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15. Wahlperiode
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   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * * * *

   34. Sitzung

   Berlin, Mittwoch, den 19. März 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Interfraktionell sind für die verbundene Tagesordnung dieser Woche weitere Änderungen vereinbart worden:

   Nach Einzelplan 04 - Bundeskanzleramt - soll zunächst der Einzelplan 15 - Gesundheit und Soziale Sicherung - beraten werden. Der Einzelplan 16 - Umwelt - soll bereits heute als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen werden. Der Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - soll dafür erst am Donnerstag nach Einzelplan 09 - Wirtschaft und Arbeit - aufgerufen werden.

   Darüber hinaus soll die Tagesordnung um einige Zusatzpunkte erweitert werden, die aus der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste ersichtlich sind:

1 Beratung des Antrags der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem EU-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 17. Januar 2003 und der Resolution 1371 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksache 15/... -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus Heil, Klaus Brandner, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaela Hustedt, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Bestimmungen der Post-Universaldienstleistungsverordnung verbraucherfreundlich durchsetzen - Drucksache 15/615 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem EU-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 17. Januar 2003 und der Resolution 1371 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001

- Drucksachen 15/...., 15/... -

Berichterstattung:
Abgeordneter .....

- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksachen 15/... -

Berichterstattung:
Abgeordneter .....

   Des Weiteren mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 31. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusäztlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)

- Drucksachen 15/420, 15/522 -

überwiesen:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

   Der in der 28. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Für eine internationale Sicherheitsinitiative für Nordostasien

- Drucksache 15/469 - (vom 18. Februar 2003)

(Beratung 28. Sitzung am 20. Februar 2003, ZP 3 b)

überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Der in der 31. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Claudia Winterstein, Jürgen Türk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Das neue Gesicht Europas - Kernelemente einer europäischen Verfassung

- Drucksache 15/577 -

überwiesen:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss

   Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Die genannten Umstellungen führen dazu, dass für Freitag vorerst keine Plenarberatungen vorgesehen sind. Angesichts der Entwicklungen im Irak können kurzfristige Änderungen jedoch nicht ausgeschlossen werden, sodass die Präsenzpflicht für Freitag zunächst bestehen bleibt.

   Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt I - fort:

Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003 (Haushaltsgesetz 2003)

- Drucksachen 15/150, 15/402 -

(Erste Beratung 14. Sitzung)

   Ich rufe dazu Tagesordnungspunkt I. 13 auf:

Einzelplan 04

Bundeskanzler und Bundeskanzleramt

- Drucksachen 15/554, 15/572 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Steffen Kampeter
Gerhard Rübenkönig
Petra-Evelyne Merkel
Alexander Bonde
Anja Hajduk
Dr. Günter Rexrodt
Jürgen Koppelin

   Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten Gesine Lötzsch und Petra Pau vor.

   Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die Aussprache über den Einzelplan 04 namentlich abstimmen werden.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Michael Glos (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag tritt heute in einer, wie ich meine, weltpolitisch ernsten Stunde zusammen, um über den Etat des Bundeskanzlers, das heißt über die Politik der Bundesregierung, zu beraten. Wir wissen, dass die Lage im Irak sehr ernst ist. Wir hoffen bis zuletzt, dass Saddam Hussein es noch begreift; aber es ist furchtbar bedrückend, wenn man ohnmächtig zusehen muss, wie ein Krieg herannaht.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir alle wissen aber auch - ich glaube, in diesem Punkt ist sich der Deutsche Bundestag einig -: Die Menschen im Irak brauchen wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben genauso wie wir das Recht, in Freiheit zu leben.

(Hubertus Heil [SPD]: Vor allen Dingen zu leben! - Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst einmal zu leben!)

Uns alle eint selbstverständlich der Wunsch, dass das mit friedlichen Mitteln erreicht wird oder - so muss man inzwischen ehrlicherweise sagen - erreicht worden wäre.

   Der Schlüssel zu einer friedlichen Lösung lag und liegt bei dem Diktator Saddam Hussein. Sein Regime trägt die Verantwortung dafür, dass zwei Angriffskriege stattgefunden haben und dass gegenüber dem eigenen Volk skrupellos Gewalt angewendet worden ist. Wir wissen auch, dass sich der Diktator seit zwölf Jahren weigert, der Verpflichtung der Völkergemeinschaft nachzukommen, offen zu legen, wie er seine Massenvernichtungswaffen vernichtet hat. Er muss eindeutig klarstellen, dass von dort künftig keine Gefahr mehr ausgeht.

   Diktatoren wie Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic tun sich mit der Sprache der Diplomaten und der Diplomatie ungeheuer schwer. Sie kümmern sich nicht um humanitäre Argumente und sie kümmern sich auch nicht um die Not der Menschen im eigenen Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich weiß, dass niemand in Deutschland Krieg wollte oder gar Krieg will; aber es ist doch immer so: Wenn ein Waffengang als letztes Mittel, als Ultima Ratio, ausgeschlossen wird, dann besteht die große Gefahr, dass Diktatoren das missverstehen. Sie betrachten das dann oft als einen Freibrief und - das hat die Weltgeschichte immer wieder gezeigt - klammern sich bis zuletzt daran.

(Unruhe bei der SPD)

   Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode - sie ist in anderen Teilen vielleicht ein Stück überholt; dazu werden wir noch kommen - Ihre tief empfundene Dankbarkeit für das Engagement der Vereinigten Staaten beim Sieg über die Nazibarbarei zum Ausdruck gebracht. Das war richtig und das ist, glaube ich, heute noch aktuell.

   Wir bedauern die Zuspitzung dieser Krise; aber hier haben diplomatische Mittel versagt. Saddam hat sich auch über die Resolution 1441 hinweggesetzt. Er hat den Druck, insbesondere den diplomatischen Druck, niemals ernst genommen. Dass die Waffeninspektoren überhaupt arbeiten konnten, lag doch daran, dass ein gewaltiger Aufmarsch von Soldaten am Golf stattgefunden hat und dass Saddam den Druck gespürt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Einem Diktator muss eine entschlossene Gemeinschaft gegenüberstehen. Wenn man die Hoffnung nährt, die Weltgemeinschaft sei sich nicht einig, dann setzt ein Diktator auf die allerletzte Karte. Sie müssen sich fragen lassen, ob Sie mit Ihrer Politik bei dem Diktator nicht auch ein Stück Hoffnung genährt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämt! - Peter Dreßen [SPD]: Unmöglich! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Herr Präsident, es wird in diesem Hause - das ist ein demokratisches Forum - doch noch möglich sein, Fragen zu stellen. Der Herr Bundeskanzler hat anschließend Gelegenheit zu antworten. Er braucht Ihr Geschrei nicht. Wenn er bei seiner Politik auf alle Schreihälse von Ihrer Seite angewiesen wäre, dann würde es um unser Land noch sehr viel trüber stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich fand es bedrückend, dass im Sicherheitsrat von den Deutschen Stimmen gegen die USA gesammelt worden sind.

(Zurufe von der SPD)

Ganz abgesehen davon tue aber auch ich mich sehr schwer, in allen Punkten das nachzuvollziehen, was Bush derzeit tut.

   Sie können jetzt die Frage stellen - das wäre viel gescheiter, als hier zu schreien -, was wir getan hätten. Wenn eine Unionsregierung gewählt worden wäre - im September war es knapp davor -, dann hätte sie von Beginn an den Dialog mit unseren europäischen und amerikanischen Verbündeten gesucht und hätte alles dazu getan, zwischen den französischen Interessen auf der einen Seite und den amerikanischen Interessen auf der anderen Seite auszugleichen, so wie Regierungen vor Ihnen, Herr Bundeskanzler - das waren nicht nur die Regierung Adenauer oder die Regierung Kohl, sondern das waren genauso die Regierung Willy Brandt oder die Regierung Helmut Schmidt -, das auch immer wieder fertig gebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Jetzt kommt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dieser Krieg auf uns zu. Wir wissen, dass schon jetzt, ob wir das wollen oder nicht, deutsche Soldaten involviert sind. Deswegen meine herzliche Bitte: Herr Bundeskanzler, tun Sie alles dafür - Sie haben das gestern, als wir im Bundeskanzleramt geredet haben, versprochen -, dass die Soldaten in der Frage, ob der Deutsche Bundestag ihren Einsatz genehmigt hat oder nicht, aus der rechtlichen Grauzone herauskommen! Es ist, finde ich, eine Zumutung für die Soldatinnen und Soldaten, wenn man anders handelt.

   Ich habe dazu noch einmal nachlesen lassen oder nachgelesen.

(Lachen bei der SPD)

- Gott im Himmel! Entschuldigung! Dafür haben wir doch Juristen. Ich bin keiner. Aber ich habe wenigstens als Vater dafür gesorgt, dass sich die Zahl der Juristen vermehrt hat. Man wird doch deren Rat noch einholen dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Demnach sagt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 eindeutig: Ohne Zustimmung des Bundestages dürfen Soldaten nur eingesetzt werden, „sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“. Ich kann nicht sehen, wie das, wenn es zum Krieg kommt, bei einem Einsatz der Fuchs-Spürpanzer und der Soldaten in den AWACS-Flugzeugen bei der Luftraumüberwachung möglich sein sollte.

   Herr Bundeskanzler, es gibt verschiedene Gründe. Ich kann Sie natürlich politisch verstehen. Ich kann verstehen, dass man sich schwer tut, wenn man auf die Zustimmung - beinahe hätte ich gesagt - solcher Leute angewiesen ist.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Zustimmung ist es im Moment bei Ihnen auch nicht so weit her! - Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Entschuldigung, ich habe mich auf Ihr Verhalten vorhin bezogen. Verhalten Sie sich doch bitte so, dass ich von Kolleginnen und Kollegen sprechen kann! Tun Sie das doch bei dieser Debatte!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube nicht, dass Ihr Verhalten dem Ernst der Lage angemessen ist.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich einige Aussagen anführen. Wiefelspütz wird in den Tickermeldungen aus einem dpa-Gespräch zitiert:

Wenn wir einen zustimmungsbedürftigen Sachverhalt schaffen würden, wären wir doch mit einem Bein in diesem Krieg. Genau das wolle Bundeskanzler Schröder (SPD) verhindern. Natürlich hätten die AWACS-Maschinen die Fähigkeit, auch Iraks Luftraum zu beobachten und kriegsrelevante Informationen an die USA weiterzugeben. Aber das darf eben nicht genutzt werden.

Ich kann mir schwer vorstellen, wie das laufen soll.

   Ich zitiere aus den Meldungen eine führende Politikerin der Grünen:

... Christine Scheel bezeichnete Bushs Vorgehen als rechtswidrig. Ich gehe davon aus, dass es gegen das Völkerrecht verstößt ...

   Weiter heißt es:

Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Hans-Christian Ströbele sagte, er halte die Nutzung der US-Stützpunkte in Deutschland im Kriegsfall für verfassungswidrig.

Und so weiter.

   Ich sage das nur, weil ich deutlich machen möchte, dass die Schwierigkeiten auf der Regierungsseite klar sind. Deswegen muss aber Recht immer Recht bleiben und unsere Verfassung muss selbstverständlich eingehalten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP])

   Herr Bundeskanzler, Ihre Außenpolitik gefährdet wichtige Institutionen, denen unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, seine Sicherheit verdankt. Sie verantworten ein Stück weit die aufbrechende Spaltung der Europäischen Union.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Das ist für mich ein ungeheuer bedrückendes Erlebnis. Sie verantworten mit die Zerwürfnisse in der NATO und die nachhaltige Entfremdung in den transatlantischen Beziehungen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine Angst ist, dass damit Gefahren weit über den Tag hinaus für unser Land entstehen. Die globalen Aufgaben - der Kampf gegen den Hunger, der Schutz der Umwelt, mehr Entwicklungschancen - können doch nur gelöst werden, wenn die westlichen und auch die europäischen Staaten zusammenstehen.

   In dieser außen- und europapolitisch schwierigen Zeit steht Deutschland zudem noch - das treibt uns auf der anderen Seite um, Herr Poß - auf brüchigen ökonomischen Fundamenten. Bei unseren Nachbarn geht das Wort von Deutschland als dem kranken Mann in Europa um. Wirtschaftsexperten sprechen vom Sanierungsfall Deutschland.

(Joachim Poß [SPD]: Das ist eine Verleumdung Ihres eigenen Landes!)

Die Kurse unserer Banken und Versicherungsgesellschaften sind im Keller. Die Menschen in diesem Land machen sich Sorgen um ihre private Altersversorgung und die Sicherheit ihrer Sparguthaben.

(Joachim Poß [SPD]: So verleumden Sie Ihr eigenes Land!)

Das ist doch die bedrückende Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zur Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Haushalt ist - das habe ich gelernt; ich war früher im Haushaltsausschuss - das Schicksalsbuch der Nation. Man darf dieses Schicksalsbuch in seinen Zahlenfundamenten nicht zum Märchenbuch oder gar zum Lügenbuch machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dafür muss man sorgen, wenn man Vertrauen zurückgewinnen will.

   Die haushaltspolitischen Perspektiven sind düster. Der Haushalt 2003 ist ein Spiegelbild der Lage in Deutschland. Ohne Sanierung drohen Abstieg und Pleite. Sanieren kann nur - Herr Bundeskanzler, das möchte ich Ihnen sagen -, wer vorher schonungslos die Wahrheit auf den Tisch legt.

(Hubertus Heil [SPD]: Wie Herr Stoiber!)

Wenn es keine schonungslose Diagnose gibt, dann ist auch die Bereitschaft zu einer harten Therapie nicht gegeben. Deswegen befürchte ich, dass Sie sich schwer tun werden, all das durchzusetzen, was Sie am vergangenen Freitag angekündigt haben.

(Zuruf von der FDP: So viel war es ja nicht!)

   Tatsache ist: Die Massenarbeitslosigkeit hat eine noch nie gekannte Höhe erreicht.

(Widerspruch bei der SPD)

4,7 Millionen Arbeitslose gab es im Februar; das ist die dritthöchste Zahl aller Zeiten. Jeder zweite Arbeitnehmer macht sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Tatsache ist: Deutschlands Wirtschaft ist zum Schlusslicht in Europa geworden und stagniert seit Monaten.

(Zuruf von der SPD: Reden Sie das Land doch nicht immer schlecht!)

- Ich nehme den Zwischenruf von der SPD auf, ich würde das Land schlecht reden: Das ist die übliche Masche.

   Ich möchte, wenn Sie darauf besser hören, damit beginnen, Genossen zu zitieren. Genosse Ernst Welteke, der früher Finanzminister in Hessen war und jetzt Präsident der Bundesbank ist, sagt, Deutschland sei seit zwei Jahren in einer Phase der Quasistagnation. Genosse Florian Gerster, früher Sozialminister in Rheinland-Pfalz, spricht in seiner Eigenschaft als Präsident der Bundesanstalt für Arbeit ebenfalls von einer Phase der Stagnation. Deswegen ist es Unfug, wenn Sie dazwischenrufen, wir würden das Land schlecht reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD)

   Hören Sie sich doch zumindest die Tatsachen an! Tatsache ist: Das Defizit im Bundeshaushalt hat zu einem Verfahren wegen Verletzung des Stabilitätspakts geführt. Tatsache ist: Obwohl die angebliche Rückführung der Neuverschuldung noch vor wenigen Wochen zum Markenzeichen rot-grüner Politik erklärt worden ist und Herr Eichel schon für 2004 einen ausgeglichenen Haushalt versprochen hat, ist dies alles in weiter Ferne.

   Tatsache ist, die Krise der Sozialversicherungen ist nicht mehr zu leugnen: Die Pflegeversicherung ist ein Pflegefall. Die Krankenversicherung liegt auf der Intensivstation.

(Zuruf von der SPD: Sprüche! Sprüche!)

Das System der Altersversorgung leidet an Altersschwäche. In der Arbeitsmarktpolitik herrscht Vollbeschäftigung, allerdings nur bei den deutschen Arbeitsämtern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, das alles - ob Sie es gerne hören oder nicht - ist Ergebnis Ihrer Politik. All das hätten Sie am Freitag bilanzieren müssen. Vielleicht wäre dann die Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen bis hinüber in den Gewerkschaftsflügel der SPD vorgedrungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Ankündigungen, die unter dem Stichwort „Agenda 2010“ großspurig erfolgt sind, wirklich umgesetzt werden. In Wirklichkeit war es ein Stück Offenbarungseid, ein Eingeständnis des Scheiterns des bisherigen Kurses.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Kurs im Moment?)

Das hat es eigentlich noch nie gegeben, dass das, was in der Regierungserklärung angekündigt worden ist, bereits nach einem halben Jahr so stark korrigiert werden musste.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie uns, was Sie wollen!)

Diese Rede, Frau Göring-Eckardt, war doch eine flehende, nach innen gerichtete Bitte an die Reihen hier, endlich das zu tun, was notwendig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Wo sind Ihre Vorschläge?)

   Ich könnte jetzt, wenn ich noch mehr Zeit hätte, die Pressestimmen zitieren, die es direkt nach dieser Rede gegeben hat.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie uns mal, was Sie tun wollen!)

Eine genügt. Das „Handelsblatt“, das ansonsten Rot-Grün gegenüber nicht sehr kritisch ist, hat geschrieben: „mehr Murks als Mut“. Das war das Resümee. Wie gesagt, ich habe jede Menge Zitate dabei.

   Sie haben sich vorher von Ihrer eigenen Propagandaabteilung - das ist legitim - hochstilisieren lassen. Diese Rede ist in solche Sphären gehoben worden, dass es gar nicht gut gehen konnte. Ich kann zu diesem so genannten großen Wurf nur sagen: Gewogen und für zu leicht befunden, Herr Bundeskanzler. Das war das Urteil der Experten über das, was Sie vorgelegt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich kann Ihnen ein Weiteres nicht ersparen. Ich erinnere mich sehr intensiv an die Zeit der Bundestagswahl,

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie verloren!)

an die Fernsehduelle, die da stattgefunden haben, und auch an Ihre Großspurigkeit, mit der Sie den Kanzlerkandidaten der Union, Ministerpräsident Stoiber, dabei behandelt haben. Sie haben zu ihm gesagt: „Herr Ministerpräsident, Sie wollen Bundeskanzler werden - Sie können es nicht.“

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Schauen Sie sich an, wo wir nach einem halben Jahr stehen! Ich kann nur sagen: Herr Bundeskanzler, Sie können es nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Geben Sie Ihr Mandat an die Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik Deutschland zurück! Neuwahlen wären die sauberste Lösung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundeskanzler, für das, was Sie angekündigt haben, haben Sie doch überhaupt keine Legitimation von den Wählerinnen und Wählern.

(Widerspruch bei der SPD)

- Nein, Sie haben keine Legitimation. Ich bringe ein paar Beispiele. Sie haben am Freitag gesagt, Sie wollen die Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau herunterfahren. Vor der Wahl versprach die SPD „keine Absenkung der künftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau“.

(Hubertus Heil [SPD]: Was wollen Sie denn?)

   Ein weiteres Beispiel. Am Freitag wollten Sie den Kündigungsschutz für Kleinbetriebe ab fünf Mitarbeiter besser handelbar machen. Vor der Wahl lobte die SPD die Geltung des Kündigungsschutzes in Betrieben ab fünf Mitarbeitern als Beitrag zum sozialen Frieden.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was will denn die Union?)

Wenn Politik nicht auf Wahrheit gebaut ist, dann wird sie bei den Menschen keinen Erfolg haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir erleben schon über eine lange Zeit die Argumentation mit Ausflüchten. Zunächst war es die nachlassende US-Konjunktur, dann der 11. September, dann der vermeintlich zu restriktive europäische Stabilitätspakt, dann die mangelnde Unterstützung seitens der Europäischen Zentralbank. Künftig wird wohl immer wieder der Irak als Grund herangezogen werden, warum man die selbst gesteckten Ziele nicht erreichen kann.

   Ich sage Ihnen - da stehe ich nicht allein; das sagen Ihnen auch die Wirtschaftsexperten -: Die Ursachen unserer deutschen Misere sind binnenwirtschaftlicher Natur. Es sind hausgemachte Fehler der Regierung Schröder: die Rekorddefizite in den öffentlichen Haushalten, die offensichtlich unaufhaltsam steigenden Lohnnebenkosten und die totale Verkrustung des Arbeitsmarktes. All das ist binnenwirtschaftlich bedingt.

   Diese Realitätsverweigerung, die da besteht, erinnert mich an einen Leichtathletiktrainer, der als Ausrede für die Niederlage seiner Läufer sagt, es habe schlechtes Wetter geherrscht. Dabei vergisst er, zu sagen, dass die anderen Läufer in der gleichen Witterung haben starten müssen.

   Der angekündigte zaghafte Kurswechsel war überfällig. Wir wollen, dass Deutschland wieder aufs Siegertreppchen kommt.

(Walter Schöler [SPD]: Unsere Startblöcke standen auf Ihrem Morast!

Das ist nur möglich, wenn die notwendigen Reformen auch durchgesetzt werden.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn? Die von Herrn Stoiber oder von Herrn Seehofer?)

Durchsetzen müssen Sie diese Reformen in allererster Linie in den eigenen Reihen. Es sind nur ganz wenige Maßnahmen dabei, die im Bundesrat zustimmungspflichtig sind. Die allermeisten Maßnahmen können Sie mit Ihrer rot-grünen Mehrheit durchsetzen, wenn Sie diese Mehrheit denn haben. Die Opposition ist kein Hilfsaggregat und kein Hilfsmotor

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern? - Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind gar kein Motor!)

für eine Regierung, die mit dem Rücken zur Wand steht. Deswegen kann ich nur sagen: Viel Glück und gute Reise! Setzen Sie durch, was Sie angekündigt haben! Bei Maßnahmen - wie zum Beispiel bei der Flutopferhilfe -, bei der die Bundesratsmehrheit gebraucht wird, um das Abkassieren der Kommunen wieder einzustellen, werden Sie unsere Unterstützung bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Oh!)

   Herr Bundeskanzler, was Ihnen persönlich fehlt - das ist ein großes Problem nicht nur für Sie und diese Regierung, sondern inzwischen auch für unser Land -, ist die Geradlinigkeit.

(Lachen bei der SPD)

Geradlinigkeit ist eine Grundvoraussetzung für Vertrauen. Vor der Wahl galt die Politik der ruhigen Hand; nach der Wahl hat die hektische Hand eingesetzt, die planlos gehandelt hat. Ein hakenschlagender Hase auf der Flucht hat sehr viel mehr Geradlinigkeit, als es die rot-grüne Politik in den letzten Jahren jemals hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Unserem Land - Herr Bundeskanzler, das sage ich aus tiefer Überzeugung - fehlt die politische Führung. Darunter versteht man das, woran sich die Menschen festhalten können: die Kalkulierbarkeit der Regierenden. Aus dieser Kalkulierbarkeit entwickelt sich Vertrauen.

   Ich nenne als Beispiel das Hickhack über die Steuererhöhungen - erst waren es 48; am Schluss waren es noch 33 -, von denen Sie gewusst haben, dass sie im Bundesrat am Ende keine Mehrheit finden werden. Man hat trotzdem nach dem Motto „Was zwischendurch geschieht, ist uns egal“ ungeheuer viel Vertrauenskapital zerstört. Die geplante 50-prozentige Steuererhöhung auf Firmenwagen beispielsweise wird zwar keinen Euro in die Kasse bringen; aber sie hat zutiefst Verunsicherung ausgelöst, unserer Automobilwirtschaft geschadet und Kaufzurückhaltung bewirkt.

   Ein weiteres Beispiel: Sie haben über Monate aufrechterhalten - ich habe gehört, dass es jetzt richtigerweise doch nicht Bestandteil des entsprechenden Gesetzentwurfes ist -, den deutschen Bankkunden gläsern machen zu wollen. Sie haben ihn damit verunsichert. Ich finde, eine Politik, die auf die Verunsicherung der Wähler setzt, kann keinen Erfolg haben.

(Widerspruch bei der SPD)

   Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch den Wählerinnen und Wählern in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die haben Ihnen dafür die entsprechende Quittung gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn jetzt eine Änderung Ihrer Politik erfolgen soll, dann ist das doch nicht einer besseren Einsicht zu verdanken, sondern ausschließlich den Wählerinnen und Wählern in den drei genannten Bundesländern, die Ihnen die rote Karte gezeigt haben. Auch in Ihrer Partei mehren sich die Stimmen, die Ihre Politik infrage stellen.

   Ich kann nur feststellen: Ich wünsche mir, Ihnen und unserem Land, dass das, was Sie angekündigt haben, gelingt. Eckpunkte der Reformen, zum Beispiel der Reform des Gesundheitswesens, haben wir vorher angekündigt. Sie haben richtigerweise - dafür bedanke ich mich ausdrücklich - Horst Seehofer wieder freigesprochen. Was hat der Mann, der als unsozial bezeichnet worden ist, in all den Jahren über sich ergehen lassen müssen!

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die 98-er und die folgende Wahl gewonnen, indem Sie immer wieder die Geschichte von den unterschiedlichen Zähnen der Armen und der Reichen erzählt haben. Jetzt haben Sie endlich das gefordert, was Seehofer vorgeschlagen hat: eine Beteiligung der Menschen an den kleinen Risiken, mehr Verantwortungsübernahme durch den Einzelnen. Das ist der richtige Weg.

   Von der demographischen Formel in der Rente bis hin zu Lockerungen auf dem Arbeitsmarkt könnte ich Ihnen nacheinander aufzählen, was alles bereits in unserem Wahlprogramm stand. Ich kann es Ihnen nur immer wieder zur Lektüre empfehlen. Sie haben daraus abgekupfert. Sie haben bei dem, was Sie erklärt haben, auch die Beschlüsse unserer Fraktion einbezogen. Das alles ist richtig. Deswegen fordere ich Sie auf: Haben Sie den Mut, sich für die Polemik und die Schmutzkübel zu entschuldigen, die Sie zuvor über die Union gegossen haben!

(Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der SPD)

Auch das gehört zu einem Neuanfang.

   Kündigungsschutz genießt bei Ihnen offensichtlich nur Minister Eichel. Es gibt kaum einen Minister, der so versagt hat, der so danebenliegt und der sich offensichtlich immer noch im Amt wohl fühlt. Das kann nur damit zusammenhängen, dass gegenwärtig offensichtlich niemand bereit ist, dieses Amt zu übernehmen.

   Verehrter Herr Minister Eichel, wenn ich Ihr Sündenregister aufzählen sollte, würde es meine Redezeit sprengen. Ich möchte nur so viel sagen: Eine weitere Ursache der Kaufkraftschwäche und des mangelnden Vertrauens bei uns im Land ist die Tatsache, dass nach Schätzungen der „Financial Times Deutschland“ inzwischen 1 000 Milliarden Euro durch den Schornstein der Börse gejagt worden sind. Diese bedrückende Zahl ist nicht nur Buchgeld, sondern schwächt auch die Kaufkraft.

(Walter Schöler [SPD]: Was haben Sie verloren?)

- Das geht Sie nichts an. Ich habe an der Telekom-Aktie weniger Geld verloren als andere Leute, weil ich ein misstrauischer Mensch bin.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich auch!)

Der rot-grünen Regierung habe ich von Anfang an misstraut.

   Herr Bundeskanzler, es lag doch in der Verantwortung Ihres Finanzministers. Er hat doch den Menschen von Herrn Krug die dritte Tranche der Telekom-Aktien für 66,50 Euro aufschwatzen lassen.

Sie haben also über Werbeagenturen einen Schwätzer eingestellt, um die Leute zu belatschern. Dabei sind allein 15 Milliarden Euro verloren gegangen. Damit haben Sie ein schlechtes Beispiel für Ehrlichkeit, Klarheit und Wahrheit an der Börse gegeben. Und es waren die kleinen Leute, die das Geld verloren haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine Umverteilung von der Verkäuferin oder von einem Industriearbeiter, die mit einer Aktie, die der Bund anbietet, auch privat vorsorgen wollen, hin zu einer angeblichen Haushaltssanierung ist das, was man unter Umverteilung von unten nach oben versteht. Auch hier sind Wahrheit und Klarheit die Voraussetzungen, um Vertrauen zurückzugewinnen.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zur Verantwortung der Opposition.

(Zurufe von der SPD: Oh! - Aha!)

Aufgabe der Opposition in einem demokratischen Land ist es, Fehlentwicklungen offen zu legen und so weit wie möglich zu korrigieren.

(Zuruf von der SPD: Aber nicht, das Land schlecht zu reden!)

Wir können nicht die Probleme des Landes lösen

(Zuruf von der SPD: Genau, das sagen wir ja immer schon!)

ohne Mehrheit im Deutschen Bundestag. Das ist nicht möglich, das war nie möglich und das wird nie möglich sein.

(Hubertus Heil [SPD]: Sie sind auch nicht in der Lage dazu!)

   Ich sage noch einmal: Wo wir unbedingt gebraucht werden und wenn es vernünftig ist, werden wir helfen. Wir haben das zum Beispiel schon bei der Wiedereinführung einer vernünftigen Lösung für die so genannten geringfügigen Arbeitsverhältnisse gezeigt und wir werden das auch in anderer Art und Weise tun. Aber Politik ist natürlich immer wieder ein Bohren dicker Bretter mit einem dünnen Bohrer, um Max Weber zu zitieren.

(Zurufe von der SPD: Sie sind ein Dünnbrettbohrer!)

Das ist in der Wirtschaftspolitik und in der Sozialpolitik erforderlich. Max Weber fordert auch eine Politik mit Leidenschaft und Augenmaß.

   Herr Bundeskanzler, ein Letztes: Wer eine Kundgebung in einer niedersächsischen Provinzstadt - Goslar hat sie, glaube ich, geheißen -

(Hubertus Heil [SPD]: Nichts gegen Goslar!)

für die passende Bühne der Weltpolitik hält, der hat es ungeheuer schwer, in Deutschland und darüber hinaus ernst genommen zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zuruf von der SPD: Ja, Vilshofen ist besser! Oder Passau!)

   Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Hause und dort, wo Sie uns zuschauen: Deutschland braucht Glaubwürdigkeit und Vertrauen, gerade in dieser schwierigen Zeit. Wenn wir mehr Zukunftschancen für die Deutschen schaffen wollen, wenn wir wollen, dass die von Konrad Adenauer und Helmut Kohl aufgebauten außen- und europapolitischen Sicherheitsfundamente in der Zukunft weiter halten, dann müssen Vertrauen und Kalkulierbarkeit in die Politik zurückkehren. Daran haben wir ein gemeinsames Interesse. Herr Bundeskanzler, wenn Sie dies tun, werden wir Sie dabei unterstützen.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Franz Müntefering, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Franz Müntefering (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Irak droht Krieg. Herr Glos hat das eben einen Waffengang genannt. Das hörte sich nach Spaziergang an. Krieg ist aber Zerstörung, Krieg ist Tod, Krieg ist Elend, Krieg ist Armut. Herr Glos, wenn Sie sagen, die Menschen im Irak haben ein Recht, in Freiheit zu leben, sage ich: Ja, sie haben vor allem ein Recht, zu leben, und deshalb wollen wir keinen Krieg im Irak.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Alle haben ein Recht, zu leben, auch die Iraker!)

   Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts - das bleibt richtig. Deshalb ist und bleibt die Politik von Gerhard Schröder, Joschka Fischer und dieser Koalition richtig, sich darum zu bemühen, das Gewaltpotenzial, das es im Irak bei Saddam Hussein zweifellos gibt, im Griff zu behalten und das Problem auf friedlichem Wege zu lösen. Dies war und ist durch eine intensive, lange Inspektion möglich. Krieg im Irak ist nicht nötig und deshalb wollen wir ihn nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn sich in den nächsten Stunden und Tagen herausstellen sollte, dass es diesen Krieg doch gibt, so war es richtig - und wir sind stolz damit -, dass wir in der Koalition zusammen mit vielen Menschen in unserem Lande den ehrenwerten Versuch unternommen haben, alles daranzusetzen, was in unseren Kräften stand und steht, um diesen Krieg zu verhindern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Merkel, nun sind Sie an der Reihe; heute ist für Sie die Stunde der Wahrheit. Lauwarm geht nicht mehr!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen sich heute entscheiden und vor dem Deutschen Bundestag und dem deutschen Volk sagen, ob Sie angesichts der Situation im Irak die Politik der Bundesregierung unterstützen oder ob Sie den Antrag stellen, dass sich Deutschland an dem Krieg im Irak mit Soldaten beteiligen solle.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatschkopf! - Zurufe von der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: So ist das!)

- Regen Sie sich nicht auf! In diese Alternative haben Sie sich hineinmanövriert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entweder unterstützen Sie das, was die Bundesregierung tut, oder Sie unterstützen, wie Sie es gestern angedeutet haben, Frau Merkel, das, was der US-Präsident gesagt hat.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie reden Unsinn!)

Wenn Sie bei dem mitmachen wollen, was die Vereinigten Staaten tun, dann stellen Sie einen Antrag. Sie werden für ihn keine Mehrheit bekommen, selbst in den eigenen Reihen nicht. Aber dann ist in Deutschland klar, wer hier was will. Hören Sie auf mit Lauwarm!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Lauwarm sind Sie!)

   Am Freitag, dem 14. März, hat der Bundeskanzler hier die Prinzipien und Leitlinien sowie eine Reihe konkreter Maßnahmen für die wesentlichen politischen Projekte der nächsten Zeit angesprochen: Gesundheitsreform, Gemeindefinanzreform, Mittelstand, Wachstum, Arbeitnehmerrechte, Innovation, Jugend. An diesem Freitag gab es von der Opposition zwei Antworten: eine Antwort Merkel, eine Antwort Stoiber. Was die Meinung der Union ist, ist dabei nicht richtig klar geworden. Klar geworden ist nur, dass es in Ihrer Fraktion über das Verhalten von Herrn Stoiber Unmut gibt.

   Dies beschrieb Herr Seehofer in seinem „Focus“-Interview, als er sagte, bei den Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion herrsche großer Unmut, denn Stoiber habe in der Rentenpolitik, beim Arbeitslosengeld und beim Kündigungsschutz Positionen bezogen, die nicht abgestimmt seien. Dies wurde von Herrn Arentz, dem „Enkel“ von Norbert Blüm, unterstrichen, indem er sagte, die Idee des CSU-Vorsitzenden, das Gesetz erst in Betrieben ab 20 Mitarbeitern anzuwenden, nähme schlagartig 80 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland den Kündigungsschutz. Konsequenterweise hat Herr Bosbach - Ihr Stellvertreter, Frau Merkel - geäußert, die CDU/CSU-Fraktion könne jetzt nicht die Frage beantworten, was sie von den Ankündigungen des Bundeskanzlers mittragen werde und was nicht.

   Das ist Ihr Problem: Sie haben seit einem halben Jahr gefordert, die Regierungsparteien und die Koalition sollten auf den Tisch legen, was sie wollen. Nun haben wir es auf den Tisch gelegt, aber nun wissen Sie nicht Bescheid, was Sie wollen. Sortieren Sie sich einmal und geben Sie eine klare Antwort! Jetzt ist die Zeit, in der man dies nicht mehr länger verschieben kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden noch vor dem Sommer - es bleibt bei unserem Zeitplan - zu den drei großen Paketen Gesundheit, Gemeindefinanzreform sowie Mittelstand und Wachstum unsere Konzepte auf den Tisch legen. Dann werden Sie als Opposition gefragt sein, was Sie wirklich wollen. Im Augenblick ist das nicht zu erkennen, aber das stört uns nicht. Wir arbeiten daran, die Gesetzentwürfe in den nächsten Wochen vorzulegen. Dann werden Sie sich entscheiden müssen.

   Aber nicht nur Sie, sondern auch die übrige interessierte Öffentlichkeit hat die Rede vom vergangenen Freitag ohne eine eigene klare Meinung und zum Teil auch mit der Absicht aufgenommen, Dinge, die gesagt worden sind, zu verzerren oder falsch darzustellen. In der „Bild am Sonntag“ wurde auf den Seiten 2 und 3 das Beispiel einer Familie und ihrer Betroffenheit durch unsere Ankündigung in Bezug auf das Arbeitslosengeld dargestellt.

(Zuruf der SPD: „Bild lügt!)

Zu Familienvater Lange, Alter 46, schreibt die „Bild am Sonntag“: Verliert Lange seinen Job, erhält er zwölf statt bisher maximal 32 Monate lang Arbeitslosengeld. Ein 46-Jähriger aber bekommt heute nicht 32, sondern maximal 18 Monate lang Arbeitslosengeld. Das muss man nur wissen und wenn man es weiß, darf man nichts Falsches schreiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Weiterhin steht in der „Bild am Sonntag“, dass Gabriele Lange, die Ehefrau von Herrn Lange, 44 Jahre alt, wenn sie arbeitslos wird, künftig nur noch zwölf Monate lang Arbeitslosengeld bekommt. Ein 44-Jähriger bekommt aber in Deutschland nie länger als zwölf Monate lang Arbeitslosengeld. Auch das muss man wissen und darf nicht lügen, auch sonntags nicht. Das gilt auch für die „Bild“-Zeitung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Kürzung des Arbeitslosengeldes fällt Sozialdemokraten nicht leicht. Darüber gibt es bei uns eine intensive Diskussion, was auch angemessen ist. Man muss sich aber vor Augen führen: Im Jahre 2001 - das wird 2002 nicht anders gewesen sein - haben 80 Prozent derer, die in Deutschland Arbeitslosengeld bekommen, dieses zwölf Monate lang oder kürzer bekommen, 7 Prozent haben es länger als 24 Monate lang bekommen. Vor diesem Hintergrund sind die Fragen, wer in diesem Land was bezahlt und was zu tun ist, damit die sozialen Sicherungssysteme dauerhaft zu erhalten sind, erlaubt. Wir werden darauf eine vernünftige Antwort geben, wie der Kanzler sie bereits angesprochen hat. Unser Gesetzentwurf ist vertretbar und wir werden ihn auch so beschließen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Uns geht es darum, Arbeit zu schaffen, Wohlstand zu sichern und soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau dauerhaft möglich zu machen. Dazu brauchen wir einen Haushalt, der diesen Ansprüchen genügt. Der Haushalt 2003 ist ein solcher.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man kann das an einem Punkt klar machen: 1998 musste der Bundesfinanzminister von jeder Mark Steuern, die er einnahm, 22 Prozent für Zinszahlungen aufwenden. Diese Quote ist unter Hans Eichel auf 19 Prozent reduziert worden. Das ist noch nicht das Ergebnis, das wir letztlich brauchen, aber er muss von jedem Euro, den er einnimmt, 3 Prozent weniger an Zinsen zahlen, als Sie das 1998 noch mussten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sage ich Hans Eichel - ein Finanzminister muss ja sehr viel aushalten - hier einmal Danke schön für die Arbeit in diesen vier Jahren und auch für das, was jetzt zu leisten ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auf Wiedersehen!)

- Ach ja, das wissen Sie doch. Wir alle stecken voller Ideen dazu, was man noch tun könnte, aber der Finanzminister ist derjenige, der uns sagen muss, was geht und was nicht. Da sind wir auch ehrlich miteinander. Wir bedrängen ihn auch, aber wir brauchen auf diesem Stuhl jemanden, der uns jeden Tag morgens und abends und zwischendurch auch noch einmal sagt: Wir müssen in diesem Land auch sparen, denn wir wollen, dass unsere Kinder und Kindeskinder von uns noch etwas anderes erben als Schuldscheine und Hypotheken, Herr Austermann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auf Wiedersehen!)

   Stoiber ist am Freitag mit Spendierhosen durch den Bundestag marschiert. Lesen Sie einmal nach, was er alles gesagt hat. Er ist schon ein Phänomen und hat eine Rede der besonderen Art gehalten. Er fordert erstens zu sparen, aber zweitens mehr auszugeben. Die Quadratur des Kreises ist eine Kleinigkeit gegenüber dem, was Herr Stoiber da erzählt hat.

(Lachen der Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU])

- Frau Merkel lacht dankbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Und noch nicht einmal abgestimmt!)

   Es geht darum, die Kommunen in diesem Land in die Situation zu versetzen, ihren Aufgaben gerecht werden zu können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stadt und Gemeinde sind mehr als die bloße Ansammlung vieler Häuser.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Wenn wir über Föderalismus und bundesstaatliche Ordnung sprechen - Frau Merkel, auch Sie haben dieses Thema angesprochen; es ist also von gemeinsamem Interesse -, dann kommt es darauf an, Zeichen zu setzen, wohin hier die Reise gehen soll. Wir dürfen Kommunalpolitik nicht als ein Untergeschoss der Politik auffassen; sie ist vielmehr eine tragende Säule der Demokratie. Das ist ganz klar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sagen gerade Sie!)

   Weil das so ist, tun wir alles dafür, dass die finanzielle Situation der Kommunen gestärkt wird.

(Lachen bei der CDU/CSU - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Abgewählt!)

- Ihre Politik ist kommunalfeindlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja eine Lachnummer!)

Sie haben am Freitag im Bundesrat das Steuervergünstigungsabbaugesetz abgelehnt. Dieses Gesetz - es enthält unter anderem die Erhöhung der Körperschaftsteuer - hätte den Kommunen in diesem Jahr 300 Millionen Euro mehr gebracht. Sie haben am Freitag letzter Woche den Kommunen für dieses Jahr also 300 Millionen Euro verweigert. Das ist Ihre Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie haben ihnen 2,5 Milliarden weggenommen!)

   Sie haben durch Ihre Entscheidung am Freitag den Kommunen zusätzliche Gelder in Höhe von 2,6 Milliarden Euro für das nächste Jahr verweigert. Auch das ist Ihre Politik. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode hätte es durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz 6,5 bis 7 Milliarden Euro mehr für die Städte und Gemeinden gegeben. Das wollen wir erreichen. Sie jedoch verweigern das. Deshalb ist Ihre Politik kommunalfeindlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei Steuern haben Sie sich schon immer verschätzt!)

   Heute Morgen habe ich gehört, dass Ministerpräsident Müller aus dem Saarland gesagt hat, die Erhöhung der Mehrwertsteuer könne die Lösung sein. Ich bin gespannt. Denn im Moment geht es darum - das ist ein interessanter Punkt -, im Bundesrat die Zustimmung für die Wiederbelebung der Körperschaftsteuer zu bekommen. Die großen Unternehmen mussten in unserer Regierungszeit bisher weniger Steuern zahlen als jemals zuvor. Manchen von uns ist es schwer gefallen, das mitzutragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Produkt sozialdemokratischer Politik!)

- Es ist interessant, was Sie sagen. Mit Ihrem Zwischenruf zeigen Sie doch, dass Sie der Meinung sind, die Unternehmen sollten Körperschaftsteuer zahlen. Wenn Sie das wollen, warum lehnen Sie dann unseren Vorschlag am Freitag im Bundesrat ab? Beschließen Sie das doch mit uns! Das ist doch ganz einfach.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ihre Steuerreform ist Murks!)

   Durch die Wiederbelebung der Körperschaftsteuer wollen wir versuchen, den breiten Schultern mehr aufzuladen, als sie bisher tragen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie war es denn in 2001 und 2002?)

Das haben wir im Gesetz so vorgesehen. Sie sind dagegen. Sie wollen diejenigen schützen, die in diesem Land dringend wieder Steuern zahlen müssten. Stimmen Sie der Erhöhung der Körperschaftsteuer zu! Das ist unser Anliegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Oberbürgermeistern und Bürgermeistern; ein paar von ihnen müssten Sie ja noch kennen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schleswig-Holstein! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Lassen Sie sich von ihnen erklären, wie deren Haushalte eigentlich aussehen. Sie rechnen für die Jahre 2003 und 2004 in ihren Haushalten mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz und dass sie dadurch von uns Geld bekommen. Auch die Bürgermeister der CDU/CSU rechnen in ihren Haushalten schon längst mit den Regelungen, die in unserem Gesetz stehen. Sie verweigern es ihnen, Frau Oberbürgermeisterin von Kiel in spe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Warum ist sie denn gewählt worden?)

   Außerdem werden die Kommunen in diesem Jahr etwa 2 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung haben, weil wir sie vom Beitrag zur Flutopferhilfe entlasten. Auch aus der Abgeltungsteuer aufgrund der Quasi-Amnestie werden sie zusätzliches Geld haben. Es geht um 2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Ich bin gespannt, ob Sie dem zustimmen. Herr Glos hat sich, was die Flutopferhilfe anging, eben etwas verplappert; zumindest war es nicht logisch. Er hat gesagt, wir würden den Gemeinden das geben, was ihnen sowieso zusteht. Ich erinnere mich aber, dass Herr Glos, als wir die Entscheidung getroffen haben, gefordert hat, wir sollten eine Steuersenkung vornehmen. In dem Fall wäre das Geld weg gewesen. Den Gemeinden nun mehr als eine Milliarde Euro zu geben ist nur möglich, weil wir in Sachen Flutopfer so entschieden haben, wie wir entschieden haben. Herr Glos, das müssten doch auch Sie begreifen oder?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie lügen, dass sich die Balken biegen!)

   Wir werden bis zum Sommer entscheiden, wie wir bei der Gewerbesteuer weiter verfahren. Wir müssen entscheiden, was die Rolle und Funktion der Gewerbesteuer in Zukunft sein wird. Die Gemeinden brauchen eine größere Stabilität in ihren Haushalten. Daran arbeiten wir. Dafür wollen wir sorgen. Äußern aber auch Sie sich dazu. Bisher kann man nicht erkennen, was die CDU/CSU eigentlich will. Wie soll Ihrer Meinung die Gewerbesteuer gestaltet werden? Wie soll die gewerbesteuerliche Organschaft aussehen? Wie sollen die freien Berufe einbezogen werden? Wir werden vorschlagen, dass auch die freien Berufe in Zukunft, wie immer diese Steuer dann heißt, in die Steuer einbezogen werden. Gewerbebetriebe müssen Gewerbesteuern zahlen. Das soll in Zukunft auch für die freien Berufe gelten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Habe ich es mir doch gedacht!)

   Wir geben den Kommunen und dem privaten Bereich einen Kreditrahmen für Investitionen. Darüber sprechen Sie nicht viel. Es ist auch vor allen Dingen unsere Aufgabe, darüber zu sprechen. Dabei geht es um einen dicken Batzen, nämlich um den Kreditrahmen für die Kommunen im Umfang von 7 Milliarden Euro. Sie sagen, dass das nicht allen Kommunen hilft, weil viele von ihnen nicht die Möglichkeit haben, weitere Kredite aufzunehmen. Ich sage Ihnen: Das wissen wir; das ist richtig. Es ist auch kein Trost für diejenigen, die ganz schwach sind.

   Die Hälfte der Kommunen in Deutschland ist aber in der Lage, solche Angebote zu nutzen, und sie werden sie auch nutzen. Mit Zinsverbilligungen werden wir den entsprechenden Impuls geben. Ich bin mir sicher: Mit dem, was wir den Kommunen durch ein solches zinsverbilligtes Kreditprogramm zur Verfügung stellen, werden wir viele zusätzliche private Investitionen auslösen. Wir wollen, dass für das Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen in der Region Arbeit vor Ort entsteht.

   Wenn Sie so wollen, geht es um niederschwellige Bauarbeit, die man nicht mit riesigen Losen in ganz Europa ausschreiben muss und die dann von großen Unternehmen möglicherweise von irgendwoher in Europa geleistet wird. Wir wollen ein Programm, von dem die Handwerker und die kleinen und mittleren Unternehmen am Ort etwas haben und durch das die Menschen Arbeit erhalten. Das ist hiermit angelegt und das funktioniert auch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das gilt natürlich auch für die 8 Milliarden Euro im privaten Bereich. Die ersten Baransätze stehen in diesem Haushalt; Walter Schöler hat es gestern erläutert. Mit dem Haushalt, den wir heute beraten und über den wir morgen endgültig entscheiden, beschließen wir auch, ob es die KfW-Programme für die Kommunen und die Privaten gibt. Wer morgen gegen den Haushalt stimmt, der stimmt auch gegen diese Hilfe für die Kommunen und für die Privaten und dagegen, dass in Deutschland Arbeitsplätze entstehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: So ein Lügenbeutel!)

- Wenn Herr Austermann „Lügenbeutel“ zu mir sagt, ist das fast ein Ehrentitel. Das nehme ich von Ihnen gerne an, Herr Austermann.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schauen Sie sich doch die Situation in den Kommunen in Schleswig-Holstein an!)

- Sie gefallen mir nämlich in besonderer Weise. Ich habe es mir in den letzten Tagen angeschaut. Sie können mich beschimpfen, wie Sie wollen. Das trifft mich nicht. Dabei bin ich voller Gelassenheit.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist immer die Wahrheit!)

So sind diese Leute eben, wie Herr Glos das gerade gesagt hat. Machen Sie also ruhig weiter.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, wir werden hierbei aber nicht stehen bleiben. Auch im Bereich der energetischen Gebäudesanierung werden wir in diesem Jahr drauflegen. 160 Millionen Euro stehen dafür im Haushalt. Auch darüber wird heute und morgen abgestimmt werden. Herr Minister Stolpe und Herr Trittin haben das in der Koalition miteinander vereinbart.

   Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir dazu einladen und Impulse dafür geben, den Gebäudestand in Deutschland energetisch zu modernisieren. Das hört sich wie eine Kleinigkeit an. Wir stehen dabei aber vor eine riesigen Aufgabe. 60 bis 70 Prozent der Gebäude, die im Jahre 2060 in Deutschland stehen werden, stehen auch heute schon. Durch diese kommt es zu einem viel zu hohen Energieverbrauch. Wir nehmen die alte Idee von Arbeit und Umwelt, bei der wir in Deutschland schon einmal weiter waren, wieder auf und sagen: Jawohl, man kann mit einer vernünftigen energetischen Gebäudesanierung dafür sorgen, dass die Umwelt entlastet wird und dass die kleinen Handwerker und mittleren Unternehmen Arbeit erhalten. 160 Millionen Euro stehen dafür im Haushalt. Stimmen Sie morgen zu und tun Sie ein gutes Werk für das Handwerk vor Ort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In unserem Haushalt gibt es ein Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien. Zu Zeiten von Helmut Kohl standen dafür 10 Millionen pro Jahr zur Verfügung; inzwischen sind es 190 Millionen. Dieses Thema hat hier in den vergangenen Jahren leider keine große Rolle gespielt. Vielleicht sollten wir uns das ein wenig genauer anschauen und die Naturkatastrophen der vergangenen Jahre nicht als Jahrhundertereignisse hinnehmen, so als wären alle Naturkatastrophen dieses Jahrhunderts sozusagen schon abgefeiert. Wir sollten begreifen, dass hiermit etwas auf die Zivilisation zukommt, womit wir uns auseinanderzusetzen haben.

   In der letzten Legislaturperiode gab es im Deutschen Bundestag 16 Abstimmungen, bei denen es um die Frage ging, ob man mit Energie vernünftiger, sparsamer und rationeller umgehen kann und ob man die erneuerbaren Energien stärker als bisher fördern soll. 14-mal haben Sie dagegen gestimmt - das also zur Frage der Sensibilität in Sachen Umweltpolitik auf der rechten Seite des Hauses.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der eigentliche Punkt für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist gestern noch einmal deutlich geworden, als wir hier über Bildung und Forschung gesprochen haben. Das war für Sie eine Lehrstunde. Diejenigen von Ihnen, die dabei waren, werden selbst gemerkt haben, wie Sie hier jämmerlich eingebrochen sind. Diejenigen, die nicht da waren, sollten es einmal nachlesen. Frau Merkel, ich empfehle Ihnen wirklich, nachzulesen, was sich hier gestern abgespielt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Studierendenquote in Deutschland ist in den letzten Jahren während unserer Regierungszeit von 28,5 auf 35,6 Prozent je Jahrgang gestiegen. Diese Quote werden wir in dieser Legislaturperiode auf 40 Prozent steigern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir als Koalition geben in dieser Legislaturperiode 8,5 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung von Kleinkindern und Kindern im Grundschulalter aus. 4 Milliarden Euro werden für die Ganztagsschulen bereitgestellt. Ab nächstes Jahr werden es je 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Kleinkinder sein. Herrn Stoiber und Herrn Glos aus Bayern sage ich: Krippe hat nicht nur etwas mit Weihnachten, sondern auch mit der Erziehung von Kindern unter drei Jahren zu tun. Tun Sie in diesem Punkt einmal etwas!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Auf die Idee wäre ich nicht gekommen!)

   Die Mittel im Etat für Bildung und Forschung sind um 25 Prozent gestiegen. Wir haben dafür gesorgt, dass im Bereich der Biotechnologie der Ansatz von 180 Millionen Euro in 1998 auf 262 Millionen Euro in 2002 erhöht worden ist. Im Bereich der Informationstechnik wurde der Ansatz im selben Zeitraum von 478 Millionen Euro auf 612 Millionen Euro und im Bereich der Gesundheit von 295 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro in diesem Jahr aufgestockt. So werden wir das auch weiter machen.

   Der Bundeskanzler hat am Freitag deutlich gemacht, dass Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr mit einer Erhöhung der Mittel um 3 Prozent rechnen können. Wir wissen, dass sich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nicht an unserer aktuellen Debatte über bestimmte sozialstaatliche Zusammenhänge messen lässt, sondern sie entscheidet sich letztlich an der Frage, ob unser Land innovativ ist, ob wir so viel in die Köpfe und Herzen der nachwachsenden Generation investieren, dass der Wohlstand und gleichzeitig die soziale Gerechtigkeit in Deutschland auch morgen und übermorgen auf hohem Niveau gesichert sind. Vor dieser Aufgabe stehen wir. Deshalb ist bei der Finanzierung die Innovation das Wichtigste.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das, was wir zu leisten haben, dauert seine Zeit. Wir alle in Deutschland müssen uns bewusst sein - darüber müssen wir sprechen, obgleich wir uns fragen müssen, ob das taktisch klug ist -, dass die Reformpläne, die wir jetzt nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers beginnen und noch vor der Sommerpause auf den Tisch legen werden, die Dinge nicht so schnell verändern werden, wie wir wollen. Es ist ein Problem unserer Zeit, dass immer eine sofortige Umsetzung mit schnellen Ergebnissen erwartet wird.

   Am Wochenende hat sich jemand bei mir darüber beschwert, dass manches nicht klappt. Er war der Ansicht, dass die Minijobs nach dem Hartz-Konzept ein Flop seien, weil sie nicht funktionierten. Meine Antwort war: Guten Morgen! Diese Regelung tritt erst am 1. April dieses Jahres in Kraft. - Dies ist symptomatisch, weil viele Menschen glauben, die Dinge könnten sofort umgesetzt werden. Das Verhängnisvolle ist, dass nach einer Regierungserklärung oder einer Ankündigung diese Ideen auf den Seiten 1 und 2 von bedeutsamen Zeitungen aufgegriffen werden und damit bei den Menschen der Eindruck entsteht, dass diese Ideen schon am Abend desselben Tages realisiert sind. Das ist nicht so.

   Wir brauchen Zeit. Für das, was wir jetzt beginnen, brauchen wir etwa ein Jahr. In dieser Zeit werden wir es schaffen, von einem heute unvollkommenen Arbeitsmarkt mithilfe des Hartz-Konzeptes zu einem besser organisierten Arbeitsmarkt im Jahre 2004 zu kommen. Wir müssen es erreichen - wir werden mit der Umsetzung hoffentlich 2003 beginnen -, 2004 zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Lande zu schaffen. Dafür brauchen wir Ausdauer. Das müssen wir wissen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das kann keine Entschuldigung dafür sein, irgendetwas liegen zu lassen. Wir machen Tempo und werden auf Fortschritte drängen. Aber ich will ganz realistisch klar machen: Die angekündigten Reformen und ihre Umsetzung bis zum Sommer werden nicht dazu führen, dass alles in kürzester Zeit wieder in Ordnung kommt. Dabei sehe ich einmal von den Rahmenbedingungen in der Welt ab, die ebenfalls eine Rolle spielen.

Abschließend möchte ich sagen: Es ist uns mit dem Fortschritt Ernst. Wir wollen Fortschritte in dem Sinne, dass sich dieses Land weiterentwickelt. Das bedeutet für uns Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Diesen Fortschritt werden wir in der Koalition sozialdemokratisch buchstabieren, wie es sich für Sozialdemokraten gehört: sozial und demokratisch.

   Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Herr Kollege Müntefering, Sie haben es für notwendig befunden, in Ihrer Rede auf ein Interview Bezug zu nehmen, das ich WDR 5 wenige Stunden nach der Rede des Bundeskanzlers gegeben habe. Sie haben gesagt, ich hätte mich in diesem Interview so geäußert: Die Union weiß nicht, was sie von den Vorschlägen des Bundeskanzlers mittragen kann und was nicht.

   Ich habe in diesem Interview gesagt, dass ich die Frage, was die Union letztendlich im Bundesrat mit unterstützen wird und was nicht, wenige Stunden nach der Rede des Bundeskanzlers deshalb nicht beantworten kann, weil wir weder wissen noch wissen können, was in den Gesetzentwürfen stehen wird, die die Koalition oder die Bundesregierung zur Umsetzung der Vorschläge vorlegen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich habe das in diesem Interview auch ausführlich begründet: Erstens. Wenige Minuten nach der Rede des Bundeskanzlers haben sich die ersten prominenten Sozialdemokraten, auch aus Ihren Reihen, zu Wort gemeldet und erbitterten Widerstand angekündigt, und zwar unter anderem unter Bezugnahme darauf, dass einige Vorschläge in krassem Gegensatz zu dem stehen, was die SPD im Bundestagswahlkampf versprochen hat.

   Zweitens. Wir haben genau aufgepasst, an welchen Stellen die SPD geklatscht hat und an welchen Stellen nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Drittens. Wir haben doch Erfahrungen mit den Versprechungen, die Sie machen, wenn es heißt: Wir setzen die Vorschläge des Bundeskanzlers im Maßstab 1:1 um. Sie haben das dem deutschen Volk feierlich geschworen, als es zum Beispiel um die Vorschläge des Hartz-Konzeptes ging. Umgesetzt haben Sie einen Teil Hartz, einen Teil Wasser. Das haben Sie der Bevölkerung nicht versprochen. Wir wollen sehen, ob all das, was der Bundeskanzler gesagt hat, exakt so in den Gesetzentwürfen stehen wird, die diese Regierung vorlegen muss.

(Zuruf von der SPD: Thema! - Weitere Zurufe von der SPD)

   Der Bundeskanzler hat auch gesagt, die Arbeitslosenhilfe solle in der Regel auf dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Was heißt das? Wann soll sie das Sozialhilfeniveau haben und wann nicht? Die Antworten darauf können wir nur einem Gesetzentwurf entnehmen, den es zur Stunde nicht gibt.

   Wenn Sie uns danach fragen, was wir mittragen und was nicht, fällt die Beantwortung leicht: Wir werden das mittragen, was den Interessen des Landes dient und die Probleme löst.

(Unruhe bei der SPD)

Wir werden das ablehnen, was den Interessen der Menschen in unserem Landes widerspricht. So einfach ist diese Frage zu beantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn Sie es als Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion des Bundestages notwendig haben, Zitate zu fälschen,

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja, ein Fälscher!)

offenbart das Zweierlei: ihren Charakter und die Tatsache, dass Sie keine guten Argumente haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marita Sehn [FDP])

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Müntefering, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

Franz Müntefering (SPD):

Herr Kollege Bosbach, das Zitat lautet:

Wir können jetzt zu dieser Stunde natürlich gar nicht die Frage beantworten, was wir denn von den Ankündigungen des Bundeskanzlers mittragen werden und was nicht.
(Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

Das war an diesem 14. März.

   Mir ist an diesem Tag aufgefallen, dass es zwei Reden gegeben hat, und zwar von Frau Merkel und Herrn Stoiber, die sehr unterschiedlich waren.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Nein, das war in einem ganz anderen Zusammenhang! - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist das mit dem Schwindeln!)

Meine Kritik an Ihrer Reaktion ist gewesen und ist es auch jetzt: Sie haben zwei Dinge an diesem Freitag nicht geschafft. Sie hatten selbst keine eigene, in sich geschlossene abgestimmte Meinung

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und Sie waren entgegen allen Ankündigungen nicht vorbereitet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben uns ein halbes Jahr ermahnt: Nun legt einmal auf den Tisch, was ihr wollt!

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das hat die Koalition mit einer Vorankündigung von zwei Wochen getan. Ich war bass erstaunt, was anschließend Frau Merkel und Herr Stoiber gesagt haben, nämlich Dinge, die sich fundamental widersprachen und die bei Ihnen übrigens auch zu seltsamen Reaktionen geführt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie kommen in den Lügenausschuss, wenn Sie so weitermachen!)

   Was das Klatschen angeht, Herr Bosbach: Wenn in diesem Bundestag gesagt wird, dass es im Irak doch Krieg geben müsse, dann klatschen Sozialdemokraten nicht. Das ist klar. Wenn in diesem Bundestag gesagt wird, dass man leider das Arbeitslosengeld zusammenstreichen bzw. kürzen müsse und leider die Arbeitslosenhilfe gekürzt werden müsse, klatschen wir nicht. Weshalb sollen wir denn klatschen? Das ist eine Herausforderung, die sich an die Menschen richtet und uns bitter wehtut. Das wissen wir und damit gehen wir nicht leichtfertig um. Wenn wir das noch beklatschen würden, dann hätte ich das Gefühl, ich säße auf Ihrer Seite.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie haben, Herr Bosbach, als Herr Stoiber hier erklärt hat, er wolle und er werde vorschlagen, dass der Kündigungsschutz in Betrieben mit 20 und weniger Beschäftigten abgeschafft wird, zum Teil geklatscht.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Da war ich überhaupt nicht im Saal! - Lachen und Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

- Das ist ja hochinteressant. Könnten Sie jetzt auch noch sagen, weshalb Sie nicht im Saal waren, als Herr Stoiber sprach?

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte Ihnen nur abschließend sagen: Sie waren nicht im Saal und auch nicht im Bilde.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Herrn Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD: Oh!)

   Zweitens. Wer wie wir in der Außen- und Sicherheitspolitik eine Haltung vertritt, die sich an der Zugehörigkeit zum Bündnis und der Völkergemeinschaft orientiert, der wird - das hat der Bundeskanzler selbst getan - zum Kriegswilligen gestempelt. Ich glaube, wir nehmen in unserer Zusammenarbeit und auch in dem Ansehen dieses Hauses in der Öffentlichkeit Schaden, wenn wir uns auf diese Art und Weise auseinander setzen. Wer Rot-Grün kritisiert, ist nicht gegen Deutschland, sondern gegen die Politik von Rot-Grün, und wer eine andere Außen- und Sicherheitspolitik will, ist kein Kriegswilliger, sondern ein genauso großer Friedensfreund wie Sie auf der Seite der Regierungsfraktionen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben nicht zum ersten Mal über eine andere Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik gesprochen. Wenn Sie nach Alternativen fragen, dann sollten diese auch aufgezeigt werden.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Im Januar kam es endlich zu einem Gipfel der Europäischen Union mit einer Erklärung der Staatschefs, in der ausdrücklich die militärische Intervention als letztes Mittel zur Beseitigung von Massenvernichtungswaffen im Irak gebilligt wurde. Hätten Sie diese Haltung von Anfang an vertreten, befänden wir heute nicht so nahe an einem Krieg. Dass wir heute einem Krieg so nahe sind, ist dem Versagen der Diplomatie zu verdanken, ausdrücklich auch dem Versagen der deutschen Außenpolitik dieser Regierung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Peter Dreßen [SPD]: Pfui Deubel! Schämen Sie sich! - Joachim Poß [SPD]: Pfui! - Waltraud Lehn [SPD]: Dummes Zeug!)

   Da Sie sich in Ihren Zwischenrufen so heftig dagegen wehren, will ich einen Ihrer Genossen zitieren,

(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist ja unglaublich, was Sie da machen, Herr Kollege!)

der sich heute auf europäischer Ebene zu diesem Thema geäußert hat. Es handelt sich um den früheren Kollegen in diesem Hause, Günter Verheugen. Ihr SPD-Kollege hat als EU-Kommissar heute Vormittag der Europäischen Union vorgeworfen, durch ihre Uneinigkeit in der Irakfrage an politischem Gewicht zu verlieren. Er hat festgestellt, der Einfluss Europas werde nicht geltend gemacht, weil alle wie ein Hühnerhaufen durcheinander liefen. Genau das haben wir kritisiert. Ein besonders schädliches Huhn, um in diesem Bild zu bleiben, war diese Regierung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Unverschämtheit!)

   Wir alle wollen keinen Krieg, sondern den Frieden. Aber wir wollen auch Sicherheit in der Welt und wir wollen nicht, dass ein Diktator in unserer unmittelbaren Nachbarschaft im Besitz von Massenvernichtungswaffen ist. Der irakische Diktator Saddam Hussein weigert sich seit Jahren beharrlich, den einschlägigen Resolutionen zur Entwaffnung des Iraks nachzukommen. Er hat insgesamt gegen 17 Resolutionen der Vereinten Nationen verstoßen und damit vielfach das Völkerrecht gebrochen. Der irakische Diktator ist nicht das Opfer, sondern der Täter. Es ist mir wichtig, das in dieser Debatte zu betonen, weil in der öffentlichen Diskussion mittlerweile Opfer und Täter verwechselt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Er ist ein Menschenverächter, der sein Volk unterdrückt, vergewaltigt, mordet und - das muss leider festgestellt werden - mit biologischen und chemischen Waffen geradezu vergast. Alle, die sich einer Wertegemeinschaft zugehörig fühlen, haben den Auftrag, geschlossen dem irakischen Diktator entgegenzutreten. Wäre diese Geschlossenheit der Völkergemeinschaft von Anfang an gewahrt worden, statt sie von beiden Seiten des Atlantiks infrage zu stellen, wären wir heute in einer besseren Situation.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der irakische Diktator kann seinem Volk einen letzten Dienst erweisen. Er kann ihm Freiheit und Frieden verschaffen, indem er das Land verlässt.

Wir Freien Demokraten bedauern, dass die diplomatischen Bemühungen zur Lösung der Krise bislang nicht erfolgreich waren. Die Verantwortung für diese Situation liegt auf beiden Seiten des Atlantiks. Ich betone ausdrücklich - wir haben das von Anfang an, mehrfach auch im Deutschen Bundestag, vertreten -: Ein - möglicherweise bevorstehender - militärischer Konflikt ohne klare Legitimation durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann nicht die Billigung der Freien Demokraten finden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben uns stets am Völkerrecht orientiert. Wir wollen, dass wir in einem europäischen Bündnis, in einem Bündnis der Völkergemeinschaft handeln. Deswegen halten wir an unserer Haltung auch nach dem Bush-Ultimatum fest: Wir lehnen jeden nationalen Alleingang ohne entsprechende Resolution der Vereinten Nationen ab.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Für die Freien Demokraten ist und bleibt der Sicherheitsrat die völkerrechtliche Legitimationsinstanz für Konfliktlösungen. Damit sind wir bei einer sehr sensiblen Frage, über die auch außerhalb dieses Hauses von Mitgliedern dieses Parlaments diskutiert wird, und zwar nicht nur von dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Herrn Ströbele. Kollege Ströbele, der, wie gesagt, immerhin stellvertretender Vorsitzender einer Regierungsfraktion ist, vertritt die Auffassung, es handle sich bei der geplanten Intervention um einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“.

(Zuruf von der SPD: Das haben Sie doch eben auch gesagt!)

- Nein, Sie müssen genau zuhören, was gesagt wird. Das sind nämlich ganz feine Unterschiede.

   Ich würde mir als Oppositionspolitiker nicht anmaßen - gerade weil ich als Jurist weiß, wie unterschiedlich das Völkerrecht in den einzelnen Ländern interpretiert wird; ich sehe am Nicken, dass die Experten das genauso sehen -, die deutsche völkerrechtliche Mehrheitsmeinung zum alleinigen Maßstab für die Weltvölkerrechtsmeinung erklären. Hier muss man vorsichtig sein. Wir als Abgeordnete dürfen aber in einer solchen Situation wie der jetzigen ein klares Wort der beiden Verfassungsminister erwarten. Ich möchte von der Justizministerin und vom Innenminister von dieser Stelle aus hören, wie sie das bewerten; denn sie haben dem Parlament Rechenschaft abzulegen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie sind für die Einhaltung der Verfassung zuständig. Von ihnen dürfen wir also erwarten, dass sie darlegen, wie die Bundesregierung das bewertet. Sie haben gesagt, lauwarm komme man nicht weiter. Ich kann dazu nur sagen: Das richtet sich vor allen Dingen an die Adresse der Regierung, die sich bisher vor einer klaren juristischen Bewertung drückt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir müssen - das ist bereits angesprochen worden und das wird weiterhin angesprochen werden - noch über einen anderen Punkt reden. Es geht nicht nur um unsere Kritik an dem Verhalten der deutschen Außenpolitik und der deutschen Diplomatie, sondern auch um das, was uns möglicherweise konkret bevorsteht. Wir entscheiden in dieser Woche über die Verlängerung eines Mandats, das - wir alle hoffen, dass diese Einschätzung richtig ist - weit sicherer ist als das, worüber wir im Augenblick diskutieren. Herr Kollege Gerhardt und ich haben Ihnen, Herr Bundeskanzler, das bereits in dem gestrigen Gespräch dargelegt, zu dem Sie uns dankenswerterweise eingeladen hatten, um uns zu informieren. Es muss übrigens positiv erwähnt werden, dass es einen solchen Gesprächsfaden wieder gibt. Ich appelliere an Sie - ich hoffe, dass Sie das tun werden -, diesen Gesprächsfaden fortzusetzen. Man kann zwar in solchen Situationen wie der jetzigen vieles politisch unterschiedlich bewerten. Aber wir alle haben dieselbe Verpflichtung, nämlich das Beste für unser Land zu tun. Sie können sich aber nicht lauwarm um die Frage herumdrücken: Ist für den Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen ein entsprechendes Mandat dieses Parlaments notwendig oder nicht? Sie müssen gegenüber dem Deutschen Bundestag verbindlich klarstellen, welches Mandat diese Soldaten haben und wie die unkalkulierbaren Risiken aussehen, die sich im Laufe eines solchen Mandats ergeben können. Das ist keine akademische, sondern eine außerordentlich handfeste Frage, die uns natürlich auch in der Praxis beschäftigen muss.

   Alle Fraktionen haben Briefe von unseren Soldatinnen und Soldaten bekommen - einige haben hier diese Debatte verfolgt -, in denen sie fragen, wie sich der Deutsche Bundestag dazu stellt. Die Verfassungslage in Deutschland ist klar: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. Die Verpflichtung jedes Abgeordneten ist, dafür zu sorgen, dass die Soldaten nicht in eine unklare Situation geraten. Zunächst einmal trägt jeder von uns - gleichgültig ob er der Opposition, einer der Regierungsfraktionen oder der Regierung angehört - Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Soldaten, der einen - im Zweifelsfall lebensgefährlichen - Auftrag wahrnimmt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man darf Soldaten wegen eines solchen Auftrags nicht in eine unklare Rechtslage schicken.

   Ich verweise auf ein Schreiben, das mir unser Experte Günther Nolting dankenswerterweise überlassen hat. Dieses Schreiben hat eine Truppenkameradschaft aus Geilenkirchen - sie stellt Mitglieder der Besatzung unserer AWACS-Flugzeuge - an uns gerichtet. Angehörige dieser Truppenkameradschaft schreiben uns, die deutschen Soldaten befänden sich aufgrund der direkten Unterstellung des Verbandes unter das NATO-Kommando ohne entsprechenden Parlamentsbeschluss kurzfristig in einem Kriegseinsatz, ohne dass die verfassungsmäßige Grundlage eingehalten und damit die rechtliche Absicherung gegeben sei.

   Wenn Sie eine Fürsorgepflicht gegenüber diesen Soldaten empfänden und der Meinung wären, diese Soldaten könnten in Schwierigkeiten geraten, dann müssten Sie sich dem Parlament stellen. Wir sind bereit, Ihnen das entsprechende Mandat zu geben, weil wir zu unseren Soldaten stehen. Aber Sie dürfen diese Soldaten auf keinen Fall in solche Schwierigkeiten bringen. Wir wissen doch auch, warum Sie sich dem Deutschen Bundestag nicht stellen wollen. Sie wollen das nicht, weil Ihre Regierung dann Probleme bekäme. Wir, die Abgeordneten, dürfen aber nicht zulassen, dass Soldaten in größte Schwierigkeiten geraten, nur um Ihnen, Herr Bundeskanzler, Schwierigkeiten mit Ihrer eigenen Koalition zu ersparen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Zu diesem Teil möchte ich zum Schluss Folgendes sagen: Wir werden in einiger Zeit das, was Sie in diesen Monaten getan haben, nicht danach bewerten, ob Sie Stimmungen entsprochen haben. Das war schließlich Ihr eigentlicher Ansatz. Warum sonst haben Sie eine solche Frage der nationalen Sicherheit auf einer Wahlkampfveranstaltung in Goslar der Welt mitgeteilt? Es ist ein großer Qualitätsverlust auf dem Feld der deutschen Außenpolitik, dass solche historischen Fragen auf Wahlkampfveranstaltungen und nicht bei den Vereinten Nationen oder in Brüssel behandelt werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist unerträglich.

   Sie werden irgendwann zurückblicken und dann geht es nicht um die Frage, ob Sie Stimmungen entsprochen haben. Dann geht es auch nicht um die Frage, ob Sie Beifall bekommen haben. Dann geht es nämlich um die Fragen: Was hat Ihre Regierung konkret erreicht und wo ist Ihre Regierung außenpolitisch tatsächlich angekommen? Ich fürchte - das ist nichts, worüber sich irgendjemand in diesem Hause freut -, dass wir irgendwann auf diese Zeit zurückblicken und feststellen werden: Es kam zu diesem Krieg, weil auch wir, die Deutschen, zur Uneinigkeit des Bündnisses beigetragen haben

(Lothar Mark [SPD]: Das ist ein unglaublicher Vorwurf!)

und wir damit den Druck von Saddam Hussein genommen haben. Wir werden feststellen: Dieser Krieg hat stattgefunden; er hat Menschenleben gekostet und es gilt, jedes Menschenleben zu betrauern. Wir werden feststellen: Das NATO-Bündnis ist um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Dasselbe gilt für unser Ziel einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

   Ich komme am Schluss dieses Teils meiner Ausführungen zu folgendem Ergebnis: Herr Bundeskanzler, Sie haben dieses Land nicht nur wirtschaftspolitisch ruiniert, sondern auch außenpolitisch in eine totale Sackgasse geführt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: So ein Schwachsinn!)

Herr Bundeskanzler, das muss Ihnen ins Stammbuch geschrieben werden.

Wir merken schon jetzt, wie sich die Vorzeichen verändert haben. In der öffentlichen Diskussion ist von Achsen die Rede - übrigens auch von zahlreichen Ihrer Kolleginnen und Kollegen -, und zwar von Achsen nicht mehr im Sinne von Bündnis. Die Achse, die jetzt gemeint ist, ist Berlin-Paris als Alternative zur früheren Achse mit Washington. Ich habe zu den Vereinigten Staaten das kritisch gesagt, was gesagt werden muss. Glauben Sie allen Ernstes, dass der deutschen Außenpolitik gedient ist, wenn eine Achse Berlin-Paris-London-Washington durch eine Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking ersetzt wird? Das wird nicht funktionieren! Man muss doch vorhersehen, was hiermit an historischem Schaden angerichtet wird!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Peter Dreßen [SPD]: Was ist denn die Alternative?)

   Jetzt merken wir, wie Sie sich einlassen. Ich kann dieses Kapitel etwas kürzen, weil wir schon am Freitag ausführlich darüber gesprochen haben.

(Zurufe von der SPD)

- Es ist sehr bemerkenswert, wie Sie dazwischenrufen. Es ist manchmal bedauerlich, dass die Qualität Ihrer Zwischenrufe nicht über die Fernsehgeräte zu den Zuschauerinnen und Zuschauern vordringt. Dass man sich bei einer solch ernsten Debatte so niveaulos einbringt, wie Sie das tun, wäre ganz bestimmt auch unserem Volk peinlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zurufe von der SPD)

   Wir merken jetzt, wie Sie sich darauf einrichten und Ausreden bringen.

(Lothar Mark [SPD]: Sie sind nur destruktiv!)

Herr Bundeskanzler, Sie haben das am Freitag bereits intoniert. Bei der zweiten, der eigentlichen Regierungserklärung, die genauso länglich war wie Ihre, nämlich von Herrn Clement, ist das präzise ausgeführt worden. Spannend ist es, als Abgeordneter einmal beide Regierungserklärungen genau nachzulesen; denn sie stehen in einer interessanten Spannung zueinander. Sie machen jetzt genau das, was Sie in Wahrheit intellektuell nicht machen dürfen: Sie finden schon jetzt die Begründung dafür, dass Sie sowohl haushaltspolitisch als auch wirtschaftspolitisch alle Ihre Ziele, unsere Ziele, verfehlen werden. Sie sagen schon jetzt - am Freitag haben Sie damit angefangen; Herr Müntefering hat es wieder intoniert -: Wir werden die Arbeitslosigkeit leider nicht so verringern können - wegen der Weltlage. Wir werden die Stabilitätskriterien leider nicht einhalten können - wegen der Weltlage. - Das hat mit der Weltlage nichts zu tun.

(Lothar Mark [SPD]: Sie wissen, dass das, was Sie sagen, nicht stimmt!)

Das hat auch mit Globalisierung nichts zu tun. Das hat etwas mit schlechter Politik und vor allem auch etwas mit katastrophalen Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft, verursacht durch die Bundesregierung, zu tun.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Nichts anderes werden Sie hier vortragen können; denn die anderen Länder in Europa kommen zurecht; sie haben bessere Ausgangsvoraussetzungen.

(Zuruf des Bundesministers Hans Eichel)

- Ach, Herr Kollege Eichel! Dass Sie auf der Regierungsbank an der Stelle empört aufschreien, kann ich nachvollziehen. Aber wer in diesem Hause soll Ihnen nach den Versprechungen, die Sie vier Wochen vor der Bundestagswahl gemacht haben, noch irgendetwas abnehmen, Herr Bundesfinanzminister?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Walter Schöler [SPD]: 18 Prozent, Herr Westerwelle!)

Das schenken Sie sich besser; das können Sie wirklich einsammeln.

   Wir haben erreicht, dass wir über Wirtschaftspolitik reden, und das muss auch erfolgen. Wir sagen Ihnen: Es reicht nicht aus, dass Sie in der Wirtschaftspolitik nur das machen, was Sie am Freitag angekündigt haben, wobei Ihre eigenen Leute das, was Sie angekündigt haben, schon wieder einrollen. Sie müssen mutiger werden.

(Walter Schöler [SPD]: „18“ hieß die Zahl! 18!)

Sie müssen wirklich eine Ruck-Rede halten. Sie müssen Ihren Worten auch Taten folgen lassen. Sie müssen endlich begreifen: Der Weg der Münteferings - da predigt man in Wahrheit nur noch Klassenkampf -,

(Lachen bei der SPD)

der Weg, der in der Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhundert begründet ist, führt in der Moderne nicht weiter.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen in einer Dienstleistungsgesellschaft endlich moderne Strukturen auf dem Arbeitsmarkt. Wir dürfen nicht mehr von Ihrem Weltbild des Hochofenarbeiters, der Dienstmagd und des Stallknechts ausgehen. Das ist von gestern.

   Deswegen brauchen wir niedrigere Steuern. Das schafft auch höhere Staatseinnahmen. Wir brauchen ein flexibles Arbeitsrecht. Das schafft Bewegung auf dem Arbeitsmarkt. Wir brauchen Privatisierung. Wir brauchen Subventionsabbau,

(Lachen bei der SPD)

und zwar tatsächlich auch und gerade da, wo Sie sich wehren, zum Beispiel bei der Kohle. Wenn wir dieses Land nicht von der bürokratischen Staatswirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft umwandeln, dann bleibt es bei der Massenarbeitslosigkeit. Sie wird größer und nicht kleiner werden - leider.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deswegen werden wir uns auch mit denen unter Ihnen auseinander setzen und auseinander setzen müssen, die aus den Gewerkschaften kommen; das sind 75 Prozent. Wir haben im Deutschen Bundestag mittlerweile nicht mehr das, was im Grundgesetz angelegt ist, nämlich einen fairen Interessenausgleich der Tarifparteien. Wenn 75 Prozent von Ihnen selber aus einer Gewerkschaft kommen, dann ist der im Grundgesetz angelegte Interessenausgleich zwischen den Tarifparteien in Wahrheit aufgehoben.

(Lachen bei der SPD)

Sie vertreten nicht mehr Arbeitnehmerinteressen, sondern Funktionärsinteressen. Wir von der Opposition machen mehr für Arbeitnehmer und Arbeitslose als Sie mit Ihren roten Fahnen am 1. Mai.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lachen bei der SPD - Walter Schöler [SPD]: Dumm mit sieben m, Herr Westerwelle!)

   Ich will zum Schluss noch eine aktuelle Bemerkung aufgreifen, Herr Bundesinnenminister, die ebenfalls hier hingehört - auch das muss in großer Klarheit und Nüchternheit hier vorgetragen werden -: Wie Sie, Herr Bundesinnenminister, als Verfassungsminister gestern eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes kommentiert haben, nämlich als absurd, rechtsirrtümlich, falsch, als Fehler, so etwas haben wir noch nicht erlebt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich sage Ihnen das in großer Klarheit, Herr Schily: Sie, Herr Kollege Beck von den Grünen und leider auch Herr Kollege Beckstein von der CSU haben das Verfahren gegen die NPD von Anfang an angestrengt, und zwar nicht aus juristischen, sondern aus politischen Opportunitätsgründen. Sie sind jetzt gescheitert. Deswegen möchte ich Sie bitten, Ihr eigenes Versagen in der Prozessführung nicht zu kaschieren, indem Sie jetzt das höchste deutsche Gericht attackieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir befinden uns in einer schwierigen Zeit; das wissen Sie alle. Dass sich diese Debatte heute überwiegend um Außenpolitik dreht, ist nahe liegend und nachvollziehbar. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen an einem solchen Tag natürlich auch vor einer Generalbilanz dessen, was der Bundeskanzler mit seiner rot-grünen Regierungskoalition zu verantworten hat. Diese Regierungskoalition ist innenpolitisch, wirtschaftspolitisch, außen- und sicherheitspolitisch auf ganzer Länge gescheitert. Neuwahlen wären wirklich das Beste für unser Land.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Walter Schöler [SPD]: 18 Prozent, Herr Westerwelle!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Otto Schily.

Otto Schily (SPD):

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben mich persönlich angesprochen, aber falsch zitiert. Ich habe nämlich nicht das Bundesverfassungsgericht kritisiert, sondern ich habe mir die Meinung der Mehrheit des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Eigen gemacht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das muss in einer rechtlichen Auseinandersetzung möglich sein.

   Sie behaupten hier vor dem Deutschen Bundestag, was Sie vorher bereits öffentlich erklärt haben, es seien mir bei der Führung dieses Prozesses Fehler unterlaufen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Natürlich! Wer ist denn sonst verantwortlich?)

- Hören Sie doch einmal zu! - Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das konkretisieren würden. Konkretisieren Sie das bitte! Diese Meinung der FDP ist interessant. Ich habe immer respektiert, dass Sie die Auffassung vertreten haben - diese Auffassung kann man vertreten -, dass man eine Partei nur politisch bekämpfen und nicht von dem Verbotsverfahren Gebrauch machen soll. Diese Meinung habe übrigens auch ich ursprünglich vertreten. Ich habe mich dann auf der Grundlage der Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, anders entschieden. Ich bin auch heute noch der Meinung, dass eine Partei, die organisierten Antisemitismus vertritt, in der deutschen Parteienlandschaft keinen Platz haben darf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich wundere mich schon, dass Sie nicht das zitieren, was die Mehrheit des Senats gesagt hat, dass es nämlich auch um die Würde und um die Wahrung des Art. 1 des Grundgesetzes geht, sodass man von allen Möglichkeiten Gebrauch machen sollte, die ein solches Verfahren bietet.

   Die Auffassung, die auch in einigen Kommentaren zum Ausdruck kommt, ein Verbotsverfahren könne nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Exekutive in Form der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder vor Einleitung eines Verfahrens und während des Verfahrens auf die Beobachtung einer aggressiv verfassungsfeindlichen und antisemitischen Partei verzichtet, halte ich schlicht für falsch; das stimmt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb ist das keine mangelnde Achtung vor dem Bundesverfassungsgericht. An Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht wird mich hier im Hause niemand überbieten. Aber ich nehme mir die Freiheit, die Mehrheitsmeinung des Senats zu teilen und die Minderheitsmeinung zu kritisieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Einen Moment, Herr Kollege Westerwelle. Der Kollege Christian Ströbele möchte auch noch eine Kurzintervention machen. Dann können Sie auf beide reagieren.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, meine Kurzintervention bezieht sich auf einen anderen Punkt!)

- Auf wen wollen Sie sich beziehen? Auf den Kollegen Westerwelle?

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, auf den Kollegen Westerwelle!)

- Wenn Sie sich auf den Kollegen Westerwelle beziehen wollen, können Sie jetzt Ihre Kurzintervention machen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben mich angesprochen und gesagt, ich würde deutsche Rechtsregeln bei der Beurteilung internationaler Konflikte zugrunde legen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das war ich!)

Deshalb möchte ich Ihnen sagen, wie es nach internationalen Rechtsregeln aussieht.

(Zuruf von der SPD: Der weiß das nämlich nicht! - Michael Glos [CDU/CSU]: Es ist kein Bezug da, Herr Präsident!)

Die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 3314 vom 14. Dezember 1974 definiert, was eine internationale Aggression und was ein Angriffskrieg sind. In Art. 1 steht ganz eindeutig:

Aggression bedeutet Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates ...

Dann kommt in Art. 2 ein wichtiger Satz:

Wendet ein Staat als erster Waffengewalt unter Verletzung der Charta an, so stellt dies einen Beweis des ersten Anscheins für eine Angriffshandlung dar ...

In Art. 5 heißt es:

Ein Angriffskrieg ist ein Verbrechen gegen den Weltfrieden.

   Herr Kollege Westerwelle, auch nach dieser Definition der Vereinten Nationen, die dafür die zuständige Instanz sind und das festgelegt haben, sage ich: Es handelt sich, wenn morgen oder in den nächsten Tagen der Krieg beginnen sollte, unter diesen Umständen um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Sinne des Grundgesetzes und im Sinne der Resolution und der Definition der Vereinten Nationen.

   Herr Kollege Westerwelle, wir müssen uns mit diesem ganz wichtigen Punkt auch hier im Deutschen Bundestag auseinander setzen und dazu Stellung beziehen. Aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass - bei aller Auseinandersetzung und auch bei unterschiedlicher Rechtsauslegung in diesen Details - das Wichtigere ist und auch in Zukunft bleiben muss: Wie stehen wir zur Position der Bundesregierung, die auf die Verhinderung eines solchen Krieges angelegt ist, die auf die Verhinderung dieses Krieges in den letzten Monaten angelegt war und auf die Verhinderung und Abkürzung dieses Krieges auch in Zukunft angelegt sein wird? Das ist die Grundsatzfrage.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Da vermisse ich von Ihnen in der Tat eine klare Stellungnahme.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie, sowohl die CDU/CSU als auch die FDP, haben in den letzten Monaten nichts unversucht gelassen, um der Bundesregierung in dieser ganz wichtigen Grundsatzfrage Knüppel zwischen die Beine zu werfen und alles zu tun, um die Position der Bundesregierung zu schwächen. Darüber sollten Sie nachdenken. Sie selber müssen erst einmal Tritt fassen und klar definieren: Stehen Sie in dieser Frage hinter der Bundesregierung oder wollen Sie die Bundesregierung bei dieser wichtigen Arbeit weiterhin diskreditieren und behindern?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Westerwelle, bitte schön.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident - Herr Kollege Ströbele, zunächst eine Antwort auf Ihren Beitrag. Ich habe nicht gesagt, Sie hätten sich im Völkerrecht ausschließlich auf die deutsche Meinung - nach meiner Einschätzung: die Mehrheitsmeinung - berufen. Ich habe an der betreffenden Stelle auf einen Zwischenruf geantwortet. Ich will Ihnen erläutern, was ich meine.

   Ich habe ebenfalls im Staatsrecht meine Ausbildung gemacht.

(Zurufe von der SPD Oh!)

- Ich weiß gar nicht, was das Raunen soll. Wir von der FDP sind der Überzeugung, dass es auch in der Politik nicht schadet, wenn man mehr zu Ende gebracht hat als die Fahrschule.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich wusste nicht, dass man sich für eine Berufsausbildung im Bundestag entschuldigen muss.

(Zurufe von der SPD)

- Bei Ihnen ja. Das ist wahr.

   Ich will mich mit Ihnen an dieser Stelle auseinander setzen, Herr Kollege Ströbele. Ich habe gesagt: Wir Abgeordnete haben zunächst einmal ein Recht darauf, zu erfahren, wie die beiden Verfassungsminister diesen Sachverhalt bewerten;

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

denn diese Minister haben einen entsprechenden Apparat mit Völkerrechtsjuristen. Sie müssen uns, den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, gegenüber mitteilen, ob die Auffassung, die Sie vertreten, die offizielle Meinung der Bundesregierung ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Im Übrigen will ich Ihnen sagen: Alles, was Sie gesagt haben, vertreten Sie bitte heute und morgen in Ihrer Koalition; das müssen Sie uns doch nicht sagen. Wenn Sie, Herr Kollege Ströbele, als Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu dem Ergebnis kommen, dass das ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist - wie Sie es hier gesagt haben -, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie dann, wenn Sie die Pflichten aus dem Grundgesetz kennen, die Sie als einzelner Abgeordneter haben, Sie entsprechend handeln müssen. Wenn Sie sagen, das sei ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, dann haben Sie nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland andere Verpflichtungen, als sich einfach nur vor die Kameras zu begeben, Herr Kollege Ströbele.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Was Sie machen, reicht nicht. Das weiß auch jeder, der hier sitzt. Ich würde mir nicht herausnehmen, an der Stelle die Situation so zu bewerten. Ich würde vielmehr abwarten wollen - das ist schon immer Tradition in diesem Hause gewesen, beispielsweise Anfang der 90er-Jahre, damals mit anderer Rollenverteilung -, damit die Regierung als erste das Wort bekommt und ihre juristische und völkerrechtliche Meinung darlegen kann. Dann werden wir unsere Meinung öffentlich äußern. Andersherum kann es nicht gehen.

   Nun zum dem, was Sie, Herr Kollege Schily, angesprochen haben. Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen, Sie hätten die Mehrheit des Senates auf Ihrer Seite. Warum ging es überhaupt um die Verfahrenseinstellung? Warum konnte es überhaupt zu dieser Entscheidung kommen? - Weil Sie schlampig geklagt haben, Herr Kollege Schily,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und weil Sie im Laufe des Verfahrens von einem Fehler nach dem anderen überrascht worden sind.

   Wir sind die einzige Fraktion in diesem Hause, die dieses Verfahren ganz klar abgelehnt hat. Deswegen machen Sie uns bitte keine Vorwürfe. Was haben wir uns von Ihnen beschimpfen lassen müssen! Wir sind von zahlreichen Mitgliedern der Koalitionsfraktionen - beispielsweise von Herrn Stiegler und von Herrn Beck - als Anwälte und Freunde der Nazis in die rechtsradikale Ecke gestellt worden. Wir haben von Anfang an gesagt: Die NPD ist eine widerwärtige Partei. Man muss sie politisch bekämpfen, juristisch geht das schief.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben leider - „leider“ betone ich doppelt und dreifach - Recht behalten, weil es genau so gelaufen ist.

   Herr Präsident, da ich auf zwei umfangreiche Kurzinterventionen zu verschiedenen Themen eingehen muss, will ich noch eine letzte Bemerkung machen. Herr Kollege Schily, wenn wir uns darin einig sind, dass man den Rechtsradikalismus, übrigens auch den Linksextremismus, in Deutschland politisch bekämpfen muss, dann möchte ich, dass Sie Ihre Entscheidungen der letzten fünf Jahre, mit denen Sie die Zuschüsse des Bundes für die politischen, demokratischen Stiftungen einschließlich der Bundeszentrale für politische Bildung stetig zurückgeführt haben,

(Walter Schöler [SPD]: Da sind Sie falsch informiert! Völlig falsch!)

wieder aufheben. Mehr politische Bildung ist in diesen Zeiten gefragt und nicht weniger. Auf diesen Punkt einzugehen wäre eine angemessene Antwort von Ihnen in der Haushaltsdebatte gewesen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns am letzten Freitag sehr ausgiebig mit den innenpolitischen Herausforderungen befasst. Auch morgen werden wir über die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sprechen und streiten, so wie wir gestern über die Haushaltspolitik gesprochen und gestritten haben. Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass wir uns hier in der Generaldebatte auf das Thema eines bevorstehenden Irakkrieges konzentrieren. Denn dieses Thema treibt die Menschen in diesem Land um und beunruhigt sie.

   Dazu sage ich eines, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir werden auch darüber sprechen müssen, worin wir uns nicht einig sind. So einfach, wie Sie, Herr Westerwelle und Herr Glos, es sich heute hier gemacht haben, so einfach kann man es sich in dieser Frage nicht machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das war wirklich billig. Dazu kann ich nur feststellen: Die Art und Weise, wie Sie hier wochen- und monatelang in der Irakpolitik herumlaviert haben, halten wir politisch für zu leicht, - auch Sie, Herr Glos. Sie sind gewogen und für zu leicht befunden worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man sich Ihre Irakpolitik anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis: Eine Slalomstrecke ist im Vergleich dazu ein Vorbild an Geradlinigkeit. Im Vergleich mit Ihrer Irakpolitik ist ein Halm im Wind so stabil wie Stahlbeton. Das muss man feststellen, wenn man sich Ihre Politik hier anschaut.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schwacher Vergleich! Wer hat Ihnen diesen Vergleich aufgeschrieben?)

   Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben ein tiefes Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Die Menschen sind in diesen Tagen bedrückt und bestürzt. Viele empfinden wohl auch Wut und Enttäuschung. Aber eines betone ich ganz deutlich: Wut darf jetzt unser Handeln nicht bestimmen. Deswegen finde ich es gut, dass es zahlreiche Beispiele für ein echtes Mitgefühl mit den Menschen im Irak, mit den Menschen in dieser Region gibt.

   Ich sage aber auch: Dieses Mitgefühl muss ebenso die Menschen in den USA einschließen, die heute aufgrund der tiefen Verletzungen im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. September 2001 meinen, dass die USA ein Vorrecht hätten, jenseits jeder internationalen Ordnung und jeder internationalen Regelung zu handeln. Auch wenn man diese Position für falsch hält, müssen wir die Gefühle dieser Menschen in unser Mitgefühl einbeziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der FDP: Schwacher Beifall!)

   Bei den notwendigen Entscheidungen, die wir jetzt treffen müssen, werden wir uns nicht von denjenigen irritieren lassen, die völkerrechtliche Diskussionen instrumentalisieren möchten, um der Bundesregierung nur ein Stöckchen hinzuhalten, um von ihren eigenen Problemen abzulenken. Wir werden uns davon leiten lassen, dass es jetzt auch darauf ankommt, die internationalen Strukturen und die internationale Ordnung zu restabilisieren. Das ist der Maßstab unserer Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir werden einen Krieg erleben, der unnötig, nicht gerechtfertigt, falsch und überflüssig ist. Wir werden diesen Krieg nicht verhindern können, so fatal dies auch ist. Wir werden einen Krieg erleben, der gegen die Mehrheit im Sicherheitsrat, gegen die Mehrheit der Bevölkerung in der Europäischen Union und gegen den Willen von Millionen Menschen in dieser Welt geführt wird.

   Wir werden einen Krieg erleben, zu dem es eine Alternative gibt. Das ist das besonders Fatale: Es gibt eine Alternative zu diesem Krieg. Das ist die Fortsetzung der Abrüstung des Iraks mit friedlichen Mitteln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieser Krieg ist eben nicht das letzte Mittel, Herr Glos, sondern offensichtlich ein gewolltes Mittel, weil man sich für eine falsche Strategie entschieden hat. Er ist ein gewollter Krieg, weil der Weg, der gangbar gewesen wäre, die Fortsetzung der Arbeit der Waffeninspekteure, willentlich abgebrochen und beendet worden ist. Das wäre nicht notwendig gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Es ist eine Tatsache, zu der Sie heute keine Stellung bezogen haben, dass die Bedrohung, die vom Irak hätte ausgehen können, noch nie so gering war wie heute. Es ist eine Tatsache, zu der Sie heute keine Stellung bezogen haben, dass die internationale Kontrolle des Irak noch nie so stark gewesen ist wie im Moment. Es ist ferner eine Tatsache, zu der Sie heute keine Stellung bezogen haben, dass die Arbeit der Waffeninspekteure erfolgreich gewesen ist, dass die Waffeninspekteure selber gesagt haben, dass sie erfolgreich arbeiten und dass ihre Arbeit nicht zu Ende ist. Es wäre notwendig gewesen, diese Arbeit fortzuführen. Gerade auf der Basis des Arbeitsprogramms von Blix wäre das eine gute Perspektive gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in diesem Konflikt immer eine klare Haltung gehabt. Sie hat unermüdlich für einen Strategiewechsel in Richtung auf eine friedliche Lösung gearbeitet. Das ist richtig gewesen. Die Bundesregierung hat das nicht getan, weil sie den grausamen Charakter des Regimes im Irak übersehen hat, und sie hat es nicht getan, weil sie das Leid der Opfer dieses Regimes übersehen hat, sondern sie hat es getan, weil sie die massiven Risiken und Gefahren dieses Krieges gesehen hat.

   Ich werfe der Opposition in diesem Hause vor, dass sie sich mit diesen Gefahren und Risiken bis zum heutigen Tage nicht ernsthaft auseinander gesetzt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es besteht ja nicht nur das Risiko für die zahllosen unschuldigen Opfer. Das allein ist schon schlimm genug, wenn man eine Alternative zum Krieg hat. Es besteht doch auch die Gefahr der zunehmenden Destabilisierung dieser Region. Es besteht doch auch die Gefahr, dass die Antiterrorallianz auseinander bricht. Es besteht auch die Gefahr, dass der Terrorismus mehr Zulauf bekommt und nicht weniger. Es besteht auch die Gefahr, dass fundamentalistische Bewegungen möglicherweise pro-westliche Regierungen hinwegfegen können. Der Islamismus hat infolge dieses Konfliktes in Pakistan schon jetzt Zulauf bekommen. Es ist doch eine Gefahr, dass Fundamentalisten tatsächlich in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und auch in den Besitz der Atombombe geraten können.

   Wir müssen auch überlegen, was es für die Sicherheit in der Welt heißt, wenn so genannte Schurkenstaaten sich anschauen, wie der Irak und wie Nordkorea behandelt werden. Da besteht doch die Gefahr, dass ein Land wie der Iran erst recht versuchen wird, an die Bombe heranzukommen. Diese Bemühungen werden nicht weniger werden, wenn hier von der US-Regierung von vornherein gesagt wird: Wir verfolgen eine Präventivkriegsstrategie, um die arabische Region zu ordnen und Schurkenstaaten aufzumischen. Das führt nicht zu mehr Stabilität und nicht zu mehr Sicherheit in der Welt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, die größte Gefahr von allen ist doch die, dass die Menschen in der islamischen und in der arabischen Welt den Eindruck bekommen, es solle ein christlicher Kreuzzug gegen sie eröffnet werden, es gehe hier um eine Konfrontation der Kulturen. Ich bin froh, dass Millionen Menschen auf der Welt gegen diesen Krieg demonstriert haben, und ich bin auch ausgesprochen dankbar dafür, dass der Papst sich so eindeutig gegen diesen Krieg positioniert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dadurch besteht die Chance, dass die Menschen in der islamischen und in der arabischen Welt erkennen, dass es hier nicht um einen Kreuzzug und nicht um einen Konflikt der Kulturen geht.

   Ich bin auch besonders dankbar für den Einsatz der Bundesregierung.

(Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD])

Die Bundesregierung hat viel Respekt bekommen für ihren Einsatz für eine friedliche Lösung. Sie hat mit ihrem Einsatz für eine friedliche Lösung aber auch deutlich gemacht, dass es hier nicht um einen Konflikt der Kulturen geht, sondern dass auch in der westlichen Welt, in der christlichen Welt, Menschen in diesem Krieg Unrecht sehen und ihn verhindern wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir sind in Europa als unmittelbare Nachbarn der islamischen Welt auch unmittelbar betroffen. Es ist doch eine Lehre des alten Europa, dass man mit seinen unmittelbaren Nachbarn in Frieden und in Sicherheit leben muss und dass das nur eine gemeinsame Sicherheit und nicht eine Sicherheit gegen die anderen sein kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, jetzt werfen wir einmal einen Blick auf die Motive der Opposition. Die Motive der Bundesregierung habe ich dargestellt; es sind ehrenwerte und gute Motive, auch wenn sie letztlich nicht erfolgreich gewesen ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber welches sind die Motive der Opposition?

   Die FDP erklärt uns, sie lehne den Krieg ab, weil er wahrscheinlich ohne UN-Legitimation geführt werden solle. In derselben Erklärung hat sie sich zu dem Ziel des Regimewechsels positiv geäußert. Ich frage die Vertreter der FDP, wie sie sich zu diesem Krieg verhalten hätten, wenn es eine UN-Resolution gegeben hätte, die diesen Krieg legitimiert. Diese Frage haben Sie hier nicht beantwortet.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die wäre doch damit beantwortet worden!)

Sie haben sich zu dem Ziel des Regimewechsels und damit auch zu der Strategie eines Präventivkriegs, der zu diesem Regimewechsel führen soll, positiv geäußert. Das Einzige, was Sie stört, ist, dass es keine UN-Resolution gibt, die das legitimiert. Das müssten Sie den Menschen aber auch einmal so deutlich sagen; denn damit erklären Sie im Grunde genommen, Sie hätten sich im Sicherheitsrat für eine kriegslegitimierende Resolution eingesetzt, wenn Sie dazu Gelegenheit gehabt hätten. Das wäre in Bezug auf Ihre Position die Wahrheit gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Herr Westerwelle, das hätte ich von Ihnen wirklich erwartet, zumal Sie sagten, man hätte sich hier für die Einheit Europas besonders stark machen sollen. Welche Einheit Europas meinten Sie denn? Wäre das nicht die Einheit Europas auf Grundlage der Position von Tony Blair gewesen? Darüber hätten Sie den Menschen hier reinen Wein einschenken müssen. So viel zu dem von Ihnen gebrauchten Begriff „lauwarm“! Was Sie hier gesagt haben, stellte in Wirklichkeit eine lauwarme politische Erklärung dar, weil Sie die entscheidende Antwort schuldig geblieben sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren, die FDP ist in dieser Frage wieder nur in einer einzigen Hinsicht berechenbar: Sie hängt ihr Fähnchen wie immer in den Wind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Am 13. März letzten Jahres forderte Herr Westerwelle die Bundesregierung auf, unverzüglich in Washington gegen einen möglichen US-Angriff auf den Irak zu intervenieren. Im März letzten Jahres forderte er Außenminister Fischer auf, zügigst - also nicht erst im April, sondern noch im März - nach Washington zu fahren,

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das wäre auch besser gewesen!)

und begründete dies damit, dass die deutsch-amerikanische Freundschaft es auch verlange, gegen Amerika offene kritische Worte zu finden. Zugleich erklärte er im März letzten Jahres, er habe den Eindruck, dass sich die Bundesregierung bereits mit einem Alleingang der USA gegen den Irak abgefunden habe. Schließlich verlangte er, Fischer müsse in den USA klar machen, dass die Europäer ein militärisches Vorgehen gegen Saddam Hussein ablehnten. - Soweit Herr Westerwelle im März letzten Jahres.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Im Herbst letzten Jahres hat er dann behauptet, die Bundesregierung habe sich viel zu früh festgelegt. Was ist denn das für eine Position!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Westerwelle, ich habe in den letzten Monaten nicht erkennen können, in welchem europäischen Hühnerhof Sie am liebsten mitgegackert hätten. Das war ganz offensichtlich unklar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Bei Ihnen ist nur auf eines Verlass: Sie sind wendig wie ein Wetterhahn und schwankend wie ein Rohr im Wind.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ihr Redenschreiber gehört in ein Rhetorikseminar! Wer macht denn solche Vergleiche? Frau Sager, schämen Sie sich! Sie blamieren sich doch!)

Im März letzten Jahres sind Sie für ein bisschen Frieden eingetreten, im Herbst für ein bisschen Krieg und heute sind Sie für ein bisschen „Ich weiß nicht mehr recht“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Das Einzige, was bei Ihnen immer sicher ist, ist, dass Sie bei jeder Gelegenheit den Versuch machen werden, der Bundesregierung ein neues Stöckchen hinzuhalten. Aber Stöckchen-Hinhalten ist kein Ersatz für eine verantwortungsvolle politische Position in einer so wichtigen Frage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Überboten wurde dieses traurige Bild der FDP in den letzten Monaten in der Tat nur

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Von der Grünen!)

von dem traurigen Bild, das die CDU/CSU abgeliefert hat, allen voran ihre Vorsitzende Angela Merkel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Über Herrn Stoiber muss man schon fast kein Wort mehr verlieren. Im Wahlkampf hat er sich mit der Forderung überschlagen, im Falle eines Krieges müsse es ein Überflugverbot geben. Wir wissen inzwischen, dass Herr Stoiber für viele Überraschungen gut ist, sicher auch in der Zukunft.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Genau!)

In der Irakfrage hat er sich wie ein Hase im Zickzack durch die Furchen bewegt. Man musste ja schon Angst haben, dass Herr Stoiber aus Versehen auf dem Schoß von Christian Ströbele landet. Das ist Christian Ströbele zum Glück erspart geblieben.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück! Er setzt sich bei keinem Mann auf den Schoß! Schämen Sie sich!)

   Herr Glos, Sie haben heute hier von Geradlinigkeit gesprochen. Der Einzige, der sich in den letzten Tagen halbwegs geradlinig geäußert hat, ist der saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Auch das nehmen Sie sofort zurück! Der Mann äußert sich selten geradlinig!)

Er hat gesagt, die Position „Egal was passiert, wir stehen an der Seite von Amerika!“ sei nicht seine Haltung. Aber genau dies ist in den vergangenen Wochen und Monaten die Haltung von großen Teilen der CDU gewesen. Vor allen Dingen war es die Position von Angela Merkel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Das nehmen Sie zurück! - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind eine Dreckschleuder!)

   Frau Merkel, an Ihrer Position ist wirklich peinlich und beschämend, dass Sie zu feige sind, den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein über das einzuschenken, was Sie wirklich wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: Sie müssten „Unsäglich“ heißen, nicht Sager!)

Es ist peinlich und unerträglich, wie Sie bis zum gestrigen Tage herumgeeiert sind. Gestern haben Sie gesagt, Sie unterstützten das Ultimatum der USA. Es bedurfte dreier Nachfragen, was das denn bezogen auf Ihre Haltung zum Krieg bedeutet. Dann haben Sie endlich gesagt, ja, Sie unterstützten das Ultimatum mit allen Folgen. Das ist aber wirklich zu wenig, wenn es darum geht, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit zu sagen. Warum stellen Sie sich nicht hin und sagen ehrlich: Ich bin dafür, dass die Arbeit der Waffeninspekteure beendet wird, ich bin dafür, dass an die Stelle der Arbeit der Waffeninspekteure der Krieg gegen den Irak tritt. - Das ist die Frage, um die es geht. Da hätten Sie ehrlich sein müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Joachim Poß [SPD]: Frau Merkel drückt sich!)

   Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit manch schwierige Frage beantworten müssen. Wir haben uns mancher Auseinandersetzung gestellt und auch in schwierigen Fällen Verantwortung übernommen: in der Kosovo-Frage, in der Afghanistan-Frage, auch in der Frage, wie man eine weitere Eskalation in Mazedonien verhindern kann. Wir haben uns diesen Fragen gestellt und auf all diese Fragen klare Antworten gegeben, genauso wie wir jetzt zum Irakkrieg ganz klar Nein sagen. Eine solch klare Aussage aber ist von der CDU eben nicht gekommen ist.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Frau Merkel, Sie haben in den letzten Wochen gebetsmühlenartig gesagt, eine zweite Resolution wäre hilfreich. Verschwiegen haben Sie aber, dass diese zweite Resolution, um die es die ganze Zeit schon ging, von den USA und Großbritannien als kriegslegitimierend verstanden worden wäre. Als Sie gesagt haben, eine zweite Resolution wäre hilfreich, hätten Sie für die Bürgerinnen und Bürgern klar hinzufügen müssen: Ja, ich, Angela Merkel, würde im Sicherheitsrat einer kriegslegitimierenden Resolution zustimmen. - Diese klare Antwort sind Sie den Bürgerinnen und Bürgern schuldig geblieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie haben wochen- und monatelang versucht, den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung sei mit ihrer Haltung zum Irakkrieg isoliert. Ich frage Sie: Wen, glauben Sie, vertreten Sie mit Ihrer Position eigentlich noch in diesem Land? Sie haben landauf, landab verkündet, Sie hätten den Eindruck, dass die Bundesregierung isoliert sei, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sich die Bundesregierung mit aller Kraft bemüht hat, der Arbeit der Waffeninspekteure eine Chance zu geben. Ohne die deutsch-französische Initiative hätte es im Sicherheitsrat nicht die Haltung gegeben, der Arbeit der Waffeninspekteure die Zeit und die Ressourcen zu geben, die sie gebraucht haben. Ohne die deutsch-französische Initiative hätte es keinen Beschluss der EU-Außenminister und keinen Beschluss der europäischen Regierungschefs gegeben, die damit bewirken wollten, dass es durch die Arbeit der Waffeninspekteure zu einer friedlichen Abrüstung kommt.

   Und was haben Sie gemacht? - Sie haben diese Bemühungen hintertrieben. Sie sind durch Ihre Anbiederei in den USA der Bundesregierung in den Rücken gefallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dabei haben Sie ganz genau gewusst, worum es in dieser Frage geht; das ist für mich das eigentlich Schlimme. Sie können sich nicht damit herausreden, Sie hätten nicht gewusst, worum es geht. Sie haben bei Ihrem Handeln immer das innenpolitische Kalkül gehabt, das Sie der Bundesregierung versucht haben unterzuschieben.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Was?)

   Sie haben gehofft, dass die Bundesregierung im UNO-Sicherheitsrat am Ende mit Syrien alleine dasteht. Sie waren tief enttäuscht, als sich gezeigt hat, dass der Sicherheitsrat nicht aus einem Haufen käuflicher Länder besteht, sondern dass die Länder - das gilt auch für die kleinen Länder und die Länder Lateinamerikas und Afrikas - Rückgrat gezeigt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es wäre Ihnen am liebsten gewesen, wenn das eingetreten wäre, von dem viele ausgegangen sind, nämlich dass diese Länder am Ende nationalen, strategischen, materiellen und finanziellen Interessen den Vorrang gegeben hätten.

   Sie haben bei der Frage, was die Wahl der richtigen Strategie in Bezug auf den Irak angeht, von Anfang an gewusst, worum es geht. Herr Schäuble hat das Thema am Anfang der Legislaturperiode angesprochen und hat hier ganz deutlich gesagt, es habe nach dem 11. September in den USA einen Strategiewechsel gegeben dahin gehend, Präventivkriege führen zu wollen, um so genannte Schurkenstaaten unter Kontrolle zu bringen und diese als Brückenköpfe für eine politische Neuordnung der arabischen Welt zu nutzen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das soll ich gesagt haben?)

Er hat weiter gesagt - das können Sie nachlesen -, man müsse sich mit dieser Strategie der USA auseinander setzen.

(Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

   Die Bundesregierung hat sich - im Gegensatz zu Ihnen - mit dieser Strategie auseinander gesetzt und hat festgestellt, dass sie hoch gefährlich ist. Deswegen haben wir uns dieser Strategie nicht angeschlossen und werden es auch nicht tun. Sie dagegen haben sich mit dieser Strategie nicht auseinander gesetzt, obwohl Sie genau wussten, worum es geht. Jetzt haben Sie sich im Grunde zu Helfershelfern gemacht, indem Sie sagten, Sie teilten das Ultimatum mit allen Konsequenzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Frau Kollegin Sager, ich möchte Sie nach der Belegstelle für das Zitat fragen, das Sie mir eben in den Mund gelegt haben. Ich bin einigermaßen überrascht, welche bemerkenswerten Ausführungen ich nach dem, was Sie gesagt haben, gemacht haben soll. Ich kenne diese nicht und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Belegstelle hierfür nennen würden.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Schäuble, ich habe Sie nicht zitiert.

(Lachen bei der CDU/CSU - Volker Kauder [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit! - Michael Glos [CDU/CSU]: Schämen Sie sich!)

- Hören Sie bitte zu! - Ich habe Sie nicht zitiert, sondern habe lediglich gesagt, dass Sie in dieser Debatte auf diese entscheidende Frage hingewiesen haben. Das habe ich im Protokoll nachgelesen und ich bin gerne bereit, Ihnen diese Stelle herauszusuchen.

   Im Herbst letzten Jahres haben Sie gesagt, es gebe in den USA vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. September eine Strategiedebatte, die in Richtung eines Präventivkriegs gehe.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das hört sich etwas anders an!)

Mit dieser Strategie müsse man sich auseinander setzen. Das haben Sie sogar eingefordert. Aber Sie selber haben das, was Sie gefordert haben, nicht erfüllt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Und obwohl Sie sich mit dieser Strategie nie ernsthaft auseinander gesetzt haben, sind sie ihr im Grunde genommen jetzt hinterhergelaufen. Das ist das Schlimme.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Frau Kollegin Sager, nachdem ich jetzt doch beruhigt bin, dass ich offenbar etwas ganz anderes gesagt habe als das, was Sie gerade vorgetragen haben,

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! - Zuruf von der SPD: Richtig zuhören!)

möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass ich sinngemäß Folgendes gesagt habe: Die Fragen, die sich die Amerikaner stellen, nämlich was zu tun ist in einer Zeit, in der die auf gegenseitige Vernichtungsfähigkeit gegründete Abschreckungsstrategie des Kalten Krieges nicht mehr ausreicht, um in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir aufnehmen?

(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein anderes Thema!)

Ob die Antworten, die die Amerikaner geben, richtig sind, ist eine ganz andere Frage. Mit den Fragen müssen wir uns aber beschäftigen.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Schäuble, das, was ich zuerst gesagt habe, haben Sie offensichtlich nicht wahrnehmen können, weil Sie noch in Ihren Akten vertieft waren.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich habe genau zugehört! - Michael Glos [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen kann er blättern und zuhören!)

   Tatsache ist, dass ich immer gesagt habe: Ich finde es richtig, dass Sie die Frage bezüglich der Auseinandersetzung mit der amerikanischen Regierungsstrategie aufgeworfen haben. Ich sage nur: Die Bundesregierung hat sich damit auseinander gesetzt und eine Antwort gefunden, während die CDU/CSU darauf zunächst keine Antwort gegeben hat. Jetzt haben Sie eine fatale Antwort gegeben, weil Sie diese Präventivschlagstrategie offensiv unterstützen, indem Sie sich zu diesem Ultimatum und seinen Folgen bekennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Herr Schäuble, ich will Ihnen auch gerne etwas zu dem, was Sie angesprochen haben, sagen. Natürlich müssen wir uns mit der veränderten Sicherheitslage in der Welt auseinander setzen. Ich habe gerade gesagt, dass die Bundesregierung das sehr deutlich getan hat, indem sie sich mit den Risiken der jetzigen Präventivschlagstrategie auseinander gesetzt hat. Der Fehler - auch der US-amerikanischen Regierung - in dieser Frage ist doch, dass übersehen wird, dass man den internationalen Terrorismus nicht durch Erstschläge gegen so genannte Schurkenstaaten bekämpfen kann, weil es beim Terrorismus nicht um Staaten, sondern um international operierende Netzwerke geht. Die entscheidende Frage wird sein, ob diese Netzwerke durch das, was wir in der Welt betreiben, stärker oder schwächer werden. Diese Frage haben Sie falsch beantwortet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren, wir werden uns aber auch damit auseinander setzen müssen, wie es jetzt weitergehen soll. Natürlich ist es fatal, dass hier ein Alleingang vorgenommen wird, jenseits der internationalen Strukturen und der internationalen Ordnung. Natürlich ist es auch fatal, dass die einzige militärische Supermacht auf der Welt alleine über Krieg und Frieden entscheidet. Ich sage eines aber ganz deutlich: Gerade weil wir nicht akzeptieren, dass die einzige militärische Supermacht auf der Welt alleine über Krieg und Frieden entscheidet, müssen wir jetzt verstärkt daran arbeiten, die internationalen Strukturen zu stabilisieren. Das heißt, wir müssen an den Fortschritten in der europäischen Integration hart arbeiten. Vor allen Dingen mit Blick auf die osteuropäischen Staaten ist das unbedingt notwendig. Die europäische Integration kann nicht erfolgreich fortgesetzt werden, wenn wir das NATO-Bündnis als eine Basis dafür nicht stabilisieren. Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung all ihre Entscheidungen, die sie jetzt zu treffen hat, auch unter dem Gesichtspunkt trifft, ob die internationalen Strukturen stabilisiert oder destabilisiert werden.

Wir werden den Dialog über die Sicherheitslage in der Welt verstärkt führen müssen, mit den europäischen Gesellschaften, mit den USA und mit den Menschen in den USA. Wir werden darüber reden müssen, dass am allerwenigsten eine interkulturelle Gesellschaft wie die USA Konflikte der Kulturen unbeschadet überstehen kann. Das halte ich für eine zentrale Aufgabe in dem Dialog, der uns bevorsteht. Wir müssen den Menschen in den USA deutlich machen, dass wir das Leid und den Schock, den sie am 11. September erlebt haben, nicht verkennen, dass dies aber nicht die Ausgangsbasis dafür sein kann, Leid über die Menschen in anderen Ländern zu bringen. Das kann nicht die richtige Strategie sein. Wir werden auch darüber reden müssen, dass das Leid, das die Menschen in den USA am 11. September erlebt haben, für eine politische Strategie von Kräften in der US-Administration missbraucht wurde, die ihre politische Strategie schon längst vor dem 11. September festgelegt hatten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Es war mir klar, dass Herr Ströbele hierbei klatscht! Das ist hanebüchen!)

   Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten das umsetzen müssen, was der Bundeskanzler am Freitag als Programm der Regierung dargestellt hat. Wir wissen, dass vieles von dem, was wir uns vorgenommen haben, den Menschen in diesem Lande etwas abverlangen wird. Wir wissen, dass dies nicht alles nur frohe Botschaften sind. Aber ich sage klar und deutlich: Wir werden diese Schritte gehen müssen, um unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftssicher zu machen. Wir werden diese Schritte gehen müssen, um die Lohnnebenkosten senken zu können und um Chancen für mehr Beschäftigung zu schaffen.

   Es geht nicht darum, eine dauerhafte Ausgrenzung von Menschen in diesem Land einzig und allein materiell zu kompensieren. Uns geht es darum, den Menschen in diesem Land wirklich die Chance auf Teilhabe und Beschäftigung zu geben. Das ist das Ziel unserer Politik und unserer Reformen. Aber wer glaubt, bei der Verkündigung solcher Schritte „Bravo“ rufen und klatschen zu müssen, der sollte seine Neigungen vielleicht lieber in irgendwelchen SM-Szenen statt in der Politik ausleben.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Wohin bitte? Sind Sie bereit, das zu erklären? - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Was ist das? - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ist das irgendwelcher Schweinkram? Wo ist die denn zu Hause?)

Die Umsetzung wird nämlich nicht immer sehr angenehm sein, aber sie ist eben notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Ich lasse mich nicht in einen SM-Laden schicken, auch wenn ich nicht weiß, was das ist! - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Mit ihr schon gar nicht!)

   Mit Blick auf die CDU/CSU sage ich: Was wir erlebt haben, ist ein buntes Schauspiel. Frau Merkel hat erklärt, der Bundeskanzler müsse endlich einmal konkret werden. Am Freitag war der Bundeskanzler konkret. Aber wir müssen feststellen, dass dies die CDU/CSU kalt erwischt hat. Kaum wird es in diesem Lande einmal konkret, laufen Sie umher wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen: Merkel gegen Stoiber, Stoiber gegen Merkel, Seehofer gegen Stoiber, Wulff und von Beust auf der Seite von Seehofer und Merkel, Koch und Schäuble für Stoiber.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ströbele gegen Sager, Sager gegen Ströbele, Fischer gegen Sager, Fischer gegen Ströbele! - Michael Glos [CDU/CSU]: Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen!)

Kein Mensch in diesem Lande kann noch erkennen, wohin Sie mit Ihrer Politik wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Besonders interessant fand ich die Meldung von dpa, die Fraktion der CDU/CSU sei der Tanker und der Vorsitzende der CSU, Herr Stoiber, sei das Schnellboot. Ich als Hamburgerin habe mich darüber gewundert und gefragt: Wenn man einem großen Boot helfen will, in einem schwierigen Gewässer den Kurs zu finden, dann ist ein Bugsierer oder ein Schlepper besser. Ein Schnellboot bringt in diesem Falle nichts. Herr Stoiber hat sich offensichtlich das Schnellboot ausgesucht, weil er den Tanker schnell einholen, entern und die Brücke besetzen will. Bei Ihnen wollen offensichtlich viel zu viele auf die Brücke. Nur diejenige, die auf der Brücke steht, weiß nicht, wo es lang geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Solange Sie sich in der CDU/CSU nicht geeinigt haben, ob Sie nun ein Schub-Schub-Verband oder ein Schub-Schlepp-Verband sein wollen, so lange sollten Sie von einer großen Fahrt Abstand nehmen. Ich befürchte, dass bei Ihnen niemand das Kapitänspatent besitzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Romer?

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. - Ich möchte Ihnen zum Schluss meiner Rede einen guten Tipp aus der christlichen Seefahrt geben, weil Sie ihn offensichtlich bitter nötig haben. In der christlichen Seefahrt gibt es eine sichere Regel, an die man sich auch in der Politik halten sollte: Rot und Grün markieren das sichere Fahrwasser. Schwarz und Gelb sind die Markierungen für Gefahren und Untiefen, davon sollte man sich fernhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Gefahr und Untiefen für die Regierung!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Es spricht jetzt der Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Merkel hat den Wunsch geäußert - was ich verstehe -, nach mir zu reden; deswegen haben wir die Geschäftsführer um Entschuldigung dafür gebeten, dass wir ihre Spielchen beenden wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Ein wahrer Staatsmann!)

   Das Thema ist wichtig genug. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Ein Krieg im Irak wird immer wahrscheinlicher. Wir haben von Anfang an - das ist in dieser Debatte auch deutlich geworden - unsere feste Überzeugung klar gemacht, dass wir einen solchen Krieg verhindern wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das in den internationalen Gremien zum Ausdruck gebracht und auch gegenüber der Öffentlichkeit in diesem Hohen Hause wiederholt deutlich gemacht. Ich freue mich natürlich über die große Unterstützung, die diese Position sowohl von der Regierungskoalition als auch vom deutschen Volk erfährt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Gerade in Europa, zumal in Deutschland, hat sich tief in das kollektive Bewusstsein der Menschen eingegraben - das ist von Generation zu Generation weitergegeben worden -, was Krieg für die Menschen bedeutet. Vielleicht liegt hier ein Unterschied in unserer Herangehensweise: Auch das gehört dazu, neben dem, was Frau Sager - ganz eindrucksvoll, wie ich fand - eben dargestellt hat, als sie über das Mitgefühl mit denjenigen gesprochen hat, die als Folge der Ereignisse vom 11. September politisch handeln und handeln müssen. Auch wenn ich das unterstreiche - dies bringt uns nicht ab von unserer festen und eindeutigen Position. Ich fand es aber gut und richtig, dass sie auch auf diesen Teil der politischen und menschlichen Dimension hingewiesen hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mit den politischen Entscheidungen, die wir getroffen haben und von denen wir nichts abstreichen werden, haben wir alle miteinander für Klarheit gesorgt. Ich hoffe, die Union wird das jetzt in gleicher Weise tun. Ich füge aber hinzu: Wir brauchen auch Besonnenheit in der Argumentation. Emotionen - sie werden uns, aber nicht nur uns, sondern ganz viele Menschen im Land in den nächsten Tagen alle miteinander beschäftigen -, so verständlich sie angesichts des Bevorstehens oder gar des Beginns eines Krieges bei jedem sein mögen, dürfen das politische Handeln nicht dominieren. Das gilt nach außen und ich hoffe, das gilt auch nach innen.

   Die Positionen von Regierung und Opposition sind kontrovers. Das schafft Klarheit, aber wir sollten uns zusammennehmen und alle unseren Beitrag dazu leisten, dass die Debatte bei aller notwendigen Polemik, die gar nicht ausbleiben wird, fair verlaufen wird. Ich denke, das ist die Erwartung angesichts der schwierigen Situation der übergroßen Mehrheit der Menschen in unserem Land. Wir müssen dieser Erwartung gerecht werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sagte: Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung. Wir lehnen ein militärisches Vorgehen gegen den Irak ab. Die ganz normale Konsequenz ist, dass sich deutsche Soldaten an Kampfhandlungen nicht beteiligen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies gilt sowohl für die deutschen Soldaten in den AWACS-Flugzeugen als auch für die deutschen ABC-Abwehrkräfte in Kuwait.

   Dieses Thema wird, wie das auch hier angeklungen ist, in den nächsten Tagen natürlich kontrovers und aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Bevor ich etwas zur Sache sage, will ich deutlich machen: Ich fand es richtig, dass darauf hingewiesen worden ist - ich glaube sogar, es war Herr Ströbele, der es getan hat -,

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das kann selten richtig sein!)

dass die Frage von Krieg und Frieden die zentrale Frage ist, mit der wir uns auseinander setzen müssen. Es geht in erster Linie - immer noch und immer wieder - um die Frage, was wir dabei tun können, und nicht um die Diskussion über unterschiedliche Meinungen - die es nun einmal gibt - zu Fragen des Völkerrechts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die NATO-AWACS-Flugzeuge führen über dem Territorium der Türkei Routineflüge durch. Dies geschieht auf der Basis der Entscheidung des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19. Februar 2003. Ihre ausschließliche Aufgabe ist die strikt defensive Luftraumüberwachung über der Türkei. Sie leisten - das geht aus den Rules of Engagement hervor - keinerlei Unterstützung für Einsätze im oder gegen den Irak. Durch die Zuordnung der AWACS-Flugzeuge zum Befehlsbereich des NATO-Oberbefehlshabers Europa, also des SACEUR, ist eine strikte Trennlinie zu den Aufgaben des Kommandeurs des US Central Commands, des amerikanischen Generals Franks, gezogen. Übrigens verfügt Herr Franks - so ist mir von unseren Fachleuten mitgeteilt worden - für Militäroperationen gegen den Irak über fast 100 eigene US-AWACS-Flugzeuge.

   Räumlich getrennt von diesen und mit gänzlich unterschiedlichem Auftrag überwachen also die NATO-Flugzeuge unter dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers Europa den Luftraum über der Türkei und sichern ihn. Hier liegt der Grund, warum wir davon überzeugt sind, dass es dazu keines Beschlusses des Deutschen Bundestags bedarf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das seht ihr falsch!)

- Herr Schäuble, auf Ihren Zwischenruf bezogen: Ich habe gesagt, wir seien davon überzeugt. Ich habe nicht gesagt, Sie seien davon überzeugt. Wir sind davon überzeugt, dass das richtig ist, und dieser Überzeugung werden wir auch Rechnung tragen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sind von sich überzeugt, sonst nichts!)

   Auch die Aufgaben der deutschen ABC-Abwehrsoldaten sind klar begrenzt. Sie handeln auf der Basis eines Beschlusses des Deutschen Bundestags - anders wäre es auch nicht möglich -, nämlich auf der Basis des Beschlusses zu Enduring Freedom, wie Sie wissen. Dieses Mandat, das der Deutsche Bundestag gegeben hat, ist einziger und ausschließlicher Auftrag dieser Kräfte. Auch sie werden sich an Einsätzen gegen den Irak nicht beteiligen. Bestandteil dieses Mandats für Enduring Freedom ist allerdings auch die humanitäre Hilfe in Kuwait. Daher führen die deutschen ABC-Abwehrsoldaten zusammen mit kuwaitischen Stellen auch entsprechende Übungen durch. Noch einmal zur Klarstellung: Dafür gibt es ein Mandat in all den Punkten, in denen es benutzt wird. Dazu bedarf es deshalb auch keines neuen Mandats.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich noch ein Wort zur Frage der Sicherung amerikanischer Einrichtungen, zur Nutzung der Basen und zu den Überflugrechten sagen.

   Unsere Position zum Irakkrieg - ich habe sie noch einmal erläutert - haben wir politisch klar definiert. Aber diese klare Position, die sich von der unserer Bündnispartner - jedenfalls von jener der Vereinigten Staaten und Großbritanniens - unterscheidet, ändert nichts daran, dass es sich um Bündnispartner und befreundete Nationen handelt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zu diesem Bündnis, zur NATO, gehören Rechte und Pflichten. Diesen Pflichten, die sich aus dem NATO-Vertrag und den verschiedenen Stationierungsabkommen ergeben, werden wir auch jetzt Rechnung tragen.

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Das ist der Grund, warum ich von Anfang an gesagt habe: Es mag zwar unterschiedliche völkerrechtliche Positionen geben, aber vor dem Hintergrund unserer Bündnisverpflichtungen werden wir die Nutzung der Basen weiter gestatten, Überflugrechte nicht versagen und natürlich die Anlagen unserer Freunde und, soweit nötig, auch ihrer Familien schützen und sichern.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas unterstreichen, das ich bereits öffentlich zum Ausdruck gebracht habe. Selbstverständlich ist es in einer Zeit zugespitzter internationaler Situation - was gibt es für eine größere Zuspitzung als einen Krieg im Nahen Osten, im Irak und um den Irak? - besonders wichtig, den Menschen in unserem Lande deutlich zu machen, dass die Sicherheitsorgane unseres Landes - des Bundes wie auch der Länder - keinen Zweifel daran aufkommen lassen werden - das wird sicherlich jede politische Führung unabhängig von ihrer parteipolitischen Färbung klar stellen -, dass alles Menschenmögliche getan wird, um die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Das ist auch der Fall. Ich bitte ausdrücklich um Vertrauen in die Sicherheitsorgane und in diejenigen, die die Sicherheit unseres Landes und damit auch der Menschen in unserem Land gewährleisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   In der Debatte ist - ein bisschen durchsichtig - versucht worden, in der Frage nach den Ursachen Ursache und Wirkung zu verwechseln. Ich will mich zu dieser Frage aus guten Gründen nicht weiter äußern.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das sollten Sie aber!)

Aber darüber nachdenken sollten Sie schon noch einmal, Herr Westerwelle.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie auch!)

Denn ich halte es für absurd, Ursache und Wirkung in dieser Form zu verwechseln. Im Übrigen sollten Sie - auch das ist Ihnen eindrucksvoll vorgehalten worden sich darum bemühen, das nachzulesen, wozu Sie die Bundesregierung noch im März und im Sommer vergangenen Jahres aufgefordert haben

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Zu Recht!)

und mit welcher Begründung Sie dies getan haben.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Völlig zu Recht!)

Dann würden Ihnen viele Ihrer Worte, die Sie so großspurig ausgesprochen haben, im Hals stecken bleiben. Dessen bin ich mir ganz sicher, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Koppelin [FDP]: Lesen Sie einmal Ihre eigene Rede!)

   Im Übrigen rate ich Ihnen dringend, sich in diesen Fragen gelegentlich bei Herrn Genscher, dem früheren Außenminister, kundig zu machen.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Heute Morgen geschehen! - Lachen bei der SPD)

Dann würden Sie auf erstaunliche Gedanken stoßen, die auch bereits öffentlich geäußert worden sind.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist heute Morgen geschehen! - Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts gelernt!)

- Dass das heute Morgen geschehen ist, hat man aber nicht gemerkt. Das war das Problem.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist dann auf die Situation in Europa hingewiesen worden. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn man nicht nur, aber auch in dieser Frage bereits eine Außenpolitik in Europa gehabt hätte. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn es gelungen wäre, diese in Europa insgesamt zu verankern, gar keine Frage. Hier hat es gewiss Festlegungen gegeben, auch von uns, aber keineswegs nur von uns und keineswegs nur öffentlich, sondern auch hier. Ich finde, hierhin gehört es, oder etwa nicht?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich begann mit der offiziellen Erklärung der Fünf, der sich später viele der Beitrittsländer angeschlossen haben, eine erkennbare politische Differenz in der Bewertung der Sache, über die wir jetzt reden. Es ist doch gar keine Frage, dass das so war. Das gilt nicht nur für den Brief der Fünf, sondern auch für das, was von verschiedenen Regierungen der Beitrittskandidaten unterschrieben worden ist, gar keine Frage. Aber man sollte auch verstehen, dass es wenig Sinn macht, sich noch jetzt darüber zu beklagen. Es hat schon Sinn gemacht, das auszusprechen, was der französische Präsident gesagt hat, nämlich darauf hinzuweisen, dass Europa nicht nur Rechte materieller und immaterieller Art begründet, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Das war schon in Ordnung. Ich denke, dafür sollte man ihn nicht kritisieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Man muss auch verstehen, warum in bestimmten Ländern so und nicht anders gehandelt worden ist. Dort hat man größere Schwierigkeiten, als wir sie - Gott sei Dank - in Deutschland haben, Souveränitätsrechte abzutreten, die man so lange so schmerzlich entbehrt hat. Wir hatten dazu 50 Jahre Zeit, die anderen noch nicht einmal 12. Diesen Zusammenhang muss man sehen, wenn man das bewertet, was in Polen, in Tschechien und in anderen Ländern geschehen ist. Deswegen bleibt die Aufgabe bestehen, während und erst recht nach einer militärischen Auseinandersetzung dafür zu sorgen, dass diese Differenzen geduldig, aber auch nachhaltig eingeebnet werden. Auch das ist ein Teil der europäischen Politik, die wir machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zu dem heute Morgen hier angeklungenen Vorwurf, Deutschland habe es in letzter Zeit an europäischem Engagement gemangelt: Wenn ich gelegentlich Rückschau auf Debatten über Außenpolitik und speziell auf die Vorwürfe halte, die uns wegen mangelndem sorgsamem Umgang im deutsch-französischen Verhältnis gemacht worden sind, dann wundert mich schon gelegentlich die Debatte, die gerade jetzt auch von Ihnen, Herr Schäuble, geführt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als Sie sich - so wurde das genannt - am Stottern des deutsch-französischen Motors im wahrsten Sinne des Wortes delektiert haben. Jetzt, wo er ganz rund läuft, passt es Ihnen auch wieder nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon etwas merkwürdig, wie Sie Außenpolitik nach jeweiliger Befindlichkeit zu formulieren versuchen. Ich jedenfalls kann nichts Schlechtes daran finden, dass wir zusammen mit unseren französischen Freunden und mit anderen intensivst dafür gearbeitet haben, eine militärische Auseinandersetzung im und um den Irak zu verhindern,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass wir weiter intensivst dafür arbeiten, dass das auch geschieht.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das Gegenteil haben Sie erreicht!)

- Das Gegenteil haben wir erreicht? Was Europa angeht: Es gab eine Zeit, in der Sie durch das Land gezogen sind und behauptet haben, wir hätten uns in Europa und erst recht im Weltsicherheitsrat vollständig isoliert. Davon kann indessen wirklich keine Rede sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch wohl eher Ihre Politik als unsere, die, so wie die Dinge liegen, im Weltsicherheitsrat keine Mehrheit finden würde. Auch das sollten Sie gelegentlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich kehre zum Thema Europa zurück. Man kann und man darf der deutschen Bundesregierung keine Vorwürfe machen, was ihr Engagement für Europa und speziell für die Erweiterung Europas angeht, die für die baltischen Staaten, für die Polen, für die Tschechen und für die anderen, die ich jetzt nicht alle aufführen will, so wichtig ist. Es sind Frankreich und Deutschland gewesen, die im Herbst in Brüssel mit dem schwierigen und gelegentlich auch kritisierten Agrarkompromiss dafür gesorgt haben, dass wir in Kopenhagen eine wahrhaft historische Entscheidung treffen konnten, die dazu führt, dass auch in Europa zusammenwächst, was zusammengehört. Das waren doch französische und deutsche Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich wissen wir, dass diese beiden Länder auf dieser Basis eine besondere Verantwortung dafür haben, dass der Integrationsprozess, also insbesondere das, was im Konvent beraten wird, die Neuordnung der Beziehungen der Institutionen in Europa ein wirklicher Erfolg wird. Dafür werden wir ungeachtet der Schwierigkeiten, die es aktuell gibt, arbeiten. Es wird sich sehr bald zeigen, dass die französisch-deutsche Zusammenarbeit in diesem Fall wieder einmal im Zentrum dessen steht, worum es geht.

   Wenn Deutschland und Frankreich besonders eng zusammenarbeiten, dann werden wir - ich weiß das wohl - gelegentlich von dem einen oder anderen Kollegen dahin gehend kritisiert, diese Zusammenarbeit bestimme in Europa zu viel voraus. Aber wenn wir nicht besonders eng zusammenarbeiteten - so sind jedenfalls meine Erfahrungen -, dann werden wir dafür kritisiert, dass wir es nicht getan haben. Insofern glaube ich, dass die französisch-deutsche Zusammenarbeit auch bezogen auf die europäische Einigung - ich erinnere an die bevorstehenden weiteren Schritte zur Integration - von riesigem Wert ist. Deswegen bin ich froh, dass diese Zusammenarbeit gerade zu Zeiten einer schweren Krise so gut gestaltet werden konnte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich aus einem bestimmten Grund auf eine Frage zu sprechen kommen, die hier insbesondere am letzten Freitag eine Rolle gespielt hat und die in die eigentlichen Beratungen des Bundeshaushalts natürlich hineinragt. Ich möchte deutlich sagen: Die Inhalte dessen, was ich am letzten Freitag unter dem Motto Agenda 2010 vorgestellt habe, werden wir Punkt für Punkt umsetzen. Ich bin den und dem Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen für ihre Unterstützung sehr dankbar.

   Es kommt mir darauf an, dass klar wird: Wir lassen nicht zu, dass der Prozess der Umsetzung durch die - gegenwärtig so schwierige - internationale Lage infrage gestellt wird. Es ist gerade in einer schwierigen Zeit ganz wichtig, nicht aufzuhören, den Reformprozess voranzubringen. In einer solchen Zeit muss die Arbeit vielmehr eher noch verstärkt werden. Das begreife jedenfalls ich als unsere Aufgabe, als die gemeinsame Aufgabe von Regierung und Koalition.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der drohende Irakkrieg darf nicht als Ausrede dafür benutzt werden, den Reformprozess, der skizziert worden ist, zu verzögern oder gar in Teilen nicht zu realisieren. Das Gegenteil ist richtig: Gerade in einer schwierigen Zeit brauchen wir diese Reformen und wir werden dafür sorgen, dass sie realisiert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie nutzen den Windschatten! Das kommt wieder zu krass!)

Es geht dabei um Strukturreformen. Was die Nachfrageseite betrifft, geht es um das, was unter dem Stichwort „öffentliche Investitionen“ deutlich geworden ist. Ich unterstreiche, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion hier zu den kommunalen Investitionen gesagt hat: Es ist richtig, dass wir den Kommunen mit den 7 Milliarden Euro, die wir an zinsverbilligten Krediten zur Verfügung stellen wollen, helfen. Genauso richtig ist es, dass sie die Möglichkeit behalten oder erhalten müssen, diese Kredite auch in Anspruch zu nehmen; denn nur dann werden sie in Arbeit umgesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen war es ein großer Fehler - ich unterstreiche das; übrigens: mehr und mehr wird das auch in den Ländern eingesehen, bei aller denkbaren Kritik an Einzelheiten des Steuerreformgesetzes, das dem Bundesrat vorliegt -, diesen Teil des Gesetzes nicht zu akzeptieren, sondern abzulehnen, weil das die Basis der Kommunen für die Realisierung ihrer Aufgaben nicht stärkt, sondern schmälert. Diese Verantwortung werden Sie auf sich nehmen müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben deutlich gemacht - der Bundesfinanzminister hat es in der gestrigen Debatte gesagt -, dass wir diesen Prozess eben nicht durch mehr Verschuldung finanzieren. Zugleich haben wir aber auch klar gesagt, dass die Antwort auf eine sich möglicherweise verschärfende ökonomische Lage - niemand von uns hofft das - nicht prozyklische Politik sein darf. Sondern für den Fall, dass sich Wachstumserwartungen, die wir im Einklang mit allen wichtigen und großen Instituten formuliert haben, so nicht realisieren lassen, aus welchen Gründen auch immer, müssen die automatischen Stabilisatoren wirken, damit es eben nicht zu einer Verschärfung der Situation kommt, die anderswo ihre Ursachen hat. Was der Finanzminister dazu gesagt hat, gilt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich müssen wir sowohl im Kreis der Finanzminister im Ecofin-Rat - niemand kann ernsthaft etwas dagegen haben - als auch am Freitag - ich gehe jedenfalls davon aus - oder jedenfalls im April im Kreis der Staats- und Regierungschefs darüber reden, dass wir dann, wenn ein Krieg im Irak schwerwiegende ökonomische Folgen für die Wirtschaft in Europa und für die Wirtschaft der Mitgliedstaaten hat, auch eine faire Debatte mit der Kommission darüber führen müssen, was die Alternative ist.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Dabei geht es niemandem darum, den Stabilitätspakt einfach wegzudrücken, sondern es geht darum, auf seiner Basis unter Umständen nötige und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Die werden wir dann in aller Offenheit auch hier im deutschen Parlament diskutieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bei all den Fragen, die die Sozialstaatlichkeit Deutschlands betreffen, ist deutlich geworden, was wirklich das Ziel dessen ist, was wir vorhaben. Auch da kann ich an das anschließen, was hier bereits diskutiert wurde. Es geht uns darum, unter radikal veränderten ökonomischen Bedingungen in Deutschland, in Europa und in der Welt, häufig zusammengefasst - nicht falsch zusammengefasst - unter dem Stichwort der Globalisierung, die Substanz von Sozialstaatlichkeit zu erhalten. Dem dienen diese Maßnahmen. Nichts anderem dienen sie. Das halten wir auch fest.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb kommt es darauf an, auf dem Arbeitsmarkt eine neue Balance zwischen der Sicherheit der Beschäftigten einerseits und der Notwendigkeit der Flexibilität der Unternehmen andererseits zu finden. Das werden wir mit den Maßnahmen, die der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zum Kündigungsschutz, zur Frage des Zusammenlegens von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie auch zur Frage der Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld dargestellt hat, anstreben und auch Positives erreichen. Ich bitte Sie darum, dies nicht aufzuhalten, sondern dabei mitzuhelfen.

   Das Gleiche gilt genauso für die anstehende große Reform, die wir im Gesundheitswesen brauchen. Dabei geht es darum, die Strukturen marktnäher zu machen. Dabei kann sich aber nicht jeder das heraussuchen, was er gern hätte, sondern da gilt es, die Marktnähe auch dann gemeinsam durchzusetzen, wenn die Klientel, die von mangelnder Marktnähe bisher etwas hatte, an der einen oder anderen Stelle einmal aufschreit. Es geht darum, auch dies gemeinsam durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich wissen wir, dass wir im Leistungskatalog etwas verändern müssen. Das haben wir gesagt und das werden wir auch tun, genauso wie es am Freitag dargestellt worden ist.

Ich habe sehr genau dem zugehört, was der bayerische Ministerpräsident, Herr Stoiber, dazu gesagt hat. Darüber müssen wir dann ernsthaft reden. Als es beim Thema Abbau von Überbürokratisierung, um mehr Bewegung zu schaffen, um die Handwerksordnung ging, war auf einmal nicht mehr die Rede vom Abbau der Bürokratie und von mehr Flexibilität,

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

sondern man hat sich eingegraben und gefordert, dass in diesem Bereich alles so bleibt, wie es ist. Dazu werden Sie etwas sagen müssen. Wir werden Sie dazu auffordern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mir kommt es darauf an, dass Folgendes deutlich wird. Bei der Reformdebatte hat sicher der eine oder andere Nachholbedarf, gar keine Frage. Aber das Ganze immer nur auf der einen Seite des Hauses abzuladen, das ist, wie sich an der Diskussion über die Handwerksordnung gezeigt hat und weiter zeigen wird, ein großer Fehler. Das geht Sie in gleicher Weise an und das wird sich sehr bald herausstellen.

   Schließlich und letztlich:

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist sehr interessant, sich anzuschauen, wie die unterschiedlichen Positionen zu dem, was wir am Freitag diskutiert haben, gestaltet worden sind, welcher Verband und welche Gewerkschaft sich zu welcher Frage wie geäußert hat. Man kann das kurz und präzise zusammenfassen: Den einen ging es nicht weit genug und den anderen ging es zu weit, und zwar in fast allen Fragen. Die Gefahr, die ich sehe und der wir gemeinsam entgegentreten müssen und werden, ist nun, dass eine Blockade dadurch entsteht, dass sich die unterschiedlichen Kräfte sozusagen gegenseitig aufheben. Das wäre fatal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine herzliche Bitte an die, die es angeht, auch diejenigen, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben, ist: Selbst wenn einem ein einzelner Schritt im Sinne des Ganzen und der notwendigen Bewegung nicht weit genug geht, sollte man sich einmal herablassen, diesen Schritt zu begrüßen und zu unterstützen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das tun wir doch!)

Wenn nämlich die Gefahr der Selbstblockade durch die unterschiedlichen Maximalpositionen nicht überwunden wird, dann besteht in der Tat die Gefahr, dass am Ende weniger herauskommt, als unser Land braucht. Das müssen wir verhindern und das wird die Koalition verhindern.

   Deswegen können Sie sich vorstellen, dass ich für die Unterstützung dankbar bin, die in diesem Prozess sowohl am Freitag als auch heute deutlich geworden ist.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Herr Bundeskanzler, die haben das Aufstehen vergessen!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte zum Etat des Bundeskanzlers findet in diesem Jahr in einer besonderen Zeit statt. Jeder vernünftige Mensch in diesem Lande und auch in diesem Hause hat ein Ziel: Er möchte Krieg und militärische Aktionen vermeiden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir alle - mir geht es jedenfalls so, ebenso vielen Kolleginnen und Kollegen in unserer Fraktion und, wie ich glaube, auch in anderen Fraktionen - halten deshalb in diesen Stunden den Atem an. Wir sind betroffen, dass die Wege, die zu einer friedlichen Lösung hätten führen können, vielleicht in einer Sackgasse enden. Wir sind voller Sorge um die Menschen im Irak, um die Soldatinnen und Soldaten und um die Sicherheit.

   Wir sind auch unsicher, ob vielleicht andere Länder, ob unser Land von Anschlägen betroffen ist. Ich weiß genau wie Sie alle in diesem Hause, dass gerade die älteren Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande Sorge und Angst haben, weil sie persönlich, anders als ich, Krieg erleben mussten.

   Auch das Gefühl des Ärgers und der Fassungslosigkeit darüber, dass der Westen, dass die demokratischen Länder sich über diese Sache so haben zerstreiten müssen, kommt dazu. Es gibt die Hoffnung, dass, wenn der Krieg nicht zu vermeiden ist, er wenigstens wenig Opfer kostet und schnell vorbei ist. Ich glaube, wir Politiker können und dürfen uns - wir tun es ja auch nicht - niemals von diesen Emotionen freimachen. Aber wir müssen uns auch genau fragen: Was haben wir zu tun? Dafür tragen wir die Verantwortung. Wir tragen die Verantwortung genauso für das, was wir nicht tun.

   Deshalb ist heute die Stunde, in der wir bei aller Gemeinsamkeit der Gefühle ganz offen und ganz ehrlich, wie es auch der Bundeskanzler getan hat, über die Alternativen und über die Unterschiede sprechen. Die Fragen um Frieden und Freiheit können auf gar keinen Fall, auch nicht in Bezug auf den Irak, so beantwortet werden, dass man ausschließlich darüber spricht, wie viele Opfer es jetzt kosten könnte, wenn militärisch eingegriffen wird, sondern wir müssen uns auch - ich sage nicht ausschließlich - vor Augen führen, wie viele Opfer Saddam Hussein schon gekostet hat, wie viele Leute er auf dem Gewissen hat und wie viele es noch kosten könnte, wenn er weiter im Amt bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir debattieren in diesem Hause nicht zum ersten Mal über Krieg und Frieden. Wir haben es oft und leidenschaftlich getan. Vor allen Dingen mussten wir es tun, obwohl wir alle nach 1989 vielleicht gedacht haben, diese Debatten blieben uns nach dem Ende des Kalten Krieges erspart. Wir haben es im Zusammenhang mit dem Kosovo und auch im Zusammenhang mit Afghanistan getan. Ich weiß, dass es vielen damals gerade auch hier nicht leicht gefallen ist; es ist auch uns nicht leicht gefallen.

   Die Debatte hatte nur einen Unterschied: Damals war sich die große Mehrheit in diesem Hause darüber einig, wie wir uns zu entscheiden hatten. Diesmal gibt es mehr Uneinigkeit. Deshalb sage ich mit aller Überzeugung: Fangen wir nicht damit an - leider ist das in den letzten Wochen immer wieder und auch heute passiert, Herr Müntefering -, dass unterschwellig der Eindruck erweckt wird: Wer mit Ihrem Kurs nicht einverstanden ist, der wolle den Krieg;

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen den Frieden, wir wollen den Krieg. Wir werden diese Arbeitsteilung nicht mitmachen und sie wird auch bei der Bevölkerung nicht ankommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   So wie Sie uns das nicht unterstellen

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war das gestern, Frau Merkel?)

können, so werden Sie es auch nicht Ihren Kollegen in Europa unterstellen: Tony Blair, dem portugiesischen Ministerpräsidenten, dem spanischen Ministerpräsidenten

(Jörg Tauss [SPD]: Aber Ihnen!)

- passen Sie auf, dass Sie niemanden verächtlich machen! -, die alle aus ihrer Überzeugung und mit Leidenschaft dafür eintreten, dass Diktatur verschwindet und dies möglichst mit friedlichen Mitteln. Das ist das einigende Band.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass der Unterschied zwischen uns in diesem Hause nun wirklich nicht in der Frage besteht, ob wir Krieg oder Frieden wollen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, natürlich! Entweder man ist für das Ultimatum und den Krieg oder für den Frieden!)

Der Unterschied in diesem Hause - ich wiederhole es gern - besteht nicht darin, ob wir Krieg oder Frieden wollen. Der Unterschied besteht vielmehr in der Frage, auf welchem Weg man glaubt, das, was man erreichen will, am besten zu erreichen. Dabei gibt es Unterschiede.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin Merkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

(Unruhe beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Sager, als Erstes müssen wir aufhören, einem Phantom hinterherzujagen. Im Falle des Iraks handelt es sich nicht um einen Präventivschlag, sondern um die Frage, wie die UNO und der UN-Sicherheitsrat ihre Beschlüsse auch wirklich durchsetzen können.

(Waltraud Lehn [SPD]: Sie fragt doch keiner mehr!)

Es handelt sich nicht um die erste Resolution, sondern um die 17. Resolution. Es geht hier natürlich - ich komme noch darauf zu sprechen - um die Autorität des UN-Sicherheitsrates und darum, ob er in Zukunft in der Lage sein wird, wichtige Resolutionen auch durchzusetzen. Diese Durchsetzung muss uns gelingen, egal zu welchem Ergebnis wir im Zusammenhang mit dem Irak kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Unterschiede zwischen Ihnen und uns im Zusammenhang mit dem Irak waren schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt sichtbar, als Sie nämlich militärische Mittel von vornherein ausgeschlossen haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass man das in diesem Falle niemals hätte tun dürfen, genauso wenig, wie man es in anderen Fällen getan hat. Die einzige Möglichkeit, einen Diktator zum Einlenken zu bringen, ist, dass man mit der letzten Konsequenz, also mit militärischen Optionen, droht. Es ist unsere Überzeugung, dass man so handeln muss, um 17 Resolutionen Nachdruck verleihen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Nein.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie überhaupt Zwischenfragen?

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen.

(Jörg Tauss [SPD]: Weil Sie keine Antworten haben! - Lothar Mark [SPD]: Sie kommen in Bedrängnis durch Zwischenfragen!)

   Krieg ist niemals die Fortsetzung von Politik mit normalen Mitteln. Das darf Krieg niemals werden. Aber ich sage auch: So wie wir uns als Deutsche die Entscheidung, ob wir militärische Aktionen billigen, nicht leicht machen sollten, so dürfen wir es uns wegen unserer Geschichte auch nicht so leicht machen, sie von vornherein auszuschließen.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU])

Paul Spiegel hat doch Recht gehabt, als er gesagt hat: Die KZs sind nicht von Zivilisten, sondern von Soldaten befreit worden. - Auch das ist Teil der deutschen Geschichte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir sind der Überzeugung: Der erfolgreichste Weg, um militärische Aktionen zu vermeiden, wäre gewesen, dass wir, die Demokraten dieser Welt, also die Europäische Union und ihre Verbündeten, den Druck auf Saddam Hussein gemeinsam erhöht hätten.

(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)

Deshalb ist die Alternative, Herr Müntefering, vor der Sie uns stellen wollten,

(Jörg Tauss [SPD]: Die richtige! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Seien Sie mal still! Schämen Sie sich!)

vollkommen falsch. Es geht doch nicht um die Frage, ob man Frieden will oder ob man Soldaten in den Irak schicken will. Es geht vielmehr um die Frage - das ist die Alternative -, ob man es durch Einigkeit der Demokraten, die gemeinsam eine Resolution verabschiedet haben, oder ob man es durch Uneinigkeit besser schafft, dass diese Resolution durchgesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Dazu sage ich mit allem Nachdruck - so bedauerlich es ist; wir werden uns mit dieser Frage noch lange beschäftigen -: Sie haben durch Ihre Haltung, die Einigkeit nicht befördert hat, den Krieg im Irak wahrscheinlicher und nicht unwahrscheinlicher gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zurufe von der SPD: Pfui! - Unverschämt! - Unanständig! - Sie hetzen! - Jörg Tauss [SPD]: Entschuldigen Sie sich! Sofort! - Joachim Poß [SPD]: Mit dieser Bemerkung werden Sie noch lange zu tun haben! - Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kriegstreiberei! So weit ist es gekommen!)

- Herr Poß, regen Sie sich nicht so auf! Sie können es nachlesen: Vor acht Wochen habe ich dies schon einmal gesagt. Da haben Sie sich nicht ganz so aufgeregt.

(Jörg Tauss [SPD]: Entschuldigen Sie sich! Jetzt ist Schluss!)

Jetzt ist die Sache leider sehr schwierig.

   Frau Sager, Sie haben von einem EU-Sondergipfel gesprochen. Wir aber hätten vorgeschlagen,

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten! Sie hätten!)

einen Gipfel nicht erst im Februar - auf diesem wurde von der Bundesregierung endlich das akzeptiert, was allgemein unsere Meinung ist, dass militärische Optionen das letzte Mittel sind -, sondern sehr viel früher abzuhalten.

(Waltraud Lehn [SPD]: Sie hetzen!)

Warum nicht im September? Warum nicht im Oktober? Dann hätte Europa in der Weltgemeinschaft noch etwas bewirken können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg Tauss [SPD]: Die Frau hat keine Moral! Hat sie noch nie gehabt! - Waltraud Lehn [SPD]: Solch eine amoralische Rede habe ich überhaupt noch nicht gehört!)

   Ich sage Ihnen, was wir auch anders gemacht hätten. Wir hätten bei der Verabschiedung der Resolution 1441 von Anfang an darauf geachtet,

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sie hetzen! Ungeheuerlich!)

dass die Inspektionen eine zeitliche Befristung haben. Eine solche zeitliche Befristung hätte uns die Möglichkeit zu einem koordinierten Aufbau von Inspektionen gegeben, die Hans Blix nur deswegen sehr erfolgreich durchführen konnte,

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie gehört, was Herr Blix gesagt hat, dass er Monate braucht? - Zuruf von der SPD: Unmöglich!)

weil parallel dazu eine militärische Drohkulisse entstanden ist. Das sagt er selbst. Hören Sie ihm doch zu!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Waltraud Lehn [SPD]: Hetze statt Inhalt! - Lothar Mark [SPD]: Eine Schande ist das! - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sie hetzen! - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schande ist das! - Zuruf des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

   Eines ist doch klar: Diktatoren auf dieser Welt haben manchmal die Eigenschaft, dass sie auf gar nichts reagieren außer auf militärische Gewalt.

(Lothar Mark [SPD]: So eine Rede ist ein Skandal in diesem Bundestag!)

Wenn es gut läuft, dann reagieren sie auf gemeinschaftlichen Druck, aber eben nicht auf eine zerrissene Weltgemeinschaft. Hier gibt es eine unterschiedliche Wahrnehmung in unserer Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir bedauern im Übrigen so wie Sie, dass die Lage im UN-Sicherheitsrat jetzt so ist, dass er - ich betone das - in keine Richtung handlungsfähig ist. Ich füge hinzu, dass an der Entwicklung des Zustandes, so wie er jetzt besteht, viele beteiligt gewesen sind. Da nehme ich die USA überhaupt nicht aus.

(Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Wir sind hier im deutschen Parlament

(Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und wir haben über die deutsche Position zu diskutieren. Ich bin ganz sicher, dass wir es anders gemacht hätten. Darüber müssen wir in diesem Hause sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Hubert Ulrich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vasallen!)

   Eine Entscheidung im UN-Sicherheitsrat ist bedauerlicherweise nicht möglich gewesen, weil ein Veto von Frankreich, eines von Russland und vielleicht auch eines von anderen gedroht hätten. Aber eine Entscheidung in die andere Richtung ist auch nicht möglich gewesen, weil sonst ein Veto von Amerika und Großbritannien gedroht hätte. Zur Wahrheit der Geschichte gehört,

(Waltraud Lehn [SPD]: Das Wort „Wahrheit“ würde ich nicht in den Mund nehmen!)

dass das eine Veto nicht mehr wert ist als das andere, sondern dass beide ihre Berechtigung haben und die UNO deshalb leider nicht der Ort der Entscheidungen ist, wie ich es mir und wie wahrscheinlich auch Sie es sich gewünscht hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Waltraud Lehn [SPD]: Wie kann man eine so furchtbare Rede halten?)

   Ich muss Ihnen sagen: Ich habe mir in diesen Wochen und Monaten oft die Frage gestellt, was richtig ist. Jeder von uns stellt sich diese Frage. Es besteht eine immens komplizierte Situation. Wenn Sie immer zu 100 Prozent davon überzeugt sind, dass alles richtig ist, was Sie tun, dann gehören Sie zu einer anderen Kategorie.

   Das, was den Irak anbelangt, wird uns noch lange beschäftigen. Denn dies ist ein Ereignis, das weit über den heutigen Tag hinausgeht

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz übel!)

und über die Struktur der Welt und die sicherheitspolitische Ordnung viel aussagen wird. Der Bundesaußenminister, der heute nicht hier sein kann, hat oft auf die Risiken hingewiesen, die mit einer militärischen Aktion, mit einem Krieg im Irak verbunden sind. Das respektiere ich; darüber habe ich viel nachgedacht.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich muss Ihnen sagen: Denken Sie bitte auch darüber nach, was damit verbunden ist, wenn wir gar nichts tun, wenn wir die 18., 19. und 20. Resolution verabschieden und weitere zwölf Jahre im Irak nichts passiert. Lassen Sie uns auch über diesen Fall diskutieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist doch etwas getan worden! Haben die Inspektoren nichts getan?)

   Anfang der 90er-Jahre - die Außenpolitiker werden sich erinnern - haben wir in Europa eine leidenschaftliche Diskussion darüber geführt, dass Hans-Dietrich Genscher und die Bundesregierung damals dafür waren, Kroatien diplomatische Beziehungen anzubieten. Der Bundesaußenminister sagt in diesen Tagen oft: Passt auf, dass es in diesem Raum, im Irak, um den Irak und in Kurdistan, nicht zu einer Balkanisierung kommt.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen sind wir gegen den Krieg!)

   Meine Damen und Herren, damals wurde gesagt: Wie könnt ihr diplomatische Beziehungen zu Kroatien aufnehmen? Das wird zu einer Zersplitterung und nicht zu mehr Frieden führen. Vor dem Kosovo-Krieg haben wir uns gefragt, welche Risiken damit verbunden sind. Das ist doch vollkommen klar. Trotzdem hat sich im Nachhinein erwiesen, dass diese Region weit entfernt ist von Stabilität; aber sie ist immerhin stabiler, als sie es früher war, und Menschenrechtsverletzungen finden in diesem Raum auch nicht statt.

   Über genau dieselben Fragen haben wir jetzt zu entscheiden und wir kommen an vielen Stellen zu anderen Meinungen als Sie. Das ist doch legitim.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! Nein!)

Wir kommen zu dieser Meinung, genau wie der Bundesaußenminister, im Blick auf die Zukunft des Iran, im Blick auf die Stabilität der Region und der Länder um den Irak herum, die erkennbar unter dem Diktator Hussein leiden. Es stellt sich auch die Frage, wie Länder wie Saudi-Arabien und Jordanien in der Lage sind, Terrorismus zu bekämpfen, wenn sie von einem Machtmonopol Irak umzingelt werden.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen sie doch überhaupt nicht!)

Und es stellt sich die Frage, wie die Sicherheit Israels mit einem erstarkenden Irak und einem erstarkenden Iran zu gewährleisten ist. All diese Fragen treiben uns gemeinsam um. Diese Fragen haben wir zu beantworten und sie sind mit einem einfachen Nein und mit Nichtstun mit Sicherheit nicht zu beantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es stellt sich mir eine zweite Frage, die für mich genauso wichtig ist. Wir haben jetzt die Blockade des UN-Sicherheitsrates erlebt. So etwas muss für die Zukunft verhindert werden.

(Lothar Mark [SPD]: Das war eine Androhung des Vetos! Das ist etwas anderes!)

Aber wir sagen - und wir alle in diesem Hause sagen das -: Das Gewaltmonopol muss bei der UNO liegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)

- Meine Damen und Herren, ganz ruhig. - Aber die militärische Drohkulisse kann und wird auf absehbare Zeit von der UNO nicht aufgebaut werden, sondern sie wird durch Nationalstaaten erzeugt werden.

   Kommen wir noch zu den Fragen: Wie sieht es denn damit aus, mit deutschen, französischen und anderen Fähigkeiten einen wirklichen Beitrag zu einer solchen Drohkulisse zu leisten? Was können wir denn schaffen, wenn es um etwas geht?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie befürworten nicht nur die Drohkulissen, sondern auch die Folgen!)

Deshalb heißt unsere Schlussfolgerung angesichts der Lage und bedauerlicherweise: Es ist ein ziemliches Desaster, in dem wir uns befinden. Angesichts dieser Situation haben wir gesagt: Wir unterstützen als letzte Chance des Friedens das Ultimatum, das dem Diktator Saddam Hussein gestellt ist.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und seine Folgen! - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Was ist Ihre Konsequenz?)

Es wäre gut - und ich sage das jetzt mit voller Leidenschaft -, wenn Sie sich wenigstens in diesen 48 Stunden dazu aufraffen könnten, gemeinsam mit uns dieses Ultimatum zu unterstützen und die letzte Chance zu nutzen, den Krieg im Irak wirklich zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU - Waltraud Lehn [SPD]: So etwas Verrücktes! Das ist bewusst verlogenes Verhalten! - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Und was dann? Wo ist Ihre Antwort?)

   Weil die Frage, wie es mit dem Irak weitergeht, eine Frage von zukunftsträchtiger Bedeutung ist, bin ich froh, dass der Bundeskanzler sich heute stark für eine Säule der deutschen Außenpolitik ausgesprochen hat, nämlich für die Integration Europas und für die politische Union.

(Barbara Wittig [SPD]: Das macht er immer!)

Dass sie durch das, was in den letzten Wochen vorgefallen ist, nicht einfacher geworden ist, liegt auf der Hand. Aber wir, meine Damen und Herren, werden genauso weiterarbeiten, wie wir es bis jetzt getan haben:

(Waltraud Lehn [SPD]: Bedauerlicherweise!)

durch eine Unterstützung der Konventsarbeit, durch die Unterstützung der Arbeiten an einem Verfassungsvertrag. Wir werden für eine ausbalancierte Politik sorgen, die Deutschlands Rolle auch im Hinblick auf alle seine Nachbarn wirklich gerecht wird.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wo ist Ihre Antwort?)

   Herr Bundeskanzler, ich habe Ihre Bemerkung zu den mittel- und osteuropäischen Ländern nicht ganz verstanden. Ich weiß nicht, was Sie meinten. Meinten Sie, sie seien noch nicht ganz erwachsen?

(Waltraud Lehn [SPD]: Schon wieder Hetze! - Dr. Uwe Küster [SPD]: Man kann auch dumme Fragen stellen! - Lothar Mark [SPD]: Sie verstehen überhaupt nichts!)

- Er hat sich ein bisschen kryptisch ausgedrückt. - Ich rate dazu, dass wir diese Länder ernst nehmen. Wir sollten unseren Nachbarn Polen genauso ernst wie unseren Nachbarn Frankreich nehmen. Damit fahren wir gut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bravo!)

Die Europäische Union darf niemals ein Eliteklub ihrer Gründungsländer werden.

(Joachim Poß [SPD]: Wer will das denn?)

Die politische Union wird uns nur gelingen, wenn alle Mitgliedstaaten gleichermaßen akzeptiert und in diese Union einbezogen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hört man von Ihnen in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen immer, es seien unsere Freunde und Partner. Freundschaft beruht immer auf Gegenseitigkeit.

(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist ja eine ganz neue Erkenntnis! - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Was haben Sie Herrn Rumsfeld gesagt? - Weitere Zurufe von der SPD)

Das müssen die Amerikaner lernen, aber das müssen auch die Deutschen beherzigen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Wenn schon der Besuch eines Oppositionsführers in Amerika inzwischen zum Gegenstand von wirklich absurden Bemerkungen der Regierungsfraktionen geworden ist,

(Jörg Tauss [SPD]: Schwerer Schaden!)

dann stellen Sie sich selber in die Ecke, meine Damen und Herren. Man wundert sich außerhalb Deutschlands über Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lothar Mark [SPD]: Entschuldigen Sie sich für den Auslandsbesuch! - Weitere Zurufe von der SPD)

   Herr Bundeskanzler, Sie haben heute kein Wort dazu gesagt, dass eine Achse Paris-Berlin-Moskau und ein Angebot russischer Politiker, Deutschland Sicherheitsbeistand leisten zu können, nicht das sind, was uns in die Zukunft führt. Dazu muss man doch ein Wort sagen. So etwas wird jetzt in deutschen Zeitungen geschrieben und bleibt hier völlig unwidersprochen. Für uns sind das transatlantische Verhältnis und die NATO der Sicherheitsverbund; darauf setzen wir und das wollen wir voranbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lothar Mark [SPD]: Das stellt doch niemand in Frage!)

   Frau Sager, es ist doch vollkommen richtig, dass Herr Schäuble darauf hingewiesen hat, dass sich nach dem 11. September die Lage verändert habe, dass es eine neue Sicherheitsarchitektur geben werde,

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber Sie geben falsche Antworten!)

dass es neue Bedrohungen geben werde und dass wir auf diese völlig anderen Bedrohungen anders antworten müssten.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber wie?)

Weil dies wahr ist, habe ich auch mit Interesse das Interview des Bundesaußenministers in der „FAZ“ vom Montag gelesen, in dem er sagt:

Die militärische Überlegenheit Amerikas ist nicht das Ergebnis eines großen strategischen Masterplans finsterer Kräfte zur Beherrschung der Welt, sondern eine Tatsache, die sich aus dem Gang der Geschichte ergeben hat. Insofern geht es nicht darum, hier eine antiamerikanische Stimmung zu verbreiten, wenn ich sage, dass auch wir Europäer auf diesem Sektor stärker werden müssen. ...
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen unsere militärische Kraft verstärken, um auch in diesem Sektor als Faktor ernst genommen zu werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, hier sind wir richtig dabei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn wenn Sie eine multipolare Welt wirklich wollen, dann muss Europa ein Pol in dieser Welt sein, der nach meinem Verständnis im Übrigen freundschaftlich mit den Amerikanern verbunden ist, und dann muss dieser Pol ökonomische, aber auch sicherheitspolitische Stärke aufweisen.

   Damit sind wir beim Thema der heutigen Debatte. Schauen Sie sich bitte Ihren Verteidigungsetat vor dem Hintergrund der Worte Ihres Außenministers an.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Er ist in diesem Jahr und er war im letzen und vorletzten Jahr das genaue Gegenteil dessen, was Sie als politische Notwendigkeit formulieren. Das ist die Aussage dieses Etats.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!)

   Deshalb kann ich nur sagen: Machen wir es dann doch wenigstens so wie Frankreich. Frankreich hat seinen Wehretat um 6 Prozent erhöht. Die französische Verteidigungsministerin läuft freudig umher. Herr Struck, Sie träumen von so etwas.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Struck düst mit seiner Harley Davidson durch die USA!)

Sich damit, militärisch stark sein zu wollen, zu brüsten, aber nichts dafür zu tun, ist das, was diese Bundesregierung auszeichnet. Wort und Tat stimmen auf keinem Feld überein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Deshalb ist dieser Haushalt kein Haushalt der Stabilität, sondern ein Haushalt der Stagnation und er ist eine Farce hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit. Am Ende dieses Jahres wird nichts stimmen, aber - um das gleich klar zu stellen - es wird nicht wegen des Irakkrieges nicht stimmen, sondern weil all Ihre Wirtschaftsdaten auf weniger als Sand gebaut sind, weil sie zum Teil erfunden, erhofft oder erträumt sind, aber mit der Realität nichts zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Müntefering, Sie sprachen von Innovationen - ich bin doch dabei -, aber schauen Sie bitte einmal auf die Investitionen, die notwendig sind, damit es überhaupt Innovationen geben kann. Die Fluthilfe war einmalig und nächstes Jahr fehlen auch die Erlöse aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen. Dann sieht es ganz trübe aus.

   Schauen Sie sich einmal an, was bei den Wissenschaftsorganisationen los ist. Jetzt haben Sie wieder ein Versprechen auf das nächste Jahr verschoben. Meinen Sie, dass Ihnen in Deutschland noch irgendeine Wissenschaftsorganisation ein Versprechen für das nächste Jahr abnehmen wird? Ihr Problem ist, dass Ihnen in Deutschland innenpolitisch überhaupt kein Mensch mehr irgendein Wort glaubt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Jörg Tauss [SPD]: Die DFG hat sich gerade bedankt!

- Die DFG hat sich bedankt,

(Jörg Tauss [SPD]: Weil wir aufstocken! Sie haben keine Ahnung! Das ist das Problem!)

weil sie nach langem Ringen überhaupt noch ein bisschen bekommen hat. Soll ich Ihnen sagen, was sie bekommen hat? Sie hat das bekommen, was Sie voriges Jahr versprochen haben und was die DFG bereits ausgebeben hat.

(Jörg Tauss [SPD]: Quatsch!)

   Die Max-Planck-Gesellschaft hat zum Teil noch überhaupt nichts ausgegeben und sitzt da wie Neese. Wenn sich in Deutschland herumspricht, dass man auf nichts hoffen kann, werden noch mehr Wissenschaftler weggehen. Sie wissen das viel besser, wenn Sie allein in Ihrem Kämmerchen sind.

(Jörg Tauss [SPD]: Ihr habt gekürzt!)

Der gesamte Wissenschaftshaushalt ist ein einziges Betrübnis.

(Waltraud Lehn [SPD]: Was Sie hier betreiben, ist reine Wirklichkeitsverdrehung!)

Herr Müntefering, er hat mit Innovation leider wenig zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch erhöht! Sie haben gekürzt! - Waltraud Lehn [SPD]: Und zwar ständig!)

   Zu den Kommunen Herr Müntefering hat heute die Katze aus dem Sack gelassen und gesagt: Na klar, die Schwachen bekommen nichts, aber die Starken bekommen etwas, denn sie können noch Kredite aufnehmen. Da habe ich wieder etwas dazugelernt, nämlich dass die neue sozialdemokratische Politik offensichtlich die Politik ist, die Starken stärker zu machen und die Schwachen schwächer zu machen. Das ist etwas ganz Neues. Wenn das zu Ihrem Prinzip wird, müssen wir uns mehr für die Schwachen einsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Tatsache ist, dass Herr Eichel eine Steuerreform im Jahre 2000 gemacht hat. Damals hatten Sie Angst vor dem Vermittlungsausschuss und haben sich die Mehrheit mehr oder weniger erkauft.

(Joachim Poß [SPD]: Sie wollen die Steuern doch noch mehr senken! Dann hätten die Kommunen noch viel weniger!)

Diese Steuerreform hat fatale Folgen. Dann haben Sie den Kommunen noch die Gewerbesteuerumlage weggenommen und bezichtigen uns jetzt, dass wir Steuererhöhungen nicht zustimmen.

   Wir stimmen Steuererhöhungen nicht zu, sondern wir wollen, dass Sie die Gewerbesteuerumlage wieder auf ihr altes Niveau zurückführen. Dann wird es den Kommunen wieder besser gehen. Das können Sie völlig mühelos machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich wundere mich, dass Sie es nach dem Gegacker des Wochenendes im Blätterwald

(Jörg Tauss [SPD]: Stoiber! Merkel!)

überhaupt noch wagen, uns wegen kleiner Unterschiede in zwei Parteien überhaupt anzusprechen.

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Schauen Sie doch lieber, dass Sie Ihre eigenen Mehrheiten zusammenbekommen.

   Worin liegt der Unterschied? Das kann ich Ihnen ganz genau sagen.

Im Gegensatz zu Ihnen haben CDU und CSU ein Modell für den Kündigungsschutz vorgelegt.

(Jörg Tauss [SPD]: Welches?)

Nach diesem Modell haben Arbeitnehmer bei Neueinstellung die Möglichkeit, zwischen zwei Optionen, einem normalen Kündigungsschutz oder einer Abfindung, zu wählen.

(Jörg Tauss [SPD]: Zu Recht!)

Herr Clement hat dieses Modell verworfen, obwohl er genau weiß, dass es richtig ist; denn es versetzt den Arbeitgeber in die Lage, bereits bei der Einstellung Rechtssicherheit darüber zu haben, wie es bei einer Kündigung laufen wird. Deshalb werden wir dieses Modell auch weiterhin vertreten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und jetzt das Stoiber-Modell!)

Darüber hinaus hat die CSU zusätzlich einen Vorschlag bezüglich einer Mittelstandskomponente gemacht. Jetzt warten wir ab, welcher von Ihren drei Vorschlägen auf den Tisch kommt.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Stoiber-Modell vergessen!)

Wir haben - da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen - noch weiter gehende Vorschläge, die Deutschland besser tun würden als Ihre.

(Jörg Tauss [SPD]: Warten wir es ab! - Joachim Poß [SPD]: Noch mehr Steuern senken! Noch weniger Geld für die Kommunen!)

Wenn Ihre Vorschläge einigermaßen verträglich sein sollten, dann werden wir ihnen zustimmen. Aber ich vermute, dass Sie noch lange Zeit damit zubringen werden, um sich zu einigen, was Sie überhaupt wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Herr Müntefering, da Sie ständig wiederholen, wie konkret Sie geworden sind,

(Jörg Tauss [SPD]: Da hat er Recht!)

muss ich Sie darauf hinweisen, dass der Bundeskanzler das, was er uns über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gesagt hat, schon seit drei Jahren verkündet. Aber wie immer liegt die Tücke im Detail. Sollen zum Beispiel die Jobcenter bei der Kommune angesiedelt sein? Wenn ja, welche zusätzlichen Aufgaben soll dann die Bundesanstalt für Arbeit bekommen? Unser Vorschlag lautet, den Kommunen mehr Geld zu geben, weil wir der Meinung sind, dass über die Vermittlung ortsnah entschieden werden muss. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die gut zu vermitteln sind, zur Bundesanstalt für Arbeit kommen und diejenigen, die schlecht zu vermitteln sind, bei den armen Kommunen verbleiben. Auf all diese Fragen habe ich von Ihnen noch keine einzige Antwort bekommen. Herr Gerster, die Kommunen und Sie in der Fraktion sind in diesen Fragen zerstritten und können uns deswegen nichts Konkretes sagen.

   Wir warten darauf, dass Sie uns endlich etwas vorlegen, was über allgemeine Bekundungen hinausgeht. Sie werden es nicht schaffen - das sage ich Ihnen voraus -, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, ohne die Fragen zur Gemeindefinanzreform zu klären. Doch davon sind Sie weit entfernt. Sie sind so weit wie am Anfang der ganzen Diskussion. Wir aber wollen auch hier Ergebnisse sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß [SPD]: Sie wissen doch gar nicht, was Sie wollen! Wollen Sie die Abschaffung der Gewerbesteuer?)

   Der Bundeskanzler hat einige richtige Maßnamen vor; das ist keine Frage. Diese hat er allerdings nur deshalb vorgelegt, weil er am Freitag nach Brüssel muss. Brüssel hat ihm nämlich Daumenschrauben angelegt: Wenn Anfang Mai nicht Konzepte auf dem Tisch liegen, wie Deutschland den Stabilitätspakt auch nur ansatzweise erfüllen will, dann wird Deutschland schwere Strafen zu erwarten haben. Weil Sie, Herr Bundeskanzler, dort rapportieren müssen, haben Sie endlich die Berichte der OECD und der Bundesbank in die Hand genommen und das getan, von dem wir seit Tag und Jahr wissen, dass es in Deutschland getan werden muss, jedenfalls ansatzweise. Das ist die Wahrheit. Ohne diesen Druck hätten Sie gar nichts gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])

   Aber, Herr Bundeskanzler, Sie müssen zugeben: Wenn Sie in Ihrem Kämmerlein sitzen und darüber nachdenken, was Deutschland wirklich braucht, dann muss doch auch Ihnen klar werden, dass die Agenda 2010 angesichts der Aufgaben, die vor uns liegen, allenfalls einen kleinen Prolog bekommen hat, der bis zum Juli dieses Jahres reicht, aber doch niemals mit Maßnahmen bis zum Jahr 2010 reichen.

   Das Problem, das Sie haben, ist - das wird in den kommenden Wochen noch deutlicher werden -: Sie können den Menschen nicht sagen, wohin die Reise geht.

(Jörg Tauss [SPD]: Bei Ihnen ist der Lack ab!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang Goethe zitieren, der gesagt hat: Die Teile habt ihr in der Hand, allein es fehlt das einig Band. - Sie haben keine Vorstellung von der Welt in dieser Zeit.

(Lachen bei der SPD)

Sie sind eine Partei, die im Industriezeitalter stecken geblieben ist und die in Verbänden, Schichten und Klassen denkt. Sie haben nicht die Kraft, den Menschen in diesem Lande wirklich etwas zuzutrauen. Das unterscheidet uns. Das wird sich auch in den kommenden Monaten zeigen.

   Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU - Anhaltender Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Es liegen zwei Wünsche nach einer Kurzintervention vor. Zunächst erhält der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Franz Müntefering, und danach der Abgeordnete Ludger Volmer das Wort. Frau Merkel, Sie können dann im Zusammenhang darauf antworten.

(Abg. Franz Müntefering [SPD] begibt sich zum Rednerpult - Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Von Ihrem Platz aus! - Weitere Zurufe der CDU/CSU)

- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Worterteilung und die Beurteilung, ob sie korrekt wahrgenommen wird, ist immer noch Sache des Präsidiums.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Franz Müntefering (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Merkel, Sie haben mich an einer bestimmten Stelle angesprochen. Darauf möchte ich eingehen, denn ich habe mich ein wenig gewundert.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Zwei Minuten sind um!)

   Diese Stunde, die Diskussion des Kanzleretats am Mittwochmorgen, ist immer die große Zeit des Parlaments. Das Parlament nimmt sein Recht wahr, die Bundesregierung zu kontrollieren. Das ist eine besondere Aufgabe der Opposition.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Genau!)

   Ich habe vorhin mit Interesse erfahren, dass Sie nicht bereit waren, vor dem Bundeskanzler zu sprechen und die Regierungspolitik zu kritisieren. Sie haben darum gebeten, dass der Bundeskanzler als Erster spricht, damit Sie antworten können. Das haben wir akzeptiert,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Übliches Verfahren!)

weil wir uns vorstellen konnten, dass Sie ein Interesse daran haben, auch auf die außenpolitische Situation einzugehen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Na und?)

   Ich muss Ihnen aber sagen: Das, was Sie hier abgeliefert haben, war keine Antwort, es war eine vorbereitete Frechheit und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Buh! - Pfui! - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das haben Sie doch überhaupt nicht zu kommentieren, Sie Schlawiner!)

- Es tut mir Leid für Sie.

   Sie behaupten, wir hätten durch unsere Politik dazu beigetragen, dass der Krieg im Irak wahrscheinlicher wird.

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Ja!)

Ich sage Ihnen: Halten Sie an der Stelle ein!

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir brauchen uns nicht belehren zu lassen!)

Zerstören Sie nicht all das, was in diesem Land unter Demokraten miteinander gewachsen ist. Halten Sie ein!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das muss gerade er sagen! - Weitere Zurufe bei der CDU/CSU)

Deshalb war Ihre Bitte, nach dem Kanzler zu reden, feige und die Art und Weise, wie Sie uns angegangen sind, frech.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie brauchen einen Knigge für Politiker!)

   Ich habe mich aber nicht um meinetwillen gemeldet. Die deutsche Geschichte zeigt, dass die Sozialdemokraten, seitdem es sie gibt, dazu beigetragen haben, dass Frieden in diesem Land und darüber hinaus herrschte. An Krieg und ähnlichen Dingen waren wir nie beteiligt. So etwas haben wir auch nie mit ausgelöst. Diese geschichtliche Tatsache merken Sie sich einmal!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wer hat denn begonnen? - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

   Ich habe mich gemeldet, weil Sie durch die Art und Weise, mit der Sie hier agierten, Millionen Menschen in diesem Land beschimpft haben.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt hört es aber auf!)

Es geht um die Menschen, die in den vergangenen Tagen unterwegs waren - und immer noch unterwegs sind -, um zu demonstrieren - Junge und Alte - und um uns Politikern zu sagen, dass sie Angst haben und dass wir dafür sorgen sollen, dass es diesen Krieg nicht gibt. Darum bemühen wir uns. Sie beschimpfen auch all diejenigen, die sich in diesen Tagen auf den Weg gemacht und uns alle miteinander darum gebeten haben, hier aktiv zu sein und alles Mögliche zu tun, damit weiterhin Frieden herrscht. Ihre Vorwürfe an diese Menschen und auch an uns weise ich zurück, Frau Merkel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch! - Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Drei Minuten sind um!)

   Solange es in Zukunft Menschen gibt, wird es auch Gewalt auf der Welt geben. Es wird in einer veränderten Welt immer komplizierter und schwieriger werden, mit dieser Gewalt klarzukommen. Ich sage Ihnen: Wir stehen vor einer großen Herausforderung, die am Beispiel Irak exemplarisch zu diskutieren und nachzuvollziehen ist. Der Bundeskanzler, diese Bundesregierung und diese Koalition werden mit ihrem Bemühen, bis zum letzten Augenblick dafür zu kämpfen und zu streiten, dass das Problem Irak friedlich gelöst werden kann, historisch Recht behalten. Dafür stehen die Sozialdemokraten, dafür steht diese Koalition.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das war sehr peinlich! - Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Frau Merkel war peinlich! Das Peinlichste in diesem Haus! - Weiterer Gegenruf des Abg. Karsten Schönfeld [SPD]: Ihre Reaktion war peinlich!)

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Merkel, ich wollte Ihnen vorhin gerne eine Zwischenfrage stellen. Da Sie sie abgelehnt haben, muss ich Sie nun in einer Kurzintervention mit dem konfrontieren, was Sie gestern Abend gesagt haben.

   Sie haben viel über das geredet, was Sie getan hätten, wären Sie an der Regierung gewesen. Ich will darüber sprechen, was Sie tun, während Sie in der Opposition sind. Sie haben gestern Abend erklärt, Sie unterstützten das Ultimatum von Präsident Bush.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Vorbehaltlos!)

Auf Nachfrage von Journalisten - das ist zum Beispiel in der heutigen Ausgabe der „Berliner Zeitung“ nachzulesen - haben Sie gesagt: „Wenn wir uns hinter das Ultimatum stellen, dann impliziert das alle Folgen, die sich mit dem Ultimatum ergeben ...“

   Folge eins: Die Inspektoren sind abgezogen worden. Damit ist die erfolgs- und hoffnungsträchtige friedliche Abrüstungsmission gescheitert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Auch für diese Folge müssen Sie die Konsequenzen mittragen.

   Folge zwei: Just in diesem Moment geht die Meldung über die Ticker, dass amerikanische Truppen in die entmilitarisierte Zone im Irak eingerückt sind. Das heißt, der Krieg beginnt in dieser Minute. Sie, Frau Merkel, verantworten mit Ihrer Äußerung von gestern Abend diese fatale Entwicklung mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Merkel, wenn heute oder morgen Nacht der größte militärische Erstschlag der Kriegsgeschichte verübt wird, dann mögen die 3 000 Waffen, die dort eingesetzt werden, noch so zielgenau sein und mancher Schlag noch so chirurgisch präzise sein. Es wird Tausende von Toten und Zehntausende von Verletzten sowie Millionen von Flüchtlingen geben. Diese Konsequenzen, Frau Merkel, implizieren Sie mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dazu hätte ich mir von Ihnen eine klare Haltung gewünscht.

   Ich sage Ihnen: Ich wundere mich über den Stimmungswechsel in der Union. Zwei Jahre zuvor, im Frühjahr 2001, hatten wir in den Ausschüssen eine Debatte darüber - hören Sie gut zu -, ob nicht das Embargo gegenüber dem Irak aufgehoben werden müsse. Diese Debatte wurde von der CDU/CSU mit der Begründung angemahnt, der Irak sei doch gar nicht mehr gefährlich und von ihm gehe keine Gefahr mehr für den Weltfrieden aus.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)

   Die Bundesregierung - das war teilweise meine Rolle - hat damals erklärt: Wir müssen über die Aufhebung der Sanktionen reden, aber bitte vergessen Sie nicht, dass der Irak Potenziale zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen besitzt, die unschädlich gemacht werden müssen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Volmer, Ihnen stehen für eine Kurzintervention nur drei Minuten Redezeit zur Verfügung. Diese sind jetzt vorbei.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sorry!

   Frau Merkel, Ihre Politik ist inkonsistent. Wie Sie versuchen, Ihre inneren Widersprüche - Herr Glos hat heute Morgen erklärt, er verstehe die Politik von Herrn Bush nicht - zu kaschieren, indem Sie diese Bundesregierung angreifen, ist schändlich.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Volmer, ich muss Sie jetzt bitten aufzuhören.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie betreiben ein schändliches Spiel mit all denjenigen, die eine friedliche Lösung suchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jörg Tauss [SPD]: „Schändlich“ ist gut!)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Herr Müntefering, ich weiß nicht, ob wir uns in diesem Hause mit Kindererziehungsmethoden beschäftigen sollten. Ich nenne nur die Stichworte „Kulleraugen“ - das war Freitag - und „frech“ von heute.

(Jörg Tauss [SPD]: Entschuldigen Sie sich! - Peter Dreßen [SPD]: Eine Entschuldigung wäre jetzt angezeigt!)

- Wofür soll ich mich denn entschuldigen? Herr Müntefering hat diese Äußerungen gemacht.

   Erstens. Ich möchte Sie nur daran erinnern, Herr Müntefering, dass uns der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in einer seiner letzten Reden als die Koalition der Kriegswilligen bezeichnet hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: So ist es!)

Dies war eine nicht zu überbietende Äußerung, von der ich noch heute sage, dass sie völlig daneben und ungerechtfertigt war. Genau dazu äußern wir uns und das können Sie uns nicht verbieten. Das ist in diesem Parlament immer noch möglich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Zweitens möchte ich, damit hier keine Missverständnisse bei den Menschen, die uns zuschauen, entstehen, sagen: Ich habe 35 Jahre lang in einem Land gelebt, in dem man nicht demonstrieren durfte. Deshalb werde ich die Letzte sein, die nicht respektiert, dass Menschen für das, was sie für richtig halten, in diesem Land demonstrieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich freue mich darüber, dass das möglich ist. Trotzdem erlaube ich mir, ab und zu eine andere Meinung zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Drittens. Herr Volmer,

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entschuldigen Sie sich jetzt?)

es ist fatal: Die Bundesregierung hat die Resolution 1441 mit verabschiedet.

(Zurufe von der SPD)

- Die Bundesregierung hat sie auf dem NATO-Gipfel in Prag ausdrücklich unterstützt, obwohl Deutschland damals noch nicht im UN-Sicherheitsrat war. Damit gilt sie als politisch mit getragen durch die Bundesregierung. Das wissen Sie doch auch. Stellen Sie es hier nicht infrage!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lothar Mark [SPD]: Ja, und? - Weiterer Zuruf von der SPD: Deshalb kann man nicht Kriegsautomatismus betreiben!)

   Wie auch immer die Diskussionen im Jahr 2000 gewesen waren: Irgendetwas muss alle in diesem Haus dazu veranlasst haben, zu sagen, dass der Irak unverzüglich und als letzte Chance abzurüsten hat, weil ihm ansonsten „serious consequences“, ernsthafte Konsequenzen, drohen. Das haben Sie und wir unterstützt. Dabei sollten wir auch am heutigen Tag bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Karsten Schönfeld [SPD]: Eine äußerst schwache Antwort!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt doch ein paar Worte sagen. Jeder merkt, dieses Thema ist für alle Seiten sehr aufwühlend. Ich finde aber, wir müssen unter uns - das sage ich an alle Seiten gerichtet - klarstellen, dass der Krieg nicht in diesem Raum stattfindet, auch nicht in Worten.

(Zuruf von der SPD: Frau Merkel!)

Wir müssen auch morgen wieder zusammenarbeiten. Ich bitte, daran auch in Zukunft zu denken.

(Zuruf von der SPD: Dann muss Sie sich entschuldigen!)

   Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch sagen: In einer wirklich sinnvollen Regelung, die historische Ursachen hat, hat man festgelegt, dass die Leitung der Sitzungen nicht kritisiert werden darf. Es finden permanent Eingriffe statt. Ich kann Ihnen versichern: Ich kenne die Geschäftsordnung ziemlich gut und ich weiß, was ich darf und was nicht. Ich weiß auch, dass Kurzinterventionen drei Minuten dauern dürfen. Diese Zeit einzuhalten ist wirklich die leichteste Übung. Diese können Sie mir überlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: Vom Platz aus!)

   Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig.

Gerhard Rübenkönig (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Merkel, das, was Sie heute von sich gegeben haben, bestätigt genau das, was Sie in der „Washington Post“ schon vor einigen Wochen gesagt haben. Sie haben dem Kanzler unterstellt, er habe Sie als Koalition der Kriegswilligen bezeichnet. Nach Ihrem heutigen Redebeitrag und Ihrem gestrigen Interview muss ich feststellen, dass der Kanzler damit völlig richtig liegt. Ich unterstütze von dieser Stelle aus die Position der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition.

   Die Initiativen und die Aktivitäten für den Frieden im Irak gehen weiter. Wir geben die Hoffnung nicht auf, obwohl die Stunde der Wahrheit, wie Sie es bezeichnen, offensichtlich gekommen ist.

Ich möchte als Haushälter auf das zurückkommen, was uns in dieser Woche berührt, und auf den Haushaltsplan eingehen. Ich möchte auch zu dem Thema reden, das der Kanzler am Freitag, dem 14. März, angesprochen hat, und darüber, was er von diesem Haus erwartet und was wir machen wollen.

   Wir stehen vor schweren Aufgaben. Das haben die Verhandlungen über den Haushalt in diesen schwierigen Wochen gezeigt. Die Wachstumsraten sind seit dem Ende des kurzen - hören Sie gut zu, meine Damen und Herren von der Opposition - Wiedervereinigungsbooms, spätestens jedoch seit 1992 maßgeblich zurückgegangen. Seit über zehn Jahren leidet die deutsche Volkswirtschaft an einer viel beschriebenen strukturellen Wachstumsschwäche. Bis 1998 ist diese Wachstumsschwäche durch eine steigende Staatsverschuldung unter Ihrem damaligen Kanzler Kohl und Bundesfinanzminister Waigel kaschiert worden. Deshalb wurden die Lasten und das ganze Ausmaß erst sehr spät erkannt und deutlich.

   Mit dem Bundeshaushalt 2003 leistet der Bund seinen Beitrag zum notwendigen Abbau des gesamtstaatlichen Defizits. Eine nachhaltige Finanzpolitik darf nicht nur von einer reinen Sparpolitik geprägt sein, sondern muss die Strukturen des Bundeshaushalts nachhaltig verbessern. Deshalb verbinden wir Konsolidierung mit gestaltender Politik. Alles in allem konnte als Ergebnis der Beratungen ein Gesamtvolumen von 247,9 Milliarden Euro und eine Nettokreditaufnahme von 18,9 Milliarden Euro beibehalten werden. Dies ist die geringste Neuverschuldung des Bundes seit der Wiedervereinigung

(Beifall bei der SPD)

und eine Reduzierung gegenüber dem Ergebnis von 2002 um rund 13 Milliarden Euro. Dennoch - und das sei an dieser Stelle auch gesagt, weil ich gerade in den letzten Tagen andere Äußerungen gehört habe - werden die Investitionen mit 26,7 Milliarden Euro unverändert auf einem sehr hohen Niveau gehalten.

   Die Ergebnisse der Beratungen sind eine gute Voraussetzung dafür, das gesamtstaatliche Defizit dieses Jahres unter 3 Prozent zu halten.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)

Bedingung dafür ist natürlich auch - Ihr Zwischenruf macht es ganz deutlich -, dass die CDU/CSU-regierten Länder dem Steuervergünstigungsabbaugesetz in einigen Passagen zustimmen, damit wir die Kommunen und die Länder, was vorhin angedeutet worden ist, besser stellen können.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das bedeutet weniger Wachstum und dann wird es noch schlimmer!)

   Ich glaube, dass Sie nicht in der Lage sind, die erforderlichen Maßnahmen zu beschließen. Frau Präsidentin, ich darf ganz kurz einen Ausschnitt mit der Überschrift „CDU/CSU - Zänkische Schwestern“ aus dem „Handelsblatt“ von gestern zitieren, der das deutlich macht:

Für die Union neigt sich die bequeme Zeit des bloßen Neinsagens dem Ende zu. Seit der Kanzler mit dem Mut der Verzweiflung die Pläne zum Umbau des Sozialstaats in ungewöhnlicher Genauigkeit

- hören Sie genau zu -

skizziert hat, müssen CDU/CSU ihrerseits Farbe bekennen. Kaum aber wird es bei den Konservativen konkret, kracht es auch schon mächtig im Gebälk. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel unterbreitet Alternativen, aber diese werden vom CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber verworfen.

Das ist genau der Punkt, der immer wieder deutlich wird: dass wir bereit sind, einen Rahmen zu schaffen, zu dem sich die Wachstumskräfte wieder entfalten können. Ich denke allerdings, dass wir alle bereit sein müssen, diesen Rahmen auszufüllen, damit unser Land wieder nach vorne gebracht wird.

   In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass Sozialstaat und wirtschaftliche Leistungskraft immer wieder aufs Neue austariert werden. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen und der wir uns stellen müssen. Dabei verbieten sich radikale Lösungen, wie sie derzeit täglich in vielen Zeitungen von neoliberalen Kommentatoren und auch von einigen von Ihnen angeboten werden. So können wir den Staat sicherlich nicht reformieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sagen Sie das doch mal dem Bundeskanzler! - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie haben doch einiges übernommen!)

Wir wollen keine andere Gesellschaft in Deutschland. Wir wollen keine Gesellschaft des Hire and Fire, keine Entsolidarisierung und Ausgrenzung und keinen schwachen Staat.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Maßnahmen, die der Kanzler in der Regierungserklärung mit der Agenda 2010 vorgestellt hat, die Deutschland voranbringen werden und deren Grundgedanken ich nochmals kurz darstellen möchte, setzen zu Recht an beiden Seiten an. Die Strukturreformen auf der Angebotseite werden ihre positive Wirkung mittelfristig entfalten. Kurzfristig werden die Nachfrageimpulse über die Stärkung kommunaler Investitionen bereits in diesem Jahr positiv wirken.

   Eines steht unverändert fest: Ohne Strukturreformen verpufft jeder Nachfrageimpuls. Ohne konjunkturpolitisches Gegensteuern laufen die Reformen ins Leere. Deswegen verbessern wir die Investitionsbedingungen für die Kommunen und investieren mehr in die Forschung. Wir reformieren den Arbeitsmarkt über das Hartz-Konzept hinaus und senken dadurch die Lohnnebenkosten maßgeblich. Dieses Wachstums- und Beschäftigungskonzept ist in sich schlüssig und in die Zukunft gerichtet.

   Die Agenda 2010 wird zu mehr Investitionen führen. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition stellen die Gemeinden bereits in diesem Jahr um bis zu 2 Milliarden Euro besser. Im Interesse der Kommunen bitte ich für die notwendigen Gesetzgebungsvorhaben auch um Ihre Unterstützung.

   Die Besserstellung bringt die Gemeinden in die Lage, das Investitionsprogramm in Höhe von insgesamt 15 Milliarden Euro zu nutzen. Darüber hinaus werden die Kommunen ab 1. Januar 2004 von der Zahlung für die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger entlastet und die Gemeindefinanzen reformiert. Dadurch werden die Gemeinden in Milliardenhöhe entlastet. Sie gewinnen Gestaltungsspielraum, den sie zum Beispiel für Investitionen und Kinderbetreuung nutzen können. Zeigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, auch hier mehr Mut und seien Sie bereit, diese Reformen mit uns zu tragen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Agenda 2010 wird auch zu mehr Beschäftigung führen. Wir werden die Rahmenbedingungen für den Mittelstand deutlich verbessern und das Arbeitsrecht an den Stellen flexibilisieren, an denen sich im Laufe der Jahre - in Ihrer Regierungszeit! - Beschäftigungshemmnisse gebildet haben. Eingeführt werden der gleitende Kündigungsschutz, das Optionswahlrecht, die Sozialauswahl und verbesserte Regelungen für Existenzgründer. Durch diese Neuregelungen wird die psychologische Hemmschwelle für Neueinstellungen unseres Erachtens deutlich vermindert.

   Gleichzeitig wird aber auch die Handwerksordnung flexibilisiert. Auch dabei sind Sie gefordert, meine Damen und Herren. Denn bei diesem Konzept handelt es sich nicht um eine Sackgasse; vielmehr wird es zu einer deutlichen Zunahme der Existenzgründungen und Beschäftigungsverhältnisse führen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus erhalten Langzeitarbeitslose bessere Chancen, wieder Arbeit zu finden. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden zusammengelegt, um Zuständigkeit und Leistungen aus einer Hand sicherzustellen. Gleichzeitig werden Langzeitarbeitslosen, die eine Beschäftigung aufnehmen, für eine bestimmte Zeit deutlich mehr als die bisherigen 15 Prozent der Transferleistungen belassen. Wir setzen damit ein deutliches Signal für die Menschen in unserer Gesellschaft, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind.

   Die Agenda 2010 entlastet vor allen Dingen diejenigen, die mit ihrer Leistung in stärkerem Maße unser soziales System erhalten. Die Menschen, die in den Betrieben und in den Büros ihre Arbeit tun, erwarten, dass wir - auch Sie fordern das ja ständig - die Belastung durch Steuern und Abgaben senken. Wir werden wie geplant die Steuern zum 1. Januar 2004 und noch einmal zum 1. Januar 2005 senken.

(Beifall bei der SPD)

   Zu unseren Maßnahmen zur Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme: Wir erwarten von der Rürup-Kommission ergänzende Vorschläge für eine Anpassung der Rentenformel. Wir werden, wie es der Bundeskanzler angekündigt hat, versuchen, durch Umsetzung ordnungs- und strukturpolitischer Maßnahmen die Krankenversicherungsbeiträge auf unter 13 Prozent zu drücken. Des Weiteren werden wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für die unter 55-Jährigen auf zwölf Monate und für die über 55-Jährigen auf 18 Monate begrenzen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Dies fällt uns Sozialdemokraten sicherlich nicht leicht. Aber es gibt keine andere Alternative. Deshalb ist unsere Entscheidung richtig. Ich denke, wir werden das auch umsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Agenda 2010 eröffnet Perspektiven für eine bessere Zukunft. Aus diesem Grund investieren wir in Bildung und Forschung, in Kinderbetreuung, in Ganztagsschulen, in neue Technologien wie zum Beispiel den Transrapid und in die Grundlagenforschung deutlich mehr als Sie während Ihrer Regierungszeit. Deshalb setzen wir in der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Situation ein Zeichen und erhöhen im kommenden Jahr die Etats der Max-Planck-Gesellschaft und anderer Forschungseinrichtungen um 3 Prozent. Deshalb fördern wir auch - lassen Sie mich darauf kurz zurückkommen - solche notwendigen Technologien wie den Transrapid mit 2,3 Milliarden Euro. Dies ist kein Unsinnsprojekt, wie Sie es gestern formuliert haben, Herr Austermann, und wie auch Ihr ehemaliger Zukunftsminister ständig behauptet hat. Wir stehen dazu. Wir brauchen solche neuen Technologien; denn wir sind der Meinung, dass so ein dringend notwendiger Ruck durch den Wirtschaftsstandort Deutschland geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Dass wir diese Technologie brauchen, darüber gibt es keinen Zweifel!)

   Lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Wir halten an den Zielen fest, bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und die Maastricht-Kriterien zu beachten, auch wenn der Weg - das sage ich sehr deutlich - schwieriger geworden ist und auch wenn das nur bei strikter Ausgabendisziplin und einer wirtschaftlichen Erholung zu meistern ist. Wir haben uns vorgenommen, das Land zu modernisieren, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu stärken sowie die Politik der Gerechtigkeit und der Solidarität voranzutreiben. Mit der Agenda 2010 und der Konsolidierung des Bundeshaushalts sorgen wir für mehr Investitionen im Bereich der Kommunen, der Wirtschaft und der privaten Haushalte. Wir schaffen damit die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung, Wachstum und soziale Sicherheit in Deutschland.

   Der Bundeshaushalt 2003 trägt diesen Zielen Rechnung. Daher stimmen wir dem Einzelplan 04 wie auch dem Gesamthaushalt zu.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ich habe noch einen Ordnungsruf zu erteilen. Herr Kollege Ramsauer hat in Bezug auf die Fraktionsvorsitzende des Bündnisses 90/Die Grünen gesagt: „Sie sind eine Dreckschleuder.“

(Zurufe von der SPD: Oh! - Pfui! - Joachim Poß [SPD]: Er weiß, worüber er spricht!)

Ich rufe Sie dafür zur Ordnung.

   Außerdem rufe ich Sie dafür zur Ordnung, dass Sie der amtierenden Präsidentin gestern „Feigheit“ in der Sitzungsleitung vorgeworfen haben.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD): Das ist richtig! - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Darf ich mich dazu äußern? - Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie werden gleich rausgetragen, Herr Ramsauer!)

- Nein, Sie dürfen sich zu Ordnungsrufen nicht äußern.

(Widerspruch des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])

- Herr Kollege Ramsauer, wenn ich Sie das dritte Mal zur Ordnung rufe, dann müssen Sie diese Sitzung verlassen. Sie wissen, dass es da einen berühmten Präzedenzfall gibt.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)

Bitte, lassen Sie das!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Darauf arbeitet er schon lange hin!)

   Jetzt hat der Kollege Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Vortrag des Kollegen Rübenkönig zur Agenda 2010 muss man klar machen, dass dieses Programm auch „4711“ heißen könnte.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Oder fünf nach neun!)

Dieses Programm ist ohne jedwede Perspektive für unser Land und es enthält keine tief greifende wirtschaftspolitische Analyse. Die Quintessenz der Agenda 2010 wird sein, dass man den Haushaltsansatz um 1 Million Euro verändert hat. Soll das ein Zukunftsprogramm mit Blick auf das Jahr 2010 sein? Das ist eher lächerlich als überzeugend.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Der Haushaltsentwurf der rot-grünen Bundesregierung ist letztlich ein Dokument wirtschafts- und finanzpolitischer Hilflosigkeit. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Der Sachverständigenrat, die Bundesbank, die wissenschaftlichen Forschungsinstitute und der Internationale Währungsfonds, sie alle glauben, dass Deutschland vor drei zentralen Herausforderungen steht:

   Erstens. Unser Land hat eine tiefe Konjunkturkrise zu überwinden. Die Binnenkonjunktur liegt am Boden. Vom Export gehen leichte Impulse aus. Die Bundesregierung setzt im Wesentlichen darauf, dass die amerikanische Volkswirtschaft zur Lokomotive wird. Während diese Bundesregierung im außenpolitischen Bereich gegen die Amerikaner arbeitet, setzt sie im wirtschaftspolitischen Bereich Hoffnung auf sie.

   Zweitens: die Überwindung der hartnäckigen Strukturkrisen. Die Strukturkrisen treffen uns insbesondere auf dem verkrusteten Arbeitsmarkt. Man kann sie aber auch im überbordenden Steuersystem identifizieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Drittens - diese Herausforderung wird diese Bundesregierung mit der Agenda 2010 wahrscheinlich nicht bewältigen -: die Überwindung einer vielschichtigen, tief greifenden Vertrauenskrise in unserem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Derzeit ist die Vertrauenskrise das Kernübel in der Bundesrepublik. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlt es an Vertrauen; denn sie trauen den staatlichen Entscheidungsträgern nicht mehr und sie haben angesichts von 5 Millionen Arbeitslosen Sorge um ihren Arbeitsplatz. Sie verweigern sich dem Konsum. Als Ausdruck dieser enormen Vertrauenskrise steigt die Sparquote.

   Die Unternehmen reagieren auf diese Vertrauenskrise dadurch, dass sie Investitionen zurückstellen. Die Anleger bekommen diese Vertrauenskrise dadurch zu spüren, dass der DAX im internationalen Vergleich sehr viel stärker als die Aktienindizes der übrigen europäischen Volkswirtschaften zurückgegangen ist.

(Zuruf von der SPD: Auch falsch!)

   Auch unsere sozialen Sicherungssysteme, insbesondere das Rentensystem, spüren diese Vertrauenskrise; denn keiner glaubt, dass dieses soziale Sicherungssystem noch in der Lage ist, Jüngeren dauerhaft Alterseinkünfte zu sichern.

   Die Hauptursache für die vielfältige Vertrauenskrise in Deutschland hat gewissermaßen ein Gesicht: diese Bundesregierung. Die falsche Politik von Rot-Grün muss daher beendet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Um Deutschland wieder nach vorne zu bringen - darüber diskutieren wir in dieser Woche -, ist es nötig, die vor uns liegenden Aufgaben entschlossen anzugehen. Leitlinie und Kompass der Union bleiben dabei die soziale Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert. Mehr Wettbewerb und weniger Bevormundung, das muss das Leitmotiv aller Reformschritte der nächsten Wochen, Monate und Jahre sein. Mehr Eigenverantwortung und weniger Bürokratie, daran müssen sich alle Gesetzgebungsvorhaben, die uns aus der Krise herausführen sollen, messen lassen.

   Im Hinblick auf das, was der Kollege Müntefering und der Kollege Rübenkönig heute hier vorgetragen haben, muss man feststellen, dass alle von Rot-Grün geplanten Maßnahmen die Vertrauenskrise in Deutschland eher verschärfen denn überwinden. Damit wird die falsche Richtung eingeschlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wenn der Kollege Müntefering hier die abenteuerliche Behauptung aufstellt, dass Rot-Grün etwas für die Gemeinden tut, dann zeigt das, dass er offensichtlich schon lange nicht mehr in einem Rathaus war. In den Rathäusern wird darüber geklagt, dass die falsche Wirtschafts- und Steuerpolitik die Kommunen in das finanzielle Aus treibt und dass jede Woche ein neues, dramatisches Steuerloch in den Haushalten entsteht. Kein Kämmerer in Deutschland freut sich eigentlich über Ihr Programm, mit dem Sie zinsverbilligte Kredite anbieten; denn die meisten Kommunen in Deutschland dürfen gar keine weiteren Kredite aufnehmen, weil sie schon überschuldet sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie ignorieren die Lage in Deutschland. Weil Sie die Wirklichkeit nicht wahrnehmen wollen, sind Ihre Rezepte völlig falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Heute ist noch einmal gesagt worden, es würde zur Verbesserung der Lage in Deutschland beitragen, wenn wir das Steuererhöhungsgesetz, das am Freitag im Bundesrat abgelehnt worden ist, doch noch in Kraft setzen. Das ist eine Irreführung. Dahinter steht der alte sozialdemokratische und damit falsche Glaube, dass höhere Steuersätze zu Steuermehreinnahmen führen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es geht doch gar nicht um höhere Steuersätze! Das ist Demagogie!)

Das Gegenteil ist richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Niedrigere Steuersätze werden unseren Staatshaushalt eher konsolidieren, weil sie wachstumsförderlich sind. Deswegen ist die Behauptung des Kollegen Müntefering, dass dieses Steuersatzerhöhungsprogramm den Kommunen hilft, irreführend. Das ist eine Täuschung. Das darf hier nicht unwidersprochen bleiben.

   Ebenso wenig darf unwidersprochen bleiben, dass die Forschungsinvestitionen in Deutschland auf einem guten Weg sind. Der Kollege Müntefering hat hier angeführt, dass Innovationen gesichert werden sollen und dass es darum geht, soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau zu gewährleisten. Ich glaube nicht, dass Innovationen das Ziel haben, soziale Gerechtigkeit zu garantieren. Vielmehr sollen sie wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Vor diesem Hintergrund ist es schon einigermaßen erstaunlich, dass die großen Forschungseinrichtungen in Deutschland - ich nenne die Max-Planck-Institute, ich nenne die Fraunhofer-Gesellschaft und ich nenne die Deutsche Forschungsgemeinschaft - entgegen der Zusage der Bundesregierung nicht die zusätzlichen Mittel bekommen, die sie für ihre Arbeit an sich benötigen. Das ist ein Schlag gegen den Forschungsstandort Deutschland

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Unsinn!)

und das ist eine Aufforderung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dieses Land, das sich nicht mehr um seine Forscherinnen und Forscher kümmert, endlich zu verlassen. Das ist ein Signal, das von diesem Haushalt ausgeht. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir den Haushalt ablehnen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das gilt auch für die hier bereits angesprochenen Strohfeuerprogramme mit Zinsvergünstigungen für den Baubereich. Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland derzeit in einer Niedrigzinsphase. Investitionen werden durch Zinssubventionen nicht in dem Maß gefördert, wie das vielleicht bei den alten Beschäftigungsprogrammen von Rot-Grün noch der Fall war. Diese Strohfeuerprogramme sind so angelegt, glaube ich, dass es noch nicht einmal ein Strohfeuer geben wird. Die Programme werden verpuffen. Sie werden der Bauwirtschaft keinen wesentlichen Impuls geben. Was wir für die Bauwirtschaft brauchen, ist eine Veränderung der steuerlichen Rahmenbedingungen, die es wieder attraktiv machen, im Baubereich zu investieren. Dazu hat die Regierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Kraft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

   Noch nicht einmal das, für das sich die Regierung selbst rühmt, klappt, nämlich das Verkaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lesen in der Zeitung von heute, dass der Regierungssprecher schwer angeschlagen ist, weil die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung und anderer Delikte gegen ihn eingeleitet hat.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Ich wüßte nicht, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen Regierungssprecher gegeben hat, der sich einer solchen Herausforderung gegenübergesehen hat.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Erst mal vorläufig beurlauben!)

Mit jedem Tag, an dem der Bundeskanzler weiter duldet, dass ein so Beschuldigter für die Regierung spricht - das mag ein Markenzeichen für schlechte Politik sein -,

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Demnächst kriegt der noch Prozesskostenhilfe!)

übernimmt er mehr an Verantwortung für das, was der Grund für die Anklage ist, die offensichtlich vorbereitet wird. Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Debatte über den Etat des Kanzleramts die Entlassung des Regierungssprechers durch den Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Noch nie was von der Unschuldsvermutung gehört? - Weitere Zurufe von der SPD)

   Herr Kollege Müntefering, auch wenn Sie glauben, im Augenblick der Parlamentsdebatte nicht folgen zu müssen,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Anders als Ihre Vorsitzende ist er immerhin da! Wo ist denn Ihre Vorsitzende?)

sage ich Ihnen: Im Kern geht es darum, ob die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereit und in der Lage ist, sich der Herausforderung einer gemeinwohlorientierten Politik in Deutschland zu stellen.

   Es gibt in diesem Zusammenhang eine sehr intensive Diskussion darüber, ob der Staat nicht Opfer organisierter Interessen ist. Es gibt einige Hinweise darauf, dass es für Wachstum und Beschäftigung schädlich ist, wenn sich Fraktionen zu sehr bestimmten Partikularinteressen öffnen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das erzählen Sie mal Ihren Unternehmervertretern! Das sagen Sie mal Herrn Göhner! - Waltraud Lehn [SPD]: Diese Selbstansprache ist ja wirklich außerordentlich klug!)

   Es gibt zum Beispiel eine Analyse eines bekannten Ökonomen, von Mancur Olson, der das unter dem Titel „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ belegt hat. Diejenigen, die sich nur den Interessengruppen widmen und ausschließlich deren Interessen im Gesetzgebungsverfahren einzubringen versuchen, wirken beim Niedergang von Nationen mit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jawohl, das ist richtig!)

   Die starke Verflechtung einer bestimmten Interessengruppe mit Ihrer Bundestagsfraktion ist, glaube ich, eine wesentliche Wachstumsbremse in der Bundesrepublik Deutschland. Das muss hier vor dem Forum der deutschen Öffentlichkeit deutlich ausgesprochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir sind sehr dafür, die Kompetenz von Verbänden oder Institutionen einzubeziehen. Aber man muss, wenn es Vorschläge gibt - wir haben ja in der Bundesrepublik kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit -, auch handeln.

   Ich will am Beispiel des Papieres der Bundesbank einmal aufzeigen, in welche falsche Richtung Ihre wirtschaftspolitischen Rezepte zum gegenwärtigen Zeitpunkt gehen. Die Bundesbank ist deswegen unverdächtig, eine besondere Nähe zu den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Opposition zu haben, weil an ihrer Spitze ein gestandener Sozialdemokrat steht. Sie genießt in der Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen. Die Vorschläge, die sie vor wenigen Tagen unterbreitet hat, lassen an Klarheit nichts vermissen: Die Bundesbank fordert eine Konsolidierung auf der Ausgabenseite, insbesondere beim staatlichen Konsum, weil sich dies in der Vergangenheit als am erfolgreichsten für die Erreichung der Maastricht-Kriterien erwiesen hat. Das Gegenteil macht diese Bundesregierung: Der staatliche Konsum wird erhöht und die Investitionen werden gesenkt. Die Vorschläge der Bundesbank finden keine Berücksichtigung. Das schadet unserem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Sie schaden unserem Land!)

   Die Bundesbank fordert, dass die gesamtwirtschaftlichen Annahmen einer Konsolidierungsstrategie vorsichtig gesetzt werden. Zu optimistische Prognosen entsprechen nicht einem verlässlichen und vertrauensbildenden Konsolidierungskurs. Die Wahrheit aber ist, dass diese Bundesregierung das Wirtschaftswachstum in Deutschland beharrlich zu hoch angibt und die Arbeitslosigkeit zu niedrig einschätzt. Vor diesem Hintergrund schadet die Politik der Bundesregierung einem dauerhaften Konsolidierungserfolg in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Schließlich fordert die Bundesbank die Einbettung von Konsolidierungsmaßnahmen in erforderliche strukturelle Reformen, um die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsperspektiven zu verbessern. Die Wahrheit bei dieser Bundesregierung aber ist - das ist uns seit der angeblichen Ruckrede vom Freitag klar -, dass es hier nicht um richtige Reformen, sondern lediglich um Reförmchen geht. Die Reformen werden nicht entschlossen angegangen. Keine der notwendigen Strukturreformen, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, wird vorangetrieben. Lediglich in Teilbereichen werden Rezepte angeboten. Es schadet unserem Land, dass der Ratschlag der Bundesbank auch in dieser Frage nicht entsprechend berücksichtigt wird und die Beschreibung von Problemen als Ersatz für Handeln dient.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Dies gilt leider auch für die Stabilität der gemeinsamen Währung, die wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durch die Politik der Bundesregierung eher gefährdet als gefördert sehen. In Maastricht haben sich die Partner des Euroraumes gegenseitig versprochen, die Stabilität der gemeinsamen Währung durch Haushaltsdisziplin zu sichern. Dem deutschen Finanzminister steht zwar zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Wasser bis zum Hals; aber er setzt sich nicht für die Einhaltung des Maastricht-Vertrages ein. Seine Bekenntnisse am gestrigen Tag waren windelweich. Der deutsche Finanzminister wird zum Weichmacher der europäischen Währung. Das ist gegen das deutsche Interesse. Deswegen werden wir diese Politik nicht weiter unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Im Verlauf dieser Debatte ist auch einiges zur Privatisierung in Deutschland gesagt worden. Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Telekom einen Jahresverlust bekannt gegeben, der mit 24,8 Milliarden Euro höher ist als die Nettokreditaufnahme des Bundes. Die Bundesregierung sitzt im Aufsichtsrat dieses Unternehmens. Wir werden im Verlauf der nächsten Wochen und Monate sehr genaue Auskunft darüber verlangen, ob sie ihre Eigentümerposition im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler so wahrgenommen hat, dass vom deutschen Steuerzahler Schaden abgewendet wird. Denn wir müssen aus unserem Beteiligungsbesitz bei der Telekom und den Postunternehmen die Postpensionskassen finanzieren. Der Beteiligungsbesitz liegt durch die miese Politik der Bundesregierung

(Widerspruch bei der SPD)

deutlich unterhalb von den 580 Milliarden Euro, die wir in den nächsten Jahren zur Finanzierung der Postpensionen aufbringen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Waltraud Lehn [SPD]: Herr Kampeter, wir wissen ja, Sie sind noch ein bisschen steigerungsfähig!)

   Wenn in diesem Zusammenhang auch noch immer wieder Diskussionen darüber aufkommen, dass große Banken schlechte Kredite mit Staatsgarantien absichern, dann ist das angesichts eines Pleitenrekordes im Mittelstand nur noch zynisch zu nennen. Diese Politik schadet Deutschland. Wir werden sie in umfassender Art und Weise ablehnen.

   Bei den anstehenden Reformarbeiten wird es entscheidend darauf ankommen, dass die Grundzusammenhänge erkennbar bleiben. Es ist dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage zuzustimmen, wenn er in seinem letzten Jahresgutachten schreibt, dass das Kurieren an den Symptomen nicht weiterhilft. Ich zitiere:

Notwendig ist vielmehr eine schonungslose Diagnose, denn nur auf ihr lässt sich eine langfristig orientierte, ganzheitliche Therapie aufbauen. Nur durch grundlegende Strukturreformen kann Deutschland für die zunehmenden Herausforderungen des weltweiten Wettbewerbs ... angemessen gerüstet werden.

   Entscheidend ist, Risikobereitschaft, Leistungswillen und Eigenverantwortlichkeit zu stärken. Die gerechte Verteilung der Anpassungslasten ist für die Akzeptanz der Reformen zwar ebenfalls wichtig, aber die Priorität muss bei Förderung von Wettbewerb und Wachstum liegen.

In diesem Sinne werden wir die Politik der Bundesregierung weiterhin kritisch verfolgen.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auf diese Art von Kritik kann man eigentlich verzichten!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren seit gestern über den Bundeshaushalt. Ich finde, wir muten uns und unseren Nerven einiges zu. Während wir über Haushaltsposten und Einzelpläne streiten, läuft außerhalb dieses Hauses die Uhr in Richtung Krieg. Es ist ein Krieg, den Hunderte Millionen Menschen ablehnen, ein Krieg, der Hunderttausende Menschen treffen wird.

   Die PDS im Bundestag hat gestern den Bundestagspräsidenten ersucht, eine Sondersitzung des Bundestages zu diesem Thema einzuberufen. Herr Thierse hat das mit Verweis auf die Geschäftsordnung abgelehnt, zumal der Bundestag ja sowieso tage. Das tut er, allerdings nicht ausdrücklich zu diesem bedrückenden Thema. Insofern war ich froh, als heute Morgen mit dem Beitrag des Bundeskanzlers die Debatte eine andere Wendung zu nehmen schien. Allerdings hat sich das, wenn ich an meine letzten zwei Vorredner denke, schon wieder erledigt.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

   Herr Merz von der CDU hatte seiner Rede gestern ähnliche Gedanken vorangestellt. Der Unterschied ist nur: CDU/CSU könnten kraft Fraktionsstatus eine solche Debatte auf die Tagesordnung setzen lassen. Die PDS im Bundestag kann das nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat einen guten Grund!)

Dass die CDC/CSU-Fraktion das nicht getan hat, entlarvt die Worte von gestern als pure Polemik.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

   Dabei steht die gesamte Haushaltsdebatte unter Kriegsvorbehalt. Denn die Kriegskosten, die Kriegslasten und die Kriegsverluste werden auch uns heimsuchen. Das wäre übrigens ein Grund mehr - wenn auch nicht der wichtigste -, vehement gegen den drohenden Krieg zu sein.

   Der Bundeskanzler hat wiederholt, dass er, die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition einen Krieg gegen den Irak weiter ablehnen. Das unterstützen wir ausdrücklich und nicht nur im Bundestag.

   Deshalb möchte ich Klartext reden: Beginnen die USA, wie angekündigt, einen Feldzug gegen den Irak, dann wäre das Völkerrechtsbruch, Massenmord, ja Staatsterrorismus. Umso erregter höre ich heute von Frau Merkel, dass sie und ihre CDU diesen Kurs der USA-Führung unterstützen, und zwar mit allen denkbaren Folgen. Es tut mir Leid, ich stelle mir die Frage: Sind Sie wirklich von allen guten Geistern verlassen?

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Mit diesem Kurs werden Sie, Frau Merkel, und wird die Union der Bundesrepublik ein Fall für das Bundesverfassungsgericht. Denn mit diesen Äußerungen - da hat die SPD Recht - ist die CDU/CSU Teil der Allianz der Kriegswilligen. Ich möchte auch sagen - Frau Merkel hat ja vorhin auf ihre Biografie angespielt -: Das können Sie unmöglich in der DDR gelernt haben.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] -Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: : Wo haben Sie 1968 gestanden?)

   Wir haben den Bundestagspräsidenten im Übrigen nicht um die Debatte gebeten, um einmal so über Krieg oder Nichtkrieg zu reden, und auch nicht, um eine außenpolitische Debatte anzuregen, sondern wir haben darauf verwiesen, dass wir spätestens mit Kriegsbeginn ein gravierendes innenpolitisches Problem haben werden.

   Das Grundgesetz enthält in Art. 26 ein Friedensgebot und stellt mit diesem Artikel eine Beteiligung an einem Angriffskrieg unter Strafe. Auch eine indirekte Beteiligung der Bundesrepublik an Angriffskriegen muss ausgeschlossen werden. Darüber ist zu reden - nicht irgendwann, sondern schnell, und auch nicht irgendwo, sondern hier im Bundestag und da nicht etwa versteckt in der Haushaltsdebatte.

   Ich finde - das sagen auch Völkerrechtler -: Solange AWACS-Flugzeuge mit deutscher Besatzung in der Kriegsregion unterwegs sind, solange Kriegseinsätze von US-Basen auf deutschem Boden ausgehen und solange Bundeswehrkräfte in der Kriegsregion präsent sind, so lange haben wir es schon mit einer indirekten Beteiligung der Bundesrepublik an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu tun.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

Ich stimme also der vom Bundeskanzler heute vorgetragenen Deutung ausdrücklich nicht zu.

   Genau bei dieser Frage liegt die Messlatte für die Grünen. Sie beklagen die Ohnmacht, die uns alle angesichts der Unbeirrbarkeit der US-Führung befällt. Das verstehe ich sehr gut; das geht sehr vielen Menschen so. Aber bitte: Nutzen Sie wenigstens die Macht, die Ihnen als Regierungspartei anheim gestellt wurde! Verhindern Sie, dass Deutschland durch die Hintertür mitschuldig wird! Sie würden sonst selbst mitschuldig.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

Alles Recht der Welt stünde auf Ihrer Seite; denn kein Recht und kein Vertrag zwingt die Bundesrepublik, zum Helfershelfer zu werden. Sie waren bisher standhaft. Nun wagen Sie auch den Folgeschritt!

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Wir bleiben standhaft!)

   Ich habe heute das Argument gehört, wir hätten Rechte und Pflichten als NATO-Partner. Richtig! Auch Belgien als NATO-Partner hat Rechte und Pflichten und war trotzdem gestern in der Lage, die Häfen für die US-Flottille zu sperren.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

   Nun noch ein Wort an die CSU. Ich habe in Debatten hier schon mehrfach gesagt, dass ich zwölf gute Gründe kenne, ja nicht CSU zu wählen, und dass der 13. Grund Beckstein heißt. Bayerns Innenminister hat bereits vor Wochen gewarnt - nicht vor einem Krieg gegen den Irak, sondern davor, dass Kriegsflüchtlinge aus dem Irak die deutschen Lande erreichen könnten. Sie sollten, so Beckstein, „menschenwürdig in der Kriegsregion untergebracht werden“. Heute lese ich, dass er außerdem irakische Bürger, welche auf dem Gebiet Bayerns leben, durch den Staatsschutz überwachen lassen will. Ich weiß nicht, was ein solcher Zyniker im Beichtstuhl erzählt.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er ist evangelisch und geht deswegen nicht zur Beichte!)

Aber ich weiß: Als Politiker und Minister ist er eine kreuzgefährliche Fehlbesetzung.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

   Wir können jetzt gern über den Haushalt, auch über den Kanzlerhaushalt weiter debattieren. Die USA und die Allianz der Kriegswilligen verschieben derweil die gesamte Weltarchitektur. Stabiler wird sie dadurch nicht, auch nicht gerechter und demokratischer - im Gegenteil.

   Danke.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Staatsministerin Christina Weiss.

Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundeskanzler:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher könnte man mit einer zackigen Handbewegung die Frage parieren, ob einem in dem Moment, da der Krieg in die Welt zieht, der Sinn nach Kultur steht. Doch diese Geste wäre zu einfach; denn Kultur ist auch in Krisenzeiten kein Luxusgut,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sondern eine essentielle Verständigung über die gemeinsamen Werte des Zusammenlebens der Völker. Darauf müssen wir pochen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir haben gesehen, dass es gerade die kreativen und die kreativsten Köpfe waren, die dem Frieden laut und vernehmbar das Wort redeten. Die diesjährige Berlinale geriet zu einem manifesten Auftritt der Neinsager. Amerikanische Schauspielerinnen und Schauspieler wie Susan Sarandon, Martin Sheen, Dustin Hoffman oder George Clooney haben gemeinsam mit den deutschen Kollegen ihre Stimme erhoben. Das ist nicht folgenlos für sie geblieben. Sie wollten Anstoß geben, Anstoß, darüber nachzudenken, ob die Sprache der Waffen wirklich die letzte aller Verständigungsmöglichkeiten sein muss.

Künstlerinnen und Künstler haben uns alle zur Kommunikation aufgerufen, weil sie selbst etwas davon verstehen. Der menschliche Geist wäre findig genug, Eskalationen zu verhindern. Der Umgang mit Kunst ist ein hervorragendes Wahrnehmungstraining, um zu neuen und ungewöhnlichen Lösungen zu gelangen, um aus alten Denkmustern auszubrechen.

   Das gilt auch für die Haushaltspolitik, um die es heute geht. Wir stehen vor einem gewaltigen Umbau unserer Kulturlandschaft. Wir brauchen auch hier Mut zur Veränderung. Da wir nicht zulassen wollen, dass am Ende allein die Verwaltung überlebt, die Kunst aber weggespart wird, müssen wir Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Kultureinrichtungen flexibler und unternehmerischer geführt werden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Bund unterstützt daher jene Reformprojekte, die darauf angelegt sind, die kulturelle Arbeit wirkungsvoller und einfacher zu machen. Der Bund selbst wird mit gutem Beispiel vorangehen und Reformfreude zum Prinzip erheben. Ich erinnere an die bevorstehende Novelle zum Filmförderungsgesetz und an den neuen gesetzlichen Rahmen für die Deutsche Welle. Daran werden wir arbeiten.

   Dass es uns mit tragfähigen Reformen ernst ist, lässt sich am besten an der Rettungsaktion zugunsten des Deutschen Musikrates ablesen, der längst als Kulturdinosaurier verschrieen war.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dazu haben Sie, Frau Ministerin, wenig beigetragen!)

Klare, flache Strukturen, ein gutes kaufmännisches Konzept und effiziente Kontrolle haben dem Musikrat eine neue Perspektive gegeben und die Projekte gerettet.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nachdem wir die Verstaatlichung verhindern konnten!)

   Es hat sich schon herumgesprochen, dass es der Druck des Bundes war, der die Berliner Opernstiftung ermöglichte. Zehn Jahre nach Schließung des Schiller-Theaters, in denen nicht viel passierte, kann nun zum ersten Mal davon die Rede sein, dass die Berliner Bühnen an Haupt und Gliedern reformiert werden.

(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das haben wir im Haushalt gar nicht diskutiert! Das haben Sie am Parlament vorbei gemacht!)

- Das hat sehr wohl etwas mit dem Haushalt zu tun. - Ich habe diesen Prozess durch Moderation vorangetrieben. Wir haben dem Land Berlin verdeutlicht, dass wir die Probleme nicht durch einfaches Abkaufen lösen können, sondern nur dann Geld einsetzen können, wenn hier Eigenverantwortung übernommen wird.

(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir reden über den Etat 2003!)

Der neue Hauptstadtkulturvertrag

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Über den haben Sie im Haushaltsausschuss noch nicht gesprochen!)

wird Innovationen fördern, Reformen unterstützen und den gesamtstaatlichen Aufgaben Rechnung tragen.

   Meine Damen und Herren, wenn ich davon gesprochen habe, dass man in schwierigen Zeiten besonders in die Köpfe investieren muss, dann gilt das in besonderem Maße für die neuen Bundesländer. Bei meiner Reise nach Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen konnte ich mich davon überzeugen, welche Bedeutung kulturelle Hilfe für die Identität der Städte hat, welche Hoffnung die Kultur den Menschen gibt und was sich damit bewegen lässt. Das Programm „Kultur in den neuen Ländern“ gehört zu den Leuchttürmen einer Bundespolitik, die die deutsche Einheit beim Wort nimmt. Neben den Fördermaßnahmen des Solidarpaktes II und dem Investitionsförderungsgesetz werden in diesem Jahr 23 Millionen Euro in die neuen Länder fließen.

(Beifall bei der SPD)

   Die „FAZ“ schreibt über die Wirkung dieses Programms:

Ein anderes Bild vom Osten Deutschlands scheint hier auf, ein selbstbewusstes und vor allem der eigenen Kraft zu Veränderungen bewusstes, das die allbekannten Katastrophenberichte aus der mecklenburgischen Provinz wohltuend konterkariert.

Weiter heißt es, dass die Kulturmillionen „hier sehr gut und vor allem auf Dauer angelegt sind“. Das sind 12,5 Prozent mehr, als es ursprünglich im Finanzplanansatz vorgesehen war. Das ist ein Erfolg in schwieriger Haushaltszeit. Wir alle sollten gemeinsam dafür kämpfen, dieses wichtige, Hoffnung machende Programm in den nächsten Jahren zu verstetigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Kulturetat der Bundesregierung zeigt aber auch, dass wir uns zum Gedenkstättenkonzept zur Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen bekennen.

Der Ansatz aus dem Vorjahr konnte um 10,4 Prozent auf insgesamt 8,5 Millionen Euro erhöht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hier zeigt sich, dass diese Regierung aufrecht und wachsam mit der Erinnerung an die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und mit der Chronik der SED-Verbrechen umgeht.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na ja!)

   Wir sind nach wie vor bereit, den großartigen Entwurf des Schweizer Architekten Peter Zumthor für die „Topographie des Terrors“ in Berlin zu unterstützen.

(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das war Ihre erste konkrete Aussage!)

Es bleibt dabei: Der Bund wird bis zu 50 Prozent der gedeckelten Gesamtkosten übernehmen. Wir hoffen sehr, dass der Berliner Senat endlich die notwendigen Voraussetzungen für den zügigen Weiterbau schafft.

   Ich unterstütze an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich den Vorschlag des Bundespräsidenten, in der Mitte Berlins eine Gedenkstätte für die Menschen einzurichten, die während der Zeit des Nationalsozialismus unter Einsatz ihres eigenen Lebens Verfolgten geholfen und Menschen gerettet haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Ministerin Weiss, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundeskanzler:

Ja, ich erlaube eine Zwischenfrage.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU):

Frau Staatsministerin, ich würde gern eine Nachfrage zu Ihrem Hinweis auf die Position der Bundesregierung zur „Topographie des Terrors“ stellen. Nach meiner Erinnerung gab es neben der Absicht der Bundesregierung, bis zu einem gedeckelten Betrag 50 Prozent der Mittel zur Verfügung zu stellen, auch eine zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat formell oder informell abgestimmte Vorstellung über die Höhe dieses gedeckelten Betrages. Darauf genau bezieht sich nun meine Frage: Hat die Bundesregierung den Eindruck oder die Erkenntnis, dass zu diesem damals von Bundesregierung und Senat vereinbarten gedeckelten Betrag die Realisierung des Zumthor-Bauwerkes überhaupt noch möglich ist?

Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundeskanzler:

Das befindet sich in Prüfung. Es wird uns gesagt, die Prüfung könne noch ergeben, dass dieser Entwurf realisiert werden kann. Sollte das nicht der Fall sein: Wir können den gedeckelten Betrag der Finanzierung nicht erhöhen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

   Mit der Osterweiterung der Europäischen Union geht die Nachkriegszeit auf diesem Kontinent ihrem Ende entgegen. Wir reden viel über die wirtschaftliche, viel zu selten aber über die kulturelle Dimension der neuen EU-Bewohner. Wenn die Grenzen zu Polen oder Tschechien abgebaut werden, wird das Interesse aneinander zunehmen müssen. Uns verbinden gemeinsame Wurzeln und gemeinsame Traditionen. Wir wollen sie nutzen, um einen gemeinsamen kulturellen Weg in die Zukunft zu finden. Es ist eine Aufgabe für uns alle, den Europagedanken nicht nur als rein wirtschaftliche Angelegenheit zu betrachten, sondern ihn mit kultureller Neugier auszufüllen.

(Beifall des Abg. Franz Müntefering [SPD])

Kunst kann dabei eine ideale Vermittlerin darstellen.

   Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion.

Günter Nooke (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Ihrer Vorbemerkung zu den Künstlern bei der „Berlinale“ nur festhalten: Es wäre natürlich gut gewesen, wenn die Menschen bei ihrer Meinung bleiben, egal, wo auf der Welt sie ihren Film verkaufen, weil so etwas manchmal auch Gefühle gegenüber Amerika weckt und der Eindruck entsteht, als sei es doch mehr Mittel zum Zweck als in der Sache begründet gewesen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Klaus Uwe Benneter [SPD]: Richtig fies ist das!)

Insofern würde ich das nicht ganz so positiv sehen. Leider war das nicht ganz eindeutig; ich hätte es mir anders gewünscht.

(Zuruf der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

   Ich möchte zum Haushalt reden und noch einmal das Problem deutlich machen, dass wir es hier mit Haushaltsansätzen für Kultur und Medien zu tun haben, zu denen ich bei der Erstellung des Haushalts schon gesagt habe: Sie lassen vermuten, dass sie deshalb so schlecht sind, weil der bisherige Amtsinhaber nicht mehr anwesend war und die zukünftige Amtsinhaberin noch nicht voll im Amt stand. Die miserablen Zahlen, die wir jetzt haben, lassen leider die Vermutung zu, dass die persönliche Anwesenheit der Staatsministerin eher einen noch negativeren Einfluss gehabt hat; denn leider hat sich in den vergangenen Monaten an den Zahlen nichts zum Guten verändert. Ganz im Gegenteil, mittlerweile muss sogar der Eindruck entstehen, dass hier eher noch abgebaut wurde.

   Um es sehr konkret darzustellen: Der Entwurf vom Sommer sah noch einen Mittelrückgang um rund 24 Millionen Euro vor. Das ist vielleicht - wie schon im vergangenen Jahr - nicht ganz zufällig die Summe, die für die neu gegründete Kulturstiftung des Bundes zur Verfügung steht. Der neue Entwurf hingegen sieht eine Kürzung um weitere 12 Millionen Euro vor. Das ist eine reale Kürzung von über 4 Prozent bei unverändert laufendem Betrieb. Jetzt stehen für die Kultur weniger Mittel zur Verfügung, obwohl ein größeres Engagement des Bundes - zum Beispiel bei den Stätten des Weltkulturerbes und in Berlin - angekündigt war. Unter den vielen Sachverhalten des Koalitionsvertrages ist dies einer der wenigen Punkte, deren Nichteinlösen auch bei der Opposition auf Kritik stößt.

   Doch das eigentlich Anstößige ist nicht die überproportionale Kürzung bei der Kultur; viel schlimmer ist aus unserer Sicht der plan- und ziellose Umgang mit den Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, Frau Staatsministerin. Ich belege dies anhand zweier Beispiele aus jüngster Geschichte in Berlin, die sich auch auf das beziehen, was Sie gerade ausgeführt haben.

   Erstens. Für die kulturelle Nutzung des „Palastes der Republik“ werde man selbstverständlich keine öffentlichen Gelder ausgeben. So schreibt es auch die Expertenkommission vor. Doch plötzlich stehen im mit 100 Prozent vom Bund finanzierten Hauptstadtkulturfonds Mittel in erheblichen Ausmaß für ein Projekt im so genannten Palast zur Verfügung. Gleiches gilt für den Martin-Gropius-Bau: Der Bund übernimmt die Verantwortung für diesen exquisiten Ausstellungsort, ohne ihn allerdings mit einem ausreichendem Betrag für, salopp formuliert, Ausstellungsanbahnungen auszustatten. Also muss auch hier der Hauptstadtkulturfonds wieder herhalten.

   Hier greift sich der Bund in die eigene Tasche, und zwar nicht einmal besonders raffiniert. Es sieht beinahe wie Mundraub aus, ist aber einfach nur Betrug: Betrug am Zweck des Hauptstadtkulturfonds und Betrug an den Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Projekte nicht mehr durchführen können.

   Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Berliner Stadtschloss. Ich habe es oft gesagt, wiederhole es auch heute und werde es noch öfter sagen: Dieses Parlament hat mit überwältigender, parteiübergreifender Mehrheit - das wiederhole ich besonders gern - vor einem Dreivierteljahr beschlossen, das Schloss wieder zu errichten.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein, wir wollen das nicht wieder errichten!)

Die Bundesregierung hat diesen Beschluss zügig umzusetzen und sich nicht Gedanken über Probleme zu machen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte.

   Zweitens. So verständlich und richtig das Anliegen der Sinti und Roma ist, ein Mahnmal zum Gedenken an ihre Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu errichten, so grundverkehrt ist auch hier der Weg zu dessen Realisierung. Berlin schafft Fakten, indem es ein Grundstück zur Verfügung stellt, und diktiert dem Bund mit dem Hinweis auf dessen originäre Zuständigkeit 2 Millionen Euro Baukosten plus jährliche Betriebskosten in Höhe von 300 000 Euro ins Ausgabenbuch. Nun beteiligt sich mit ihrer Zustimmung zu dieser Zumutung auch die Staatministerin für Kultur und Medien, Frau Weiss, an der Aktion: wohl zuständig, aber wie in der letzten Zeit immer öfter plan- und ziellos. Besonders schwer wiegt nämlich, dass der Entscheidung über dieses neue Mahnmal kein Gesamtkonzept zugrunde liegt. Völlig ungewiss ist nach wie vor, wie der anderen Opfergruppen gedacht werden soll.

   Exakt dies ist das Problem, das die beiden Beispiele illustrieren, auch wenn man es als Kulturpolitiker in diesem Hause nicht gern sagt: Mehr noch als an Geld fehlt es an seriöser und zukunftsfähiger Planung; mehr noch als an Geld mangelt es an belastbaren Konzepten. Dies ist besonders in einer Haushaltsdebatte eine ziemlich deprimierende Erkenntnis. Der erste Schritt hätte hier sein müssen, dass die Bundesregierung endlich ein Konzept vorlegt, aus dem ihre Vorstellungen für die Zukunft der Gedenkstätten hervorgehen. Das ist bis heute nicht geschehen, auch in Ihren Ausführungen nicht, Frau Staatsministerin. Bei dem, was Sie zum Zumthor-Bau gesagt haben, habe ich eher herausgehört, dass es wahrscheinlich billiger wäre, die Baustelle komplett zu schließen und das Geld, das sie an jedem Tag kostet, zu sparen.

   Dabei müsste die Gedenkstätten- und Erinnerungskultur längst ein wichtiges Thema für uns sein. Hier habe ich immer die konstruktive Mitarbeit der CDU/CSU-Fraktion angeboten. Zum Beispiel ist jetzt die Gedenkstätte „Mittelbau Dora“ in den Haushalt eingestellt. Die Gedenkstätte in allen Ehren, aber warum wird sie plötzlich vom Bund finanziert? Welches Kriterium gilt für den Mittelbau Dora, das für Bautzen nicht gilt?

   Ich meine damit auch Folgendes: Der Bund muss sich nicht nur der NS-Zeit, sondern auch der SED-Diktatur annehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die von Ihnen angesprochenen Themen haben dies wieder deutlich gemacht. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die NS-Zeit sei für die Koalition geschichtspolitisch wichtig und deshalb eine Angelegenheit des Bundes, während die SED-Zeit nicht Teil gesamtdeutscher Geschichte sei und daher bei den neuen Bundesländern angesiedelt bleiben könne. Deutschland hat bei dem Thema Diktaturgeschichte eine größere Verantwortung, aber ich will jetzt gar nicht die Summen, die wir im Zusammenhang mit der „Topographie des Terrors“ diskutieren und die wir für die Normannenstraße oder für Hohenschönhausen bräuchten, gegenüberstellen.

   Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine konkrete Frage zum Haushalt 2003 stellen: Wo ist eigentlich der Haushaltansatz für die anstehenden Feierlichkeiten anlässlich des besonderen Gedenkens zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni? Ich sehe nichts. Auch das zeigt, wie einseitig Sie Ihre Gedenkstättenpolitik betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nun noch ein Wort zum FDP-Antrag, in dem es um die Mittel für die Kultur in den neuen Ländern geht. Das haben Sie dankenswerterweise angesprochen. Ich stimme mit Ihnen überein, dass manches Geld, das dort ausgegeben wurde, vielleicht sinnvoller war als so manche Wirtschaftsförderung in Gewerbegebieten, die nicht genutzt werden. Insofern lautet meine Frage: Warum sprechen Sie davon, dass dafür Gelder zur Verfügung stehen, wenn der Etat um 10 Millionen Euro gekürzt worden ist? Den Mut, ihren eigenen Antrag auf Aufstockung der Mittel auch im Haushaltsausschuss zu stellen, den jetzt die FDP gestellt hat, hatten die Kollegen von der Koalition nicht. Das ist politisch furchtbar unglaubwürdig und für die Förderung der Kultur in den neuen Ländern einfach furchtbar. Wir haben jetzt die Chance, es gemeinsam besser zu machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, nutzen Sie die einmalige Chance, diesem Antrag mit uns und der FDP gemeinsam zuzustimmen und damit etwas für die Kulturförderung in den neuen Ländern zu tun.

   Zum Schluss: Die Verunsicherung bei den Kulturschaffenden ist groß und wächst mit diesem Haushalt leider auch weiter. Erst steht die Spendenabzugsfähigkeit zur Disposition, dann der ermäßigte Mehrwertsteuersatz. Mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz, dessen Titel übrigens schon die Kulturverträglichkeitsprüfung nicht hätte überstehen dürfen,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

geschweige denn sein Inhalt, wäre auch dem Handel mit Kulturgütern insgesamt ein Bärendienst erwiesen worden. Schon in diesem Gesetzesvorhaben sind mehr kulturunverträgliche Sachverhalte versteckt, als ein Staatsminister oder eine Staatsministerin für Kultur in einer vollen Legislaturperiode wieder gut machen könnte. Mit Geld allein ist das nicht zu schaffen.

   Weil das so ist, hat Ihnen, verehrte Frau Staatsministerin, die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag schon zu Ihrem Amtsantritt konstruktive Mitarbeit angeboten. Ich wiederhole das Angebot ausdrücklich, aber irgendwann muss Schluss sein,

(Franz Müntefering [SPD]: Stimmt, es muss Schluss sein!)

wenn Sie nicht bereit sind, darauf einzugehen. Es könnte helfen, eklatante Fehlentscheidungen, wie sie hier auch jetzt wieder getroffen wurden, zu vermeiden, und es könnte mehr konzeptionelle Verlässlichkeit in die Debatte bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Danke, dass Sie hier zumindest dafür gesorgt haben, dass wir heute über Kultur reden konnten, aber wir müssen mehr daraus machen. Frau Staatsministerin, das war heute zu wenig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gute Rede!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Petra-Evelyne Merkel (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe Kultur als Mittel, Bindung und Verbindung zu schaffen. Ich glaube, dass das in der Situation, in der wir uns im Augenblick befinden, ein ganz wesentlicher Vorteil von Kultur ist, den wir auch weiterhin fördern müssen.

   Ich bin davon überzeugt, dass Kultur als Bindung und Verbindung zwischen Menschen und Völkern unter der rot-grünen Regierung in Berlin eine erhebliche Stärkung erfahren hat,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil die Kultur durch die Anbindung der Kulturpolitik im Bundeskanzleramt an die höchste Stelle angegliedert wurde.

   Mit Frau Dr. Christina Weiss hat die bundesdeutsche Kulturlandschaft eine Streiterin und Mitstreiterin gewonnen. Ich freue mich, dass ich als neue Abgeordnete mit Ihnen arbeiten kann, und bin sicher, dass der Kulturbereich von Ihrer Energie, Feinsinnigkeit und Durchsetzungsfähigkeit profitieren wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bindungen und Verbindungen brauchen wir in unserem Land und für unser Land. Hätten wir die Bundeskulturstiftung, die erstmalig 1973 von Willy Brandt - der eine Anregung von Günter Grass aufnahm - vorgeschlagen wurde, nicht Anfang 2002 gegründet, müssten wir sie jetzt erfinden. Ich weiß, Herr Kampeter war damals überhaupt nicht von der Idee begeistert, in der Zwischenzeit hat aber auch er damit Frieden geschlossen.

   Die Bundeskulturstiftung - auch als Dach für kleinere Stiftungen gedacht - fördert sowohl national als auch international bedeutsame Vorhaben und wird durch unseren Haushalt eine Verdoppelung der Mittel, Herr Nooke, erfahren, nämlich von 12,5 Millionen Euro auf 25,565 Millionen Euro.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition haben hier einen Schwerpunkt gesetzt, und das trotz Haushaltssanierung. Das betone ich besonders, da die Maßnahmen zur Haushaltssanierung auch an diesem Haushalt nicht vorbeigehen konnten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ein weiterer Schwerpunkt ist das Programm „Kultur in den neuen Ländern“. Wir konnten die Zielsetzung der Koalitionsvereinbarung zwar nicht vollständig erfüllen, aber es ist uns gelungen, 2,5 Millionen Euro mehr einzustellen, als es im Regierungsentwurf vorgesehen war. Dem Programm stehen vom Bund nun 23 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden überregional bedeutende Kultureinrichtungen in den neuen Ländern und mit ihnen gefördert. Das bedeutet: Es wird die Infrastruktur verbessert. An dieser Stelle kann ich deswegen schon sagen: Wir lehnen den Antrag der FDP ab.

   Im Zusammenhang mit den neuen Ländern möchte ich auf einen anderen Haushalt verweisen. Ein neues kulturelles Angebot in Mecklenburg-Vorpommern wird durch den Haushalt des Ministeriums für Verkehr, Bau-, Wohnungswesen und Aufbau Ost von Manfred Stolpe finanziert, nämlich das Ozeaneum in Stralsund. Es wird zusammen mit dem Meereskundemuseum im Nordosten unseres Landes die dort bereits vorhandene Attraktivität steigern.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

   Die Aufgaben, die mit dem Kulturetat finanziert werden, sind vielfältig. Sie reichen vom Hauptstadtkulturvertrag - er wird in diesem Jahr neu verhandelt werden müssen - über die Bonn-Vereinbarung, die gerade abgeschlossen ist, die Förderung von Musik und Literatur bis zur Pflege von kulturellen Minderheiten und von Gedenkstätten. Bei dieser Aufzählung habe ich sicherlich noch viele Bereiche vergessen.

   Als Beispiele möchte ich nennen: Die Mittel für das Stasi-Museum „Runde Ecke“ in Leipzig wurden um 50 000 Euro auf 100 000 Euro erhöht und gesichert. In diesem Zusammenhang muss ich eine Bemerkung an Herrn Nooke richten: Sie sind doch Mitglied im Kulturausschuss. Dann müssten Sie eigentlich wissen, dass Frau Weiss eine Überarbeitung des Gedenkstättenkonzepts vorlegen wird. Sie werden mit unter den Ersten sein, mit denen das diskutiert werden wird.

   Eine Vielzahl von Projekten erhalten 2003 erstmalig Fördermittel. Dazu zählen zum Beispiel das Roma-Theater Pralipe e. V. in Mülheim/Ruhr - Herr Kampeter war darvon nicht sehr begeistert, wir dagegen finden es wichtig, dass es existiert - oder die Unterstützung deutsch-russischer Begegnungen. Außerdem erhält die Zeche Zollverein in Essen als Weltkulturerbe der UNESCO einen Zuschuss, um das Industriedenkmal vielfältig nutzbar zu machen. Die Förderung beträgt übrigens 300 000 DM.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Euro!)

- Sie haben Recht: 300 000 Euro. 300 000 DM wäre zu wenig.

   Ein anderes Weltkulturerbe liegt direkt vor unserer Tür. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz leistet unter anderem den Wiederaufbau der Museumsinsel. Dort wird es eine der größten Baustellen in der Bundesrepublik Deutschland geben, die sicherlich über längere Zeit bestehen wird. Die Zuschüsse hierfür steigen weiterhin an. Ich kann Ihnen als Berliner Abgeordnete nur empfehlen: Nehmen Sie sich, falls Sie die Museumsinsel nicht schon kennen, eine halbe Stunde Zeit, laufen Sie hinter dem Reichstagsgebäude an der Spree entlang und überqueren Sie die Friedrichstraße. Dann kommen Sie genau auf die Museumsinsel. Dort können Sie erkennen, welch ein Schatz, welch ein Erbe der Bundesrepublik Deutschland im Augenblick mit handwerklichem Geschick gehoben wird. Christina Weiss hat formuliert, es handele sich wahrlich um eine Aufgabe von nationalem Rang.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Viele von Ihnen waren dabei, als wir in Versailles die deutsch-französische Freundschaft gefeiert haben. Diese Freundschaft spiegelt sich ebenfalls im Kulturetat wieder. Das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Genshagen erhält 900 000 Euro. Das sind 750 000 Euro mehr, als im Regierungsentwurf vorgesehen. Durch Sanierung und Umbau des Schlosses Genshagen wird gemeinsam mit dem Land Brandenburg die Grundlage geschaffen, im Umfeld der Bundeshauptstadt ein deutsch-französisches Begegnungszentrum arbeitsfähig zu machen. Wichtig ist für mich - ich denke, das gilt auch für Sie -, dass mittelfristig auch Polen in die Kooperation einbezogen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Eine weitere herausragende Institution im Kulturhaushalt ist die Deutsche Welle, die den Auftrag hat, als Stimme Deutschlands in der Welt durch unabhängigen Journalismus und pluralistische Programmgestaltung Kenntnisse über Deutschland zu verbreiten. Als Kulturträger vermittelt die Deutsche Welle im Ausland Deutschland als Kulturnation und wirbt für die deutsche Sprache. Dies ist außerordentlich wichtig, wenn man bedenkt, wie viele Menschen in autoritär und totalitär regierten Staaten leben, die ihren Bürgern das Recht auf Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit verweigern. Die Deutsche Welle ist in diesen Ländern, insbesondere in Krisen- und Konfliktregionen, Garant für objektive, ungefilterte Information.

Die Deutsche Welle war der erste Fernsehsender, der internationale Nachrichten nach Afghanistan bringen konnte. Seit August 2002 werden in den beiden Landessprachen Dari und Paschtu täglich zehn Minuten Weltnachrichten ausgestrahlt. Das Programm wird vom Auswärtigen Amt finanziert. In diesem Jahr wird die Deutsche Welle ein neues Haus beziehen, den Schürmann-Bau.

   Ich möchte jetzt von der Deutschen Welle, die für Deutschland wirbt, zu den Internationalen Filmfestspielen in Berlin kommen, die im Bundeshaushalt verankert sind und ebenfalls für Deutschland werben. Die Filmförderung nimmt mit 10,7 Millionen Euro im kulturellen Teil und mit 4,7 Millionen Euro im wirtschaftlichen Teil einen nicht unwesentlichen Platz ein. Mit diesen insgesamt 15,4 Millionen Euro wird Unterstützung für den Film geboten.

   Nach dem Umzug der Filmfestspiele an den Potsdamer Platz ist Deutschland für die internationale Filmwirtschaft wieder interessanter geworden. Auch der deutsche Film spielt wieder mit. Ich finde, der Kinoschlager „Good bye, Lenin!“ ist zu Recht ein Erfolg. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Leiter der Filmfestspiele, Dieter Kosslick. Er hat ein sicheres Gespür für die Auswahl der Filme und er ist eine Persönlichkeit, die den Internationalen Filmfestspielen in Berlin gut tut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU])

- Ich danke Ihnen, Herr Kampeter.

   Die internationalen und auch die nationalen Topschauspielerinnen und -schauspieler, -regisseure und -produzenten machen um Deutschland keinen Bogen mehr, sondern kommen gern hierher. Ich betone auch noch einmal: Wie politisch diese Berlinale sein kann, zeigte die beeindruckende Rede von Dustin Hoffman gegen einen möglichen Krieg im Irak. Das war kein Mittel zum Zweck.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Nooke, wenn Sie sich angeschaut hätten, was sich im Vorfeld der Oscar-Verleihung in Amerika abgespielt hat, könnten Sie das nicht behaupten.

   Ich komme zum Schluss

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

noch einmal auf einige Anträge zurück. Herr Kampeter hat - das war, wie immer, eine Pflichterfüllung - einen Antrag gestellt, in dem es um die Erhöhung der Mittel im Bereich des kulturellen Eigenlebens fremder Volksgruppen geht.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ein guter Antrag, Frau Merkel! Den sollten Sie nicht so wegwischen!)

- Ja, genau.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dieses „Ja, genau“ war aber sehr relativierend!)

Ich sagte Ihnen ja: Das war Ihre Pflichtaufgabe. Das tun Sie immer; auch in den Vorgesprächen haben Sie dies gesagt. Wir warten also ab. Alle zwei Jahre gibt es einen Bericht der Bundesregierung, danach wird evaluiert. Ihren Antrag werden wir ablehnen.

   Den Antrag von Frau Lötzsch und Frau Pau von der PDS, in dem es um die Erhöhung des Betrages für die „Stiftung für das sorbische Volk“ geht, lehnen wir ebenso ab. Auch hier weise ich darauf hin, dass wir das Finanzierungsabkommen mit unseren Mitteln mehr als erfüllen. Wir haben diesen Bereich also gut bedient und die Mittel für die „Stiftung für das sorbische Volk“ nicht abgesenkt. Insofern wird auch dieser Antrag von uns nicht akzeptiert.

   Der Gesamtetat der Beauftragten für Kultur und Medien beträgt 883 Millionen Euro. Es war mein Anliegen, Ihnen aufzuzeigen, wie viele Anstöße und Initiativen und wie viel Bewegung mit diesem Etat ausgelöst werden. Herr Kampeter und Herr Rexrodt, vielleicht erreichen wir es ja, dass sich auch die CDU/CSU und die FDP bewegen und diesem Kapitel zustimmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Das wäre mal schön!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Merkel, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor der namentlichen Abstimmung hören wir noch eine Rede. Der Kollege Jens Spahn von der CDU/CSU-Fraktion wird das Wort erhalten. Auch er hält seine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich bitte um Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jens Spahn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Woche haben wir die 36. Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers gehört. Heute beraten wir über den Bundeshaushalt 2003, der uns spätestens jetzt wieder in die harte Realität Ihrer und seiner Politik zurückholt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Als Vertreter der jüngeren Generation will ich an drei Punkten beispielhaft darlegen, wo ich mir deutlichere und mutigere Worte des Bundeskanzlers und mutigere Taten in dem uns vorgelegten Bundeshaushalt gewünscht hätte.

   Erstens. Deutschland braucht ein neues Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Wir müssen den Bürgern mehr Freiheit und Selbstverantwortung zutrauen. Gerade auch die jungen Menschen in diesem Land wollen ihr Leben eigenverantwortlich gestalten. Voraussetzung dafür ist, den Menschen den dafür nötigen Freiraum zu geben, auch den finanziellen Freiraum.

   Ich kenne viele gleichaltrige Handwerker aus meinem Wahlkreis, aus Gronau, Ahaus, Steinfurt oder Rheine, junge Maurer oder Zimmerleute, die beim Blick auf ihre Lohnabrechnung Monat für Monat mit der vollen Wucht der Sozialabgaben in Deutschland konfrontiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie sind natürlich frustriert und flüchten vielfach in die Schwarzarbeit. Es ist doch niemandem begreiflich zu machen, dass in diesem Land ein Handwerker sechs Stunden arbeiten muss, um sich am Ende von seinem Nettolohn selbst einen Handwerker für nur eine Stunde leisten zu können.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

   Nicht den Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, sondern dem System muss man einen Vorwurf machen. Nicht die Menschen zu ächten, wie es der Kanzler am Freitag in seiner Rede verlangt hat, ist der richtige Weg, sondern legale Beschäftigung attraktiver zu machen, das ist der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir nehmen den Menschen zu viel von ihrem hart verdienten Geld weg. Parolen zum Konsumverzicht von Herrn Müntefering - Sie erinnern sich - weisen in die falsche Richtung; denn die Bürger erwirtschaften all das, was der Staat verbraucht, nicht umgekehrt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

In diesem Bewusstsein müssen wir das Verhältnis vom Staat zu seinen Bürgern neu justieren. Die Menschen wollen keine sozialistische Bevormundung und Rundumbetreuung.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir übrigens auch nicht, Herr Kollege!)

Sie wollen eine eigenverantwortliche Teilhabe und Beteiligung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zweitens. Die Wahrung der Generationengerechtigkeit ist die größte sozialpolitische Aufgabe der vor uns liegenden Jahre. Seit Jahrzehnten - das sage ich ausdrücklich - lebt Deutschland über seine Verhältnisse und verschiebt die Lasten auf nachfolgende Generationen. Vor allem die jungen Menschen erwarten von der gesetzlichen Rente kaum noch einen nennenswerten Beitrag zu ihrer ganz persönlichen Alterssicherung. Ihre verfehlte Rentenpolitik - steigende Beiträge, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und Abschaffung des demographischen Faktors - führt, wenn wir nicht umsteuern, automatisch in den Generationenkonflikt, spätestens dann, wenn jeder Erwerbstätige mit seinem Einkommen einen Rentner finanzieren muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Deutschland braucht eine ehrliche Rentenreform mit realistischen Annahmen für die Zukunft. Dass Ihre Annahmen für die Zukunft bei der „Jahrhundertreform 2001“ nicht realistisch waren, hat der Bundeskanzler am Freitag in seiner Rede selbst zugegeben. Deutschland braucht eine Reform, die neben der gesetzlichen Vorsorge die private und die betriebliche Vorsorge stärkt, eine Reform, die alle gemeinsam - Beitragszahler, Rentner und der Staat - tragen, eine Reform, die bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch eine Verkürzung von Bildungszeiten und eine Annäherung des tatsächlichen an das gesetzliche Renteneintrittsalter ansetzt.

   Ich hätte mich gefreut, wenn der Bundeskanzler am Freitag wie auch Ministerin Schmidt nicht bei nebulösen Andeutungen geblieben wären. Egal ob Rente, Pflege oder Gesundheit: Die Taktik dieser Bundesregierung ist immer die gleiche: beschwichtigen, abwiegeln und nur auf Druck von außen das Nötige zum Zustand der sozialen Sicherungssysteme in diesem Land zugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU - Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr! Das musste einmal gesagt werden!)

   Gehen Sie ehrlich mit den Menschen und insbesondere mit den jungen Menschen in diesem Land um. Sagen Sie ihnen offen, wie es um die sozialen Sicherungssysteme steht. Fassen Sie endlich den Mut, das Nötige anzugehen, statt den tatsächlichen Zustand immer wieder zu verleugnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Drittens. Bildung ist der Schlüssel für individuelle Lebenschancen und Motor für gesellschaftliche Entwicklungen. Bildung begründet Wohlstand, politische Mündigkeit, kulturelle Teilhabe und berufliche Perspektiven. Bildung ist damit die eigentliche und neue soziale Frage in Deutschland. Bildung ist die Schlüsselressource für die Zukunft dieses Landes. Wenn ich nach China oder Südostasien schaue, dann weiß ich, mit welchen Potenzialen wir in Zukunft werden Schritt halten müssen, um unsere Position in der Welt und unseren Lebensstandard zu erhalten und auszubauen. Sie verstehen Bildung in guter sozialdemokratischer Tradition als reine Geldfrage: Pumpen wir noch ein paar Milliarden ins System, dann wird es schon klappen. Mindestens genauso wichtig ist es aber, im föderalen Wettbewerb Leistungen von Lernenden und Lehrenden zu fordern, über Inhalte zu streiten und Werte zu vermitteln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])

Sprechen wir zuerst darüber und dann über die Finanzierung. Alles andere ist Flickschusterei und beraubt uns unserer Möglichkeiten für die Zukunft.

   Als Vertreter der jungen Generation kann ich zusammenfassend von der Bundesregierung diese drei genannten Dinge für eine generationengerechte Politik einfordern: ein gesellschaftliches Klima, in dem Freiheit und Selbstverantwortung gedeihen können, eine ehrliche Rentenreform, die die Rentenhöhe mit der Lebenserwartung und der Lebensarbeitszeit verknüpft, und eine gemeinsam mit den Ländern gestaltete leistungsorientierte Bildungspolitik, die anerkennt, dass Bildung die neue soziale Frage in Deutschland ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nirgendwo sind im vorgelegten Bundeshaushalt die notwendigen großen Neuerungen zu sehen, die unser Land so dringend braucht. Nun mögen einige der Dinge, die der Kanzler am Freitag hier angesprochen hat, punktuell in die richtige Richtung weisen. Das Schlimme ist, dass die jungen Menschen in diesem Land mittlerweile ein ironisch-gleichgültiges Verhältnis zu seiner unsteten Ankündigungspolitik haben.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)

Elmar Brandts Schröder-Song mit dem viel sagenden Titel „Alles wird gut“ mag dem Letzten als Beweis für diesen Ansehensverlust dienen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: An so etwas können Sie sich hochziehen!)

   Wenn wir hier im Deutschen Bundestag dazu beitragen wollen, den zukünftigen Generationen ein anständig bestelltes Land zu hinterlassen, brauchen wir zuallererst eines: einen verlässlichen, einen wirklich mutigen, einen durchsetzungsstarken und konfliktbereiten Kanzler.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Den haben wir!)

Kurzum: Ein neuer Kanzler, wahlweise eine neue Kanzlerin, wäre ein wirkliches Zeichen des Aufbruchs.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Spahn, ich gratuliere auch Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

   Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Ihnen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.

   Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/650? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion abgelehnt.

   Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/680? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

   Wir kommen zum Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksache 15/662. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der beiden fraktionslosen Kolleginnen abgelehnt.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung.

   Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

   Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

   Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.

(Unterbrechung von 14.08 bis 14.14 Uhr)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die Sitzung ist wieder eröffnet.

   Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003, hier: Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes -, bekannt. Abgegebene Stimmen 578. Mit Ja haben gestimmt 300, mit Nein haben gestimmt 278. Es gab keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 34. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 20. März 2002,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15034
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