren muss und dafür selber Verantwortung trägt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Johannes Singhammer (CDU/CSU): Mehr Wachstum ist nötig!)

   Zum dritten und vierten Punkt. Das ist mein Hauptanliegen; in diesem Zusammenhang möchte ich auf den Kollegen Austermann eingehen. Kernpunkt der Haushaltsberatungen und im Grunde auch der politischen Debatte der letzten Monate ist doch, dass wir Strukturreformen und Änderungen auf dem Arbeitsmarkt brauchen.

Sie scheinen zu kapitulieren, weil Sie davon sprechen, dass die Arbeitslosenhilfezahlungen höher liegen werden und dass die Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuss braucht.

   Ich fordere Sie daher auf: Stellen Sie Anträge, die konsumptiven Ausgaben im Haushalt 2003 zu erhöhen! Wir werden Ihnen dabei aber nicht folgen; denn wir sind bereit, Strukturreformen auf den Weg zu bringen und Einsparungen vorzunehmen. Sie müssten einmal selber erkennen, welche Hilflosigkeit Sie zeigen, indem Sie immer nur Pessimismus ausstrahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich komme abschließend zum Fazit. Eine solide Politik, auch Finanzpolitik, muss sich auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen bewähren.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

Sie muss Orientierung geben. Man darf aber nicht die Hände in den Schoß legen und sagen, es werde alles viel schlimmer. Ich fordere Sie auf, bei den Strukturmaßnahmen in einen Wettbewerb mit uns zu treten, aber nicht mit Bitterkeit auf die Ergebnisse des Jahres 2002 zurückzublicken. Das hilft uns nicht weiter. Wir packen an. Unsere Pläne sind nach vorne gerichtet. Eine ausführliche Debatte darüber führen wir bei den abschließenden Haushaltsberatungen im März.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion der FDP? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“

- Drucksache 15/464 -

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Neue Initiative für ein internationales Verbot des Klonens menschlicher Embryonen starten

- Drucksache 15/463 -

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Reproduktives Klonen weltweit verbieten - das Machbare schnell umsetzen

- Drucksache 15/314 -

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Gudrun Schaich-Walch.

Gudrun Schaich-Walch (SPD):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute die Möglichkeit, in verbundener Debatte sowohl über die Einsetzung der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ als auch über den Antrag „Klonverbot“ zu beschließen. Der letztgenannte Antrag basiert auf der Diskussion und den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ der letzten Legislaturperiode.

   Ich möchte dies als ein positives Omen für die Arbeit der kommenden Kommission bewerten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU sowie der eigenen Fraktion dafür bedanken, dass es uns gelungen ist, diese von drei Fraktionen getragenen Anträge schnell und trotz des heiklen Themas in einem, wie ich finde, sehr pfleglichen Umgang miteinander zu erarbeiten. Dafür ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   In meinem folgenden Beitrag werde ich mich auf die Wiedereinsetzung der Enquete-Kommission konzentrieren. Alle diesen Antrag tragenden Fraktionen waren sich in der Diskussion sehr bald einig, dass die Arbeit der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ fortgesetzt werden sollte. In diesem Wunsch drücken sich meiner Meinung nach zwei Dinge aus.

   Zum einen ist es gelungen, das verfassungsrechtlich geschützte ganzheitliche Menschenbild und die Wahrung der Menschenwürde gemäß Art. 1 des Grundgesetzes in Bezug zur heutigen biomedizinischen Entwicklung zu setzen. Es ist auch gelungen, zukunftsweisende Antworten zu entwickeln. Die fachlich herausragenden Stellungnahmen und Berichte der Kommission waren Basis der Diskussion im Bundestag. Sie ermöglichten die fundierte Auseinandersetzung im Spannungsfeld zwischen Ethik und Forschung und führten letztlich zu Normensetzungen, die mit breiter Mehrheit getroffen werden konnten.

Zum anderen müssen wir aber auch feststellen: Es sind Fragen offen geblieben und neue hinzugekommen.

   Die Enquete-Kommission der letzten Legislaturperiode hat sich zugunsten der Qualität ihrer Arbeit Bescheidenheit auferlegt. Sie hat sich für einige Fragestellungen entschieden, diese in die Tiefe gehend behandelt und berechtigt gehofft, in dieser Legislaturperiode weiterarbeiten zu können.

   In Zeiten, in denen sich Forschung und moderne Technologie in geradezu explosionsartiger Geschwindigkeit entwickeln, laufen wir Gefahr, von der Entwicklung überrollt zu werden, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu ergründen und zu bewerten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Parlament hat gerade bei diesen Fragestellungen eine herausgehobene Führungsrolle. Es muss Anstoß zu einer tief gehenden öffentlichen Diskussion geben. Dafür braucht die Kommission fundierte Grundlagen.

   Die im Deutschen Bundestag zu diesen grundlegenden Fragestellungen jenseits von Fraktionsgrenzen vertretene Meinungsvielfalt spiegelt die Situation in unserer Gesellschaft wider. Die einen stehen den sich aus der modernen Forschung ergebenden Möglichkeiten fasziniert, die anderen vorsichtig bis ablehnend gegenüber. Beide Positionen und alle dazwischenliegenden Facetten sind in der Regel wohl begründbar und damit respektabel. Deshalb wäre es falsch, hierauf mit einer Kommission zu reagieren, die diese verschiedenen Haltungen oberflächlich zusammenbringt, indem sie möglichst vage formulierte Antworten anbietet, die zwar alle Positionen einschließen, aber schlussendlich nichts mehr wirklich deutlich machen. Deshalb ist es für unsere Arbeit wichtig, nicht nur den Willen zum Konsens, sondern auch zutage getretene Konflikte deutlich zu machen.

   Unser Mandat verpflichtet jeden Einzelnen von uns, sich am Ende der Debatte seiner Verantwortung zu stellen, dort, wo es einer rechtlichen Regulierung bedarf, um eine gemeinverträgliche Lösung zu ringen und schließlich Entscheidungen zu treffen - und dies auch dann, wenn diese von einer Tragweite sind, die an unseren Grundüberzeugungen und manchmal auch an unseren Möglichkeiten rühren.

   Den bisher geschilderten Aufgaben und der Kultur, mit der in der letzten Legislaturperiode gearbeitet wurde, sollte sich eine neu zu bildende Kommission verpflichtet fühlen. Als inhaltlicher Leitfaden werden die im Abschlussbericht der letzten Kommission dargestellten, offen gebliebenen und neu hinzukommenden Fragen dienen.

   Die neue Kommission wird sich mit einer Reihe von Problemen beschäftigen. Zwei Punkte möchte ich herausgreifen: Wie können wir therapeutische Angebote für Menschen entwickeln, die nicht in der Lage sind, ihre persönliche Einwilligung im Forschungsprozess zu geben? Wir werden Antworten auf die Fragen derer finden müssen, die sich wünschen, dass mehr transplantiert wird, die aber meiner Meinung nach in diesem Wunsch weit über das Ziel hinausschießen, wenn sie glauben, es gebe in dieser Gesellschaft einen berechtigten Anspruch darauf, dass lebenden Menschen Organe abgekauft werden könnten. Wir werden uns damit auseinander setzen müssen, ob es auch andere Möglichkeiten der Organgewinnung gibt. Ich hoffe, wir werden für die Beantwortung auch dieser Fragen zu einer guten Entscheidungsgrundlage kommen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns heute dafür entscheiden, diese enormen Herausforderungen nicht in unserem normalen Alltagsgeschäft abzuwickeln, sondern im Rahmen einer Enquete-Kommission, dann tun wir dies, weil wir die sich aus der biomedizinischen Forschung ergebenden Herausforderungen annehmen und deren Auswirkungen in ihrer ganzen Tragweite gerecht werden wollen.

   Die einzusetzende Kommission ist deshalb gut beraten, nicht nur ihre Zielsetzungen und den abzuhandelnden Fragenkatalog zu definieren, sondern auch hinsichtlich ihrer Grenzen Klarheit zu schaffen.

   Jeder Parlamentarier ebenso wie jedes Mitglied der Kommission hat persönliche Wertvorstellungen, Ideale oder Grundüberzeugungen einzubringen, die die Diskussion bereichern, aber nicht dominieren sollen. Denn auch wenn der Einzelne das Menschenwürdeprinzip aus seiner christlichen Grundüberzeugung ableitet und verteidigt, muss uns die Einsicht einen, dass das Institut der Menschenwürde ebenso aus anderen Grundüberzeugungen abgeleitet werden kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Diese Einsicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, mag sie uns heute noch manchmal banal erscheinen, sollten wir nie aus dem Blick verlieren, auch und insbesondere dann nicht, wenn die einen oder die anderen glauben, die Wahrheit auf ihrer Seite zu haben. Letztlich wird auch diese Kommission nichts daran ändern, dass es oftmals die letzte Wahrheit nicht gibt und dass es oftmals auch, je nachdem, auf welcher Seite man steht, für den Einzelnen mehrere Wahrheiten geben kann. Sie wird aber neben Erkenntnisgewinn einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Streitkultur im Bundestag leisten können, wenn die in der Diskussion zutage getretenen Konflikte in wechselseitiger Achtung ausgetragen werden. Ich bin überzeugt, dass wir, wenn bei uns allen die Bereitschaft besteht, abweichende Meinungen zu respektieren, uns mit den anderen Argumenten sachlich auseinander zu setzen, politisch überzeugende Lösungen finden werden, die den Ansprüchen der Menschen gerecht werden und die letztendlich auf einer breiten Basis beruhen und eine Bindekraft in unserem Volk entwickeln können.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, dem vorliegenden Antrag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zuzustimmen, die Arbeit dieser Kommission ebenso beherzt wie kritisch zu begleiten und sie für die von Ihnen künftig zu fällenden Entscheidungen als ernst zu nehmende Hilfestellung in Anspruch zu nehmen.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist angestrebt, einen Moment inne zu halten, denn wir legen heute zwei gemeinsame Anträge vor: einen Antrag zur Wiedereinsetzung der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ und einen Antrag für ein internationales generelles Klonverbot. Die Tatsache, dass wir uns zu einem solchen gemeinsamen Vorgehen zusammengefunden haben, veranlasst mich, herzlichen Dank zu sagen an alle Kolleginnen und Kollegen, die beteiligt waren und die es möglich gemacht haben, dass wir mit diesen Anträgen heute im Deutschen Bundestag ein so klares Signal setzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Signal bedeutet, dass wir in diesem Hohen Hause eine breite und nachdrückliche Übereinstimmung für den Schutz des menschlichen Lebens und für die unbedingte Wahrung der Menschenwürde haben. Darum geht es und das gilt es heute wieder zum Klingen zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir zeigen auch, dass wir den Weg, den wir in der vergangenen Legislaturperiode und auch davor eingeschlagen haben, weiter gehen wollen. Der Deutsche Bundestag war, ist und bleibt der Ort der Beratung, der Diskussion und der Entscheidung in diesen wesentlichen Fragen des menschlichen Lebens. Das kann nicht durch Kommissionen oder Gremien außerhalb ersetzt werden. Hier müssen die Entscheidungen gefällt werden und dessen sind wir uns als Abgeordnete sehr wohl bewusst.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sind uns auch bewusst: Der Mensch muss seine Grenzen sehen und er muss sie achten. Wir sind Geschöpfe und nicht Schöpfer. Wir stehen in der Verantwortung, die Schöpfung zu bewahren. Davon ausgehend haben wir vor 13 Jahren mit dem Embryonenschutzgesetz eine klare Grenzziehung vorgenommen, die wir mit dem Stammzellgesetz bekräftigt haben.

   Wir sind von einer Grundposition ausgegangen, und diese Grundposition ist auch heute für die Frage „Wie verhalten wir uns beim internationalen umfassenden Klonverbot?“ von entscheidender Bedeutung.

Menschliches Leben ist von Anfang an, das heißt schon ab dem frühen Stadium der Totipotenz, zu schützen. Menschliches Leben steht nicht in der Verfügung anderer. Menschlichem Leben kommt in jeder Phase, vom Beginn bis zum Ende, die volle Menschenwürde zu. Das ist Ausdruck von Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes. Das ist die Richtschnur für unsere Entscheidung und für unser Handeln in diesem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nicht nur national, sondern global werden wir mit Schlüsselfragen der Menschheit konfrontiert wie nie zuvor. Eine dieser Schlüsselfragen lautet, wie wir als Menschen in Zukunft existieren wollen. Diese Frage betrifft jeden Einzelnen, also das Individuum, sie betrifft aber auch unsere gesamte Gattung. Sie ist nicht nur für unsere Gesellschaft wichtig, sondern für die globale Gesellschaft der Menschen. Es geht um die Klärung, wie wir mit dem immer weiter anwachsenden biomedizinischen Wissen umgehen sollen. Es geht darum, zu klären, in welchen Bereichen wir bereit sind, dieses Wissen auf unsere eigene Gattung anzuwenden, und wo wir sagen, hier sind Grenzen zu beachten und zu respektieren. Diese Grenzen wollen wir nicht nur national, sondern auch international gewürdigt sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Bei der Diskussion um ein internationales umfassendes Klonverbot - ich will mich darauf konzentrieren, weil die Kollegin Schaich-Walch schon sehr ausführlich zur Enquete-Kommission gesprochen hat - wird die ganze Wucht und Brisanz dieser Frage deutlich. Die Empörung war einmütig, als in der Weihnachtszeit die Raelianersekte behauptete, es sei das erste Klonbaby geboren. Unabhängig davon, ob diese Behauptung wirklich wahr ist - das bezweifle ich wie viele andere -, gilt es trotzdem, ein deutliches Signal zu setzen. Wir müssen festhalten: Das Klonen von Menschen ist in jeder Hinsicht verantwortungslos und verwerflich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Meinungen zu dem so genannten therapeutischen Klonen sind dagegen gespalten. Das erleben wir heute auch im Deutschen Bundestag. Es liegt ein Antrag der FDP vor, der im Grunde genommen das Bemühen widerspiegelt, die Tür offen zu halten. Aber was Not tut, ist, Klarheit in der Sache und in der Entscheidung zu schaffen. Darum muss es gehen. Wir zielen mit unserem gemeinsamen Antrag auf ein weltweites generelles Klonverbot. Wir folgen damit der Position, die wir im letzten Juni im Deutschen Bundestag beschlossen haben und von der wir wissen, dass sie zur Richtschnur für die Bundesregierung in den Verhandlungen bei den Vereinten Nationen werden muss.

   Viele werden natürlich fragen, warum wir ein umfassendes Klonverbot erreichen wollen. Reicht es denn nicht, nur das reproduktive Klonen zu ächten? Muss es denn auch das so genannte therapeutische Klonen sein? Liegen darin denn nicht Heilungschancen für Menschen? Könnte das denn nicht vielen Menschen helfen, die heute nicht wissen, ob die Medizin jemals einen Weg findet, um sie von einer schweren Krankheit zu heilen?

   Hier ist es wichtig, zu verdeutlichen, was das so genannte therapeutische Klonen überhaupt ist und was die Forscher hierzu sagen. Das haben wir in unserem Antrag sehr deutlich gefasst. Wir haben niedergelegt - das entspricht der Wissenschaft -, dass der Weg bis hin zum Entstehen des Embryos beim reproduktiven und beim so genannten therapeutischen Klonen identisch ist: Es wird eine Eizelle entnommen; sie wird entkernt; in sie wird der Kern zum Beispiel einer Hautzelle eingesetzt; dann findet Teilung statt; das Ergebnis ist ein Embryo. Ein Embryo ist aber doch ein Mensch und nichts anderes. Er ist kein Zellhaufen und auch nicht - wie die FDP schreibt - ein unvollständiger Mensch. Ich frage mich, was denn ein unvollständiger Mensch ist. Ab wann ist denn ein Mensch vollständig? Ist er das ab dem dritten Tag, ab dem 14. Tag oder erst ab Geburt? Ich glaube, eine solche Festsetzung wäre Willkür. Deshalb müssen wir ganz klar und deutlich sagen: Dort, wo ein menschlicher Embryo ist, ist menschliches Leben. Das haben wir als Gesetzgeber im Stammzellgesetz auch so definiert. Ich rate allen, dort § 3 Abs. 4 nachzulesen. Dort haben wir festgeschrieben - die FDP hat übrigens zugestimmt -:

Im Sinne dieses Gesetzes ... ist Embryo bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.

Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich finde es höchst bedenklich, wenn uns mit dem Begriff therapeutisches Klonen etwas suggeriert wird, von dem uns die Wissenschaftler sagen, dass es nicht einlösbar ist. Therapeutisches Klonen, das suggeriert in der Tat, Heilung könnte morgen greifbar sein. Professor Winnacker hat aber in seiner Neujahrsansprache bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft klar erklärt: Therapeutisches Klonen ist ein Irrweg. Er begründet das in dreierlei Hinsicht. Ich will hier nur einen Aspekt nennen. Er sagt: Aus den Stammzellen, die dem Embryo entnommen werden, können sich genauso gut auch Tumorzellen entwickeln.

   Was bedeutet das? Wir haben es bei der Gentherapie in der Klinik Necker in Paris gerade erlebt. Dort bestand die Hoffnung, dass Kindern, die eine große Immunschwäche haben, durch die Gentherapie geholfen werden könnte. Das Ergebnis ist erschreckend: Viele dieser Kinder sind heute leukämiekrank. Ich halte es für nicht verantwortbar, zu Möglichkeiten zu greifen, die nicht überschaubar sind und die den Menschen statt Heilung neues Leid bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn man mit Wissenschaftlern, die wahrlich nicht aus der zweiten oder dritten Reihe kommen, spricht, stellt sich ein Zweites heraus. Die Nobelpreisträgerin Nüsslein-Vollhard sagt - ich möchte es mit meinen Worten wiedergeben -, dass es von den Methoden und vom Verfahren her fast utopisch ist, zu einem therapeutischen Klonen zu kommen, weil schon das Entwickeln einer Blastozyste nahezu unmöglich ist. Daraus Stammzellen zu gewinnen ist mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Sie spricht davon, dass wahrscheinlich selbst die verbissensten Forscher von dieser Methode Abstand nehmen und zu vielversprechenderen Methoden überwechseln werden.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Dann können wir es doch abwarten! Warten wir es doch einmal ab!)

- Herr Gerhardt, als Antwort auf Ihren Zwischenruf sage ich: Wir dürfen keinen Weg beschreiten, der Utopien und falsche Heilungserwartungen bedient.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig! Einverstanden!)

Wir müssen Wege beschreiten, die ethisch verantwortbar sind und zum medizinisch Machbaren führen, damit Menschen wirklich Hilfe zuteil wird und damit wir die Kräfte dort konzentrieren können, wo es einen Sinn macht, wo wir also nicht in die falsche Richtung laufen. Deshalb ist unsere Position an dieser Stelle so klar.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will noch einen weiteren Aspekt zur Sprache bringen. Ich frage Sie: Was würde es bedeuten, wenn das so genannte therapeutische Klonen entgegen allen Erwartungen tatsächlich gelingen könnte, wir also Therapien erhalten könnten? Der Nobelpreisträger Jaenisch hat uns auf einen Punkt aufmerksam gemacht: Wir bräuchten eine Vielzahl von Eizellen. Um für 17 Millionen Diabetespatienten allein in den USA Therapien bereitstellen zu können, bräuchte man hochgerechnet 850 Millionen Eizellen. Jetzt frage ich Sie: Wo wollen Sie 850 Millionen Eizellen herbekommen? Jaenisch sprach hier von einer sich abzeichnenden neuen Form der Prostitution von Frauen. Das würde besonders Frauen in der Dritten Welt betreffen, die in einer neuen Art und Weise ausgebeutet werden würden.

   Ich muss Sie fragen: Ist es von uns wirklich verantwortbar, einen solchen Weg auch nur zu erwägen? Wir müssen sowohl das, was ethisch geboten ist, als auch das, was von der Forschung her überlegenswert ist, sowie die Tatsache, dass Frauen nicht als neue Rohstofflieferantinnen missbraucht werden dürfen, berücksichtigen. Das ist ein zweiter Grund dafür, zu sagen: Diesen Weg wollen wir nicht beschreiten. Deshalb sind wir für ein internationales Klonverbot.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin sehr froh, dass wir diese Einigung im Deutschen Bundestag erzielen, auch wenn immer wieder angezweifelt wurde, dass der Weg richtig ist. Wir leiten hier eine Strategieveränderung ein, sodass bei der UN nicht auf zwei Stufen verhandelt wird. Wir wollen stattdessen, dass auf einer Stufe verhandelt und beides zugleich erreicht wird. Weil es ansonsten schwer erreichbar wäre, haben wir uns sehr intensiv darüber verständigt. Ich habe die Signale der Bundesregierung aufgenommen, dass sie bereit ist, diesen Weg mitzugehen.

   Angesichts der neuen Entwicklungen im amerikanischen Senat und angesichts der Entwicklungen bei der französischen Regierung - ganz in unserem Sinne ist man dort im Bereich der Gesetzgebung für Bioethik und Gentechnologie vorangeschritten - schätze ich es so ein, dass es eine gute Chance gibt, diesen Weg gemeinsam mit Frankreich weiterzuentwickeln und auf UN-Ebene zu einer internationalen Konvention zu kommen, die es möglich macht, beides zugleich zu ächten. Das muss alle Kraftanstrengung wert sein. Ich hoffe, dass die Bundesregierung diese Kraft aufbringen und einsetzen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich zum Schluss sagen - dies bedeutet die Einbettung in die neue Enquete-Kommission -: Wir werden nicht nur mit einer Schlüsselfrage konfrontiert sein, sondern wir haben eine Vielzahl von Fragen zu beantworten; denn die Entwicklung führt uns in immer neue Grenzbereiche. Ich will an einen Satz aus Faust II erinnern. Mephisto ist im Laboratorium und fragt Wagner: Was gibt es denn? - Wagner antwortet ihm: Es wird ein Mensch gemacht. Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll.

   Wir werden in der Tat mehr können, als wir dürfen. Aber es kommt jedes Mal unvermeidbar die Frage auf uns zu, die Dieter Grimm aufgeworfen hat: Man muss immer fragen, ob man das, was möglich ist, auch wollen soll. Wir können diese Frage nur auf der Grundlage unser Verfassung und unseres Menschenbildes beantworten: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich der Deutsche Bundestag in der letzten Legislaturperiode ausgiebig mit der Frage der Stammzellenforschung befasst hat, stehen in dieser Legislaturperiode nicht minder schwierige biopolitische Fragen an. Ich nenne nur einige: die Frage der Biopatentierung, Fragen der Fortpflanzungsmedizin, wie der Präimplantationsdiagnostik, die internationale Regulierung des Klonens und andere Fragen der roten und der grünen Gentechnik.

   Man kann wohl sagen: Es ist der gemeinsame Wille des Hauses, die anstehenden Debatten auf der Grundlage möglichst umfassender Informationen und im Geiste wechselseitigen Respekts zu führen. Diese gute Tradition, die wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, sollten wir fortsetzen. Wir sollten das auf der Basis der Arbeit der Enquete-Kommission tun, deren Einrichtung wir heute beschließen. Sie hat in der letzten Legislaturperiode sehr gute Arbeit geleistet. Ich bin davon überzeugt, dass sie das auch in dieser Legislaturperiode tun wird.

   Heute befassen wir uns mit der Frage einer internationalen Regelung des Klonens, des reproduktiven Klonens und des so genannten therapeutischen oder auch Forschungsklonens. Beide Techniken sind in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Das reproduktive Klonen - sollte es beim Menschen jemals gelingen - zielt darauf ab, die Kopie eines existierenden Menschen zu erzeugen, also ein genetisches Duplikat. Eine weibliche Eizelle wird entkernt - das wurde gerade von Frau Böhmer beschrieben -, die Erbinformationen eines existierenden Menschen werden injiziert und der so entstandene Embryo wird in den Mutterleib eingepflanzt.

   Ein solches Verfahren - ich glaube, das kann ich im Namen des ganzen Hauses sagen - ist moralisch vollkommen unverantwortbar. Es verletzt elementar die Menschenwürde und macht den Menschen vom Subjekt zum Objekt, vom gezeugten zum produzierten Wesen. Dem geklonten Menschen würde eine sehr schwere Bürde hinsichtlich seiner Identität und seiner Individualität aufgeladen. Der Schweizer Ethikrat hat dazu festgestellt: Wer als Kopie erzeugt wird, dürfte es sehr schwer haben, zum Original zu werden. Die französische Regierung will das reproduktive Klonen als Verbrechen nicht nur gegen die Menschlichkeit, sondern auch gegen die Menschlichkeit ahnden und dafür drakonische Strafen verhängen. Dieser Weg weist in die richtige Richtung. Wir sollten uns überlegen, ob wir ihm folgen.

   Das Forschungsklonen, das so genannte therapeutische Klonen, so es denn jemals gelingen sollte - diese Einschränkung muss man immer wieder machen; Frau Böhmer hat die Ursachen dafür beschrieben -, ist von der Technik her mit dem reproduktiven Klonen identisch. Das dürfen wir nicht vergessen. Auch hier wird das gleiche Verfahren angewandt: Eine Eizelle wird entkernt, in sie wird die DNA eines existierenden Menschen injiziert. Der Unterschied besteht technisch gesehen darin, dass der so geklonte Embryo nach einem bestimmten Stadium der Zellteilung mit dem Ziel „verbraucht“ wird, embryonale Stammzellen für die Forschung zu gewinnen. Für diese Methode wird von den Befürwortern mit dem Argument geworben, dass damit in Zukunft vielleicht einmal Gewebe und Organe gezüchtet werden, die dann vom Empfänger nicht abgestoßen würden.

   Es ist sicherlich nachvollziehbar, dass die moralische Beurteilung des Forschungsklonens den meisten Menschen wesentlich schwerer fällt als die des reproduktiven Klonens, weil für diese Technologie auch mit den Argumenten des Heilsversprechens und der Forschungsfreiheit geworben wird. Ich meine aber, dass die Einwände - ich werde sie kurz vortragen - im Abwägungsprozess letztlich wesentlich schwerer wiegen.

   Das erste Argument ist am schwerwiegendsten: Menschliches Leben oder Vorformen desselben werden für bestimmte Zwecke verfügbar gemacht. Es wird produziert und dann als medizinischer Rohstoff benutzt. Hans-Jochen Vogel hat es folgendermaßen formuliert: Der Embryo erhält Warencharakter.

   Sicherlich wird nicht jeder schon dem Mehrzeller in der Petrischale die Menschenwürde zusprechen wollen. Wer das aber nicht will, muss glaubhaft begründen, an welcher Stelle das menschliche Leben stattdessen beginnt: mit der Einnistung im Mutterleib, dem Abschluss der Organentwicklung oder erst mit der Geburt. Jürgen Habermas hat vor etwa einem Jahr dafür plädiert - dem Grundgesetz folgend -, den Embryo in Antizipation wie eine Person zu behandeln, die sich verhalten könnte. Er warnte vor einer Denkweise, die alles außerhalb des eigenen Subjekts nur noch als Ding betrachtet. Dieser Sichtweise können sich sicherlich viele Menschen anschließen. Ich jedenfalls kann das.

   Als zweites wesentliches Argument aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive sind vor allem die Ökonomisierungstendenzen in der Biomedizin anzuführen. Wer wirklich ernsthaft in das so genannte therapeutische Klonen einsteigen will, der benötigt dafür Hunderttausende - eben war sogar von Millionen die Rede - Eizellen. Das würde die Frau praktisch auf die Rolle einer Rohstofflieferantin reduzieren. Ich meine, dass diese Vorstellung nicht akzeptabel ist. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass der schwunghafte Handel mit der Ware Eizelle vor allem in den Entwicklungsländern stattfinden würde. Das wäre eine sehr fragwürdige Praxis, die wir auf keinen Fall unterstützen sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Es muss immer wieder gefragt werden, ob es nicht bessere Heilverfahren gibt, die ethisch und gesellschaftspolitisch weniger fragwürdig sind, etwa die Forschung an adulten Stammzellen. Vonseiten der Politik sollten wir alles tun, damit diese Forschung angemessen unterstützt wird.

   Was die Wissenschaftsfreiheit betrifft, so ist die Forschungsfreiheit - das sage ich als jemand, der selber lange in der Forschung tätig gewesen ist - zwar ein wichtiges Argument, das durchaus ernst zu nehmen ist. Es geht aber nicht an, den gesamten Bereich der Biomedizin im Wesentlichen der wissenschaftlichen Selbstkontrolle zu überlassen, wie es beispielsweise der Genforscher Detlef Ganten vorschlägt. Ich meine vielmehr, dass die Gesellschaft insgesamt und die Politik im Besonderen Verantwortung trägt, und zwar sowohl für das Schaffen von Handlungsräumen als auch für das Ziehen von Grenzlinien. Aus dieser Verantwortung kann uns niemand entlassen. Wir müssen und wir wollen diese Verantwortung wahrnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Das gilt nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Ich meine sogar, es gilt besonders auf internationaler Ebene. Denn ebenso wie die Nichtverbreitung von Atomwaffen, die Menschenrechte oder der Klimaschutz bedarf auch die Ziehung von bioethischen Grenzen der internationalen Regelung. Deshalb halte ich es für ein großes Verdienst der deutschen wie auch der französischen Regierung, dass sie das Verbot des Klonens auf die internationale Tagesordnung gesetzt haben; denn das Thema wurde dort vorher nicht berücksichtigt. Dafür möchte ich der Bundesregierung meinen Dank aussprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Richtig ist aber auch, dass im November 2002 die Bemühungen auf internationaler Ebene zumindest vorläufig gescheitert sind. Es gab eine Konstellation, in der auf der einen Seite unter Führung der USA die Staaten standen, die sofort beide Formen des Klonens verbieten wollten; auf der anderen Seite stand mit Großbritannien, Israel, China und Singapur eine Gruppe von Staaten, die das therapeutische Klonen zulassen wollten. Die deutsch-französische Initiative vertrat eine Position in der Mitte und hat zunächst für ein zweistufiges Verfahren plädiert, nämlich erst das reproduktive Klonen zu ächten und dann das therapeutische Klonen zu regeln.

Dieser Weg führte wie auch alle anderen Wege nicht zum Ziel. Jetzt stehen wir vor einer neuen Situation und müssen in den vor uns liegenden acht oder neun Monaten bis zur nächsten UN-Vollversammlung das Fenster der Möglichkeiten nutzen. Kern des Antrages ist, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung und die französische Regierung darin unterstützt, international für eine möglichst weit gehende Ächtung des Klonens zu werben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Ganz kurz zur Situation in anderen Ländern: In Frankreich hat der Senat beschlossen, dass beide Formen des Klonens verboten werden sollen. Damit wäre die Rechtslage in Deutschland und Frankreich gleich, sodass wir international sehr glaubwürdig agieren könnten. In den Vereinigten Staaten gibt es bislang eine Glaubwürdigkeitslücke; das muss man ganz klar sagen. Die US-Regierung tritt international für eine sehr weit gehende Regelung, nämlich ein vollständiges Verbot beider Formen des Klonens, ein, regelt aber auf nationaler Ebene praktisch gar nichts. Bischof Fürst aus Rottenburg hat vor wenigen Tagen, als er von einer USA-Reise zurückkam, gesagt, Präsident Bush sei zwar gegen das Klonen, um seine religiös-konservativen Anhänger zu beruhigen, lasse aber unter dem Deckmantel dieser Rhetorik die Fruchtbarkeitsindustrie gewähren. Daher erwarten wir, dass die US-Regierung ihre Glaubwürdigkeitslücke schließt; denn nur so können wir international zu einer überzeugenden Regelung kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir unterstützen die Bundesregierung bei einem einstufigen Verfahren, um auf UN-Ebene zu einer möglichst umfassenden Regelung zum Verbot des Klonens zu kommen. Das Hohe Haus gibt der Bundesregierung für diese Verhandlungen breite Unterstützung.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Das Wort hat nun Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (FDP):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich jetzt nicht zur Enquete-Kommission äußern - das wird gleich mein Kollege Parr tun -, sondern mich auf das Thema konzentrieren, das die Menschen in unserem Lande umtreibt: das Klonen von Menschen. An den Anfang stelle ich, dass niemand in diesem Hause, am allerwenigsten die FDP, gegen ein Verbot des reproduktiven Klonens ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Klonen von Menschen, wie es dubiose Wissenschaftler und Sekten vorhaben oder bereits durchgeführt haben, muss weltweit geächtet und verboten werden. Diese Forderung, meine Damen und Herren, hat in diesem Hause die FDP als erste Fraktion erhoben.

(Beifall bei der FDP)

   Aus diesem Grunde können Sie sicherlich nachempfinden, dass ich die Auffassung vertrete, dass ein Verbot des Klonens schnell erreicht werden muss. Deutschland und Frankreich hatten im Oktober vergangenen Jahres einen, wie wir meinen, sehr guten Antrag bei den Vereinten Nationen eingebracht. Seine Grundaussage lautete, das reproduktive Klonen sofort zu verbieten und andere Formen des Klonens, das therapeutische Klonen, später und differenzierter anzugehen. Dieser Antrag - das haben wir eben gehört - fand ebenso wie der Antrag der USA, Spaniens und Italiens, alle Formen des Klonens zu verbieten, keine Mehrheit.

   Jetzt haben sich einige Kollegen von SPD, Grünen und CDU/CSU - aber eben nicht die Fraktionen; das ist eine falsche Darstellung -

(Zuruf von der SPD: Aber überwiegend!)

eines anderen besonnen und einen Antrag eingebracht, der die deutsch-französische Regierungsposition aufgibt und die amerikanische Position übernimmt.

   Da es für uns das entscheidende Kriterium ist, wie wir möglichst schnell zu einem weltweiten Verbot des Klonens von Menschen kommen, muss man sich die Erfolgschancen dieser Anträge ansehen. Ministerin Bulmahn - ich mache mir jetzt natürlich Gedanken darüber, warum sie heute ebenso wie Kollege Fischer, der bei dieser Angelegenheit federführend ist, nicht anwesend ist -

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

hat noch im Januar erklärt, es gehe darum, „das zurzeit Mögliche zu erreichen“; eine „rechtliche und ethische Bewertung ist noch abgeschlossen“. Ich erinnere auch an die erstaunliche Einschätzung des Staatssekretärs Chrobog vom Auswärtigen Amt in der letzten Woche im Ausschuss für Bildung und Forschung, dass Ihr Antrag international keine Chance auf Durchsetzbarkeit habe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Staatssekretär erklärte, es gebe drei Gruppen: Die Maximalisten seien die USA, Spanien, der Vatikan und, sofern Ihr Antrag beschlossen wird, auch Deutschland. Dann gebe es die Minimalisten, die nach Möglichkeit kein Verbot wollen. Schließlich gebe es die Realisten; das seien bis zum heutigen Tage Deutschland und Frankreich mit der damaligen Initiative, die Sie jetzt verlassen und die wir, die FDP, in unserem Antrag unterstützen.

   Ähnlich hat sich übrigens auch der Vorsitzende des Nationalen Ethikrates, Simitis, geäußert. Auch er hält offensichtlich nichts davon, den Kernpunkt der Debatte, das Klonen von Menschen, durch weitere Forderungen zu überfrachten.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig!)

Es macht keinen Sinn, das therapeutische Klonen in den Forderungskatalog einzubeziehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Das therapeutische Klonen soll helfen, Zellgewebe zum Beispiel für Herz-, Leber- oder Muskelzellen zu gewinnen. Das Verfahren beginnt zwar ähnlich wie das des reproduktiven Klonens,

(Jörg Tauss (SPD): Völlig identisch!)

aber es dient ausdrücklich nicht dazu, einen Menschen zu reproduzieren, und das ist es doch, wovor die Menschen Angst haben. Simitis fordert deshalb eine differenzierte Bewertung und damit hat er vollkommen Recht.

   In Deutschland gibt es zurzeit keinen einzigen seriösen Wissenschaftler, der auf die Idee käme, ein Forschungsvorhaben zum reproduktiven Klonen zu beantragen.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das ist ja auch verboten!)

Ich bin sehr froh, dass es hierüber in der Wissenschaftscommunity einen breiten Konsens gibt.

   Beim therapeutischen Klonen allerdings sehen viele Wissenschaftler zwar kurzfristig keinen Durchbruch hinsichtlich der Entwicklung neuer Therapien - hier bin ich mit ihnen absolut einer Meinung -, aber sie wollen diese Option langfristig nicht ausschließen. Denn es geht doch darum, kranken Menschen zu helfen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn die Forschung an embryonalen Stammzellen eines Tages zum Erfolg und damit zu Therapiemöglichkeiten führen sollte - wir alle wissen nicht, was dann sein wird -, dann wollen die meisten Länder dieser Welt frei über deren Einsatz entscheiden können. Genau das will auch die FDP.

(Beifall bei der FDP)

Das verbieten Sie in Ihrem Antrag. Sie müssen sich deshalb zu Recht fragen lassen, warum Sie glauben, mit höheren Forderungen schneller ans Ziel zu kommen. Das ist ungefähr so, als packten Sie einem Läufer noch viele Steine in seinen Rucksack, damit er schneller ans Ziel kommt.

   Offenbar sehen das auch viele Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion und, wie ich höre, auch in der Fraktion der Grünen so, denn uns liegen eine Reihe von Erklärungen vor, die besagen, sie könnten nicht für den gemeinsamen Antrag von Rot-Grün und Union stimmen. Ich würde mich freuen, liebe Kollegen, wenn Sie die Tradition in der Debatte über das Stammzellgesetz beibehalten und in diesem Falle unseren Antrag unterstützen würden.

(Beifall bei der FDP)

   Lassen Sie mich noch ein Argument vertiefen: Mich hat etwas erstaunt, wie kritiklos einige der Antragsteller aus der SPD und von den Grünen die Position der USA hinsichtlich des internationalen Klonverbots übernehmen. Fakt ist, dass die USA auf nationaler Ebene keine Regelungen betreffend das Verbot des Klonens haben, sich aber international zum Vorreiter von Maximalforderungen machen. Diese Position ist aus meiner Sicht alles andere als moralisch überzeugend.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zumindest ist es seltsam, dass die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, die den USA sonst immer sehr skeptisch gegenübertreten,

(Widerspruch bei der SPD)

nun gerade beim Verbot des Klonens diese Position offensichtlich vorbehaltlos übernehmen.

(René Röspel (SPD): Aber wir handeln auf Basis der Gesetzeslage!)

- Wir auch, liebe Kollegen.

   Wir fordern die Bundesregierung auf: Bleiben Sie bei der Position, die einen schnelleren Abschluss einer weltweiten Konvention gegen das Klonen von Menschen ermöglicht.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das ist doch gerade gescheitert!)

Belasten Sie diese Verhandlungen nicht übermäßig. Halten Sie Kurs. Ich will es ganz direkt sagen: Es geht hier um die Hilfe für Menschen, die an sehr schwer zu therapierenden Krankheiten leiden. Es geht nicht darum, die deutsche Debattenkultur noch weiter zu erhöhen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Christoph Matschie.

Christoph Matschie, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:

   Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen heute in diesem Haus eine Debatte fort, die sich mit den ethischen und rechtlichen Grenzziehungen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten moderner Medizin und Forschung beschäftigt. Es ist gut, dass sich dieses Haus mit diesen Fragen immer wieder in einer breiten und intensiven Debatte auseinander setzt, denn die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt: Dieses Parlament muss die Entscheidungen im Hinblick auf diese Fragen fällen, niemand sonst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben in den Debatten der vergangenen Jahre - ich erinnere nur an die Auseinandersetzungen um die Forschung mit embryonalen Stammzellen - erlebt, dass dieses Parlament über diese Fragen in großer Verantwortung und großem gegenseitigen Respekt für die unterschiedlichen Positionen diskutiert hat und zu überzeugenden Antworten gekommen ist. Wir alle haben in diesen Diskussionen erlebt, dass die Fortschritte der modernen Forschung und der modernen Medizin immer auf der einen Seite zu neuen Hoffnungen auf Heilungschancen geführt, auf der anderen Seite aber natürlich auch die Sorge, dass der Mensch zur Verfügungsmasse werden könnte, geweckt haben. In dieser Diskussion müssen wir uns mit beidem, mit den Hoffnungen und Chancen auf Heilung und mit der Sorge, dass Menschen zur Verfügungsmasse gemacht werden könnten, auseinander setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin überzeugt, dass die allermeisten Forscher und Mediziner ihrer Arbeit in sehr großer Verantwortung nachgehen. Aber klar ist auch, dass die Meldungen der letzten Wochen über Versuche, Menschen zu klonen, alle alarmieren müssen. Nicht allein die Tatsache, dass ein solcher Versuch gelungen sein könnte, sondern schon die Tatsache, dass solche Versuche mit menschlichen Embryonen durchgeführt werden, muss uns alle aufrütteln und dazu bringen, möglichst schnell zu einem internationalen Verbot des Klonens von Menschen zu kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))

   Deshalb bin ich froh, dass uns heute ein Antrag vorliegt, der von einer breiten Mehrheit dieses Hauses unterstützt wird. Der Antrag baut auf dem auf, was in der letzten Legislaturperiode als Ziel für die internationalen Verhandlungen formuliert worden ist, nämlich ein möglichst umfassendes internationales Klonverbot zu erreichen.

   Wir wissen, dass die Auffassungen über diese Fragen international nicht einheitlich sind und der Versuch, in einem ersten Verhandlungsgang zu einem solchen Verbot zu kommen, gescheitert ist. Wir wissen, dass es eine relativ breite Mehrheit für ein Verbot des reproduktiven Klonens gibt und die Frage des therapeutischen Klonens sowohl in diesem Haus als auch international unterschiedlich beurteilt wird. Deshalb wird der Erfolg einer neuen deutsch-französischen Initiative nicht nur von einer möglichst breiten Unterstützung in den beiden Parlamenten, sondern auch von der Qualität und der Überzeugungskraft unserer Argumente abhängen.

   Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, hat daher zu einer internationalen Konferenz vom 14. bis 16. Mai eingeladen. Diese internationale Konferenz soll sich mit dem gegenwärtigen Stand der Forschung und ihre ethischen Bewertungen sowie den daraus zu ziehenden rechtlichen Konsequenzen auseinander setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wird eine Konferenz mit Teilnehmern aus Forschung, Politik, Wirtschaft und Verbänden sein, weil wir glauben, dass es nur unter der Voraussetzung eines weltweiten Prozesses der interdisziplinären Verständigung letztendlich zu überzeugenden Grenzziehungen und einem gemeinsamen internationalen Vorgehen kommen kann.

Wir stehen in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Embryonenschutzgesetz, das ganz klar beide Formen des Klonens ausschließt, in dieser Frage rechtlich auf einer sehr klaren Basis.

   Wir diskutieren heute auch über die Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission, die sich mit Fragen von Ethik und Recht in der modernen Medizin beschäftigt;

denn es gibt in anderen Bereichen offene Fragen, bei denen wir noch nicht zu einer solch klaren Entscheidung gekommen sind, wie uns das beim Embryonenschutzgesetz oder beim Stammzellgesetz gelungen ist. Die neue Enquete-Kommission wird sich mit der Ziehung ethischer Grenzen und der Schaffung rechtlicher Regelungen auseinander setzen müssen. Ich bin überzeugt, dass diese Enquete-Kommission eine gute Voraussetzung dafür ist, dass dieses Parlament auch auf neue Fragen und Herausforderungen moderner Medizin und Forschung überzeugende Antworten finden wird.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Das Wort hat nun Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Rachel (CDU/CSU):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die biomedizinische Forschung ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Mit ihr verbinden sich große Hoffnungen, Menschen besser helfen zu können. Zugleich stellt sie uns vor die Frage, wo die ethischen Grenzen menschlichen Forschens und Handelns liegen. Als Gesetzgeber haben wir die besondere Verantwortung, diese Entwicklung zu begleiten.

   Als Christ bin ich dem Schutz der Menschenwürde verpflichtet, zu der für mich auch eine Ethik des Heilens gehört. Der Wille zu heilen, entspricht dem humanitären Auftrag, Alten, Schwachen und Kranken zu helfen. In der letzten Legislaturperiode haben wir gesehen, dass große Fortschritte in Medizin und Biotechnologie der ethischen Begleitung bedürfen. Dieser Aufgabe wollen wir uns auch mit der neuen Enquete-Kommission stellen. Dabei müssen sich naturwissenschaftliche Erkenntnisse und neue medizinische Möglichkeiten an dem Bild vom Menschen messen lassen, wie es in der Verfassung verankert ist und der christlichen Anthropologie entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir brauchen Entwicklungsmöglichkeiten für die Bio- und Gentechnologie vor allem, weil diese Forschung es uns ermöglichen kann, menschliches Leben zu bewahren und Leiden zu lindern. Aber dieser Freiraum findet seine Grenze am absoluten Wert des Menschen, an der Menschenwürde. Manche der sich abzeichnenden Möglichkeiten der Biomedizin haben eine völlig neue Qualität. So scheint die Möglichkeit auf, den Menschen in seiner biologischen Ausstattung selber zu verändern. Manche wollen ihn sogar genetisch neu entwerfen. Dies wäre eine abschreckende Vision.

   Für uns Christdemokraten ist in Übereinstimmung mit den beiden großen Kirchen klar, dass mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle menschliches Leben entsteht. Diese Auffassung kann nur eine Konsequenz haben: Wir müssen ein weltweites Klonverbot erreichen. Hier ist die Bundesregierung gefordert, entschieden zu handeln. Mit dem heute eingebrachten interfraktionellen Antrag fordern wir ein Verbot des reproduktiven und des therapeutischen Klonens. Die Position der deutschen Bundesregierung muss dabei kristallklar sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb irritiert das Interview der Forschungsministerin Bulmahn in der „Berliner Zeitung“ vom 10. Januar 2003. Wörtlich antwortet sie dort:

Im Bereich des therapeutischen Klonens sind verschiedene Verfahren denkbar, einige davon könnten sich als ethisch unbedenklich erweisen. Damit hätte ich dann keine Probleme.

Frau Bulmahn, wir wollen wissen, was Sie dabei für ethisch unbedenklich halten.

(Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Das ist längst klar gestellt!)

   Bereits im Mai 2001 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft erklärt, dass „sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen ... weder naturwissenschaftlich zu begründen noch ethisch zu verantworten sind und daher nicht statthaft sein können“. Die Auffassung des DFG-Präsidenten Winnacker, dass therapeutisches Klonen „Sackgasse und Irrweg“ sei, teile ich. Therapeutisches und reproduktives Klonen führen zu einem Embryo, der einmal verworfen und das andere Mal zur Herstellung eines identischen Menschen genutzt wird. Die beim therapeutischen Klonen entstehenden Zellen können Tumorzellen sein und vorzeitig altern. Für dieses Verfahren ist eine enorme Zahl von Eizellspenden erforderlich. Dies lehne ich aus moralischen Gründen ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel (SPD) und des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) und der Abg. Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Professor Winnacker hat als Alternative für therapeutische Zwecke so genannte Stammzellbanken in die Diskussion gebracht. Dies wäre eine Sammlung von Zelllinien mit jeweils unterschiedlicher Gewebeverträglichkeit. Damit würde das Problem der immunologischen Abwehr für viele Patienten entfallen. Die Enquete-Kommission könnte die rechtlichen, die wissenschaftlichen und die ethischen Chancen von Stammzellbanken kritisch überprüfen.

   Die Errungenschaften der modernen Lebenswissenschaften haben Einzug in unser Leben gehalten. Mit der Gendiagnostik kann man frühzeitig Krankheitsrisiken erkennen, sodass der Krankheit mit geeigneten Maßnahmen entgegengewirkt werden kann.

(René Röspel (SPD): Wenn es sie gibt!)

Dies ist eines von vielen Beispielen, die zeigen: Ethisch begleiteter Fortschritt dient der Menschenwürde.

   Mit der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms verbindet sich die Hoffnung, mit den Mitteln der Gentherapie schwere Krankheiten zu besiegen. Aber auch in diesem Bereich liegen Chancen und Risiken nah beieinander. Hoffnungsvolle Ansätze müssen immer auch auf die unbeherrschbaren Nebenwirkungen untersucht werden. Wir haben in der Enquete-Kommission darauf zu achten, welche Aufgaben die Politik und welche die Medizin hat.

   Jedes Jahr sterben in Deutschland Menschen, weil ihr dringender Wunsch nach einem Organ mangels Verfügbarkeit nicht erfüllt werden kann. Lange Wartelisten und illegaler Organhandel sind bedrückend. Seit einigen Jahren forscht die Wissenschaft, ob auf diesem Gebiet durch die Übertragung von Gewebe und Organen von Tieren Abhilfe geschaffen werden kann; das Stichwort lautet „Xenotransplantation“. Drei zentrale Fragen stellen sich bei dieser Forschung: die Überwindung der Abstoßung; die Gewährleistung der physiologischen Funktionalität und die Beherrschung der Infektionsrisiken.

   Ist dieser Weg aber ethisch verantwortbar? Problematisch ist nicht nur, dass noch ungeklärt ist, ob durch solche Verpflanzungen bislang unbekannte Infektionen von Tieren auf den Menschen übertragen werden können. Welchen Stellenwert hat eigentlich das Tier, dessen besonderen Schutz durch das Grundgesetz wir im letzten Jahr im Bundestag beschlossen haben? Andererseits dient das Tier dem Menschen seit der Urzeit als Nahrungsquelle, ja, im Wortsinne als Lebensmittel. Als Mittel zum Leben wäre auch ein Xenotransplantat zu verstehen.

   John F. Kennedy verdanken wir den wertvollen Gedanken: Eine medizinische Revolution hat die Lebenserwartung unserer Alten verlängert, ohne ihnen die Würde und die Sicherheit zu geben, die sie in ihren letzten Jahren verdienen. Damit sind wir bei dem ernsten Thema „Sterbebegleitung und Sterbehilfe“. Viele Menschen fürchten sich vor einem schmerzhaften, einsamen und oft würdelosen Sterben.

   Unser christlich abendländisches Menschenbild verpflichtet, die Menschenwürde am Anfang, im Verlauf und am Ende des Lebens sicherzustellen. Diesem Ziele weiß sich auch die Palliativmedizin verpflichtet, deren Möglichkeiten wir mit der Enquete-Kommission neben dem Ausbau der Hospizarbeit stärken müssen. Etwa 3 000 Patienten in den Niederlanden bekommen jedes Jahr aktive Sterbehilfe - auf ausdrückliches Verlangen der Patienten. Zusätzlich werden bei etwa 1 000 Patienten lebensverlängernde Maßnahmen ohne deren Einverständnis abgebrochen. Dies sind alarmierende Zahlen.

   Sterbende Menschen haben nach Erkenntnis der Kirche vor allem vier Grundbedürfnisse, an denen sich Sterbebegleitung orientieren muss: im Sterben nicht allein gelassen zu werden; die letzten Dinge regeln zu können; die Frage nach einer über den Tod hinausgehenden Hoffnung stellen zu können; vor allem nicht unter Schmerzen leiden zu müssen.

   Deutschland liegt aber auf dem Gebiet der Palliativmedizin ziemlich weit hinten. Es hat im Bereich der Schmerztherapie im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch einiges aufzuholen. In Deutschland haben wir für 1 Million Menschen ganze drei Palliativbetten. Der Stärkung der Palliativmedizin sollte sich die neue Enquete-Kommission deshalb als einer wichtigen Aufgabe stellen. Ethisch begleiteter Fortschritt dient der Menschenwürde.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile der Kollegin Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die ganze Geschichte der Medizin ist eine Geschichte des Machbarkeitswahns,“ erklärte Professor Kentenich, ein hoch angesehener Fortpflanzungsmediziner, auf einer Bioethikveranstaltung unserer Fraktion Anfang Februar.

(Jörg Tauss (SPD): Ohne den lebten wir noch auf Bäumen!)

Ja, richtig: Ohne das Sich-nicht-Abfinden-Können und das Sich-nicht-Abfinden-Wollen mit den Leiden der Menschheit, ohne die Revolte gegen den Fatalismus, ohne das Streben nach Glück und Erkenntnis gäbe es viele der technischen und medizinischen Errungenschaften nicht, die den Menschen in den entwickelten Industriestaaten ein gutes Leben bis ins hohe Alter ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

   Das ist aber nur die halbe Wahrheit; denn diese Himmelsstürmerei kann zum Absturz führen und sich sogar in ihr Gegenteil, in Barbarei, verkehren. Fortschritt, der nicht über sich selbst reflektiert und sich nicht selbst begrenzt, verkehrt sich in sein Gegenteil. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit religiösem Fundamentalismus zu tun, sondern genau das ist der Grundgedanke der Dialektik der Aufklärung.

   Die Erfolgsgeschichte sämtlicher demokratischer Zivilgesellschaften beruht darauf, dass sie gelernt haben, einem ungezügelten Machbarkeitswahn Zügel anzulegen und Grenzen zu setzen. Die Entwicklung der universalen Menschenrechte hätte es nicht gegeben ohne die Einsicht darin, dass sich die Gesellschaft und der Staat selbst Grenzen setzen müssen und dass der Einzelne Abwehrrechte gegen den Zugriff von Staat und Gesellschaft sowie gegen kollektive Begehrlichkeiten hat. Diese Einsicht verdanken wir Art. 1 unseres Grundgesetzes:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Entscheidend ist dabei, dass diese Menschenwürde jedem menschlichen Leben zukommt. Sie muss weder verdient werden, noch kann sie verloren werden.

   Aber wann sind die Grenzen dessen erreicht, was wir tun dürfen? Wo finden wir die Kriterien für die nötige Grenzziehung? Die Grenze ist da erreicht, wo getötet wird, um zu heilen, oder wo Töten sogar als Heilen ausgegeben wird. Bei der Präimplantationsdiagnostik wird ein kranker Embryo nicht geheilt, sondern er wird selektiert und getötet. Beim therapeutischen Klonen werden Embryonen hergestellt und anschließend getötet - in der Hoffnung, damit Heilmittel für andere Menschen zu gewinnen. Menschliches Leben wird hierbei instrumentalisiert und für fremde Zwecke vernutzt. Damit ist die Menschenwürde in ihrem Kern angetastet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   In der Präambel unseres neuen Grundsatzprogramms verpflichten wir Bündnisgrünen uns zur Parteinahme für die Schwächsten. Das ist keine weltfremde Gefühlsduselei, sondern das gibt einen ganz konkreten Maßstab für unsere Politik vor. Machen wir uns doch nichts vor! Wir alle sind nicht nur am frühesten Beginn unseres Lebens, sondern in gleicher Weise am Ende unseres Lebens, wenn es ans Sterben geht, existenziell ausgeliefert. Auch im Laufe unseres Lebens wird es keinem von uns erspart bleiben, solche Phasen des Ausgeliefert-Seins durchstehen zu müssen. Daher ist es gut, wenn man in einer Gesellschaft leben kann, die an den Schwächsten Maß nimmt. Davon werden wir alle, jeder einzelne von uns, egal wie die Konstitution ist, wie es einem geht, nur profitieren können. Es ist ein Garant für ein gutes Leben für alle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Morgen wird in Magdeburg das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung eröffnet. Diese Gelegenheit sollten wir nutzen, um uns erneut mit der Frage auseinander zu setzen, worum und um wen es denn eigentlich geht, wenn wir davon sprechen, Leid vermeiden zu wollen. Geht es dabei wirklich um das Wohl der Behinderten? Behinderte verwahren sich vehement dagegen, dass man sie um anderer Interessen willen instrumentalisiert. Der emeritierte Mikrobiologe Professor Zähner, Parkinsonpatient, sagt: Wenn die Parkinsonpatienten als konkrete Nutznießer der Stammzellforschung ins Gespräch gebracht oder in den Medien sogar vorgeführt werden, sehe ich darin einen erniedrigenden Missbrauch.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Professor Zähner wehrt sich dagegen, dass Patienten instrumentalisiert werden, um andere Interessen zu legitimieren oder Widerstände, die sich dagegen erheben, auszuhebeln.

   Behinderte fordern ganz klar ein, dass die Gesellschaft - wir leben in einer reichen Gesellschaft - alle Ressourcen zur Verfügung stellt, damit sie die Lebensfreude und die Lebensqualität, die jedem Leben Eigen sind, auch umsetzen können. Darum frage ich: Worum und um wen geht es eigentlich, wenn wir davon sprechen, Leid vermeiden zu wollen, wenn die Ethik des Heilens immer wieder als Nonplusultra beschworen wird? Es wird davon abgesehen, dass manches Leiden eben nicht mehr geheilt werden kann, aber gelindert werden muss, dass die Menschen begleitet werden müssen, dass alles getan werden muss, damit sie ein gutes Leben haben - auch im Leid und ebenfalls dann, wenn sie in die Sterbephase eintreten.

Hier ist es meiner Meinung nach ganz wichtig zu erwähnen, dass wir als Gesellschaft Sterben und nicht heilbares Leid kollektiv verdrängen und uns damit nicht mehr auseinander setzen wollen. Es ist kein Wunder, dass das Sterben in Krankenhäuser verlagert worden ist.

   Täuschen wir uns nicht! Das ist keine rein ethisch-moralische Frage, sondern eine ganz handfeste Frage, die uns noch oft zum Beispiel an vielen einzelnen Punkten in der Debatte um die Gesundheitsreform, einholen wird. Ohne klare Grundsätze werden wir als Gesellschaft diese Debatte nicht unbeschadet überstehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Deshalb bin ich froh und stolz, dass wir als Parlament es gleich zu Beginn einer neuen Legislaturperiode und trotz der international schwierigen Lage schaffen, erneut eine Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ einzusetzen. Diese Enquete-Kommission wird zwei wesentliche Aufgaben haben:

   Zum einen geht es darum, den Fundus an Wissen und Unterscheidungskriterien weiterzugeben, den sich der Deutsche Bundestag zu diesen grundlegenden Fragen in den letzten 20 Jahren erarbeitet hat. Die Enquete-Kommission der 14. Wahlperiode hat sich dieser Unterscheidungskriterien auf dem modernsten Stand der Möglichkeiten der Technik noch einmal vergewissert und hat sie im Wesentlichen bestätigt. Darum glaube ich, dass es in dieser Legislaturperiode, in der wir einen riesengroßen Wechsel der Mitglieder haben, auch darum geht, das zu tradieren, was das Koordinatensystem unserer gewachsenen Auffassung von Menschenwürde ist; ob es Bestand haben kann und soll oder ob sich dieses Koordinatensystem grundlegend verschieben soll. Diejenigen, die diese langen Prozesse miterlebt und mitgestaltet haben, können sich nicht einfach auf den Standpunkt zurückziehen, dass es für das gewachsene Menschwürdeverständnis gute Gründe gibt. Den neuen Mitgliedern dieses Parlamentes und der nächsten Generation der Parlamentarier werden wir es nicht ersparen können, sich dieser komplizierten und schwierigen Debatte in allen Einzelungen und Facetten zu stellen.

   Zum anderen haben wir rechtliche Regelungen vor uns. Das Fortpflanzungsmedizingesetz ist spätestens seit 1994 überfällig. Es geht hier um eine grundlegende, wesentliche Herausforderung für die Art unseres Zusammenlebens, für die Grundkoordinaten unseres Menschenwürdekonzeptes. Im Sinne des Wesentlichkeitsgebots können wir diese Aufgabe weder der Regierung noch Kommissionen überlassen. Hier müssen wir schon als Parlamentarier selbst handeln.

   Ich bin sehr froh, dass wir jetzt die Voraussetzungen geschaffen haben, und hoffe, dass das ganze Parlament engagiert mitarbeitet. Dabei geht es nicht um die Debattenkultur im Sinne von „Kunst für die Kunst“. Es geht hier um wichtige und grundlegende Fragen. Das Parlament wird hier ganz dringend gebraucht.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.

Detlef Parr (FDP):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist die Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ nur folgerichtig.

Auch in der 15. Legislaturperiode 

- so bringt es der vorliegende Antrag treffend zum Ausdruck -

steht der Gesetzgeber vor der Herausforderung, auf die ... rasante Entwicklung in der modernen Biomedizin vorausschauend reagieren zu müssen.

Das steht außer Zweifel.

   Der Bundestag braucht also ein Gremium zur Vorbereitung und Begleitung von Gesetzesverfahren, von parlamentarischen Diskussionen in bioethischen Streitfragen. Er braucht dieses Gremium umso mehr, als mit dem Nationalen Ethikrat durch den Kanzler eine Institution geschaffen worden ist, die in keiner Weise demokratisch legitimiert ist. Wir Abgeordneten dürfen es nicht zulassen, dass dem Nationalen Ethikrat eine Alleinstellung zukommt. Wir sind es, die über die Enquete-Kommission dazu beitragen müssen, dass es zu gesetzgeberischem und adminstrativem Handeln in Bezug auf bioethische Zukunftsfragen kommt und der öffentliche Diskurs darüber in Gang gesetzt wird. So weit sind wir uns einig.

(Beifall bei der FDP)

   Umso überraschter waren wir, als der Einsetzungsantrag, der heute vorliegt, ohne Beteilung der FDP formuliert worden war. Frau Flach und ich haben noch Änderungsvorschläge eingebracht, leider ohne Erfolg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das empfinden wir als schlechten demokratischen Stil.

(Beifall bei der FDP)

   Schauen Sie den vorliegenden Text sehr genau durch! Er lässt mehr als die Vermutung aufkommen, dass die Kommission einer Verschiebepolitik Vorschub leisten soll. Denn es heißt in dem Antrag: Themen, die in der letzten Legislaturperiode „nicht in befriedigender Weise“ untersucht werden konnten, sollen neu aufgerollt werden. Meine Damen und Herren, was heißt denn „in befriedigender Weise“? Sollen wir Themen so lange diskutieren, bis wir zu dem Ergebnis kommen, das sich die Mehrheit hier wünscht? Das wollen wir nicht.

(Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Das ist doch genau aufgeführt!)

- Herr Wodarg, manche Bereiche der modernen Medizin sind längst entscheidungsreif.

Der Bundestag darf sich nicht davor drücken, bald die notwendigen Beschlüsse zu fassen.

(Beifall bei der FDP - Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Tut er doch nicht!)

- Doch, das tut er sehr wohl. - Es macht zum Beispiel wenig Sinn, wenn bereits abgehandelte Themen wie die Präimplantationsdiagnostik wieder Gegenstand der Beratungen werden sollen, wie zu erahnen ist, Herr Wodarg.

(Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Will ja keiner!)

- Ich bin gespannt. - Hierzu liegt der ausführliche Abschlussbericht der Enquete-Kommission der letzten Legislaturperiode vor; die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates haben wir vorliegen. Die Argumente des Für und Wider sind sorgfältig erarbeitet worden. Die Vorbereitung einer Entscheidung ist damit abgeschlossen. Jetzt muss jeder von uns den Mut haben, darüber abzustimmen. Wir werden einen entsprechenden Antrag einbringen.

(Beifall bei der FDP)

Es ist einfach falsch, wenn die Kommission Grenzen medizinischen Handelns bei Forschung, Diagnostik und Therapie definieren soll. Meine Damen und Herren, so einseitig und einschränkend darf die Aufgabenstellung doch wohl nicht sein.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP will offen und tabulos die Chancen und Risiken zur Sprache bringen, die mit den neu auftauchenden Fragestellungen verbunden sind. Auf eine Enquete-Kommission mit Maulkorb können wir gerne verzichten.

(Beifall bei der FDP)

   Wenn sich auch viele Menschen durch neue biotechnologische Möglichkeiten in ihren moralischen oder religiösen Überzeugungen verletzt sehen: Ein wesentlicher Freiheitsgehalt des demokratischen Verfassungsstaates liegt doch darin - ich zitiere aus der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zur PID -: Staatliches Recht

lässt im Übrigen jedem die Freiheit, seinen eigenen und über den staatlich garantierten Standard weit hinausreichenden sittlich-moralischen Überzeugungen gemäß … zu leben und seine Lebenspraxis entsprechend zu gestalten.

   Gerade im Bereich der persönlichen Lebensgestaltung bedürfen regulative staatliche Eingriffe besonderer Rechtfertigung. Das gilt auch für die Freiheit der Wissenschaft.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine der wesentlichen Aufgaben der Enquete-Kommission muss nach unserer Auffassung die Erarbeitung von Vorschlägen sein, die auf einem Ausgleich des individuellen Freiheitsanspruchs auf der einen und dem Schutz allgemeiner Rechtsgüter durch den Staat auf der anderen Seite basieren. Davon müssen wir Handlungsvorgaben ableiten, die auch international den Anschluss an die Entwicklung der modernen Medizin möglich machen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Diesem Abwägungsprozess wollen und müssen wir uns stellen. Das wird auch und gerade die FDP tun; nicht aber auf der Grundlage einer Aufgabenbeschreibung, die, wie sie uns heute vorliegt, einen solchen Prozess nur eingeschränkt und unter Bedingungen zulässt. Puristische Verhinderungsstrategien tragen wir nicht mit. Wir sind für eine Enquete-Kommission als Stätte des offenen Dialogs und eines ergebnisorientierten Prozesses, aber gegen diesen Antrag.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als PDS begrüßen die Initiative des Bundestages für ein internationales Verbot des Klonens menschlicher Embryonen. In dieser Frage gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. In der Bundesrepublik ist das Klonen bereits seit 1990 verboten. Wie Sie wissen, hat der Europäische Gerichtshof die Herstellung von Menschen, die genetisch identisch mit anderen Menschen sind, 1998 verboten.

   Jetzt ist die Frage, ob es wirklich gelingt, ein internationales Verbot durchzusetzen. Da bin ich eher skeptisch. Der Antrag von SPD, CDU/CSU und Grünen verlangt, das reproduktive und therapeutische Klonen zu verbieten. Das ist zwar gut und richtig, aber es scheint mir, meine Kolleginnen und Kollegen, international nicht durchsetzbar zu sein. Ich finde, gerade diese Frage der internationalen Durchsetzbarkeit hätte hier in dieser Debatte mehr Raum verdient.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Ansonsten müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen, ob diese resolute Forderung nicht nur als Beruhigung für einige gedacht ist.

   Meine Damen und Herren, wir müssen zwischen reproduktivem und therapeutischem Klonen unterscheiden. Beim reproduktiven Klonen soll ein vollständiger Organismus entstehen; das wird von allen in diesem Hause abgelehnt. Beim therapeutischen Klonen geht es um die Herstellung körpereigener Ersatzgewebe wie zum Beispiel Herzmuskelzellen oder Nervengewebe. Diese Entwicklung ist, wenn wir es realistisch betrachten, wohl nicht aufzuhalten.

(René Röspel (SPD): Hätte Herr Seifert aber wohl anders gesehen!)

- Es mag sein, dass das andere anders beurteilen. Ich vertrete hier meine Meinung. -

Ich denke auch, dass Forschungsministerin Bulmahn diesem Antrag nur mit Bauchschmerzen zugestimmt hat, da sie die internationalen Forschungsrealitäten kennt.

   Die inhaltliche Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission in der letzten Wahlperiode durch eine neue Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ halten wir für sinnvoll und unterstützen wir. Die Bundesregierung hat einen Nationalen Ethikrat berufen. Es ist das Recht und die Pflicht der Bundestagsabgeordneten, ihre Möglichkeiten zu nutzen, um sich auf diesem sehr komplizierten Gebiet sachkundig zu machen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

   Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist die Einführung der Präimplantationsdiagnostik, abgekürzt PID. Der Ethikrat hat sich dafür, die Enquete-Kommission dagegen ausgesprochen. Ich habe - das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - den Eindruck, dass hier in einem großen Konsens das internationale Klonverbot propagiert wird - in dem Bewusstsein, dass das sowieso nicht durchzusetzen ist -, um dann unterhalb dieser Frage dafür zu sorgen, dass sich die Enquete-Kommission langsam in Richtung Ethikrat bewegt.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist PDS-Logik!)

Aber das werden wir dann im Ergebnis sehen. Ich will die Ergebnisse nicht vorwegnehmen, ich möchte jedoch auf diesen Fakt hinweisen.

   Allerdings bin ich schon etwas über die ungewöhnliche Einmütigkeit der Diskussionsredner - bis auf die FDP - irritiert. Es wurde in getragenem Ton viel von der Würde des Menschen gesprochen. Ich wünschte mir, dass wir in diesem Hause häufiger über die Würde des Menschen sprächen, beispielsweise auch wenn es um lebende, konkrete Menschen geht, zum Beispiel in Bezug auf die Situation in den Pflegeheimen, auf die Behandlung von psychisch Gehandikapten oder auf gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen.

   Das oberste Gebot der Menschenwürde, meine Damen und Herren, ist allerdings, dass es keinen Krieg gibt. Darüber müssen wir uns hier so einig sein wie in der letzten Woche: kein Krieg nirgends, kein Krieg gegen den Irak.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegen René Röspel, SPD-Fraktion.

René Röspel (SPD):

   Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen werde ich sehr häufig gefragt: Was ist denn eigentlich so schlimm am so genannten therapeutischen Klonen? Warum sollen wir das nicht zulassen?

   Ja, was ist denn eigentlich so schlimm oder unethisch daran, einer Frau eine hohe Hormondosis zu geben, damit sie möglichst viele Eizellen produziert, ihr die Eizellen zu entnehmen, den weiblichen Zellkern zu entfernen und zu ersetzen, zum Beispiel durch einen Zellkern, der aus einer meiner Hautzellen gewonnen werden könnte? Geschaffen würde auf diesem Wege eine genetische Kopie, ein Klon, eine neue „Eizelle“, mit meiner Erbinformation versehen. Sie könnte sich unter geeigneten Bedingungen zu passendem Zellersatzgewebe entwickeln oder, nach Einpflanzung in eine Gebärmutter, in einen kompletten Menschen - mein Jahrzehnte nach mir geborener Zwillingsbruder!

   Diese neue „Eizelle“ wäre ein Embryo. Ich gebe zu, ich habe mich, auch zu Beginn der Arbeit der letzten Enquete-Kommission, gefragt: Ist das eigentlich ein Embryo, der auf diesem Weg geschaffen wird? Ist Embryo nicht das, was auf normalem Weg, nämlich durch Verschmelzung von Ei und Samenzelle, entsteht? Ich habe während der Arbeit der letzten Enquete-Kommission sehr schnell gelernt: Es ist ein Embryo. Es hat alle Veranlagung, zu einem Lebewesen zu werden; es ist ein Lebewesen.

   Oder anders ausgedrückt: So wie ich hier vor Ihnen stehe, sehen Sie mir nicht an, ob ich auf dem Weg des „therapeutischen“ Klonens oder auf dem üblichen, konventionellen Weg entstanden bin.

(Jörg Tauss (SPD): Wir vermuten mal!)

Um Sie zu beruhigen: Meine Eltern haben mir noch gestern das Letztgenannte bestätigt.

   Auch wenn ich das Klonschaf Dolly heute hätte mitbringen können, hätten Sie nicht sehen können, ob es auf dem Weg des „therapeutischen“ Klonens oder auf natürlichem Weg entstanden ist. In jedem Fall muss das Embryostadium durchlaufen werden und in jedem Fall, beim so genannten therapeutischen und beim reproduktiven Klonen, wird ein Embryo hergestellt.

   In Deutschland würden wir mit dieser Methode nicht nur eine juristische Grenze überschreiten. Aus meiner Sicht würden wir auch die Grenze des ethisch Verantwortbaren überschreiten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubert Hüppe (CDU/CSU))

Ein Embryo zu Forschungszwecken oder auch nur in der Hoffnung, ihn zur Heilung einsetzen zu können, ist für mich nicht akzeptabel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

   Aber ist diese Methode nicht wissenschaftlich interessant?, wird gefragt. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Winnacker, hält das „therapeutische“ Klonen für einen „Irrweg“. Ich bin überzeugt, er hat Recht. Es gibt in der Zellbiologie die These, dass Zellen nach etwa 50 Teilungen zugrunde gehen. Das ist der natürliche Prozess des Alterns und Sterbens, aufgehoben nur bei Krebszellen.

Die Hautzelle aus meinem Anfangsbeispiel war 38 Jahre lang meine Hautzelle. Sie hat sich 38 Jahre lang damit beschäftigt, Hautzelle zu sein, sich unzählige Male in andere Hautzellen zu teilen. Die Chromosomen sind irreversibel verkürzt und geschädigt. Nach einem Zellkerntransfer allerdings müsste dieser Hautzellkern als Embryo funktionieren, und zwar sehr rasch. Dass damit eine Vielzahl nicht überschaubarer Probleme, auch wissenschaftlicher Probleme, entstehen, liegt auf der Hand. Das Klonschaf Dolly ist im Alter von sechs Jahren gestorben. Schafe haben normalerweise eine Lebenserwartung von zehn bis zwölf Jahren. Das zeigt, dass diese Probleme sehr ernst genommen - sie kann man auch nicht durch Beschluss eines FDP-Parteitages aus der Welt schaffen -

(Ulrike Flach (FDP): Jetzt nehmen Sie mir alle Hoffnung!)

und wissenschaftlich berücksichtigt werden müssen.

   Bedeutet der Verzicht auf das „therapeutische“ Klonen automatisch Verzicht auf Therapie? Ich sage: Nein. Der einzige Vorteil der durch Klonen hergestellten Zellen gegenüber anderen embryonalen Stammzellen, zum Beispiel die fehlende Abstoßungsreaktion - das ist das einzige Argument, das das Klonen rechtfertigen würde -, wird in naher Zukunft vielleicht durch gentechnische Manipulation reduziert - dazu gibt es neuere Arbeiten, die allerdings auch auf adulte Stammzellen zutreffen - oder aber, wie Professor Winnacker es vorschlug und Frau Böhmer schon erwähnte, durch die simple Schaffung von Stammzellbanken ausgeglichen. Wer an „therapeutisches“ Klonen zur Heilung von Krankheiten glaubt, muss heute schon darlegen, welche Frauen denn die Hunderttausenden von Eizellen spenden sollen, die dafür unabweisbar benötigt werden. Auch dazu wurde schon genug gesagt.

   Das Wichtigste in Bezug auf Therapie und Heilungschancen ist: Alle bereits heute vorliegenden erfolgversprechenden Therapie- oder Heilungsversuche beim Menschen sind mit adulten Stammzellen durchgeführt worden,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

im Bereich der Leukämie bereits vor 40 Jahren mit Knochenmarkzellen. Die adulten Stammzellen werden die Zellen sein, denen die Zukunft gehört und die zur Heilung beitragen werden. Der Umweg des therapeutischen Klonens würde mehr schaden als nutzen. Wer das reproduktive Klonen verhindern will, muss auch das „therapeutische“ verbieten; denn es ist ein und dieselbe Technologie. Das Ergebnis ist nicht unterscheidbar. Nur die Intention derer, die die Zellen aus der Petrischale nehmen und in die Gebärmutter einpflanzen, ist eine andere.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist gut, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag für ein umfassendes internationales Verbot des Klonens verabschieden. Es ist gut, dass diesem Antrag so viele Abgeordnete der meisten Fraktionen zustimmen werden. Dass das so ist, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die beratende Arbeit der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ aus der letzten Legislaturperiode viel an Aufklärung und Information geleistet hat. Sie hat ihre Aufgabe, das Parlament in schwierigen Fragen zu beraten und Entscheidungsgrundlagen für die Abgeordneten bereitzustellen, gut erfüllt. Sie hat die Basis bereitet für Debatten über „therapeutisches“ Klonen, Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik auf hohem Niveau und in gegenseitigem Respekt.

   Deshalb ist es gut, dass wir auch heute für die noch offenen und für die neuen Fragestellungen wieder eine Enquete-Kommission mit breitem Konsens einsetzen werden. Ihre Themen werden vielleicht nicht mehr so spektakulär sein wie die der letzten Enquete-Kommission wie beispielsweise mit der Stammzellforschung. Aber sie werden auch nicht mehr so spekulativ sein.

   Die Fragen bezogen auf die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen, die Frage, wer es sich künftig leisten kann, von moderner Medizin profitieren zu können, die medizinischen Perspektiven der Nanobiotechnologie oder die Selbstbestimmung des Menschen an seinem Lebensende werden für viel mehr Menschen Bedeutung haben, als es embryonale Stammzellen jemals werden haben können. Die Themen werden wechseln; die Aufgabe der Kommission wird bleiben: parlamentarisch und demokratisch legitimiert, schwierige Fragestellungen ethisch, rechtlich und wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten und dem Parlament und der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.

   Ich persönlich habe in der letzten Enquete-Kommission viel dazu gelernt, übrigens auch über mich selbst. Ich freue mich, mit Ihnen zusammen wieder mitarbeiten zu dürfen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort Kollegen Hubert Hüppe, CDU/CSU-Fraktion.

Hubert Hüppe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass wir heute beschließen werden, die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ wieder einzusetzen. Ich freue mich vor allen Dingen auch deswegen, weil man sich diesmal sehr schnell zwischen den verschiedenen Fraktionen hat einigen können. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen dafür, dass die Arbeit dort so weitergeführt wird, wie es in der letzten Legislaturperiode der Fall gewesen ist: ohne Rücksicht auf Fraktionsgrenzen. Das ist bei diesem Thema, bei dem es um die Ethik geht, sehr wichtig.

   Für die Dringlichkeit dieser Enquete-Kommission spricht sicherlich, dass sie die erste ist, die in dieser Legislaturperiode eingesetzt wird. Das war nicht immer so. Denn in der letzten Legislaturperiode hat es immerhin anderthalb Jahre gedauert, bis die Enquete-Kommission eingesetzt werden konnte, und es bestand nicht überall Einigkeit im Hinblick auf die Notwendigkeit einer solchen Enquete-Kommission. Aus diesem Grunde war in der letzten Legislaturperiode der Zeitdruck so groß, dass viele Themen nicht behandelt oder nur angerissen werden konnten. Dennoch haben wir in der Gesellschaft viel Anerkennung für unsere Arbeit und unseren Abschlussbericht erhalten. Vielleicht haben sich auch deswegen sehr viele gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel die Kirchen sowie Frauen- und Wohlfahrtsverbände, vor allen Dingen aber auch Behindertenverbände, dafür stark gemacht, dass diese Enquete-Kommission wieder eingesetzt wird.

   In dem vorliegenden Einsetzungsantrag wird deutlich gemacht, wie umfassend unser Themenspektrum sein wird: neue Aspekte der Organtransplantation, Fragen der Fortpflanzungstechniken, Forschung an nicht Einwilligungsfähigen und Biobanken; um nur einige Themen zu nennen. Dabei bin ich allerdings sicher, dass im Laufe unserer Kommissionsarbeit neue Themen, die sich bereits aus der Weiterentwicklung der Forschung ergeben, hinzukommen werden.

   Allerdings sollten wir nicht nur hinterfragen, was neu auf uns zukommt, sondern auch - das ist mir sehr wichtig -, ob es nicht schon in der Vergangenheit zu Fehlentwicklungen gekommen ist. Ich denke zum Beispiel an das Thema Pränataldiagnostik. Wenn wir über die Forschung und den medizinischen Fortschritt sprechen, dürfen wir nicht nur die Risiken sehen, sondern in Hinsicht auf kranke Menschen gerade auch die Chancen der Forschung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Welche Grenze wir aber auf jeden Fall zu beachten haben, ist in unserem Antrag festgelegt: die Wahrung der Menschenwürde. Hier kann und darf es keine Ausnahme geben, und zwar unabhängig davon, ob in anderen Ländern andere Bestimmungen gelten. Dazu verpflichtet uns unser Grundgesetz. Das sollten wir auch nicht verbergen, wenn es zum Beispiel um internationale Abkommen geht. Im Gegenteil: Für die unteilbare Menschenwürde, die keiner Abwägung zugänglich ist, dürfen und müssen wir auch international eintreten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auf jedes einzelne Mitglied der Enquete-Kommission wird damit eine enorme Arbeit zukommen. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen, weil wir wissen, dass wir die Norm- und Regelsetzung an niemanden delegieren können. Die entsprechenden Entscheidungen muss und kann letztlich nur ein Gremium treffen: das Parlament - und nicht Ethikräte, wobei man sich fragen muss, warum in Ethikräten häufig mehr Forscher als Ethiker sitzen. Ich sage dies auch in Hinsicht auf den so genannten Nationalen Ethikrat. Da ich auch für die Belange behinderter Menschen zuständig bin und wir in diesem Jahr unter dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen haben, halte ich es immer noch für einen Skandal, dass nicht ein einziger Behinderter Mitglied im Nationalen Ethikrat ist; das darf man an dieser Stelle vielleicht einmal erwähnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn wir darüber sprechen, dass das Parlament Verantwortung übernehmen muss, dann gilt das auch für den zweiten Antrag, den wir heute behandeln. Es geht dort darum, auf UN-Ebene eine neue Initiative zu starten mit dem Ziel, jegliches Klonen von Embryonen - es geht nicht um Zellen - international zu verbieten. Ich hoffe, dass wir heute mit deutlicher Mehrheit beschließen, dass das Klonen menschlicher Embryonen - egal zu welchem Zweck - mit der Menschenwürde unvereinbar ist.

   Frau Flach, zur Ehrlichkeit der Diskussion darf ich an dieser Stelle anfügen - Sie wissen das; denn Sie beschäftigen sich mit diesem Thema -: Hier geht es nicht um ein ähnliches Verfahren der Herstellung. Embryonen werden - egal zu welchem Zweck, ob zu Forschungszwecken, ob zur Reproduktion; einen therapeutischen Zweck gibt es ja gar nicht - immer auf die gleiche Art hergestellt. Entscheidend ist: Lässt man diesen Embryo leben oder tötet man ihn?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich denke, es ist ein deutliches Zeichen, wenn jetzt Deutschland, möglicherweise gemeinsam mit Frankreich, diese Initiative, die andere Staaten schon gestartet haben, mit unterstützt. Herr Loske, Sie sagten, in den Vereinigten Staaten sei es wahrscheinlich gar nicht so, dass man es verbieten wolle. Es gibt aber schon genügend Initiativen im Parlament. Wenn wir uns jetzt auf die Seite der vielen anderen Länder stellen würden, die das völlige Verbot des Klonens menschlicher Embryonen wollen, würden wir auch die Situation dort mit beeinflussen, schon gar, wenn Frankreich mitmacht. Die Chancen stehen übrigens nicht schlecht; denn in Frankreich gibt es inzwischen auch parlamentarische Initiativen, die das Klonen ganz strikt verbieten wollen. Dagegen ist unser Embryonenschutzgesetz noch liberal.

   Meine Damen und Herren, man muss sich auch vor Augen halten: Was würde eigentlich passieren, wenn man tatsächlich nur das reproduktive Klonen verbieten würde, also nur das Klonen mit dem Ziel, dieses Kind auch auszutragen? Das würde bedeuten, dass man das Klonen von Embryonen zwar zulässt, dass der Forscher sich aber nur dann gesetzestreu verhält, wenn er auf jeden Fall diesen Embryo vor seiner Geburt tötet. Ein Tötungsgebot ist meiner Meinung nach mit unserer Verfassung überhaupt nicht in Gleichklang zu bringen. Auch das muss man an dieser Stelle sagen.

   Was würde denn passieren, meine Damen und Herren, wenn es bei tatsächlich vorhandenen Klonembryonen - das wäre ja die Folge - bald einen internationalen Markt gibt? Wer will kontrollieren, wer auf dem internationalen Markt geklonte Forschungsembryonen in Auftrag gibt? Wer will kontrollieren, wer Embryonen dann importiert, kauft oder verkauft? Wer will überwachen, ob mit solchen Embryonen, wenn sie erst einmal vorhanden sind, nicht auch Schwangerschaften herbeigeführt werden? Diese Kontrolle ist doch gar nicht möglich. Was würde passieren, wenn eine Frau dann wirklich mit einem solchen Embryo schwanger ist? Wollen Sie dann das Verbot des reproduktiven Klonens durchsetzen, indem Sie die Frau zu einer Abtreibung zwingen? Das kann doch nicht gewollt sein.

   Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider vorbei. Ich möchte Sie noch einmal aufrufen: Lassen Sie uns heute ein deutliches Zeichen setzen. Lassen Sie uns schnell und rechtzeitig handeln. Stimmen Sie dem interfraktionellen Antrag zu

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Wodarg, SPD-Fraktion.

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):

   Herr Präsident! „Was neu ist, wird alt, und was gestern noch galt, stimmt schon heut‘ oder morgen nicht mehr“, singt Hannes Wader. Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen, das stimmt natürlich in besonderem Maße für den Bereich der molekularen Biologie. Das, was die Enquete-Kommission noch vor einem Jahr über Stammzellen diskutiert hat, ist heute zum Teil schon technologisch auf dem Abstellgleis. Da gibt es neue Entwicklungen.

   Seit einigen Jahren wird uns vor Augen geführt, wie durch die Technik des Klonierens genetisch weitgehend identische Kopien von Lebewesen hergestellt werden können. Das jetzt vorzeitig gestorbene Schaf Dolly oder das Bild von der Pipette voller Wunschgene, die in eine entkernte Eizelle injiziert werden, sind, genau wie die DNS-Spirale, moderne Ikonen der Biotechnologie, mit denen Hoffnungen und Spekulationen verbunden werden, die oft schon fast einen religiösen Charakter anzunehmen scheinen.

   Wie schnell sich die Erkenntnisse zum Beispiel in der Stammzellforschung ändern, haben uns Forscherteams aus Wisconsin und Köln erst kürzlich gezeigt. Während wir unser Gesetz zum Import von Stammzellen noch unter der Prämisse verabschiedet haben, dass embryonale Stammzellen zwar pluripotent, aber nicht totipotent sind, zeigten sie, dass das nicht mehr stimmt. Sie stellen ganze identische Mäuselinien oder Mäuseserien aus Stammzellkulturen her, die auch genetisch verändert werden können, die auf Blastozysten wachsen und dann sogar als weibliche und männliche Mäuse miteinander wieder neue Mäuse zeugen können, alle mit gleicher genetischer Ausstattung. Hier kann man sagen: Dolly ist tot, Klonen ist out.

Denn es gibt inzwischen neue Technologien. Das meinte Herr Winnacker vermutlich, als er von Stammzellbanken sprach und in diesem Zusammenhang neue Technologien in den Vordergrund stellte.

   Was bleibt, was wir bei alledem nicht vergessen dürfen und was Angehörigen, Pflegekräften und Ärzten in den Wohnungen, in den Praxen, in den Heimen und in den Kliniken täglich vor Augen steht, sind Schweiß, Kot, Blut, Schmerz und die Angst derer, die unsere Sorge und Hilfe brauchen, jetzt und ganz konkret. Ihnen müssen wir helfend und aufrichtig gegenübertreten. Sie sind diejenigen, die die Qualität unserer Medizin letztlich am besten beurteilen können. Ihnen dürfen wir keine falschen Illusionen über die Vergänglichkeit menschlichen Lebens, über das zum Leben gehörende Sterben machen, auch wenn uns die eigene Angst vor diesem Schicksal nur allzu oft dazu verleitet.

   Visionen, Wagemut und Forschung sind trotzdem notwendig, auch wenn dies den heute Kranken und Sterbenden nur noch wenig nützt. Wir wollen in der neuen Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ den praktischen Nutzen von Innovationen mehren, wir wollen dem Gesetzgeber Instrumente und Regeln vorschlagen, um Wirkung und Nebenwirkung genauer zu unterscheiden und wir wollen, dass Irrwege und Risiken in der Forschung und Entwicklung minimiert werden und die bedarfsgerechte Nutzung des medizinischen Fortschritts erleichtert wird.

   Welche konkreten Aufgaben stehen uns ins Haus? Es gilt, zum Beispiel folgende Frage zu beantworten. Dürfen an nicht einwilligungsfähigen Menschen Forschungen oder klinische Erprobungen durchgeführt werden, auch wenn diese selbst davon keinen direkten Nutzen haben? Wie gehen wir mit jenen um, die uns Ergebnisse von Studien präsentieren, die im Ausland unter bei uns verbotenen Bedingungen durchgeführt wurden? Welcher internationale Regelungsbedarf ist erforderlich, damit wir in Deutschland, wenn wir die Lücken der Bioethik-Konvention geschlossen haben, gemeinsame Richtlinien und Grenzen für die Forschung in Europa oder Forschungsfelder - wenn man es positiv ausdrückt - definieren können?

   Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt ein weiteres Thema, das drängt. Die Kinderärzte sagen uns, sie brauchten mehr Erfahrungen mit den Medikamenten, die bei Kindern angewendet werden. In diesem Bereich müssen, und zwar durch klinischen Studien, Erfahrungen gesammelt werden. Kinder können dem, was mit ihnen gemacht werden soll, nicht zustimmen. Deswegen müssen wir Regeln entwickeln, mit denen Erfahrungen gesammelt werden können, damit wirksame Medikamente für Kinder hergestellt werden können, die nicht über- oder unterdosiert sind, sondern die ihnen wirklich effizient helfen.

   Wir haben weitere wichtige Themen in den Antrag aufgenommen. Eines dieser Themen, das noch etwas fremd anmutet, ist die Nanobiotechnologie. Die Nanobiotechnologie verwischt in einer bisher unbekannten Weise die Grenzen zwischen Physik und Biologie, zwischen Technik und Natur sowie zwischen Maschine und menschlichem Körper. So waren kürzlich beispielsweise Berichte über ein US-amerikanisches Forschungsprojekt zu lesen, in dem es darum geht, die Funktionsweise von Nervenzellen durch Nanochips zu simulieren. Diese Chips könnten, so die Überlegung, später ins Gehirn implantiert werden, um ausgefallene Hirnzellen, zum Beispiel bei einer Alzheimererkrankung etwa in der Region des Gedächtnisses, zu ersetzen. Man könnte so, wenn man das weiterspinnt, sozusagen eine externe Festplatte entwickeln, die an das Gehirn angedockt werden kann.

   Ich denke, dieses Beispiel zeigt jedem deutlich, wie viel versprechend die medizinischen Perspektiven dieser neuen Technologie einerseits sind, wie andererseits aber ganz neue ethische Fragen auftauchen, wenn wir in die Lage kommen, mit Maschinen und Schaltkreisen auf der Nanoebene in die Strukturen und Prozesse des menschlichen Lebens einzugreifen.

(Beifall des Abg. René Röspel (SPD) und der Abg. Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Nanotechnologie ist daher, wie ich denke, ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die neue Enquete-Kommission ihre Verantwortung wahrnehmen könnte, nämlich ethisch relevante Themen vorausschauend anstatt reaktiv zu durchdenken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen dabei versuchen, dass wir die anstehenden Themen nicht doppelt behandeln. Wir müssen uns mit dem Nationalen Ethikrat und mit anderen Gremien, die sich über Ethik und Recht in der Medizin Gedanken machen, abstimmen und können so Synergieeffekte erreichen. Das Thema Biobanken ist ein Thema, dessen sich bereits der Nationale Ethikrat angenommen hat, das wir aber auch in der Enquete-Kommission behandeln müssen; denn es gibt eine Richtlinie aus Brüssel, die versucht, Maßstäbe für die Gewinnung, Lagerung, Behandlung und Verteilung von Zellen, von menschlichen Geweben zu entwickeln, die wir ins nationale Recht umsetzen müssen.

Hier gilt es ganz konkret etwas zu tun. Genauso müssen wir in Deutschland die Umsetzung der Richtlinie zur Good Clinical Practice in nationales Recht vorbereiten. Hierbei geht es um Nichteinwilligungsfähige und um die Bedingungen, unter denen klinische Versuche mit ihnen durchgeführt werden dürfen.

   Die neue Enquete-Kommission stellt auch im Namen die Ethik vor das Recht und lädt die Öffentlichkeit in Deutschland und auch unsere Nachbarn zur Diskussion über diese Themen ein. Es gibt ethisch und rechtlich sehr unterschiedliche Regelungen in Europa. Was darf die Forschung mit Embryonen tun? Was ist am Lebensanfang insgesamt erlaubt? Was darf man am Lebensende? Was soll verboten bleiben? Hier gibt es einen Streit und einen Wettbewerb in der Diskussion in Europa.

   Man schaut mit großen Erwartungen auf Deutschland. In Deutschland hat es in der vergangenen Legislaturperiode einen sehr fruchtbaren Streit über diese Themen gegeben. Wir haben gezeigt, dass es gut ist, wenn sich die Bundesregierung einerseits und das Parlament andererseits für diese Debatte wappnen. Wir haben gesehen, dass das Interesse der Öffentlichkeit gerade dann steigt, wenn nicht nur ein einziges Spezialistengremium arbeitet, sondern wenn es auch zu Spannungen und unterschiedlichen Meinungen kommt. Das ist nichts Schlechtes.

   Ich muss meinem Kollegen Hüppe widersprechen. Ich finde es gut, dass der Kanzler den Nationalen Ethikrat hat und dass das Parlament die Ethik-Enquete-Kommission hat. Wir in Deutschland werden uns streiten. Das tun wir fair und nach demokratischen Regeln. Dabei sollen Kompromisse herauskommen, hinter denen wir alle stehen können und die für die Menschen in unserem Lande gut sind.

   Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

   Ich erteile der Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Barbara Lanzinger (CDU/CSU):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich bei den Abgeordneten der Fraktionen - für meine Fraktion nenne ich stellvertretend Frau Dr. Böhmer -, die die beiden Anträge „Einsetzung der Enquete-Kommission ‚Ethik und Recht der modernen Medizin‘“ und „Neue Initiative für ein internationales Verbot des Klonens menschlicher Embryonen starten“ ganz entscheidend mit auf den Weg gebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir befinden uns in einem ungeheuren Spannungs- und Konfliktverhältnis: einerseits eine immens rasante und immer schnellere Machbarkeits- und Selektionsmedizin und andererseits klare ethische Wertvorstellungen, die auf einem christlichen Menschenbild, dem Menschenbild der christlich-europäischen Wertetradition, basieren. Die Forschung an embryonalen Stammzellen, die Präimplantationsdiagnostik, die Pränataldiagnostik, Abtreibungen, Spätabtreibungen, Euthanasie und Sterbehilfe berühren die elementaren Grundwerte unserer Gesellschaft. Sie berühren aber auch die Fragen nach dem Inhalt und der Reichweite elementarer Verfassungsprinzipien wie die Menschenwürde, den Lebensschutz oder die Wissenschaftsfreiheit.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

   Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in vielen Begegnungen, Begleitungen und Gesprächen mit schwerstkranken und sterbenden Menschen wird uns in der Hospizbewegung Tätigen immer wieder sehr bewusst und deutlich vor Augen geführt, was es heißt zu leben und wie wichtig es ist, gerade am Lebensende über sein Leben, seinen Wert, seine unendlichen Zufälligkeiten, das Warum und Wieso und darüber, was es bedeutet, noch oder trotzdem da zu sein, nachzudenken.

   Ich sehe es als eine der zentralen politischen und gesamtgesellschaftlichen Aufgaben an, Werteorientierung zu schaffen und zu leben: vom Beginn des Lebens an, für die Art des Individuums und für das Lebensende.

Nicht nur als Landesvorsitzende des Bayerischen Hospiz-Verbandes ist es mir ungeheuer wichtig, im Namen der schwerstkranken und sterbenden Menschen für ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt einzutreten und dazu klare Vorstellungen in die heute zu beschließende Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ einzubringen.

   Gerade in einer Zeit von Kostendruck und Wirtschaftlichkeit besteht die Gefahr, dass die Menschlichkeit und die Zeit im Umgang mit schwerstkranken, hilfsbedürftigen, alten, behinderten und sterbenden Menschen auf der Strecke bleibt. Ich denke, wir alle gemeinsam tragen die Sorge und das Bemühen, der Gefahr vorzubeugen, Gedanken an bezahlbar oder nicht bezahlbar, wert oder unwert gar nicht erst aufkommen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich meine schon, dass es in der heutigen Debatte erlaubt sein muss, laut zu formulieren, dass nicht alles, was auch wissenschaftlich mach- und planbar ist, alles, was erstrebenswert erscheint und ist, in der Konsequenz auf Dauer richtig ist. Nicht alles Mögliche darf machbar sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich meine auch, dass wir für heute und für die Zukunft klar Stellung beziehen müssen, was Menschsein letztendlich für uns bedeutet, was wir selbst wert sind, was wir uns wert sind, was der Mensch überhaupt und uns noch wert ist. Was sind wir für Menschen in einer Gesellschaft, deren aktuelle Trends sind: perfekt, maßgeschneidert, frei von Belastungen, be- und verurteilt nach Nützlichkeit und Leistungsfähigkeit, nach die Gesellschaft und die Allgemeinheit belastenden Erkrankungen?

   Auch in der Politik müssen wir den Mut haben, unsere Angst zu formulieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nicht die Angst davor, welche Perspektiven, welche Vor- und Nachteile die medizinische Forschung eröffnet, sondern die Angst davor, ob wir es uns zutrauen, politisch und rechtlich all das abzusichern und in den Griff zu bekommen, was unwägbar ist und deshalb Angst macht. Ich möchte klar und deutlich formulieren und dafür einstehen, was wir am Ende für uns und die nachfolgenden Generationen wollen.

   Ich halte es für enorm wichtig, wie Kant im Imperativ zu sprechen: Achte die Menschheit in jedem Menschen! Es darf kein „lebenswert“ oder „lebensunwert“ geben. Der Wunsch nach einem Kind darf nicht das Kind nach Wunsch und Maß sein. Wie soll sich ein Mensch angenommen fühlen, wenn er von Anfang an weiß, dass er für bestimmte Wünsche instrumentalisiert wurde oder dass er nicht existieren würde, wenn er die „Endauswahl“ nicht überstanden hätte?

   Ich habe in meiner Beratungstätigkeit viele Frauen und Familien erlebt, die die Möglichkeiten der modernen Medizin oftmals verwünschten, nämlich dann, wenn die Diagnose stand: Ihr ungeborenes Kind ist behindert. Die Entscheidung, ein behindertes Kind zu wollen oder nicht, müssen die Frauen letztendlich alleine treffen. Der psychosoziale Druck, die tiefen Emotionen und Gedanken müssen größtenteils ebenso wie die daraus vielfach entstehenden Beziehungskonflikte alleine getragen werden. Eine Pflichtberatung nicht nur bei der Pränataldiagnostik wäre hier dringend anzudenken, wenn nicht sogar zu fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD))

   Ich sehe es als wichtige Aufgabe der Enquete-Kommission an, sich unter dem Gebot der Achtung der unterschiedlichen Persönlichkeiten, der Meinungen, Fragen, Argumente, Erfahrungen und Standpunkte die Zeit zum Zuhören und zum Austausch zu nehmen. Wir haben mit dem Embryonenschutzgesetz, mit einer fraktions- und parteiübergreifenden Bereitschaft im Bundestag für ein internationales Verbot des reproduktiven und therapeutischen Klonens menschlicher Embryonen einzutreten, eine gute und wichtige Basis für unsere Entscheidungsfindungen.

   Es ist dringend erforderlich, auf diesen Grundlagen in einen breiten öffentlichen und gesellschaftlichen Dialog zu den vielen noch offenen und neuen Fragestellungen, zum Beispiel zu Biobanken, Gentests, zur Gentechnik bei Menschen und Pflanzen, zur Sterbebegleitung und Palliativmedizin, zu Tod und Sterben, einzutreten und, wenn möglich, auch bei aller Unterschiedlichkeit einen Konsens und gemeinsame Antworten zu finden.

   Ich möchte mit dem Gedicht einer behinderten Frau schließen, die sich in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion zu Ethik und Biomedizin mit allen damit zusammenhängenden Themen als betroffen bezeichnet.

Lebenswert
„im“ Fernsehen, wieder Diskussion,
ob ich es wert wäre zu leben.
Eugenik, Vorgeburtliche Diagnostik, Euthanasie.
Und ich denke mir, mit 15 wäre ich gestorben ohne den medizinischen Fortschritt.
Vor 60 Jahren wäre ich vergast worden aufgrund des ideologischen Fortschritts.
In ein paar Jahren würde ich wegen beidem nicht geboren werden.
Wie soll ich leben mit dieser Vergangenheit in Zukunft?

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Ich erteile Frau Dr. Reimann, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Carola Reimann (SPD):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie bitten, den Antrag zur Einsetzung der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zu unterstützen. Viele der neuen Erkenntnisse in der modernen Medizin können einen erheblichen Einfluss auch auf die Lebenswirklichkeit jedes Einzelnen entfalten. Damit ist auch die Politik gefordert. Wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Bundestag müssen uns damit auseinander setzen, um das, was wir wollen, können oder dürfen, gegebenenfalls neu zu justieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU))

   Häufig wird der Politik vorgeworfen, der dynamischen Entwicklung hinterher zu hinken. Die Enquete-Kommission eröffnet die Chance, die Entwicklung auf Augenhöhe zu verfolgen und zu begleiten. Deshalb kann der Bundestag als das gesetzgebende Organ unseres Landes nicht darauf verzichten, ein solches Expertengremium einzusetzen. Denn hier werden die Entscheidungen fallen. Das haben auch schon viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner betont. Die Enquete-Kommission soll rechtliche, ethische, soziale und politische Aspekte der Entwicklung bewerten und Handlungsvorschläge für uns, den Gesetzgeber, erarbeiten.

   Das Feld, auf dem diese Diskussion innerhalb der Enquete-Kommission stattfinden wird, ist durch das Grundgesetz bereitet. In Amerika gibt es das so genannte Pursuit of Happiness, das Recht eines jeden Menschen auf ein glückliches und erfülltes Leben. In unserer Verfassung ist ein solches Recht nicht direkt als staatliche Garantie verankert. Dennoch enthält unser Grundgesetz eine Reihe von Regelungen, die allen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes die gleichen Chancen zur Führung eines glücklichen Lebens garantieren sollen. Ich meine damit die allgemeinen Menschenrechte und die Schutzrechte, die die Bürgerinnen und Bürger vor gesellschaftlichen Fehlentwicklungen bewahren sollen mit dem Ziel, dass jeder und jede die gleichen Möglichkeiten erhält, seine bzw. ihre Lebenschancen zu realisieren.

   Für unsere Diskussion leitet sich daraus zum einen die Pflicht ab, uns schützend vor den Menschen zu stellen, wenn ihm die Gefahr droht, zu einem rein ökonomischen oder materiellen Faktor reduziert zu werden. Lebenschancen dürfen überdies nicht von vermeintlichen Leitbildern biologischer Superiorität abhängig sein. Wir sind auf der Basis unseres Grundgesetzes verpflichtet, die Menschenwürde des Individuums gegen den optimierten Menschen zu verteidigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Helmut Heiderich (CDU/CSU))

   Zum anderen beschränkt sich die grundgesetzliche Forderung von Chancengleichheit aber nicht auf die Abwehr von Fehlentwicklungen. Wir sind darüber hinaus auch gehalten, aktiv an der Schaffung von gleichen Voraussetzungen und gleichen Chancen für alle mitzuwirken.

   Was hat moderne Medizin nun mit Chancengleichheit zu tun? Noch immer ringen wir mit einer Vielzahl von Krankheiten, die die Betroffenen aus der Mitte des Lebens reißen und für die es bislang kein anderes Rezept gibt, als sie als Schicksal zu akzeptieren. Das Risiko unheilbarer Krankheiten - ich will keine nennen, um keine auszugrenzen - ist nur in wenigen Fällen wirklich beeinflussbar. Es kann jeden und jede treffen, weil der blinde Zufall das einzige Prinzip ist.

   Meine Damen und Herren, es ist ein Menschheitstraum, die Macht solcher Schicksalsschläge zu mindern oder gar gänzlich aus der Welt zu schaffen.

Es gibt wohl keine größere Ungerechtigkeit als die Unausweichlichkeit einer Erkrankung, die jeden ohne eigenes Verschulden treffen kann. Wir werden immer mit Krankheiten leben müssen. Aber dort, wo sich aus der medizinischen Forschung Optionen zur Behandlung von Krankheiten ergeben, sind wir verpflichtet, das Mögliche zu tun, um den Erkrankten die gleichen Chancen zu eröffnen, die für die Gesunden selbstverständlich sind.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Heilungschancen sind Lebenschancen, die wir den Betroffenen nicht ohne weiteres verweigern dürfen. Dazu verpflichtet uns auch der Gedanke der Chancengleichheit.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind die Koordinaten sichtbar, innerhalb deren wir die Diskussion in der Enquete-Kommission zu führen haben. Wir begeben uns in ein Spannungsfeld, in dem sich die Teilziele unserer Verfassung nicht selten in Widerspruch zueinander befinden. Hier werden wir sicherlich schwierige Debatten zu führen haben, denn einfache Antworten gibt es auf die komplexen Fragen der Biopolitik nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Helmut Heiderich (CDU/CSU))

Eine intensive Auseinandersetzung, die von Akzeptanz und Respekt aller Standpunkte getragen sein muss, ist notwendig, um in Bezug auf eine Fortentwicklung biomedizinischer Forschung unsere Koordinaten zu bestimmen und diese Diskussion in die breite Öffentlichkeit zu tragen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dafür ist die Enquete-Kommission meiner Ansicht nach das geeignete Instrument; deshalb bitte ich Sie, ihrer Einsetzung zuzustimmen.

   Des Weiteren bitte ich Sie, dem interfraktionellen Antrag „Neue Initiative für ein internationales Verbot des Klonens menschlicher Embryonen starten“ zuzustimmen. Niemand will das Klonen von Menschen, ich auch nicht. Deshalb habe ich von Anfang an an diesem interfraktionellen Antrag mitgearbeitet.

   Das Entsetzen und das Unverständnis über die Ankündigung der Geburten angeblicher Klonkinder, die in der letzten Woche wieder die Runde machte, ziehen sich durch alle gesellschaftlichen Gruppen und alle Fraktionen in diesem Haus. Ich begrüße es deshalb, dass wir diese gemeinsame Ablehnung durch einen gemeinsamen interfraktionellen Antrag betonen und die Bundesregierung unterstützen, sich auf der Grundlage unserer nationalen Gesetzgebung bei den internationalen Verhandlungen für ein möglichst umfassendes Klonverbot einzusetzen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Nächste Rednerin in der Aussprache ist die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion.

Katherina Reiche (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung der biomedizinischen Forschung vollzieht sich sehr rasant. Die Fortschritte in der Intensiv- und Transplantationsmedizin, in der Humangenetik und in der Embryologie brachten die Medizin immer näher an die Grenzen der Ethik und der Menschenrechte heran oder überschritten sie gar. Gerade hatten wir das Klonschaf Dolly verdaut, entschlüsselte Craig Venter das humane Genom. Im letzten Jahr wollten verbrecherische Scharlatane gar ein Kind geklont haben.

   Gleichwohl leisten Forschung und Technologie einen bedeutenden Beitrag zur Bewältigung der gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Sie bieten die Chance, zur Lösung zahlreicher globaler Probleme im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung, Bevölkerungswachstum, Welternährung, Umwelt und nachhaltiger Entwicklung beizutragen. Die Reichweite des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes wirft jedoch dort, wo neue Optionen des Eingriffs in Mensch und Natur geschaffen werden, Fragen an die Verantwortung der Wissenschaft und der Gesellschaft auf. Es geht um unsere Verantwortung für die eine Umwelt ebenso wie für den Schutz der Würde des Menschen und die Wahrung der Grundrechte und Grundfreiheiten, die im Grundgesetz und in der Konvention des Europarates verankert sind.

   Die Enquete-Kommission der vergangenen Legislaturperiode hat mit ihrer Arbeit zu einer breiten öffentlichen Debatte über die Chancen und Risiken der Gentechnik in der Gesellschaft beigetragen. Sie hat zudem verdeutlicht, dass solche wichtigen Entscheidungen in den Deutschen Bundestag und nicht in außerparlamentarische Kommissionen, Räte oder Runden gehören. Die neue Enquete-Kommission wird sich ebenfalls mit den Fragen des Rechts und der Ethik der modernen Medizin befassen.

   Von rund 30 000 Krankheitsbildern können wir ungefähr 10 000 mehr oder weniger gut behandeln. Die Genomforschung und die Molekularbiologie werden die Medizin revolutionieren. Trotzdem wird es immer ein Leben mit Krankheiten geben. Technologieentwicklung und -anwendung auch im Bereich der Medizin sind konkrete menschliche Handlungen. Sie sind in unser historisches, kulturelles und rechtliches Umfeld eingebettet, das wir gestalten. Technik kommt also nicht von außen über uns; sie ist deshalb nicht als solche gut oder schlecht.

Helga Kühn-Mengel (SPD):

   Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es ist vornehmste und originäre Aufgabe einer Enquete-Kommission, Raum zu geben für die ethischen, rechtlichen, wissenschaftlichen, ökonomischen und Forschungsfragen, die mit dem Tempo fortschreitender Entwicklungen in Biologie und Medizin zusammenhängen und die auch das im Grundgesetz verankerte Konzept der Menschenwürde berühren. Diesen Diskussionen Raum zu schaffen, daraus auch gesetzgeberische Initiativen zu entwickeln, das ist Aufgabe der Enquete-Kommission, die jetzt fortgeführt werden soll, was wir alle begrüßen.

Helga Kühn-Mengel (SPD):

   Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es ist vornehmste und originäre Aufgabe einer Enquete-Kommission, Raum zu geben für die ethischen, rechtlichen, wissenschaftlichen, ökonomischen und Forschungsfragen, die mit dem Tempo fortschreitender Entwicklungen in Biologie und Medizin zusammenhängen und die auch das im Grundgesetz verankerte Konzept der Menschenwürde berühren. Diesen Diskussionen Raum zu schaffen, daraus auch gesetzgeberische Initiativen zu entwickeln, das ist Aufgabe der Enquete-Kommission, die jetzt fortgeführt werden soll, was wir alle begrüßen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Bereich herrscht international - ich denke, auch unter uns - nahezu Einmütigkeit: Das Klonen zur Erzeugung menschlicher Duplikate wird fast unisono abgelehnt. Selbst die Chinesen, denen häufig eher ein lockerer Umgang mit bioethischen Fragen nachgesagt wird, haben letzte Woche öffentlich und entrüstet die Meldung zurückgewiesen, in China sei möglicherweise ein geklontes Menschenkind geboren worden.

   Anders ist die Situation bei dem, was man hierzulande üblicherweise „therapeutisches Klonen“ nennt, ein, wie ich meine, völlig irreführender Begriff.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Deswegen setze ich mich sehr dafür ein, dass diese Form des Klonens anders, nämlich so genannt wird, wie sie tatsächlich ist: „destruktives Klonen". Wir sollten beginnen, diese Begriffe gegeneinander auszutauschen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Ich habe oft den Eindruck, dass in der Debatte über diesen Punkt doch manches durcheinander geht. Deswegen möchte ich mich ausschließlich mit dieser Frage auseinander setzen.

   Warum haben wir uns nach unserem Besuch mit einer kleinen Gruppe beim deutschen UN-Botschafter für ein Verbot dieser Technologie so stark gemacht? Gibt es doch noch immer die Argumentation, diese sei ein Weg zur Heilung chronischer oder degenerativer Krankheiten und deswegen dürfe man diesen Weg nicht verbauen.

(Ulrike Flach (FDP): Das ist doch noch unklar, Herr Heiderich!)

Welches sind die Versprechungen, die immer wieder vorgetragen werden, Frau Flach? Ich möchte sie einmal auflisten: Erstens. Man hofft, durch Übertragung eines erwachsenen Zellkerns in eine menschliche Eizelle Zellmaterial zu gewinnen, das keine Immunabwehr auslöst, wenn es in den Körper des Patienten rückübertragen wird. Dieser Effekt erscheint zwar theoretisch möglich, ist aber bisher völlig unbewiesen.

(Ulrike Flach (FDP): Das sagen Sie!)

Überhaupt beinhalten alle Argumente, die von den Befürwortern dieser Technologie angeführt werden, mehr Hoffnung als Heilung. Sie sind mehr Science-Fiction als Science. Bei den Versuchen, die bisher unternommen worden sind - es gibt ja einige Hinweise -, hat sich eher gezeigt, dass es doch zu einer Immunreaktion kommt, offenbar weil die verbliebene mitochondriale DNA der Eizelle nicht ohne Auswirkung auf den Klon bleibt.

   Zweitens. Die nächste Hoffnung, die verbreitet wird, besteht darin, schwere genetische Erkrankungen durch Klonen von Zellkernen sozusagen in der Petrischale abbilden, den Patienten also auf seinen Klon reduzieren zu können. Am geklonten Zellmaterial sollen dann die mutierten Gene aufgespürt und soll die krankheitsverursachende Expression herausgefunden werden. An diesen In-vitro-Modellen menschlicher Krankheiten könne man die molekularen Zellmechanismen unabhängig vom Patienten erforschen. Hätte man sozusagen die Modelle einzelner Patienten, könnte man daran auch weitergehende pharmazeutische und chemische Behandlungsmethoden testen, ohne den Kranken selbst belasten zu müssen. So weit die Versprechungen.

   Wie aber sind die Fakten? Mitte vergangenen Jahres hat die Firma ACT in Wisconsin einen solchen Klonversuch unternommen. Von 19 Eizellen mit ausgetauschtem Zellkern ließen sich 16 nicht zum Leben erwecken. Die drei verbliebenen stellten im Sechszellstadium jede weitere Entwicklung ein. Andere Spitzenwissenschaftler haben uns berichtet, dass nach ihren Forschungen prinzipielle biologische Barrieren bestünden - man muss wohl sagen: glücklicherweise -, die solche Klonvorgänge vielleicht dauerhaft verhinderten.

   Nehmen wir aber einmal an, dass es wirklich gelänge, solches Klonen möglich zu machen. Was würde das bedeuten? Man bräuchte - darauf ist schon vorhin hingewiesen worden - Tausende menschlicher Eizellen, um die Behandlung eines einzigen Menschen zu ermöglichen. Das heißt doch, in den Petrischalen der Labors müsste tausendfach junges Leben heranwachsen, um dann zerstört und zu medizinischem Rohstoff für einen einzigen Kranken verarbeitet zu werden.

Das ist der Hintergrund dessen, was man so euphemistisch als therapeutisches Klonen bezeichnet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ist das wirklich die Hoffnung, für die wir dieses Forschungsfeld offen halten sollten?

   Ich meine, es gibt längst andere und langfristig bessere Wege. Vor kurzem hat zum Beispiel die Gruppe von Francis Thomson in Wisconsin mit dem deutschen Kollegen Thomas Zwaka das Ein- und Ausschalten einzelner Gene im menschlichen Zellkern möglich gemacht. Damit könnte man zukünftig Krankheitsbilder in der Petrischale simulieren, ohne Menschen klonen zu müssen. Anderen Forschern ist es im Tierversuch gelungen, schon ausdifferenzierte Zellen über zwei Stufen zurückzuentwickeln. Die damit verbundenen Erkenntnisse könnten der Forschung mit adulten Stammzellen ein völlig neues Potenzial geben.

   Es gibt also nach meiner Auffassung - es ist mir ganz wichtig, darauf hinzuweisen, weil immer wieder Gegenteiliges behauptet wird - auch keinen wissenschaftlichen Grund, Klonen, gleich welcher Art, als Hoffnungsstrategie zu betrachten. Auch deswegen fordere ich dazu auf, nicht länger von therapeutischem, sondern von destruktivem Klonen zu sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich meine, dass wir auch der Biowissenschaft insgesamt einen Dienst erweisen, wenn wir diese zweifelhafte und unakzeptable Art und Weise wissenschaftlicher Forschung von vornherein ausschließen und damit die Biowissenschaften von dem Ruch befreien, ethisch und moralisch fragliche Technologien anzuwenden. Meiner Meinung nach gibt es für uns eine moralische und ethische Verpflichtung, den Weg zur breiten Anwendung einer solchen menschenverachtenden Technologie rechtzeitig zu verbarrikadieren. Deswegen muss unser Antrag von nun an auch international umgesetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dafür zu sorgen ist unser Auftrag und ist unsere moralische Pflicht. Dem müssen wir gemeinsam nachkommen.

   Auch in den USA - das ist vorhin hier angesprochen worden - gibt es längst vergleichbare Initiativen. Mir liegt ein Antrag vor, der vor wenigen Wochen im amerikanischen Senat eingebracht worden ist. Auch in diesem Antrag wird dazu aufgefordert, alle Verfahren des Klonens zu verbieten. Der ganze Antrag umfasst - den Amerikanern gelingt das manchmal sehr schön - nicht mehr als eine Seite. Vielleicht können wir uns daran ein Beispiel nehmen. Man spricht sich in diesem Antrag sehr deutlich, sehr einfach und sehr klar gegen diese Form der Entwicklung, die ich destruktives Klonen nenne, aus.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion.

Jörg Tauss (SPD):

   Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zusammenfassend einige Aspekte anzusprechen. Ich begrüße es sehr, dass der gemeinsame Antrag für ein internationales Verbot des Klonens zustande gekommen ist. Hierzu gab es bereits im letzten Jahr eine klare rot-grüne Position. Es wäre meines Erachtens nicht unbedingt notwendig gewesen, dem etwas folgen zu lassen. Aber nachdem es über Weihnachten eine reichlich unseriöse Pressekampagne einer, was das Klonen anbelangt, wesentlich unseriöseren Sekte gab, ist die politische Diskussion über dieses Thema neu aufgeflammt. Das Ergebnis, das uns vorliegt, ist gut, auch wenn sein Zustandekommen auf einer, wie gesagt, weniger seriösen Grundlage beruht.

   Allerdings führte und führt dieser Ausgangspunkt bei einigen Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause - auch bei solchen aus unserer Fraktion - durchaus zu Unwohlsein. Ich verstehe diese Empfindungen durchaus. Sie resultieren aus der Sorge, dass durch ein striktes Nein seriöse Forschung zum Wohle der Menschen möglicherweise gefährdet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Ich sage deutlich: Ich teile diese Sorge nicht. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat klar zum Ausdruck gebracht, dass das therapeutische Klonen aus wissenschaftlicher Sicht kein Thema ist. Frau Flach, wir brauchen wirklich nicht wissenschaftlicher als die Wissenschaft selbst zu sein. Das ist nicht unsere Aufgabe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

An dieser Stelle können wir auf die Wissenschaft hören.

   Aus diesem Grunde spricht auch nichts dagegen, diese Position, die wir hier gemeinsam haben, in die internationalen Verhandlungen einzubringen. Ich kann nur nochmals betonen: Dieser Bundesregierung gebührt das Verdienst, in diesem Bereich als erste international tätig geworden zu sein. Das ist ein Erfolg deutscher Außenpolitik. Wir werden diesen Weg weiter beschreiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Alle diese Argumente sind seriös genug, um hier keine Horrorszenarien frankensteinscher Art entwerfen zu müssen. Herr Hüppe, Sie haben immer wieder eine paar frankensteinsche Ansätze gehabt. Ich teile Ihre Kritik, dass in der Ethikkommission mehr Forscher als Ethiker seien, in keiner Weise. Wer dies so formuliert, impliziert damit, dass Forschung als solche nicht ethisch sei und dass die Forscher nicht ethisch arbeiteten. Dies müssen wir zurückweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich habe großen Respekt vor der Arbeit des Nationalen Ethikrats. Ich weiß überhaupt nicht, wie man dazu kommen kann, dieses Gremium einer demokratisch gewählten Regierung als undemokratisch zu bezeichnen. Ich danke Herrn Simitis und den Mitgliedern des Ethikrats ausdrücklich für die Arbeit, die sie in der Vergangenheit geleistet haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Auch wenn ich einer derjenigen bin, die gern Schärfe in die Debatte bringen und in Diskussionen kein Kind von Traurigkeit sind - ich räume dies durchaus ein; Sie setzen sich damit ja gelegentlich auch fröhlich auseinander -, muss ich doch eines sagen, Kollegin Nickels. Ich empfehle, bei Themen wie PID und Behinderte sprachlich etwas abzurüsten. Viel von dem, was Sie hier gesagt haben, kann ich absolut nicht akzeptieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben davon gesprochen, dass als Nonplusultra die Ethik des Heilens beschworen wird. Niemand hat hier eine Ethik des Heilens beschworen. Die Ethik des Heilens ist aber durchaus ein Wert.

   Frau Böhmer, die Interpretation dessen, was in Art. 1 des Grundgesetzes zum Thema Menschenwürde steht, würde ich schon ganz gern weiterhin dem Bundesverfassungsgericht überlassen. Es kann hierbei nicht um Positionen von Personen gehen, die ich persönlich sehr respektiere,

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das ist geltendes Verfassungsrecht!)

die aber - auch dies sollte klar gesagt werden - in vielen Punkten mit der Rechtsprechung zu Art. 1 nicht im Einklang stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Mit diesen Fragen und mit den Grenzen des medizinischen Fortschritts wird sich die Enquete-Kommission auseinander zu setzen haben. Sie wird sich viele neue spannende Themen auf die Tagesordnung setzen. Ich war am Anfang sehr skeptisch, ob es Sinn macht, eine solche Enquete-Kommission wieder einzurichten, möglicherweise auch zu Themen, die bereits in der letzten Legislaturperiode abgehandelt worden sind. Es sind wichtige neue Fragen, beispielsweise zum Sterben, aufgeworfen worden. Ich hoffe, dass die Enquete-Kommission diese Fragen aufgreift. Ich hoffe auch sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen - das geht an diejenigen, die Mitglied der Enquete-Kommission sein werden -, dass diese Enquete-Kommission in der Lage sein wird, jenseits von Vorfestlegungen unvoreingenommen an ihre Aufgaben heranzugehen.

   Ich freue mich auf spannende Diskussionen zur Forschungspolitik zwischen Ihnen und mit Ihnen.

   Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/464 mit dem Titel: „Einsetzung einer Enquete-Kommission ‚Ethik und Recht der modernen Medizin‘“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Damit ist die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ eingesetzt.

   Ich darf hinzufügen, dass die von den Fraktionen zu benennenden Mitglieder die guten Wünsche des ganzen Hauses bei der Erledigung dieser ebenso wichtigen wie schwierigen Aufgabe begleiten.

(Beifall bei allen Fraktionen)

   Wir stimmen nun ab über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/463 mit dem Titel: „Neue Initiative für ein internationales Verbot des Klonens menschlicher Embryonen starten“.

Dazu liegen mir drei Erklärungen zur Abstimmung vor, die jeweils von mehreren Abgeordneten unterschrieben sind.

   Es gibt eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Rolf Stöckel, Kurt Bodewig, Siegmund Ehrmann und anderer - ich muss die Namen nicht im Einzelnen verlesen; das wird ja im Protokoll festgehalten -, mit der diese Kollegen begründen, warum sie dem Antrag nicht zustimmen können.

   Es gibt eine weitere Erklärung zur Abstimmung der Kollegen Petra Selg, Werner Schulz, Dr. Uschi Eid und Jerzy Montag, die diesem Antrag zwar zustimmen wollen, für ihr Abstimmungsverhalten aber eine persönliche Erklärung abgeben möchten.

   Drittens schließlich gibt es eine Erklärung zur Abstimmung der Kollegen Dr. Martin Mayer, Georg Fahrenschon, Peter Hintze und Ursula Heinen, die diesem Antrag nicht zustimmen wollen.

   Ich stelle nun den Antrag auf Drucksache 15/463 zur Abstimmung. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit den Stimmen der großen Mehrheit der Mitglieder der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei einigen Enthaltungen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] (SPD): Und Gegenstimmen aus der SPD!)

- Es gab einige Gegenstimmen bei der SPD-Fraktion.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Zahlreiche, Herr Präsident! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Fast die Mehrheit!)

- Davon kann sicher keine Rede sein, Herr Kollege. Über das Mehrheitsverhältnis gibt es ganz offenkundig keine Meinungsverschiedenheit.

   Damit ist dieser Antrag angenommen.

   Wir kommen zum Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/314 mit dem Titel „Reproduktives Klonen weltweit verbieten - das Machbare schnell umsetzen“. Abweichend von der Tagesordnung soll über den Antrag heute abgestimmt werden. Wer stimmt für diesen Antrag der FDP-Fraktion? - Wer stimmt gegen den Antrag? - Wer enthält sich der Stimme? - Dieser Antrag ist mit der großen Mehrheit der Stimmen aus allen anderen Fraktionen bei einigen Enthaltungen sowohl aus der SPD-Fraktion als auch aus der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.

   Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:

4. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Strassenbaubericht 2002

- Drucksache 15/265 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2002

- Drucksache 15/280 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Daniel Bahr (Münster), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes

- Drucksache 15/221 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes

- Drucksache 15/461 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Bundesminister Manfred Stolpe.

Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:

   Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegen Berichte zum Straßenbau und zum Ausbau der Schienenwege im Jahr 2001 vor. Das sind zwei Dokumente, die in die Hand zu nehmen sich lohnt. Sie alle sind nämlich irgendwo davon betroffen und, wie ich hoffe, damit auch weithin zufrieden.

   Wir haben die gute Erfahrung gemacht, dass dieses Parlament für dieses Jahr 8,5 Milliarden Euro für die Ausbaumaßnahmen bei Straße und Schiene bereitgestellt hat. Wir haben dankbar erleben können, dass Planungsbehörden der Länder und des Bundes in enger, intensiver Zusammenarbeit dazu beigetragen haben, dass die zum Teil schwierigen Projekte bewegt werden konnten. Wir haben erlebt, dass Projektanten, Architekten, Ingenieure, leistungsstarke Unternehmen und nicht zuletzt Tausende von Fachleuten dazu beigetragen haben, dass sich die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ein Stück weit verbessern konnte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, diese Maßnahmen halfen dabei, Staus abzubauen; so wurden - das brauchen wir dringend - Brücken über Rhein und Main gebaut. Die A 2 von Hannover bis Berlin ist fertig geworden. Vom Kamener Kreuz wurde die A 1 in Richtung Wuppertal weiter ausgebaut. Nicht zuletzt ist auch der Bau der Bahnstrecke von Köln in die Region Rhein-Main schon in jenem Jahr erheblich vorangekommen. Ähnliches gilt für Strecken in Bayern, so von Nürnberg über Ingolstadt nach München. Dabei sind aber auch Verkehrsbauten, die benachteiligte Regionen besser an das Wirtschaftsleben in Deutschland insgesamt anbinden; hier ist speziell im Schienenbereich eine Menge im Osten Deutschlands getan worden. Auch der Bau der A 20 ist in jenem Jahr, aber auch im letzten Jahr erheblich vorangetrieben worden. Hier ist viel bewegt worden; sie wird insgesamt eine große Bedeutung gewinnen.

   Lassen Sie mich bei einer solchen Gelegenheit auch sagen: Da wurden Verkehrsbauten errichtet, die Architektur- und Ingenieurgeschichte schreiben und auf die wir stolz sein können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann nur raten, sich gewisse Brückenbauten einmal in Ruhe anzusehen, zum Beispiel die, die in Thüringen errichtet wurden. Darauf können wir durchaus mit Freude schauen.

   Aber nicht nur das schnellere Vorankommen des Einzelnen im Verkehrsgetriebe, auf das wir stolz sind und worüber wir uns freuen, ist die Aufgabe von mobilitätsverbessernden Maßnahmen und Verkehrsbauten. Nein, Mobilität ist mehr: Mobilität ermöglicht modernes Leben. Mobilität ermöglicht Produktivitätssteigerung. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass ungefähr die Hälfte der gesamten Produktivitätsleistung in Deutschland abhängig von den Verkehrsleistungen des Systems ist. Nicht zuletzt schafft Mobilität auch Arbeit. Mehr als 10 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland sind unmittelbar mit dem Erbringen von Verkehrsleistungen verbunden; indirekt hängen davon weitaus mehr ab.

(Renate Blank (CDU/CSU): Sehr gut, dass das einmal erkannt wird!)

   Ich möchte dafür werben, dass Verkehrsinfrastruktur eine Vorrangaufgabe bleibt. Zu dem jetzigen Verkehrsvolumen, das auf dem derzeitigen Netz zu bewältigen ist, kommt noch der zu erwartende Anstieg des Verkehrsaufkommens. Wir können auch bei behutsamen Schätzungen davon ausgehen, dass etwa 20 Prozent mehr Personenverkehr und rund 65 Prozent mehr Güterverkehr bewältigt werden müssen. Die Erweiterung der Europäischen Union wird den Druck auf das Transitland Deutschland, das es aufgrund seiner zentraleuropäischen geographischen Lage ist, noch vergrößern. Hier sind wir gefordert und hier müssen wir uns noch ganz erheblich mehr Mühe geben, um diese große Aufgabe zu bewältigen. Wenn wir nicht versuchen, das stärker zu beeinflussen, wird der Zuwachs allein auf den Straßen stattfinden und wir werden massive Belastungen von Autobahnen und anderen Straßen erleben und wichtige Bereiche - das sind in der Regel die Wachstumsbereiche - werden im Verkehr ersticken, wenn wir nicht dagegen angehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich sehe es als allererste Aufgabe für Verkehrspolitik in Deutschland an, ein integriertes, leistungsfähiges, ökologisch verantwortbares Verkehrssystem zu schaffen. Nach meiner Überzeugung müssen wir dafür unsere Bemühungen um den kombinierten Verkehr vergrößern. Das heißt, stärker die Leistungspotenziale von Straße, Schiene sowie Binnen- und Hochseeschifffahrt zu verbinden. Wir brauchen insbesondere in den Häfen Terminals, die die Verbindungen zwischen Hochseeverkehr und Kurzstreckenverkehr sicherstellen. Wir brauchen aber auch Strategien, um den kombinierten Verkehr zu fördern. Wir müssen ihn gezielt unterstützen. Ich freue mich, dass wir in der Zwischenzeit auch schon mehrere Trimodal Terminals haben, die die Verbindung von Wasserstraßen, Schienenwegen und Straßen ermöglichen. Auch da wird noch mehr geschehen können.

   Nicht zufrieden - das will ich Ihnen offen sagen - bin ich mit der Situation der „rollenden Landstraße“. Da könnte eigentlich noch mehr geschehen. Dem steht aber offenbar die Marktsituation entgegen. Hier für ein Umschwenken zu sorgen ist eine Aufgabe, der wir uns stärker stellen müssen; immer vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Bahn auf dem Schienenweg noch mehr zur Bewältigung der riesigen Güterverkehrsströme, die auf uns zukommen, beitragen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, die Verkehrspolitik in Deutschland muss weiterhin Schwerpunkte setzen. Ganz vorne sehe ich die Notwendigkeit der Staubeseitigung. Das betrifft Wachstumsregionen. Darauf werden wir uns noch stärker zu konzentrieren haben.

   Ich sehe zum Zweiten die Notwendigkeit, dass wir uns auf den noch immer vorhandenen Nachholbedarf konzentrieren. Das betrifft zum einen Strecken im Osten, die geschaffen werden müssen, die Autobahnen A 14 und A 72, zum anderen aber auch die zwingend erforderliche Schließung von Lücken etwa bei der A 1 oder auch bei der A 31, wo wir in bestimmten Regionen unerträgliche Situationen haben.

   Wir haben drittens im Berichtsjahr 2001 70 Ortsumgehungen fertigstellen können. Nach meiner Schätzung und nach Auskunft der Experten brauchen wir in Deutschland noch rund 300 Ortsumgehungen, die wir vordringlich angehen sollten.

   Wir müssen - das darf ich als vierten Schwerpunkt unserer Verkehrspolitik einbringen - die technischen Errungenschaften, die wir haben, die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie stärker nutzen und stärker erschließen,

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Sehr wahr!)

um über Telematik,

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Keine Autobahn ohne Telematik!)

über Verkehrssteuerung eine bessere Verteilung des Verkehrsaufkommens zu erreichen.

   In diese Überlegung, moderne Technologie für die Bewältigung des Verkehrsaufkommens zu erschließen, gehört für mich auch die Notwendigkeit, die Bemühungen um eine Magnetbahntechnik zu verstärken und vonseiten des Bundes zu unterstützen. Wir müssen auch Zukunftswege erschließen. Wir dürfen nicht nur in Zeiträumen von wenigen Jahren denken, sondern müssen gerade in diesem Bereich weit über Legislaturperioden hinausdenken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

   Auch der Umweltschutz muss bei unserer Verkehrspolitik ein strategisches Ziel sein. Wir müssen uns weiterhin um alternative Antriebe bemühen. Wir müssen aber auch die Maßnahmen des Lärmschutzes verstärken, nicht nur bei Neubauvorhaben, sondern auch beim Bestand, sowohl bei der Schiene als auch bei der Straße. Das sollte ebenfalls ein Schwerpunkt unserer Bemühungen sein.

   Lassen Sie mich als einen weiteren Punkt nennen, dass die Fragen der Sicherheit im Verkehr weiterhin große Bedeutung haben müssen. Aufgrund der internationalen Katastrophen, die in diesem Bereich eingetreten sind, haben wir unlängst die Bemühungen um die Tunnelsicherheit verstärkt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nicht zuletzt werden wir auch alles tun müssen, um Verfahrensbeschleunigungen zu erreichen.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Das nützt natürlich nichts, wenn das Geld nicht da ist!)

Ich kann hier nur noch einmal von den guten Erfahrungen berichten, die wir mit dem Bundesverkehrswegeplanungsbeschleunigungsrecht in Ostdeutschland gemacht haben. Wir werden den Bericht zum Jahresende 2003 vorlegen. Ich freue mich auf die Diskussion, die wir dann alle miteinander haben werden, auch vor dem Hintergrund von Anträgen, die ich heute gelesen haben.

   Meine Damen und Herren, alles in allem sind das gewaltige Aufgaben, die angegangen werden müssen. Wir sehen zugleich, dass das, was wir für Verkehrsinfrastruktur an Geld zur Verfügung stellen - im Jahr 2003 werden das 11,5 Milliarden Euro sein -, nicht ausreichen wird, um die Aufgaben zu bewältigen. Wir brauchen zusätzliche Finanzierungswege. Wir brauchen die Maut. Bitte unterstützen Sie uns, damit wir die Maut rechtzeitig einführen können. Wir brauchen Betreibermodelle, wie sie schon angedacht sind, wie wir sie zum Beispiel beim Warnowtunnel oder auch beim Wesertunnel haben werden.

   Wir sollten auch miteinander darüber nachdenken, welche weiteren Möglichkeiten privater Beteiligung an Verkehrsbauten erschlossen werden können. Denn wir stehen in einem Wettlauf: Auf der einen Seite steht der Aufwuchs des Verkehrsaufkommens, bei dem schon jetzt messbar ist, was auf uns zukommen wird; auf der anderen Seite stehen die Verbesserungen der Infrastruktur. Nach meiner Überzeugung müsste unser gemeinsames Ziel sein, diesen Wettlauf zu gewinnen, um nicht im Stau zu ersticken.

(Beifall bei der SPD)

   Wir haben für den künftigen Bundesverkehrswegeplan bereits jetzt 1 800 Anmeldungen. Wir wollen einen Bundesverkehrswegeplan entwickeln, der bis 2015 gilt. Den Entwurf dazu wollen wir im ersten Halbjahr erstellen.

Ich hoffe, dass er rechtzeitig fertig wird und dann diskutiert werden kann. Dazu werden wir mit Ihnen und gerade mit denen, die regionale Erfahrungen mitbringen, das Gespräch führen. Außerdem werden wir mit den Ländern in sehr engem Kontakt stehen.

   Wir werden allerdings - das zeigt schon die Zahl 1 800 - um eine Prioritätensetzung nicht herumkommen. Das bedeutet, dass wir die Kosten-Nutzen-Frage und die Raumentwicklungsmöglichkeiten, die sich durch die Verkehrsbauten ergeben, prüfen müssen. Das bedeutet nicht zuletzt, dass wir Fragen der Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen haben. Diese drei Kriterien wollen wir mit Ihnen diskutieren. Ich hoffe sehr, dass wir vor dem Sommer einvernehmlich einen Bundesverkehrswegeplan aufstellen können.

   Intensive Gespräche sind nötig. Ich bin bereit, sie zu führen, und bitte Sie alle, dass wir diese große Aufgabe in Bezug auf Mobilität und Zukunftsentwicklung gemeinsam bewältigen.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, nach Ihrer Rede muss ich feststellen, dass sie eine Konsequenz der Politik der Bundesregierung ist: Sie sprechen davon, dass Sie eigentlich etwas tun müssen und tun sollen. Aber Sie sagen nie konkret, wann Sie etwas tun wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wenn Sie schon einen Termin nennen, Herr Minister, dann ist dies immer mit dem Hinweis verbunden, dass Sie schon wieder etwas verschoben haben. Der Bundesverkehrswegeplan ist überfällig; er sollte schon längst vorliegen. Ein entsprechender Kabinettsbeschluss sollte in diesem Monat erfolgen; das ist nicht geschehen. Jetzt setzen Sie wieder ein späteres Datum. Herr Bundesverkehrsminister, das macht deutlich: Es gibt viele schöne Sprüche, aber bei der Umsetzung gibt es ein Manko nach dem anderen.

   Herr Minister, Ihre Darstellung war beschönigend. Sie haben nicht deutlich gemacht, vor welchen Engpässen wir stehen. Die Zahl der Staus hat zugenommen; die Zahl der Verspätungen bei der Bahn nimmt ebenfalls zu. Insgesamt ist festzuhalten - Sie können das jetzt als kleinlich abtun -, dass die Verspätungen bei der Bahn zu immer mehr Verärgerung bei den Menschen führen, die morgens 20, 30 Minuten bis zu einer Stunde warten müssen. Diese Menschen erhalten keine Antwort auf ihre Klagen und können Ihren Äußerungen auch nicht entnehmen, wann es zu Verbesserungen kommen wird. Das sind die Punkte, an denen Sie konkret ansetzen müssen. „Sollen“ und „wollen“ reichen nicht aus, sondern Sie müssen ganz konkret etwas tun.

   Ich vermisse ebenfalls ein wesentlich konkreteres Vorgehen und Vordenken im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen, dass wir gewaltige zusätzliche Verkehrsströme zu erwarten haben. Herr Minister, um diese Verkehrsströme aufzufangen, müssen die Planungen jetzt erfolgen und die Umsetzungsmaßnahmen eingeleitet werden. Bei der Schnelligkeit der Osterweiterung bestünde ansonsten die Gefahr, mit diesen Maßnahmen völlig in Verzug zu geraten. Eine Antwort darauf habe ich Ihrer Rede nicht entnehmen können. Sie haben lediglich mit einem Satz auf die EU-Osterweiterung hingewiesen. Aber es fehlen Angaben, wie wir die Probleme in diesem Zusammenhang bewältigen können, welche Projekte es gibt und wie sie in den Verkehrswegeplan eingebunden werden. Deshalb müssen Sie Ihre Position in der Zukunft deutlicher machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie haben von der LKW-Maut gesprochen. Herr Minister, Sie haben in diesem Punkt völlig Recht. Wir werden Sie darin unterstützen. Aber ich sage Ihnen auch ganz offen: Wir werden Ihren Ansatz, wie er sich jetzt darstellt, nicht unterstützen. Sie selbst haben von mehr Mitteln gesprochen, die wir dringend brauchen, um Straße und Schiene zu bauen. Wenn aber über die Maut in erster Linie der Haushalt von Herrn Eichel finanziert wird, die Einnahmen aber nicht für Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt werden, dann ist das, was Sie sagen, beschönigend und entspricht nicht der Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir fordern, dass die Mittel, die über die Maut eingenommen werden, nicht in den Haushalt eingestellt werden, sondern dass sie in vollem Umfang für Verkehrsprojekte zur Verfügung stehen. Dabei müssen wir auch den Sachverhalt berücksichtigen, dass wir für das deutsche Güterverkehrsgewerbe in Bezug auf die Harmonisierung eine Verdoppelung der Mittel brauchen. Ich gehe davon aus, dass auch Sie, Herr Minister, das Güterverkehrsgewerbe in der Bundesrepublik Deutschland halten und nicht zum Abzug zwingen wollen. Wenn wir keine Harmonisierung durchführen, werden die Belastungen für das mittelständische Güterverkehrsgewerbe in Deutschland unerträglich.

   Falls Sie entgegnen sollten: „Diese Belastungen entstehen in gleicher Weise für das Gewerbe in anderen Ländern“, dann antworte ich Ihnen darauf: Derjenige, dem das Wasser bis zur Oberlippe steht, wird bei einer weiteren Erhöhung der Belastung absaufen und diejenigen, denen das Wasser nur bis zur Brust steht, können weiter konkurrieren. Das kann nicht sein. Ich meine deshalb, dass die Einnahmen aus der Erhebung der Maut - es gibt ja Hinweise, dass mit wesentlich höheren Einnahmen gerechnet wird; ich möchte Sie bitten, das gelegentlich klarzustellen - voll in die Verkehrsinfrastruktur, in erster Linie in den Bereich der Straße, zu investieren sind. Dabei sollte es keine Quersubventionierung geben, wie sie sich immer wieder abzeichnet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich bin auf der einen Seite selbstverständlich der Meinung, den Umweltschutz in diesem Zusammenhang zu integrieren. Herr Minister, auch hier werden Sie uns an Ihrer Seite haben; das ist überhaupt keine Frage. Wir brauchen aber auf der anderen Seite eine weitere Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dies muss einhergehen mit der Sicherung der Finanzierung. Denn nur eine Verfahrensbeschleunigung vorzusehen, wenn wir hinterher nicht auch Straßen bauen, tut es nicht. Diese Beschleunigung ist dringend erforderlich. Aus Gründen der EU-Osterweiterung sollten wir auch überlegen, wie wir eine solche Beschleunigung effizient auf den Gesamtbereich der Bundesrepublik erstrecken können. Es muss darüber nachgedacht werden, wie wir dies ermöglichen, ohne dass wir uns im gerichtlich-bürokratischen Gestrüpp der Bundesrepublik Deutschland verlieren. Die Rahmenbedingungen müssen also geklärt und insgesamt muss hier etwas getan werden.

   Herr Minister, lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Wir brauchen ein konkretes Gesamtverkehrskonzept; dies erwarten wir von Ihnen. Wir erwarten von Ihnen die umgehende Vorlage des Bundesverkehrswegeplans und ein Konzept zur EU-Osterweiterung - und dies nicht erst in zwei Jahren, wenn die EU-Osterweiterung erfolgt ist, sondern zu einem früheren Zeitpunkt, sodass wir uns rechtzeitig darauf vorbereiten können.

   Herr Minister, wir wollen auch - das habe ich bislang nicht angesprochen -, dass Sie als Anteilseigner der Bahn Ihre Verantwortung wahrnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann die Ankündigungen, dass der Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden soll, nicht mehr hören. Die Bahn zieht sich immer mehr aus der Fläche zurück und schließt Annahmestellen für den Güterkraftverkehr, spricht aber weiterhin davon, dass alles beim Alten bleiben soll. Wenn sie sich schon zurückzieht, dann sollten Sie zumindest daran mitarbeiten, dass die Wettbewerber die Strecken, aus denen sich die Bahn zurückzieht, betreiben können und hier keine Blockade erfolgt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dies sollten Sie tun, damit wirklich Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden kann. So wie es jetzt angelegt ist, läuft es nicht.

   Ihr Vorgänger, Minister Bodewig, war nicht in der Lage, sich in dieser Frage gegen Herrn Mehdorn durchzusetzen. Diese Bewährungsprobe müssen Sie, Herr Minister, noch bestehen. Ich hoffe, dass Sie dabei Erfolg haben und Sie sich nicht so überrumpeln lassen wie Ihr Vorgänger. Das würde nämlich nicht den Erhalt der Bahn in der Fläche bedeuten und würde nicht zu der Verkehrsverlagerung führen, wie wir alle sie uns vorstellen. Also, mehr Wettbewerb auf der Schiene! Ich erwarte, dass Sie auch dazu ein klares Wort sagen.

   Dass wir Straßenlücken schließen müssen und dafür sorgen müssen, dass insbesondere auf den Autobahnen im Ost-West-Bereich der Verkehr flüssig läuft, darin unterstützen wir Sie. Wir unterstützen Sie auch darin, dass der Infrastrukturausbau in den neuen Bundesländern schnell und zügig erfolgt. Er ist eine Voraussetzung dafür, die schwierige Situation in den neuen Bundesländern besser bewältigen zu können. Ich meine, das sollten wir durch konkrete Taten untermauern.

   Noch einmal: Die Mittel, die aus dem Bereich der Straße im Rahmen der Maut aufgebracht werden, sollten schlussendlich auch für diesen Bereich verwendet werden. Das deutsche Mautsystem muss kompatibel sein mit dem, was auf EU-Ebene geplant wird. Wir brauchen im Zuge der EU-Osterweiterung - ich sage es einmal so - Verkehrsprojekte „Europäische Einigung“. Darauf sollten wir uns gemeinschaftlich verständigen, damit es hier schneller vorangeht als bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“, die es früher einmal gab bzw. jetzt noch gibt. Das sind sinnvolle Instrumente, um die Situation in unserem Lande besser zu bewältigen.

   Dies sind Ihre Aufgaben. Ich wäre dankbar, wenn Sie dazu gelegentlich etwas sagen würden. Wenn es um die Umsetzung geht, finden Sie uns an Ihrer Seite. Aber Sie sollten umsetzen und nicht nur ankündigen!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Nun hat das Wort der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade einmal ein Monat vergangen, seitdem wir den Straßenbaubericht 2001 in diesem Hause diskutiert haben. Insofern war ich als Neuling überrascht, als ich den Straßenbaubericht 2002 bereits in dieser Woche auf der Tagesordnung vorfand. Er wurde am 16. Dezember dem Deutschen Bundestag zugeleitet, also deutlich früher als die bisherigen Straßenbauberichte. Da ich der Berichtszeitraum, zum Teil jedenfalls, bis zum 31. Juli des Vorjahres erstreckt, ist es wichtig, diesen Bericht zeitnah zu betrachten und zu diskutieren. Daher möchte an dieser Stelle den Zuständigen im Bundesverkehrsministerium ausdrücklich für die schnelle Erstellung und Zuleitung danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Berichtsjahr 2001 hat sich die Gesamtfahrleistung um 0,4 Prozent leicht verringert. Damit wird ein Trend bestätigt, der sich bereits im letzten Straßenbaubericht angedeutet hatte: Die Verkehrsleistung auf Deutschlands Straßen sinkt bzw. stagniert und widerlegt damit die bisherigen Prognosen eines stetigen Verkehrswachstums.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Aber nur auf den Bundesstraßen, Herr Kollege!)

- Diese Zahlen können wir uns näher angucken. Dazu kommen wir heute gar nicht.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Darüber brauchen wir nicht zu streiten! Die Zahlen stehen im Bericht!)

   Auch wenn manche in diesem Haus es nicht gern hören: Die seit 1998 vorgenommenen Veränderungen der verkehrspolitischen Rahmenbedingungen - dazu gehört auch die Ökosteuer - zeigen Wirkung. Diese Zahlen belegen, dass die rot-grüne Koalition hinsichtlich der Ziele der Verkehrsvermeidung und der Verkehrsverlagerung den richtigen Weg eingeschlagen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zu einer vorausschauenden und umweltverträglichen Verkehrspolitik gehören nicht nur Erneuerungen, Modernisierungen und Bestandserhaltung, sondern auch der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den Schattenseiten des Verkehrs, zum Beispiel Abgasemissionen und Lärm. Dafür wird sich die rot-grüne Koalition auch in Zukunft einsetzen.

   Allein im Berichtsjahr 2001 wurden für Umwelt- und Lärmschutzmaßnahmen 122 Millionen Euro aufgewendet. Nicht zu vergessen sind die Aufwendungen für Landschafts- und Biotoppflege und für Naturschutzmaßnahmen im Rahmen von Straßenbaumaßnahmen in einer Größenordnung von rund 200 Millionen Euro.

   Der Bau von Ortsumgehungen - der Minister hat eben gesagt, dass im letzten Berichtsjahr 70 Ortsumgehungen für insgesamt 480 Millionen Euro gebaut wurden - dient in vielen Fällen der Entlastung von Ortskernen und damit natürlich auch der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger.

   Für die Beseitigung von Bahnübergängen und damit für eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit und des Verkehrsablaufs wurden insgesamt rund 90 Millionen Euro aufgewendet. Und last but not least: Im Radwegebau an Bundesstraßen konnten im Berichtsjahr weitere 360 Kilometer fertig gestellt werden.

   Bevor ich zu den Anträgen zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz komme, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch kurz auf die Situation im Bereich der Unterhaltsmaßnahmen für Fahrbahnbefestigungen und Ingenieurbauwerke lenken. Insbesondere der Zustand der Brückenbauwerke sollte uns allen Anlass zur Beunruhigung geben; denn für zwei Drittel der Brücken stehen kurz- und mittelfristig Instandsetzungsmaßnahmen an. Die Hochrechnungen haben sich gegenüber dem letzten Straßenbaubericht nochmals deutlich verschlechtert. Nur noch 30 Prozent unserer Brücken befinden sich in einem guten bzw. sehr guten Zustand.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): So ist es!)

   Auch der aktuelle Gebrauchswert der Bundesstraßen macht deutlich, dass uns in Zukunft und über einen längeren Zeitraum erhebliche Aufwendungen ins Haus stehen werden. Dieser Tatsache werden wir auch im neuen Bundesverkehrswegeplan Tribut zollen; denn schließlich steht der Bestandserhalt an erster Stelle und die zur Verfügung stehenden Mittel sind nun einmal beschränkt. Wir werden nur die Projekte in den Bundesverkehrswegeplan aufnehmen können, die wir letztendlich auch solide finanzieren können. Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Mit dem aktuellen Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, welches zum 31. Dezember 2004 ausläuft, sollten in den neuen Bundesländern durch strenge Fristsetzungen für Behörden, vereinfachte Enteignungsverfahren und Einschränkungen des Rechtsweges zügige Planungsverfahren ermöglicht werden, um den Rückstand bei Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen aufzuholen. Die FDP-Fraktion hat am 18. Dezember 2002 den Entwurf eines Gesetzes eingereicht, mit dem die Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2010 verlängert werden soll. Darüber hinaus sollen die Vorschriften auch in den alten Bundesländern erprobt werden. Die CDU/CSU wollte dem nicht nachstehen und hat zum 18. Februar dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sogar eine Verlängerung bis zum Jahr 2019 vorsieht.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, das würde bedeuten, dass noch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Ausnahmeregelung die Regel ist und damit insbesondere die Bürgerrechte bei der Überprüfung von Planungsbeschlüssen in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. Dem können und werden wir so nicht zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bereits jetzt beschwert sich das Bundesverwaltungsgericht offen darüber, dass es als einzige Instanz mit der Überprüfung von Planungsbeschlüssen beschäftigt wird und dementsprechend überlastet ist.

   Wenn ich mir die Fakten anschaue, dann frage ich mich, welche Infrastrukturprojekte wir eigentlich noch beschleunigen wollen. Der Stand bei der Realisierung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ ist bereits so hoch, dass aus meiner Sicht eine Planungsbeschleunigung nicht mehr notwendig ist. Auch die wenigen großen Projekte, die möglicherweise im neuen Bundesverkehrswegeplan stehen werden, rechtfertigen eine derart lange Ausnahmeregelung nicht.

   Bei den meisten neuen Projekten, die vermutlich in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden, handelt es sich um Ortsumfahrungen. Dabei können, weil eine Verkehrsverlagerung stattfindet, Konflikte mit Bürgerinnen und Bürgern auftreten. Wenn Sie der Meinung sind, dass solche kleineren Maßnahmen eine Fristverlängerung im Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz rechtfertigen, dann müssen Sie mich davon erst überzeugen. Ich sehe allerdings nicht, dass Ihnen das gelingen könnte.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Offenbar haben Sie den Straßenbaubericht nicht gelesen, Herr Kollege!)

- Herr Friedrich, Sie müssen noch erhebliche Überzeugungsarbeit leisten.

   Wenn es um die strengen Fristsetzungen für Behörden geht, dann haben Sie mich auf Ihrer Seite. Aber dafür brauchen wir dieses Gesetz nicht. Ich will ein positives Beispiel aus der Vergangenheit nennen: Die Landesbauordnungen haben in den letzten zehn Jahren zu einer erheblichen Beschleunigung bei der Erteilung von Baugenehmigungen geführt. In meiner Heimatstadt Oschatz in Sachsen werden Baugenehmigungen innerhalb von sechs bis acht Wochen erteilt.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Für ein Wohnhaus!)

- Das gilt auch für andere Bereiche. Sie können gerne einmal zu uns kommen. Ich stelle Ihnen dann unseren Bürgermeister vor. Sie können sich das dann ansehen.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Sie können auch zu mir kommen! Das geht in drei Wochen!)

- Herr Friedrich, ich werde Sie gerne auf den neuesten Sachstand bringen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Meine Herren, die Vorstellung der Bürgermeister erfolgt aber bitte außerhalb dieser Debatte. Herr Hettlich, achten Sie bitte auf die verbleibende Zeit.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Ich komme zum Schluss.

   Die CDU/CSU-Fraktion hat die Vereinfachung von Enteignungen thematisiert. In diesem Bereich sehe ich keinen Handlungsbedarf mehr. Die meisten Eigentumsverhältnisse sind geklärt. Die geringe Zahl der Fälle, die noch nicht geklärt sind, rechtfertigt keine Verlängerung der Geltungsdauer bis zum Jahr 2019. Aus diesem Grund können und werden wir Ihren Gesetzentwürfen nicht zustimmen.

   Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Das Wort hat nun der Kollege Horst Friedrich, FDP-Fraktion.

Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, Sie haben in zugegebenermaßen sehr schönen Bildern den Straßenbaubericht und den Schienenwegeausbaubericht erläutert. Aber immer dann, wenn es spannend wurde, nämlich dann, wenn Sie hätten konkret werden müssen, haben Sie geschwiegen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   In Ihrem Bericht haben Sie heute dargestellt - das war der eigentliche Punkt -, dass Kombiverkehr die Lösung des Problems beim Güterverkehr sei. Und tatsächlich, in Ihrem Bericht ist zu lesen, dass im Kombiverkehr im Jahr 2001 36,3 Millionen Tonnen Güter befördert worden sind. Im Verhältnis zu der Gesamtgütermenge von 4 Milliarden Tonnen, die in Deutschland befördert wird, ist diese Menge allerdings zu vernachlässigen. Das heißt nicht, dass man den Kombiverkehr abschaffen sollte. Aber setzen Sie endlich auf das richtige Pferd und reden Sie nicht nur über Randerscheinungen, die das Problem angeblich lösen können!

   Sie drücken sich vor der Beantwortung der wirklich entscheidenden Fragen, nämlich wie die von Ihnen prognostizierten 64 Prozent Zuwachs im Güterverkehr tatsächlich bewältigt werden können, und das gerade vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung. Sie und Ihre Fraktionen haben unsere Anträge auf besondere Finanzierung und Planung hinsichtlich der Osterweiterung immer abgelehnt. Ich frage mich, wie Sie bis Mai 2004, wenn die EU-Osterweiterung ansteht, Antworten auf die Fragen bei der Infrastruktur geben wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Renate Blank (CDU/CSU): Darauf gibt es keine Antworten!)

   In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant, zu erfahren, wie Sie sich beim Finanzminister durchsetzen wollen, der vor dem Hintergrund der Beschlüsse von Rot-Grün die Belastungen für Autofahrer seit 1. April 1999 in Deutschland gewaltig angehoben hat. Die Investitionsquote, also das, was in die Straße zurückfließt, ist dagegen bestenfalls gleich geblieben. Wenn Sie die Investitionsquote um den Prozentsatz anheben würden, um den Sie die Belastung für den Autofahrer gesteigert haben, hätten wir ein paar Probleme weniger. Herr Minister, auch dazu sind Sie, zumindest bis jetzt, die Antwort schuldig geblieben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Kollege Hettlich, den wesentlichen Punkt im Straßenbaubericht haben Sie nicht dargestellt, nämlich dass die Fahrleistungen auf der Autobahn nicht abgenommen, sondern zugenommen haben. Die Regierung hat festgestellt - das ist bemerkenswert -, dass durch die überdurchschnittliche Auslastung der Fahrzeuge im Fernverkehr die Anteile der Verkehrsleistungen auf den Bundesfernstraßen deutlich über denen der Fahrleistungen liegen. Das steht aber genau im Gegensatz zu dem Argument, warum Sie die Maut einführen wollen. Sie sagen doch, dass die Maut dazu dient, die Leerfahrten auf Autobahnen zu reduzieren. Was denn nun? Entweder sind auf den Autobahnen die Güterleistung und die Auslastung der LKW überproportional gestiegen - das ist Ihre Aussage - oder es stimmt Ihr Argument für die Einführung der Maut. Irgendetwas ist hier nicht schlüssig.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen wäre es ganz interessant, Sie dazu zu hören.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Das müssen wir aufklären!)

   Noch etwas wurde im Straßenbaubericht festgestellt: Die Mittel, die für den Bereich der Straße zur Verfügung gestellt wurden, wurden auch tatsächlich ausgegeben. Das ist ein Unterschied zum Schienenwegeausbaubericht. Dort wurde sinnigerweise nicht der Vergleich zwischen den zur Verfügung gestellten Mitteln und den ausgegebenen Mitteln gezogen. Es wurde nur aufgeführt, was ausgegeben worden ist.

(Renate Blank (CDU/CSU): Viel zu wenig!)

   Im Bereich der Schiene ist man seit 2000 - das setzt sich also fort - offensichtlich nicht in der Lage, die für Investitionen zur Verfügung gestellten Mittel auch tatsächlich abzurufen. Vielleicht wäre es interessant, im nächsten Ausbaubericht für Schienenwege einen reellen Soll-Ist-Vergleich anzustellen. In ihm muss stehen, welche Investitionen tatsächlich getätigt wurden. Es geht nicht um die Mittel, die als Sonderleistungen vorher schon weggenommen wurden, sodass die Bahn mit kleineren Zahlen arbeiten konnte. Es wäre schon interessant, zu erfahren, wie das funktioniert.

   Es ist auch hochinteressant, dass Sie sagen, dass die Schiene gestärkt werden muss. Gleichzeitig höre ich nämlich, dass bezüglich der so bedeutsamen Schienenstrecke München-Mühldorf-Freilassing erklärt wird, dass es im Jahre 2001 keine Bauleistungen gegeben hat. Wenn die Schienenwege wirklich zur Ertüchtigung der Transitstrecken dienen sollen, muss man auch einmal über diese Schienenstrecke nachdenken. Sie befindet sich seit Jahrzehnten im Ausbau, aber für das Jahr 2001 wurde für diese Strecke kein Euro angesetzt.

   Herr Minister, viel interessanter sind allerdings Ihre Haltung und Ihre Aussagen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Wenn ich alles richtig verstanden habe, haben Sie in Ihrer Regierungserklärung an dieser Stelle erklärt, dass es durchaus angebracht wäre, die positiven Erfahrungen mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, die in den neuen Ländern gemacht worden sind, auf die alten Länder zu übertragen. Ich habe Ihnen damals schon gesagt, dass Sie das gerne tun können. Einen entsprechenden Gesetzentwurf gab es bereits in der letzten Legislaturperiode. Sie haben das in einem Interview in der „Berliner Zeitung“ am 1. Februar nochmals bekräftigt und das bis heute nicht zurückgenommen.

   Heute blieben Sie wiederum sehr nebulös; denn genau ein solcher Antrag liegt Ihnen nun vor. Die FDP hat einen Antrag vorgelegt, wonach die Geltungsdauer des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2010 verlängert und gleichzeitig der Geltungsbereich auf die alten Bundesländer ausgedehnt werden soll.

(Zuruf von der FDP: Das ist auch vernünftig!)

Das ginge relativ einfach. In der Überschrift über das Gesamtgesetz müsste man nur die Wörter „in den neuen Ländern sowie im Land Berlin“ streichen und in § 1 die Geltungsdauer verlängern. Das ist alles, was Sie machen müssen. Sie müssen es nur wollen.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Das können wir heute noch tun!)

Aber nach dem, was ich höre, glaube ich, dass Sie bei Ihren eigenen Fraktionen auf Granit beißen werden.

(Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Warten wir einmal ab!)

   Wie will man denn erklären, dass die EU-Osterweiterung ein Problem ist - das haben Sie selbst festgestellt - und dass die Verkehrswege in Deutschland, insbesondere in Ost-West-Richtung, erkennbar nicht ausreichend sind, um die Verkehrsleistungen aller Verkehrsträger, also nicht nur der Straße, sondern auch der Schiene, auszugleichen, wenn man sich gleichzeitig weigert, bei den entscheidenden Punkten, nämlich dem Planungsrecht, das sich in den neuen Ländern am Anfang einem harten Widerstand von Rot-Grün ausgesetzt sah - das muss man auch einmal dokumentieren; Sie hätten das Planungsrecht der alten Bundesrepublik gerne auf die neuen Länder übertragen -, etwas zu tun?

   Wie hätten wir die deutsche Einheit infrastrukturmäßig bewältigen sollen, wenn man für große Verkehrsprojekte eine Planungs- und Realisierungszeit von im Schnitt zwischen 25 und 33 Jahren benötigt hätte, wie es im Westen vor der deutschen Einheit üblich gewesen ist? Nein, durch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, das von uns mitinitiiert wurde, haben wir es geschafft, dass in den zehn Jahren nicht nur Verkehrsmaßnahmen geplant, sondern auch Schienen und Straßen gebaut werden konnten. Mittlerweile fahren sogar schon Züge und Autos darauf.

   Das alles hätte es mit dem alten Planungsrecht in dieser Form nicht gegeben. Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie sich heute angesichts der Vorlage dieser Gesetzentwürfe nicht etwas intensiver und deutlicher zu dem Thema geäußert haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zum Gesetzentwurf der Union kann ich nur sagen: Liebe Freunde, ihr seid mal wieder auf dem halben Wege stehen geblieben;

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Das geht jetzt zu weit, Herr Friedrich! - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] (SPD): Politisches Zerwürfnis!)

denn es ist zwar sehr probat, einfach nur die Geltungsdauer zu verlängern, es löst aber keine Probleme. Hier gebe ich dem Kollegen Hettlich ausnahmsweise Recht.

(Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Du willst auch bloß bis 2010!)

   - Man kann das Sonderrecht nicht für eine Seite bis 2019 verlängern. Damals lautete die Begründung, dass es die Planungsinstitute, die Einrichtungen und vor allem die Oberverwaltungsgerichte noch nicht gegeben hat. Es ist zu einfach, das einfach fortzuschreiben. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen, dass in ganz Deutschland die Bedingungen gemäß dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gelten. Ein erster Test soll bis 2010 durchgeführt werden.

Wenn die Ergebnisse positiv sind, was ich erwarte, dann kann man es unbefristet übernehmen.

(Renate Blank (CDU/CSU): Dann fehlt allerdings das Geld!)

   Herr Minister Stolpe, wenn Sie nicht dafür sorgen, dass Rot-Grün wenigstens einen dieser Gesetzentwürfe zum Planungsrecht tatsächlich übernimmt und verabschiedet,

(Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Vielleicht dürfen wir auch etwas Eigenes machen!)

dann sind Sie in Zukunft nicht mehr nur der Minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, sondern wahrscheinlich auch der zuständige Minister für das Zünden riesengroßer Luftballons ohne Inhalt, gewissermaßen der Cargolifter der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP)

   Sie haben angekündigt, zusätzlich 1 Milliarde Euro für die neuen Ländern bereitzustellen. Dies wurde dann schamhaft auf die alten Länder ausgeweitet, ohne bisher konkret zu sagen, woher Sie das Geld nehmen wollen. Die Goldschätze der Bundesbank sind offensichtlich verschlossen. Sie kündigen ein neues und modernes Planungsrecht an - das ist zugegebenermaßen richtig -, aber haben offensichtlich nicht die Kraft, um dies tatsächlich umzusetzen. Wir werden Sie an Ihren Aussagen messen, und zwar sowohl bei der Gesetzesberatung im Ausschuss als auch bei der zweiten und dritten Lesung hier im Bundestag.

   Danke sehr.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Ich erteile dem Kollegen Sören Bartol, SPD-Fraktion, das Wort.

Sören Bartol (SPD):

   Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der heute vorliegende Bericht bestätigt, was meine Kollegin Petra Weis zum Straßenbaubericht 2001 gesagt hat: Der Bundesfernstraßenbau ist kein Stiefkind der Verkehrspolitik dieser Koalition. Die Behauptung von Herrn Lippold und der gesamten Opposition, die Bundesregierung würde den Straßenbau vernachlässigen, wird durch Wiederholung nicht richtiger.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Im Gegenteil: Wurden im Jahr 2000 für die Bundesfernstraßen noch 5 Milliarden Euro verausgabt, so waren es 2001 5,58 Milliarden Euro.

(Siegfried Scheffler (SPD): So ist es!)

Damit erreichen wir eine Rekordhöhe. Nur 1992 lagen die Mittel für den Straßenbau aufgrund von Sondermitteln für den Aufbau Ost höher, sonst immer niedriger. 70 Verkehrsfreigaben bei Ortsumgehungen, insgesamt 150 Kilometer neue und erweiterte Bundesstraßen, 78 Kilometer erweiterte Autobahnstrecken und zusätzlich 77 Kilometer an Autobahn zeigen, dass die Bundesregierung 2001 viel erreicht hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir tragen damit der Tatsache Rechnung, dass ein modernes, gut ausgebautes und leistungsfähiges Verkehrssystem Voraussetzung und Motor für Wachstum und Beschäftigung ist. Ohne Zweifel werden die Straßen und insbesondere die Bundesfernstraßen auch in Zukunft eine herausragende Rolle bei den Verkehrsleistungen spielen. Auch für 2001 bestätigt der Verkehrsbericht: Die Bedeutung der Bundesfernstraßen bleibt mit 51 Prozent der Jahresfahrleistungen hoch. Die Bedeutung der Autobahnen hat sogar weiter zugenommen. Die Autobahnen mussten 2001 56 Prozent der Autofahrten und 72 Prozent der LKW-Fahrten bewältigen. Die seit längerem beobachtete Konzentration des Straßenverkehrs auf den Autobahnen setzt sich somit ungebrochen fort.

   Die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition liegen falsch mit der Annahme, die gegenwärtigen Probleme ließen sich nur durch weiteren Straßenbau lösen. Ihre wiederholte Forderung, die Einnahmen aus der LKW-Maut in erster Linie für die Straße zu nutzen, zeigt deutlich ihre einseitige, ideologisch begründete Orientierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] (CDU/CSU): Er hat es immer noch nicht begriffen!)

   Uns stellen sich angesichts des zu erwartenden weiteren Verkehrswachstums zwei große Herausforderungen: Erstens. Wir müssen die Leistungsfähigkeit der Fernstraßen durch eine hohe Qualität ihres Ausbaus sicherstellen. Zweitens. Wir müssen den Weg weiter beschreiten, Verkehr auf Schiene und Wasserstraße zu verlagern und die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern zu optimieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Nicht nur die begrenzten finanziellen Ressourcen, sondern auch die begrenzte Verfügbarkeit von Flächen setzen einem Ausbau des Straßennetzes Grenzen. In der EU werden 1,2 Prozent aller Flächen vom Verkehr benutzt, davon 90 Prozent von der Straße. Die Sicherstellung von Leistungsfähigkeit und Qualität der Fernstraßen verlangt in zunehmendem Maße, in den Erhalt des bestehenden Netzes zu investieren. Diese Notwendigkeit muss bereits heute gesehen werden, selbst wenn erst im Straßenbaubericht 2003 die Ergebnisse der Untersuchungsperiode 2001/2002 zur Bewertung der Fahrbahnbefestigungen der Bundesautobahnen vorliegen werden. Auf dieser Grundlage werden dann die sich ergebenden angemessenen Investitionsentscheidungen getroffen werden.

   Gefragt sind bei begrenzten Ressourcen intelligente Lösungen, die eine effiziente und sichere Nutzung des Straßennetzes ermöglichen. Ein hervorragender Ansatz ist das Programm zur Verkehrsbeeinflussung auf Bundesautobahnen, das im letzten Jahr gestartet wurde und die Förderung von Telematiklösungen fortsetzt. Für die Jahre 2002 bis 2007 stehen dafür insgesamt 200 Millionen Euro bereit. Damit sollen auf 350 Kilometern Streckenbeeinflussungsanlagen - zusätzlich zu den bestehenden auf 850 Kilometern Länge - installiert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bis zu 30 Prozent weniger Unfälle auf unfallträchtigen Strecken sind ein beachtlicher Erfolg.

   Von einer weiteren Idee zur Verbesserung des Verkehrsflusses, die der Bericht darstellt, kann man sich in Hessen auf der A 5 zwischen dem Bad Homburger Kreuz und der Abfahrt Friedberg in Richtung Norden überzeugen. Durch die Nutzung des Seitenstreifens ist der Verkehrsfluss auf diesem überlasteten und staugefährdeten Abschnitt wieder besser geworden.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wer hat denn den Bau betrieben?)

Die Verkehrsbeeinflussungsanlage auf der A 5, die bereits seit 1989 in Betrieb ist, wurde damit um eine weitere Komponente ergänzt.

   Die Seitenstreifennutzung, die seit Anfang 2002 möglich ist, ist sicherlich nur eine temporäre, aber sehr intelligente Lösung für Zeiten mit Spitzenbelastungen. Klar ist, dass die Nutzung des Seitenstreifens nicht auf Kosten der Verkehrssicherheit gehen darf. Aber das Risiko von Auffahrunfällen ist bei stockendem Verkehr und Stau besonders hoch, sodass die Vorteile der Kapazitätserhöhung die Nachteile des entfallenden Seitenstreifens aufwiegen, da sich dadurch dieses Risiko vermeiden lässt.

   Es lässt sich auch ein anderes Risiko verringern, indem die Sicherheit in Straßentunneln durch Ergänzung der betriebstechnischen Ausstattung erhöht wird. Hierfür sind in den kommenden Jahren entsprechende Mittel vorgesehen. Diese eigenen Maßnahmen zusammen mit den Bemühungen der Bundesregierung um eine Erhöhung der Sicherheitsstandards in Tunneln im Bereich der Europäischen Union sind ein sinnvoller Ansatz zur Erhöhung der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Bericht macht insgesamt den großen Stellenwert deutlich, den die Verkehrssicherheit für die Bundesregierung einnimmt. Dies wird auch durch das neue Instrument der Sicherheitsaudits bei der Straßenplanung unterstrichen, die den Ländern aufgrund der Forschungen des Bundes empfohlen werden und mit denen schon bei der Straßenplanung Sicherheitsbelange berücksichtigt werden.

   Ganz oben auf der Tagesordnung der nächsten Monate steht der neue Bundesverkehrswegeplan, Herr Lippold.

(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] (CDU/CSU): Das sagen Sie schon seit drei Jahren! - Renate Blank (CDU/CSU): Seit November 1998!)

Der Bericht stellt den Stand der Überarbeitung des Plans bis 2002 dar und macht damit noch einmal deutlich, dass die Bundesregierung ein modernisiertes, wissenschaftlich fundiertes Vorgehen gewählt hat, das Umwelt, Raumordnung und Städtebau und deren Wechselwirkungen und Wechselbeziehungen stärker als bisher schon bei der Projektbewertung berücksichtigt und fachlich integriert.

   Der Entwurf für den Bundesverkehrswegeplan wird bald vorliegen und die Ausbaugesetze werden vom Parlament beschlossen.

(Renate Blank (CDU/CSU): Der Entwurf liegt doch schon längst vor! Er muss vom Kabinett beschlossen werden!)

   Anders als der von der CDU verantwortete Plan von 1992 wird es kein ungedeckter Scheck sein, sondern eine verlässliche Planungsgrundlage.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden sicherlich noch ausreichend Gelegenheit haben, das in den Ausschüssen und auch im Plenum zu diskutieren.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Da bin ich gespannt! - Gegenruf des Abg. Siegfried Scheffler (SPD): Ihr werdet euch noch wundern!)

Wir haben dabei das Verkehrssystem als Ganzes im Blick. Es ist falsch, nur auf einen Verkehrsträger zu setzen, wenn wir das zu erwartende Mobilitätswachstum bewältigen wollen.

   Der Bericht bestätigt den Handlungsbedarf: Den Löwenanteil der zurückgelegten Personenkilometer macht nach wie vor mit fast 83 Prozent der motorisierte Individualverkehr aus. Schiene und öffentlicher Straßenverkehr erreichen bei leicht gesteigerten Personenkilometerzahlen nur einen Anteil von unter 9 Prozent.

   Beim Güterverkehr hat sich die Zahl der Tonnenkilometer sogar zuungunsten von Schiene und Schifffahrt entwickelt. Ihr Leistungsanteil nahm um 2,2 bzw. 2,6 Prozent ab. Die Zunahme der Güterverkehrsleistung wurde im Wesentlichen von der Straße getragen, wobei entgegen der vielfach geäußerten Vermutung die Steigerung durch inländische Lastkraftwagen erfolgte.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): So ist es!)

   Dem können wir nicht durch eine einseitige Orientierung auf die Straße begegnen, wie sie CDU/CSU und FDP propagieren. Vielmehr brauchen wir eine integrierte Verkehrspolitik, die auf die unterschiedlichen Stärken der einzelnen Verkehrsträger setzt.

(Beifall bei der SPD - Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Wie wollen Sie Güterverkehr unter 100 Kilometern auf die Schiene bringen? Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?)

   Wir haben dies finanzpolitisch in Angriff genommen, indem wir nicht nur die Investitionen in den Straßenbau auf ein hohes Niveau angehoben haben, sondern auch Schritt für Schritt die Investitionen für den Schienenverkehr erhöht haben,

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Ich habe ganz konkret nach Güterverkehr unter 100 Kilometern gefragt! Wie wollen Sie diesen auf die Schiene bringen?)

sodass sie mit den Straßeninvestitionen mithalten können, Herr Friedrich.

Wir brauchen, wie es in dem Bericht verdeutlicht wird - vielleicht lesen Sie ihn einfach noch einmal -,

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Im Unterschied zu Ihnen haben wir ihn gelesen!)

eine Verkehrsplanung, die alle Ansprüche an eine mobile Zukunft integriert,

(Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Dann macht sie doch! Nicht immer nur: „Wir brauchen“!)

die neben ökonomischen auch ökologische Anforderungen akzeptiert, ebenso wie sie gesellschaftliche und soziale Notwendigkeiten und Bedürfnisse einbezieht. Auf dieser Basis wird ein Verkehrssystem entstehen, das zukunftsfähig und nachhaltig zugleich ist und das zuvorderst dem dient, wozu es geschaffen ist: dem Menschen das Leben zu erleichtern.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Herr Kollege Bartol, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere. Das verbinde ich mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit.

(Beifall - Eduard Oswald (CDU/CSU): Ganz schön mutig für den Anfang!)

   Nun hat die Kollegin Renate Blank, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Renate Blank (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Bartol, Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede! Im Hinblick auf die Konkretisierung der Verkehrspolitik wollen wir Ihnen Ihre Träume nicht nehmen. Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung und Sie, der Sie von allen Verkehrsträgern sprachen, bereit sind, auch den Transrapid in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer dieselbe Leier! Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Nahverkehrsprojekte kommen nicht in den Bundesverkehrswegeplan!)

   Meine Damen und Herren, vor vier Wochen haben wir den Straßenbaubericht 2001 diskutiert, der die geringsten Investitionen in die Infrastruktur aufwies, solange Sie dafür zuständig sind. Jetzt reden wir über den Straßenbaubericht 2002. Wir tun dies wahrscheinlich deshalb so schnell, um von den schlechten Zahlen des Berichts 2001 abzulenken.

   Die Ausgaben für Investitionen - nicht die Gesamtausgaben - sind wichtig. Sie betrugen für die alten Bundesländer rund 2,7 Milliarden Euro und für die neuen Bundesländer 2 Milliarden Euro. In D-Mark gerechnet sind es insgesamt rund 9 Milliarden DM.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Frau Kollegin Blank, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scheffler?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat doch noch gar nicht angefangen!)

Renate Blank (CDU/CSU):

   Ja.

Siegfried Scheffler (SPD):

   Doch, Sie hatte schon angefangen. - Vielen Dank, liebe Kollegin Blank. Sie haben darauf abgehoben, ob der Transrapid - ich gehe davon aus, dass Sie den Metrorapid und das bayerische Projekt vom Flughafen nach München Hauptbahnhof meinen - in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird. Da Sie dem Hohen Hause schon sehr lange angehören, müssten Sie wissen, dass diese Projekte keine Bundesprojekte sind und dass wir Nahverkehrsprojekte nicht in den Bundesverkehrswegeplan aufnehmen.

(Dirk Fischer [Hamburg] (CDU/CSU): Warum gibt der Bund so viel Geld aus, wenn es nicht seine Projekte sind?)

- Es ist ein Zuschuss des Bundes.

Renate Blank (CDU/CSU):

   Kollege Scheffler, es ist schon etwas seltsam. Man muss nur an die Verpflichtungsermächtigungen für Planungskosten in Nordrhein-Westfalen denken.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zuschüsse!)

- Es sind Zuschüsse, aber es ist auch Bundesgeld. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass wir damals die Strecke Hamburg-Berlin in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen haben.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war ja auch ein Fernverkehrsprojekt! - Siegfried Scheffler (SPD): Berlin-Hamburg war wohl eindeutig ein Fernverkehrsprojekt!)

Sie können das nachmachen, indem Sie den Metrorapid und den bayerischen Transrapid in den Bundesverkehrswegeplan aufnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann können wir auch die S-Bahn in Wuppertal aufnehmen! Ich hätte auch noch eine Straßenbahn in Augsburg!)

   Herr Minister Stolpe, die vorhin genannten Zahlen machen deutlich, dass wir neben dem Aufbau Ost dringend auch den Ausbau West brauchen. Diese Aussage haben Sie vor dem Verkehrsausschuss getroffen. An dieser wirklich wichtigen Aussage werden wir Ihr Handeln in den nächsten Wochen und Monaten messen. Erstmals - man muss ja auch einmal die Bundesregierung loben - seit Ihrer Übernahme der Regierungsverantwortung

(Beifall bei der SPD - Eduard Oswald (CDU/CSU): Ihr wisst noch gar nicht, was kommt! Dankbar seid ihr!)

- warten Sie es ab - wurde im Berichtszeitraum wieder mehr Geld für Straßenbauinvestitionen zur Verfügung gestellt. Dieses Geld kommt allerdings aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm 2001 bis 2003. Dass Sie damit die Straßenbaumittel nach einer Kürzung - ich rechne jetzt noch in D-Mark - von rund 5 Milliarden DM um 2,7 Milliarden DM erhöhen konnten, war nicht Ihr Verdienst, sondern ist auf unsere Vorarbeit zu den UMTS-Lizenzerlösen zurückzuführen. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ich erinnere daran, dass damals die Ministerpräsidenten Schröder und Eichel der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes nicht zugestimmt haben. Die Einnahmen daraus nimmt man aber sehr gerne und selbstverständlich entgegen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber wofür man sie verwendet, ist die Frage!)

   Zurück zum Straßenbaubericht 2002: Interessant ist, dass erstmals die Abbildung zum Gebrauchswert der Fahrbahnen der Bundesstraßen nicht mehr im Bericht enthalten ist; das betrifft Seite 9, wenn Sie es nachschlagen wollen. Es gibt nur eine Beschreibung der drei Gebrauchsfähigkeitsklassen, aber keine Grafik, aus der leicht ersichtlich wäre, dass die Zahl der Straßen mit eingeschränkter Gebrauchsfähigkeit in allen Bundesländern immer mehr zunimmt. Mit anderen Worten: Der Zustand der Bundesfernstraßen wird immer schlechter.

(Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Deswegen haben wir im Bundesverkehrswegeplan die Bestandserhaltung verstärkt!)

   Die Bundesregierung muss endlich einsehen, dass der Erhaltung einer gebrauchsfähigen Verkehrsinfrastruktur große Bedeutung zukommt.

(Siegfried Scheffler (SPD): Richtig! Das haben Sie jahrelang vernachlässigt!)

Die in die Straßen investierten Vermögenswerte müssen in ihrer Substanz und ihrem Nutzwert nachhaltig bewahrt werden.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): So ist es! Sehr wahr!)

Es handelt sich immerhin um ein Bruttoanlagevermögen von rund 176 Milliarden Euro, das von den Steuerzahlern im Laufe der Jahre aufgebracht wurde.

   Im Übrigen verschlechtert sich auch der Zustand der Brückenbauwerke im Zuge von Bundesfernstraßen rapide; denn die Bereiche mit kritischem Bauwerkszustand, also mit Zustandsnoten zwischen drei und vier, machen bereits 15 Prozent des Gesamtbestandes an Brückenbauwerken aus.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Unglaublich!)

Hier ist eine Instandsetzung bzw. Erneuerung zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit dringend erforderlich.

   Wir haben im Jahr 1992 richtig gehandelt, als wir den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ Vorrang einräumten, denn sie dienen dem Zusammenwachsen Deutschlands und der Mobilität unserer Bürgerinnen und Bürger. Außerdem gehören Standortpolitik und Wirtschaftswachstum zusammen; sie benötigen jedoch eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

   Allerdings reduzierten Sie die Plafondierung für die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2001 auf 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2002. Sie sollten aber Ihr besonderes Augenmerk zum Beispiel auf den Ausbau der A 9 in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt lenken. Auf dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung gibt es zunehmend Staus, sehr zum Ärger der betroffenen Bürger, zumal ein Ausweichen auf die Bahn von Berlin nach Nürnberg nicht möglich ist, da die Bahnfahrt zu lange dauert.

   Ich bin schon gespannt, Herr Minister Stolpe, wann endlich die Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Bahn für die Verbindung Nürnberg-Erfurt-Berlin unterzeichnet wird.

(Siegfried Scheffler (SPD): Die hätte doch schon der Wissmann unterschreiben können! Das hat er auch nicht getan!)

Der Bahnchef Mehdorn hat seine Vorliebe für dieses Projekt entdeckt. Im Grunde genommen müsste man diese Strecke doch unter Verwendung der nicht verbauten Schieneninvestitionsmittel in Angriff nehmen können, denn für die Schienenprojekte wurde im Berichtszeitraum nur ein Betrag von 4,5 Milliarden DM für Investitionen zur Verfügung gestellt.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht! - Karin Rehbock-Zureich (SPD): Euro!)

- Kollege Schmidt, eigentlich müssten die Grünen bei diesem Thema doch fürchterlich aufheulen.

(Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warten Sie einmal ab! Ich bin ja gleich dran!)

Sie wollten doch immer die Investitionen in die Schiene erhöhen. Im Berichtszeitraum gaben Sie jedoch nur die Hälfte des Geldes, das für die Straße eingesetzt wurde, aus.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht!)

- Aber natürlich! Lesen Sie es doch nach. Im Übrigen konnten seit Beginn der Bahnreform 12 Milliarden DM von der Bahn nicht verbaut werden. Das müssten Sie als ehemaliges Aufsichtsratsmitglied doch auf jeden Fall besser wissen als wir.

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Freigabe von Standstreifen für den fließenden Verkehr machen. Bayern als Transitland Nummer eins in Deutschland wurde von Rot-Grün in den letzten Jahren im Hinblick auf Straßenbaumittel stiefmütterlich behandelt,

(Widerspruch bei der SPD)

nach dem Motto des Kanzlers: Für die Bayern Steine statt Brot. Das können Sie nachlesen. Die A 3 als die am höchsten belastete Straße mit täglich über 90 000 Fahrzeugen ist in keinem Ihrer vielfältigen Programme enthalten. Für die Autofahrer entstehen tagtäglich unerträgliche Staus. Deshalb hat die Bayerische Staatsregierung sich mit dem Verkehrsministerium in Verbindung gesetzt und eine zeitweise Inanspruchnahme von Standstreifen für den fließenden Verkehr vorgeschlagen. Nach umfangreichen Untersuchungen zur Verkehrssicherheit und zum Verkehrsablauf kann nun auf staugefährdeten Autobahnen in Zeiten hoher Verkehrsbelastung der Standstreifen zum Befahren freigegeben werden. Diese kurzfristige Lösung ist aus unserer Sicht nur eine Übergangslösung; tatsächlich brauchen wir nämlich mehr Geld für den Straßenbau.

   Der Ausbau der Bundesverkehrswege gerät weiter ins Abseits, wenn der riesige Betrag, der durch die Einführung der LKW-Maut abgezockt wird, hauptsächlich dem allgemeinen Haushalt zufließt. Das ist ein Skandal. Schon wieder muss der Straßenverkehr herhalten, um die Löcher im rot-grünen Haushalt zu stopfen, statt dass Lücken im alten Fernstraßennetz geschlossen werden. Von der Mineralölsteuer über die Ökosteuer bis zur KFZ-Steuer werden die Autofahrer jährlich mit weit über 60 Milliarden Euro belastet; trotz dieser Summe stehen sie weiter im Stau, denn nur rund 4,7 Milliarden Euro werden in den Ausbau der Straßen investiert. Der Autofahrer ist die Melkkuh der Nation.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und Sie sind der Daniel Küblböck der deutschen Verkehrspolitik!)

   Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, dass das Auto das Verkehrsmittel Nummer eins in Deutschland bleibt. Wir brauchen ein gut ausgebautes Straßennetz, damit die Mobilität für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist. Der Straßenbaubericht zeigt, dass Sie viel zu wenig Geld sowohl für den Neubau als auch für den Unterhalt ausgeben.

Durch diese erheblichen Engpässe im Bundesfernstraßennetz sind Staus, die volkswirtschaftliche Verluste zur Folge haben, vorprogrammiert, von der Umweltbelastung ganz zu schweigen.

   Meine Damen und Herren, es muss sich doch herumgesprochen haben, dass Verkehrsinvestitionen in Höhe von 1 Milliarde Euro rund 20 000 Arbeitsplätze schaffen. Sie sollten etwas für die Schaffung der dringend benötigten Arbeitsplätze tun.

   Nun noch einige Anmerkungen zum Trauerspiel Bundesverkehrswegeplan. Vom ersten Verkehrsminister Ihrer Regierung - vielleicht erinnern Sie sich noch, dass er Müntefering hieß - war im November 1998 für das Jahr 1999 versprochen worden, man wolle einen völlig neuen Bundesverkehrswegeplan vorlegen. Man hat dann ganz schnell gemerkt, dass es nicht ganz so einfach ist, einen neuen Bundesverkehrswegeplan vorzulegen. Seitdem schiebt man dieses Vorhaben ständig vor sich hin.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] (SPD): Das müsste Ihnen doch passen! Sie waren doch dagegen!)

   Im letzten Jahr wurde uns versprochen, im Februar würde ein vom Bundeskabinett beschlossener Bundesverkehrswegeplan vorgestellt. Er liegt immer noch nicht vor und heute hören wir, dass er auf jeden Fall in der zweiten Jahreshälfte vorgelegt werden soll. Ich bin gespannt, wann uns endlich ein vom Bundeskabinett beschlossener Bundesverkehrswegeplan vorliegen wird. Das, was uns im letzten Jahr präsentiert wurde, war nur ein Sammelsurium von Rohdaten. Es sollte nur darüber hinwegtäuschen, dass ein Bundesverkehrswegeplan fehlt.

(Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Das waren Daten, die die Länder eingereicht haben! Von wegen „Sammelsurium“!)

   Frau Staatssekretärin Mertens sprach in der vergangenen Woche davon, dass Rot-Grün eine mutige Verkehrspolitik mache. Ich sage Ihnen: Sie haben den Mut, unser Transportgewerbe zu ruinieren und die Infrastruktur kaputtzumachen; Sie sind aber nicht in der Lage, eine zukunftsweisende Verkehrspolitik zu gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wetter ist auch schlechter, seit wir regieren!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Ich könnte ihr noch stundenlang zuhören, Herr Präsident!)

Renate Blank (CDU/CSU):

   Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Herr Minister Stolpe, Sie haben nun eine gute Chance, von allen verwirrenden Programmen, die sich als untaugliche Finanzierungsinstrumente erwiesen haben und nie mit den Ländern abgestimmt waren, Abstand zu nehmen. Mit einem stimmigen Bundesverkehrswegeplan, in dem auch das Thema EU-Osterweiterung berücksichtigt wird, können Sie wieder zur Klarheit und Wahrheit in der Verkehrspolitik zurückkehren und mehr Geld für den Straßenbau zur Verfügung stellen; denn die Straße ist seit Jahrtausenden die wichtigste Verbindung zwischen Menschen und Regionen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Jahrtausenden? Seit der Steinzeit! Zurück in die Steinzeit!)

   Wenn Sie eine zukunftsweisende Verkehrspolitik machen, Herr Minister Stolpe, haben Sie uns an Ihrer Seite.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Bevor ich dem Kollegen Albert Schmidt für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort gebe, nehme ich den Zwischenruf des Kollegen Oswald, er könne der Kollegin Blank noch stundenlang zuhören, zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Begeisterung über die gehaltenen Reden im Präsidium nicht geringer ist als in den jeweiligen Fraktionen, dass wir dennoch gehalten sind, die Abwicklung der Tagesordnung in dem Zeitrahmen vorzunehmen, den die Fraktionen untereinander vereinbart haben.

(Heiterkeit - Eduard Oswald (CDU/CSU): Herr Präsident, Sie haben leider Recht!)

   Nun hat der Kollege Schmidt das Wort.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Wahrheit und Klarheit“ waren ein gutes Stichwort, Frau Kollegin Blank. Wollen wir also zu den Fakten zurückkehren: Als wir 1998 die Regierungsverantwortung übernommen haben, hatten die Investitionen in die Schiene in Deutschland einen historischen Tiefstand von nur noch 2,9 Milliarden Euro erreicht. Allein in diesem einen Jahr - unter Waigels und Wissmanns Verantwortung - wurden sie um 1 Milliarde DM, also um ungefähr eine halbe Milliarde Euro, gekürzt.

   Das Ergebnis: Das Bestandsnetz war verrottet, man fuhr auf Verschleiß, es hat geholpert und gerumpelt und die Fahrpläne wurden nicht mehr eingehalten.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Das war Ihre Hinterlassenschaft im deutschen Schienennetz; das sind die Fakten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Kommen wir zu den Fakten, jetzt ist Schluss mit der Märchenstunde. Wir haben bereits in den Bundeshaushalt 1999 - Sie können jede einzelne Zahl nachlesen; es sind Istzahlen, keine Sollzahlen - 3,6 Milliarden Euro, also 700 Millionen mehr, für den Schienenbau eingestellt. Die gleiche Größenordnung gilt für das Haushaltsjahr 2000. Der Mittelabruf, Herr Kollege Friedrich, betrug 105 Prozent im Jahr 1999 und 102 Prozent im Jahr 2000; das heißt, es wurde sogar mehr abgerufen, als im Plan vorgesehen war.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Herr Kollege Schmidt, sind Sie geneigt, eine Zwischenfrage der Kollegin Blank zuzulassen?

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Ich möchte diesen Gedankengang noch zu Ende führen. Dann darf Frau Blank gerne eine Zwischenfrage stellen. - Als im Jahr 2001, Frau Kollegin Blank, nach dem Verkauf der UMTS-Funklizenzen das Zukunftsinvestitionsprogramm aufgelegt wurde, war es das Verdienst dieser Koalition - darauf bin ich noch heute stolz; ich danke von dieser Stelle aus Reinhard Klimmt, der hier auch ein Wörtchen mitgeredet hat -,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

nicht einmalig, sondern für drei Jahre jeweils 2 Milliarden DM - ich betone: drei mal zwei; das ist eine Steigerung der Mittel im Schienenbautitel um rund 50 Prozent - zu mobilisieren. Dass die Bahn im Jahr 2001 Mühe hatte, das viele Geld umzusetzen, ist richtig. Deshalb hat in diesem Jahr der Mittelabfluss nur 87 Prozent betragen. Aber bereits 2002 lag der Mittelabfluss bei 97 Prozent. Wir haben bei den Schieneninvestitionen ein Rekordniveau erreicht, von dem Sie, als Sie regiert haben, nicht einmal träumen konnten. Das sind die Fakten. Alles andere ist Märchenstunde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Bitte, Frau Blank, jetzt sind Sie dran.

Renate Blank (CDU/CSU):

   Kollege Schmidt, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Jahre 1998 - dies war also noch während unserer Regierungsverantwortung - die Investitionen für Neu- und Ausbaumaßnahmen - nur davon spreche ich -

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Ich auch.

Renate Blank (CDU/CSU):

   - 5,4 Milliarden DM betragen haben -

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   D-Mark!

Renate Blank (CDU/CSU):

   - richtig, D-Mark -, während im Bericht „Schienenwegeausbau 2000“ nur 4,5 Milliarden DM für Neu- und Ausbaumaßnahmen ausgewiesen wurden? Das ist von der Bundesregierung schriftlich vorgelegt worden. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Es mag zwar sein, dass in anderen Bereichen der Bahn weitere Mittel ausgegeben wurden. Aber ich habe nur von den Investitionen für Neu- und Ausbaumaßnahmen gesprochen.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Es ist wunderbar, dass Sie mir Gelegenheit geben, meine Redezeit zu verlängern. Ich antworte Ihnen - das tue ich gerne - Folgendes: Es trifft zu, dass im Haushaltsjahr 1998 exakt 2,9 Milliarden Euro - das ist ein historischer Tiefststand - an Schienenbaumitteln geflossen sind. Das waren 500 Millionen Euro weniger, als im Plan eigentlich vorgesehen waren; denn es hat eine Anweisung gegeben, im laufenden Haushaltsjahr eine entsprechende Kürzung vorzunehmen. Es trifft weiterhin zu, dass in dem Berichtszeitraum - das ist das Haushaltsjahr 2001 -, den Sie ansprechen und über den wir heute diskutieren, exakt 2,3 Milliarden Euro für Investitionen im Sinne der Bedarfsplanmaßnahmen verausgabt wurden. Zugleich sind aber im selben Zeitraum - Frau Blank, wenn Sie schon nachlesen, dann müssen Sie die entsprechende Seite im Bericht auch zu Ende lesen - zusätzlich 1,5 Milliarden Euro an Investivmitteln für die Erneuerung des Bestandsnetzes geflossen. Das macht nach Adam Riese zusammen 4,3 Milliarden Euro, also circa 8,6 Milliarden DM. Das sind 50 Prozent mehr als in Ihrem letzten Regierungsjahr. Das sind die Fakten. Nehmen Sie sie zur Kenntnis!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben 2001 aber nicht nur die Schienenbaumittel erhöht. Wir haben vielmehr auch zinslose Darlehen, die nach alter Rechtspraxis der Bahn für Bestandsnetzinvestitionen gewährt wurden, in Baukostenzuschüsse umgewandelt. Jeder, der schon einmal Bauplanung gemacht hat, weiß, was das bedeutet. Das heißt nämlich, dass Maßnahmen, die vorher unwirtschaftlich waren, plötzlich wirtschaftlich waren und angepackt werden konnten. Wir haben allein auf diese Weise eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die auf Darlehensbasis nach der alten Rechtspraxis niemals hätten verwirklicht werden können. Auch das ist eine großartige Leistung, auf die ich stolz bin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zuletzt möchte ich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Wir stehen vor schwierigen Aufgaben. Die Sanierung des Netzes ist noch nicht beendet. Wir müssen die Modernisierung des Netzes buchstäblich Kilometer für Kilometer vervollständigen. Das bedeutet, dass wir das erreichte Investitionsniveau auf vier Säulen verstetigen müssen:

   Erstens. Das betrifft im Bundesschienenwegeausbaugesetz die Bedarfsplanmaßnahmen, die Bestands- und Erneuerungsmaßnahmen.

   Zweitens. Wir müssen das Ganze mit Mitteln aus den mautfinanzierten Projekten im Sinne des Anti-Stau-Programms ergänzen. Auch darüber sind wir uns, hoffe ich, einig. Eigentlich wollen Sie ja die Mittel nur für die Straße ausgeben.

   Drittens. Wir müssen - das haben wir bereits getan - dafür Sorge tragen, dass auch Investitionen aus dem Regionalisierungsgesetz ins Netz fließen. Wir haben mit dem Regionalisierungsgesetz bis zum Jahr 2007 eine verlässliche, wachsende Finanzgrundlage für die Länder geschaffen, wodurch allein jedes Jahr etwa 850 Millionen Euro zusätzlich zu den Ländermaßnahmen auch in die Verbesserung der Infrastruktur fließen.

Das muss man zu den Kosten für die Schieneninvestitionen addieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Des Weiteren haben wir dafür gesorgt, dass das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz fortentwickelt wurde. Auch dadurch kann die Infrastruktur des Bahnnetzes verbessert werden.

   Das heißt im Klartext: Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das Erreichte erhalten bleibt und fortentwickelt wird. Das ist eine Garantie dafür, dass die Schiene gegenüber der Straße weiterhin gleichberechtigt ist und dementsprechend behandelt wird.

   Wir werden außerdem darauf dringen müssen, dass die Bundesförderung in einem sinnvollen Umfang erweitert wird. Ich möchte dazu zwei Punkte nennen:

   Erstens: Gleisanschlussprogramm im Güterverkehr. Ein solches Programm brauchen wir. Wir benötigen eine Förderrichtlinie, um zusätzliche Potenziale für den Schienengüterverkehr - und zwar vom Werkstor an - zu erschließen.

   Zweitens. Auch die Lärmschutzmaßnahmen am Fahrzeug müssen gefördert werden. Die Ersetzung der alten Graugussbremsen durch Kunststoffbremsen schafft wesentlich mehr Lärmschutz als jeder Lärmwall, der für viel Geld errichtet wird und nur dort eine Wirkung entfaltet, wo er nun einmal steht. Ein modernisierter Güterwaggon verursacht überall, wo er fährt, viel weniger Lärm als ein Güterwaggon, der mit der alten Technologie ausgestattet ist.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Ein letzter Punkt. Im Hinblick auf den neuen Bundesverkehrswegeplan werden wir bei den Ausbau- und Neubauprojekten insbesondere die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten im Auge haben müssen.

(Renate Blank (CDU/CSU): Um Jahre zu spät!)

Wir müssen die Verbindungen nach Osten im Sinne des vordringlichen Bedarfes aufwerten.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Verehrter Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Von Berlin, aber auch von Nürnberg aus muss es in Richtung baltische Republiken und Tschechien eine qualitativ hochwertige Schienenverbindung geben. Ich hoffe, es wird unser gemeinsames Ziel sein, diesbezüglich neue Akzente und neue Schwerpunkte zu setzen. Ich freue mich schon auf die entsprechenden Beratungen im Ausschuss.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

   Verehrter Herr Kollege, wenn die Wachstumsrate im Verkehrsetat so eindrucksvoll wäre wie die, die das Präsidium Ihrer Redezeit zugestanden hat, dann könnte diese Debatte fast entfallen.

(Heiterkeit)

   Nun hat der Kollege Eduard Lintner das Wort.

Eduard Lintner (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben wieder einmal eindrucksvolle Beispiele für den Kern dieser Verkehrspolitik gehört, nämlich allgemeine Bekundungen und Ankündigungen,

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fakten habe ich aufgezählt!)

die in der Regel recht entschlossen und zukunftsweisend formuliert werden. Herr Schmidt, Ihre Zahlenspielereien bringen schon allein deshalb nichts,

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sind doch keine Zahlenspielereien!)

weil Sie zwei Rahmenbedingungen nicht genannt haben:

   Erstens. Dank unserer Vorarbeit erzielte diese Regierung nach der Versteigerung der UMTS-Lizenzen Erlöse in Höhe von 50 Milliarden Euro, die sie großzügig hat einsetzen können.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber wir haben sie an der richtigen Stelle eingesetzt! Das ist der Punkt!)

- Herr Kollege Schmidt, darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

   Zweitens. Die Bahn war bisher überhaupt in keinem Jahr in der Lage, die zur Verfügung gestellten Mittel tatsächlich vollständig abzurufen. Daher handelt es sich bei vielen der von Ihnen genannten Zahlen sozusagen um Luftnummern; diese Zahlen sind zum Beweis nicht tauglich.

   In den „Investitionsprogrammen für den Ausbau der Schienenwege“ von 1999 heißt es - ich möchte einmal eine dieser markigen Aussagen zitieren -:

Das deutsche Verkehrsnetz trägt die Hauptlast des Transitverkehrs in Europa und hat damit einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Integration Europas zu leisten.

Dazu kann ich nur sagen: Bravo, das ist ganz richtig!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als Ziel dieser Verkehrspolitik wird genannt:

... damit bundesweit die zur Verkehrsabwicklung notwendigen Kapazitäten verfügbar sind.

Auch das ist richtig. Nur: Es ist nicht wahr. Worte und Taten klaffen auseinander. Die Tatsachen sprechen eine ganz andere Sprache.

   Um das zu belegen, möchte ich noch einige Zahlen anführen - weiter möchte ich Sie damit dann nicht belästigen -:

   Der Umfang des Güterverkehrs auf der Schiene hat in Ihrer Regierungszeit abgenommen und nicht zugenommen.

(Renate Blank (CDU/CSU): Richtig!)

Dass nicht zwangsläufig globale Tendenzen dahinter stecken, zeigt das Beispiel Österreich. Dort ist das Transportaufkommen auf der Schiene von 1995 bis 2001 um sage und schreibe 22 Prozent gestiegen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei uns ist es in diesem Zeitraum auch gestiegen!)

Offenbar gibt es Rezepte, bei deren Befolgung man das, was Sie dauernd als Ziel propagieren, erreicht. In Österreich ist in der Tat manches anders als bei uns gemacht worden. Sie selbst haben ein Beispiel erwähnt; allerdings haben Sie nur die halbe Wahrheit gesagt. Die Deutsche Bahn hat Gleisanschlüsse in großem Umfang stillgelegt und jetzt verlangen Sie ein neues staatliches Programm zur Wiederherstellung dieser Gleisanschlüsse.

Widersprüchlicher kann Verkehrspolitik wirklich nicht gestaltet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Österreich hat es durch eine derartige Förderung von Gleisanschlüssen immerhin geschafft, dass jetzt - die Zahl ist recht eindrucksvoll - 7,3 Millionen Tonnen Güter pro Jahr mehr auf der Schiene transportiert werden als vorher.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Die deutsche Regierung hat bislang leider nur das Gegenteil zustande gebracht.

   Es gibt eindrucksvolle Beispiele für diese Fehlentwicklung, die ja nach wie vor anhält. In der letzten Ausgabe der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“ ist einiges aufgelistet worden. Beispielsweise sollen auf den rechtsrheinischen Hauptgleisen demnächst - so schreibt die Zeitung - fast 40 Prozent aller Weichen ersatzlos entfallen und außerhalb der Hauptgleise sollen noch weitere 25 000 Weichen abgebaut werden. Die Folgen kann man leicht vorhersagen: Die Kapazität für die Aufnahme von Zügen wird drastisch reduziert, weil der Bahnbetrieb natürlich noch unflexibler und noch störanfälliger wird, als er ohnehin schon ist.

   Mit dieser Maßnahme wird vielleicht sogar noch Folgendes beabsichtigt: Damit wird natürlich auch der Zugang von Mitbewerbern zum Schienennetz ganz erheblich weiter erschwert oder gar unmöglich gemacht. Im Ergebnis stehen bei dieser reduzierten Kapazität für Züge, die nicht zur DB AG gehören, quasi keine Zeitfenster, keine Slots, mehr zur Verfügung. Dass das die Folge dieser Maßnahme ist, hat übrigens auch einer, der es wissen muss, bestätigt, nämlich der frühere Bundesbahndirektionspräsident Alfons Thoma.

   Es gibt weitere krasse Beispiele. So soll die „Rheinische Bahn“ stillgelegt werden. Alle, die sich da ein bisschen auskennen, bestätigen, dass es sich dabei um die letzte freie Bahnstrecke im Ruhrgebiet handelt, auf der überhaupt noch Güterverkehr zusätzlich stattfinden kann. Stilllegungen, wie sie da geplant sind, stehen in einem diametralen Gegensatz zu einem Grundsatz der Schienengüterverkehrspolitik, der da lautet, dass Personen- und Güterverkehr entflochten werden müssen, wenn der Güterverkehr auf der Schiene gesteigert werden soll. Auch hier gilt wieder: Handeln und Taten stehen in einem krassen Gegensatz zueinander.

   Man könnte noch viele Beispiele dafür nennen, etwa dass Überholstrecken und Begegnungsmöglichkeiten weiter abgebaut werden. Das Ergebnis ist immer dasselbe: weniger Kapazität auf der Schiene und damit weiter erschwerter Zugang von Mitbewerbern. Das Kartellrecht und die Regeln, die das Eisenbahn-Bundesamt durchsetzen und kontrollieren soll, werden durch die Schaffung von Fakten praktisch ständig unterlaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es kommt noch hinzu, dass auch die Zahl der Güterverkehrsannahmestellen - die Kollegin Blank hat das, glaube ich, schon erwähnt - reduziert worden ist. Wohin wir auch schauen: Es wird alles Mögliche getan, um die Verkehrskapazitäten einzuschränken, statt sie zu erweitern, was angesichts der Entwicklungen, die hier schon genannt worden sind, aber eigentlich notwendig wäre.

   Man darf es der Regierung nicht durchgehen lassen, dass sie sich immer dann, wenn es um diese ganz konkreten Maßnahmen geht, sozusagen auf das Argument von der unternehmerischen Selbstständigkeit der Bahn zurückzieht und sich damit herausreden möchte; denn die Regierung ist für die Ausrichtung der Verkehrspolitik zuständig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das bedeutet natürlich auch, dass sie ganz speziell für die Erreichung dieser verkehrspolitischen Ziele die Verantwortung trägt. Notfalls muss sie die Rahmenbedingungen für die Bahn so gestalten, dass die politischen Vorgaben der Verkehrspolitik von der Bahn auch erfüllt werden können. Die Bahn hat sich unternehmerisch zu orientieren - das ist ganz klar -,

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wettbewerb tut Not!)

aber es muss ihr ermöglicht werden, die Vorgaben der Verkehrspolitik im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit zu realisieren. Da liegt die ganz spezielle Verantwortung des Bundesverkehrsministers.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Der Wettbewerb muss her!)

- Der Wettbewerb muss her. Auch das ist richtig, Herr Kollege Friedrich.

   Ich muss feststellen: Bis heute ist weit und breit nichts zu sehen, was als ernsthafte Konzeption der deutschen Verkehrspolitik zur Erreichung der selbst gesetzten Ziele gedeutet werden könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dabei steht fest - vorhin ist diese Zahl schon einmal kurz genannt worden -: Allein von 1997 bis 2015 werden die Güterverkehrsmengen um 64 Prozent wachsen. Die Schiene soll davon 24 Prozent übernehmen. Wenn das so käme, würde das eine Verdoppelung der Verkehrsleistung von 1997 bedeuten. Zurzeit liegen wir bei knapp 8 Prozent.

   Wie wollen Sie Ihre hehren Ziele erreichen, wenn Sie nicht wirklich für eine Trendwende in Ihrer Verkehrspolitik sorgen?

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Luftblasen!)

Diese Verkehrspolitik ist einfach zu sehr mit Ideologie behaftet. Man träumt immer von Schienenverkehrsanteilen, die mit dieser Politik nicht zu erreichen sind.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das sind die 99 Luftballons der Verkehrspolitik dieser Regierung!)

Gleichzeitig tut man aber inkonsequenterweise zu wenig, um das Straßennetz so herzurichten und so zu erhalten, dass wenigstens dort der Verkehr einigermaßen reibungslos laufen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, Sie stecken, was die zukünftige Entwicklung angeht, den Kopf einfach in den Sand. Dafür, dass wir das kritisieren und dass wir Sie auffordern, das endlich zu ändern, haben Sie sicher Verständnis. Vielleicht schafft es der vierte Verkehrsminister in vier Jahren doch einmal, eine Trendwende in der Verkehrspolitik herbeizuführen. Wir werden das aufmerksam prüfen. In Kürze werden wir schriftlich haben und nachlesen können, ob es gelungen ist, die nötigen Kurskorrekturen vorzunehmen, nämlich wenn der Bundesverkehrswegeplan, auf den wir jetzt schon jahrelang warten, noch heuer vorgelegt wird.

   Meine Damen und Herren, in aller Kürze stichwortartig noch ein paar andere Dinge.

   Herr Bundesverkehrsminister, ein ständiges Ärgernis ist die Tatsache, dass die Bahn jedes Jahr eingestehen muss, dass sie die Investitionsmittel, die ihr eigentlich zur Verfügung stehen, nicht vollständig hat ausgeben können.

(Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU):
Fast 1 Milliarde Euro im letzten Jahr!)

Wenn es daran liegen sollte, dass die Bahn nicht in ausreichendem Umfange eigene Planungskapazitäten hat, dann soll sie doch um Gottes willen auf private Planungskapazitäten zurückgreifen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tut sie doch! Leute, ihr steckt den Kopf in den Sand und wollt die Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen!)

Wenn es daran liegen sollte, dass, wie Herr Mehdorn seit neuestem sagt, die Auftragnehmer die Rechnungen nicht rechtzeitig stellen, dann kann er das ja abstellen.

(Renate Blank (CDU/CSU): Er kann auch pünktlich zahlen!)

   Aber ich habe schon den Eindruck, dass hier immer Luftnummern angeboten werden. Da werden Beträge in den Haushalt gestellt, mit denen man, wie hier, in der Diskussion glänzen will; in Wirklichkeit handelt es sich aber um eine Art stille Haushaltsreserve, die dann im Laufe des Jahres anderweitig verbraten wird.

(Beifall bei der CDU/CSU - Reinhard Weis [Stendal] (SPD): 97 Prozent fliejßen ab! So viel ist doch noch nie abgeflossen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Kollege Lintner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Eduard Lintner (CDU/CSU):

   Es geht dabei bei weitem nicht nur um ein paar hundert Millionen, sondern um über 1 Milliarde Euro.

(Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch Quatsch! So ein Schmarren! Frei erfunden!)

Das zeigt die Tatsache, dass mit diesen Mitteln beispielsweise vorzeitig Tilgungen für die Strecke Nürnberg-Ingolstadt geleistet oder die Kostenüberschreitungen beim Lehrter Bahnhof usw. gedeckt werden.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ihr verbockt habt, haben wir an dieser Stelle korrigiert! Gott sei Dank! Dort wird gebaut!)

Denn das sind andere Zwecke. Diese Gelder waren für etwas ganz anderes vorgesehen. Deshalb müssen Sie diese Milliarde eigentlich zu den nicht verbrauchten Mitteln hinzuzählen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch!)

Dann sind Sie bei ganz erklecklichen Größenordnungen.

   Ich hoffe, es gelingt Ihnen - wie gesagt, im vierten Anlauf, als vierter Bundesverkehrsminister -, die Dinge endlich zu ändern. Wir halten Ihnen jedenfalls die Daumen. Das wäre für das Land und für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben außerordentlich wichtig.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Albert Schmidt [Ingolstadt] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit diesem Niveau sollten Sie keinen Verkehrsminister stellen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Das Wort hat jetzt die Kollegin Karin Rehbock-Zureich von der SPD-Fraktion.

Karin Rehbock-Zureich (SPD):

   Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Lintner, Sie reden immer von Veränderungen in der Verkehrspolitik und meinen damit die einseitige Festlegung aller Mittel zugunsten der Straße. Da muss ich Ihnen doch einfach einmal sagen: Wer eine solche Verkehrspolitik betreibt, lebt verkehrspolitisch in der Steinzeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer hier den Kopf in den Sand steckt,

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Der kriegt irgendwann keine Luft mehr!)

das sind nämlich Sie. Sie sprechen von 64 Prozent Wachstum im Bereich Güterverkehr. Wie bekommen wir das in den Griff? Wenn Sie keine ideologische Verkehrspolitik betreiben wollen, muss Ihnen doch völlig klar sein, dass dies nicht ausschließlich auf der Straße abzuwickeln ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   +++13.10

Gerhard Wächter (CDU/CSU):

   Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Frau Rehbock-Zureich. Wenn Sie sagen, dass Herr Lintner in der Steinzeit lebt, weil er auf die Probleme des Straßenverkehrs hinweist, dann muss ich Sie fragen: Wo leben Sie eigentlich? Jedenfalls leben Sie nicht in der Realität, wo wir entsprechende Probleme tagtäglich feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine Damen und Herren, in fast allen Debattenbeiträgen wurde zu Recht betont, dass Mobilität und ein hoch entwickeltes Verkehrssystem entscheidende Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum sowie für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind. Das war in der Vergangenheit so und das wird für die Zukunft von noch größerer Bedeutung sein. Es ist ja schon auf die EU-Osterweiterung hingewiesen worden, die wir in einigen Monaten zu erwarten haben.

   Es gilt: Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland heißt Zukunftssicherung und Optimierung der Verkehrsinfrastruktur.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Für uns Verkehrspolitiker ist das gewiss unbestritten, aber für andere durchaus keine Selbstverständlichkeit, wenn es darauf ankommt, die immer knapper werdenden Haushaltsmittel zu verteilen und zu beurteilen, wo das Geld am notwendigsten gebraucht wird und letztendlich hin soll. Wenn man im Blick hat, dass wir wieder mit 2 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen zu rechnen haben, wird man schnell feststellen, wie dieser Verteilungskampf aussehen wird.

   Schuld daran ist die Bundesregierung, die nicht in der Lage ist, die Weichen so zu stellen, dass endlich ein Ruck durch Deutschland geht, dass Unternehmer und Arbeitnehmer wieder Hoffnung schöpfen und Licht im Tunnel sichtbar wird. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   So sicher wie das Amen in der Kirche wird dies zwangsläufig auch Folgen für die zukünftige Finanzierung der notwendigen Investitionen in den Ausbau und Erhalt vor allem im Straßenbereich haben, der am nötigsten Geld braucht.

Denn der Straßenverkehr ist und bleibt der Motor unserer Wirtschaft. Wir wissen, dass in Deutschland jeder siebte Arbeitsplatz vom Auto abhängt und dass das Auto das Verkehrsmittel Nummer eins ist und weiterhin bleiben wird. Da ich aus dem ländlichen Raum komme, kann ich das besonders gut beurteilen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das Ergebnis der vierjährigen rot-grünen Politik ist - trotz aller gegenteiligen Darstellungen -, dass das deutsche Autobahnnetz kaum noch europäisches Mittelmaß erreicht.

(Widerspruch bei der SPD)

Gemessen an der Ausstattung mit Autobahnen im Vergleich zum Fahrzeugbestand befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich nur noch auf Rang zehn. Hier hat uns mittlerweile - das kann man nachlesen - sogar Portugal überholt.

(Lachen der Abg. Karin Rehbock-Zureich (SPD))

Das kann sich der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht leisten. Er kann sich auch - das müssen wir besonders beachten - die staubedingten Kosten in Höhe von 100 Milliarden Euro pro Jahr nicht leisten. Das ist eine unglaubliche Verschwendung.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Wahnsinn!)

   Alle Prognosen zeigen eindeutig, dass Deutschland als Land in der geographischen Mitte Europas in den nächsten Jahren und Jahrzehnten durch die Entwicklung des Personen- und Güterverkehrs vor großen Herausforderungen steht. Bis 2015 müssen wir in Richtung Osten mit einem Zuwachs beim grenzüberschreitenden Verkehr um circa 200 Prozent rechnen. Schätzungen für die Zunahme im Bereich des Personenverkehrs liegen zwischen 25 und fast 70 Prozent. Deutschland ist auf diese Entwicklung nicht vorbereitet, unter anderem auch deswegen, weil die bis zum Regierungswechsel 1998 eingeleiteten Maßnahmen seit vier Jahren stagnieren.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Das ist das Problem! - Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Da sind Sie uns den Beweis noch schuldig geblieben!)

Das wird sich bitter rächen.

   Anfang September soll endlich die Maut für LKWs kommen. Ich habe allerdings Zweifel, ob sie funktionieren wird; denn der Bundesverband Güterkraftverkehr hat bekanntlich mit einem Boykott des Einbaus der Mauterfassungsgeräte gedroht. Man spricht vom so genannten „Super-GAU Maut“. Grund dafür ist, dass die Bundesregierung nur 300 Millionen Euro für die Harmonisierung zahlen will. Dieser Betrag reicht bei weitem nicht aus, um die mautbedingten Wettbewerbsnachteile auch nur annähernd auszugleichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich will noch einmal deutlich betonen, dass die CDU/CSU-Fraktion diese Entscheidung der Bundesregierung für völlig inakzeptabel hält; denn die Maut wird die schon jetzt äußerst angespannte Situation der Branche weiter verschärfen und noch mehr Betriebe in diesem mittelständischen Gewerbe in den Ruin treiben. Das bedeutet gleichzeitig, dass zigtausend Arbeitsplätze verloren gehen und dass die Wahrscheinlichkeit von 5 Millionen Arbeitslosen immer größer wird.

   Die Bundesregierung hat vollmundig versprochen, die Maut werde zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur vor allem im Straßenbau genutzt. Tatsache ist aber, dass der größte Teil - darauf ist schon hingewiesen worden - zur Sanierung des Haushalts in die Kassen des Finanzministers fließt und nicht der direkten Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zugute kommt. Es muss gelten: Wer die Zeche zahlt, hat einen Anspruch darauf, dass dafür adäquate Gegenleistungen erbracht werden, und zwar 1 : 1. Ansonsten handelt es sich um reine Abzockerei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was den Schienenverkehr betrifft, ist es eine reine Wunschvorstellung - das ist schon gesagt worden -, durch die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene den Anteil des Schienenverkehrs zu verdoppeln. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass seit 1999 deutlich mehr als 100 regionale Schienenstrecken von rund 1 300 Kilometer Länge, insbesondere in ländlichen Räumen, stillgelegt und dass mittlerweile rund zwei Drittel der Containerbahnhöfe geschlossen worden sind.

(Reinhard Weis [Stendal] (SPD): Wieviele gehen denn davon auf das Konto von CDU/CSU-geführten Ländern?)

Aber auch da, wo Stadt und Kreis bereit waren, sich an der Finanzierung der Einrichtung eines Containerbahnhofs zu beteiligen, hat die Bahn - wie zum Beispiel bei mir im Kreis Paderborn - klar abgewinkt.

   Da kommt wenig Hoffnung auf, ein solch ehrgeiziges Ziel zu erreichen. Wir als Politiker und insbesondere die Bundesregierung sind verpflichtet, die Bahn auf ihre Verantwortlichkeit hinzuweisen. Sie bekommt viel Geld aus dem Haushalt. Dies muss sie dem Steuerzahler gegenüber rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Abschließend zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen; einiges ist dazu schon vorgetragen worden. Wichtigstes Ziel war 1991, für den Aufbau einer ausreichenden Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern schnellere Zulassungs- und Verwaltungsverfahren zu schaffen, als sie es in den alten Bundesländern gibt. Es handelt sich also um Sonderrechte für die neuen Bundesländer. Wir können mit Genugtuung feststellen, dass sich das bestehende Gesetz sehr positiv auf den Aufbau Ost ausgewirkt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Aber der Aufbauprozess ist noch lange nicht abgeschlossen und wird auch nicht bis zum Ende des Jahres 2004 erledigt sein. Deshalb ist eine erneute Verlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes notwendig. Aus unserer Sicht sollte eine Verlängerung bis 2019 erfolgen, weil zu diesem Zeitpunkt der Solidarpakt II auslaufen wird. Vor allen Dingen geben wir damit den neuen Bundesländern ein richtiges Signal, nämlich Planungssicherheit für einen langen Zeitraum. Dieses Signal und diese Sicherheit brauchen die neuen Bundesländer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich hoffe, dass wir im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern im weiteren Verlauf der Beratungen zu einem Konsens kommen werden.

   Ich danke Ihnen vielmals.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Herr Kollege Gerhard Wächter, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

   Das Wort hat jetzt der Kollege Siegfried Scheffler von der SPD-Fraktion.

Siegfried Scheffler (SPD):

   Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wächter, auf zwei Drittel Ihrer Rede könnte man eine ganze Menge entgegnen. Ich stimme aber ausdrücklich dem zu, was Sie zuletzt im Hinblick auf das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz angesprochen haben. Wir haben in den neuen Bundesländern aufgrund dieses Gesetzes viel erreicht. Dazu hat die alte Bundesregierung beigetragen und dazu trägt seit 1998 natürlich auch die rot-grüne Bundesregierung bei.

   Herr Kollege Friedrich bzw. Frau Kollegin Blank, Sie haben Minister Stolpe vorgeworfen, er sei auf dieses Problem nicht sehr detailliert eingegangen.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das ist sein Markenzeichen!)

Ich brauche den Minister nicht in Schutz zu nehmen, kann ihn aber, da er früher Ministerpräsident war, als Kronzeugen heranziehen. Denn gerade Brandenburg - damals unter Ministerpräsident Stolpe - war Mitinitiator einer Bundesratsinitiative, die dazu führte, dass die Geltungsdauer dieses Gesetzes 1995 und dann noch einmal 1999 verlängert wurde.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das stellt ja keiner in Abrede!)

Insofern zeigt sich bei Minister Stolpe Kontinuität. Er hat mehrfach daruf hingewirkt, dass gerade in den neuen Bundesländern die positiven Aspekte dieses Gesetzes zum Tragen kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Was soll das? Es hat doch niemand eine entsprechende Frage gestellt!)

   Herr Kollege Wächter, Sie haben ausdrücklich betont, dass es dabei um ein Sondergebiet, um die neuen Bundesländer, geht. Zudem ist die Geltungsdauer dieses Gesetzes zeitlich beschränkt. Als Abgeordneter aus den neuen Bundesländern möchte ich natürlich darauf hinweisen - darin stimme ich mit Ihnen vollkommen überein -, dass wir mit dem geltenden Bundesverkehrswegeplan noch nicht das erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Ich stimme mit Ihnen von der Opposition auch überein, dass wir zukünftig mit Blick auf den neuen Verkehrswegeplan, aber auch - das sage ich so deutlich wie Sie - mit Blick auf die EU-Osterweiterung zusätzliche Verkehrswege - ob Schiene, Wasserstraße oder Straße - benötigen.

   Auch deshalb müssen wir uns überlegen, ob wir die Geltungsdauer des jetzigen Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes verlängern. Ich meine, wir stimmen hier im Hause darin überein, dass wir eine solche Verlängerung benötigen. Aber ob diese Verlängerung bis 2019, wie im CDU/CSU-Antrag gefordert, bzw. bis 2010, wie die FDP es wünscht, gehen sollte, das sollten wir uns genau überlegen.

   Wir können uns als Politiker wünschen - wir wünschen uns ja manchmal etwas nach dem Prinzip Wunsch und Wolke -, dass dieses Gesetz eine lange Geltungsdauer hat, aber wir sollten uns auch fragen, ob es immer rechtlich Bestand haben kann. Wir sollten also nicht Gesetze vorformulieren, bei denen von Anfang an erhebliche rechtliche Bedenken bestehen. In diesem Fall haben die Justizminister der Länder ihre rechtlichen Bedenken seit etlichen Jahren vorgetragen. Ich selbst hatte als Staatssekretär 1999 die Gelegenheit, im Vermittlungsausschuss mit den Vertretern des Bundesrates über die Verlängerung der Geltungszeit des Gesetzes zu diskutieren, und wir sind zu einem Kompromiss - Verlängerung bis 31. Dezember 2004 - gekommen. Aber auch aus Ihren Reihen sind schon damals rechtliche Bedenken vorgetragen worden. Wir sollten deshalb nicht darum kämpfen, ob die Geltungsdauer des Gesetzes nun bis 2009 oder bis 2010 verlängert werden soll.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wir wollen es nicht verlängern, wir wollen es übernehmen!)

   In Vorbereitung auf die heutige Diskussion habe ich mich auch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschäftigt, in dem es allerdings - Sie wissen das - nicht um das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, sondern um das Investitionsmaßnahmegesetz geht,

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Das ist etwas ganz anderes!)

in dem aber in vier Kapiteln extra auf das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz abgehoben wird. Darin wird detailliert dargelegt, dass es nur für ein begrenztes Gebiet und für eine begrenzte Zeit gilt. - Herr Friedrich, ich habe ja vom Urteil zum Investitionsmaßnahmegesetz gesprochen und stimme Ihnen insofern ausdrücklich zu, dass das etwas anderes ist.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Darum geht es hier gar nicht!)

Das Urteil liegt mir schriftlich vor. - Kollege Oswald, ich bin der letzte Redner und ich möchte meinen Debattenbeitrag hier zu Ende bringen, auch weil ich mit Ihnen ja darin übereinstimme, dass das Investitionsmaßnahmegesetz etwas anderes ist,

(Horst Friedrich [Bayreuth[ (FDP): Meinen Sie mich oder den nicht mehr anwesenden Kollegen Oswald?)

aber im Urteil wird auch auf das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz abgehoben. - Entschuldigung, ich meine natürlich Horst Friedrich.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

   Wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Siegfried Scheffler (SPD):

   Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Kalt erwischt, Herr Kollege!)

Ich habe mich in Vorbereitung auf diese Debatte beim 4. und beim 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig sehr detailliert sachkundig gemacht.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Offenbar nicht!)

Wir stimmen ja in einigen Dingen überein, Kollege Friedrich. Außerdem hatte ich heute ein längeres Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Herrn Hien, geführt. Herr Präsident Hien war - das sage ich jetzt vielleicht ein bisschen flapsig - schlichtweg entsetzt über eine eventuelle Geltungsdauer bis 2019 und - jetzt komme ich zum Antrag der FDP - über die Ausweitung auf die alten Bundesländer.

   Weil es auch im öffentlichen Raum sehr viele rechtliche Bedenken gibt, möchte ich darum bitten, dass wir uns an das halten, was wir selbst uns als Bundesgesetzgeber auf die Fahne geschrieben haben. Der Deutsche Bundestag hat in seiner 63. Sitzung am 28. Oktober 1999 - das ist vielleicht für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP sehr interessant - im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens eine Beschlussempfehlung angenommen, aus der ich jetzt zitiere:

Die Bundesregierung wird gebeten, dem Bundestag ein Jahr vor dem Auslaufen des in seiner Gültigkeit verlängerten Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes, das heißt bis zum 31. Dezember 2003, einen Erfahrungsbericht vorzulegen, der Aufschluss über die nach diesem Gesetz geplanten Verkehrsprojekte und die beschleunigten Effekte nach diesem Gesetz gibt.

Interessant ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass der Entschließungsantrag seinerzeit von Ihrer Fraktion eingebracht wurde.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Das haben sie vergessen! - Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Niemand hindert uns daran, die Erkenntnisse schneller zu haben!)

- Das ist ja auch vernünftig. Sie brauchen sich doch gar nicht zu überholen.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Warum denn nicht?)

In der DDR gab es früher das Schlagwort „Überholen ohne einzuholen“. Nach dem Motto handeln Sie jetzt ein bisschen.

(Horst Friedrich [Bayreuth] (FDP): Der Minister hat selber festgestellt, dass die Erfahrungen positiv sind! Da stimmen wir ihm ausdrücklich zu!

- Dem stimmen wir doch allgemein zu. Trotzdem haben wir keine Eile. Wir sollten ganz gelassen den Bericht der Bundesregierung abwarten, der spätestens zum 31. Dezember vorliegen wird. Die Bundesregierung hat ja schon signalisiert, dass er eventuell früher vorliegt. Vor allen Dingen sind auch die Länder - auch da habe ich selbstverständlich nachgefragt - nicht in der Lage, vor dem im Bundesrat vereinbarten Termin 30. Juni 2003 der Bundesregierung zuzuarbeiten.

Wir müssen doch den Ländern und der Bundesregierung die notwendige Zeit geben, Fakten zusammenzutragen und diesen Bericht dem Deutschen Bundestag zuzuleiten. Das ist die Grundlage, um über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz in einem ganz normalen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren diskutieren und dann entscheiden zu können.

   Es muss - ich glaube, darüber sind wir uns alle einig - eine Verlängerung geben. Über alle anderen Fragen, beispielsweise über Zeitraum, Ausdehnung und die rechtlichen Bedenken, sollten wir gemeinsam nach Vorliegen des Berichtes diskutieren. Wir müssen natürlich sehen, dass es, wenn man zukünftig die Zuständigkeit nur einer rechtlichen Instanz auf ganz Deutschland ausdehnen sollte, einen riesigen Verwaltungsaufwand und -stau und, wie ich glaube, auch juristische Probleme für das Bundesverwaltungsgericht geben wird. Deshalb nochmals, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns ganz gelassen die Berichte abwarten. Darüber werden wir dann Anfang des Jahres 2004 diskutieren.

   Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/265, 15/280, 15/221 und 15/461 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:

a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Graffiti-Bekämpfungsgesetz - (... StrÄndG)

- Drucksache 15/404 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP

Für eine Internationale Sicherheitsinitiative für Nordostasien

- Drucksache 15/469 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 d sowie Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 12 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 15 zu Petitionen

- Drucksache 15/424 -

Beschlussfassung

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 15 ist damit einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 12 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 16 zu Petitionen

- Drucksache 15/425 -

Beschlussfassung

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 16 ist ebenfalls einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 12 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 17 zu Petitionen

- Drucksache 15/426 -

Beschlussfassung

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 17 ist ebenfalls einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 12 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 18 zu Petitionen

- Drucksache 15/427 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 18 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Zusatzpunkt 4:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu den Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/02 und 2 BvE 2/02

- Drucksache 15/479 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Schmidt (Mülheim)

   Der Rechtsausschuss empfiehlt, in den verfassungsgerichtlichen Verfahren Stellung zu nehmen und den Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 28. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 21. Februar 2003,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15028
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