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15. Wahlperiode
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   40. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Vorweg einige Mitteilungen: In den Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post müssen nachträglich noch zwei stellvertretende Mitglieder der Fraktion der SPD gewählt werden. Als Stellvertreter des Kollegen Ulrich Kelber wird der Kollege Manfred Helmut Zöllmer und als Stellvertreter des Kollegen Hubertus Heil der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die genannten Kollegen als stellvertretende Mitglieder in den Beirat der Regulierungsbehörde gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Deutlich erhöhter Finanzbedarf der Bundesanstalt für Arbeit durch die unverändert hohe Arbeitslosigkeit und Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden Gerster zur Notwendigkeit eines Bundeszuschusses (siehe 39. Sitzung)

2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 18)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Barbara Wittig, Dr. Dieter Wiefelspütz, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD, den Abgeordneten Hartmut Büttner (Schönebeck), Dr. Angela Merkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (6. StUÄndG) - Drucksache 15/806 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Drucksache 15/810 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 19)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 32 zu Petitionen

- Drucksache 15/829 -

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 33 zu Petitionen

- Drucksache 15/830 -

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 34 zu Petitionen

- Drucksache 15/831 -

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 35 zu Petitionen

- Drucksache 15/832 -

4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zur Berufung des früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller zum Vorstandsvorsitzenden des RAG-Konzerns

5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Internationale Konferenz für erneuerbare Energien - Drucksache 15/807 -

6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Initiative zur Gründung einer Internationalen Agentur zur Förderung der erneuerbaren Energien (International Renewable Energy Agency - IRENA) - Drucksache 15/811 -

7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, Helmut Heiderich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Hürden für die Biotechnik abbauen - Drucksache 15/803 -

8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes - Drucksache 15/510 - (Erste Beratung 37. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) - Drucksache 15/835 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Manfred Kolbe

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/836 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Carsten Schneider
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt

9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Opferschutz bei Terrorakten im Ausland verbessern - Drucksache 15/34 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Opferentschädigung verbessern - Drucksache 15/808 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Siegfried Kauder (Bad Dürrheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Opferentschädigung für deutsche Staatsangehörige, die bei vorübergehendem Aufenthalt im Ausland Opfer eines Gewaltverbrechens werden - Drucksache 15/802 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Darüber hinaus wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 17 - Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln - bereits heute nach Tagesordnungspunkt 10 - Rüstungsexportbericht - zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002 und Stellungnahme der Bundesregierung

- Drucksache 15/788 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Der vorliegende Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002 hat zwei zentrale Botschaften: Erstens. Wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland werden davon abhängen, in welchem Umfang die Unternehmen die großen Chancen von neuen Technologien nutzen und sie im internationalen Innovationswettbewerb tatsächlich einbringen.

   Zweitens. Die Bundesregierung hat die entscheidenden Weichen dafür in den vergangenen Jahren richtig gestellt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es kommt jetzt in der Politik und in der Wirtschaft gleichermaßen darauf an, konsequent Kurs zu halten, um weiter voranzukommen. Das Gutachten hat dazu eine Fülle von Daten, Fakten und Analysen zusammengetragen. Ich will zunächst nur einige Punkte herausgreifen.

   Erstens. Deutschland ist in der ersten Hälfte der 90er-Jahre bei seinen Ausgaben für Forschung und Entwicklung zurückgefallen. Das war die Zeit, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Opposition, also von CDU/CSU und FDP, in der Sie Investitionen versprochen, aber in der Realität über Jahre hinweg gekürzt, gestrichen und verschoben haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es war die Zeit, in der Sie viel über Zukunft geredet, aber mit Ihrer Politik in Deutschland ein innovationsfeindliches Klima geschaffen und damit die Zukunft unseres Landes aufs Spiel gesetzt haben.

   Mit dieser Politik ist seit 1998 glücklicherweise endlich Schluss.

(Beifall bei der SPD)

Diese Bundesregierung hat das Ruder herumgerissen. Wir haben die Mittel für Bildung und Forschung seit 1998 um mehr als 25 Prozent erhöht und wir haben gleichzeitig die notwendigen Reformen angepackt. Mit dieser klaren Politik pro Bildung und Forschung haben wir auch in der Wirtschaft Kräfte freigesetzt und dem Strukturwandel hin zur Wissensgesellschaft und zur Wissenswirtschaft neuen Schwung verschafft.

(Beifall bei der SPD)

Bereits im Jahr 2001 war der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, den Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aufwenden, auf 2,5 Prozent gestiegen. Drei Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 2,2 Prozent.

   In einem sehr schwierigen wirtschaftlichen Umfeld haben Bund und Unternehmen auch im vergangenen Jahr die Ausgaben für Forschung und Entwicklung weiter ausgebaut. Es ist uns also unbeirrt von konjunkturellen Zyklen gelungen, ein weit verbreitetes Bewusstsein für die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen zu schaffen. Das ist mir ganz besonders wichtig, weil das Bewusstsein für die Bedeutung von Investitionen in Bildung und Forschung für die kommenden Jahre entscheidend ist.

   Das Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands wird in den Schulen und Hochschulen gelegt. Bildung und Forschung - das will ich hier noch einmal deutlich unterstreichen - dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, so wie Sie das teilweise immer wieder tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn Investitionen in Bildung und Forschung sind sozusagen die Basis unseres Forschungssystems. Das gilt für unser Programm „Zukunft Bildung“, mit dem wir unter anderem 4 Milliarden Euro für die Schaffung von Ganztagsschulen zur Verfügung stellen. Das gilt auch für das neue BAföG, mit dem wir einen Run auf unsere Hochschulen ausgelöst haben und mit dem wir es auch geschafft haben, dass der Anteil der Studienanfänger deutlich gestiegen ist, nämlich von 28,5 Prozent auf jetzt 35,6 Prozent. Damit liegen wir endlich in der Nähe jener 40 Prozent, die alle vergleichbaren Industrienationen im Durchschnitt vorweisen können und die auch unser Ziel sein müssen.

   Bildung und Forschung gehören also zusammen. Das gilt im Übrigen auch für die berufliche Bildung. Deshalb war es so wichtig, dass es uns gerade in den technologieorientierten Berufen in den letzten Jahren gelungen ist, eine deutlich größere Zahl von Ausbildungsplätzen zu schaffen. Ich betone ausdrücklich, dass das auch für dieses Jahr und die kommenden Jahre gelten muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich sage noch einmal klipp und klar: Deutschland steht im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe, um Akademiker genauso wie um hoch qualifizierte Fachkräfte.

(Dirk Niebel (FDP): Dann sollten wir aber die Rahmenbedingungen verbessern!)

Wenn wir nicht wollen, dass der Mangel an naturwissenschaftlich-technischem Nachwuchs schon in wenigen Jahren zu einem zentralen Innovationshemmnis wird, dann müssen wir heute mit aller Kraft gegensteuern. Wir tun das mit Erfolg, wie zum Beispiel gerade auch die deutlich gestiegenen Zahlen der Studienanfänger in den naturwissenschaftlichen und auch in den ingenieurwissenschaftlichen Studienfächern zeigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland ist heute wieder der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. Hatte Mitte der 90er-Jahre nur jede vierte Firma ein neues Produkt im Angebot, das auf neuen Forschungsergebnissen beruhte, drängt heute schon ein Drittel der Unternehmen mit einer Neuentwicklung auf den Markt. Deutschland verfügt inzwischen über die höchste Dichte innovativer Unternehmen in Europa. Ein Exportvolumen von 275 Milliarden Euro - das waren im Jahre 2002 rund 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts - und knapp 3 der insgesamt 6 Millionen Arbeitsplätze des verarbeitenden Gewerbes gehen auf das Konto der forschungsintensiven Technologiegüter. Die Tendenz ist weiter steigend.

   Dabei ist im Übrigen viel zu wenig bekannt: Die Technologieexporte aus den neuen Ländern stiegen seit 1996 durchschnittlich um 30 Prozent pro Jahr. Die technologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft - das zeigen diese Zahlen - ist gut. Das ist für uns allerdings kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Wir wollen im weltweiten Innovationswettlauf nicht nur Schritt halten können; wir wollen vielmehr den Takt der Entwicklung mitbestimmen. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb werden wir das Tempo des strukturellen Wandels in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Zu einer Wirtschaft, die auf Wissen und Innovationen setzt, gibt es in Deutschland keine Alternative.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Bundesregierung ist sich ihrer daraus erwachsenen Verantwortung voll bewusst. Wir halten deshalb an dem Ziel fest, das die Regierungschefs der EU in einer bisher einmaligen Willenserklärung formuliert haben: Bis 2010 sollen mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung investiert werden. Bereits in den kommenden Jahren werden wir deshalb auch bei der institutionellen Förderung wieder ein Zeichen setzen und die Etats der großen Forschungsorganisationen um 3 Prozent erhöhen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ulrike Flach (FDP): Ist das wieder ein Versprechen, Frau Bulmahn?)

   Vor einer Nagelprobe stehen wir jetzt allerdings in der Wirtschaft. Die Fehler der Vergangenheit darf die Wirtschaft nicht wiederholen. Erfolge auf den Innovationsmärkten werden in Unternehmen nur dann dauerhaft erwirtschaftet, wenn sie auch in konjunkturellen Schwächephasen konsequent in Forschung und Entwicklung investieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Untersuchungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zeigen: Unternehmen, die mit Produkten als Erste auf dem Markt sind, aber auch Branchen, die wie zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie in überdurchschnittlichem Maße in Forschung und Entwicklung investieren, weisen überproportionale Arbeitsplatzgewinne auf. Zwischen 1997 und 2001 sind circa 92 000 zusätzliche Arbeitsplätze in F-und-E-intensiven Branchen in Deutschland entstanden. Die Wirkung, die diese Entwicklung auch auf die Zulieferindustrie hat, ist ungleich größer. Das heißt, unsere wirtschaftliche Entwicklung hängt ganz entscheidend von diesen Unternehmen und Branchen ab. Deshalb sind günstige Rahmenbedingungen für Forschungsinvestitionen so notwendig. Der Bericht unterstreicht ausdrücklich - das finde ich sehr erfreulich -, dass wir hier in den letzten Jahren durch eine gezielte Neuausrichtung der Forschungspolitik gute Erfolge erreicht haben und dass wir in die richtige Richtung gegangen sind.

(Beifall bei der SPD)

   Wir haben seit 1998 die Projektförderung in Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen um über 44 Prozent - das sind rund 750 Millionen Euro - gesteigert. Projektförderung bedeutet mehr Wettbewerb. Deshalb war es so fatal, dass Sie in der ersten Hälfte der 90er-Jahre die Projektförderung völlig nach unten gefahren haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Projektförderung bedeutet mehr Wettbewerb sowie eine verbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft. Damit bildet sie die Plattform für einen besseren und leistungsfähigeren Technologietransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Genau das ist es, was wir in unserem Land existenziell brauchen. Hinzu kommt die wichtige Initialwirkung für grundlegende Technologieentwicklungen in der Wirtschaft. Auf jeden staatlich finanzierten Forschungseuro legen die geförderten Unternehmen mindestens einen weiteren Euro drauf. Auch dieser Zusammenhang spielt ganz offensichtlich eine große Rolle. Das ist effiziente Förderpolitik. Es ist wichtig, auch privates Forschungskapital zu mobilisieren. Deshalb werden wir unsere Forschungsförderpolitik fortsetzen und weiter ausbauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die wesentlichen Impulse für wirtschaftliches Wachstum und neue Arbeitsplätze gehen von einer begrenzten Zahl von Technologien aus. Wir konzentrieren deshalb die Forschungsförderung genau dort, wo die größte Hebelwirkung auf Wachstum und Beschäftigung zu erwarten ist. Wir stärken deshalb mit einer hohen Priorität die Informations- und Kommunikationstechnologien; denn sie sind die Wachstumsmotoren für viele andere Branchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zwischen 20 und 25 Prozent des jährlichen Wirtschaftswachstums in Deutschland beruhen auf dem zunehmenden Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien. Nachdem in den 90er-Jahren vor allem andere Länder, die stärker investiert haben, von diesen neuen Technologien profitierten, hat Deutschland auch hier wieder Anschluss gefunden. Wir fördern den Ausbau bestehender Märkte in der Mikrosystemtechnik, in den optischen Technologien und in der Materialforschung, weil wir diese Technologien für viele andere Branchen benötigen. Auch hier haben wir deutliche Weltmarkterfolge erzielt.

   Wir erschließen außerdem neue Wachstumsfelder durch die gezielte Förderung der Bio- und Nanotechnologie. Gerade in der Biotechnologie haben wir nach einem verschlafenen Start in den letzten Jahren im internationalen Vergleich viel aufgeholt. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Nirgendwo in Europa sind in den letzten Jahren mehr neue Biotechnologieunternehmen gegründet worden als in Deutschland. Deutschland liegt inzwischen auch bei der Gesamtzahl der Unternehmen an der Spitze. Im Übrigen ist hier ein erheblicher Arbeitsplatzzuwachs von 35 Prozent zu verzeichnen. Das zeigt, dass die Forschungspolitik richtig fokussiert war.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte kurz noch einen weiteren Punkt anreißen. Mir ist es besonders wichtig, dass wir gerade die kleinen und mittleren Unternehmen motivieren konnten, wieder stärker in Forschung und Entwicklung zu investieren. Die Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen, die an der Forschungsförderungspolitik meines Ministeriums partizipieren, die also Forschungsförderungsmittel in Anspruch nehmen, ist alleine in meiner Amtszeit um über 60 Prozent gestiegen.

(Jörg Tauss (SPD): Gute Ministerin!)

Das war notwendig und ist richtig. Deshalb werden wir diesen Kurs fortsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Einen besonderen Akzent legen wir auf die so genannten Spin-offs. Allein diese technologieorientierten Unternehmensgründungen schaffen rund 13 000 neue Arbeitsplätze pro Jahr.

   Kurz gesagt, meine sehr geehrten Damen und Herren: Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und gute Voraussetzungen für Erfolg im internationalen Wettbewerb geschaffen haben. Deshalb werden wir diese Politik auch fortsetzen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Katherina Reiche, CDC/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

einmal in der Wirtschafts- und Finanzpolitik durch steuerliche Anreize, durch eine Abgabenentlastung des Mittelstandes, durch eine Senkung der Staatsquote und durch einen Bürokratieabbau und zum anderen im Bereich Bildung und Forschung durch eine Aufstockung der Investitionen auf mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Frau Bulmahn, wir haben es erst dann wieder geschafft, wenn deutsche Nobelpreisträger nicht mehr in Amerika leben, forschen und dort ihre Preise bekommen,

(Ulrich Kasparick (SPD): Das ist doch dummes Zeug!)

sondern ihren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt in Deutschland haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die hohe Bürokratiedichte, eine Flut zusätzlicher Vorschriften, ungünstige steuerliche Rahmenbedingungen, schleppende Zulassungs- und Genehmigungsverfahren, ein überregulierter Arbeitsmarkt, eine schwächelnde Konjunktur, eine unsichere Rechtslage und Fachkräftemangel, all das ist Ursache dafür, dass die Umsetzung von neuen Ideen in Deutschland derzeit schleppend verläuft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Rot-Grün ist die Ursache!)

   Ein Haupthemmnis für Innovation und Expansion ist die Kapitalknappheit. Im „Deutschen Biotechnologie Report 2002“ von Ernst & Young ist nachzulesen, dass der Boom in der Biotechbranche im Jahr 2001 nur durch die Risikokapitalfinanzierung vor allem in der Start-up-Phase und in der Expansionsphase möglich war.

   Die Situation auf dem Risikokapitalmarkt sieht in Deutschland derzeit jedoch schlecht aus. Der Anteil am europäischen Risikokapitalmarkt ist von 18 Prozent auf 13 Prozent gefallen, während der Anteil Großbritanniens auf 34 Prozent stieg. Wir drohen also in Europa und in der Welt den Anschluss zu verlieren. Es gibt in Deutschland keinen Mangel an Arbeit, sondern einen Mangel an Arbeitgebern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir laufen Gefahr, im Biotechnologiebereich potenziell lebensfähige Unternehmen zu verlieren ebenso wie eine ganze Generation von Forschern, geistiges Eigentum und damit auch den Anschluss.

   Öffentlich finanzierte Forschung muss stärker an Innovationen orientiert werden. Dies geschieht am effektivsten, wenn ein substanzieller Anteil - das hat Frau Bulmahn ausgeführt - im Wettbewerb vergeben wird. Ganz besonders wichtig ist es deshalb, auch die Ressortforschung in den Wettbewerb einzubeziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist ein Unding, dass die 52 Ressortforschungseinrichtungen des Bundes mit 12 000 Wissenschaftlern und 9 000 Mitarbeitern bisher nicht einer systematischen Evaluierung unterzogen wurden.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht! Das wird doch gemacht!)

Sowohl die Evaluation der Leibniz-Institute als auch die Programmförderung der Helmholtz-Zentren zeigt dies.

   Damit Forschungseinrichtungen im Wettbewerb um innovative Forschungsprojekte eigenverantwortlich und flexibel agieren können, müssen sie ihre Profile selbst gestalten, eine autonomere Personal- und Gehaltspolitik betreiben sowie über den Mitteleinsatz und Investitionen selbstständig entscheiden können. So müssten an die Stelle des starren BAT-Gefüges flexible, frei aushandelbare Arbeitsverträge im Rahmen eines Wissenschaftstarifvertrages treten. Das würde auch den Personalaustausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erleichtern.

(Jörg Tauss (SPD): Sagen Sie das mal Ihren Ländern, nicht unseren! Dann hätten wir ein Problem weniger! - Gegenruf des Abg. Dirk Niebel (FDP): Herr Tauss, Sie haben mir schon richtig gefehlt da drüben! Jetzt ist er aufgewacht!)

   Es kommt außerdem darauf an, die Forschung aus den Klauen der Bürokratie zu befreien. Auch Bürokratieabbau sorgt für mehr Freiheit der Forschung. Ich erinnere nur an das De-facto-Moratorium im Bereich Biotechnologie oder an die noch nicht erfolgte Umsetzung der Biopatentrichtlinie hier in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir müssen uns auch fragen, ob wir immer am Bedarf ausgerichtet ausbilden. Ich nenne in diesem Zusammenhang zum Beispiel die optischen Technologien und die Nanotechnologien. Für beide Schlüsseltechnologien werden zweistellige Wachstumsraten prognostiziert; dennoch fehlen in diesen Hightechbereichen durchschnittlich 10 000 Fachkräfte.

   Ich glaube, wir brauchen eine neue Technologiebegeisterung. Dafür müssen wir bei Lehrern, Eltern, Schülern und Studenten für die Bedeutung von Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaft verstärkt werben, weil diese Bereiche für die Entwicklung unserer Gesellschaft existenziell sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Frau Bulmahn, es ist eben nicht damit getan, dass wir höhere Studienanfängerzahlen haben. Entscheidend ist vor allem, was „hinten herauskommt“, also wie viele Absolventen es schließlich gibt. Da besteht Nachholbedarf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

In diesem Bereich kann der Bund gemeinsam mit der Wirtschaft und gemeinsam mit den Ländern Anstöße geben.

Ein Letztes. 1998 - ich weiß nicht, wer sich noch daran erinnert - hat der Exfinanzminister Lafontaine sein Ressort zulasten seines Kollegen im Bereich Wirtschaft ausgebaut. Das BMBF musste in diesem Zuge zwei wesentliche Bereiche, nämlich den Bereich Energieforschung und den Bereich Technologieförderung, an das Wirtschaftsministerium abgeben. Den erhofften Erfolg brachte das nicht. Es gibt eine mangelnde Koordinierung und eine ausgeprägte Schieflage in der Finanzausstattung. Frau Bulmahn, Sie sollten sich ernsthaft bemühen, diese Kompetenz jetzt zurückzuholen und Ihr Ministerium zu stärken, damit aus dem jetzigen Bildungsministerium auch wieder ein Technologieministerium wird.

   Deutschland besitzt nach wie vor ein immenses, von der rot-grünen Bundesregierung aber nicht genutztes Innovationspotenzial. Mit dem von mir beschriebenen Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Technologiepolitik könnte Deutschland wieder dahin kommen, wohin es gehört, nämlich als Lokomotive an die Spitze in Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Von Rot-Grün ist diese Initialzündung nur schwerlich zu erwarten. Deshalb fordern wir Sie auf, unsere Vorschläge umzusetzen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

(Dirk Niebel (FDP): Jetzt kommt der grüne Fortschritt!)

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Bericht genau liest, dann stellt man fest, dass er, was den Technologiestandort Deutschland angeht, viel Licht, aber auch Schatten formuliert.

(Ulrike Flach (FDP): Wie wahr!)

Nachdem ich Ihre Rede gehört habe, Frau Reiche, muss ich sagen: Sie müssen den Bericht mit einer Spezialbrille gelesen haben. Sie haben alles Positive einfach ausgelassen und nur kritische Fragen formuliert.

(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich will Ihnen einmal drei Beispiele dafür nennen, was sich seit 1998 positiv verändert hat, und dann will ich dieses 98er-Thema auch wieder verlassen. Die F-und-E-Ausgaben des Bundes, die bei Ihnen 1997 und 1998 bei 8,2 Milliarden Euro lagen, haben wir im Jahr 2002 auf 9,1 Milliarden Euro angehoben. Es gab jetzt einige Einsparungen; aber in den nächsten Jahren werden wir die F-und-E-Ausgaben des Bundes wieder anheben. Anders als bei Ihnen also Wachstum in dem Bereich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Zahl der Inlandspatente ist gestiegen. Auch die Zahl der Studienanfänger liegt um 8 Prozent höher als 1998, übrigens mit starken Zugewinnen bei den Anfängern in der Informatik. Wir haben also in allen Punkten, die Sie uns jetzt vorgehalten haben, deutliche Verbesserungen gegenüber dem erzielt, was CDU und CSU angerichtet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Reiche, wenn Sie hier so fröhlich argumentieren, man solle in Deutschland jetzt endlich die im Rahmen der Lissabon-Strategie vereinbarten 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für F-und-E-Ausgaben erreichen, dann muss ich Ihnen Folgendes sagen: Sie verweigern sich systematisch dem Subventionsabbau in entscheidenden Bereichen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

fordern dann aber voller Vergnügen mehr für Forschung und Technik. Das geht wirklich nicht. Daraus wird kein Schuh. Sie müssen konsequent für Subventionsabbau eintreten und dürfen nicht im Vermittlungsausschuss des Bundesrats Ihre Zustimmung verweigern. Dann wäre Ihr Redebeitrag ehrlich. So ist er aber einfach politisch unseriös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich stimme beiden, die schon geredet haben, in einem Punkt zu: Die positive technologische Entwicklung in Deutschland ist für die Fähigkeit unserer Wirtschaft, Arbeitsplätze zu schaffen, das A und O. Wir sind an der Spitze bei dem Doppeltrend, dass auf der einen Seite die Leute länger leben und auf der anderen Seite die Geburtenrate sinkt. Das kann man an unserem Standort nur ausgleichen, wenn Technologie, Produktivitätswachstum und Innovationen vermehrt werden. Wenn wir das nicht schaffen, wird Deutschland seinen Wohlstand nicht halten können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen ist es des Schweißes der Edlen wert, sich wirklich mit der Frage zu befassen, wie man in Deutschland zu mehr technologischen Innovationen kommt.

(Dirk Niebel (FDP): Transrapid zum Beispiel!)

   Besondere Sorgen macht uns von den Grünen zum Beispiel, wie schlecht die Diffusion von I-und-K-Technik in vielen Bereichen der Wirtschaft ist. Beim Handwerk, bei den Dienstleistungen, bei den produktionsnahen Dienstleistungen und bei den Finanzdienstleistungen haben wir im EU-Bereich in den letzten Jahren so gut wie kein Produktivität, während im Vergleich dazu in den USA ein Wachstum von 4 bis 5 Prozent vorhanden ist. Das wirft uns in diesen Bereichen zurück. In den nächsten Jahren müssen wir uns mehr auf diesen Punkt konzentrieren.

   Ich möchte ein paar Punkte nennen, die uns in der Frage, wie wir zu mehr Innovationen in Deutschland kommen können, wichtig sind:

   Erstens. Wir brauchen massive Reformen in der Bildungspolitik, schon in der Grundschule und in den Kindergärten angefangen. Ich finde, dass das, was die KMK als Konsequenzen von PISA zustande bringt, zu langsam geht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dass die schwarz-regierten Länder aus der Bund-Länder-Kommission aussteigen, ist in diesem Zusammenhang kein Vorteil, sondern nichts anderes als ein Nachteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir brauchen ein Bildungssystem, das Neugier, Kreativität, Teamfähigkeit und Methodenwissen zum Zentrum der pädagogischen Auseinandersetzung und Arbeit macht;

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird nicht in der KMK gefördert!)

denn das sind die Schlüsselqualifikationen, die man für Innovationen braucht.

   Beispiel Lehrerfortbildung: In den USA müssen Lehrer in fünf Jahren 50 Stunden Fortbildung nachweisen; in Deutschland ist es eher ein Hobby für diejenigen, die ohnehin schon ambitioniert sind. Dies muss man in den Ländern ändern. Ich sage deutlich: Wenn die Länder dies nicht schaffen, dann muss der Bund nachhelfen, dass sie die Veränderungen, die wir für die Förderung von Innovationen und die wirtschaftliche Entwicklung brauchen, vornehmen.

(Ulrike Flach (FDP): Dann fangen Sie in Ihren Ländern an, Herr Kuhn!)

   Zweitens: Schritt für Schritt mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland. Die 3 Prozent, die die Ministerin genannt hat, sind eine richtige Zielgröße. Wir werden uns auf den Weg machen, dies auch zu finanzieren, und zwar nicht mittels höherer Verschuldung, wie Sie es propagieren, sondern systematisch über Subventionsabbau. Das ist nämlich der einzige richtige Weg.

   Dritter Punkt. Wir brauchen mehr Fachkräfte und Menschen, die über hoch spezialisiertes Wissen verfügen. In den nächsten fünf bis sechs Jahren gehen in Deutschland viele in Pension bzw. in den Ruhestand, die über dieses Wissen verfügen. Da sage ich ganz klar an Ihre Adresse, Frau Reiche: Wer wie Sie in der Zuwanderungspolitik eine totale Verweigerungshaltung an den Tag legt, der gefährdet in gewisser Weise den Innovationsstandort Deutschland. Sie machen hier reaktionäre Politik zulasten der Arbeitsplätze und unserer eigenen Interessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es gibt Schwierigkeiten - das haben Sie angesprochen - bei der Finanzierung von Innovationen, und zwar nicht in der Phase der Existenzgründungen, sondern in den darauf folgenden Phasen, wenn mehr Geld benötigt wird. Deswegen möchte ich vorschlagen, dass wir uns rasch über das hinaus, was die Mittelstandsbank in diesem Bereich tut, um die steuerlichen Rahmenbedingungen für innovative Betriebe kümmern. Die generelle Steuerpflicht für wesentliche Beteiligungen ist in der Phase ein Hindernis.

(Dirk Niebel (FDP): Weiß das Herr Eichel?)

Der Verlust des Verlustvortrages bei sich schnell ändernden Eigentümerstrukturen ist hier ein Hindernis. Auch die Steuerpflicht für Lizenz- und Patentgebühren stellt hier ein Hindernis dar. Ich rate allen in diesem Parlament, zu schauen, was Frankreich und England tun.

(Ulrike Flach (FDP): Sie sind doch dran!)

In der nächsten Zeit müssen wir neue Vorschläge machen, wie Innovationen steuerlich begünstigt werden können.

(Dirk Niebel (FDP): Sie regieren doch!)

- Hören Sie doch einfach in Ruhe zu. Vor allem Sie, Herr Niebel, können das eine oder andere lernen.

   Der nächste wichtige Punkt, den ich ansprechen möchte, ist, dass wir Subventionen abbauen müssen. Das Festhalten an alten Subventionen ist der Feind von neuen Innovationen. An dieser Feststellung kommt man nicht vorbei. Wer sich am Alten festklammert, der blockiert allein über die finanzielle Schiene die Entwicklung des Neuen.

(Dirk Niebel (FDP): Fangen wir mal mit der Steinkohle an!)

Deshalb sagen wir: Förderung von Innovationen und Abbau von Subventionen müssen in einem Zuge geschehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Ich komme zum Schluss und möchte dabei noch auf eines hinweisen: Wenn man einmal in die Wirtschaftsgeschichte schaut und untersucht, welche Gesellschaften mehr Innovationen hervorbringen, dann stellt man Folgendes fest: Es sind in der Regel Gesellschaften, die über klare gemeinsame Ziele verfügen, auf diese bezogen ihre Techniken entwickeln und nicht einfach pauschal alle Techniken fördern, die ihnen möglich erscheinen. Ich sage Ihnen: Die Propagierung von Strategien der nachhaltigen Entwicklung und von Strategien, die zum Beispiel weg vom Öl in allen Technologiebereichen, insbesondere bei den Antriebskonzepten für das Auto, führen, wird sich auch auf das Innovationsgeschehen an Hochschulen, Forschungsstätten und in den Entwicklungsabteilungen der Betriebe auswirken. Mein Vorwurf an die Opposition lautet: Sie sind bezüglich solcher Ziele blind, deswegen haben Sie keinen klaren Innovationsbegriff.

(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Und Sie können nicht in Energiebilanzen rechnen!)

   Ich glaube, dass die Regierung auf einem guten Weg ist, vor allem wenn sie mehr für nachhaltige Entwicklung tut. Dafür stehen die Grünen. Wir werden uns auch weiter dafür einsetzen, Frau Reiche.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kuhn, ich betrachte mit großem Interesse Ihre Äußerungen zum Thema Subventionen. Als Nordrhein-Westfälin wäre ich Ihnen natürlich sehr dankbar, wenn Sie das einmal im Detail mit Frau Höhn bereden würden. Das wäre sehr hilfreich für ein Land wie NRW, das weit unter dem Durchschnitt liegt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kollegen, der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit ist für die Forschung und Entwicklung in Deutschland ungefähr das, was die Hannover Messe für die Industrie ist: ein Spiegel der Fähigkeit einer Volkswirtschaft zu Innovationen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Da haben Sie, Frau Bulmahn, natürlich die Bereiche aufgezählt - das nehme ich Ihnen nicht übel -, in denen Fortschritte erzielt wurden. Aber der Tenor des Berichtes insgesamt entspricht dem natürlich nicht, sondern er enthält eher das klare und deutliche Signal: Deutschland fällt eher zurück, als dass es auf der Aufsteigerliste steht.

(Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Kein Wunder bei der Regierung!)

   Der im Schnitt gute Bildungsstand der Bevölkerung ist ein Plus; das sagt auch der Bericht. Aber wir alle, die wir hier sitzen, wissen doch, dass unsere Bildungsanstrengungen im internationalen Bereich alles andere als gut dastehen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind international nicht in der Lage, mitzuhalten.

   Die anhaltend schwache binnenwirtschaftliche Dynamik wird auch weiterhin zu einem Zurückfahren der F-und-E-Budgets der Unternehmen führen. Frau Bulmahn, bei 40 000 Unternehmenspleiten im Jahre 2002 ist dies auch nicht verwunderlich. So sagt der Bericht eindeutig, dass jetzt die Nagelprobe Ihrer Politik bevorsteht. Ich zitiere:

... Zukunftsinvestitionen in Forschung - und dies gilt parallel auch für die Bildung - sind das Letzte, was dem konjunkturellen Rotstift der Haushaltskonsolidierung zum Opfer fallen darf ...

   Da müssen Sie sich fragen lassen, Frau Bulmahn, ob eine Nullrunde bei den großen Forschungsorganisationen mit Ausnahme der DFG, ob ein Zurückfahren des Haushaltes des BMBF dem wirklich entspricht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie das Ganztagsschulprogramm, das eigentlich ein Familienprogramm ist und deswegen gar nicht in Ihren Haushalt gehört und auch nicht drinsteht, nicht immer hineinrechnen würden, dann hätten Sie sogar einen sinkenden Haushalt.

   Bei der Technologieförderung sieht es noch düsterer aus. Wenn Sie die Ausgaben für Technologieförderung in Ihrem Ministerium und im BMWA zusammenfassen, dann liegen Sie 2003 um 3,1 Milliarden Euro niedriger als 1998, nach der schrecklichen 16-jährigen Zeit von CDU/CSU und FDP.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Nach wie vor liegt die F-und-E-Intensität Deutschlands deutlich hinter der Schwedens, Finnlands, Japans, der USA und Koreas. Kollegin Reiche hat das eben deutlich gemacht. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt liegen wir bei 2,5 Prozent. Sie haben das Ziel für 2010 mit 3 Prozent angegeben. Ich sage Ihnen für die FDP ganz deutlich: Natürlich teilen wir dieses Ziel. Aber wir müssen einen höheren Gang einlegen, wenn wir die Steigerungsraten Schwedens mit 30 Prozent zwischen 2000 und 2002, der USA mit 25 Prozent und Japans mit 15 Prozent einholen wollen. Der Bericht macht ganz deutlich: Um dieses Dreiprozentziel zu erreichen, werden in Deutschland mehrere Hunderttausend hoch qualifizierte Menschen an F-und-E-Personal gebraucht, die wir zurzeit aber nicht haben, Frau Bulmahn. Wir sind auch nicht auf dem Weg, sie zu bekommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Das sind die Dimensionen, die wir erreichen müssten. Dazu sind aufgrund der verfehlten Politik der Bundesregierung gegenwärtig weder die Wirtschaft noch der Staat in der Lage. Wenn es 40 000 Betriebe weniger gibt, wenn auch gut ausgebildete Ingenieure und IT-Spezialisten arbeitslos sind - wir alle wissen das doch aus unserem engsten Umfeld -, wo sollen dann Forschung und Entwicklung herkommen? Die Innovationsintensität der Wirtschaft hat nachgelassen. Sie ist auf den Stand von 1995 zurückgefallen, Frau Bulmahn. Das ist kein positives Signal, das ist verheerend.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Schaffen Sie endlich wieder vernünftige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Wissenschaft, damit Forschung Dynamik freisetzen kann!

   Frau Reiche führte schon den Bericht der Bundesbank zu technologischen Dienstleistungen in der Zahlungsbilanz an. Auch er weist einen negativen Saldo aus. Dieses ist - das halte ich gerade für uns Forschungspolitiker für sehr interessant - bei den Ingenieurdienstleistungen besonders dramatisch, bei denen sich das Zahlungsbilanzdefizit in Ihrer Regierungszeit verdoppelt hat, Frau Bulmahn.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Hört! Hört!)

Das heißt, wir zahlen immer mehr für Patente, Lizenzen und Ingenieurleistungen an das Ausland, als wir dadurch von anderen einnehmen. Auch das ist ein Zeichen für eine Schwächung der technologischen Leistungsfähigkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Für junge F-und-E-Unternehmen ist die Kapitalknappheit ein großes Problem. Im Bericht wird dazu ausgeführt:

Der Markt für die Frühphasenfinanzierung von jungen Technologieunternehmen ist im Jahr 2002 geradezu eingebrochen (60 Mio. € gegenüber 388 Mio. € im Jahr 2000). Die Finanzierung entwickelt sich ... zum Strukturwandelhemmnis.

Da sind wir bei den Kernpunkten, Frau Bulmahn: Es gibt in Deutschland nicht nur ein Defizit bei den staatlichen Aufwendungen für F und E, sondern es gibt eben auch strukturelle Defizite. Wir haben noch immer kein eigenes Tarifrecht für die Wissenschaft. Wir unterstützen Sie Frau Bulmahn, wenn es darum geht, dies zu ändern. Aber fragen Sie bitte einmal Herrn Schily - er ist bezeichnenderweise heute nicht anwesend -, was er zu diesem hoch brisanten Thema sagt.

(Dirk Niebel (FDP): Er will es nicht!)

Sie versprechen landauf, landab Veränderungen; aber es bewegt sich nichts. Wir haben immer noch keine Autonomie der Hochschulen bei Personal-, Finanz- und Grundstücksmanagement. Wir haben ein Steuersystem, das nicht ausreichend auf KMUs der F- und -E-Branche ausgerichtet ist.

   In diesem Zusammenhang möchte ich - das ist ganz aktuell - kurz auf die geplante Änderung der Körperschaftsteuer hinweisen, auf die Sie sich offensichtlich mit den Kollegen der CDU/CSU geeinigt haben. Wenn die so genannte Mehrmütterorganschaft eingeschränkt wird, wären besonders Joint-Venture-Unternehmen im Forschungs- und Entwicklungsbereich betroffen.

(Beifall bei der FDP)

Das verunsichert die Unternehmen. Wie sollen sie in einer solchen Situation investieren?

   Auch die wuchernde Bürokratie ist eine erhebliche Bremse für Forschung und Entwicklung. Fragen Sie die Kollegin Homburger, die Ihnen einmal in der Woche erzählt, was diese Belastung für die deutschen Unternehmen bedeutet.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist die richtige Zeugin! Woher weiß die das denn?)

Anstatt in Forschung und Entwicklung zu investieren, befassen sich die Unternehmen damit, irgendwelche Fragebögen für Statistiken auszufüllen. Da gibt es einen großen Änderungsbedarf.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Einige Worte zur Biotechnologie. Es ist ja schön, zu hören, dass die Bundesregierung endlich die von uns seit Jahren geforderte Biotechnologiestrategie vorlegen will. Für die Forscher ist vor allem wichtig, dass endlich die Widersprüche in der Regierungspolitik beseitigt werden. Deswegen ist es so interessant, was uns Kollege Kuhn eben gesagt hat.

(Dirk Niebel (FDP): Die müssten es halt mal machen!)

Es wäre sehr schön, wenn Frau Künast auch einmal das täte, was uns mit schönen Worten versprochen wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Selbstverständlich können wir es uns nicht leisten, dass das eine Ministerium die grüne Gentechnik unterstützt und das andere Ministerium sie verhindern will. Das ist doch die Realität in diesem Lande.

   Die Biopatentrichtlinie wurde eben schon angeführt; sie ist immer noch nicht umgesetzt.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Die Regierung steht gleichzeitig auf der Bremse und gibt Gas! Das kann nichts werden!)

   Zum Thema Patente. In den nordischen Ländern, aber auch in Korea, Holland und Kanada gibt es zweistellige Wachstumsraten pro Jahr bei der Patentanmeldung. Deutschland dagegen weist gegenüber 2000 nur eine Steigerungsrate von 6 Prozent auf. In wichtigen Schlüsselbereichen wie I und K, Pharmazie und Elektrotechnik können wir international nicht mithalten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit muss alle Alarmglocken läuten lassen. Er ist ein wichtiges und sehr hilfreiches Dokument, dessen Aussagen wir von der FDP sehr ernst nehmen. Bisher kann ich in der Regierungspolitik insgesamt keine konsistente Linie für Forschung und Entwicklung erkennen. Es geht nicht an, dass die Anstrengungen der Forschungsministerin, die wir an vielen Stellen unterstützen, immer wieder durch Kabinettskollegen konterkariert werden.

   Aber auch ihre eigenen guten Ansätze der ersten Jahre wurden durch den Haushalt 2003 und durch Ihre Wortbrüche bei der Forschungsförderung verspielt. Forschungspolitik besteht aus Verlässlichkeit - das wissen gerade wir - und nicht aus Vergesslichkeit, liebe Frau Bulmahn.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie so weitermachen, prognostiziere ich Ihnen für den Bericht 2003 einen dramatischen Absturz in vielen Bereichen.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das ist wie Fallschirmspringen ohne Schirm!)

Das ist genau das, was dieses Land nicht vertragen kann.

   Priorität für Bildung und Forschung - auch angesichts knapper Haushaltsmittel - haben Sie versprochen, Frau Bulmahn. Daran werden wir Sie auch weiterhin äußerst kritisch messen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Franz Müntefering, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Franz Müntefering (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in Deutschland in einer Phase wichtiger Grundsatzentscheidungen über die zukünftige Politik für dieses Land. Der Bundeskanzler hat am 14. März von dieser Stelle aus deutlich gemacht, dass wir in der Koalition entschlossen sind, Deutschland wirtschaftlich und sozial an die Spitze in Europa zu führen, und dass wir bereit sind, die nötigen Maßnahmen einzuleiten.

   Ein wichtiger Punkt dabei wird sein - auch das war Gegenstand seiner Regierungserklärung -, dass wir den Bereich von Bildung und Forschung in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen stellen. Deshalb hat der Bundeskanzler zugesagt, die Etatansätze der Max-Planck-Gesellschaft und anderer Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr um 3 Prozent zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine ganz wichtige Botschaft der Regierungserklärung vom 14. März.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Eine Verdopplung haben Sie versprochen!)

   Wer auch morgen und übermorgen Wohlstand haben will, der muss heute

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Regierung wechseln!)

in Forschung und Technologie investieren. Das tun wir. Wer morgen ernten will, muss heute

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Regierung wechseln!)

säen. Wir sind dabei, dies zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Regierungswechsel!)

   Wir wissen, dass eine große Anstrengung nötig ist. Dies gilt für beide Seiten des Hauses. Ich finde, dass die Art und Weise, in der hier manches schwarz-weiß gemalt wird, an der Realität vorbei geht. Die schlichte Wahrheit ist, dass Sie von der FDP und der CDU/CSU die nötigen Entwicklungen in den 90er-Jahren verschlafen haben,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ulrike Flach (FDP): Sie sind jetzt schon fünf Jahre dran!)

dass Sie zusammen mit Herrn Kohl im Ohrensessel gesessen haben und dass wir heute alle miteinander das auszubaden haben, was Sie damals liegen gelassen haben.

(Ulrike Flach (FDP): Wir sind ständig auf den Weg nach unten, Herr Müntefering!)

   Aber der Blick zurück nützt ja nichts. Jetzt müssen wir nach vorne schauen. Deshalb ist es gut, dass Frau Ministerin Bulmahn vortragen konnte, was wir zwischen 1998 und 2003, also in den letzten viereinhalb Jahren, erreicht haben. Auf die Steigerung in Höhe von rund 25 Prozent im Bereich Bildung und Forschung sind wir stolz. Dies ist eine der wichtigsten Leistungen dieser Koalition in ihrer Regierungszeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben aufgeholt. Wir haben das Saatgut nicht mehr verfüttert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben es vergammeln lassen!)

In den nächsten Jahren wird daraus Gutes entstehen. Das wissen wir.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Sprechen Sie mal mit den Wissenschaftlern!)

   Wir wissen aber auch, dass Selbstzufriedenheit nicht angebracht ist und dass in den nächsten Jahren viel zu tun sein wird. Hier aber schwarz-weiß zu malen ginge an der Lebenswirklichkeit vorbei. Wir wissen, dass auch andere Länder sich engagieren. Wir wissen, dass Technologie im großen Stil gekauft werden muss, weil wir sie nicht mehr selbst haben. Wir wissen, dass unser Weltmarktanteil im Hochtechnologiebereich niedriger geworden ist. Wir wissen, dass wir unser Geld mit guten und reifen Produkten verdienen, dass aber zu wenige neue Spitzentechnologien darunter sind. Wir wissen, dass bei uns viele Patentanmeldungen vorliegen, dass aber zu wenige neuartige Entwicklungen darunter sind.

(Beifall der Abg. Katherina Reiche (CDU/CSU))

   Vor allen Dingen wissen wir, dass die Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland nicht reicht, damit wir wieder an die Spitze kommen. Deshalb muss in diesem Bereich ein neuer Schwerpunkt gesetzt werden. Dazu sind wir entschlossen. Die Frage ist nur: Welche Konsequenzen zieht man aus den Erkenntnissen, die man hat, aus den Entwicklungen der 90er-Jahre und aus der Realität, in der wir uns heute befinden?

   Zu den positiven Entwicklungen gehört allerdings, dass die kleinen und mittleren Unternehmen sehr viel stärker als zuvor in die Fördermaßnahmen der Bundesregierung und der öffentlichen Hände überhaupt einbezogen sind. Über 66 Prozent aller an Fördermaßnahmen beteiligten Unternehmen sind heute kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten. Dies entspricht einer absoluten Zahl von 1 700 Unternehmen und einer Steigerung von 45 Prozent gegenüber 1998. Das ist eine stolze Zahl, die ausdrückt, dass kleine und mittlere Unternehmen heute viel stärker beteiligt sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb hat auch der Wirtschaftsminister Recht, wenn er mit seiner Mittelstandsoffensive dafür sorgt, dass dieser Teil der Innovationsförderung, auch auf kleine und mittlere Unternehmen bezogen, neue und zusätzliche Impulse bekommt. Es geht aber nicht nur um neue Arbeitsplätze. Es geht auch darum, ob wir als Gesellschaft Fortschritt wollen und ob wir uns auch in Zukunft bemühen, das Leben mit den Möglichkeiten technologischer Entwicklungen menschlicher und erträglicher zu machen.

   Deshalb hat dieses Thema auch mit der Hoffnung auf Fortschritt in dieser Gesellschaft zu tun. Es geht um die Frage, ob wir ökonomische, ökologische und gesellschaftspolitische Fortschritte organisieren können. Was die Koalition aus SPD und Grünen in den letzten vier Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien geleistet hat, ist gut. Es wird sich auszahlen. Es ist vernünftig bezüglich der Arbeitsplätze und der Ökologie. In der letzten Legislaturperiode haben wir 16 Gesetze beschlossen, die in diese Richtung gingen. Aber 14 Mal haben Sie dagegen gestimmt. Deshalb haben Sie so wenig Grund, sich über das zu erregen, was an dieser Stelle zu tun ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Frage des heutigen und des zukünftigen Umgangs mit Energie hat nicht nur größten Einfluss auf unsere Gesellschaft, sondern auch auf die Entwicklung der gesamten Menschheit. Deshalb fördern wir auch weiterhin die Entwicklungen im Bereich der Brennstoffzelle. Dies ist eine große Chance für Fortschritt auf dem Energiemarkt; damit können wir ihn revolutionieren. Wir wollen die Möglichkeiten einer solchen neuen Technologie nutzen und sie unterstützen.

   Es war diese Koalition, die das Satellitennavigationssystem Galileo in Europa mit entwickelt hat. Es bietet eine große Chance für die Mobilität in unserem Land und in den anderen Ländern der Welt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind Dinge, die in die Zukunft weisen und das Leben menschlicher machen, weil sie den Fortschritt in unsere Gesellschaft bringen.

   Wir wissen, dass technologische Leistungsfähigkeit Bedingungen hat und deshalb die Frage nach der Bildung und Qualifizierung zentral ist. Es ist daher wichtig, dass wir uns an dieser Stelle darüber unterhalten, was zu tun ist. Es ist soeben schon über die Frage, ob es in Deutschland Ingenieure in ausreichender Zahl gibt, gesprochen worden. Die zuständigen Verbände sagen uns, dass 70 000 bis 80 000 Ingenieure in Deutschland fehlen. Das hängt damit zusammen, dass wir den Menschen bisher nicht rechtzeitig gesagt haben, wo ihre Berufs- und Lebenschancen sind, es hängt aber auch damit zusammen, dass die Unternehmen nicht rechtzeitig dafür sorgen, dass die nötigen Ausbildungen erfolgen. Die Unternehmen dürfen eben nicht nur in der Welt herumreisen und sich die neuesten Maschinen kaufen, sondern sie müssen auch rechtzeitig dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land qualifiziert werden, damit die anstehenden Aufgaben geleistet werden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bezüglich der Frage der Leistungsfähigkeit haben sich die Bundesregierung und die Koalition vorgenommen, in dieser Legislaturperiode 8,5 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung der Kinder in Kindergärten und Schulhorten auszugeben. Nun können Sie sagen: Damit fangen Sie aber früh an. - Genau diesen Punkt aber müssen wir sehen. Wir brauchen neue Personalentwicklungskonzeptionen in unserem Land; das ist die Schlüsselfrage dabei, ob uns Innovationen und technologische Entwicklungen gelingen. Das Problem der Bildung und Qualifizierung in Deutschland werden wir nur lösen können, wenn wir vorn anfangen, nämlich bei den Kindern, den Schulen. Die Koalition wird einen zentralen Beitrag für die technologische Entwicklung und damit für die Zukunft Deutschlands leisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten die Köpfe über die Alterssicherung und die Zukunft des Sozialstaats heißgeredet. Unabhängig davon, ob wir 65, 67 oder 69 Prozent als Rentenniveau ins Gesetz schreiben, bleibt die entscheidende Frage, ob Deutschland im Jahre 2020 oder 2040 immer noch ein Wohlstandsland wie heute ist.

   Der Wohlstand in Deutschland hängt davon ab, ob die innovative technologische Zukunftsfähigkeit dieses Landes gegeben ist. Dafür müssen wir bereit sein, einen Teil dessen, was wir heute erwirtschaften, nicht zu verfüttern, sondern es in die Köpfe und Herzen der Kinder und jungen Menschen zu investieren. Das, was wir heute in Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Forschung und Technologie investieren, ist entscheidend auch für die Alterssicherung und die Zukunft des Sozialstaats. Diesen Zusammenhang sehen wir.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bildung und Forschung sind eine der tragenden Säulen in der Agenda 2010. Wir wissen, dass wir auch über viele andere Dinge sprechen müssen, aber eben auch über Bildung und Forschung. Auch sie gehören Nachhaltigkeit,. Wenn Sie Nachhaltigkeit in Wahlkämpfen ansprechen - das wissen Sie auch alle -, erhalten Sie drei kurze Klatscher, mehr Aufmerksamkeit nicht. Diese unsere Politik richtet sich nicht nach Legislaturperioden. Sie wird sich in zehn oder 20 Jahren auszahlen. Das haben wir im Blick und dafür setzen sich Frau Bulmahn und diese Koalition ein. Das werden wir auch in Zukunft machen. Unabhängig davon, wie Sie daran herumkritteln: Wir sind mit der Betonung von Bildung und Forschung auf dem richtigen Pfad und werden das in konkrete Politik umsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt in Europa eine Zahl, die uns alle bewegt und über die wir jeden Tag sprechen: 3 Prozent. Diese Zahl bezieht sich auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Es gibt in Europa aber noch eine andere Zahl, die mit 3 Prozent zu tun hat: Bis zum Jahre 2010 wollen wir mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung in ganz Europa ausgeben. Diese 3 Prozent sind genauso wichtig wie die 3 Prozent des Stabilitäts- und Wachstumspakts und wir werden sie beide realisieren.

   Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Martin Mayer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Rede von Frau Bulmahn hat man sich gefragt: Wo ist denn eigentlich die Vision? Junge Menschen, die ihr zugehört haben, haben wohl gemerkt: Es gab eine Vergangenheitsbewältigung, aber keinen Blick in die Zukunft, der Menschen begeistern könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Müntefering, Sie haben hier in schönen Worten - Sie sind ja Meister in Worten und Sprüchen - dargestellt, was Sie alles machen wollen. Das Drama aber ist, dass diesen Worten keine Taten folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben doch Taten vollbracht!)

Dazu könnte man als Beispiele die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft nennen, denen Sie eine Erhöhung der Zuwendungen versprochen haben. Dieser Haushalt aber zeugt von Kürzungen und Stagnation.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Die DFG hat einen Aufwuchs! 16 Millionen! Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis!)

   Wir diskutieren heute über einen Bericht über Innovationen, der von Wissenschaftlern im Auftrag der Bundesregierung erstellt worden ist. In dem wichtigsten Teil dieses Berichts, den Aussagen zu den Perspektiven der Innovationspolitik, findet sich ein eigenartiger Satz. Ich zitiere:

Die Hinweise zu den Perspektiven für die Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik können nicht umfassend sein, denn der Untersuchungsauftrag war begrenzt.

   In welcher Weise war er denn begrenzt? Wurden bestimmte Themen zum Tabu erklärt? Es fällt jedenfalls auf, dass im Kapitel „Chemische Industrie“, die als Branche beispielhaft aufgeführt ist, kein einziges Wort über die grüne Gentechnik zu finden ist. Dabei könnte gerade die grüne Gentechnik Deutschland dazu verhelfen, im Bereich der Pharmazie - Deutschland war ja einmal die Apotheke der Welt - wieder an die Weltspitze zu gelangen. Das zu verkünden wäre visionär.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung aber macht hier Konzessionen an die rot-grünen Ökofundamentalisten und behindert die grüne Gentechnik mehr, als sie sie fördert.

   Frau Bulmahn hat hier von einer Förderung der Biowissenschaften gesprochen. Hiervon ist die grüne Gentechnik aber ausgenommen. Das ist so, als ob jemand den Motor aufheulen lässt, damit die Leute meinen, jetzt startet er richtig, er aber in Wirklichkeit die Handbremse angezogen hat. Ich finde, mit einer solchen Politik werden wir Deutschland nicht an die Spitze bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Bei den Innovationen ist die Bundesregierung immer dann auf dem Rückzug, wenn es brenzlig wird, und besonders eifrig, wenn die Schlachten geschlagen sind. Das gilt aber nicht nur für die Innovationspolitik. Als Beispiel nenne ich die rote Gentechnik. Dabei geht es darum, bestimmte Medikamente gentechnisch herzustellen. Solange es hier noch gewisse Unsicherheiten gab, haben die Grünen das mit aller Vehemenz bekämpft. Erst jetzt, da niemand mehr behaupten kann, dass diese Art der Herstellung irgendeinen Nachteil habe, und wo deutlich wird, dass die gentechnische Herstellung von Medikamenten umweltfreundlicher, energiesparender und für die Menschen verträglicher ist, sind Sie dabei und schreiben das auf Ihre Fahne.

   Beispiel Transrapid. Eine SPD-geführte Bundesregierung hat mit der Entwicklung der Magnetschwebebahn begonnen. Ein SPD-Bundeskanzler fährt nach China und lässt sich bejubeln. Als es aber darum ging, die Strecke Hamburg-Berlin, die beste Strecke auf der Welt für den Transrapid, zu bauen, sind Sie weggetreten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Ulla Burchardt (SPD): Jetzt sind Sie auch weggetreten, Herr Mayer!)

Es ist zu befürchten, dass sich dieses Trauerspiel beim Metrorapid in Nordrhein-Westfalen wiederholt.

   Ein weiteres Beispiel für die Innovationsfeindlichkeit von Rot-Grün ist die Verteufelung von allem, was mit Radioaktivität zu tun hat.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn Sie den Weg weg vom Öl wirklich ernsthaft beschreiten wollen, dann müssen Sie nicht nur die erneuerbaren Energien fördern - wir sind uns einig, dass dies nötig ist -, sondern dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass Deutschland seine Spitzenstellung in der Kernfusionsforschung behält, und diesen Weg mit uns gemeinsam gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit wir in 100 Jahren ein Ergebnis haben!)

Es ist doch bezeichnend, dass bei ITER, einem großen internationalen Projekt der Kernfusionsforschung, das uns befähigen soll, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf diesem Wege Strom zu erzeugen, niemand mehr an Deutschland denkt. Es traut sich niemand mehr, Deutschland als Standort vorzuschlagen, weil Rot-Grün diese Technik von vornherein verteufelt.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der zweiten Hälfte müssen die Probleme gelöst sein!)

Ich finde, das ist ein Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir werden im gesamten Bereich der Kerntechnik bald zum Entwicklungsland. Es wird in Deutschland bald niemand mehr geben, der kerntechnische Anlagen bauen, betreiben oder entsorgen kann.

(Beifall der Abg. Heidi Wright (SPD) - Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gut so!)

Das müsste eigentlich allen zu denken geben.

   Der Bericht der Wissenschaftler zeigt eine Reihe von weiteren Mängeln auf - das Thema Bürokratieabbau zum Beispiel ist schon angesprochen worden -, aber die Stellungnahme der Bundesregierung ist sehr dürftig. Sie besteht vielfach aus Worthülsen, so wie die Rede der Ministerin, beginnt allerdings mit einer richtigen Feststellung:

Die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands bestimmt über die Erfolge deutscher Unternehmen im internationalen Technologiewettbewerb. Sie ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und zukunftsfähige Arbeitsplätze.

Dem kann ich nur zustimmen. Aber wenn man sich im Umkehrschluss die Arbeitsplatzentwicklung in Deutschland mit dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen anschaut, kann man doch nur feststellen: Diese Bundesregierung hat in der Innovationspolitik versagt. Deshalb sage ich: Die vordringlichste Innovation, die wir in Deutschland brauchen, ist eine neue Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ebenso abhängig von seiner technologischen Leistungsfähigkeit wie Saudi-Arabien vom Ölexport. Aber im Vergleich zu Saudi-Arabien haben wir einen Vorteil: Die technologische Leistungsfähigkeit ist keine begrenzte Ressource

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Wenn Sie so weitermachen, wird sie das aber!)

und Deutschland hat ein hohes Niveau. Allerdings stehen wir unter einem hohen Wettbewerbsdruck. Das heißt, wir müssen das hohe nationale Niveau stetig ausbauen, um nicht überholt zu werden. Wir müssen das Innovationspotenzial dieser Gesellschaft weiter erschließen,

(Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Tun Sie es doch!)

um den Teufelskreis aus Konjunkturschwäche, höherer Arbeitslosigkeit, wachsenden Lohnnebenkosten und wiederum Konjunkturschwäche zu durchstoßen. Wenn wir die technologische Leistungsfähigkeit weiter erhöhen, können wir die Haushaltsmisere und die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen. Neue Arbeitsplätze werden vor allem durch neue Produkte und durch die Umsetzung von Innovationen geschaffen. Eine intelligente Vernetzung der Arbeit à la Hartz-Konzept ist wichtig, funktioniert aber nur dort, wo es auch etwas zum Verteilen gibt.

   Wir Grüne verkennen nicht die mahnenden Worte des Technologieberichtes. Zum Beispiel zeigt der Bericht, dass deutsche Hightech-Unternehmen Gefahr laufen, im internationalen Wettbewerb zurückzufallen. Schlimmer noch: Die Wirtschaft reagiert prozyklisch. 2003 ist eine Kürzung der Firmenbudgets für Forschung und Entwicklung zu erwarten.

   Ein weiteres Warnzeichen: Seit Beginn der 90er-Jahre verschlechtert sich die Zahlungsbilanz bei technologischen Dienstleistungen drastisch. Frau Flach, wir nehmen das ernst.

(Ulrike Flach (FDP): Wir auch!)

Vor zwei Jahren sind die Technologiebörsen weltweit eingebrochen. Dies ist keine nationale Schuld. Der Risikokapitalmarkt ist in diesem Zuge in Deutschland seitdem um 85 Prozent geschrumpft.

Bildlich gesprochen: Schwarz-Gelb hat das Loch in den Boden gehauen und Rot-Grün ist es noch nicht gelungen, es vollständig zu stopfen. Gegenseitige Schuldzuweisungen mögen vielleicht einige selbstzufriedene Gemüter bei Ihnen erfreuen, helfen aber dem Land nicht weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren von Union und FDP, wir dürfen nicht in Skeptizismus und Resignation verfallen, wie Sie das tun.

(Ulrike Flach (FDP): Das tun wir nicht!)

Der Bericht zeigt auch auf, dass Deutschland eine starke Forschungslandschaft aufweist, öffentlich und privat. Wir haben hier in Deutschland viele kluge Köpfe und eine sehr gute Infrastruktur. Wenn es uns gelingt, brachliegende innovative Potenziale zu erschließen, muss uns wirklich nicht bange sein.

   Wir müssen auf drei Ebenen vorgehen. Erstens. Der Staat muss aktiv handeln. Bund und Länder müssen über eigene Haushaltsanstrengungen auf das EU-Ziel hinarbeiten, 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung auszugeben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Forschungsausgaben von Staat und Wirtschaft jährlich um 5 bis 6 Prozent steigen. Dies wird unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung nur gelingen, wenn im Haushalt neue Prioritäten gesetzt werden,

(Ulrike Flach (FDP): Da sind wir gespannt!)

nicht aber, wenn man Subventionsabbau verhindert, wie Sie das immer wieder getan haben.

(Lachen der Abg. Ulrike Flach (FDP))

- Gestern erst.

(Ulrike Flach (FDP): Welche Subventionen denn?)

Berechtigterweise ist deswegen im Bericht zu lesen - ich zitiere -:

Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung sind das Letzte, was dem konjunkturellen Rotstift der Haushaltskonsolidierung zum Opfer fallen darf.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Handeln Sie danach!)

   Auch bei der Forschungsförderung selbst müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden, um Platz für neue Triebe zu schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Forschungsförderung aber ist nur das eine. Darüber hinaus muss der Staat vor allem über die neue Mittelstandsbank aktiv Innovationen fördern. Auch dies streben wir durch konkrete Maßnahmen an.

   Zweitens. Die Rahmenbedingungen insgesamt müssen so zugeschnitten werden, dass Unternehmen und Banken mehr Mittel für Technologieentwicklung bereitstellen. Unter anderem sind hierfür die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verändern.

(Ulrike Flach (FDP): Diese verschlechtern sich gerade!)

Genau dies wird derzeit zum Beispiel in Frankreich oder Großbritannien gemacht: Frankreich setzt mit seinem Innovationsplan vor allem auf steuerliche Anreize. Großbritannien lockt mit umfangreichen Steuererleichterungen und hohen Zuschüssen gezielt innovative Unternehmen auf die Insel. Bürokratieabbau, ein freundliches Einwanderungsrecht, dem Sie sich immer entgegenstellen,

(Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): So ein Unsinn! - Ulrike Flach (FDP): Wo leben Sie denn?)

Abbau von Subventionen für überkommende Strukturen sowie mehr Wettbewerb in leistungsgebundenen Märkten sind weitere Themen, die wir angehen müssen.

   An dieser Stelle möchte ich, wie bereits Herr Müntefering vor mir, mit dem Bereich der erneuerbaren Energien einen Technologiebereich hervorheben, der aufgrund guter gesetzlicher Rahmenbedingungen auch in einer schwierigen Wirtschaftslage stark expandiert und in dem Deutschland, Frau Reiche, einen echten Spitzenplatz in der Welt einnimmt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber das sehen Sie offensichtlich nicht. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat zu umfangreichen Investitionen, technologischen Sprüngen, zahlreichen neuen Arbeitsplätzen und Umsatzwachstum geführt. Von dieser Erfolgsgeschichte müssen wir auch für andere Technologiebereiche lernen, vor allem in der Frage des ökologischen Umbaus.

   Frau Flach und Herr Mayer, wir müssen jene Zukunftstechnologien fördern und in sie investieren, welche die Bürger wollen. Dazu zählt aber nicht die grüne Gentechnik. Genfood lehnen 80 Prozent der Bevölkerung ab. Was Sie fordern, sind Fehlinvestitionen in Wirtschaftsbereiche, die weiter rückläufig sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Sie haben nichts begriffen!)

- Herr Mayer, in 50 Jahren kann der Energiebedarf vollständig über die erneuerbaren Energien gedeckt werden. Es muss endlich Schluss sein mit der unendlichen Geschichte der Kernfusion, die nur Luftschlösser produziert, aber keine Umstellung der Energieproduktion bewirkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP): Das ist doch kompletter Unsinn!)

   Drittens. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Aufbruchstimmung für die Entwicklung von Innovationen. Diese Aufbruchstimmung muss parteiübergreifend von breiten gesellschaftlichen Schichten getragen werden.

(Jörg Tauss (SPD): Aber doch nicht von den Miesmachern dort drüben!)

Dabei besteht, wie ich denke, Grund zur Eile. Ich schlage daher vor, eine Task Force einzurichten, die das Ziel hat, die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands sicherzustellen und auszubauen. Diese Task Force, die nicht mit Kommissionen zu verwechseln ist, soll möglichst schnell ressortübergreifende Lösungsansätze vorlegen. Sie muss bereit sein, unkonventionelle Wege zu gehen und eng mit dem Parlament zusammenzuarbeiten.

   Rot-Grün hat, anders als die alte Regierung, Forschung, Entwicklung und Bildung wieder in den Mittelpunkt gerückt.

Auf diesem Weg werden wir weiter aktiv voranschreiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Helge Braun, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Helge Braun (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Firma wie Siemens erwirtschaftet drei Viertel ihres Umsatzes mit Produkten, die jünger als fünf Jahre sind. Ich glaube, das macht beispielhaft deutlich, wie entscheidend ständige Innovationen und Investitionen in Forschung und Entwicklung für unser Land und unsere wirtschaftliche Zukunft sind.

(Jörg Tauss (SPD): Wer regiert denn seit fünf Jahren?)

   Herr Fell, das Grundproblem zwischen uns scheint mir zu sein, dass sich Ihre Definition von Investition und Subvention offensichtlich an ideologischen Gesichtspunkten festmacht, während wir davon reden, was der Wirtschaft und der Gesellschaft in Deutschland nützt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie haben das Argument der Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben um 25 Prozent während Ihrer Regierungsphase so oft angesprochen, dass ich nicht umhin kann, doch noch einmal zu betonen, worum es hier wirklich geht: Es geht hier nicht um eine historische Betrachtung der Ausgaben in Deutschland; schließlich verändert sich die Welt rasant. Zudem sind entsprechenden Ausgaben in den USA - auch das ist angesprochen worden - in den letzten zwei Jahren um 30 Prozent gestiegen, während wir nur eine Steigerung von 6 Prozent auf die Reihe bekommen haben. Wenn man sagt, das alles habe mit der Haushaltslage und der schwierigen wirtschaftlichen Zeit zu tun, muss man gleichzeitig sehen, dass die Japaner in der gleichen Zeit eine Steigerung von immerhin 15 Prozent erreicht haben - und dieses Land befindet sich nun wirklich nicht in einer besseren wirtschaftlichen Lage als wir.

   Das alles zeigt, dass Ihre Maßnahmen, Frau Bulmahn, falsch waren, und das, was Sie in diesem Jahr getan haben, war in besonderem Maße falsch. Wir haben gestern darüber diskutiert, wie sich die Haushaltslage in Deutschland entwickelt. Es gibt ständig neue Warnzeichen. Mit welchem Recht können Sie heute eigentlich behaupten, dass Sie die Haushaltsmittel in den kommenden Jahren aufstocken werden? Es gibt doch überhaupt kein Licht am Horizont der schlechten Haushaltsentwicklung, die diese Bundesregierung zu verantworten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie reden von einer Hebelwirkung und sagen, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung uns helfen, wirtschaftliche Kraft zu entfalten. Wenn es tatsächlich so ist, dass wir mit jedem Euro, den der Staat ausgibt, die Investitionen der Industrie und der Wirtschaft befördern, dann ist es doch erst recht notwendig, dass wir in konjunkturell schwieriger Zeit eine wirklich große Anstrengung unternehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der britische Physiker Michael Faraday hat es sehr schön ausgedrückt, als er auf die Frage des englischen Finanzministers, wozu seine Erfindung zu gebrauchen sei, gesagt hat: „Sir, eines Tages werden Sie sie besteuern können.“

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Gerade angesichts der schwachen Konjunktur wäre es also richtiger gewesen, die Anstrengungen noch einmal zu intensivieren. Im Bereich der forschenden und entwickelnden Unternehmen können wir drei konjunkturelle Probleme feststellen: Erstens. Die Aufzehrung der Kapitaldecke der Unternehmen führt dazu, dass sie nicht genügend Mittel haben, um im Hinblick auf neue Produkte in Forschung und Entwicklung zu investieren. Zweitens. Die Risikokapitalgeber in Deutschland sind in wirtschaftlich schwieriger Zeit weniger als sonst bereit, jungen Unternehmen die Frühförderung zu geben, die sie benötigen, um Existenzen im FuE-Sektor zu begründen. Drittens. Die anspruchsvolle Nachfrage, die es auf dem deutschen Markt immer gab, ist zusammengebrochen. Der Run in Deutschland auf die Billigprodukte führt auch dazu, dass die Unternehmen weniger Perspektiven dafür sehen, in Deutschland anspruchsvolle Produkte zu entwickeln.

   Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002 stellt eindeutig fest, dass wir hier keineswegs nur ein konjunkturelles Problem haben. Es gibt auch zahlreiche strukturelle Probleme, die wir angehen müssen. So ist der Fachkräftemangel, den wir in Deutschland zu verzeichnen haben, bereits mehrfach angesprochen worden. Deshalb ist es nicht an der Zeit, darüber zu reden, wie wir durch Zuwanderung neue Fachkräfte nach Deutschland bekommen, sondern es ist wesentlich wichtiger, einmal zu überlegen, warum jährlich etwa 300 000 der besten Köpfe aus Deutschland flüchten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg Tauss (SPD): Das ist die Überschrift aus Ihrer Regierungszeit: Die besten Köpfe gehen!)

   Vergleicht man die Bedeutung verschiedener technologieintensiver Branchen in Deutschland - auch das ist schon angesprochen worden -, stellt man zahlreiche strukturelle Defizite fest. Deutschland ist nach wie vor gut in den traditionellen Bereichen der Automobilindustrie und des Maschinenbaus. Dies ist eine relativ solide Grundlage für unsere Zukunft. Aber wenn wir spitze sein und unser Wohlstandsniveau in Deutschland erhalten wollen, dann müssen wir uns darüber hinaus stärker auf die Spitzentechnologien und die Wachstumsmärkte der Zukunft konzentrieren. Dort sieht das Bild düsterer aus.

   Bei den FuE-intensiven Waren besteht ein Exportüberschuss. Aber bei den FuE-intensiven Dienstleistungen sieht es wesentlich schlechter aus. Während in diesem Bereich noch 1997 Waren im Wert von umgerechnet 1 Milliarde Euro in andere europäische Staaten exportiert wurden, müssen wir heute technologische Dienstleistungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro im engeren Bereich von FuE einkaufen. Das ist keine gute Entwicklung, Frau Ministerin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Branchenunterschiede zeigen sich auch bei den wissenschaftlichen Publikationen. Das gute Abschneiden Deutschlands im Science Citation Index wird wiederum in klassischen Bereichen erwirtschaftet. Am besten sind unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Bauwesen. Bei Zukunftsbereichen wie Kommunikation oder Datenverarbeitung nimmt Deutschland keinen Spitzenplatz ein. Auch da haben wir einen großen Nachholbedarf. Die Freiheit der Wissenschaft und der Unternehmen müssen wir in Deutschland zurückgewinnen, damit wir in Zukunft unseren Wohlstand halten und den Technologiestandort Deutschland verbessern können.

   Ich selber habe Forschung an der Universität Gießen betrieben. Den Zettel mit einem Zitat, der dort an einer Pinnwand hing, hätte ich gerne weggenommen. Ich möchte, dass wir uns anstrengen, Deutschland wieder zum Technologiestandort Nummer eins zu machen, damit dieses Zitat des Mathematikers und Philosophen Bertrand Russell keine Berechtigung mehr hat:

Die Wissenschaftler bemühen sich, das Unmögliche möglich zu machen. Die Politiker bemühen sich oft, das Mögliche unmöglich zu machen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Dies war die erste Rede des Kollegen Helge Braun. Unsere herzliche Gratulation!

(Beifall)

   Ich erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Swen Schulz (Spandau) (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands ist zweifelsohne nach wie vor hoch. Doch wir müssen erkennen, dass unsere Spitzenstellung kein Naturgesetz ist. Jahr für Jahr müssen wir an dem hohen Niveau der Leistungsfähigkeit arbeiten; denn die Konkurrenz schläft nicht.

   Der sehr detaillierte Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands hat im Wesentlichen drei zentrale Aussagen: Erstens. Wir haben seit Anfang der 90er-Jahre Boden verloren. Zweitens. Die seit 1999 unternommenen Anstrengungen zeigen Erfolge. Drittens. Das reicht aber noch nicht aus. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen, sondern müssen weiter voranschreiten. Auch und gerade in Zeiten der konjunkturellen Durststrecke sind Zukunftsinvestitionen von größter Bedeutung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die öffentlichen Haushalte. Es ist darum richtig, dass der Bundeskanzler ein so klares Bekenntnis zu Investitionen in die Zukunft abgelegt hat. Die Haushaltskonsolidierung ist unbestritten notwendig; denn wenn wir weiter hemmungslos auf Pump leben, werden die kommenden Generationen noch weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben als wir. Aber genau deswegen ist Sparen kein Selbstzweck. Gerade im Hinblick auf unsere Verantwortung, optimale Grundlagen für die kommenden Generationen zu schaffen, müssen wir in Bildung, Forschung und Innovation investieren. Wir müssen für die Zukunft sparen, nicht an der Zukunft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildung diesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; denn schließlich stellt das Bildungssystem das Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit dar. Ich finde es sehr schade, dass die Opposition hierzu bislang noch wenig gesagt hat. Der Bericht beschreibt insbesondere im Bereich der Hochqualifizierten einen deutlichen Mangel, der zu erheblichen Problemen führen wird, wenn wir nicht energisch gegensteuern. Positiv ist der wesentlich durch die BAföG-Reform bewirkte Anstieg der Studentenzahlen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Bachelor- und Masterstudiengänge können einen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des Hochschulbesuchs leisten.

Der von der Bundesministerin angebotene Pakt für Hochschulen ist dringend nötig, um die Studienbedingungen zu verbessern. Die Studienabbrecherquote muss gesenkt und die Studiendauer muss gekürzt werden. Die Nachwuchsarbeit ist weiter zu intensivieren. Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, sich ein internationales Profil zu erarbeiten. Dem absehbaren Fachkräftemangel muss durch die optimale Förderung der hier Geborenen, aber auch durch gezielte Zuwanderung ausländischer Akademiker entgegengewirkt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir müssen darüber hinaus unser gesamtes Bildungssystem auf die Erfordernisse der Wissenswirtschaft einstellen. Bereits in der Schule werden die Grundlagen gebildet. Die Menschen müssen die Chance erhalten, die in ihnen steckenden Potenziale zu entwickeln. Die Bundesregierung gibt bereits in Zusammenarbeit mit den Ländern wichtige Impulse für die Qualitätssteigerung der Schulbildung, etwa mit der Finanzierung von Ganztagsschulen und mit der Formulierung nationaler Bildungsstandards.

   Wir müssen vor allem eines beachten: Eine Gesellschaft, die auf die Kompetenz vieler Menschen verzichtet, weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft schlechtere Bildungschancen erhalten, ist erstens ungerecht organisiert und zweitens volkswirtschaftlich schlecht aufgestellt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Technologiebericht hat auf diesen Missstand hingewiesen. Während 72 Prozent der Kinder aus hoher sozialer Herkunft den Hochschulzugang erwerben, erreichen dies ganze 8 Prozent der Kinder aus unterer sozialer Herkunft. Darum sind Maßnahmen notwendig, um Kinder und Jugendliche aus so genannten bildungsfernen Schichten zu fördern, statt sie frühzeitig auf ein niedriges Bildungsniveau festzulegen. Die Arbeitslosen von morgen gehen heute zur Schule. Die beste Arbeitsmarktpolitik ist eine ausgezeichnete Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich hoffe, dass wir durch PISA und IGLU zu einer ernsthaften und ideologiefreien Diskussion über die Dauer der gemeinsamen Schulzeit aller Kinder und Jugendlichen kommen. Wer immer noch den gemeinsamen Unterricht gegen die Begabtenförderung ausspielen möchte, dem halte ich ein Zitat aus dem Technologiebericht entgegen:

Elitequalifikationen können nicht entstehen, wenn die frühe Förderung in der Breite versagt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Darüber hinaus müssen wir unsere Anstrengungen forcieren, den Zugang zu Hochschulbildung zu öffnen, damit diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - das Abitur nicht haben, über ihre berufliche Qualifikation in den Hochschulbereich gelangen und somit ein Spitzenniveau der Bildung erreichen können. Der Technologiebericht bescheinigt uns gerade in diesem Bereich im internationalen Vergleich eine schlechte Position.

   Angesichts der skizzierten bundespolitischen Herausforderungen habe ich kein Verständnis dafür, dass sich die CDU/CSU-Fraktion offenbar seit neustem gegen die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern ausspricht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es steht bei allen nachvollziehbaren Überlegungen zur Organisation des Föderalismus fest, dass die Bildung eine gesamtstaatliche Herausforderung darstellt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bund und Länder sind zur Zusammenarbeit angehalten. Vor allem aber sind die Kinder und Jugendliche darauf angewiesen, dass in jeder Hinsicht alles unternommen wird, um ihren Interessen gerecht zu werden. Ich halte es daher für grundsätzlich falsch, dass sich die Bundestagsfraktion der CDU/CSU faktisch aus der Gestaltung der Zukunft ausklinken will. Ich setze aber darauf, dass die diesbezüglichen Ausführungen der Kollegin Reiche vorige Woche im Fachausschuss nicht mit der Fraktion abgestimmt waren und bald korrigiert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Hoffen wir es!)

   Die Regierungskoalition hat aus der Entwicklung seit Anfang der 90er-Jahre bereits 1998 die richtigen Schlüsse gezogen und Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen. Wir alle sind jetzt aufgefordert, das Tempo zu erhöhen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Auch dies war eine erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Schulz!

(Beifall)

   Jetzt aber kommt kein jungfräulicher Redner, sondern der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber.

(Heiterkeit)

Sie haben das Wort.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):

Herr Präsident, dass Sie mir die Jungfräulichkeit absprechen, ist nicht ganz falsch. Schließlich habe ich vier tüchtige und glückliche Kinder.

   Ich freue mich, dass wir uns in den Grundsatzfragen in einer so expliziten Weise einig sind. Ich vernehme hier nur Begeisterung für Technologie. Ich begrüße es auch, Herr Müntefering, dass Sie in dieser Debatte eingestiegen sind.

Wir haben in den nächsten Jahren in der Tat in diesem Bereich noch feiste Probleme zu lösen. Mehrere Redner haben über die Entwicklung des Haushalts gesprochen. Der Haushalt des Forschungsministeriums hat sich recht gut entwickelt; Frau Bulmahn hat das mit angemessenem Stolz vorgetragen. Der Haushalt des Technologiebereichs dagegen - dieser fällt nach dem Organisationserlass des Bundeskanzlers nämlich dem Wirtschaftsministerium zu - hat in den letzten Jahren bestenfalls stagniert. Wenn man den Zuwachs für 2003 verstehen will, muss man eine komplexe Rabulistik zum BTU anwenden, um überhaupt zu begreifen, wie das Bezahlen für Flops berechnet werden soll. Das heißt also, was insgesamt im Forschungsbereich der rot-grünen Bundesregierung passiert ist, bedeutet einen Zuwachs von vielleicht 10 Prozent, ungefähr 2 Prozent im Jahr.

   Herr Müntefering, ich finde es großartig, dass Sie sagen: Wir werden den dreiprozentigen Haushaltsanteil in 2010 erreichen. - Dazu braucht es die Führungskraft des Fraktionsvorsitzenden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind hier im Wort und ich gehe davon aus, dass dies ein stetiger und entschlossener Anstieg wird. Was in der MifriFi steht - minus 2,8 Prozent für das nächste Jahr, weil die Zuwächse im Zusammenhang mit dem Verkauf der UMTS-Lizenzen auslaufen -, werden Sie kraftvoll stemmen. Sie werden Frau Bulmahn beistehen und dem Wirtschaftsminister helfen, der hier vereinsamt in der Gestalt seines Staatssekretärs auf der Regierungsbank sitzt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Frau Bulmahn hat festgestellt, die Bundesregierung habe die Weichen richtig gestellt. Das fing 1998 an. Da hat die Bundesregierung hier beschlossen, dass Technologie in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministers fällt. Was ist passiert? Der Mittelstand, die Luftfahrt und Energieindustrie sind an das Wirtschaftsministerium gegangen. Die tüchtigen Beamten, die Mittel und die Titel sind beim Wirtschaftsminister angekommen, aber die Begeisterung der Leitung für diese Themen war ungemein begrenzt. Die Leidenschaft des alten Wirtschaftsministers war gedämpft. Beim neuen Wirtschaftsminister wissen wir noch nicht, wie es ihm ums Herz ist. Ich würde es jedenfalls gern einmal erleben, dass dafür gekämpft wird. Strahlkraft ist so nicht entstanden: Die Themen sind Ihnen genommen, aber angekommen ist nichts. Wir befinden uns in einem leeren Raum.

   Liebe Frau Bulmahn, Sie sind bekannt für Ihr Engagement bei IGLU, BaföG und PISA. Aber für einen Aufbruch in die Welt der Gene, in die Welt der Computer und die Welt der Quanten haben Sie nicht gesorgt. Sie verbreiten nicht gerade eine Faszination in dieser Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist zu Recht gesagt worden: Begeisterung und Faszination machen schon die Hälfte des Erfolgs aus. Wenn nicht Leidenschaft überkommt und erkennbare Freude daran, das etwas Neues geschieht, dann sind wir alle in Schwierigkeiten.

   Sie haben hier im Einzelnen die angeblich richtigen Weichenstellungen aufgezählt. Aber offenbar ist die Botschaft nicht überall angekommen: Die Innovationsfähigkeit des Mittelstandes, die wir nun wirklich brauchen, lässt seit 1999 nach, ebenso wie die Zahl der Gründungen zurückgeht. Wir sind an allen Stellen in Schwierigkeiten. Die Steuerreform ist erst einmal verschoben worden, das betrifft die Rahmenbedingungen und nicht nur die Programme.

   Herr Müntefering, ich hoffe sehr, dass Sie zu den drei Prozent Zuwachs bei der Max-Planck-Gesellschaft im nächsten Jahr stehen. Aber dass der Zweifel hieran wächst, wenn der Mittelstand erst einmal erfahren hat, dass seine Steuerreform kurzfristig verschoben wird, das können Sie niemandem verübeln. Forschung lebt vom Vertrauen in die Rahmenbedingungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir brauchen eine dynamische Biotechnologie; die Kollegen haben darauf hingewiesen. Gleichzeitig aber ein faktisches Moratorium zu verhängen ist nicht sehr klug.

(Ulrike Flach (FDP): Ja! So ist es!)

Wir brauchen die großen Flaggschiffe der Technik. Aber den Transrapid so lange zu problematisieren, dass wir dann glücklich sein können, wenn er in China fährt, ist keine besonders faszinierende Darstellung von Zukunftsfähigkeit und Überzeugungskraft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt gute Gründe, ihn nicht zu bauen!)

   Über Kerntechnik reden wir gar nicht mehr. Wir haben die sicherste Kerntechnik der Welt und dann beschließen wir, daraus auszusteigen. Wo ist eigentlich Herr Kuhn?

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hier!)

- Ah, auf den letzten Bänken angekommen!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kuhn, ich bin etwas skeptisch gegenüber ihrer weisen Erkenntnis, dass man sich auf bestimmte Gebiete konzentrieren sollte, die der Staat in seiner Weisheit und Güte vorgibt.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Wohl wahr!)

Der Staat weiß von Zukunft gar nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Der Staat erbringt schon eine großartige Leistung, wenn er die Menschen nicht behindert. Der Staat sollte nicht die Zukunft bestimmen. Ältere Menschen erinnern sich sicherlich noch an die großartigen Energieprogramme, die die Bundesregierung seit 1973 aufgelegt hat. Damals haben Sie ein Ziel von 45 Gigawatt für die Kernenergie beschlossen. Das alles ist natürlich Unsinn gewesen, gell?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Gestaltet die Zukunft offen und lasst die Menschen das machen, wozu es sie treibt. Gebt ihnen Luft und Freiraum und sorgt für verantwortbare Rahmenbedingungen! In der damaligen Diskussion über die grüne Gentechnologie hat uns Herr Catenhusen bestätigt, dass es in Deutschland die beste Sicherheitsforschung auf der ganzen Welt gibt. Aber dann in dieser Sache ein Moratorium zu verhängen ist wirklich eine Perversion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Müntefering hat behauptet, dass wir in den schrecklichen 90er-Jahren die wichtigen Zeichen der Zukunft nicht verstanden hätten. Ich sage Ihnen: Das, was als eine moderne Forschungs- und Gründerlandschaft gepriesen worden ist, ist damals entstanden. Es sind kluge und herausragende Forschungsminister der Union gewesen,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die mit technikorientierten Programmen für die Gründung wie TOU, wie BTU und mit dem Bio-Regio-Wettbewerb eine Zukunft aufgebaut haben, die sich dynamisch entwickelt hat. Das war eine der großen Stärken.

   Ich höre mit Vergnügen, was Herr Kuhn in diesem Zusammenhang zu den Steuern sagt. Herr Kuhn, ich möchte über die Stichworte hinaus Konkretes hören. Sie müssen etwas bringen. Dann können wir diskutieren. Sprechen Sie zum Beispiel über das, was Herr Eichel an Frost über die Landschaft gelegt hat, als er die Wesentlichkeitsgrenze für Beteiligungen auf 1 Prozent reduziert hat. Damit ist die ganze Landschaft der Business Angels ins Rutschen gekommen. Sprechen Sie über die Fondsbesteuerung. Die Finanzämter können seit anderthalb Jahren keine verbindlichen Auskünfte mehr geben, weil kein Mensch weiß, was Sache ist. Da in Deutschland keine Fonds mehr gegründet werden, entsteht kein Eigenkapital und bricht unsere Forschungslandschaft zusammen.

   Frau Bulmahn, Sie haben unter anderem die ehrenvolle Aufgabe, die Forschungspolitik der Bundesregierung zu koordinieren, sie kraftvoll zu führen und mit Charme, Entschlossenheit und Nachdruck dafür zu sorgen - es geht nicht nur um Geld -, dass auch im Finanzminister die Flamme für die Zukunft Deutschlands brennt. Das wäre doch eine Aufgabe, die Ihrer Leidenschaft wert wäre.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Riesenhuber, Sie sind zwar sehr schön in Fahrt. Aber Sie reden bereits auf Kosten Ihres Nachfolgers.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):

Das dürfen Sie ihm aber nicht von der Redezeit abziehen. Sie hätten mich rechtzeitig bremsen müssen.

   Liebe Freunde, ich möchte nur noch mit guten Wünschen schließen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich wünsche der Frau Forschungsministerin, dass sie trotz ihrer reduzierten Zuständigkeiten so gut koordiniert und einen so kraftvollen Führungsstil entwickelt, dass ihr die Wissenschaft mit Begeisterung zujubelt, dass der Mittelstand in ihr seine Vertreterin findet, dass die jungen Unternehmen daran glauben, dass sie eine hervorragende Ministerin ist, und dass ihr selbst die Opposition applaudiert. Das braucht Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben noch drei Jahre Zeit, um eine Strategie zu entwickeln. Wirtschaften Sie nicht von Tag zu Tag. Machen Sie einen großen Wurf für die Zukunft. Dann werden wir die Regierungsverantwortung übernehmen und wirklich etwas daraus machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jörg Tauss (SPD):

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Riesenhuber, ich bin zwar nicht in allen Punkten Ihrer Auffassung. Aber Sie waren noch ein Forschungsminister, der damals bei den Schwarzen um seinen Etat gekämpft hat. Nach Ihnen war dann Dunkelheit. Es ist gut, dass er immer wieder aus der letzten Reihe emporsteigt, um seinen Nachfolgern die Peinlichkeit Ihrer heutigen Politik aufzuzeigen. Ich danke ihm eigentlich dafür.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sie meinen also Frau Bulmahn? Das darf doch nicht wahr sein! Er meint tatsächlich Frau Bulmahn!)

- Jetzt kriegen Sie sich doch wieder ein.

Gestern hatten wir einen parlamentarischen Abend zum nationalen Genomforschungsnetz. Von Ihnen war kaum jemand anwesend, zumindest nicht diejenigen, die heute hier geredet haben. Aber es ist auch kein Wunder, dass Sie nicht gekommen sind. Dorthin, wo Aufbruchstimmung herrscht und gesagt wird: „Wir sind auf dem richtigen Weg“, gehen Sie nicht, weil das nicht in Ihr Konzept passt, weil Sie die Situation in unserem Lande mies machen. Diese Wahrheit müssen Sie sich sagen lassen.

(Beifall bei der SPD)

   Frau Flach, es ist einfach die Unwahrheit, wenn Sie erzählen, wir seien nicht in der Lage, international mitzuhalten. Das ist Ausdruck von Krawallopposition, aber nicht Ausdruck der Realität in diesem Lande.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich zitiere aus dem Bericht:

Die technologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist ... hoch.

Das ist der erste Satz des Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit.

Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nehmen zahlenmäßig überdurchschnittlich ... zu ...

Das findet sich auf der ersten Seite des Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.

(Ulrike Flach (FDP): Davon haben wir doch geredet!)

Seite 2: Pro Kopf sind wir in wissenschafts- und forschungsintensiven Dienstleistungen vorn.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, da oben auf der Tribüne sitzen junge Menschen, für die wir im Moment in allen Forschungseinrichtungen Schülerlabore einrichten. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen und uns zu beschimpfen; aber hören Sie doch auf, die Öffentlichkeit und die Wissenschaft in dieser Form zu beschimpfen. Sie haben es nicht verdient. Sie schmälern deren Leistungen, die sie in diesem Land erbringen. Mit dieser Form von Krawallopposition fügen Sie Deutschland Schaden zu; das muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Polemik richtet sich ein Stück weit gegen Sie selbst. Frau Reiche, Sie haben gesagt: Andere Länder sind dynamischer. Natürlich, auch dies steht im Technologiebericht: Erfreuliche Kursänderungen der letzten Jahre konnten die Versäumnisse der Vergangenheit noch nicht voll ausbügeln. - An dieser Stelle ist nicht von den letzten fünf Jahren die Rede, sondern von Ihrer Regierungszeit, Herr Riesenhuber, von der Zeit, in der bei Bildung und Forschung gekürzt worden ist und in der Sie diesen Etat als Steinbruch benutzt haben.

(Beifall der Abg. Nicolette Kressl (SPD))

   Herr Riesenhuber, ich finde es nett, über Informations- und Kommunikationstechnologie zu reden; Sie wissen, das ist unser gemeinsames Hobby. Allerdings gab es zu Ihrer Zeit im Bundestag noch keinen Zugang zum Internet; im Bundeskanzleramt fanden wir damals Rohrpost statt Internet vor.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern sollten Sie nicht so tun, als ob Sie an dieser Stelle die Erfinder der technologischen Bewegung wären.

   Allerdings haben wir auch Probleme. Ich bin Ihnen dankbar, dass einige von Ihnen zumindest an dieser Stelle einmal auf die realen Punkte hingewiesen haben. Aus dem Technologiebericht geht deutlich hervor:

Deutschland hat keine andere Chance auf hohe Einkommen bei hohem Beschäftigungsstand, als weiterhin intensiv in Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie zu investieren.

Das ist der richtige Kernsatz aus dem Bericht: Wir haben keine andere Chance, als diese Investitionen auch weiterhin vorzunehmen.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grund sagen wir auch: Wir sind auf dem richtigen Weg. Aus diesem Grund kämpfen wir um unseren Haushalt. Aus diesem Grund hat es uns wehgetan, im Jahr 2003 nicht an die Maßnahmen anknüpfen zu können, die wir in den vier Jahren zuvor umgesetzt haben. Das ist auch der Grund, warum der Bundeskanzler am 14. März hier gesagt hat: In den nächsten Jahren werden wir bei den Wissenschaftsorganisationen wieder für Aufwuchs sorgen. Dieses Signal brauchen wir.

(Ulrike Flach (FDP): Aber Sie haben es noch nicht getan! - Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Leere Worte!)

   In diesem Zusammenhang bitte ich Sie, dies zu würdigen und nicht in dieser Form wahrheitswidrig zu konterkarieren, Herr Kollege Mayer. Sie haben behauptet, die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft seien gekürzt worden. Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Mayer: Sie sind älter als 15; PISA-Aufgabenstellungen dürften bei Ihnen nicht mehr zu wesentlichen Problemen führen. Aber Zahlen müsste man lesen können; man müsste rechnen können. - Sie da hinten von der CDU/CSU können die „Bild“-Zeitung lesen, aber rechnen können Sie nicht. - Herr Professor Winnacker hat sich ausdrücklich bei uns dafür bedankt, dass wir trotz der schwierigen Haushaltslage in diesem Jahr für die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Aufwuchs verzeichnen.

(Unruhe bei der CDU/CSU)

Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit haben wir seit 1998 die Mittel um 16 Prozent erhöht und in diesem Jahr einen Aufwuchs von 2,5 Prozent erzielt. Das ist konkrete Nachwuchsförderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, denn hiervon profitieren insbesondere junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

(Beifall bei der SPD)

   In Bezug auf die Zukunft haben wir große Fortschritte erzielt, Herr Kollege Riesenhuber. Die Genomforschung habe ich vorhin angesprochen; darüber hinaus nenne ich die Stichworte Nanotechnologie, Mikrotechnologie, I-und-K-Technologie, also die optischen und elektronischen Technologien. Alle diese Fakten liegen auf dem Tisch.

Sie haben Recht: In den letzten Jahren sind besonders in den F-und-E-intensiven Bereichen Arbeitsplätze entstanden. Ich betone es noch einmal: Diese Arbeitsplatzzuwächse in Deutschland sind in den letzten Jahren entstanden. Es sind zu wenige Arbeitsplätze entstanden; anderenfalls wäre die Arbeitslosigkeit heute nicht so hoch. Es steht völlig außer Frage, dass zu wenige Arbeitsplätze entstanden sind; aber der Zuwachs an Arbeitsplätzen entstand ausschließlich in den F-und-E-intensiven Bereichen. Aus diesem Grund hat Franz Müntefering völlig Recht, wenn er auf den Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt hinweist. Wir als Fraktion begrüßen daher den Vorschlag unseres Fraktionsvorsitzenden, eine Task-Force einzurichten, außerordentlich. Das wäre - auch im Rahmen der Agenda 2010 - ein Weg, der uns dazu berechtigt, zu sagen: Hierdurch werden weitere Verbesserungen, auch auf dem Arbeitsmarkt, geschaffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Eines ist klar: Die technologische Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft hängt davon ab, inwieweit es ihr gelingt, Potenziale in Wachstum und Beschäftigung umzusetzen und den innovativen Strukturwandel zu forcieren. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer, wo es - trotz aller Probleme, die es dort gibt - an den Orten insgesamt weniger Probleme gibt, wo wir es geschafft haben, für die Ansiedlung von Wissenschaftseinrichtungen, für die Ansiedlung von innovativen Unternehmen zu sorgen und Cluster in unterschiedlichen Bereichen zu installieren, beispielsweise in der Region Halle/Leipzig und anderswo. Darin liegt die Chance für die Zukunft, die wir nutzen müssen, im Westen wie im Osten.

   Meine herzliche Bitte an Sie lautet: Begleiten Sie diesen Weg! Hören Sie auf, diesen Weg mit Unwahrheiten zu diskreditieren! Begleiten Sie diesen Weg mit konkreten Vorschlägen! Begleiten Sie diesen Weg im Interesse unseres Landes und der Zukunft seiner jungen Generation! Um diese Generation geht es, nicht um Ihre Krawallopposition. Es geht um die Zukunft unseres Landes und um die Zukunft der jungen Menschen, die auf der Besuchertribüne heute in großer Zahl anwesend sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Nun hat Kollege Michael Kretschmer, CDU/CSU, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Tauss, wir probieren es zum Ende dieser Debatte noch einmal mit etwas Inhalt

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg Tauss (SPD): Ich habe mich sehr drum bemüht! Das ist wahr!)

und mit etwas konkreteren Sätzen.

   Sie haben die neuen Bundesländer angesprochen. Ich möchte darauf gern eingehen. Die Wissenschaftsinfrastruktur in den neuen Bundesländern kann sich mittlerweile sehen lassen. Sie ist in vielen Bereichen Weltspitze; in anderen Bereichen ist sie auf dem Weg dorthin.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

   Es gibt in den neuen Bundesländern aber auch große Unterschiede zu den alten Bundesländern. Auch das zeigt der Bericht in eindringlicher Weise. Ich möchte kurz darauf eingehen. Das größte Innovationshemmnis ist nach wie vor die Kleinteiligkeit der Unternehmenslandschaft. Während in Deutschland auf 100 000 Einwohner im Schnitt 376 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1 Million Euro kommen, so sind es in den neuen Bundesländern gut 100 Firmen weniger, nämlich 270. Die F- und -E-Aufwendungen in den neuen Bundesländern entfallen zu mehr als zwei Dritteln auf kleine und mittlere Unternehmen. In Westdeutschland hingegen tragen Großunternehmen mit über 500 Beschäftigten 85 Prozent aller F- und -E-Aufwendungen.

   Die ostdeutschen Unternehmen haben in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht. Sie haben in den vergangenen Jahren den Export von forschungsintensiven Gütern um jährlich 30 Prozent steigern können. Das geschah aber auf einem sehr niedrigen Niveau. Laut dem vorliegenden Bericht sind im Jahr 2001 lediglich 4,5 Prozent aller in Deutschland produzierten F- und -E-intensiven Waren in den neuen Bundesländern hergestellt worden. Dort muss unsere Politik ansetzen: Wir brauchen in größerer Zahl Unternehmen, die forschungsintensive Produkte herstellen. Nur diese Unternehmen - auch das steht in dem Bericht - wachsen statistisch schneller, sie sind resistenter gegen Konjunkturdellen und sie garantieren in der Regel höhere Einkommen.

   Wir wollen die Förderprogramme „Regionale Wachstumskerne“ und „Inno-Regio“ weiterentwickeln. Sie haben - das ist unbestritten - in den neuen Bundesländern positive Wirkungen. Bedauerlich ist - man muss es der Vollständigkeit halber einfach sagen - der riesige bürokratische Aufwand, der dort nach wie vor herrscht. Es gibt beispielsweise ein Netzwerk, in dem 126 Beteiligte gebraucht werden, um zwölf Projekte mit 64 Einzelverträgen zu managen. Das ist weder innovativ noch der Sache angemessen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir möchten für die neuen Bundesländer drei Dinge konkret ansprechen:

   Erstens. Wir müssen es schaffen, den Innovationsprozess erfolgreicher Unternehmen auch nach Auslaufen der Förderung weiter zu begleiten.

   Zweitens. Wir wollen den Aufbau weiterer Netzwerke und wir möchten, dass Netzwerke, die derzeit erfolgreich arbeiten, weiteren finanziellen Spielraum erhalten. Das muss möglich sein, weil nach Informationen Ihres Ministeriums die Zuwachsraten bei den Inno-Regio-Projekten nicht so groß sind und der Mittelabfluss gehemmt ist und deswegen finanzielle Ressourcen vorhanden sind.

Drittens - ich komme zum Schluss -: Wir möchten die neuen Bundesländer mit Großforschungseinrichtungen und Centers of Excellence stärker fördern. Wir brauchen auch externe Impulse für mehr Wachstum. Das endogene Potenzial, das jetzt vorhanden ist, reicht nicht aus, um den Wirtschaftsaufschwung in Gang zu setzen und die neuen Bundesländer tatsächlich voranzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/788 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dietrich Austermann, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Strikte Einhaltung des geltenden Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes

- Drucksache 15/541 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Entschließung des Europäischen Parlaments zu der jährlichen Bewertung der Durchführung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme (Art. 99 Abs. 4 EG-Vertrag) (2002/2016 (INI))

- Drucksachen 15/345 Nr. 34, 15/737 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Fahrenschon
Kerstin Andreae

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Tagesordnungpunkt geht es um die Frage: Wie halten wir es mit den Stabilitätskriterien? Zur Diskussion stehen ein Antrag meiner Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, und eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses. Zwischen diesen beiden Papieren besteht ein entscheidender Unterschied. Während sich Vertreter der Bundesregierung, beginnend beim Bundeskanzler, und Vertreter der Regierungsfraktionen seit Monaten auch in der Öffentlichkeit intensiv mit der Frage beschäftigen: „Wie können wir die Stabilitätskriterien vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage ein bisschen aufweichen?“, ist unsere Position, die in dem Antrag auch ganz klar zum Ausdruck kommt: Wir sind dafür, dass die Stabilitätskriterien auch und gerade in einer schwierigen Zeit konsequent eingehalten werden.

   Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass es die frühere CDU/CSU-FDP-Regierung war, die sich dafür eingesetzt hat, dass es zu dem Stabilitäts- und Wachstumspakt kam. Wenn wir nach dem Hintergrund fragen, dann führt uns das in die Jahre 1997 und 1998 zurück, als wir uns - viele erinnern sich - intensiv über die Einführung des Euros unterhalten haben. Die Einführung des Euros war in Deutschland nicht unumstritten und sie ist es auch heute nicht. Wir sind uns hier im Hause sicherlich darüber einig, dass die Einführung des Euros ein ganz wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Schritt auf dem Wege zur europäischen Integration war; denn er hat die europäische Integration unumkehrbar gemacht.

   Natürlich gab es Vorbehalte in der deutschen Bevölkerung. Jeder, der damals für den Euro eingetreten ist - so auch ich -, hörte die Vorbehalte der Bevölkerung. Es wurde gesagt: Wir geben die stabile D-Mark auf und wir machen eine Union mit Ländern wie Spanien, Italien, Frankreich und Portugal, die das Thema Preisstabilität nicht so ernst nehmen wie wir in Deutschland. - Wir haben letztlich die Zustimmung auch der Fachwelt in Deutschland für den Euro nur bekommen, weil wir gesagt haben: Den Euro darf nur einführen, wer sehr strenge Kriterien erfüllt.

   Dann wurde in der Diskussion gesagt - Sie erinnern sich -: Diese Länder werden sich Mühe geben, um die Kriterien einmal zu erfüllen, aber wenn sie den Euro erst haben, dann beginnt sozusagen wieder der alte Trott. - Deshalb ist im Stabilitäts- und Wachstumspakt sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden: Wer den Euro eingeführt hat, muss auch auf Dauer bestimmte Kriterien erfüllen. Das gilt vor allem für die 3-Prozent-Nettoneuverschuldung, aber das gilt natürlich auch für die 60 Prozent Gesamtverschuldung bezogen auf das Bruttosozialprodukt.

Jetzt zur Realität, meine Damen und Herren. Die Realität ist, dass Deutschland 2001 mit 2,8 Prozent schon ganz dicht an die 3-Prozent-Grenze gekommen ist. Die Realität ist - ich will heute nicht die Schlachten von gestern wieder führen -, dass wir im Jahre 2002 das Ziel nicht knapp, sondern mit 3,6 Prozent Nettoneuverschuldung um 20 Prozent verfehlt haben. Seit wenigen Tagen muss wohl jeder zur Kenntnis nehmen, Herr Minister - wir sagen es seit Monaten, jetzt sagt es aber auch die EU -: Auch in diesem Jahr werden wir wohl aller Wahrscheinlichkeit nach das 3-Prozent-Kriterium wieder verfehlen. Die EU spricht von 3,4 Prozent, ich selber befürchte - ich könnte das begründen, aber dafür reicht die Zeit nicht aus -, es werden mindestens 3,6 Prozent Nettoneuverschuldung.

   Jetzt kommen wir natürlich in eine schwierige Position: Wer auf europäischer Ebene strikt die Einhaltung der Kriterien fordert, der muss natürlich erst einmal zu Hause seine Schularbeiten machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit sind wir bei der aktuellen Situation: Wir stellen nämlich fest, dass wir in den beiden entscheidenden volkswirtschaftlichen Größen, Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit, dabei sind, zum Schlusslicht bzw. zum Spitzenreiter in Europa zu werden.

   Sie, Herr Minister, werden eine Argumentation vertreten - ich glaube, Sie stehen auf der Rednerliste -, die ich schon im Vorhinein als unredlich bezeichne. Sie werden sich hier wieder hinstellen und sagen: Wir leben in einer globalisierten Welt; unsere Probleme hängen mit dem 11. September und der schwierigen Lage der Weltwirtschaft zusammen. Dazu sage ich ganz deutlich: Natürlich hat die weltwirtschaftliche Lage Einfluss auf die Situation in Deutschland. Wer das leugnet, nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis. Aber wir müssen uns doch mit der Frage beschäftigen: Warum werden alle anderen Länder in Europa mit eben diesen Rahmenbedingungen deutlich besser fertig als wir?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schauen Sie einmal in die Presseerklärung der EU-Kommission von vorgestern hinein, in der von einem Wirtschaftswachstum in Deutschland von 0,4 Prozent und im EU-Raum vom Drei- bis Vierfachen ausgegangen wird. Es stellt sich doch die Frage, warum im letzten Jahr die Italiener, die Spanier und die Engländer ein drei- bis viermal so hohes Wachstum wie wir gehabt haben.

   Bezüglich der Arbeitslosenzahlen ist festzustellen, dass wir im Jahre 2001 erstmalig über der durchschnittlichen Quote in Europa lagen. Wir sind Gott sei Dank noch nicht Spitzenreiter, aber bei uns lag die Quote erstmalig höher als der Durchschnitt. Ich habe mir nun die Zahlen für das Jahr 2002 angeschaut; danach liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland zum zweiten Mal über dem EU-Durchschnitt. Wenn ich mir vor Augen führe, dass wir im März ein paar Hunderttausend mehr Arbeitslose als im März des Vorjahres hatten, dann habe ich die Befürchtung, dass wir in diesem Jahr einen der schlechtesten Plätze bezüglich der Arbeitslosenquote in Europa einnehmen werden.

   Deshalb stelle ich fest, meine Damen und Herren: Natürlich kann nur derjenige für die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien in Europa eintreten, der seine Schularbeiten zu Hause macht. Solange wir Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum sind - jetzt zum dritten Male -, Spitzenreiter bei der Neuverschuldung sind und die Arbeitslosigkeit bei uns im europäischen Vergleich eine Spitzenposition einnimmt, so lange müssen wir uns vorhalten lassen, dass wir unsere Schularbeiten nicht gemacht haben.

   Nun komme ich zu möglichen Ursachen: Im Sachverständigengutachten des entsprechenden EU-Papiers steht, in Deutschland sind grundlegende Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Sozialversicherungen notwendig. - Wenn wir diese nicht einleiten, bleibt die Situation so, wie sie jetzt ist. Sie machen den Fehler, auf zurückgehende Einnahmen mit neuen Steuern zu reagieren. Wir haben darüber diskutiert, Sie hatten 41 vorgeschlagen. Wir haben Sie davor bewahrt, dass diese Vorschläge Gesetzeskraft erhielten, denn die Sachverständigen haben gesagt, wenn das Gesetz geworden wäre, würde die Wirtschaft noch einmal um 0,5 Prozent weniger wachsen. Wir haben Sie davor, wie gesagt, bewahrt. Heute Nacht sind, wie ich gehört habe, ganz vernünftige Ergebnisse im Vermittlungsausschuss erzielt worden. Die meisten Ihrer Vorschläge haben sich damit Gott sei Dank erledigt. Das ist etwas Positives für die weitere Entwicklung in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Abschließend, meine Damen und Herren, halte ich fest: Wir als Deutsche sollten uns nicht an einer Diskussion in Europa über die Aufweichung der Kriterien beteiligen. Wir sollten vielmehr dafür eintreten, dass sie strikt angewandt werden, denn wir waren die Väter dieser Kriterien. Wir sollten unsere Schularbeiten machen, indem wir grundlegende Reformen umsetzen.

   Ich sage von dieser Stelle: Wir sind bereit - die Union hat es schon bewiesen -, auf diesem Wege im Interesse der deutschen Volkswirtschaft mitzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Bundesminister Hans Eichel das Wort.

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es niedlich, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, wie Sie mit der Rednerreihenfolge spielen. Ich unterstelle, dass Sie, verehrter Herr Kollege Merz, wenigstens in der heutigen Debatte reden,

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Lassen Sie das unsere Sorge sein! Unsere Rednerliste machen wir immer noch selbst!)

nachdem wir von Ihnen die ganze Zeit, als es um das Steuervergünstigungsabbaugesetz ging, überhaupt nichts mehr gehört haben, wie überhaupt bei der Opposition an dieser Stelle ein völliges Durcheinander festzustellen war.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU)

   Ich sage das, weil das unmittelbar mit dem zu tun hat, was Sie, Herr Kollege Bernhardt, eben angesprochen haben. Sie haben völlig richtig angefangen, indem Sie wörtlich formuliert haben: „Wie halten wir es mit den Stabilitätskriterien?“ Sie haben offenkundig Ihre eigene Fraktion gemeint.

(Otto Bernhardt (CDU/CSU): Deutschland!)

- Das ist auch sehr schön. - Aber zunächst einmal muss man sich doch mit Ihnen beschäftigen. Es ist festzustellen, dass Sie sich nun zum Verteidiger des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufschwingen. Das finde ich gut. Wenn wir an diesem Punkt wieder zusammenkämen, wäre das ein großer Gewinn.

   Nur, verehrter Herr Kollege Bernhardt, ich erinnere an Folgendes. Richtig, es war Theo Waigel, der den Stabilitäts- und Wachstumspakt gewollt hat. Aber wo war denn die Finanzpolitik dazu? Die Situation, die Sie uns 1998 hinterlassen haben, war so, dass wir 80 Milliarden neue Schulden hätten machen müssen, wenn wir nicht sofort und intensiv eingegriffen hätten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, Sie formulieren auf der einen Seite einen Anspruch, den Sie aber auf der anderen Seite nicht erfüllen.

   Was war denn im vergangenen Jahr? Wenn ich mich recht erinnere, war Ihr gesamtes Wahlprogramm ein einziges Versprechen mit der Konsequenz eines Bruchs der europäischen Stabilitätskriterien, Herr Kollege Bernhardt. Nichts von alledem hätte jemals umgesetzt werden können.

   Was war denn im vergangenen Sommer Ihr Vorschlag, als wir bezüglich des Wiederaufbaus in den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten gesagt haben, wir könnten uns keine neuen Schulden leisten, das müsse solide finanziert werden?

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wer hat denn eigentlich den blauen Brief bekommen? Der Täter beschimpft die Opposition!)

Wo stünden wir hinsichtlich der Stabilitätskriterien denn heute, wenn wir Ihnen gefolgt wären?

(Beifall der Abg. Uta Zapf (SPD))

   Und so geht es weiter, wenn ich an die Verabschiedung des Haushalts dieses Jahres denke. Von Ihrer Seite waren keine Einsparungen geplant, sondern Sie haben 2 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben vorgeschlagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Doppelstrategie hat sich heute Nacht fortgesetzt. Deswegen finde ich es sehr mutig, dass Sie sich nach dem Vermittlungsergebnis hier hinstellen und sagen, wir müssten den Stabilitätspakt einhalten und insbesondere all das, was der Ecofin-Rat, der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU, Deutschland empfohlen hat, auch umsetzen. Hätten Sie sich selbst heute Nacht oder schon eher an die Empfehlungen gehalten, verehrter Herr Kollege Bernhardt, dann stünden wir nun anders da.

(Beifall bei der SPD)

   Denn, meine Damen und Herren, wir wollen doch festhalten, dass der Rat vor dem Hintergrund der Annahme - damals übrigens noch gemeinsam mit der Europäischen Kommission - von 1,5 Prozent Wachstum empfohlen hat, dass alles, was wir im Herbst vorgeschlagen haben, auch umgesetzt werden muss. Dazu gehört auch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen. So leicht können Sie sich da nicht herausschleichen. Heute Morgen tritt der Brandstifter von heute Nacht als Biedermann auf.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Oh!)

Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Man konnte in diesem Zusammenhang eine spannende Beobachtung machen, die übrigens sehr viel mehr mit Ihrem innerparteilichen Stellungskrieg zu tun hat als mit der Finanzpolitik dieses Landes. Man konnte sehen, dass die Finanzpolitiker in den Ländern eine gänzlich andere Position bezogen haben als zum Beispiel die Finanzpolitiker in Ihrer Bundestagsfraktion, soweit sie sichtbar waren, zum Beispiel Herr Meister. Von dem Paket, das vorgesehen war, sollen im Entstehungsjahr gerade einmal 30 Prozent umgesetzt werden. Das ist für die Zukunft ein dickes Problem.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Außer Steuererhöhungen fällt Ihnen doch nichts mehr ein!)

   Aber auch für dieses Jahr entsteht ein dickes Problem. Wo ist denn Ihr Bemühen um die Kommunalfinanzen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ilse Aigner (CDU/CSU): Sie regieren doch!)

Von 6,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen für die Kommunen bleiben gerade 600 Millionen Euro übrig. Das müssen Sie Frau Roth einmal erklären. Die Länder sind verantwortlich dafür, dass die Kommunalfinanzen in Ordnung sind; denn die Kommunalfinanzen sind nach unserer Verfassungsordnung Bestandteil der Länderfinanzen. Wo ist denn die Verantwortung, insbesondere Ihrer Länder, für die Finanzen der Kommunen und für die Investitionsfähigkeit der Kommunen in diesem Lande?

   Wenn man genauer hinsieht, kann man sagen: Sie nähern sich der Wirklichkeit sozusagen portionsweise. Nach dem 2. Februar brauchten Sie zwei Monate, um dahin zu kommen, dass wir uns auf Mehreinnahmen in Höhe von 4,4 Milliarden Euro im Bereich der Unternehmensbesteuerung - dazu gehört übrigens nicht nur die Körperschaftsteuer - einigen konnten.

   Sehen wir uns einmal die Resolution an, die die Herren Kollegen Steinbrück und Koch gemeinsam eingebracht haben. Heute Nacht haben Sie sich diese Resolution nicht mehr zu Eigen gemacht. Aber in der Debatte morgen wollen Sie sich - so ist es heute Nacht verabredet worden; darauf bin ich schon außerordentlich gespannt - darauf beziehen. Dann sieht die Welt wieder ein bisschen anders aus. Nach und nach schließen Sie sich meinen Vorschlägen an. Sie brauchen nur länger, bis Sie dahin kommen.

   Folgender Punkt ist besonders interessant. Zwischen Herrn Koch und Herrn Steinbrück wurde verabredet, die Subventionen in drei Jahren um 10 Prozent zu kürzen. Angesichts der Tatsache, dass wir die Finanzhilfen von 1998 bis 2003 um über 30 Prozent gekürzt haben, nämlich von 11,4 auf 7,8 Milliarden Euro, ist dies kein sehr ehrgeiziges Vorhaben. An dieser Stelle werden Sie mehr leisten müssen.

   Sie reden immer davon, die Subventionen müssten herunter. Im Subventionsbericht der Regierung Kohl sind die Eigenheimzulage und die ermäßigten Mehrwertsteuersätze als Subventionen geführt. Genau diese Punkte waren Gegenstand des Gesetzes, das wir vorgelegt haben. Was ist Ihr Vorschlag? Sie können nicht von genereller Subventionskürzung reden, wenn jedesmal, wenn es darauf ankommt, von Ihrer Seite Blockade betrieben wird.

   Sie, Herr Kollege Bernhardt, reden davon, die Systeme der sozialen Sicherung reformieren zu wollen. Aber heute Nacht konnte nur ein dürftiger Kompromiss geschlossen werden, weil Sie nicht bereit sind, mehr zu tun und Nein zu den Wünschen der Lobbyisten zu sagen. Das ist die Lage, in der wir uns heute befinden: Sie verniedlichen die gesamte Situation.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie uns nicht abstrakt über den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt reden, sondern ganz konkret ansprechen, wer was dafür tut, damit wir unseren Verpflichtungen nachkommen. Ob es der Haushalt, die Steuergesetze oder der Subventionsabbau sind: Jedes Mal bleiben Sie hinter den Notwendigkeiten zurück. Sie sind, gemessen an Ihren eigenen Kriterien, nicht in der Lage, die Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen, auch nur halbwegs zu erfüllen.

   Sehr verehrter Herr Kollege Bernhardt, ich sage noch einmal: Ich begrüße, dass es in dieser Nacht überhaupt zu Bewegungen gekommen ist. Aber die Resolution, die eine Protokollerklärung der Bundesregierung wird, auf die Sie sich beziehen wollen, haben Sie einfach beiseite geschoben, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie und insbesondere die Länder nicht über diesen Sommer kommen werden, wenn Sie auf der Linie verharren, die Sie bisher eingeschlagen haben.

   Wir wollen unsere Verpflichtungen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfüllen. Wir hätten es ein Stück leichter, wenn Sie uns damals einen anderen Bundeshaushalt hinterlassen hätten. Die Defizite müssen wir nun aufarbeiten. Ich will meinen Blick aber nicht in die Vergangenheit richten, da es wenig Sinn macht. Herr Kollege Bernhardt, es kommt jetzt darauf an, dass Sie Ihrer Verantwortung für die Länderhaushalte und für die Kommunalhaushalte, die Ihre Partei zumindest im Bundesrat hat - Sie stellen dort die Mehrheit -, gerecht werden. Wir werden alles auf den Prüfstand stellen müssen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

   Ich bin den Ländern entgegengekommen, indem ich gesagt habe: Ab dem Jahr 2004 - das war der Wunsch der Länder - darf der Anteil des Bundes am dann noch zulässigen Defizit 45 Prozent und jener der Länder und Kommunen 55 Prozent betragen. Dann müssen Sie für die 55 Prozent aber auch die Verantwortung übernehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie dürfen nicht einfach nur erklären, dass Ihnen nicht passt, was wir vorlegen, wenn Sie auf der anderen Seite keine Vorschläge machen, wie man im gleichen Umfang einsparen kann. Wo ist denn das Sparpaket der Länder, das Herr Stoiber Anfang dieses Jahres für alle B-Länder - so habe ich es damals verstanden - angekündigt hat?

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das sagen wir Ihnen nachher!)

Davon ist bis heute absolut nichts zu sehen. Ich kann es ja verstehen. In Bayern stehen Landtagswahlen vor der Tür. Da fällt es Ihnen natürlich besonders schwer, das einzuhalten, was Sie vorher versprochen haben. Auch das gehört zur Realität.

   Ich begrüße, dass die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg Beschlüsse gefasst hat, die sich mit der Besoldung im öffentlichen Dienst beschäftigen. Da werden viele andere nachziehen müssen. Aber ich sage noch einmal: Für 55 Prozent des dann zulässigen Defizits der Länder und Kommunen haben die Länder die Verantwortung. Bisher vermisse ich auch nur einen ansatzweise zureichenden Beitrag von Ihrer Seite. So kann es nicht weitergehen.

Natürlich haben Sie Recht, dass wir eine riesige Reformagenda vor uns haben. Der Bundeskanzler hat sie hier schon vorgestellt. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten. Heute Nacht haben wir eine erste Kostprobe Ihres Verhaltens nicht nur hinsichtlich der Steuern, sondern auch hinsichtlich der Systeme der sozialen Sicherung bekommen. Jedes Mal, wenn es darauf ankommt, weichen Sie notwendigen, aber unangenehmen Entscheidungen aus. Damit werden wir die Zukunft nicht gewinnen. Ich prophezeie Ihnen, dass wir vor dem Hintergrund genau der Aufgaben, die vor uns liegen - niemand weiß genau, wie die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes im Laufe des Sommers verläuft -;

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Ach ja!)

vor sehr schwerwiegenden Entscheidungen stehen werden. Die nächste Frage wird sich ergeben, wenn uns die Mai-Steuerschätzung vorliegt;

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Es wird auf jeden Fall schlechter, als Sie bereit sind zuzugeben!)

die Frage nämlich, welche Korrekturnotwendigkeiten sich daraus ergeben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nachtragshaushalt!)

Darüber möchte ich heute nicht philosophieren, weil es keinen Zweck hat, jeden Tag neue Daten in die Welt zu setzen, und weil auch Ihre Fachleute sich in diesem Punkt schon gewaltig und in kurzer Zeit geirrt haben.

   Also verlassen wir uns wie jeder seriöse Finanzpolitiker und genau so, wie dies auch der Kollege Faltlhauser macht, auf die Daten, die uns mit der Mai-Steuerschätzung und der November-Steuerschätzung vorgelegt werden. Aber dann, sehr verehrter Kollege Bernhardt, wird es nicht reichen, bei dem, was Sie heute Nacht getan haben, stehen zu bleiben. Sie werden im Laufe des Sommers zu ganz grundlegenden Veränderungen ihrer Position kommen müssen, weil Sie, jedenfalls über die Landesregierungen, in großem Umfang Mitverantwortung für die Entwicklung dieses Landes tragen. Das verlangt wesentlich mehr, als Sie heute Nacht an Einsicht gezeigt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Frau Präsidentin, Sie müssen den nächsten Redner aufrufen!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

- Entschuldigung. - Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt, FDP-Fraktion.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Eichel, Sie haben sich eben darüber ausgelassen, dass Sie Probleme haben, Ihren Haushalt auf die Reihe zu bekommen, und dass seine Deckung nicht stimmt. Sie haben so getan, als ob die Opposition schuld daran ist, dass das nicht klappt. Aber das ist ja nun Ihre Aufgabe.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die rot-grüne Koalition hat die Finanzpolitik ja immer als eine Monstranz vor sich hergetragen. Sie war die große Erfolgsstory. Das ist sie aber nicht mehr. Wenn Sie Ihre Rede schon so anlegen, fordere ich Sie auf, die Dinge, die zu dieser Misere geführt haben, doch einmal beim Namen zu nennen. Aber unterlassen Sie Ihre ständigen Ausflüchte, die Sie auch eben wieder angeführt haben. Am Anfang war also die riesengroße Schuldensumme, die Sie übernommen haben, schuld.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja auch so!)

Dann waren es die Folgen des 11. September 2001. Nun ist es die Unsicherheit im Irak. Diese Unsicherheit auf den Märkten gibt es ja, Herr Eichel.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber auch schon länger!)

Aber ich würde mir langsam einmal andere Erklärungen für die konjunkturellen Misere einfallen lassen

(Beifall der Abg. Ilse Aigner (CDU/CSU))

und in der öffentlichen Argumentation nicht die ständige Überfrachtung bezüglich der Unsicherheit vornehmen. Es geht um Fakten.

   Der Kern des Übels, meine Damen und Herren, besteht nämlich darin, dass sich unser Land und insbesondere die Wirtschaft in einer Vertrauenskrise befinden. Die Verbraucher sind verunsichert. Die Investoren investieren nicht mehr. Deutschland ist gegenüber seinen Partnerländern zurückgefallen. Deutschland ist Schlusslicht. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass wir in diesem Jahr zum zweiten Mal hintereinander die Verschuldungskriterien von Maastricht nicht einhalten werden.

   Dies, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis einer falschen Politik,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

einer Politik fehlerhafter Prognosen, gebrochener Versprechungen, hektischer Ankündigungen und kleinkarierter Rückzieher, ungerechter und schwer verständlicher Steueränderungen, einer bürokratischen Rentenreform und einer nicht aus den Startlöchern kommenden Gesundheitsreform. Dies ist eine Politik, in der blanke Gewerkschaftsinteressen die Notwendigkeit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes überlagern.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist die alte Mär, Herr Rexrodt!)

- Das ist keine alte Mär. Das sind die Fakten, die gerade erst bei den Entscheidungen der IG Metall bestätigt wurden. Die Hoffnung, die einige hatten, dass auch diese große Gewerkschaft endlich auf Reformkurs geht und sich an anderen orientiert, ist zerstört. Auch das, meine Damen und Herren, wird sich wieder im Verlust von Arbeitsplätzen niederschlagen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie sollten einmal etwas Neues erzählen, nicht immer nur diese alte Mär!)

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Was haben Sie denn getan? Kern Ihrer Politik war eine Politik der Bündnisse. Es gab Bündnisse für jedes und alles. Sie können doch nicht bestreiten, dass dies der Kern der Politik zumindest in der letzten Legislaturperiode war. Diese Politik der Bündnisse, bei der man bei verschiedenen Themen mauscheln wollte, ist gescheitert. Nun, meine Damen und Herren, ist auch noch die Finanzpolitik gescheitert. Das müssen Sie sich schon sagen lassen; denn wir werden nicht darauf verzichten, Ihnen das vorzuhalten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich will jetzt gar nicht über die Dinge reden, die dazu geführt haben, dass die rot-grüne Mehrheit hier vor rund drei Wochen einen Haushalt beschlossen hat, von dem wir heute wissen - das sage ich ohne jede Polemik, das ist Fakt -, dass er nicht das Papier wert ist, auf dem er steht;

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Jede Woche eine Aktuelle Stunde! Sie müssen sich nicht entschuldigen!)

denn die Voraussetzungen für die Einhaltung des Haushalts sind nicht gegeben. Dazu bräuchten wir 1 Prozent Wachstum und Herr Eichel hat selbst gesagt, dass der Haushalt nur dann eingehalten werden kann, wenn es 1 Prozent Wachstum gibt, es nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Arbeitslosenzahlen kommt, die Steueramnestie Geld einbringen wird und über das Steuervergünstigungsabbaugesetz - eigentlich ist das ein Steuererhöhungsgesetz - bestimmte Milliardenbeträge erwirtschaftet werden. So wird es aber nicht kommen und deshalb ist der Haushalt Makulatur.

   Aber worum geht es heute wirklich? Der Herr Kollege Bernhardt hat es auf den Punkt gebracht: Heute geht es um die Einhaltung der Verschuldungsgrenzen, der Kriterien von Maastricht. Herr Eichel, dazu haben Sie eigentlich gar nichts gesagt, Sie haben nur über Ihre Nöte gesprochen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Es ist nun einmal so, dass die Kriterien von Maastricht nicht eingehalten werden können. Vielleicht wird es morgen besser.

   Ich möchte Ihnen zwei Aussagen ins Stammbuch schreiben. Die eine ist von der Bundesbank, die an ihrer Spitze sozialdemokratisch besetzt ist. Sie schreibt in einem bemerkenswerten Papier vom Februar 2002:

Nur eine klare finanzpolitische Linie, die eine auf Ausgabenbegrenzung ausgerichtete ... Konsolidierungsperspektive aufweist, kann bei Konsumenten und Investoren bestehende Befürchtungen ... ausräumen und ... Vertrauen schaffen.

   Daneben möchte ich Ihnen die Entschließung des Europäischen Parlaments, die heute auf der Tagesordnung steht - ich verweise auf die Drucksache 15/737 -, nahe bringen. Darin heißt es in Ziffer 2,

dass die Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspakts ... im Falle Deutschlands und Portugals nicht streng angewendet wurden.

Das Europäische Parlament warnt vor der Aufweichung der Kriterien durch Wahlkämpfe und nationale Versprechungen. Es fordert die Gleichbehandlung aller Staaten und durchgreifende Reformen der Sozialsysteme und eine differenzierte Lohnpolitik. Darüber hinaus fordert es einen flexiblen Arbeitsmarkt.

   Das alles sind Forderungen des Europäischen Parlaments, Herr Eichel. Die rot-grüne Koalition dagegen spricht schon wieder - so steht es auch in den uns vorliegenden Unterlagen - von Rücksicht auf die ökonomische Gesamtsituation und etwaigen Sondereinflüssen. Das ist doch das Einfallstor für die Verletzung der Kriterien von Maastricht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist der geradezu hinterhältige Versuch, das Versagen der eigenen Politik als einen Schicksalsschlag darzustellen und sich das Ganze in Brüssel noch absegnen zu lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Unglaublich!)

   Damit wird Deutschlands Reputation als Land der Stabilität ebenso verspielt wie unsere Benchmark-Funktion auf den internationalen Kapitalmärkten. Dann sind wir nicht nur Schlusslicht und ein schlechter Verlierer. Wir sind sogar ein gefährlicher Verlierer, wenn es selbstverständlich wird, in der Nettoneuverschuldung über die Kriterien von Maastricht auszuweichen. Diesen Weg gehen Sie, Herr Eichel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Angefangen hat der Bundeskanzler damit bei der Flut. Das kann man ja noch nachvollziehen. Das will ich auch nicht kritisieren. Aber dass das Ganze System hat, sehen Sie daran, dass die deutsche Regierung, der Bundeskanzler, bei Begegnungen mit den französischen Kollegen immer wieder die Absolutheit der Defizitkritieren kritisiert und sich dabei auf Aussagen bezogen hat, die diese infrage stellen.

Worauf soll denn ein Stabilitätspakt abstellen, etwa auf den guten Willen, auf die reine Hoffnung oder auf die unbeirrbare Fortsetzung des Konsolidierungskurses, wie Sie es ausdrücken, Herr Eichel? Dann können wir gleich sagen, wir haben mit Zitronen gehandelt. 3 Prozent sind 3 Prozent - ich kann mich noch entsinnen, dass Sie so argumentiert haben. Jetzt kommt es zurück: 3 Prozent sind 3 Prozent. Sinn dieses Stabilitätspaktes ist doch, dass nicht auf die politische Alltagsrhetorik, sondern auf konkrete Zahlen und Ziffern abgestellt wird. Dagegen wehren Sie sich jetzt und das ist gefährlich. Deutschland ist ein schlechter und gefährlicher Verlierer geworden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Noch ein letzter Gedanke: Sie haben uns gesagt, Sie werden im Jahre 2004 einen Haushalt closed to balance, also einen nahezu ausgeglichenen Haushalt, vorlegen. Daraus ist nun schon 2006 geworden. Herr Eichel, es wird auch 2006 nicht gelingen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Der schon gar nicht!)

Das wissen wir doch alle. Dazu müssten Sie den gesamtstaatlichen Verschuldungsrahmen um 65 Milliarden Euro zurückschrauben. Die Länder nehmen Ihnen das nicht ab.

   Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Ihre Finanzpolitik, die Finanzpolitik von Rot-Grün - einst Vorzeigeprojekt -, ist im Chaos gelandet. Ihnen nimmt keiner mehr ab, dass wir Stabilitätspolitik machen. Es ist ein gefährliches Spiel, einfach so in die Verschuldung auszuweichen. Eine Vertrauenskrise im Land ist schlimm, Schlusslicht zu sein macht die Menschen betroffen. Aber die Unglaubwürdigkeit im gesamteuropäischen Rahmen ist zu viel, Herr Eichel. Herr Eichel, halten Sie im doppelten Sinne des Wortes ein: mit dieser Politik und bei den Kriterien von Maastricht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl ich sonst um eigene Worte nicht verlegen bin, will ich gern mit einem Zitat beginnen:

... Sie ... betreiben ein Doppelspiel: Einerseits bekennen Sie sich zu den Kriterien und zum Fahrplan von Maastricht. Andererseits blockieren Sie durch die Bundesratsmehrheit die notwendige Konsolidierung auf der Ausgabenseite. Das wirkt sich nicht nur negativ auf den Bundeshaushalt ... aus, sondern Sie blockieren damit auch die Konsolidierung bei Ländern und Kommunen.
(Peter Hintze (CDU/CSU): Erstklassiges Zitat seinerzeit!)

Das hat Theo Waigel am 30. Oktober 1996 in der 133. Sitzung des Deutschen Bundestages gesagt. Damals ging es um Sozialhilferecht und das Asylbewerberleistungsgesetz.

   Heute geht es um das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Sie stellen sich hierhin, hauen auf den Putz

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Hier haut keiner auf den Putz!)

und schämen sich nicht einmal dafür, dass der Erhalt des Dienstwagenprivilegs Ihr Beitrag zur Konsolidierung der deutschen Staatsfinanzen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Friedrich Merz (CDU/CSU): Erzählen Sie nicht so einen Stuss!)

   Der CDU-Antrag unterstellt, wir würden eine Aufweichung der Maastricht-Kriterien anstreben. Das ist völlig abwegig. Wenn von Flexibilität die Rede war, dann von der so genannten eingebauten Flexibilität, die im Maastricht-Vertrag enthalten ist, deren sich jeder bedienen kann, der sich beeilt hat, seine Strukturreformen durchzuführen. Andere europäische Länder können das tun, denn sie haben die Strukturreformen Mitte der 90er-Jahre durchgezogen und befinden sich jetzt in einer günstigen Lage. Sie können ohne ein strukturelles Defizit, das wie ein schwerer Rucksack auf ihnen lastet, in Zeiten der Konjunktur flexibel reagieren. Wir Deutschen nicht.

   Unser strukturelles Defizit, seit Mitte der 90er-Jahre verschleppt, drückt uns fast zu Boden

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wer regiert denn eigentlich? Sind Sie nur Frühstücksdirektorin oder haben Sie hier auch etwas zu sagen?)

und lässt uns nur schwer Luft bekommen. Das heißt aber nicht, dass man die Maastricht-Kriterien aufgeben sollte. Sie unterstellen das in Ihrem Antrag nur.

   Auf der einen Seite betreiben Sie eine Boykott- und Blockadepolitik und versuchen alle Maßnahmen, die wir vorschlagen, zu stoppen. Sie brüsten sich sogar noch damit. Auf der anderen Seite tun Sie so, als wollten Sie wirklich Konsolidierung betreiben, indem Sie solche lächerlichen Anträge vorlegen. Ihr Antrag, den Sie von der CDU/CSU vorgelegt haben, hat eindeutig das Steuersenkungsversprechen des Herrn Stoiber im Wahlkampf des letzten Jahres versenkt. Ich sage nur: Titanic.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Sie spielen auf Zeit. Sie wollen hier so lange boykottieren, bis uns die Zeit davonläuft. Schon jetzt stehen wir unter großem Druck, die Reformen durchzuziehen, weil sich alles so lang hingezogen hat, weil die Reformen nicht stattgefunden haben, weil Sie sie versäumt haben. Herr Kohl wollte keinem weh tun, schon gar nicht vor der schwierigen Wahl 1998.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sprechen Sie einmal zur Sache!)

   Ich gebe gern zu, dass Herr Lafontaine auch keinem weh tun wollte und es dadurch ebenfalls zu einer Zeitverzögerung kam. Das geht auf unser Konto und das will ich nicht beschönigen.

   Aber seit 1999 befindet sich diese Bundesregierung auf dem richtigen Kurs, auf dem Konsolidierungskurs.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Auf einem Rundkurs!)

Konsolidierung bedeutet, für nachhaltiges Wachstum zu sorgen und nicht einfach nur konjunkturell herumzudoktern. Das strukturelle Problem in der Arbeitslosigkeit ist 1973/74, 1981/82 und 1993 entstanden. In dieser Zeit hat Rot-Grün nicht regiert.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Reden Sie doch mal über die heutigen Wirtschaftsverhältnisse, die Sie zu verantworten haben!)

Damals hat man es nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit nach der konjunkturellen Delle wieder abzubauen. Das Defizit ist treppchenförmig immer weiter angewachsen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Märchenstunde!)

Sie haben nichts dagegen unternommen, fordern aber jetzt, dass wir 30 Jahre Misswirtschaft in einem Ruck abarbeiten. Das ist nicht zu schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Habt ihr vor 14 Tagen die Regierung übernommen oder ist das schon ein paar Jahre her?)

   Inzwischen ist es so weit gekommen, dass der zuständige EU-Kommissar Solbes die Opposition in Deutschland - er hat ausdrücklich die Bundesländer und den Bundesrat, aber auch die CDU/CSU benannt - für einen Risikofaktor bei der Konsolidierung der deutschen Staatsfinanzen hält. Das müssen Sie sich einmal überlegen.

(Peter Hintze (CDU/CSU), zur Regierungsbank zeigend: Da sitzt das Risiko! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das größte Risiko hat sich auf der Regierungsbank versammelt! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Das einzige Risiko sind Sie!)

Ich bin mir nicht sicher, ob Herr Stoiber oder Herr Koch das wirklich gewollt und gemeint haben. Ich habe sie manchmal konstruktiver als die Bundestagsfraktion erlebt. Ihr Herumbrüllen kann ich nur so interpretieren, dass Sie den Machtverlust immer noch nicht verwunden haben und das knappe Wahlergebnis vom letzten Jahr Sie ganz säuerlich gestimmt hat. Mehr erkenne ich darin nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Günter Rexrodt (FDP): Reden Sie doch mal zur Sache!)

   Zurück zum Föderalismus. Weil sich die Länder und damit die CDU/CSU, die im Bundesrat die Mehrheit hat, so schädlich aufführen, ist in Brüssel der Eindruck entstanden, der deutsche Föderalismus sei kein vernünftiges System. Indem Sie Föderalismus als Obstruktion in Brüssel in Erfahrung bringen, schaden Sie im Prinzip all denjenigen aus Ihrer eigenen Partei, die versuchen, die Föderalismusdebatte pragmatisch nach vorne zu treiben. Ich halte das für einen ganz fatalen politischen Kurs. Aber das ist Ihnen offensichtlich egal, Sie fahren auf Crash.

   Wir schlagen jetzt ziemlich harte Reformen vor, auch im Bereich des Arbeitsmarktes, weil genau da am ehesten Möglichkeiten bestehen, schleunigst Veränderungen zu vorzunehmen. Wir reden über moderate Lohnpolitik, über eine größere Lohndifferenzierung nach Qualifikation, nach Region, vielleicht auch nach Unternehmen, und wir reden wir auch darüber, die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu verstärken.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sagen Sie doch mal was zum Stabilitätspakt!)

   Das sind alles keine schönen Entscheidungen. Die Regierung Kohl hat versucht, sie so lange wie möglich aufzuschieben, und auch Herr Lafontaine hat, wie bereits gesagt, sich nicht bemüht, sie beschleunigt umzusetzen. Das wissen wir alle. Aber seit 1999 wurde versucht, diesen Kurs zu fahren. Es war nicht schnell genug, das haben wir längst konzediert, deshalb wird jetzt auf die Tube gedrückt. Und wer stoppt, blockiert und boykottiert? - Sie da drüben! Sie meinen, Sie hätten die finanzpolitische Weisheit in diesem Land gepachtet. Wenn man die Ihnen zuerkennen sollte, müssten Sie sich aber anders verhalten.

(Dr. Elke Leonhard (SPD): Das war gut!)

   Wir haben Beispiele in Europa, ich nenne Irland oder Dänemark. In Dänemark hat eine Regierung Anfang der 80er-Jahre einen sehr strengen Konsolidierungskurs gefahren. Es wurde ein hartes Sparpaket verabschiedet, die Steuern wurden erhöht und man ist damit einigermaßen über die Runden gekommen. In den 80er-Jahre war es noch ein bisschen einfacher als heute. Auch in Irland hat die Regierung Anfang der 80er-Jahre versucht, die Situation des Landes zu verbessern, aber es hat an der Akzeptanz in der Bevölkerung gemangelt. Die Bevölkerung hatte kein Vertrauen in die Maßnahmen, die ergriffen wurden. Ein paar Jahre später hat Irland einen zweiten Versuch unternommen und das Vertrauen in der Bevölkerung und in der Wirtschaft errungen, indem man deutlich stärker auf eine Reduzierung der Ausgaben gesetzt hat, weniger auf Steuererhöhungen und Investitionsprogramme. Man hat also die Ausgaben gekürzt.

   Das machen wir seit Jahren, aber Sie machen da nicht mit. Sie machen wohlfeile Vorschläge, sind aber nicht in der Lage, sie durchzusetzen, weil sie offensichtlich nicht funktionabel sind. Sie sprechen vollmundig von der Phrase Subventionsabbau, aber verweigern sich, die Subventionierung der Dienstwagen abzuschaffen. So sieht Ihre Wirtschaftspolitik konkret aus.

Wenn man aus den Erfahrungen der anderen Länder hätte lernen wollen, hätte man Mitte der 90er-Jahre anfangen müssen, nicht erst 2001 oder 2002. Das wissen Sie ganz genau. Schon Mitte der 90er-Jahre lag man selbst in Boomzeiten nur knapp unter dem Maastricht-Kriterium, das 1997 eingeführt worden ist. Man brauchte schon damals immer einen großen Wirtschaftsaufschwung, um sich halbwegs über Wasser zu halten. Das heißt, wir schleppten auch schon damals das große strukturelle Defizit mit uns herum. Man kann durchaus die Parallele zu 1997 ziehen; ich habe vorhin nicht umsonst Herrn Waigel zitiert. Im Jahre 1997 hatten wir ein vergleichbar hohes strukturelles Defizit wie jetzt immer noch. Das Problem ist, dass es nicht gelungen ist, dieses Defizit wirklich abzubauen. Das leugnet auch niemand. Aber es ist sträflich, den Zeitfaktor jetzt noch weiter zu vernachlässigen, denn der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat ein ganz wichtiges Ziel, das eng mit dem Jahr 2006 verknüpft ist. Uns ist aufgetragen worden, den demographischen Wandel, der in Europa zu verzeichnen ist, in der Finanzpolitik zu beachten. Wir müssen uns also bemühen, schleunigst von den hohen Zinszahlungen herunterzukommen. Die nachfolgende Generation der Steuerzahler wird nämlich nur in der Lage sein, eine der beiden Lasten zu tragen: die Zinsen für unsere Schulden von heute oder unsere Renten von morgen.

   Dem muss bei unserem politischen Handeln Rechnung getragen werden. Im Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde die Vorgabe gemacht, dass es die Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2006 geschafft haben müssen, sich von übermäßigen Zinsbelastungen zu befreien, um in der Lage zu sein, mit der wachsenden Alterung der Bevölkerung fertig zu werden. Das ist ein entscheidender Punkt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Wir dürfen nicht noch länger herumdrucksen. Wir müssen vorankommen.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Das ist aber ganz neu!)

   Ich kann Herrn Eichel deswegen nur allzu gut verstehen, wenn er sagt, das Ergebnis, das im Bundesrat herausgekommen ist, sei die Tinte nicht wert, mit der es geschrieben worden ist.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Wir wollen Metzger wiederhaben! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie hatten das doch in der Hand!)

Es bringt uns diesem Ziel nämlich nicht näher. Sie haben einen Scheinantrag vorgelegt. Sie sagen, Sie wollten, dass die Maastricht-Kriterien eingehalten werden und keiner solle daran herumschustern; gleichzeitig verhindern Sie aber, dass diese Kriterien eingehalten werden können, und brüsten sich sogar damit. Das ist doch wirklich absurd!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Thema verfehlt!)

   Herr Waigel hat am 27. Juni 1997 verkündet, 1997 sei das Referenzjahr. Jedes Land habe die Chance und jedes Land habe die Pflicht und für jedes Land gelten die gleichen Voraussetzungen. Für die Entscheidung zählten übrigens die Ist-Ergebnisse des Jahres 1997 und nicht Prognosen, Schätzungen oder Quartalsabrechnungen; so viel dazu, angesichts der ständig wiederkehrenden Debatten zu den Hilfen für die Bundesanstalt für Arbeit. Es war damals klar, dass am Jahresende abgerechnet wird. Was für 1997 galt, gilt aber auch für 2003.

   Sie versuchen, eine Obstruktionspolitik zu betreiben, und haben im ersten Vierteljahr nur versucht, uns Hindernisse in den Weg zu legen und uns zum Stolpern zu bringen. Das ist das Einzige, was Sie auf diesem Gebiet bis jetzt geleistet haben. Mehr haben Sie nicht beigetragen. Nicht ein einziger Vorschlag ist von Ihnen gekommen. Weder in den vollmundigen Reden des Herrn Rexrodt habe ich einen konstruktiven Vorschlag gehört, noch in den Ausführungen der Redner von der CDU/CSU, die vorhin gesprochen haben. Sie haben nur allgemein philosophiert, wie die Finanzpolitik aussehen könnte, und sind nicht konkret geworden. Das möchte ich hier festhalten.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): O mein Gott!)

Tja, Herr Rexrodt, wenn Sie wüssten, was ich immer denke, wenn Sie reden!

(Heiterkeit beim dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Herr Stoiber hat am 6. April, also vor einigen Tagen, gesagt, er sehe nicht ein, dass sich Bayern an möglichen Strafzahlungen beteiligt, wenn es zu einer dauerhaften Überschreitung der Defizitobergrenze kommt. Er sei nicht bereit, denjenigen, die Reformen verweigern und dadurch die öffentliche Hand in immer höhere Neuverschuldung treiben, auch noch die EU-Strafen wegen des jahrelangen Reformstaus zu bezahlen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

   Angesichts dieser Aussage muss ich Sie fragen, welches Bundesland im Jahr 2002 denn massiv dazu beigetragen hat, dass Herr Eichel in Brüssel die bittere Botschaft verkünden musste, dass eine Überschreitung des Maastricht-Kriteriums absehbar sei? - Es war das Bundesland Hessen, das eindeutig nicht von der SPD regiert ist. Hessen durfte nur 0,8 Milliarden Euro Schulden machen, hat aber über 2 Milliarden Euro Schulden gemacht. Die Verfehlung des Maastricht-Kriteriums geht also wesentlich auf das Konto CDU-geführter Länder, die ihre eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt haben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Frau Präsidentin, schützen Sie uns vor einem solchen Unsinn!)

   Wenn Sie sich auf die Lösung dieser nationale Aufgabe nicht einlassen wollen, wenn Sie nicht in der Lage sind, zu erkennen, worum es eigentlich geht, dann müssen Sie sich den Vorwurf von Herrn Solbes gefallen lassen, dass Sie das eigentliche Konsolidierungsrisiko in Deutschland sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was für ein Unsinn!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Friedrich Merz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, dem sehnlichen Wunsch, den Sie hier vorgetragen haben, dass Sie von mir etwas hören wollen, komme ich gerne nach, damit Sie nicht länger auf Entzug sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich mit zwei Nachrichten beginnen, die uns am Dienstag erreicht haben und völlig unabhängig vom Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom gestrigen Abend sind. Vorgestern hat die EU-Kommission in Brüssel am späten Nachmittag sehr kurz hintereinander zwei Erklärungen herausgegeben. Die eine lautete, Deutschland stehe nach Einschätzung der EU-Kommission als einziges Mitgliedsland am Rande einer Rezession. Die zweite Meldung, die uns nur wenig später erreicht hat, lautete, das Haushaltsdefizit Deutschlands betrage nach einer Prognose der EU-Kommission in diesem Jahr 3,4 Prozent. Damit übersteige die Neuverschuldung zum zweiten Mal in Folge die im Stabilitätspakt maximal zulässigen 3 Prozent. Beide Meldungen und Einschätzungen der EU-Kommission haben etwas miteinander zu tun. Herr Eichel, Ihr Problem ist, dass Sie das bis heute nicht verstanden haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen, bevor ich auf die eigentlichen Probleme zu sprechen komme, über die wir heute zu diskutieren haben. Den gegenwärtigen Zustand einer Bundesregierung erkennt man immer daran, dass sie die Intensität der Kritik an der Opposition unter weitgehendem Verzicht auf eigene Vorschläge erhöht.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Sehr schön!)

Genau das ist der Zustand, den wir gegenwärtig bei Ihnen feststellen. Je ratloser Sie werden, desto heftiger beschimpfen Sie die Opposition.

   Ich will nur eines feststellen: Herr Eichel, den blauen Brief hat nicht die Opposition in Deutschland, sondern die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben ihn bereits einmal bekommen und entgegen allen Prognosen, die Sie immer noch abgeben, werden Sie ihn in diesem Jahr ein zweites Mal hintereinander erhalten. Das hat im Wesentlichen vier Ursachen.

   Die erste Ursache ist, dass Sie die Weichen am Anfang Ihrer rot-grünen Regierungszeit falsch gestellt haben. Die Schulden stammen nicht aus dem Erbe der alten Bundesregierung von Helmut Kohl und Theo Waigel,

(Widerspruch von der SPD)

sondern es war Oskar Lafontaine, der Ihnen bereits im ersten Haushaltsjahr 30 Milliarden DM höhere Ausgaben auf den Tisch gelegt hat.

   Über die zweite Ursache, die Sie zu verantworten haben, mussten wir in der letzten Nacht wieder diskutieren. Es geht um Ihre Entscheidung, dass im Jahre 2001 eine Körperschaftsteuerreform durchführt wurde. Herr Bundesfinanzminister Hans Eichel, ich sage Ihnen: Wenn wir heute noch einmal vor der Frage stünden, ob eine solche Körperschaftsteuerreform, wie Sie sie im Jahre 2001 durchgesetzt haben, gemacht werden soll, dann würde nicht ein einziger Ministerpräsident in Deutschland - auch keiner, der aus Ihren Reihen gestellt wird - noch einmal zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Körperschaftsteuerausfälle, die damit verbunden sind, sind bis zum heutigen Tag ein wesentlicher Teil der Probleme.

(Bernd Scheelen (SPD): Unsinn!)

Sie haben in zwei Jahren 40 Milliarden Euro weniger Körperschaftsteuer eingenommen. Mit diesem Teil der heutigen Probleme müssen Sie sich herumschlagen, weil Sie die Weichen bei der Körperschaftsteuer im Jahre 2001 völlig falsch gestellt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Über das Ergebnis der Sitzung des Vermittlungsausschusses in der letzten Nacht werden wir morgen noch in Ruhe diskutieren. Lassen Sie mich eine Bemerkung dazu machen: Herr Eichel, wir haben nichts anderes getan, als auch im Vermittlungsausschuss genau das einzuhalten, was wir im Bundestagswahlkampf und in den beiden Landtagswahlkämpfen in Niedersachsen und in Hessen zugesagt haben. Wir sehen einen Korrekturbedarf bei der Körperschaftsteuer und sind ansonsten nicht bereit, Steuererhöhungen in Deutschland zuzustimmen. Dass wir dieses Versprechen im Gegensatz zu Ihnen nicht nur eingehalten haben, sondern dass die Union diese Position gestern Abend auch geschlossen vertreten hat und Sie nicht einen Einzigen aus der Union haben herausbrechen können, mag Sie überrascht haben; das ist aber das Ergebnis der letzten Nacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Von dieser Stelle aus will ich insbesondere dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ausdrücklich danken, der mit einer sehr klugen Verhandlungsstrategie dafür gesorgt hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

   dass ein Kompromiss möglich wurde und dass in der Steuererhöhungsdebatte, die wir uns in diesem Lande besser erspart hätten, wenigstens ein Rest an wirtschaftspolitischem Verstand gewahrt wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Simone Violka (SPD): Er hat auch Schulden gemacht!)

   Damit komme ich zu Ihrem dritten großen Problem, das Sie offenkundig nicht in den Griff bekommen. Es schlägt sich in den Defizitzahlen nieder. Eines der großen Probleme der öffentlichen Haushalte - insbesondere derer, die Sie zu verantworten haben - sind die völlig aus dem Ruder laufenden Sozialausgaben. Wenn sich das Verhältnis zwischen Investitionen und Sozialausgaben über einen langen Zeitraum hinweg verschlechtert und es durch verweigerte Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen zusätzlich eine solch dramatische Entwicklung nimmt, wie wir sie in den letzten Jahren festgestellt haben, dann dürfen Sie sich nicht darüber wundern, dass wir immer weniger bereit und in der Lage sind, die Kriterien, die in Maastricht niedergelegt wurden, zu erfüllen.

   In den öffentlichen Haushalten ist die Balance zwischen Investitionen und Sozialausgaben so weit aus dem Ruder gelaufen, dass dies nicht ein konjunkturelles oder kurzfristiges Problem ist. Herr Eichel, Sie schlagen sich seit viereinhalb Jahren mit einem tief greifenden strukturellen Problem herum und sind erkennbar nicht in der Lage, dieses zu lösen. Sie sind erkennbar auch nicht bereit, dieses zu lösen; denn ansonsten hätten wir längst die Reformen auf dem Tisch liegen, über die in diesem Lande schon so lange diskutiert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich bin damit beim vierten Grund - er kommt in dem zum Ausdruck, was die EU-Kommission zu Recht kritisiert hat -: Unser Land befindet sich in einer tiefen strukturellen Wachstums- und Beschäftigungskrise. Herr Eichel, Sie werden mit Ihrer Finanzpolitik auch in Zukunft hoffnungslos scheitern, wenn Sie nicht endlich begreifen, dass die Finanzpolitik im gegenwärtigen Zustand der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nur Fehler machen kann. Wenn sie gut ist, kann sie allenfalls Fehler vermeiden. Einer der Fehler wäre, die Neuverschuldung zu erhöhen. Der zweite Fehler wäre, eine Debatte über Steuererhöhungen zu beginnen. Sie als Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland machen gleich beide Fehler.

   Dies ist die schlechteste Finanzpolitik, die in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen jemals gemacht worden ist, weil sie jeden wirtschaftspolitischen Sachverstand vermissen lässt, den ein Finanzminister wenigstens minimal haben müsste.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie handeln völlig ohne jeden Bezug zu dem, was wirtschaftspolitisch notwendig ist. Sie als Finanzminister - entschuldigen Sie, Sie wissen, dass ich das nicht persönlich meine - haben Ihre Tägigkeit auf eine rein buchhalterische Finanzpolitik reduziert, die die ausschließlich mechanisch-technische Betrachtung der Einnahmen und Ausgaben zum obersten Primat der Finanzpolitik gemacht hat. Wenn Sie dies fortsetzen, bleibt es dabei, dass Sie ein gescheiterter Finanzminister sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Raus aus der Wachstums- und Beschäftigungskrise unseres Landes - das ist die einzig richtige Antwort, die Sie auf der Regierungsbank geben können, wenn Sie gleichzeitig die - richtigen - Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllen wollen und müssen, des Vertrages, der sich unmittelbar mit dem Engagement der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Euroeinführung verbindet. Wir sind das Land, das so viel Wert darauf gelegt hat, dass Preisstabilität und Haushaltsdisziplin zum Maßstab in der gesamten Europäischen Union werden. Mit Ihrem Namen wird in die Geschichtsbücher eingehen, dass Deutschland vom Stabilitätsanker in Europa zu dem Land geworden ist, das eine Gefährdung von Preisstabilität und Budgetdisziplin für ganz Europa darstellt. Mit dieser Bilanz, Herr Eichel, sollten Sie nicht so selbstbewusst und überheblich auftreten und die Opposition beschimpfen, wie Sie das gerade getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß (SPD): Na, wer tritt denn hier überheblich auf? -Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie sind doch ein arroganter Kerl! Ekelhaft!)

   Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Wir alle sorgen uns in erheblichem Maße um die Finanzen der Kommunen. Aber dass ausgerechnet Sie dies aufgreifen und wiederum mit Kritik an der Opposition verbinden, ist schon ein starkes Stück, Herr Eichel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie in Ihrer Regierungsverantwortung sind es gewesen, die den Kommunen in einem nie da gewesenen Umfang Lasten aufgebürdet haben. Gleichzeitig haben Sie den Kommunen immer mehr die finanziellen Mittel entzogen, die erforderlich sind, um diese Lasten schultern zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie haben es mehrfach abgelehnt - ich will das noch einmal festhalten, damit die Öffentlichkeit dies zur Kenntnis nimmt -, die Gewerbesteuerumlage auf das Maß zu reduzieren, das vor der Körperschaftsteuerreform bis zum Jahre 2000 gegolten hat. Jetzt kommen Sie im Zuge Ihrer Gewerbesteuerreform mit einigen Brosamen an und wollen über die Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuer die Situation der kommunalen Finanzen verbessern. Das ist so, als ob jemand eine Sau aus dem Dorf treibt, anschließend mit einem Kotelett in der Hand wiederkommt und dafür bei den Betroffenen Lob und Anerkennung verlangt. So geht es wirklich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dass die Kommunen in einer solchen Verfassung sind, verbindet sich eng mit Ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik, der hohen Arbeitslosigkeit und den völlig aus dem Ruder laufenden Sozialhilfeausgaben in den Kommunen. Damit schließt sich wiederum der Kreis.

   Wenn Sie es nicht schaffen, endlich die Reformen auf den Weg zu bringen, mit denen hinsichtlich Wachstum und Beschäftigung in Deutschland wenigstens das europäische Mittel erreicht wird, dann werden wir uns am heutigen Tag nicht zum letzten Mal damit beschäftigen, dass dieses Land zu unser aller Sorge erneut die Kriterien des Maastricht-Vertrages verletzen wird. Dieses Problem hat einen Namen. Der Name ist Hans Eichel.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merz, mit Ihrer Rede haben Sie erneut unter Beweis gestellt, dass Sie noch nicht in der Realität dieses Landes - jedenfalls in der finanziellen Realität - angekommen sind.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Das waren, wie üblich, Sprüche von Wolke sieben im Wolkenkuckucksheim.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Sie waren schon besser, Herr Poß!)

- Herr Merz, wenn Sie letzte Woche Donnerstag an dem Gespräch mit Herrn Koch teilgenommen hätten - Sie haben es vorgezogen, sich vertreten zu lassen -,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Er hat sich verweigert!)

dann hätten Sie sehr wohl zur Kenntnis nehmen können, dass sich Herr Koch längst von Ihrer Fundamentalopposition verabschiedet hat. Er ist schon in der Wirklichkeit angekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn Sie gestern an der Sitzung des Vermittlungsausschusses teilgenommen hätten, dann hätten Sie zur Kenntnis nehmen können, dass die Ministerpräsidenten Müller, Böhmer und andere ebenfalls längst in der Realität dieses Landes angekommen sind. Deswegen haben wir schließlich die Vereinbarung getroffen - sie wird morgen von Ihrer Seite durch Herrn Kauder zu Protokoll gegeben -, neben der bereits vereinbarten Korrektur der Körperschaftsteuer die steuerpolitische Agenda neu zu eröffnen.

   Herr Koch hat keinen Zweifel daran gelassen, wie notwendig es ist, sich mit der umfassenden Sanierung der Staatsfinanzen sowohl auf der Einnahmenseite wie auch auf der Ausgabenseite zu beschäftigen. Diesen Konflikt haben Sie in Ihren Reihen noch zu lösen, Herr Merz. Ich wiederhole: Sie sind bisher noch nicht aufgestellt. Sie sind bisher mit dummen Sprüchen aufgefallen und damit durchgekommen. Diese Zeit ist aber endgültig vorbei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz (CDU/CSU): Die kommt zurück! Ich sage nur: 2. Februar!)

   Jetzt geht es um konkrete Alternativen. Dabei lassen Sie jede konkrete Festlegung vermissen. Herr Eichel hat zu Recht auf den groß angekündigten Strategiegipfel hingewiesen, der sechs Stunden getagt hat. Der Berg kreißte, aber nicht einmal ein Mäuschen kam dabei heraus. Das ist die Realität der CDU/CSU.

   Wir waren uns übrigens gestern mit Herrn Koch und anderen einig darüber

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Er war doch gar nicht da!)

- wir haben letzte Woche Donnerstag ein ausführliches Gespräch mit Herrn Koch geführt -, dass der Verfall der Körperschaftsteuer mehrere Gründe hat. Er hat konjunkturelle Gründe; hinzu kommen die Steuersatzsenkung im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die Sie immer gefordert haben, und die Ausschüttung der Guthaben, die sich in der Kohl-Ära angesammelt hatten.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Jetzt kommt das wieder!)

Zu berücksichtigen sind auch die Verlustvorträge, die in Ihrer Regierungszeit entstanden sind. 1995 betrugen sie 250 Milliarden DM; inzwischen belaufen sie sich auf 250 Milliarden Euro.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Kommt doch gar nicht darauf an!)

- Auch Sie, Herr Rexrodt, kommen mit solchen Sprüchen nicht mehr durch. - Darauf müssen wir Antworten finden, und zwar in der nächsten Runde der Steuergesetzgebung. Dann können Sie sich nicht mehr davor drücken, wie das noch gestern Abend versucht wurde. Das sind die Punkte, die für die Bevölkerung, die Wirtschaft und auch für die Planungssicherheit bezüglich Investitionen wichtig sind.

(Beifall bei der SPD)

   Diese Koalitionsregierung muss nicht von Ihnen auf die Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes hingewiesen werden. Wir haben das nicht nötig. Wir kennen unsere rechtlichen und politischen Pflichten.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Aber ihr handelt nicht danach!)

Es ist unverfroren, dass sich CDU/CSU und FDP bei den Themen Haushaltskonsolidierung und Stabilitätspakt zu Wort melden. Das sind schließlich Parteien, die sonst keine Gelegenheit auslassen, Steuer- und Abgabensenkungen sowie öffentliche Mehrausgaben zu fordern.

(Beifall bei der SPD)

   Ihr Vorgehen ist unverfroren. Denn solide Finanzen und Haushaltskonsolidierung sind wahrlich nicht Ihre Themen. Ihre zentrale wirtschafts- und finanzpolitische These - das gilt für Merz, Rexrodt und andere - lautet: Steuersenkungen zu jeder Zeit, und zwar ohne Rücksicht auf die Folgen für die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen.

   Ihr Credo lautete doch: Allein durch Steuersenkungen würde der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland erfolgen, auch wenn die öffentlichen Haushalte dadurch handlungsunfähig gemacht würden. Monatelang - nicht nur im Bundestagswahlkampf - haben Sie zum Beispiel die Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes auf unter 40 Prozent - bis auf 35 Prozent - und die angeblich erforderliche steuerliche Gleichstellung von Personen- und Kapitalgesellschaften versprochen.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Richtig!)

Allein die Verwirklichung dieser beiden Forderungen würde das gesamtstaatliche Defizit in diesem Jahr auf weit über 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes anwachsen lassen.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Sie müssen die Einnahmeseite beachten, Herr Poß!)

Deswegen in aller Ruhe: Wenn wir gemeinschaftlich an dem Ziel festhalten wollen, den Stabilitätspakt wirklich ernst zu nehmen, dann setzt das die Mitwirkung der Oppositionsparteien - jedenfalls in den Landesregierungen und auf kommunaler Ebene - voraus; aber nicht, indem Sie weiter schwarz malen - so wie das Herr Merz gemacht hat - oder Obstruktion betreiben. Das ist die Alternative. Sie sind jetzt an der Wegscheide: entweder verantwortungsvoll Politik zu machen und sich Ihrer Verantwortung in den von Ihnen regierten Ländern zu stellen - das gilt auch für die Kommunen - oder weiter Totalopposition zu betreiben. Das ist die Situation, um die es hier geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir brauchen keine Sonntagsreden, sondern konkrete Vorschläge. Wie wollten Sie die Flutopferhilfe finanzieren? Sie hatten vorgeschlagen, die Schuldentilgung dafür auszusetzen und so die Neuverschuldung des Bundes zu erhöhen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist doch Blödsinn! Das wissen Sie doch!)

Dieser Vorschlag wurde von Ihnen so vehement vertreten, dass es für uns alle überraschend war, dass Sie im Ergebnis dann plötzlich doch unserem Finanzierungsvorschlag - der Verschiebung der Steuerentlastungsstufe 2003 um ein Jahr auf 2004 - zugestimmt haben.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Das war ein großer Fehler der Union!)

- Sie haben da nicht mitgemacht? Aber die Union hat da mitgemacht, Herr Rexrodt.

   Die faktische Missachtung von Haushaltskonsolidierung und soliden Finanzen ist das Kennzeichen der Politik von CDU/CSU und FDP, und zwar bis zum heutigen Tage.

   Bei den Beratungen des Bundeshaushaltes 2003, Herr Haushälter Kampeter, in dem es nun wirklich nichts zu verteilen gibt, hat die Opposition immer wieder versucht, Mehrausgaben in Milliardenhöhe durchzusetzen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Alle gedeckt, wie Sie wissen! - Gegenruf des Abg. Klaus Hagemann (SPD): Nicht ein Euro war gedeckt!)

Auch das steht in krassem Widerspruch zu Ihrer heutigen Forderung nach strikter Haushaltskonsolidierung.

   Ich möchte jetzt nicht an all die Leidensgeschichten erinnern. Ich habe vorhin schon das Stichwort Strategiegipfel genannt. Immer, wenn Sie einen Anlauf unternehmen, um sich auf konkrete Maßnahmen zu verständigen, scheitert dieser Anlauf. Auf keinen einzigen Sparvorschlag konnte sich die Union bis zu dieser Debatte heute einigen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Hört! Hört!)

Das muss in der Republik nun wirklich langsam bekannt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind mit Ihrem Latein am Ende, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie haben Ihr verbales Pulver verschossen. Jetzt sind Sie gefordert.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

   Den gestrigen Abend im Vermittlungsausschuss hat die starke Uneinigkeit und Zerstrittenheit der Union in Strategiefragen und inhaltlichen Fragen geprägt und belastet.

(Lachen bei der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir haben ein Vermittlungsergebnis!)

Weil aber offensichtlich zumindest in Teilen der Union ein Umdenken und eine Annäherung an die finanziellen Realitäten und an die politischen Erfordernisse in unserem Land stattgefunden hat, konnte wenigstens ein gerade noch akzeptabler Kompromiss erzielt werden. Dieser Kompromiss ist aus unserer Sicht akzeptabel, aber er ist auch das Maximum dessen, was man gerade noch vertreten kann. Für die Kommunen bietet er unter dem Gesichtspunkt der Soforthilfe in diesem Jahr nichts außer einer Null. Diese Nulllösung haben Sie herbeigeführt und nicht wir.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten die Kommunen schon in diesem Jahr eine kräftige Entlastung erfahren.

   Ob die Union ernsthaft bereit ist, endlich von Ihrer bisherigen Verweigerungs- und Blockadestrategie abzuweichen, wird sich bei den weiteren Gesetzesvorhaben zeigen. Wir treffen uns jetzt noch öfter bis hin zum Vermittlungsausschuss. Wir haben uns zur Weiterverfolgung unerledigter Punkte verabredet.

   Es wissen alle, dass Deutschland die niedrigste Steuerquote in Europa hat und dass die Steuerbelastung mit den bereits beschlossenen Steuerreformstufen im nächsten Jahr und im Jahr 2005 noch weiter sinken wird. Auch sollten alle wissen, dass insbesondere auf der Ebene der Länder und Kommunen die gravierenden Finanzprobleme in großem Maße auf eine unzureichende Steuerbasis zurückzuführen sind. Herr Rexrodt, Folgendes will ich Ihnen einmal sagen - ich hatte das Gefühl, dass die Unionsvertreter das ähnlich gesehen haben: Sich mit einer grundsätzlichen Erklärung, wie das Ihr Vertreter im Vermittlungsausschuss gestern gemacht hat, aus jeder Mitverantwortung zu stehlen geht nicht. So kann man für Deutschland keine Verantwortung tragen.

(Beifall bei der SPD - Dr. Günter Rexrodt (FDP): Wir wollen keine Steuererhöhungen!)

   Die Union wie auch die FDP, die gestern jede konstruktive Mitarbeit verweigert hat, stehen in einer klaren gesamtstaatlichen Verantwortung. Auch Sie sind an Landesregierungen beteiligt, so bedauerlich das sein mag. xxxxx

Sie können sich nicht länger so verstecken, wie Sie das bisher getan haben, und meinen, die Politik mit Deklamationen bedienen zu können.

(Dr. Günter Rexrodt (FDP): Wer Steuern erhöht, erhöht die Arbeitslosigkeit!)

   Niemand, der in der Regierung und in den Regierungsfraktionen Verantwortung trägt, stellt den Stabilitäts- und Wachstumspakt infrage. Insofern entbehrt Ihr heutiger Antrag jeder Grundlage.

(Beifall bei der SPD)

Die Notwendigkeit einer soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik in allen europäischen Staaten als unabdingbare Voraussetzung für Wohlstand in Europa wie auch zur Sicherung der gemeinsamen Währung ist unbestritten. Wenn die heutige Debatte überhaupt einen Sinn hat, dann den, deutlich zu machen, dass der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in der derzeitigen, lang andauernden konjunkturellen Schwächephase genug Spielraum für eine angemessene nationale und europäische Finanzpolitik lässt und auch lassen muss. Es ist doch eine ökonomische Selbstverständlichkeit, dass in außergewöhnlichen Situationen die vorübergehende Hinnahme eines öffentlichen Defizits von mehr als 3 Prozent möglich sein muss. Wer das leugnet und die Einhaltung der Dreiprozentgrenze in jeder Situation, Herr Rexrodt - und „koste es, was es wolle“ -, fordert, der handelt konjunkturpolitisch falsch und letztlich auch gesamtgesellschaftlich unvernünftig.

(Beifall bei der SPD - Dr. Günter Rexrodt (FDP): Eine unglaubliche Auffassung!)

   Im Übrigen führt genau diese starre und falsche Sichtweise des Stabilitätspaktes dazu, dass die Akzeptanz einer institutionellen Obergrenze für die staatliche Kreditaufnahme, wie sie das Dreiprozentkriterium darstellt, ausgehöhlt wird. Ich bin mir sicher: Theodor Waigel, der in Europa den Stabilitätspakt durchgesetzt hat, hätte das nicht anders gesehen. Der Beschluss des Finanzausschusses zum Thema Stabilitätspakt, Drucksache 15/737, lautet wie folgt:

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Haltung der Bundesregierung, sich weiterhin für die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzusetzen und im Hinblick auf die ökonomische Gesamtsituation und auf etwaige Sondereinflüsse von seinen bestehenden Regelungen europäisch abgestimmt sinnvoll Gebrauch zu machen.

   Dem ist nichts hinzuzufügen. Diese Linie ist in ökonomischer und stabilitätspolitischer Hinsicht richtig. Dazu gibt es keine Alternativen, jedenfalls nicht von Ihrer Seite.

   Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Poß, warum lehnen Sie unseren Antrag ab?

(Joachim Poß (SPD): Das habe ich ja begründet! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Weil er Unsinn ist!)

   Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion lebt nun einmal von soliden öffentlichen Finanzen. Nur so kann die Grundlage für Vertrauen, Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Hierfür wurde unter der Federführung von Theo Waigel der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Eurozone durchgesetzt. Er selbst und wir, seine Mitstreiter in der CDU/CSU, konnten uns damals allerdings nicht vorstellen, dass ausgerechnet unser Land einmal so massiv gegen das Defizit- und das Schuldenstandskriterium verstoßen wird.

   Herr Eichel, Ihr Vorgänger Theo Waigel und unsere damalige Koalition haben die Kriterien eingehalten.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Unter welchen Umständen? Unsinn!)

Sie verletzen die Kriterien, niemand anders. Das sind die Fakten. Alles andere ist doch üble Nachrede. Sie suchen die Schuld immer bei anderen.

(Simone Violka (SPD): Weil es richtig ist!)

Tatsächlich ist Rot-Grün das finanzpolitische Risiko in Deutschland, niemand anders.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Tatsache ist, dass Brüssel ein deutsches Defizit in Höhe von 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im laufenden Jahr erwartet. Damit werden wir nach 2002 die Stabilitätsregeln auch 2003 wieder deutlich brechen. Wir müssen mit mindestens 3,4 Prozent rechnen, wenn nicht ein sofortiger Kurswechsel vorgenommen wird. Herr Eichel, Sie behaupten, dass daran die Länder und Kommunen schuld seien. Das ist ein Märchen; denn das Finanzierungsdefizit des Bundes einschließlich der Sozialversicherungen beträgt, bezogen auf die im Finanzrat vereinbarte Bemessungsgröße von 45 Prozent des BIP, 4,6 Prozentpunkte.

   Durch die Bundespolitik sind wir zu einem gesamtstaatlichen Schuldenstand von 3,4 Prozent und mehr gekommen; dazu trägt allein der Bund 4,6 Prozentpunkte bei. Die deutliche Überschreitung der Dreiprozentgrenze ist letztendlich damit im Zusammenhang zu sehen - trotz der Verschiebebahnhöfe zulasten der Länder und Kommunen. Diese 4,6 Prozentpunkte sind eben zu hoch, um die Schulden bei den Ländern und Kommunen unter die Dreiprozentmarke zu senken. Es ist deutlich zu erkennen, dass wir die Rahmenbedingungen beim Bund verändern und einen Kurswechsel vornehmen müssen. Beim Bund muss gespart werden. Wir müssen auf Bundesebene die richtige Politik und auch die richtige Steuerpolitik machen.

   Meine Damen und Herren, wie immer - wie auch vor der Bundestagswahl im letzten Jahr - setzen Sie auf Ausreden und Verschleierung. Sie ignorieren einfach die Einschätzung der EU-Kommission bezüglich des diesjährigen Defizits.

(Joachim Poß (SPD): Wechseln Sie doch mal die Platte!)

Sie entgegnen dem EU-Finanzkommissar Pedro Solbes, die Schätzung berücksichtige angeblich die steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung nur zum Teil. Das ist entwaffnend. Sie haben die Steuererhöhungen, die in dem Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgesehen waren,

(Joachim Poß (SPD): Wo ist eigentlich Herr Hinsken? Der ist gar nicht da!)

bereits in Verbindung mit einer Defizitquote von 2,8 Prozent nach Brüssel gemeldet. Das heißt, Sie haben Steuererhöhungen in Ihre Meldungen aufgenommen, von denen Sie genau wussten, dass die CDU/CSU sie letzten Endes nicht mitmacht, weil sie kontraproduktiv sind und Wachstum und Beschäftigung kosten werden. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Diese Aussage ist nicht nur entwaffnend; sie zeigt, dass Sie Einnahmen aus dem Abkassiermodell zulasten der Bürgerinnen und Bürger, zulasten des Mittelstandes schon veranschlagt hatten. Ich bin all denjenigen aus den CDU/CSU-regierten Bundesländern und unseren Mitgliedern des Vermittlungsausschusses sehr dankbar, die im Vermittlungsausschuss diese Steuererhöhungen zum Scheitern gebracht haben. Ihre Geschlossenheit bewirkte eine große Leistung im Sinne der Bürger, im Sinne von Wachstum und Beschäftigung.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das hätten Sie mal miterleben müssen, Herr Michelbach! Lächerlich! - Stephan Hilsberg (SPD): Das glauben Sie doch selber nicht!)

   Herr Poß hat so getan, als wenn er mit diesem Vermittlungsergebnis gar nichts zu tun hätte. Herr Poß, ich habe heute früh gelesen, 30 der 32 Mitglieder des Vermittlungsausschusses, also auch solche aus der SPD, hätten diesem Vermittlungsergebnis zugestimmt. Ich sage es Ihnen deutlich: Sie können sich doch davon gar nicht absetzen.

(Joachim Poß (SPD): Wer macht denn das?)

   Es ist gut, dass es so gekommen ist. Wir haben eine Wertzuwachssteuer auf Immobilien, Aktien und Fonds verhindert. Wir haben eine Firmenwagensteuer für Außendienstmitarbeiter verhindert. Wir haben eine Verschlechterung der Abschreibungen für die Bauwirtschaft und für die Investoren verhindert. Wir haben eine Einschränkung der Verlustrechnung für die mittelständischen Betriebe verhindert; es wäre ein Anschlag auf den Mittelstand gewesen, wenn er seine Verlustvorträge nicht mehr hätte verrechnen können. Außerdem haben wir eine Kürzung der Eigenheimzulage verhindert. Das hätte die Wirtschaft belastet sowie Wachstum und Beschäftigung in Deutschland gekostet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Bundesregierung handelt nicht, sofern sie nicht wie in diesem Vermittlungsverfahren dazu gezwungen wird, sondern verzögert weiter, reißt neue Löcher auf und bringt Deutschland in eine immer schwierigere wirtschaftliche Lage. Wer Steuern erhöht, der erhöht die Arbeitslosigkeit. Lassen Sie deshalb die Finger von Ihren Abkassiermodellen, von Ihren beabsichtigten Steuererhöhungen. Das muss Ihnen ins Stammbuch geschrieben werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich bin sehr dankbar, dass wir als einen der wesentlichen Punkte eine Stabilisierung im Bereich der Körperschaftsteuer erreicht haben. Das war sicherlich ein richtiger Kompromiss. Erst die rot-grüne Steuerreform hat ja zu diesen Verwerfungen geführt.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wurde gerade gebeten, zu sagen, dass ich von der PDS bin. Das tue ich gern.

   Der Bundeskanzler hat den Krieg im Irak in seiner Regierungserklärung als einen Grund dafür genannt, die europäischen Konvergenzkriterien zu überdenken. Es ist richtig: Der Krieg ist ein Konjunkturkiller. Klar ist, dass der Krieg das Wirtschaftswachstum gedrosselt hat und damit auch die Arbeitslosigkeit erhöht hat. Die öffentlichen Kassen werden also weiter stark belastet. Die Kosten des Krieges, die auf den Steuerzahler zukommen, sind noch gar nicht abzuschätzen.

   SPD und Grüne haben sich zwar intensiv gegen diesen Krieg ausgesprochen; aber sie haben bis zum letzten Tag US-Bombern Überflugrechte gewährt und deutsche Soldaten in AWACS-Flugzeugen belassen. Damit haben sie leider den Erwartungen der US-Regierung entsprochen und als logistisches Rückgrat für diesen Krieg gute Dienste geleistet. Selbst die kleine Schweiz hat mehr Mut bewiesen; sie hat nämlich der US-Regierung die Überflugrechte verwehrt.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Die Bundesregierung sieht nur zwei Möglichkeiten: Erhöhung der Steuern oder Erhöhung des Defizits. Wenn Sie die Neuverschuldung erhöhen, wie das übrigens gerade der CDU-Ministerpräsident Wulff in Niedersachsen macht, dann bekommen Sie Ärger mit Brüssel, da die Neuverschuldung nicht über 3 Prozent steigen darf. Da die Bundesrepublik im Jahr 2003 einen Wert von 3,4 Prozent erreicht und damit bereits im zweiten Jahr das Konvergenzkriterium überschreitet, ist eine weitere Neuverschuldung mit Brüssel nicht zu machen. Offensichtlich ist die EU-Kommission nicht bereit, den Irakkrieg als Grund für eine flexiblere Gestaltung der Konvergenzkriterien zu akzeptieren, was ich persönlich übrigens für falsch halte.

   Also bleibt der Bundesregierung nur die Möglichkeit der Steuererhöhung. In der Presse war von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zu lesen. Das wäre aus meiner Sicht wirklich ein politischer Skandal und ökonomischer Unsinn, ein Skandal deshalb, weil Herr Eichel den Kapitalgesellschaften allein im Jahr 2000 fast 24 Milliarden Euro Körperschaftsteuer erlassen hat. Im Vermittlungsausschuss hat sich heute Nacht die CDU/CSU durchgesetzt. Sie hat die möglichen Einnahmen aus der Körperschaftsteuer von 15 Milliarden Euro auf 4,4 Milliarden Euro pro Jahr heruntergehandelt.

   Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal etwas zur Schlusslichtdebatte sagen, die ich genauso unsinnig finde. Ich habe mir heute Morgen in Brüssel eine niederländische Zeitung gekauft. Da gab es eine große Schlagzeile: Nederland hekkensluiter in EU. - In verschiedenen Ländern wird also beschworen, man sei Schlusslicht. Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll.

   Ich finde, dass die Pläne zur Erhöhung der Mehrwertsteuer auch deshalb ein Skandal sind, weil sich die SPD und die Grünen weigern, Steuergerechtigkeit wieder herzustellen. Ihre große Steuerreform hat die Kommunen ruiniert und soziale Schieflagen hervorgerufen. Es ist Zeit, dass sich die SPD endlich an ihre Wahlversprechen erinnert und die Vermögensteuer wieder einführt.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Es ist auch ein Skandal, finde ich, weil die Bundesregierung mit diesen Einnahmen den Wiederaufbau des Irak finanzieren will. Da kann ich nur der Ministerin Wieczorek-Zeul Recht geben: Wer den Irak zerbombt, der muss auch die finanzielle Verantwortung für den Wiederaufbau übernehmen. - Es kann nicht sein, dass sich einige US-Unternehmen mithilfe ihrer Regierung und mit unseren Steuergeldern an diesem Krieg eine goldene Nase verdienen.

   Eine Mehrwertsteuererhöhung ist auch ökonomischer Unsinn, weil sie die Binnennachfrage weiter drosseln würde, und das würde wiederum mehr Arbeitslosigkeit bedeuten.

   Wir als PDS fordern deshalb: keine Mehrwertsteuererhöhung, dafür sofortige Besteuerung von Kapitalgesellschaften und Vermögen. Das würde sofort Einnahmen von circa 30 Milliarden Euro pro Jahr ergeben.

   Ich greife darum die Forderung des Kanzlers auf: Mut zur Veränderung. - Aber es gehört offensichtlich sehr viel Mut dazu, soziale Gerechtigkeit wieder herzustellen. Ich hoffe, meine Damen und Herren von Rot-Grün, dass Sie diesen Mut endlich aufbringen können.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD):

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Strikte Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes und strenge Anwendung seiner Vorschriften, diese Worte des CDU/CSU-Antrags stehen in krassem Gegensatz zu dem, was Sie an Taten in der aktuellen Politik folgen lassen, nämlich striktes Anhalten und strenges Einwenden: striktes Anhalten der notwendigen Reformvorschläge der rot-grünen Bundesregierung und strenges Einwenden gegen alle zukunftsweisenden Konzepte.

   Der vorliegende Antrag ist ohne jede positive Erwartung, enthält dafür aber umso mehr negative Prophezeiungen. Am 11. März dieses Jahres schreiben die Unionsparteien: Bereits heute steht so gut wie fest, was mit dem Defizit- und dem Schuldenstandskriterium wird. - Tatsächlich: Bereits 295 Tage vor Ende des Jahres wissen Sie, liebe schwarze Kolleginnen und Kollegen, wie 2003 enden wird, nämlich schwarz in schwarz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mehr noch, Sie behaupten - ich zitiere -: „Die Bundesregierung täuscht erneut“.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja auch!)

   Auch das kennen wir ja schon: erst das tagtägliche „Lügen, Lügen“-Gerede nach der Wahl, jetzt neue Formulierungen in die gleiche Richtung. Dabei geht es nicht nur um Worte, es geht auch um die Wirkung dieser Worte. Wer immer nur schlecht redet, der redet auch schlechte Situationen mit herbei.

(Beifall bei der SPD)

Wer aber über deutsche Europa-Politik ernsthaft diskutieren will, muss die europäische Sicht über Deutschland und dabei auch die Fakten kennen.

   Erstens. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel und alle anderen Verantwortlichen haben immer wieder deutlich gemacht, dass der Stabilitätspakt nicht zur Diskussion steht. Punkt. Warum diskutieren wir heute trotzdem? Weil Sie ein Stück öffentliche Verunsicherung wollen - und das in Zeiten, in denen die Menschen ein besonderes Sicherheitsbedürfnis haben. Das ist aus meiner Sicht geradezu unverantwortlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Zweitens. Portugal, Frankreich und Deutschland liegen zurzeit über dem Referenzwert des Maastricht-Vertrages. Die Europäische Kommission hat vorgestern dargelegt, dass sich die Haushaltslage der Eurostaaten noch verschlechtern und das Defizit aller EU-Staaten in diesem Jahr auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen wird. Wir haben es also mit verbundenen europäischen und nicht mit nationalstaatlichen Problemen zu tun. Brüssel befürchtet zudem im kommenden Jahr bei Italien eine Überschreitung der Dreiprozentgrenze. In Portugal, Frankreich und Italien regieren bekanntlich christdemokratische und konservative Parteien. Wer als Christdemokrat - das sind Sie ja - glaubt, mit einem Finger auf den sozialdemokratischen Finanzminister Deutschlands zeigen zu müssen, der sollte sich bewusst sein, dass bei ihm drei Finger automatisch auf die eigenen Parteifreunde in der Europäischen Volkspartei zurückweisen.

(Beifall bei der SPD)

   Drittens. Wir kennen die besonderen deutschen Standortfaktoren, insbesondere die jährliche Belastung mit Transferleistungen in Höhe von 75 Milliarden. Wir wissen zugleich - auch das ist deutlich geworden -, dass Deutschland der größte Nettozahler in der EU mit allein 7 Milliarden im letzten Jahr ist.

   Viertens. Die EU-Kommission hat das deutsche Stabilitätsprogramm ausdrücklich positiv bewertet und zugleich daran erinnert, dass die deutsche Volkswirtschaft trotz ihrer Größe nach wie vor höchst anfällig für externe Schocks ist. Zu Beginn des Irakkonfliktes hat Brüssel - bitte vergessen Sie das nicht - erklärt, dass ein Krieg grundsätzlich ein außergewöhnliches Ereignis ist. Mit anderen Worten: Es wurde ausdrücklich anerkannt, dass sich dadurch Unwägbarkeiten für Stabilität und Wachstum ergeben. - Die EU ist nun einmal komplizierter, als viele in der Union das glauben machen wollen. Mit strammen Appellen ist es da nicht getan.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Es ist klar: Europa muss in seiner allseits bekannten schwierigen Wirtschafts- und Finanzsituation gemeinsam handeln, zugleich muss jedes Land seinen Verpflichtungen nachkommen. Genau das tut die Bundesregierung, genau das hat Gerhard Schröder am 14. März hier Punkt für Punkt dargelegt. Wir haben an diesem 14. März eine Perspektive mit der Agenda 2010 aufgezeigt. Diese Agenda gibt es mit dem Lissabon-Prozess bereits auch in Europa, der die Gemeinschaft bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt machen soll, die fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu realisieren, und der für einen größeren sozialen Zusammenhalt sorgen soll. Basis dafür ist die Verbesserung von Infrastruktur und Humankapital. Diese europäischen Ziele sind auch Grundlage unserer Politik. Lissabon 2010 entspricht in Deutschland die Agenda 2010. Das packen wir jetzt an; damit muss aber auch Mut zur Veränderung einhergehen.

   Dabei wissen wir: Da die Geldpolitik komplett in den Händen der EU liegt, muss die Wirtschaftspolitik besser europäisch abgestimmt und zugleich national ausgestaltet werden. Deshalb - davon hat hier niemand geredet - hat Bundeskanzler Schröder zusammen mit Tony Blair und Jacques Chirac jetzt Maßnahmen vorgeschlagen, wie die Industrie im internationalen Wettbewerb besser unterstützt werden kann. Alle diese Initiativen wurden auf dem EU-Gipfel im März dieses Jahres übernommen. Der Tenor lautet: Die strukturelle Erneuerung und Modernisierung Europas ist voranzutreiben, um so die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften weiter zu steigern, Beschäftigungschancen für alle zu sichern und damit auch positive Entwicklungen im Haushaltsbereich zu befördern.

   Ich erinnere hierbei daran, dass Hemmnisse abgebaut werden, mit denen die europäische Industrie unter den heutigen Markt- und Wettbewerbsbedingungen noch leben muss. Es werden keine unnötigen neuen Auflagen geschaffen, den Unternehmen also keine neuen Lasten aufgebürdet. Die Märkte werden liberalisiert, also der Binnenmarkt wird besser gestaltet. Die Umsetzung europäischer Forschungsergebnisse wird erleichtert, die Biotechnologie wird gestärkt, die Beziehungen zwischen Instituten und neuen Unternehmen werden besser verzahnt. Schließlich wird die Finanzierung von Dienstleistungen, die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen dienen, gesichert.

   Wenn wir heute entscheiden wollen, wohin es gehen soll, so müssen wir auch wissen, woher wir kommen, wie die Grundlagen der europäischen Finanz- und Haushaltspolitik aussehen. Vor fast genau vier Jahren, am 24./25. März 1999, hat die rot-grüne Bundesregierung zu Beginn einer Legislaturperiode, in schwierigen Zeiten, auf dem Berliner Sondergipfel mit der Agenda 2000 die entscheidende finanzielle und haushaltstechnische Grundlage auch für die EU-Erweiterung gelegt.

   Im Dezember 2002 hat diese rot-grüne Bundesregierung auf dem Kopenhagener EU-Gipfel wiederum - auch zu Beginn einer Legislaturperiode, auch in schwierigen Zeiten - maßgeblich die Finanzierung für die neuen Länder auf den Weg gebracht. Gestern hat das Europäische Parlament der Aufnahme von zehn Mitgliedstaaten zugestimmt. Das ist ein historischer Erfolg für uns alle. Es ist eine Leistung dieser Bundesregierung, die vor der Geschichte Bestand hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   „Demokratie ist eine Frage des guten Gedächtnisses“, so hat Kurt Schumacher, der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, einmal formuliert. Der ehemalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende in diesem Hause, Kollege Wolfgang Schäuble, erklärte am 26. März 1999 in der damaligen Europadebatte zur Agenda 2000 - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -:

Aber die Beschlüsse zur Agenda 2000 bleiben hinter den Notwendigkeiten und hinter den gesteckten Erwartungen zurück.

Und weiter:

Weil auf dem Berliner Gipfel keine Vereinbarung über Maßnahmen zu stärkeren nationalen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht worden ist ..., ist dieser Gipfel gescheitert.

   Tatsächlich war dieser Gipfel ein großer Erfolg, der den europäischen Einigungsprozess entscheidend vorangebracht hat. Sie haben sich bezüglich der Geschichte geirrt. Es ist klar: Wer, wie Sie heute, am Anfang eines Prozesses dessen Scheitern erklärt, wird am Ende selbst scheitern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer Anfang 2003 schon erklärt, am Ende des Jahres würden wir schlecht dastehen, der steht am Ende selbst schlecht da.

   Wir wollen als Deutsche in Europa gut dastehen, auch weil Europa gut für Deutschland ist. Deshalb wird diese rot-grüne Regierung ihre Politik wie 1998 bis 2002 auch in diesem Jahr für Deutschland in Europa zu einem Erfolg werden lassen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Patricia Lips (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Einführung des Euro im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion wurden strikte, für alle verbindliche Regeln festgelegt, um die Stabilität der neuen Währung zu garantieren. Gleichzeitig wurden Möglichkeiten geschaffen, um im begründeten Bedarfsfall ausnahmsweise und vorübergehend reagieren zu können. Diese Regeln haben bisher alle Bewährungsproben bestanden. Es gibt auch für die Zukunft keine Veranlassung, daran zu zweifeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb bleibt festzustellen, dass die Einsicht in die Notwendigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Europa vielerorts immer mehr abnimmt. Aufgabe der deutschen Bundesregierung wie auch des Deutschen Bundestages sollte es deshalb sein, solchen Überlegungen deutlich entgegenzutreten und sich nicht an einer derart gestalteten Debatte zu beteiligen. Das ist eine Verantwortung, die von unserem Land erwartet wird.

   Doch welche Signale gehen von Deutschland aus? SPD und Bündnis 90/Die Grünen sagen von sich in ihrem eigenen Antrag, sich maßgeblich für ein Ende der Debatte eingesetzt zu haben, in welcher die Kriterien des Paktes seit Wochen öffentlich diskutiert werden. Herr Poß, Herr Schäfer, Sie haben beide gesagt, keiner stelle den bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakt infrage. Gestatten Sie mir deshalb, nachfolgend zwei Pressemeldungen zu zitieren, die aufzeigen, was Sie gelegentlich darunter verstehen, Debatten zu diesem Thema zu beenden. Beide stammen von Mitte Februar. Die Zahl der Zitate ließe sich beliebig erweitern, aber allein diese beiden machen deutlich, weshalb es uns so schwer fällt, an Ihre Aussagen zu glauben.

   Zunächst zitiere ich die „FAZ“ vom 12. Februar:

Am Vortag hatte der SPD-Vorstand über den finanzpolitischen Kurs beraten. Nach der Sitzung hatte die SPD-Politikerin Andrea Nahles berichtet, Bundeskanzler Schröder wolle Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich über eine Lockerung des Konsolidierungskurses in Europa führen. Dies hatte jedoch SPD-Generalsekretär Olaf Scholz bestritten. Am Dienstag bekundete ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums, die Bundesregierung halte am Konsolidierungskurs fest. Der SPD-Politiker Ludwig Stiegler ... sagte jedoch, eine Fixierung nur auf die Maastricht-Kriterien sei nicht gewollt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Was stimmt denn?)

Sie müssen schon zugeben: Man ist verwirrt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das müssen Sie uns aber nicht vorwerfen!)

   Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb am gleichen Tag:

„Uns ist kein Plan für eine Lockerung des europäischen Wachstums- und Stabilitätspaktes bekannt“, betonte eine Sprecherin des Hauses Eichel. Am Vortag hatte Schröder hingegen die Debatte über eine Korrektur des Sparkurses als berechtigt bezeichnet und eine europäische Initiative zu diesem Thema angekündigt.

Weiter im Text:

Differenzen in den Aussagen zwischen Eichel und Schröder seien nicht zu erkennen. Sie

- die Sprecherin -

könne sich die Sache nur so erklären, dass der Kanzler missverstanden worden sei.

Es ist schon ein Kreuz mit bestimmten Ämtern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Türk (FDP))

   Dieses Missverständnis setzt sich mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 14. März fort. Ich zitiere:

Deshalb halten wir am Ziel der Haushaltskonsolidierung und am Stabilitätspakt, den wir vereinbart haben, fest. Nur:

- jetzt kommt es -

Dieser Pakt darf eben nicht statisch interpretiert werden.

Sie haben Recht, Herr Schäfer: Es geht hier um die Wirkung der Worte. Das Signal, das Sie nach draußen senden, ist völlig verwirrend, und das Schauspiel, das Sie hier abgeliefert haben, war und ist entwürdigend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Türk (FDP))

Sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, dass Sie mit diesen öffentlichen Debatten in den anderen Ländern von Dankbarkeit über Häme über den deutschen Musterschüler bis hin zur Ungläubigkeit über Deutschland so ziemlich alles ernten, was die Diskussion in Europa noch zusätzlich anheizen wird?

   Die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland ist verheerend und nachweislich hausgemacht. In einer Entscheidung des Europäischen Rates wird im Januar dieses Jahres ausgeführt, dass die Überziehung des Etats und die Einnahmeausfälle in Deutschland nur zum Teil mit konjunkturellen Faktoren erklärt werden können. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen - diese Entscheidung bewertet immerhin Ihre Politik -: Ein wenig mehr Selbstkritik und stille Einkehr hinsichtlich Ihrer eigenen Politik der vergangenen viereinhalb Jahre ist an dieser Stelle sicher angebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Frau Hermenau, Sie haben vorhin sinngemäß gesagt, dass sich dieses Land seit 1999 auf dem richtigen Weg befindet. Der „Economist“ stellte bereits vergangenes Jahr zur rot-grünen Politik fest:

Durch die Konjunkturschwäche Deutschlands wird Westeuropa im kommenden Jahr das niedrigste Wachstum einer Weltregion aufweisen. Durch die Fehler dieser Regierung zieht Deutschland zurzeit die Wirtschaft der Europäischen Union in die Tiefe.

Das ist die Antwort, die nicht nur wir Ihnen auf Ihre Aussage geben. Die Situation ist schlimm und bedauerlich. Wir wünschten, sie wäre anders.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Der Generaldirektor für den Binnenmarkt in der EU sagt im aktuellen „Focus“:

Die deutsche Wachstumsschwäche droht die gesamte europäische Konjunktur in den Abgrund zu ziehen.
(Zurufe von der SPD: Oh!)

- Sie sollten in Ihren Zwischenrufen weniger zynisch sein. Es geht hier um sehr viel. - Diese Aussagen machen doch mehr als deutlich, dass wir zwischenzeitlich nicht mehr Betroffene, sondern vielmehr selbst Teil des Problems geworden sind. Es stünde Ihnen deshalb gut an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, nun nicht noch zusätzlich den Eindruck zu hinterlassen - es tut mir Leid, dies sagen zu müssen; aber so ist es -, Sie würden versuchen, Ihr eigenes Unvermögen auszutricksen, indem Sie sich daran beteiligen, die Stabilität unserer Währung neu zu definieren.

   In Ihrem Antrag sagen Sie noch mehr. Sie sprechen nämlich davon, dass die Bundesregierung mit ihrer Annahme des Defizitverfahrens für 2002 ein wichtiges Bekenntnis zum Pakt in seiner bestehenden Form abgegeben habe. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Die Regierung hat nicht ein Bekenntnis abgegeben, sondern sie ist einer puren Selbstverständlichkeit nachgekommen. Ich erinnere an das Verhalten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem blauen Brief vor einem Jahr: Rollläden runter, Augen und Ohren zu, Annahme verweigert - frei nach dem Motto: Wir doch nicht! - Wo war also Ihr wichtiges Bekenntnis zur Stabilität unserer Währung zum damaligen Zeitpunkt, als Sie den berechtigten blauen Brief nicht annahmen?

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch Ihren heutigen Antrag sind Sie nicht glaubwürdiger geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Eines wird in der Abfolge deutlich: Nicht nur Ihre jüngsten Äußerungen in der Presse, sondern auch die gesamte Entwicklung zeigt auf, dass bei Ihnen fast schon System dahinter steckt, das System, den Stabilitätspakt sehr beharrlich und mit allerlei beschönigenden Redewendungen durch neue Interpretationen im öffentlichen Bewusstsein zu entwerten, Regeln nach Kassenlage zu umgehen oder Verantwortung abzuschieben. Herr Eichel, dies haben Sie heute wieder eindrucksvoll getan.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen ein starkes Europa. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bildet die Grundlage der finanzpolitischen Solidarität und des Vertrauens nicht nur zwischen den Staaten der Eurogruppe, sondern vor allem auch auf den Finanzmärkten weltweit. Die Äußerungen in Ihrem Antrag sind entweder überflüssig oder Sie wollen doch mehr, als der Pakt schon heute zulässt. Genau dies ist zu befürchten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Patricia Lips (CDU/CSU):

- Ich sage nur noch ein paar Sätze. - Nehmen Sie uns diese Befürchtung! Machen Sie Ihre Hausaufgaben im Strukturbereich! Das ist das Einzige, was diesem Land hilft. Unser Antrag wird Ihnen dabei eine psychologisch wichtige Stütze bieten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP- Zuruf von der SPD: Um Gottes willen!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin Lips, dies war Ihre erste Rede hier in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und wünsche Ihnen politisch und persönlich alles Gute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß (SPD): Persönlich schon!)

   Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Wir stimmen über Tagesordnungspunkt 4 b ab, über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Entschließung des Europäischen Parlaments zu der jährlichen Bewertung der Durchführung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme, Drucksache 15/737. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

18. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes

- Drucksache 15/805 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch und des Sozialgerichtsgesetzes

- Drucksache 15/812 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juli 2002 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die deutsch-französischen Gymnasien und das deutsch-französische Abitur

- Drucksache 15/717 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2002 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 2002) -

- Drucksache 15/770 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

ZP 2 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Barbara Wittig, Dr. Dieter Wiefelspütz, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD, den Abgeordneten Hartmut Büttner, Dr. Angela Merkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (6. StUÄndG)

- Drucksache 15/806 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes

- Drucksache 15/810 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 i sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 19 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes

- Drucksache 15/536 -
(Erste Beratung 31. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)

- Drucksache 15/822 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Fograscher
Ralf Göbel
Silke Stokar von Neuforn
Gisela Piltz

   Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/822, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Votum wie in der zweiten Beratung angenommen.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 19 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens
(Spruchverfahrensneuordnungsgesetz)

- Drucksache 15/371 -
(Erste Beratung 25. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

- Drucksache 15/838 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Brinkmann (Hildesheim)
Dr. Jürgen Gehb
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke

   Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/838, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

• zu der Verordnung der Bundesregierung

Achtundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung

• zu der Verordnung der Bundesregierung

Einhundertste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -

• zu der Verordnung der Bundesregierung

Einhundertsechsundvierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -

• Drucksachen 15/291, 15/292, 15/293, 15/763 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

   Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnungen auf den Drucksachen 15/291, 15/292 und 15/293 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 d auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 26 zu Petitionen

• Drucksache 15/764 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 26 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 27 zu Petitionen

• Drucksache 15/765 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 27 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 28 zu Petitionen

• Drucksache 15/766 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 28 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 29 zu Petitionen

• Drucksache 15/767 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 29 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 30 zu Petitionen

• Drucksache 15/768 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 30 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 31 zu Petitionen

• Drucksache 15/769 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 31 ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

   Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 32 zu Petitionen

• Drucksache 15/829 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 32 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 33 zu Petitionen

• Drucksache 15/830 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 33 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 34 zu Petitionen

• Drucksache 15/831 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 34 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 35 zu Petitionen

• Drucksache 15/832 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 35 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

   Die Fraktion der CDU/CSU hat gebeten, die Sitzung jetzt zu unterbrechen, damit sie eine Fraktionssitzung abhalten kann. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.

   Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 12.33 bis 13.41 Uhr)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 40. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 11. April 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15040
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