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15. Wahlperiode
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   48. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 05. Juni 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer feierte am 31. Mai ihren 60. Geburtstag und der Kollege Haupt am 29. Mai ebenfalls seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere der Kollegin und dem Kollegen im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.

(Beifall)

   Sodann müssen zwei Nachwahlen vorgenommen werden. Im Wahlprüfungsausschuss ist die bei der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen noch offene Position des stellvertretenden Mitglieds zu besetzen. Hierfür wird der Kollege Josef Philip Winkler vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Josef Philip Winkler als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuss gewählt.

   Für den Beirat bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR schlägt die Fraktion der CDU/CSU das bisherige Mitglied Professor Dr. Manfred Wilke für eine weitere Amtszeit vor. Sind Sie auch damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist Professor Wilke gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in den Beirat gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Forderungen aus Union und FDP zum Verzicht auf Schuldenerlasse und zur Eintreibung von Schulden im Ausland (siehe 47. Sitzung)

2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Lasten gerecht verteilen - Mehr Unternehmen für Ausbildung gewinnen - Drucksache 15/1090 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ausbildung belohnen statt bestrafen - Ausbildungsplätze in Betrieben schaffen statt Warteschleifen finanzieren - Drucksache 15/1130 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Kranz, Wolfgang Spanier, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Ursula Sowa, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stadtumbau Ost auf dem richtigen Weg - Drucksache 15/1091 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Weis, Eckhardt Barthel (Berlin), Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Qualitätsoffensive für gutes Planen und Bauen voranbringen - Drucksache 15/1092 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

5. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 15/898 - (Erste Beratung 43. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung

- Drucksache 15/1137 -

Berichterstattung:
Abgeordneten Jens Spahn

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Gabriele Lösekrug-Möller, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP: Umfassender Schutz der Walbestände - Verbot kommerziellen Walfangs konsequent durchsetzen - Drucksachen 15/995 (neu), 15/1128 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Peter Bleser
Dr. Christel Happach-Kasan

6. Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU für die vom Deutschen Bundestag gemäß §§ 31 und 36 des Gesetzes über die Rundfunkanstalt des Bundesrechts „Deutsche Welle“ (Deutsche-Welle-Gesetz - DWG) zu wählenden Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates der Deutschen Welle - Drucksache 15/1122 -

7. Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Wahl von Mitgliedern in den Stiftungsrat der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ - Drucksache 15/1123 -

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Hinsken, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Handwerk mit Zukunft - Drucksache 15/1107 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Meisterbrief erhalten und Handwerksordnung zukunftsfest machen - Drucksache 15/1108 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

10. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISES 90/DIE GRÜNEN und FDP: Sofortige und bedingungslose Freilassung von Aung San Suu Kyi - Drucksache 15/1105 -

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Außerdem wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 14 - Kriegsdienstverweigerungs-Neuregelungsgesetz - mit den Beratungen ohne Aussprache aufzurufen und den Tagesordnungspunkt 23 - Graffiti-Bekämpfungsgesetz - abzusetzen. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 26. März 2003 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien, der Republik Estland, der Republik Lettland, der Republik Litauen, Rumäniens, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien

- Drucksachen 15/906, 15/1063 -

(Erste Beratung 44. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

- Drucksache 15/1117 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Monika Heubaum, SPD-Fraktion, das Wort.

Monika Heubaum (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitritt Bulgariens, Estlands, Lettlands, Litauens, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens zur NATO ist ein wichtiger Meilenstein zur Festigung der Stabilität und Sicherheit des euroatlantischen Raums.

(Beifall des Abg. Markus Meckel (SPD))

Mit ihm wird ein weiteres Kapitel in der Geschichte des erfolgreichsten Sicherheitsprojektes nach dem Ende des Kalten Krieges geschrieben. Zugleich rückt mit der Aufnahme dieser sieben Staaten die große transatlantische Vision eines „Europe whole and free“ wieder ein Stück näher. Die NATO der Zukunft nimmt weiter Gestalt an. Das sollte für uns alle ein Grund zur Freude sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Blicken wir zurück: Vor vier Jahren hat das Bündnis mit der Aufnahme Ungarns, der Tschechischen Republik sowie Polens bereits einen entscheidenden Schritt hin zur Überwindung der Teilung Europas gemacht. Damals war und heute ist Deutschland einer der entscheidendsten Verfechter der Öffnung des Bündnisses für weitere Mitgliedstaaten. Niemand in diesem Hause dürfte ernsthaft Zweifel daran haben, dass sich der Beitritt dieser drei Länder als großer Gewinn für das Bündnis erwiesen hat. Die Stabilitäts- und Sicherheitszone, die die NATO für ihre Mitglieder schafft, wurde ausgeweitet und der Demokratisierungsprozess in den Beitrittsstaaten gestärkt.

   Im Jahre 1999 hätte es wohl keiner von uns für möglich gehalten, dass die Allianz in einer der Hauptstädte der Beitrittsstaaten nur wenige Jahre später eine Entscheidung von historischer Dimension fällen würde. Mit dem Prager Gipfel vom vergangenen November hat die NATO entscheidende Weichen für das 21. Jahrhundert gestellt: nicht nur durch den Beschluss zur Aufnahme von sieben neuen Mitgliedstaaten, sondern auch durch die Festlegung ganz konkreter Maßnahmen vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Zudem hat die Allianz hier konkrete Handlungsziele für das im Jahr 1999 verabschiedete neue strategische Konzept beschlossen. An dieser Stelle möchte ich nur beispielhaft die Schaffung einer NATO-Response-Force, die Umsetzung des Aktionsplanes zur zivilen Notfallplanung sowie die Initiativen für die Verteidigung gegen nukleare, biologische und chemische Waffen nennen.

   Mit dem Gipfel von Prag hat die NATO ihre Handlungs- und Zukunftsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ich möchte anfügen: Die Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO - vor gut einer Woche ebenfalls in Prag - hat ein weiteres Beispiel dafür geliefert, wie gut sich neben Ungarn und Polen auch die Tschechische Republik in das Bündnis integriert hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch mit der weiteren Beitrittsrunde eine Erfolgsgeschichte für das Bündnis verbunden sein wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die transatlantische Gemeinschaft wird gestärkt, sie wird aber auch den weiteren neu definierten Aufgaben gerecht werden und sich den komplexen Herausforderungen sowohl als Bündnis gemeinsamer Verteidigung und des gegenseitigen Beistandes, insbesondere gegen den internationalen Terrorismus, als auch als Forum umfassender Krisen- und Konfliktprävention stellen können.

   Fest steht, die Eintrittskarten in die NATO haben die Beitrittsländer nicht zum Nulltarif erhalten. Es darf nicht verkannt werden, dass jedes der sieben Länder erhebliche Anstrengungen unternehmen musste, um die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft zu erfüllen. Aber die Aufnahme in das Bündnis bedeutet für die Beitrittsländer Stabilität und bildet damit auch die Grundlage für gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Prosperität. Nur solche sicheren Rahmenbedingungen eröffnen den Weg für Investitionen und fördern die Einbringung von ausländischem Kapital. Die Perspektive der Aufnahme in das Bündnis hat die Reformanstrengungen und den Demokratisierungsprozess in diesen Ländern erheblich beschleunigt. Besondere Bedeutung bekommt hier neben den Membership Action Plan die Parlamentarische Versammlung der NATO. Sie führt die Parlamentarier der Beitrittskandidaten an die Denkstrukturen im Bündnis heran und ermöglicht die Festigung persönlicher Kontakte.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage einer europäischen Friedensordnung ist nicht allein Sache der NATO. Die Osterweiterung der Europäischen Union leistet einen großen Beitrag zur euroatlantischen Sicherheit. Sie ist eine historische Investition in eine präventive Friedens- und Sicherheitspolitik. EU und NATO müssen eine strategische Partnerschaft eingehen. Dafür setzen wir uns mit Nachdruck ein. Sie bildet die Basis für ein konstruktives Zusammenwirken zwischen einem starken Amerika und einem gestärkten Europa.

Bei allem, was NATO und EU für die Verbesserung der europäischen Sicherheit unternehmen, ist die Partnerschaft mit einem sich demokratisierenden Russland von herausragender Bedeutung. Dies ist eine der transatlantischen Gestaltungsaufgaben im 21. Jahrhundert. Einem modernen, demokratischen und marktwirtschaftlichen Russland kommt bei der Gestaltung der europäischen Sicherheit eine große Rolle zu. Die Kooperation des Bündnisses mit Russland, aber auch mit der Ukraine ist unverzichtbar. Der NATO-Russland-Rat und der von der NATO-Ukraine-Kommission beschlossene Aktionsplan sind hier wesentliche Meilensteine und stehen als Symbol für eine funktionierende und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Diese muss auch in Zukunft weiter ausgebaut werden.

   An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich die Arbeit der Joint Monitoring Groups bezüglich Russlands und der Ukraine des NATO-Parlaments hervorheben, die ebenfalls ein gutes Beispiel für eine fruchtbare Zusammenarbeit darstellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand wird an dieser Stelle daran zweifeln, dass Deutschland als ein Land in der Mitte Europas von der zweiten Beitrittsrunde besonders profitieren wird. Aber nicht nur vor diesem Hintergrund heißen wir die neuen Mitgliedstaaten der NATO herzlich willkommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nach erfolgreichem Ratifizierungsverfahren könnten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien bereits im Mai 2004 formell Mitglieder der Allianz sein. Das wäre für Europa ein wichtiges politisches Signal. Gleichzeitig - das möchte ich zum Schluss meiner Ausführungen ausdrücklich sagen - bleibt die Tür des Bündnisses offen für weitere Mitglieder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Volker Rühe, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Volker Rühe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Freude, die die Kollegin Heubaum zum Ausdruck gebracht hat, teilt der ganze Bundestag. Dass sich die NATO um sieben Staaten erweitert, ist ein ganz entscheidender Beitrag zur Einheit und Sicherheit Europas. Fast wirkt das selbstverständlich; aber man muss sich noch einmal vor Augen führen, wie hart die Debatten vor zehn Jahren waren und von wem die Initiative ausging.

   Sie ist nicht von den Mitgliedstaaten der NATO ausgegangen, sie ist von außen gekommen. Es waren Staatsmänner wie Arpád Göncz in Ungarn, Lech Walesa in Polen und Vaclav Havel in Tschechien, die an die Tür der NATO geklopft und gesagt haben: Wir wollen rein, wir wollen zu euch, wir wollen dieselbe Sicherheit und Freiheit haben wie ihr. Kaum jemand hat zunächst auf sie gehört. Man hat alle möglichen Einwände dagegen vorgebracht.

   Übrigens war auch die Terminologie immer falsch. Es war falsch, von der Erweiterung der NATO zu sprechen; einige haben sogar „expansion of NATO“, Expansion der NATO, gesagt. Es war eine Öffnung nach dem Klopfen derjenigen, die sich aus dem Gefängnis des Warschauer Paktes befreit haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass wir letztlich darauf gehört haben und sich der Prozess heute in eindrucksvoller Weise fortsetzt.

   Ich will nicht zu viele Anekdoten erzählen; aber ich will, weil immer das Zerrbild von den Militärs dargestellt wird, als hätten sie sich nichts Schöneres vorstellen können als eine Ausweitung der NATO, darauf hinweisen, dass das Ganze nicht von den Militärs ausging. Ich erinnere mich an ein Gespräch 1996 mit einem deutschen Mehrsternegeneral, um es dezent auszudrücken, der mir gesagt hat, Polen könne noch nicht Mitglied der NATO werden, die Panzer seien nicht gut genug. Ich sage das nur, um die Geisteshaltung einiger zu verdeutlichen.

   Wir sollten den Prozess nie vergessen. Wir haben heute eine Situation, die uns allen nützt. Aber ausgegangen ist sie von denjenigen, die ihre Völker befreit und gesagt haben: Entweder haben wir in Europa alle gemeinsam Sicherheit und Freiheit im Bündnis oder niemand wird sie auf Dauer haben. Das ist die historische Leistung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich war in vielen Hauptstädten, auch in Bonn, die Rücksichtnahme auf Russland ein ganz wesentlicher Faktor. Man muss auch die Veränderung der russischen Position von Jelzin bis Putin würdigen. Ich glaube, dass es eine der großen Leistungen auch von Helmut Kohl war, Jelzin zu bewegen, 1997 den Widerstand letztlich aufzugeben. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, den ersten Schritt damals in den 90er-Jahren zu vollziehen.

Jetzt tun sich manche schwer mit der Nähe dieser neuen Mitgliedstaaten zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich weiß, das ist bei Ihnen nicht der Fall, Herr Außenminister. Wir müssen aber berücksichtigen, dass jeder mit seiner ganz eigenen Geschichte in die NATO kommt.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Auch der Außenminister!)

Das gilt am allermeisten für Deutschland. Man muss sich nur einmal daran erinnern, mit welcher Geschichte wir 1955 in die NATO gekommen sind. Bis heute sind unsere militärischen Entscheidungen davon geprägt.

   Deswegen sage ich: Den neuen Mitgliedstaaten - das sind überwiegend Staaten aus dem ehemaligen Warschauer Pakt -, die vier oder fünf Jahrzehnte länger sozusagen eingesperrt waren und die nicht frei entscheiden konnten, darf man keinen Vorwurf daraus machen, dass sie sicherheits- und freiheitsdominiert sind und dass sie ganz besonderen Wert auf die Beziehung zu den Vereinigten Staaten von Amerika legen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist historisch verständlich; denn jeder kommt mit seiner eigenen Geschichte in dieses Bündnis. Jeder neue Mitgliedstaat muss natürlich beachten, dass es immer einmal Situationen geben kann, in denen er europäische Interessen in einem Konflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika vertreten muss.

   Die Messlatte für eine Mitgliedschaft - die Öffnung bleibt bestehen; das hat die Kollegin eben zu Recht im Hinblick auf weitere Staaten angesprochen - bleibt hoch: einstimmige Zustimmung der Mitgliedstaaten, hohe Ansprüche an die demokratischen Strukturen und ökonomische Fortschritte der Beitrittsstaaten.

   Die Zusammenarbeit auf dem Balkan, die die Armeen näher zusammengebracht hat, ist wichtig. Ich möchte aber in diesen Tagen an das zehnjährige Jubiläum des Marshall-Centers in Garmisch-Partenkirchen erinnern, wo sich der Verteidigungsminister mit Rumsfeld treffen wird. Dieses deutsch-amerikanische Gemeinschaftsprojekt ist den Deutschen weitgehend unbekannt. Hier sind in den letzten zehn Jahren Tausende von Militärs und Zivilisten ausgebildet worden. Nicht die Hardware wie zum Beispiel die Modernisierung der Panzer oder der Flugzeuge, sondern die Software wie die Veränderung in den Köpfen ist das Entscheidende. Wenn das nicht so wäre, dann wäre die Mitgliedschaft der drei neuen Staaten kein Erfolg geworden. Gleiches gilt auch für die anstehende Mitgliedschaft von sieben weiteren Staaten. Deswegen geht mein Dank an das Marshall-Center in Garmisch-Partenkirchen für seine Arbeit im Rahmen dieses deutsch-amerikanischen Gemeinschaftprojekts.

(Beifall im ganzen Hause)

   Ich habe dieses Center vor zehn Jahren mit dem verstorbenen Kollegen Les Aspin eingeweiht; Bill Perry hat sich besonders darum gekümmert. Ich muss selbstkritisch zugeben: Meine amerikanischen Kollegen waren manchmal mehr daran interessiert, was in Garmisch passierte, als andere deutsche Kollegen und auch ich selbst. Was bis zum heutigen Tage dort geleistet wird, ist von großer strategischer Bedeutung.

   Als die Öffnung der NATO für neue Mitgliedstaaten kaum noch abzuwenden war, wurde eine Diskussion über die Kosten der Erweiterung initiiert und es wurden gigantische Summen in Milliardenhöhe genannt - als ob man Mitglied durch Modernisierung der Panzer wird -, um abzuschrecken. Das war eine fehlgeleitete Debatte. Wir haben inzwischen gesehen: Die eigentlichen Veränderungen - darauf können diese Staaten stolz sein - sind die Veränderungen in den Köpfen. Diese haben die Mitgliedschaft ermöglicht und nicht die Modernisierung der Flugzeuge und der Panzer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich darf sagen, dass es ein Verdienst der Regierung Helmut Kohls war - natürlich verbunden mit internen Diskussionen und Auseinandersetzungen; das ist gar keine Frage -, 1993 in der NATO Studien über die Machbarkeit einer Öffnung zu beginnen. Nachdem die Regierung Clinton zunächst den Schwerpunkt auf das Verhältnis zu Russland gelegt hatte, ist es ihr großes Verdienst gewesen, dass sie diesen Weg eingeschlagen hat. Ohne die USA wäre es letztlich nicht möglich gewesen, diesen Prozess zu beginnen und ihn jetzt erfolgreich fortzusetzen.

   Die Kollegin Heubaum hat schon die Beschlüsse des Prager Gipfels und die Tatsache angesprochen - das ist richtig -, dass die NATO eine neue NATO werden wird, die sich neuen Herausforderungen stellen muss. Ich glaube, die neuen Mitglieder werden sich dieser Sache annehmen. Die in Prag getroffenen Entscheidungen sind Ausdruck der gemeinsamen Überzeugung, dass europäische und amerikanische Sicherheit unteilbar ist. Angesichts der aktuellen Irritationen, die wir erleben, tun wir gut daran, zu überlegen, wo es Schwierigkeiten und wo es Gemeinsamkeiten gibt.

   Die Anschläge der Terroristen bedrohen uns alle. Das gilt auch für die Massenvernichtungswaffen. Sie bedrohen Amerikaner und Europäer gleichermaßen. Obgleich Europäer und Amerikaner manchmal wirtschaftliche Konkurrenten und Konkurrenten hinsichtlich moderner Technologie sind, kann man eines nicht bezweifeln: Wo immer auf der Welt Europa politisch oder ökonomisch Erfolg hat, nützt es den USA. Umgekehrt gilt: Wenn die Vereinigten Staaten Erfolg haben, dann nützt dies auch Europa.

Ich kann keine existenziellen Interessen Europas und Amerikas erkennen, von denen man sagen kann: Wenn sich der eine durchsetzt, dann werden die existenziellen Interessen des anderen berührt. Wir müssen in dieser Situation erkennen: Es verbinden die USA mit Europa und Europa mit den USA mehr politische und weltanschauliche Gemeinsamkeiten als mit allen anderen Regionen der Welt. Deswegen hat die NATO auch weiterhin ein ganz solides politisches und geistiges Fundament.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wichtig ist aber, dass wir Europäer unsere Verpflichtung ernst nehmen und unsere militärischen Fähigkeiten verbessern, um ein gleichwertiger Partner der USA zu werden und auch in Zukunft gemeinsame Operationen mit den USA durchführen zu können.

   Wir werden die Verteidigungshaushalte nicht drastisch erhöhen können. Ein Regierungswechsel in Deutschland würde sicherlich zu einer Erhöhung des Verteidigungshaushaltes führen, aber nicht zu einer drastischen Erhöhung. Es kommt darauf an, die Gelder klüger auszugeben, als wir das bisher in Europa tun. Eigentlich ist die Analyse ganz klar: In Amerika gibt es eine Luftwaffe; in Europa gibt es 25 Luftwaffen. Wir vergeuden jede Menge Geld, weil wir im Wesentlichen noch nationalstaatlich vorgehen. Wir geben immerhin fast 60 Prozent der Mittel aus, die die Amerikaner für Verteidigung ausgeben. Wir haben mehr Soldaten als die Amerikaner, aber wir erreichen nur 10 Prozent des Ergebnisses, das die Amerikaner erzielen. Fast jeder Staat, selbst wenn er im Binnenland liegt, hat ein eigenes Heer, eine eigene Luftwaffe und eine eigene Marine.

   Wir sollten uns stärker darauf besinnen, nicht mehr nur national - natürlich gibt es nationale Interessen, nationale Profile - vorzugehen. Es gibt bereits Ansätze in dieser Richtung. Ich kann die Bundesregierung nur sehr darin unterstützen, diesen Teil der Vereinbarung in Brüssel umzusetzen, auf diesem Weg fortzufahren und zu neuen Strukturen zu kommen: zu komplementären militärischen Strukturen, zu konsequenter Arbeitsteilung, zu einem Pooling von Ressourcen. Nur durch eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Hinblick auf unsere Fähigkeiten können wir erfolgreich sein.

   Hier ist die Zusammenarbeit von Großbritannien und Frankreich die Nagelprobe. Dahinter fällt auch Deutschland - von anderen einmal ganz zu schweigen - in seinen Möglichkeiten, zur Verteidigungsunion in Europa beizutragen, weit zurück. Großbritannien und Frankreich, das ist der Schlüssel.

   An diesem Projekt wird man erkennen können, ob wir weiterhin nur reden oder ob es einen wirklichen Quantensprung nach vorne gibt. Die Franzosen haben einen Flugzeugträger. Wenn er repariert wird, steht keiner zur Verfügung. Bei den Engländern ist es ähnlich. Sie brauchen weitere Flugzeugträger. Jetzt gibt es Überlegungen, baugleiche englische und französische Flugzeugträger herzustellen, sodass auf einem brittischen Flugzeugträger auch französische Flugzeuge - dies geht bisher überhaupt nicht - und umgekehrt auf einem französischen Flugzeugträger englische Flugzeuge landen können.

   Wenn dies möglich ist, dann ist das ein ganz entscheidender Schritt. Wenn aber jedes Land wieder einen eigenen Flugzeugträger baut, der in verschiedene Himmelsrichtungen fährt, und englische Flugzeuge nicht bei den Franzosen landen können und umgekehrt, dann - das muss ich sagen - ist das eine schlimme Niederlage für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wird eine ganz entscheidende Nagelprobe sein. Wir sollten die Kolleginnen und Kollegen ermuntern, diesen Schritt zu gehen.

   Dass jetzt Transportflugzeuge in einem Pool zusammengefasst werden, ist ein richtiger Schritt. Schon vor zehn Jahren habe ich gesagt - ich weiß, das ist nicht ganz leicht -: Warum kann man nicht auch U-Boot-Flotten zusammenlegen? Warum haben die Deutschen, die Niederländer und die Norweger - ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was das angesichts der Geschichte des letzten Jahrhunderts bedeutet - keine gemeinsame U-Boot-Flotte? Dann muss man vielleicht auch sagen: Das Hauptquartier sollte nicht in Deutschland sein - als großer Staat treten wir zurück -, sondern in den Niederlanden. Genau das wäre ein Beitrag, um Overheads zu sparen, komplementär vorzugehen und die europäische Verteidigung besser zu organisieren.

   So gibt es viele weitere Möglichkeiten, Synergien zu erreichen und auch Staaten wie Norwegen, die Türkei und Dänemark einzubeziehen. Ich glaube, dass der NATO die verbesserten Fähigkeiten der europäischen Länder zugute kommen werden. Insofern ist dies eine Politik, die die NATO und gleichzeitig das europäische Gewicht in der NATO stärkt.

   Denken wir an die letzte Krise: Was wäre denn gewesen, wenn wir den Konvent vor fünf Jahren und in dieser Krise einen europäischen Außenminister mit zwei Hüten gehabt hätten? Was hätte dieser arme Außenminister sagen sollen? Er hätte sich ähnlich ausgedrückt, wie man es in den Kommuniqués getan hat, in denen alle Positionen zusammengefügt worden sind. Das allein ist nicht die Lösung.

Was wäre, wenn niemand Flugzeugträger hat, mit denen man einmal in die eine und einmal in die andere Richtung fährt, sondern wenn man in einer militärischen Krise von den Instrumenten her gezwungen ist, sich politisch zu einigen, ohne nationale Interessen zu vernachlässigen? Deswegen glaube ich, dass es nicht ausreicht, nur politische Institutionen zu schaffen. Die militärische Reorganisation in Europa, also weg von einer rein nationalstaatlichen Organisation, hat vielmehr eine eminent politische Bedeutung. Würde sie umgesetzt, wären wir in einer Krise gezwungen, gemeinsame politische Positionen zu ergreifen. Dies ist, wie ich glaube, ein heilsamer Zwang, wenn wir wollen, dass Europa eine größere Rolle spielt.

   Mir ist klar, dass das, was ich sage, für die neuen Staaten eine große emotionale Zumutung darstellt; denn sie sind ja gerade wieder freie Nationalstaaten geworden. Als Erstes schafften sich selbst relativ kleine Staaten wie Ungarn und Tschechien Jagdflugzeuge an - auch ich habe damals dagegen polemisiert - und hatten kaum noch Geld für irgendetwas anderes. Das scheint aber Ausdruck ihrer nationalen Identität und Unabhängigkeit zu sein. Besser wären allerdings vier, fünf große Verbände in Europa zum Schutz des Luftraumes, auf die man sich dann auch verlassen kann. Zwar wäre es für die neuen Staaten emotional besonders schwer, wenn man von ihnen verlangte, diesen Schutz übernational zu organisieren. Aber es gibt keinen anderen Weg und deshalb müssen wir, die älteren Nationen in der NATO, die die rein nationalstaatliche Phase schon ein bisschen länger hinter sich haben und die bereit sind, nationale Ressourcen in gemeinsame europäische Fähigkeiten einzubringen, mit gutem Beispiel vorangehen.

   Während die Initiative zur Öffnung der NATO ein entscheidender Beitrag zur Sicherheit und Einheit Europas in den 90er-Jahren war - man muss sich nur einmal vorstellen, wir hätten die NATO nicht erweitert -, kommt es jetzt darauf an, Europa in der NATO so zu organisieren, dass sie den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird. Wir freuen uns, dass wir durch sehr motivierte Mitgliedstaaten Unterstützung bekommen. Wir heißen sie alle willkommen und freuen uns auf die Zusammenarbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung - ich freue mich, dass hier seitens der Fraktionen weit gehende Übereinstimmung über die historische Notwendigkeit dieses Schrittes erzielt wurde - wird meines Erachtens ein ganz wichtiger Schritt getan, um Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent dauerhaft zu garantieren.

   Da der frühere Bundesverteidigungsminister Rühe gerade gesprochen hat und vieles von dem, was er gesagt hat, auch die Zustimmung der Bundesregierung findet - er hat zu Recht auf die historischen Leistungen der Vorgängerregierung hingewiesen -, möchte ich es der Fairness wegen nicht versäumen - wir hatten in der Vergangenheit manchen heftigen Streit -, seine ganz besondere Rolle als Bundesverteidigungsminister beim Anstoßen der NATO-Osterweiterung zu würdigen. Herr Kollege Rühe, ich bringe Ihnen im Namen des ganzen Hauses, zumindest aber der Bundesregierung unseren Dank zum Ausdruck.

(Beifall im ganzen Hause)

   Die NATO-Erweiterung ist ein zentraler Schritt. Ich beginne da, wo mein Vorredner aufgehört hat. Die jetzige Erweiterung bis hin zu den baltischen Staaten und nach Südosteuropa - Polen, Ungarn und Tschechien waren schon vorher Mitglieder - erfolgt in einem parallelen Prozess zur EU-Osterweiterung. Das dürfen wir nicht vergessen. Wenn in jüngster Zeit Diskussionen aufkamen, in denen versucht wurde, einen Gegensatz von NATO-Erweiterung und Erweiterung der Europäischen Union zu konstatieren, dann kann ich nur sagen, dass es sich aus unserer Sicht als ein paralleler Prozess darstellt. Zu Beginn meiner Amtszeit war es noch ein Anathema, ein Tabu, dass EU und NATO zusammen tagen und die beiden Spitzen, Javier Solana, der Hohe Repräsentant der Europäischen Union, und NATO-Generalsekretär Robertson, zusammenarbeiten. Heute ist diese Kooperation eine Selbstverständlichkeit - bei allen Problemen im Detail, die es immer wieder gibt. Daran wird deutlich, welchen Fortschritt wir hier erzielt haben. An dieser Stelle würdige ich die Leistungen der Zusammenarbeit von Europäischer Union und NATO in Mazedonien. Die Zusammenarbeit von Diplomatie und militärischem Druck sowie die Sicherheitsgarantie von NATO und Europäischer Union, von Lord Robertson und Javier Solana, haben eine weitere humanitäre Katastrophe, einen barbarischen Bürgerkrieg auf dem Balkan verhindert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Das macht klar: Wir reden hier über die Zukunft unserer gemeinsamen Sicherheit. Deutschland liegt inmitten eines zusammenwachsenden Europas, inmitten eines neuen Stabilitäts- und Sicherheitsraums. Das wird unsere Lage dramatisch verändern, das wird die Anforderungen an die deutsche Außenpolitik, eingebettet in die europäische und in die Bündnispolitik, grundsätzlich verändern, ebenso die Fähigkeiten und die Notwendigkeiten, denen die Bundeswehr gegenüber steht.

   Seien wir einmal ehrlich: Wer von uns hätte vor zwei Jahren gedacht, dass die Bundeswehr am Hindukusch und am Horn von Afrika in solchen Größenordnungen eingesetzt wird, wie es heute der Fall ist? Das hätte keiner hier im Hause, egal von welcher Seite des Hauses, als eine realistische Perspektive betrachtet.

   All das macht deutlich, dass es um eine dramatische Veränderung geht. Die neue, die erweiterte NATO muss hierfür auch neue Strukturen entwickeln. Lassen Sie mich an diesem Punkt wiederholen, was ich beim NATO-Frühjahrstreffen der Außenminister gesagt habe: Das transatlantische Bündnis gründet auf zwei Pfeilern: auf dem nordamerikanischen, bestehend aus den USA und Kanada, und auf dem europäischen Pfeiler. Dieses Bündnis kann nur geschwächt oder gar gefährdet werden, wenn einer der Pfeiler so geschwächt wird, dass er nicht mehr belastbar ist. Deswegen liegt ein starkes Europa im Interesse des Bündnisses; ein schwaches Europa würde dieses Bündnis gefährden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Deswegen kommt es meines Erachtens ganz entscheidend auf die erweiterte NATO an. Kollege Rühe hat über deren Fähigkeiten gesprochen; ich möchte das nicht wiederholen, sondern unterstreiche das. Wenn ich richtig informiert bin, haben Frankreich und Großbritannien bereits die notwendigen Schritte eingeleitet, um einen gemeinsamen Flugzeugträger zu bauen. Ja, das erleben wir in der Europäischen Union wie in der NATO: Wir müssen Verständnis dafür haben - es ging uns doch über die Jahrzehnte des Kalten Krieges hinweg nicht sehr viel anders und wir erleben es auch im Inneren -, wie viel Zeit, wie viel Verständnis und Aufeinanderzugehen notwendig sind, um die Folgen der Teilung im Inneren zu überwinden. Selbstverständlich sagen viele Menschen in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der NATO: Wir haben gerade eine Union überlebt, wir haben für unsere Unabhängigkeit gekämpft. Ja, Jagdflugzeuge sind Symbol der nationalen Unabhängigkeit, genauso wie Sprache, eigenes Geld und anderes mehr. Das erfordert aus deren Sicht Geduld, das erfordert Zeit.

   Machen Sie nicht den Boten für die Botschaft verantwortlich. Ich teile diese Position nicht; ich plädiere nur für das zur Überwindung dieser Positionen notwendige Verständnis. Das, was Kollege Rühe über die gemeinsamen Fähigkeiten gesagt hat, ist selbstverständlich richtig, zutiefst rational und muss die Zukunft im Bündnis wie auch in der Europäischen Union bestimmen. Wir müssen begreifen, dass dies seine Zeit braucht, aber wir müssen dieses transatlantische Bündnis, das so grundsätzlichen Veränderungen unterworfen ist, auch stärken. Die NATO betreibt heute nicht mehr klassische Landesverteidigung. Wir sind heute nicht mehr in der Situation eines geteilten Landes, einer geteilten Stadt, wo die erstarrte Frontlinie im Grunde genommen die permanente Bedrohung, die Konfrontationslinie war. Die NATO betreibt heute gemeinsam mit der Europäischen Union im Wesentlichen „nation building“, um Nationen zu helfen, sich zu stabilisieren, um in langfristigen Einsätzen regionale Stabilisierung zu betreiben. Das ist ein völlig anderes Einsatzprofil.

   In diesem Zusammenhang müssen wir natürlich die Frage stellen: Was heißt Stärkung des europäischen Pfeilers? Europa hat drei Defizite. Das erste Defizit ist die politische Willensbildung. Darüber wird gar nicht vorrangig in der NATO entschieden, sondern sie wird im Wesentlichen innerhalb der Europäischen Union vorankommen müssen. Das leistet jetzt der Konvent. Zweitens bestehen große Probleme in den Institutionen bei der Umsetzung des politischen Willens und drittens in Bezug auf die Fähigkeiten, den so genannten Capabilities. Das sind die drei großen Defizite. Aber ansonsten hat Europa überall dort, wo es um Softpower-Faktoren geht, etwa hinsichtlich des Mittelmeerraumes oder des Nahen Osten, einen Instrumentenkasten, der teilweise über das hinausgeht, was die Vereinigten Staaten von Amerika in Bezug auf regionale Konflikte zu bieten haben.

   Ich hoffe, dass der Prozess zur Beilegung des Nahostkonfliktes jetzt, angeschoben vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, wirklich vorangehen wird; ich halte ihn für die regionale Stabilisierung für unverzichtbar. Aber die Roadmap ist ein europäisches Kind und wurde in der Europäischen Union entwickelt. An diesem Punkt sei auch erwähnt, dass die Reform in den palästinensischen Institutionen bis hin zum Premierminister vorangegangen ist und dass dies vor allen Dingen Miguel Moratinos und Javier Solana zu verdanken ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben zu Beginn des Ratifizierungsverfahrens vor vier Wochen hier im Deutschen Bundestag einhellig die Aufnahme der sieben neuen Mitglieder in die NATO begrüßt. Ja, wir haben dieses Ergebnis als geradezu tektonische Veränderung in Europa, die eine Verschiebung der Geografie bedeutet, begrüßt. Ich freue mich, dass diese in schwierigen außenpolitischen Zeiten leider seltener gewordene Einigkeit in diesem Hause auch heute bestehen bleibt.

   Der Deutsche Bundestag freut sich über diesen Schritt; denn er ist - Kollege Rühe hat völlig zu Recht darauf hingewiesen - insbesondere mit Blick auf die letzten 15 Jahre alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Die große Leistung, die erreicht worden ist, wird nicht dadurch erbracht, dass wir heute dem Ratifikationsgesetz zustimmen. Sie ist vielmehr durch eine gigantische Freiheitsrevolution erbracht worden, die die Bürgerinnen und Bürger in Mittel-, Ost- und Südosteuropa getragen haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Diese Länder sind einen langen Weg gegangen. Wir nehmen sie heute in eine NATO auf, die jetzt eine andere ist als zu dem Zeitpunkt, als sie den Aufnahmeantrag zum ersten Mal erwogen haben. Nachdem sie sich seinerzeit vom Joch der sowjetischen Unterdrückung befreit haben, haben sie in allererster Linie die Sicherheit und die Garantien des NATO-Bündnisses gesehen und haben deshalb oft genug gesagt: Das ist uns zunächst einmal wichtiger als die Integration in wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen, die wir im Rahmen der Europäischen Union vorantreiben. Das ist verständlich.

   Der Interessenschwerpunkt hat sich mittlerweile verschoben, denn die NATO ist eine andere geworden. Das ist eine Erkenntnis, die auch für die Bürgerinnen und Bürger in den Beitrittsstaaten nicht ganz leicht ist. Es erfordert nämlich eine erneute Anpassung, eine gigantische Veränderung nach den ungeheuren Veränderungen, die den Menschen in Mittel- und Osteuropa in den letzten gut zehn Jahren abverlangt worden sind.

   Meine Damen und Herren, die Selbstverständlichkeit, mit der NATO und EU miteinander umgehen - Herr Fischer hat das eben zu Recht angesprochen -, war ja vor zehn oder auch vor acht Jahren noch keineswegs gegeben. Ich erinnere mich noch sehr gut: Wenige Tage nachdem unser damaliger EU-Ratspräsident, der damalige spanische Außenminister Javier Solana, in das Amt des NATO-Generalsekretärs gewechselt ist, haben wir einmal ganz vorsichtig versucht, ihn anlässlich eines informellen Mittagessens in den Kreis des Rates einzuladen, um über Fragen von militärischen und sicherheitspolitischen Dimensionen zu diskutieren. Das ist sofort strikt abgelehnt worden; das wäre weder in Paris noch in Washington vermittelbar gewesen. Das ist gerade einmal acht Jahre her. Das zeigt, dass inzwischen gigantische Fortschritte erzielt worden sind.

   Dennoch steckt die NATO in einer tiefen Krise. Wir haben das bei der sehr eindrucksvollen Debatte anlässlich der NATO-Parlamentarierversammlung in der letzten Woche erlebt. Es ist ein spannender Diskussionsprozess, der alles andere als abgeschlossen ist. Ich denke, wir sollten an dem festhalten, was wir in der NATO haben. Sie ist das einzige operative Militärbündnis, sie ist nicht nur das erfolgreichste in der Geschichte, sondern bietet auch für die Zukunftsgestaltung die beste Perspektive.

   Die NATO leistet zurzeit in Afghanistan schon Großartiges und wird ihre Rolle in der zweiten Jahreshälfte noch verstärken. Aber die NATO kann mehr und wir werden sie mehr machen lassen müssen. Die Welt ist nicht sicherer, die Bedrohung nicht geringer geworden; das wissen wir alle.

   Nordamerikaner und Europäer sitzen an einem Tisch in - institutionalisierter Form, mit jahrzehntelanger positiver Erfahrung und sogar mit einem funktionsfähigen, operativ verwendbaren Militärapparat ausgestattet. Wer, wenn nicht die NATO, sollte für eine gemeinsame westliche Sicherheitspolitik den Rahmen bilden, aber eben zugleich auch den Arm?

   Die Realität sieht heute anders aus. Die NATO spielt bei brandheißen aktuellen Entscheidungen und Herausforderungen der Sicherheitspolitik praktisch keine Rolle. Das war nach dem 11. September so, trotz der erstmaligen Ausrufung des Bündnisfalles, das war im Irak so und das ist jetzt im Kongo wieder der Fall. Was diesen letzten Fall angeht, bedauere ich das übrigens sehr. Ich finde es sehr gut und begrüße auch die Unterstützung der Bundesregierung bei dem Ansinnen, dass die Vereinten Nationen sich dem Thema Kongo jetzt in großer Intensität und mit großer Kraftanstrengung zuwenden. Aber die sicherheitspolitische Aufgabe, die dort jetzt wahrscheinlich zu erledigen ist - und das ist nur ein ganz kleiner Teil der Aufgaben, die in Afrika zu erledigen sind -, ist nach meiner Auffassung möglicherweise doch besser bei der NATO anzusiedeln als bei der Europäischen Union.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als glühender Verfechter des europäischen Integrationsprozesses, der die Meinung vertritt, dass wir auch unsere sicherheitspolitisch-militärischen Strukturen in der EU verbessern müssen, bin ich dezidiert der Auffassung, dass wir uns nicht überheben dürfen, wenn wir noch nicht so weit sind. Ich erinnere mich an die Debatte vor wenigen Monaten, als wir gefragt haben, ob nicht vielleicht der Einsatz in Bosnien-Herzegowina neben dem in Mazedonien besser von der EU wahrgenommen werden sollte. Da hieß es: Nein, das können wir in der EU noch nicht; so weit sind wir noch nicht. Aber jetzt plötzlich können wir es im Kongo. Beim Einsatz im Kongo sprach Kofi Annan in seiner gestrigen Vorlage für den Weltsicherheitsrat schon von 11 000 Mann, auch mit einer großen Aufwuchsperspektive, zusätzlich zu dem, was bei MONUC jetzt schon der Fall ist. Es geht dort um eine gigantische, eine riesige militärische Operation, die nichts mit Blauhelmeinsätzen oder dem Auseinanderhalten von bereits getrennten Konfliktparteien zu tun hat. Es geht um einen sehr gefährlichen, einen schmutzigen Einsatz.

   Ich bin übrigens der Auffassung, dass die Bundeswehr aufgrund ihrer Ausbildungsphilosophie in den letzten 50 Jahren aus gutem Grunde nicht befähigt ist, dort einen Kampfeinsatz zu leisten. Wir sollten die Bundeswehr dafür gar nicht kritisieren, denn wir haben sie aus gutem Grund anders ausgebildet. Die verteidigungspolitischen Richtlinien, über die wir gegenwärtig diskutieren, zeigen, dass auch für die Bundeswehr hier ein erheblicher Anpassungs- und Modernisierungsbedarf besteht. Aber wir müssen diese Schritte vorsichtig vollziehen und uns auch genau überlegen, mit welchen Fähigkeiten wir die Bundeswehr ausstatten wollen.

Meine Damen und Herren, die Befürworter der NATO, zu denen ich mich selbstverständlich auch seit vielen Jahren zähle, haben immer gesagt, wenn die NATO nicht bereit sei, „out of area“ zu gehen, sei sie bald „out of business“. Jetzt hat die NATO ihr theoretisches und zum Teil auch schon ihr praktisches Operationsgebiet längst ausgedehnt. Sie ist längst „out of area“ und droht trotzdem mehr denn je „out of business“ zu gehen. Woran das liegt, ist klar.

   Wir müssen die Pfeiler und den Bogen der transatlantischen Freundschaftsbrücke wieder auf beiden Seiten stärken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt, nicht nur auf politische Deklamation bedacht zu sein, sondern auch die Bereitschaft zu haben, den amerikanischen Freunden auf militärischem Gebiet mehr anzubieten und mehr zu leisten. Herr Kollege Rühe hat völlig Recht: Das ist nicht an 24,4 Milliarden Euro festzumachen. Es muss darauf ankommen, was wir aus dem vorhandenen Geld machen.

   Ich erinnere, da Sie eben das Thema Jagdflugzeuge angesprochen haben, an die Debatte, die wir Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre über den Jäger 90, später Eurofighter, geführt haben. Durch unsere Entscheidungen haben wir dafür gesorgt, dass in Westeuropa drei Jagdflugzeuge gleichzeitig entwickelt wurden, Gripen, Rafale und Eurofighter, die jetzt peu à peu in die Luftwaffen der europäischen Länder eingeführt werden. Wäre schon damals die Bereitschaft vorhanden gewesen, über echte Arbeitsteilung im Bündnis zu sprechen, dann - -

(Jörg Tauss (SPD): Wer hat damals regiert?)

- Das hat nichts mit Regierung dieser oder jener Couleur zu tun. Farblich war es in Europa immer sehr bunt. Herr Kollege Tauss, Sie liegen völlig falsch.

(Zuruf von der FDP: Er liegt immer falsch!)

Das ist eine Frage von Mentalität auf unserem gesamten Kontinent, seinerzeit wie heute.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Bereitschaft, darüber nachzudenken, ob man nicht eine wirkliche Arbeitsteilung in dem Sinne vornehmen sollte, dass man unsere relativ großen und zumindest damals recht neuen Luftangriffskapazitäten in Tornadoverbänden konsolidiert und stärkt und gleichzeitig die Luftverteidigungsaufgaben Partnern im Bündnis überlässt, die ihre Stärke im Bereich der Luftabwehr haben, war seinerzeit nicht vorhanden. Wir müssen auch heute sehr viel mehr daran arbeiten, eine solche Bereitschaft herzustellen.

   Das setzt allerdings den Willen voraus, die Diskussion über Souveränitätsverzicht zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Rahmen müssten wir uns nämlich auch darüber unterhalten, ob es möglich ist, dass in einem solchen Fall, den wir leider vor einiger Zeit in Frankfurt erleben mussten - der Verteidigungsminister war in einer überaus schwierigen Entscheidungssituation -, der dann eventuell notwendig werdende Einsatz auch von einem britischen, französischen oder niederländischen Flugzeug durchgeführt werden kann. Diese Diskussion müssen wir führen. Ich denke, wir sollten jetzt, ermutigt durch den Beitritt der neuen Mitglieder der NATO, die Kraft aufbringen, solche Diskussionen zu führen. Wir sagen diesen neuen Mitgliedern: Welcome to the Club.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Kramer, SPD-Fraktion.

Rolf Kramer (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem NATO-Gipfel in Prag am 21. November letzten Jahres haben die Staats- und Regierungschefs entschieden, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien zu Beitrittsgesprächen einzuladen. Mit den schon 1999 erfolgten Beitritten Polens, Tschechiens und Ungarns findet damit ein Prozess seinen vorläufigen Höhepunkt, den man vor dem Hintergrund der Geschichte des letzten Jahrhunderts nur als atemberaubend bezeichnen kann.

   Durch den Hitler-Stalin-Pakt vom Sommer 1939 wurde im Prinzip eine Trennlinie durch Europa von Finnland bis an das Schwarze Meer gezogen. Hier wurden Interessensphären abgegrenzt, über die Köpfe der betroffenen Länder und der Menschen hinweg. Nach dem deutschen Überfall auf Polen wurden die baltischen Staaten der Sowjetunion einverleibt, ebenso ein großer Teil Polens und Teile Rumäniens. Im Prinzip hielt diese Aufteilung, allerdings mit einer erheblichen Westverschiebung verbunden, bis zum Ende des Kalten Krieges, also länger als 50 Jahre. Das faschistische Deutschland hatte als Akteur maßgeblichen Anteil an dieser verfehlten und verbrecherischen Politik. Deutschland wurde, auch das darf nicht verschwiegen werden, selber Opfer der Folgen dieser Politik.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lehre, die die Eliten in den meisten der am Ersten Weltkrieg beteiligten Länder aus diesem Krieg gezogen hatten, nämlich eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Ländern in West- und Zentraleuropa zu vermeiden, zogen die Eliten in Deutschland, zumindest mehrheitlich, endgültig erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war die Politik der sozialliberalen Koalition ab 1969, die durch die Anerkennung der Folgen des Zweiten Weltkrieges dazu führte, dass sich die Blöcke anfangs zwar kaum wahrnehmbar, aber dennoch mit zunehmender Beschleunigung annäherten. Der Beginn dieser Politik war in der damaligen Bundesrepublik Deutschland mit einer großen politischen Auseinandersetzung, ja einer innenpolitischen Zerreißprobe verbunden.

   Heute steht fest: Die Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der damaligen Tschechoslowakei und der Grundlagenvertrag mit der DDR waren die grundlegenden Vorbedingungen für den Helsinki-Prozess und für die nachfolgenden KSZE- und OSZE-Vereinbarungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP))

   Es war der so genannte Korb 3 der Helsinki-Vereinbarungen, der in den Ländern des damaligen Ostblocks mit dafür sorgte, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse anfangs langsam, dann aber mit Urgewalt wandelten. Das Konzept von Willy Brandt und Egon Bahr, das Konzept des Wandels durch Annäherung, war, das kann man heute mit Genugtuung und vor allen Dingen mit Dankbarkeit sagen, erfolgreich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP))

   Als Teile dieses Hauses noch in den Schützengräben des Kalten Krieges verharrten, sorgte diese kluge und vertrauensbildende Politik dafür, dass die notwendigen Vorbedingungen geschaffen wurden, um das gemeinsame Haus Europa wieder in Frieden und Freiheit bewohnbar zu machen. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland und in Europa hat das damals intuitiv schnell verstanden. Konnte die Sowjetunion den Prager Frühling 1968, den Versuch also, einen Sozialismus mit einem menschlichen Angesicht zu schaffen, mit dem Warschauer Pakt noch mit Gewalt stoppen, war dies nach der Einleitung des Helsinki-Prozesses in Europa nicht mehr möglich.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen nicht vergessen, dass der Wandel im damaligen Ostblock von Polen ausging - ich erinnere an die Solidarnosc-Bewegung - und sich in der Sowjetunion unter Gorbatschow mit Perestroika und Glasnost fortsetzte. Die von der SPD und von Willy Brandt zu Beginn der 70er-Jahre eingeleitete Politik hat mit zu diesem Wandel beigetragen. Das bleibt das große Verdienst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Durchgeführt und umgesetzt haben diesen Prozess aber die vielen Menschen in den Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes. Das bleibt ihr Verdienst.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP))

Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die Länder, die durch den Hitler-Stalin-Pakt der Willkür der Diktaturen ausgeliefert wurden, Mitglieder der NATO werden. Das dient dem Frieden und der Entwicklung in diesen Ländern und damit auch bei uns.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich hat sich auch die NATO seit ihrer Gründung verändert. Die NATO wirkt nicht mehr in erster Linie aufgrund der atomaren Abschreckung. Das ist aus meiner Sicht der eigentliche Bedeutungswandel. Wie schon in den vergangenen Jahren, wird die NATO auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Überzeugungen ihrer Mitglieder in Zukunft noch stärker der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung verpflichtet sein. Die notwendige verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und der NATO ist dabei der Weg, um ein starkes Amerika und ein sich entwickelndes gemeinsames Europa konstruktiv zusammenwirken zu lassen. Der Beitritt der sieben Länder ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

   Ein wesentlicher Teil der NATO-Entwicklung seit 1990 zielte darauf, den mittel- und osteuropäischen Raum unter anderem durch die Einbindung in ein Netz von Sicherheitsbeziehungen politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren. Elemente dieser Politik waren und sind der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, das Programm Partnerschaft für den Frieden sowie die besonderen Beziehungen der Allianz zu Russland und zur Ukraine. Alle neuen Mitglieder haben im Rahmen des PfP-Programms und mit der anschließenden Teilnahme am so genannten Membership Action Plan in den Bereichen Standardisierung und Interoperabilität ihrer militärischen Möglichkeiten große Anstrengungen unternommen. Das war auch eine der Grundvoraussetzungen für die Einladung zur Mitgliedschaft.

   Deutschland hat die zukünftigen Mitglieder in den vergangenen Jahren bei der Vorbereitung auf die Mitgliedschaft bilateral ganz konkret unterstützt, zum Beispiel durch Ausbildungshilfe, Materialhilfe, Austausch von Soldaten und militärpolitische Konsultationen. Damit unsere neuen NATO-Partner die geltenden Standards in allen Bereichen erfüllen können, wird auch in den kommenden Jahren eine weitere Unterstützung notwendig sein. Dieser Aufgabe wird sich Deutschland nicht verschließen. Wir sollten schon aus unserem Eigeninteresse heraus daran interessiert sein; denn Deutschland profitiert allein aufgrund seiner geographischen Lage in Zentraleuropa vom Beitritt der neuen Mitglieder.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die NATO ist seit 1990 in verstärktem Maße keine bloße Militärorganisation mehr. Dies würde nicht nur dem Art. 2 des Nordatlantikvertrages von 1949, sondern auch der aktuellen Aufgabenzuweisung durch die NATO selbst bzw. ihrer Erweiterungsperspektive widersprechen. Dieser Grundsachverhalt wird schon durch die Vorbedingungen deutlich, die die NATO den sieben neuen Mitgliedern für eine Aufnahme gestellt hat. Sie waren nicht nur militärischer, sondern ausdrücklich auch politischer Natur: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Regelung von internationalen Streitfragen einschließlich ethnischer Konflikte mit friedlichen Mitteln, Respektierung der Menschenrechte, Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen und zivile Kontrolle der Streitkräfte. Alle diese Punkte sind bei den sieben Beitrittsstaaten auf einem guten Weg.

   Wir freuen uns darauf, die neuen demokratischen Staaten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei als Mitglieder der NATO im alten Europa zu begrüßen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Weg zur Überwindung der Spaltung Europas als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges ist damit abermals ein großes Stück vorangekommen.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile nun dem Kollegen Gerd Müller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Struck, Sie werden heute in der „Welt“ zitiert mit den Worten:

Ich glaube nicht, dass Deutschlands Soldaten als Kampftruppen ins Gebiet gehen werden.

Ich frage Sie: Schließen Sie das aus? Sagen Sie uns, was Sie wollen!

   Auf der einen Seite werden minensichere Fahrzeuge für die Bundeswehr heute abbestellt; der Dingo wird auf 2009 verschoben. Auf der anderen Seite schicken Sie die Bundeswehr in höchst gefährliche Auslandseinsätze. Dies passt nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie sagen, die Situation im Kongo gehöre nicht zum Thema. Das gehört sehr wohl zum Thema und heute muss darüber gesprochen werden. Im Kongo zeigt sich, Herr Außenminister, natürlich auch noch etwas anderes, nämlich das Scheitern der Afrikapolitik dieser Bundesregierung. Jahrelang wurde der schwarze Kontinent vergessen und vernachlässigt. Jetzt brennt es - nicht nur im Kongo. Was wir benötigen, ist nicht die Eingreiftruppe der Bundeswehr. Wir benötigen ein politisches Gesamtkonzept für die afrikanischen Staaten zur wirtschaftlichen Kooperation und Stabilisierung. Wo sind die Vorschläge des Bundesaußenministers hierzu?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen auch politisch flankiert sein. Der Bundesaußenminister aber stellt nur Forderungen auf. Herr Bundesaußenminister, wer in Einsätze hineingeht, muss auch wieder herausgehen. Wo ist Ihre politische Strategie? Wo sind Ihre Initiativen für Bosnien, für Kosovo, für Mazedonien, für Afghanistan? Die Soldatinnen und Soldaten, unsere Bevölkerung und wir wollen wissen, ob es sich dort um unbeschränkte, immer währende Einsätze handelt.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Zukunft der NATO machen, und zwar zunächst einige aktuelle Anmerkungen zur laufenden Konventsdebatte und zur Rolle der ESVP. Meine Einschätzung ist klar: Die ESVP ist wichtig, aber sie kann und soll die NATO nicht ersetzen. Die atlantische Allianz und unsere Freundschaft im Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika bleiben weiterhin zuständig für die kollektive Verteidigung der Mitglieder, aber auch für internationales Krisenmanagement. Amerika ist auch in Zukunft unser unverzichtbarer Partner für Sicherheit und Stabilität.

   Ebenso wenig sehe ich das Ziel bei der ESVP in der Schaffung einer europäischen Armee. Darüber müssen wir miteinander diskutieren. Die Streitkräfte bleiben auch in Zukunft ihrem jeweiligen nationalen Kommando unterstellt. Wir brauchen keine eigenständigen militärischen EU-Strukturen, parallel und in Duplizierung von NATO-Strukturen. Das verschwendet Ressourcen, untergräbt die transatlantischen Beziehungen und erschwert eine enge Abstimmung zwischen EU und NATO. Die EU kann die NATO nur ergänzen, nicht ersetzen.

   Offen ist auch, für welche Einsatzszenarien die neuen Krisenreaktionskräfte vorgesehen sind: Auf welcher Grundlage und unter welchen Voraussetzungen können unsere Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden? Wie weit reicht dafür im Einzelfall der Konsens unter den europäischen Mitgliedstaaten? Es muss insbesondere auch die Frage geklärt werden, wie weit das Recht auf humanitäre Intervention gehen kann und gehen darf. Wir müssen uns dabei hier in diesem Haus und darüber hinaus über die notwendigen Rechtsgrundlagen verständigen und Initiativen zur Anpassung des humanitären Völkerrechts an die neuen Bedrohungen entwickeln.

   Betrachten wir die Massengräber und Massaker im Irak: Der Einsatz der Amerikaner wurde von Ihnen mit allen Mitteln heftigst bekämpft. Betrachten wir den Massenmord im Kongo: Er wurde von uns allen über Jahre hinweg ignoriert, rechtfertigt jetzt aber offensichtlich den Einsatz der Bundeswehr. - Das ist eine verlogene Moral. Das ist eine gespaltene Moral. Das ist die grüne Moral des Außenministers Ihrer Partei.

(Beifall bei der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Null Ahnung!)

   Europa muss handlungsfähig sein. Das ist unbestritten. Deshalb werden wir im Rahmen der Konventsdebatte für mehr Mut in der Frage der Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit eintreten, Herr Außenminister.

   Einzelnen Staaten darf in Zukunft weder ein nationaler Sonderweg möglich sein, noch dürfen sie das gemeinschaftliche Handeln durch ihr Veto verhindern. In dieser Hinsicht ist sozusagen ein Quantensprung in der europäischen Ordnung erforderlich. Wir befürworten deshalb die Zusammenlegung der Positionen Solanas und des Außenkommissars der EU. Wir sind aber nicht für die Schaffung eines Königreichs für Joschka Fischer. Dies wird es nicht geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es wird weder einen diplomatischen Dienst für Joschka noch eine Hofgarde für seine Eminenz, den deutschen Außenminister, geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielleicht sollten Sie sich der Debatte einmal ernst zuwenden!)

   Wir hätten etwas mehr Initiative vonseiten dieses Außenministers erwartet, um die neuen Entscheidungsstrukturen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik voranzubringen. Auch die NATO und der UN-Sicherheitsrat sind reformbedürftig.

   Lassen Sie mich zum Schluss eine grundsätzliche Anmerkung machen.

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Endlich!)

Wir alle - über die Parteigrenzen und Generationen hinaus - brauchen mehr Mut für den Frieden in der Welt. Das fängt nicht bei den Truppen an, Herr Außenminister, sondern das fängt im Kopf an. Notwendig sind eine humanitäre Strategie, eine stärkere Entwicklungskooperation zwischen Reich und Arm und ein Dialog der Weltkulturen und Weltregionen. Dazu gehört aber auch und in erster Linie der Wille, diese Welt nicht mit Waffen zu überschwemmen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer, Bundesminister: Der Herr gab jedem Menschen einen Kopf, aber nicht jedem ein Hirn! - Gegenruf des Abg. Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Ich habe Sie Gott sei Dank nicht verstanden!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Müller, leider haben Sie das vorzügliche Niveau der Rede Ihres Kollegen Rühe in keiner Weise halten können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie gestatten, dass ich jetzt zum Thema zurückkehre.

   Wenn der Deutsche Bundestag heute der Aufnahme von sieben ost- und südosteuropäischen Staaten in die NATO zustimmt, dann geschieht das in größter Einmütigkeit, aber auch ohne sonderlich starken Widerhall in der Öffentlichkeit. Nichtsdestoweniger ist der bevorstehende Beitritt der sieben Staaten ein Vorgang von historischer Bedeutung, besonders aus der Sicht der betroffenen neuen Mitgliedstaaten. Ich bin erleichtert und froh, dass sich der Erweiterungsprozess ohne die Brüche und neue Spaltungen vollzogen hat, die ich und viele andere in der damaligen Opposition Mitte der 90er-Jahre befürchtet hatten.

   Bei der gängigen Feststellung, mit der NATO-Erweiterung und ihrer Öffnung dehne sich der transatlantische Stabilitätsraum aus, handelt es sich ausdrücklich nicht um das übliche Selbstlob einer großen Institution oder um bloße NATO-Lyrik. Die Erweiterung wurde und wird als Prozess gestaltet, der aus Dialog, Kooperation, inneren Reformen und Konfliktbeilegung besteht. Die Membership Action Plans stellen Anforderungen an die künftigen Mitglieder: hinsichtlich der friedlichen Regulierung von inneren - auch von ethnischen und territorialen - Konflikten, der Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Kontrolle der Streitkräfte. Schließlich fordern sie Beiträge zur nationalen Verteidigung, zur Bündnisverteidigung und zu Peacekeeping-Einsätzen der NATO und der Vereinten Nationen.

   Die sieben Anwärterstaaten haben hierbei höchst unterschiedliche Anforderungen zu bewältigen. Bulgarien, Rumänien und die Slowakei müssen ihre Armeen aus der Zeit des Warschauer Paktes in den kommenden Jahren erheblich reduzieren, und zwar um ungefähr ein Drittel ihrer Kopfstärke. Sie haben sie umzubauen und auf ihre Interoperabilität im Bündnis umzustellen.

Die baltischen Staaten und Slowenien müssen neue Streitkräfte aufbauen, die als Teil des Bündnisses aber viel kleiner sein können, als wenn sie national auf sich allein angewiesen wären. Der Anspruch kollektiver und kooperativer Sicherheit findet seinen praktischen Niederschlag in ersten multinationalen Verbänden, zum Beispiel - man höre! - in einer tschechisch-polnisch-slowakischen Brigade, und in einer breiten Beteiligung an friedensbewahrenden Einsätzen in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Kabul und sogar bei Enduring Freedom.

   Zusammengefasst: Die NATO-Beitritte sind bedeutsame Beiträge zur Stabilisierung eines Raums, der sich nach der Implosion des Ostblocks wahrhaftig auch sehr explosiv hätte entwickeln können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die militärische Integration in Europa, in der Europäischen Union und in der NATO schreitet voran. Die politische Gemeinsamkeit fiel demgegenüber allerdings in den letzten Monaten massiv zurück. Die Frühjahrstagung der NATO-Parlamentarierversammlung vor einigen Tagen in Prag war von der Erfahrung einer regelrechten Spaltung und Marginalisierung der NATO im Umfeld der Irakkrise geprägt. Aber die Meinungsrisse auf dieser Tagung verliefen nicht einfach zwischen dem so genannten alten und dem neuen Europa, sondern oft mitten durch die nationalen Delegationen hindurch. Das notorische Bemühen der Union hierzulande, vor allem die Bundesregierung zum Sündenbock für die Turbulenzen in der NATO zu machen, zielt - das zeigte die Parlamentarierversammlung sehr deutlich - an der Realität völlig vorbei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Offenkundig wurde bei der NATO-Parlamentarierversammlung die Notwendigkeit, sich über die viel beschworenen gemeinsamen Werte und Interessen sowie über eine gemeinsame Bedrohungsanalyse neu zu verständigen. Einmütig war aber der Wille der Abgeordneten der NATO-Staaten, zu gemeinsamer Handlungsfähigkeit der NATO zurückzufinden. Unüberhörbar war dabei die Forderung, dass dies nur in transatlantischer Partnerschaft und nicht in Gefolgschaft geschehen kann.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über die Zukunft der NATO, über die Zukunft eines Militärpaktes. Mit dem Ende des Kalten Krieges war ihm der Sinn abhanden gekommen. Heute wollen Sie ihn aber mit höheren Weihen versehen. Sie nennen das „alternativlos“, „unverzichtbar“ und sogar „historisch“, wie meine Vorredner mehrfach betont haben. Die PDS im Bundestag hingegen hält das schlicht für falsch.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Deshalb, Herr Kollege Rühe und Herr Kollege Fischer, teile ich ausdrücklich nicht Ihre Freude, die Sie über die Erweiterung der NATO zum Ausdruck gebracht haben.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Der Krieg gegen den Irak hat eines verdeutlicht: Die weitere Militarisierung des Politischen führt in eine historische Sackgasse. Das löst keine Probleme, sondern mehrt sie eher ins Unerträgliche. Nun hat Ludger Volmer vor Wochen an dieser Stelle erinnert, dass es 1990 zwei Perspektiven bzw. Möglichkeiten gegeben hat: Entweder wird die NATO als Hegemon weiter ausgebaut oder es wird ein wirkliches System kollektiver Sicherheit geschaffen. Können Sie sich daran erinnern, wann der Bundestag zuletzt ernsthaft über ein wirkliches System kollektiver Sicherheit debattiert hat? Ich vermute, dass selbst die Dienstälteren unter Ihnen diesbezüglich Erinnerungslücken haben.

(Beifall der Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Ludger Volmer meinte des Weiteren, man habe einen Mittelweg gefunden und man tue jetzt beides, also verkürzt gesagt: Hegemon und Sicherheit. Mich erinnert das fatal an das Römische Reich. Sie wissen, wie das endete. Allerdings wurde damals mit Schild und Schwert gekämpft. Heute bedrohen uns weltvernichtende Waffen. Das heißt, dass die Losung „Frieden schaffen ohne Waffen“ nichts, aber auch gar nichts von ihrer Brisanz eingebüßt hat, ganz im Gegenteil.

   Wir reden hier übrigens fast nebenbei über einen Verfassungsbruch. Das Grundgesetz enthält ein Friedensgebot. Es beschränkt die Bundeswehr auf die Landesverteidigung und daran ändert auch eine erweiterte NATO nichts.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Innenminister Schily hat vor wenigen Wochen den Jahresbericht 2002 des Verfassungsschutzes vorgestellt. Darin wird die Friedensbewegung gegen den Irakkrieg als staatsgefährdend aufgeführt. Der Bundesinnenminister, finde ich, sollte den Millionen, die gegen diesen Krieg demonstriert haben, endlich sagen, warum. Jüngst hat Bundesverteidigungsminister Struck seine neuen verteidigungspolitischen Richtlinien vorgestellt. Danach findet die Verteidigung der Bundesrepublik künftig weltweit, je nach Gutdünken und Interessenlage, statt. Damit, finde ich, ist der Herr Minister Struck zumindest ein Prüffall für die Verfassungsschützer des Ministerkollegen Schily geworden. Ich hoffe, dass Herr Schily ihn von dieser Prüfung schon unterrichtet hat.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) - Unruhe)

   Parallel zu all diesen Debatten wirbt die CDU/CSU für ein militärisches Erstschlagsrecht, also genau das, was die US-Führung im Irak und anderswo wider alles Völkerrecht für sich in Anspruch nimmt. Deshalb wiederhole ich hier: Eine falsche NATO wird nicht besser, nur weil sie größer wird, und eine falsche Politik wird nicht richtig, nur weil SPD und Grüne sowie CDU und CSU den militärischen Gleichschritt üben.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Markus Meckel, SPD-Fraktion, das Wort.

Markus Meckel (SPD):

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin Pau, es ist schon interessant, sich die Situation anzusehen. Heute, nun wirklich lange nach den Umbrüchen, den Freiheitsrevolutionen von 1989/90, feiern wir ein wesentliches Ergebnis dieser Umbrüche, nämlich dass Europa zusammenwächst und eben auch sicherheitspolitisch zusammenwächst. Volker Rühe hat sehr klar gesagt: Das geschieht nicht etwa deshalb, weil die NATO schon am Anfang begriffen hat, was da passiert; nein - das muss man so klar sagen -, sie hat es lange nicht begriffen. Vielmehr haben die Völker, die Freiheit und Demokratie errungen haben, gesagt: Wir wollen, dass es keine geteilte Sicherheit in Europa und im transatlantischen Verhältnis gibt. - Erst dann, so nach und nach, übrigens sehr viel später als die Europäische Union, hat sich die NATO - ausgehend vom Treffen der Verteidigungsminister in Travemünde 1994 - auf den Weg gemacht und versucht, sich zu öffnen. Nach langen und schwierigen Debatten hat das jetzt zu diesem Ergebnis geführt.

   Wie wesentlich das war, haben viele von uns in vielen Prozessen - wir könnten die Konflikte, mit denen wir uns in den letzten zehn Jahren beschäftigen mussten, einzeln durchgehen - schmerzlich lernen müssen. Der Bundesaußenminister hat oft betont, dass eine militärische Sicherung der zivilen, administrativen und Nation-Building-Prozesse notwendig ist, damit diese Prozesse überhaupt ablaufen können.

(Beifall bei der SPD)

Es ist also sehr wohl wichtig, auf der Höhe der Zeit zu leben. Dazu gehört die Erkenntnis, dass wir eine Institution wie die NATO brauchen. Ich kann mich deshalb der Freude, die zum Ausdruck gebracht worden ist, nur anschließen.

   Die NATO hat nicht nur am Anfang die Frage der Erweiterung erst allmählich begriffen, sondern es war und ist zum Teil bis heute eine schwierige Frage, wie sie angesichts der neuen Herausforderungen in Zukunft aussehen soll. Es ist klar, dass der Wunsch der Kandidaten, hineinzukommen, von militärischen Drohungen bestimmt war, von denen manche von uns sagten, sie bestünden so nicht. Aber sie waren da und die Kandidaten haben gesagt: Wir wollen in diesen Sicherheitsraum hinein. - Das war, denke ich, völlig legitim.

   Gleichzeitig verändert sich die Situation. Wir haben neue Herausforderungen. Wie in vorangegangenen Reden schon angesprochen worden ist, besteht die Notwendigkeit einer verstärkten Integration. Der zentrale Punkt, der schon 1989/90 für die NATO sprach, war, dass auch die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa ihre Sicherheit nicht mehr national organisieren. Dies hätte nämlich zu einer weiteren Destabilisierung Europas geführt. Was wir heute brauchen, ist eine verstärkte Integration.

(Beifall bei der SPD)

   Es gibt eine solche Integration schon innerhalb der NATO. Aber wenn wir genau hinsehen, dann erkennen wir, dass sie zunächst formal und noch relativ wenig entwickelt ist. Jeder Staat in Europa - darauf ist hingewiesen worden - macht das Gleiche. Was das transatlantische Verhältnis angeht, ist es ähnlich. Zwar gibt es die militärische Integration in den Stäben, in der Planung durch SHAPE und in dem, was in Brüssel aufgebaut worden ist - das ist ganz gewiss wichtig -; aber ansonsten sind die militärischen Fähigkeiten und Strukturen, vielleicht abgesehen von den AWACS, noch nicht besonders stark integriert. Die zentrale Aufgabe von uns Europäern ist, diesbezüglich Abhilfe zu schaffen. Das, was hier zur Effektivität beim Einsatz von Mitteln von Herrn Rühe und anderen dazu gesagt worden ist, kann ich nur ausnahmslos unterstützen.

   Eine andere wesentliche Aufgabe besteht darin - auch das müssen wir sehen -, die Fähigkeit zur Integration zu bewahren. Glücklicherweise ist die Zahl der zivilen Opfer des Irakkriegs geringer, als viele befürchtet haben. Dass dies so ist, haben wir den Fähigkeiten von Präzisionswaffen zu verdanken. Im Hinblick auf künftige Konflikte ist das von zentraler Bedeutung. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, wie sich europäische und amerikanische militärische Einsätze in Zukunft entwickeln und inwieweit wir auch in diesem Bereich in Zukunft partnerschaftsfähig sein können. Partnerschaftsfähigkeit wird nur durch Zusammenarbeit möglich sein. Wer glaubt, man könne Rüstung und andere militärische Fähigkeiten noch national entwickeln, der geht fehl.

   Es ist zu beobachten, dass innerhalb der NATO - es war gerade von der Tagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Prag die Rede - immer wieder über die Bedeutung der NATO gesprochen wird. Das ist richtig und, wenn es um Europa geht, existenziell. Wir werden Sicherheit ohne die transatlantischen Beziehungen und ohne die Institutionen der NATO nämlich nicht gewährleisten können.

   Angesichts dieser Reden müssen wir natürlich auch feststellen: Die Praxis war in den vergangenen Jahren oft anders. Im Angesicht der großen Herausforderung bei der Bekämpfung des Terrorismus hat die NATO erstmals Art. 5 des NATO-Vertrages ausgerufen. Sie hat damit ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht hat, diese Herausforderung anzunehmen; aber umgesetzt wurde er von zentralen und wichtigen NATO-Partnern eben nicht.

   In der NATO selbst wurde noch nicht einmal eine zentrale sicherheitspolitische Debatte zu den wesentlichen Fragen geführt. Das zeigt: Wir selbst - trotz unserer unterschiedlichen Perspektiven, zum Beispiel im transatlantischen Verhältnis, was ja in der Irakfrage deutlich geworden ist - müssen noch sehr viel dafür tun, die NATO auf die Höhe der Zeit zu bringen. Die Amerikaner haben im letzten Jahr ihre nationale Sicherheitsstrategie beschlossen. Diese Strategie beinhaltet die Möglichkeit präemptiver Schläge. Darüber gibt es im Bündnis mit Sicherheit keinen Konsens. Dennoch haben wir darüber bis heute noch nicht einmal eine Debatte geführt. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir, die Europäer, Herrn Solana gebeten haben, für Europa eine Bedrohungsanalyse zu entwickeln. Eine solche Analyse käme zwar sehr spät; aber es wird nun wirklich Zeit, dass wir selbst unsere Herausforderungen benennen können und klären, mit welchen Mitteln und auf welcher Ebene wir sie bewältigen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auf der Ebene der Parlamentarier sind in den letzten Jahren immer wieder sehr intensive Disussionen geführt worden. Wir können nur hoffen - wir fordern die Regierung auf, einen entsprechenden Beitrag zu leisten -, dass auch in den Institutionen der NATO und im NATO-Rat die notwendige Diskussion geführt wird. Wir wissen, dass Versuche unternommen wurden, eine solche Diskussion anzustoßen.

   Ich möchte auch von hier aus in Richtung unseres Partners Frankreich deutlich sagen: Gerade weil wir im transatlantischen Verhältnis den europäischen Pfeiler stärken wollen - viele Redner haben das hier zu Recht gesagt - und ihn zu einer integrierten Kraft, das heißt zu einer Kraft gemeinsamen Handelns, machen müssen, darf es nicht sein, dass die Franzosen als eine zentrale und wichtige Kraft in Europa auf Dauer eine Sonderstellung beanspruchen und sich jeweils vorbehalten, ob sie mitmachen. Wir sollten die Franzosen auch von dieser Stelle aus bitten, in die militärische Struktur der NATO zurückzukehren und damit unsere gemeinsamen Fähigkeiten zu stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Das Gleiche gilt natürlich auch für andere Partner innerhalb der Europäischen Union. Wir sollten uns deutlich machen - der Außenminister hat darauf hingewiesen -, dass es bei den Erweiterungsprozessen, mit denen wir uns im Rahmen der Ratifikationsprozesse jetzt glücklicherweise beschäftigen können, durchaus manche Inkongruenzen bei den Mitgliedschaften gibt. Wir müssten eigentlich ein Interesse daran haben, dass so viele Länder wie möglich Mitglied sowohl in der EU als auch in der NATO sind; denn so kann der europäische Pfeiler gestärkt werden.

   Deshalb begrüße ich es, dass die NATO-Parlamentarierversammlung beschlossen hat, Schweden jetzt den assoziierten Status zu geben. Wir müssen den Schweden aber sagen: Überlegt euch doch einmal - wir wissen, dass das eine Reihe schwedischer Kollegen dort zur Sprache bringt -, ob die Neutralitätsfrage nach dem Ende des Kalten Krieges wirklich noch so relevant ist. Die Schweden sollten lieber sagen: Lasst uns mitmachen. Sowohl die Schweden als auch die Finnen haben in internationalen Friedensmissionen große Erfahrungen gesammelt, die Europa im Zusammenhang mit der Integration gebrauchen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Ein letzter Punkt, auf den ich noch zu sprechen kommen möchte: Wir müssen auch innerhalb der NATO darüber nachdenken, wie die Strukturen künftig aussehen sollen. Der US-Senat hat im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Abkommen über die Erweiterung zwei Aufgaben gestellt, über die der Präsident berichten soll. Zum einen ist das die Frage, ob das Konsensprinzip erhalten bleiben soll. Im Grunde hat er dazu aufgefordert, das Konsensprinzip in der NATO zu verlassen. Das betrachte ich sehr skeptisch. Darüber brauchen wir sowohl in unseren Ländern als auch in der NATO eine intensive Debatte.

   Der zweite Punkt ist die Frage der Suspendierung eines Mitglieds. Was passiert, wenn sich jemand an die gemeinsamen Regeln und Gesetze nicht mehr hält und gegen die demokratischen Strukturen verstößt? Ich halte eine solche Diskussion für alle demokratischen Institutionen für durchaus akzeptabel; auch innerhalb der NATO sollten wir im Rahmen des Rates darüber sprechen.

   Lasst uns in Zukunft diese Debatte miteinander führen! Wir stehen im transatlantischen Verhältnis vor großen Aufgaben, weil die Risiken in dieser Welt leider nun einmal nicht weniger geworden sind, sondern anders.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Freiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.

Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am heutigen Tag ist vieles begrüßenswert: zum einen die klaren Bestandsaufnahmen, zum anderen die - insbesondere vom Kollegen Volker Rühe - aufgezeigten Perspektiven, die nicht nur den europäischen Pfeiler beleuchten, sondern auch über den Atlantik hinweg reichen.

   Eine der entscheidenden Linien, die von diesem Tag mitgenommen werden müssen, ist, dass wir über die Kommunikationsebenen im europäischen Rahmen die transatlantische Struktur weiterhin pflegen und ihr den Stellenwert geben müssen, den sie tatsächlich verdient. Begrüßenswert ist auch die parlamentarische Einigkeit in diesem Hause; allerdings will ich die in meinen Augen erschreckende Realitätsferne der PDS erwähnen. Begrüßenswert ist ebenso die Zusammensetzung und Struktur der neuen Mitgliedsländer, deren Beitritt Ausdruck der Hoffnung auf eine wirkliche Stabilität und eine Überwindung der einstigen Spaltung Europas ist. - So viel zum Istzustand.

   Gestatten Sie mir auch einige Punkte zum Sollzustand: Es wäre begrüßenswert, wenn mit derselben Anstrengung und mit demselben Eifer, mit dem noch vor kurzem eine transatlantische Gegenposition geschmiedet wurde, eine transatlantische gemeinsame Sicherheitsanalyse angegangen würde. Auch diese Arbeit ist zu leisten. Sie erfordert die Fähigkeit und den Willen, sich überhaupt einmal gemeinsamen Sicherheitsinteressen zuzuwenden. Sie bedarf des Willens, einen gemeinsamen Sicherheitsbegriff zu formulieren, der über Europa und gegebenenfalls auch über den atlantischen Raum hinweg zu reichen vermag. Außerdem bedarf sie der daraus resultierenden Bereitschaft, eine über den eigenen Tellerrand hinweg blickende Sicherheitsstrategie zu entwickeln.

   Ausgangspunkt hierfür ist ein kooperatives, komplementäres und letztlich partnerschaftliches Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika;

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

nicht spaltend gegengewichtig, sondern ergänzend nebengewichtig. Wir könnten nicht törichter handeln, als uns den Marktschreiern einer europäischen Gegengewichtsstrategie zu unterwerfen. Das wäre der größte Fehler, den wir in dieser Zeit machen könnten. Wer nämlich nicht willens oder in der Lage ist, bildlich gesprochen das Gerüst der transatlantischen Waagschalen mit zu definieren, der muss zwangsläufig an der Gegengewichtsstrategie scheitern.

(Jörg Tauss (SPD): Gleichgewicht ist auch nicht schlecht! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Tauss, seien Sie mal lieber ruhig, Sie sind untergewichtig! Und im Körper übergewichtig!)

- Gleichgewicht wäre insoweit begrüßenswert, Herr Kollege, als es ergänzend und nicht konkurrierend stattfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es geht dabei auch weniger um die Frage, wie wir eine amerikanische Supermacht verhindern, sondern eher darum, wie wir mit dem Faktum umgehen, dass Amerika tatsächlich eine ist. Auch hier müssen wir den Tatsachen ins Auge blicken, ohne uns als Europäer dabei klein zu reden. Das kann nicht die Konsequenz sein.

   Ein gutes, erneuertes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, gerade im Kontext internationaler Organisationen, schließt Kritik nicht aus, aber die Kultivierung von Sprachlosigkeit auf oberster Ebene.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das gilt auch für unser Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten. Da darf man schon fragen, wie abgeschieden, wie unbeobachtet, wie finster eigentlich der Ort sein muss, an dem auch unser Bundeskanzler einmal offen auf den amerikanischen Präsidenten zugeht.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Neu-, partiell vielleicht eine Redefinition des transatlantischen Verhältnisses, auch und gerade der NATO, erfordert neben der notwendigen, heute oft genannten Ergänzung der militärischen Fähigkeiten auch eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Hausaufgaben, die die anderen bereits gemacht haben. Hier ist unter anderem die nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten zu nennen, die in einigen Punkten sicherlich kritikwürdig ist; aber wir können sie nicht auf Begriffe wie Unipolarität, Unilateralität, einseitiges Hegemonialstreben verkürzen. Wir müssen uns mit den Hausaufgaben, die andere gemacht haben, auseinander setzen. Sie sind ein Teil der amerikanischen Realität und damit ein Teil der transatlantischen Realität. Von daher müssen wir über den Status, mit den Fragestellungen zu ringen, hinausgehen können und uns mit den Antworten, die andere mittlerweile gegeben haben, auseinander setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU):

Herr Präsident, ich schließe.

   Grundsätzlich bin ich dankbar für die große Übereinstimmung. In der Frage der Zukunft der NATO, im Zusammenspiel mit den Amerikanern ist allerdings weniger eine erschöpfende Retrospektive denn eine klare Perspektive notwendig.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu den Protokollen vom 26. März 2003 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien, der Republik Estland, der Republik Lettland, der Republik Litauen, Rumäniens, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien, Drucksachen 15/906 und 15/1063. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1117, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses bei den Gegenstimmen der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen.

   Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und b sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:

5. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Ausbildungsplatzabgabe zerstört Ausbildungsmotivation

- Drucksache 15/925 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Berufsbildungsbericht 2003

- Drucksache 15/1000 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Lasten gerecht verteilen - Mehr Unternehmen für Ausbildung gewinnen

- Drucksache 15/1090 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ausbildung belohnen statt bestrafen - Ausbildungsplätze in Betrieben schaffen statt Warteschleifen finanzieren

- Drucksache 15/1130 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Unruhe)

- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer an der Debatte nicht teilnehmen möchte, den bitte ich, den Saal möglichst geräuschlos zu verlassen.

   Bitte schön.

Katherina Reiche (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland fehlen derzeit weit über 171 200 Lehrstellen; allein in den neuen Ländern sind es 85 000. Die Bundesregierung geht intern davon aus, dass im September noch zwischen 50 000 und 70 000 Lehrstellen fehlen werden.

   Rot-Grün bietet den jungen Menschen derzeit keine Perspektive; sie fühlen sich im Stich gelassen. Aber das alles ist keineswegs über Nacht über Deutschland hereingebrochen. Der Bundesregierung ist diese Entwicklung seit über einem Jahr bekannt; jetzt tut sie überrascht. Erst seit wenigen Wochen sieht sich die Bundesregierung zu Aktionen veranlasst.

   Der Berufsbildungsbericht 2003 ist ein Beleg dafür, dass die Bundesregierung die Lehrstellenkatastrophe sehenden Auges auf sich zutreiben ließ. Der Mantel des Schweigens wurde darüber ausgebreitet. Für das Ausmaß der Misere muss die Bundesregierung deshalb die Mitverantwortung übernehmen. Die Zahlen im Berufsbildungsbericht zeigen ganz deutlich, dass bereits Mitte Mai 2002 die Entwicklung absehbar war. Damals gab es eine Lehrstellenlücke von 5 400 Stellen. Die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge in Wirtschaft und Verwaltung ging gegenüber dem Vorjahr um 6,8 Prozent zurück.

   Aus politischen Gründen wurde die Lage vertuscht. Auch wegen der Bundestagswahl wurde das Thema zu einem Nichtthema erklärt.

(Widerspruch bei der SPD)

Erst jetzt, also ein Jahr später, wird das Thema wiederentdeckt, und das auch nur, weil der Bundesregierung demoskopisch und innenpolitisch das Wasser bis zum Hals steht. Die SPD-Linke lehnt sich gegen jede noch so kleine Reform auf. Deshalb wurde der SPD-Linken jetzt die Beruhigungspille Ausbildungsplatzabgabe verabreicht. Das ist der zweite schwerwiegende politische Sündenfall.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es kann nicht angehen, dass ein tiefgreifendes gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Problem zum Schaden junger Menschen ideologisiert und parteipolitisch missbraucht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Pieper (FDP))

   Die Pläne der Bundesregierung streuen der Öffentlichkeit Sand in die Augen. Vom vorgeschlagenen freiwilligen Fonds bis zum angedrohten Zwangsfonds ist es nur ein kleiner Schritt. Die entsprechenden Vorbereitungen im BMBF laufen auf Hochtouren. Die Bundesregierung droht ganz offen damit. Richtig ist aber, dass jede weitere Belastung für die Unternehmen das falsche Mittel ist; denn jede weitere Belastung wirkt Lehrstellen vernichtend.

   Welche Antworten hat nun die Bundesregierung? - Zum Beispiel die Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung für fünf Jahre. Das unterstützen wir ganz ausdrücklich. Weitere Aktionen erweisen sich aber als falsch und untauglich. Ich nenne als Beispiel JUMP plus, über das vor kurzem im Kabinett gesprochen wurde. Es sollen 300 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben werden, um bereits laufende Maßnahmen zu verstetigen und sozusagen am Leben zu erhalten. Aber damit wird keine einzige neue Lehrstelle geschaffen.

   Ich nenne weiterhin das Kreditprogramm für Ausbildungsbetriebe. Für die Unternehmen sind nicht Kredite, sondern die Senkung der Lohnnebenkosten entscheidend. Ich nenne ferner das Verbot der Prüfgebühren für die Kammern. Auch dadurch ist keine einzige zusätzliche Lehrstelle zu erwarten.

(Jörg Tauss (SPD): Kammerlobbyistin, Frau Kollegin!)

   Zweifelsohne - das möchte ich für unsere Fraktion deutlich sagen - tragen die Unternehmen eine gesellschaftspolitische Verantwortung, gerade für die junge Generation. Zahlreiche Unternehmen stehen jedoch mit dem Rücken zur Wand. Die Wahrheit ist, dass es einen traurigen Rekord bei den Insolvenzen gibt. Im letzten Jahr waren es 38 000 und in diesem Jahr sind es bereits 10 000. Nun bekommen die noch existierenden Unternehmen weitere finanzielle Belastungen und Bürokratie aufgebürdet. Das verschärft das Insolvenzrisiko; weitere Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze sind gefährdet.

Die derzeitige Ausbildung im dualen System ist bedarfsorientiert. Ein Modell, das sich an der Nachfrage der Schulabgänger orientiert, läuft am Bedarf vorbei. Wer entscheidet denn eigentlich aufgrund welcher Kompetenz, ab wann eine Zwangsabgabe eingeführt werden soll? Mit welchem Recht will Frau Bulmahn oder Herr Clement ein Unternehmen vor Ort, das um seine Existenz kämpft, und einen Unternehmer, der mit seinem Vermögen haftet, bestrafen? Soll die Zwangsabgabe bei einer Lücke von 10 000, von 20 000 oder von 50 000 Lehrstellenplätzen eingeführt werden? Welche Quotierungen will man denn dann anlegen? Für sämtliche der 2,45 Millionen Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten müsste also die Sollstärke an Auszubildenden errechnet, die Differenz zur Istgröße gebildet und daraus eine Zwangsverpflichtung errechnet werden. Das ist schlichtweg verrückt.

(Beifall bei der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Sie sind fantasielos, Frau Kollegin!)

   Wie viel Geld wird für den bürokratischen Aufwand verloren gehen und was soll mit dem restlichen Geld geschehen? Es würden letztlich mehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze entstehen, die wiederum kaum Beschäftigungsperspektiven auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen. Außerdem ist eine solche Umlage schon in der Praxis gescheitert. Sie existiert bereits in der Bauwirtschaft.

(Jörg Tauss (SPD): Erfolgreich! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Herr Tauss, die Zahl neuer Ausbildungsverträge ist nicht höher geworden: Sie sank von 1994 bis zum Jahr 2002 von 20 000 auf 9 000 und damit proportional zum Rückgang der Beschäftigten in der Bauwirtschaft.

   Die Veranstaltung der Unionsfraktion mit 700 Handwerkern am vergangenen Dienstag war - Herr Tauss, Sie hätten kommen sollen - beeindruckend und lehrreich zugleich: Seit mehr als drei Jahrzehnten bewältigen Handwerksbetriebe Umsatz- und Ertragsrückgänge. Sie leben vielfach von der Substanz und versuchen dennoch, auszubilden und so weit wie möglich ihre Mitarbeiter zu halten und sie weiterzubilden. Parallel dazu stehen 130 000 Handwerksmeister in der Reserve, die sich sofort selbstständig machen würden, wenn sie entsprechende Rahmenbedingungen vorfinden würden. Das hätte eine Katapultwirkung auch für Lehrstellen. Dieses Potenzial sollten wir erschließen. Die jetzige Situation sollte nicht durch ausgeklügelte Stufenmodelle und Ausbildungsplatzabgaben verschärft werden. Eine Ausbildungsplatzabgabe führt dazu, dass die Verantwortung im Hinblick auf die berufliche Ausbildung von der Wirtschaft auf den Staat überginge. Weniger betriebliche und mehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze wären die Folge.

   Sie als Bundesregierung sind aufgefordert, einen Weg zur Sicherung eines ausreichenden Lehrstellenangebotes und zur Stärkung des ersten Ausbildungsmarktes über eine Modernisierung der Ausbildungsordnungen,

(Zurufe von der SPD: Machen wir doch!)

über eine wachstumsorientierte Steuer- und Finanzpolitik sowie über die Senkung der Lohnnebenkosten zu suchen. Ein erster Schritt wäre es, die Mittel des erfolglosen JUMP-Programms, die immerhin 1 Milliarde Euro betragen, direkt zur Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen, um ausbildende Betriebe zu entlasten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir haben in unserem Antrag notwendige Wege aufgezeigt: zum Beispiel eine Novelle zum Berufsbildungsgesetz. Schaffen Sie eine international ausgerichtete berufliche Bildung, die aus Modulen besteht! Schaffen Sie theoriegeminderte Berufe für Jugendliche ohne Schulabschluss bzw. für benachteiligte Jugendliche! Fördern Sie die Verbundausbildung im Handwerk und bei kleinen Unternehmen und heben Sie die Schwelle für den besonderen Kündigungsschutz auf 20 Beschäftigte bei Neueinstellungen an!

   Das Vertrauen sowie die Verlässlichkeit von Politik müssen wiederhergestellt werden. Die Drohung mit einer weiteren Abgabe, mit einer weiteren bürokratischen Hürde ist ein zusätzlicher Beitrag zur Verunsicherung der Unternehmen. Der richtige Weg wäre, Mut und Risiko zu belohnen. Nur so können Sie die fehlenden Lehrstellen auffüllen und ersetzen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Bundesministerin Edelgard Bulmahn.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Das hebt das Debattenniveau gleich merklich an! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Wenn Sie nicht sprechen, ist das Niveau immer gut! Sie sind ein absoluter Niveaudrücker)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Die aktuelle Ausbildungssituation gibt Anlass zu wirklich sehr großer Sorge. Was ich allerdings bei Ihnen, Frau Reiche, und in den Anträgen der Opposition vermisse, ist ein konkreter Vorschlag, wie wir vorgehen sollen und was wir verändern sollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Ihren Anträgen steht nicht ein einziger neuer Vorschlag. Sie beinhalten vielmehr die Aufzählung dessen, was wir seit mehreren Jahren tun. Es freut mich, dass Sie das, was wir tun, so ausdrücklich unterstützen und für richtig halten. Nur, ich vermisse einen einzigen neuen konkreten Vorschlag.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Cornelia Pieper (FDP): Sie haben unseren Antrag nicht gelesen!)

- Auch Ihr Vorschlag, Frau Pieper, bezüglich einer Ausbildungsbeihilfe von 3 500 Euro ist nichts Neues. Wir gehen so seit Jahren in den neuen Bundesländern vor - nur, ohne wirksame Effekte. Das ist doch das Problem.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen bitte ich die Opposition, nicht zu schlafen, sondern zur Kenntnis zu nehmen, was bereits durchaus mit Erfolg geschieht, was aber nicht verhindert hat, dass wir in diesem Jahr wieder eine sehr ernsthafte, bedrohliche Situation haben.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die haben doch Sie produziert!)

   Ein nächster Punkt. Ich sage ausdrücklich: In diesem Jahr haben wir eine sehr ernsthafte Situation.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Das ist doch Ihre Politik!)

Nur, ich erwarte von einem Abgeordneten - auch von Ihnen, Herr Kollege -, dass er ein Gedächtnis hat, das zumindest vier Jahre zurückreicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Jahre 1998 hatten wir eine gleich große Ausbildungslücke. Die jetzige Bundesregierung und die Koalition unterscheiden sich von Ihnen dadurch, dass wir nicht einfach zusehen, so wie Sie es in den 90er-Jahren getan haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir handeln vielmehr. Das werden wir in diesem Jahr so wie auch in den vergangenen Jahren wieder tun.

   Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Lücke um 50 000 größer als im letzten Jahr. Wir verharmlosen dies nicht, sondern haben nach vielen Vorgesprächen und Verhandlungen, die sich über mehrere Monate hinzogen, eine Ausbildungsoffensive gestartet - eine solche Offensive entsteht ja nicht aus dem Nichts -, mit der wir erreichen wollen, dass am Ende dieses Jahres alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Das ist das Ziel!)

- Das ist unser Ziel, darum geht es.

   Keine Bundesregierung - darauf weise ich ausdrücklich hin - und im Übrigen auch keine Opposition, kein Wirtschaftsverband und keine Gewerkschaft darf es zulassen, dass Zehntausende von Jugendlichen - es sind 60 000, 70 000, 80 000 - ohne Ausbildungsplatz bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das können wir nicht hinnehmen. Deshalb muss es uns gemeinsam gelingen, eine Änderung herbeizuführen.

   Das Nachfrageverhalten der Jugendlichen hat sich durchaus verändert. Sie haben sich in den Vorjahren deutlich flexibler verhalten und sich auch für alternative Qualifizierungswege entschieden. Nach wie vor gibt es große regionale Unterschiede. Besonders kritisch ist die Situation in Ostdeutschland - trotz der Prämie, die Sie jetzt wieder fordern. Deshalb haben wir vor zwei Wochen wieder mit den Ländern einen Vertrag geschlossen, in dessen Rahmen die Bundesregierung 14 000 betriebsnahe Ausbildungsplätze mit rund 95 Millionen Euro finanziert.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der aktuellen Situation kann die Gewinnung neuer Ausbildungsplätze nur durch entschlossenes und gemeinsames Handeln gelingen. Um gemeinsam mit den Sozialpartnern dieses Ziel zu erreichen, haben wir die Ausbildungsoffensive gestartet. Wir wollen mit dieser Offensive mehr Betriebe für Ausbildung gewinnen, aber auch für zusätzliche Ausbildungsplätze in den Betrieben sorgen, die bereits ausbilden.

   Zusätzlich zu dem unterzeichneten Ausbildungsplatzprogramm Ost öffnen wir im Rahmen der Ausbildungsplatzoffensive das Programm „Kapital für Arbeit“ auch für neue Ausbildungsplätze. Mit JUMP plus schaffen wir neue Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote für 100 000 Sozialhilfeempfänger zwischen 15 und 25 Jahren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben außerdem die Berufsausbildungsvorbereitung in das Berufsbildungsgesetz integriert, um die Ausbildungschancen von schwer vermittelbaren Jugendlichen zu erleichtern. Diesem Ziel dient auch ein neues System von Qualifizierungsbausteinen, die wir zur Zeit gemeinsam mit den Sozialpartnern entwickeln. Schließlich wird die Ausbilder-Eignungsverordnung für fünf Jahre ausgesetzt. Damit machen wir den Weg frei, dass deutlich mehr Betriebe ausbilden können.

   Die Ausbildungsoffensive 2003 gibt uns die Chance, meine sehr geehrten Herren und Damen, nicht nur kurzfristig eine Kehrtwende bei der verschlechterten Ausbildungslage zu erreichen, sondern auch langfristig gemeinsame Wege zur strukturellen Verbesserung des dualen Ausbildungssystems einzuschlagen. Jetzt kommt es allerdings ganz entscheidend darauf an, dass auch die Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden und sicherstellen, dass kein Jugendlicher ohne ein Ausbildungsplatzangebot bleibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn alle Unternehmen für ihren Bedarf ausbildeten, dann gäbe es in Deutschland kein Ausbildungsplatzproblem. Tatsächlich bilden in Deutschland weniger als 30 Prozent aller Unternehmen überhaupt aus. Das heißt im Umkehrschluss: Mehr als 70 Prozent aller Unternehmen entziehen sich ihrer sozialen und übrigens auch ökonomischen Verantwortung; denn diese Betriebe verweigern sich der Aufgabe, selbst für qualifizierte Fachkräfte zu sorgen. Qualifizierte Fachkräfte aber fallen nun einmal nicht vom Himmel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unternehmen müssen sie ausbilden; darauf sind letztlich alle Unternehmen angewiesen.

   Daher sage ich erneut klipp und klar: Wir werden uns nicht damit abfinden, dass sich mehr als 70 Prozent dieser Aufgabe verweigern. Das ist nicht hinzunehmen, wenn wir wirklich wollen, dass das duale System auch in Zukunft eine bedeutende Funktion hat und gewährleistet, dass zwei Drittel aller Jugendlichen ausgebildet werden.

   Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gibt es auch jetzt noch fast 1,2 Millionen Betriebe, die ausbilden könnten, aber in der Realität bilden nur rund 640 000 Betriebe aus. Das heißt, mehr als 500 000 Betriebe könnten ausbilden, tun es aber nicht. Genau das darf auf Dauer nicht so bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn lassen Sie es mich klar sagen: Ausbildung ist eine lohnende Investition in die Zukunft für alle Betriebe und für unsere Gesellschaft insgesamt. Das sagt im Übrigen auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag klipp und klar: In der Regel ist es teurer, Fachkräfte über den Arbeitsmarkt zu rekrutieren, als den Fachkräftebedarf durch eigene Ausbildung zu decken.

   Ich hoffe also, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es uns durch die verabredeten und eingeleiteten Initiativen gelingen wird, bis zum Jahr 2003 eine bundesweit ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz zu erreichen. Das wird nur gelingen, wenn sich die Unternehmen selbst deutlich stärker engagieren. Bleibt dieses Engagement aus, sind die Verbände der Wirtschaft aufgefordert, einen realistischen Vorschlag vorzulegen, wie dieses Ziel bis zum Ende dieses Jahres erreicht werden kann.

   Ich stelle lobend heraus, dass es einen Verband gibt, der diese Aufgabe wirklich ernst nimmt und ernst genommen hat. In Niedersachsen hat der Arbeitgeberverband Metall mit der IG Metall in der letzten Woche einen Tarifvertrag abgeschlossen, in dem sie auf der einen Seite die Zahl der Ausbildungsplätze noch einmal deutlich erhöhen und auf der anderen Seite erklären, zusätzlich 1 Million Euro bereitzustellen, um das Ziel von 10 Prozent mehr Ausbildungsplätzen tatsächlich zu erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Vorbildlich!)

   Ich wünsche mir, dass jeder Verband, jede Branche, jede Region in unserem Lande diese Aufgabe genauso ernst nimmt und deutliche Signale gibt, dass ihnen Ausbildung wichtig ist. Wäre dies der Fall, dann müssten wir hier im Bundestag nicht überlegen, wie wir dieses Ziel erreichen können. Wir tun das Unsere dafür, aber ich sage ausdrücklich: Die Wirtschaft und die Gewerkschaften müssen ebenfalls das Ihrige dazu tun; sonst können wir das Ziel nicht erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ulrike Flach (FDP): Dann müsst ihr sie lassen!)

   Wichtig ist dabei im Übrigen immer, so wie das in dem angesprochenen Tarifvertrag auch gemacht worden ist, dass der Vorschlag verbindlich und umsetzbar sowie seine Realisierung nachprüfbar ist. Sollte das nicht der Fall sein, wird die Bundesregierung geeignete, auch gesetzgeberische Maßnahmen ergreifen müssen. Das hat der Bundeskanzler bereits im März angekündigt.

(Jörg Tauss (SPD): Zu Recht!)

   An dieser Stelle unterstreiche ich allerdings auch ausdrücklich: Solche freiwilligen Vereinbarungen, wie sie in Niedersachsen geschlossen worden sind, müssen und sollten unserer Meinung nach Vorrang haben. Das Engagement, die Mühe und die Initiative jedes Einzelnen hierzu lohnen sich also.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Eine gesetzliche Regelung ist sicherlich das letzte Mittel,

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Das allerletzte! - Peter Rauen (CDU/CSU): Das untauglichste!)

ein letztes Mittel, das sich erübrigt, wenn die Wirtschaft ihrer Ausbildungsverantwortung nachkommt und ihre eigene Zukunftssicherung energisch vorantreibt. Deshalb ist es auch verfrüht, hier und heute über die Ausgestaltung einer möglichen gesetzlichen Regelung zu spekulieren.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Es gibt doch schon eine Arbeitsgruppe!)

Jedem sollte aber klar sein, dass in keinem Fall diejenigen Unternehmen von einer solchen Regelung profitierten, die bis heute und in der Vergangenheit ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung in Bezug auf die Ausbildung nicht nachgekommen sind. Das ist ein klares Kriterium, das in einer solchen gesetzlichen Regelung auch berücksichtigt werden wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit anderen Worten: Wer heute nicht oder mit Blick auf den eigenen Fachkräftebedarf nur unzureichend ausbildet, kann morgen nicht darauf hoffen, Zuschüsse für dann eingestellte Auszubildende zu kassieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer so kalkuliert, handelt kurzsichtig und wird seiner Verantwortung nicht gerecht.

   Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Wenn die Wirtschaft in diesem Jahr ihrer Ausbildungsverantwortung nachkommt - das hoffe ich -, dann wird es auch keine gesetzliche Regelung geben. Wenn sie ihr nicht nachkommt, müssen wir eine solche Regelung treffen.

   Ich gebe auch denjenigen Kolleginnen und Kollegen Recht, die sich hier sehr kritisch geäußert haben: Es ist eigentlich eine Schande, dass wir dann zu solchen Mitteln greifen müssen. Aber es ist auch eine Schande, wenn diejenigen Unternehmen, die nicht ausbilden - es sind viel zu viele -, ihrer Verantwortung nicht nachkommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, erwarte ich, dass alle jetzt ihren Part erfüllen und alle Kräfte für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen einsetzen und mobilisieren - in ihrem eigenen Interesse, aber vor allen Dingen im Interesse der Jugendlichen in unserem Lande und damit im Interesse unserer Zukunft.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Nun hat Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort.

(Jörg Tauss (SPD): Frau Pieper, denken Sie an Ihren gestrigen Appell!)

Cornelia Pieper (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Tauss! Am 1. August beginnt das neue Ausbildungsjahr. Es sind gerade noch zwei Monate bis dahin. Die Lage auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland ist dramatisch und gibt Anlass zu größter Sorge. Die rechnerische Lücke zwischen Ausbildungsangebot und -nachfrage beträgt im April mehr als 160 000 Plätze. Selbst der DGB rechnet im Berufsbildungsbericht bis zum Sommer noch mit einem echten Fehlbestand von 80 000 Plätzen.

   Frau Ministerin, ich will Sie einmal darauf hinweisen, dass es selbst 1998, unter der alten Bundesregierung - das ist der Vergleich, mit dem Sie immer agieren -, in Deutschland 44 189 Ausbildungsplätze mehr gab - ohne JUMP-Programm.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bitte lassen Sie doch diese Fehlinformationen! Wir kommen mit diesen Zahlenspielereien hier nicht weiter. Das kann man den Menschen draußen, den Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, nicht erklären.

   Ich sage Ihnen ganz klar: Die Schelte gegenüber der Wirtschaft, gegenüber den kleinen und mittelständischen Unternehmen hilft nicht. Sie haben die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland mit mehr Steuern und Abgaben belastet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Nicolette Kressl (SPD): Das ist doch nicht wahr!)

- Das ist unser Grundproblem!

   Meine Damen und Herren, ich frage mich manchmal, ob Sie verinnerlicht haben, wie ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz überhaupt entsteht. Er fällt doch nicht vom Himmel. Da entstehen Kosten. Da braucht man wirtschaftliche Dynamik. Die kleinen Firmen brauchen Aufträge, damit Arbeits- und Ausbildungsplätze entstehen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie können den Ausbildungsplatzmangel, die dramatische Situation, in der wir uns jetzt befinden, nicht allein mit einer anderen Bildungspolitik beheben. Das Grundübel in Deutschland ist die falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Das Einzige, was Ihnen noch einfällt, ist das Patentrezept der Ausbildungsplatzabgabe.

(Nicolette Kressl (SPD): Das ist doch nicht wahr! - Anton Schaaf (SPD): Lesen Sie doch den Antrag!)

Da kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland! Dann wird alles noch schlimmer. Noch eine Abgabe mehr wird der Wirtschaft aufgehalst. Das wird garantiert nicht mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze bringen.

   Der Meisterbrief, der die Garantie dafür ist, dass Ausbildung im Handwerk stattfindet, soll aufgeweicht werden. Auch das ist keine Maßnahme, um Ausbildung zu sichern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch hier wollen wir dem Handwerk die Treue halten und für den Meisterbrief kämpfen. Keine Frage!

   Längst hätte die Koalition konkrete Schritte zur Differenzierung und vor allem zur Verkürzung der Ausbildungszeiten tun können. Längst hätten Sie, Frau Ministerin, die Möglichkeit gehabt, das Berufsbildungsgesetz zu novellieren. Wir fordern das schon seit langem.

(Lachen des Abg. Jörg Tauss (SPD))

- Herr Tauss, da Sie nur ein Kurzzeitgedächtnis haben, darf ich Sie daran erinnern, dass wir schon lange eine Modularisierung, eine größere Differenzierung und Flexibilisierung der Berufsausbildung fordern.

(Jörg Tauss (SPD): Ja, gefordert haben Sie seit langem!)

Wir wollen Grundberufe mit geminderten Theorieanforderungen. Wir wollen, dass man mit Qualifizierungsbausteinen darauf aufbauen kann. Das wäre eine wichtige Reform, um in Deutschland Ausbildungsplätze zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

   Sie werden eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht durch neue bürokratische, staatlich orientierte Programme wettmachen können. Das sage ich Ihnen ganz deutlich für die FDP-Fraktion. Ich habe noch heute früh mit einem Unternehmer gesprochen, der mir gesagt hat: Wir müssen von dieser Bürokratielast befreit werden, gerade auch bei den Ausbildungsplätzen. Er hat mir erzählt, dass er noch jetzt wegen eines Ausbildungsplatzes von 1998 bis 2000 eine versicherungsrechtliche Überprüfung durch die LVA am Hals hat. Das muss man sich einmal vorstellen. Wo leben wir denn? Endlich weg mit dieser überflüssigen Bürokratie, die letztendlich auch Arbeits- und Ausbildungsplätze vernichtet!

(Beifall bei der FDP - Jörg Tauss (SPD): Wie beim Handwerk!)

   Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihr JUMP-Programm mit 1,1 Milliarden Euro Umfang hat nichts gebracht.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Es hat nicht dazu geführt, dass junge Menschen auf den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Im Gegenteil: Sie engagieren sich wieder auf dem zweiten Arbeitsmarkt, im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Dies stellt doch eine Spirale abwärts und keinen Weg aufwärts zum Sprung in den Arbeitsmarkt dar. Deswegen kritisieren wir auch diese Maßnahme, nicht in allen Teilen, aber in vielen. Wir sind der Auffassung, dass man gerade auch in die Betriebe investieren und sie unterstützen muss, damit Ausbildungsplätze entstehen.

(Jörg Tauss (SPD): Genau das wollen wir ja!)

   Seit Ihrer Regierungsübernahme machen Sie eine mittelstandsfeindliche Politik. Sie haben das Steuerrecht immer noch nicht vereinfacht, Sie haben es nicht reformiert. Immer noch werden Personengesellschaften gegenüber Aktiengesellschaften ungerecht behandelt. Die Rentenversicherungsbeiträge steigen trotz der Einführung der Ökosteuer. Ich erinnere an Folgendes: Die Grünen wollten durch die Ökosteuer die Rentenversicherungsbeiträge senken; das war die Begründung für diese unsinnige Steuer in Deutschland. Wir erleben das Gegenteil.

(Jörg Tauss (SPD): Das liegt daran, dass wir immer älter werden!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang an die verschlafene Gesundheitsstrukturreform und vieles andere mehr erinnern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich höre zum Thema Ausbildungsabgabe von der grünen Fraktionschefin Krista Sager folgende Worte: Wenn man merkt, dass sich die Wirtschaft nicht rührt, dann sollte man auch die Folterinstrumente vorzeigen.

(Zuruf von der F.D.P.: Pfui!)

Wo leben wir denn? Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft und nicht in einer Diktatur, in der man Selbstständigen, die Eigeninitiative zeigen, mit Folterinstrumenten droht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Grünen schlagen vor - O-Ton Thea Dückert und Minister Trittin -, eine Stiftung für betriebliche Bildungschancen einzurichten. Die Stiftung solle verbindliche Zusagen für einen Kapitalaufbau bekommen. Der Gesetzgeber solle Mindestanforderungen definieren, durch die alle Unternehmen an den Kosten der betrieblichen Ausbildung beteiligt würden. Nach Berechnung der Grünen seien 0,3 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme von Unternehmen notwendig, um die Nettokosten für rund 700 000 Lehrstellen pro Jahr aufzubringen. Wissen Sie, was das ist? Diese Ausbildungsumlage ist ein Taschenspielertrick. Damit werden die Lohnnebenkosten noch einmal erhöht und die kleinen Betriebe noch mehr kaputtgemacht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist nicht die Politik, die wir als liberale Mittelstands- und Bildungspartei vertreten. Das sage ich hier ganz deutlich.

(Jörg Tauss (SPD): Ihr wollt, dass sich nichts ändert!)

   Das Recht auf Bildung ist nach unserer Auffassung ein grundlegender Bestandteil der Menschenrechte. Es ist für uns ein Freiheitsthema. Jeder junge Mensch muss die Chance bekommen, durch eine gute Ausbildung in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

(Jörg Tauss (SPD): Sehr gut! Dafür sorgen wir! - Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

- Das haben Sie nur nicht verinnerlicht. - Weil das so ist, weil wir in einer Notsituation sind und weil Sie die Reform verschlafen haben, haben wir einen Alternativvorschlag eingebracht: die Gelder des JUMP-Programms in eine Ausbildungsprämie von 3 500 Euro einfließen zu lassen. Das sind die Kosten für einen Ausbildungsplatz in den ersten fünf Monaten in kleinen mittelständischen Unternehmen.

(Zuruf von der SPD: Eine Subvention!)

Diesen Vorschlag haben wir mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, DIHK, erarbeitet.

   Die Notsituation in diesem Bereich haben Sie herbeigeführt. Wir wären heute gar nicht gezwungen, solch ein Programm zu initiieren, wenn Sie diese Notsituation nicht herbeigeführt hätten.

(Zuruf von der SPD: Sehr schlecht recherchiert!)

Die Ausbildungsprämie ist für dieses Jahr ein geeigneter Weg. Sie ist keine Lösung für die Zukunft. Wir brauchen eine andere Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik,

(Zuruf von der F.D.P.: Eine andere Regierung! - Jörg Tauss (SPD): Neue Subventionen! Das ist eure Forderung!)

aber vor allen Dingen brauchen wir in Zukunft wohl eine andere Bundesregierung, weil diese Bundesregierung nicht in der Lage ist, die Herausforderungen anzunehmen und die Probleme dieses Landes zu lösen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Grietje Bettin von Bündnis 90/Die Grünen.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Pieper, so viele Widersprüche wie in Ihrer Rede habe ich selten in sieben Minuten gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was fordern Sie eigentlich: Regulierung oder Deregulierung?

(Jörg Tauss (SPD): Subventionen!)

Sie hatten viele Jahre Zeit zu Reformen, zum Beispiel zur Reform des Berufsbildungsgesetzes. Wir packen das nun endlich an.

(Cornelia Pieper (FDP): Wann? Das erzählen Sie jetzt schon seit Jahren!)

Ich denke, Sie sollten uns dabei unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Alle meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es angesprochen: Die aktuelle Situation am Ausbildungsmarkt ist beängstigend. Tausende junger Menschen, die demnächst aus der Schule kommen, stehen beim Zugang in das Ausbildungs- und Berufsleben vor einer riesengroßen Hürde, die sie allein nicht nehmen können. Neben der Politik steht in besonderer Weise die Wirtschaft in der Verantwortung, alle Energie aufzuwenden, um jeder Schulabgänger und jede Schulabgängerin ein Ausbildungsplatzangebot unterbreiten zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Knappe Kassen oder die konjunkturelle Krise dürfen nicht als pauschale Erklärung und Entschuldigung herhalten. Oberstes gemeinsames Ziel muss es sein, kontinuierlich ein Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen unterbreiten zu können. Gemeinsam müssen wir der jungen Generation eine Perspektive aufzeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jörg Tauss (SPD): Konjunkturunabhängig!)

Dort, wo Ausbildungsplätze trotz aller Bemühungen noch immer fehlen, müssen wir Brücken bauen. Wir brauchen nicht irgendwelche Beschäftigungsmaßnahmen, sondern müssen Angebote von Qualifikationsbausteinen bereitstellen, mit denen insbesondere benachteiligte junge Menschen nach und nach eine vollwertige Ausbildung erwerben können.

   Auf Dauer reicht es aber nicht, den jungen Menschen Ersatzmaßnahmen anzubieten, mit denen sie am Ende die Hürde ins Berufsleben doch nicht nehmen können. Es kann grundsätzlich nicht sinnvoll sein, dass die Kosten der beruflichen Bildung zunehmend vom Staat übernommen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Staatliche Mittel sind stark begrenzt. Sie müssen - PISA hat das gezeigt - vor allem für vorschulische und schulische Bildung verwendet werden. Davon profitiert der Einzelne, ebenso profitieren davon aber auch die Unternehmer und Unternehmerinnen. Das weltweit hoch gelobte duale System lebt davon, dass die Ausbildung im Betrieb stattfindet, also praxisbezogen und anwendungsorientiert ausgelegt ist.

   Vor dem Hintergrund der Lage am Ausbildungsmarkt ist die Schaffung einer von der Konjunktur unabhängigen Ausbildungsstruktur unser zentrales Ziel. In einem Hörfunkinterview hat BDI-Präsident Michael Rogowski die Notwendigkeit anerkannt, dass „wir einen Weg finden müssen, um diejenigen, die nicht ausbilden, zur Ausbildung zu bewegen.“

   Welchen Weg schlagen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dazu vor? In Ihrem Antrag gehen Sie über diese Frage wortlos hinweg. Die FDP schlägt eine Prämie für neue Ausbildungsplätze vor.

(Cornelia Pieper (FDP): Und die Senkung von Steuern und Abgaben!)

Hier ist die Wirtschaft schon viel weiter. Der Präsident des DIHK spricht davon, dass eine Ablösesumme fällig werden könnte, die von nicht ausbildenden Betrieben an ausbildende Betriebe gezahlt werden müsse. Klar ist: Wenn die Wirtschaft nicht eigenständig ihren Ausbildungspflichten nachkommt, muss auf andere Weise ein gerechter Mechanismus geschaffen werden. Aus diesem Grund haben wir Grüne das Stiftungsmodell entwickelt, das schon angesprochen wurde. Dieses Modell könnte ein Weg sein, um Ungerechtigkeit zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zu beseitigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dirk Niebel (FDP): Ich denke, das ist das Folterinstrument!)

   Die Zustimmung des BDI-Präsidenten zu einem solchen verpflichtenden Ausbildungsfonds ist ermutigend. Nach den einsichtigen Worten erwarten wir Taten. Bis zum Herbst müssen die Arbeitgeber ein umsetzungsfähiges Konzept vorlegen; denn nicht nur die Politik, auch sie tragen ein hohes Maß an gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung. Vor allem aber sind hohe Ausbildungszahlen und Standards Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und betrieblichen Erfolg. Es geht also auch um die ureigenen Interessen der Unternehmerschaft selbst.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten, dass die Wirtschaft aus eigener Kraft bereit ist, den Ausbildungsplatzmangel zu beheben. Weder der Zeitpunkt noch die Lage am Ausbildungsmarkt lassen es zu, dass wir uns hinhalten lassen. Sichtbare und nachvollziehbare Schritte müssen seitens der Wirtschaft in Gang gesetzt werden. In dieser Frage dürfen sich alle Unternehmensverbände der Unterstützung durch die Politik sicher sein. Wir wollen aber auch Ergebnisse sehen. Deshalb werden wir bei Nichterreichen dieses Ziels zu Mitteln der gesetzlichen Verpflichtung greifen müssen. Das sind wir den jungen Menschen und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes schuldig.

   Abschließend möchte ich an die Bundesregierung appellieren, dass sie die Wirtschaft mit Nachdruck zum Handeln auffordern und gleichzeitig deutlich machen muss, dass sie, im Interesse der jungen Menschen in unserem Land, für den Notfall alle Vorbereitungen getroffen hat.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Werner Lensing von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Werner Lensing (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von der Bundesregierung vorgelegte Berufsbildungsbericht 2003 geht an der aktuellen Realität völlig vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Selbst die Realität wirkt irreal.

(Zuruf von der SPD: Jetzt wird es philosophisch!)

   Wem nützt dieser Bericht eigentlich?

(Jörg Tauss (SPD): Ihnen!)

Nach gründlichem Studium bin ich der Meinung, dass er allenfalls der Druckerei nützt, in der dieser Bericht gedruckt wurde. Ich hoffe, zumindest dadurch wurden in diesem Betrieb Ausbildungsplätze geschaffen. Ich will Ihnen diese kesse Bemerkung erläutern und begründen.

(Jörg Tauss (SPD): Ja, darum bitten wir!)

   Gegenüber dem Vorjahr ist ein Rückgang der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um insgesamt 42 000 zu verzeichnen. Dies entspricht einem Rückgang von etwa 6,8 Prozent.

(Jörg Tauss (SPD): Das wissen Sie aber nur aus dem Bericht!)

Jetzt kommt es aber: Ende September 2002 hieß es: Nur noch 4 Prozent fehlen, um allen Lehrstellensuchenden helfen zu können.

(Jörg Tauss (SPD): Warum zitieren Sie immer aus dem Bericht?)

Hört sich das nicht eigentlich gut an? - Ist es aber gar nicht; denn die Zahlen vom September 2002 sind inzwischen haltlos veraltet. Sie sind Schnee von gestern, dabei wartet draußen ein heißer Sommer auf uns alle. Hierbei geht es nicht um den heißen Sommer des DGB; der wartet nur auf den Kanzler.

   Im Ausbildungsjahr 2003/2004 fehlen inzwischen über 171 000 Lehrstellen; Frau Reiche hat bereits darauf verwiesen. Ich muss es noch einmal sagen und ich sage es nicht mit Schadenfreude, sondern mit Traurigkeit: Das ist der höchste Wert seit 1998.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und dann wollen Sie JUMP streichen!)

Die Lehrstellenlücke hat sich damit um weitere 10 000 vergrößert. Der Rückgang der Zahl der betrieblichen Lehrstellen beträgt im Vergleich zum Vorjahresmonat 11,5 Prozent. Dazu sind 1,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren berufslos. Ende März waren 561 800 Arbeitslose jünger als 25. Das sind 56 700 mehr als vor einem Jahr.

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt kommen wir zu den Taten!)

   In dieser verhängnisvollen Situation dürfte die Zahl wirklich unnützer rot-grüner Reformvorschläge inzwischen an die Hunderte reichen, während neue Haushaltslöcher von der Presse und der Öffentlichkeit nur noch wahrgenommen werden - und das natürlich auch nur nebulös -, wenn sie mindestens eine mehrstellige Milliardenhöhe erreichen. Insofern stimmt es, wenn man sagt: Die desaströse Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Regierung hat den Lehrstellenmarkt inzwischen mit voller Macht und Wucht erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genau das ist die Wurzel allen Übels.

(Jörg Tauss (SPD): Die liegt vor 1998!)

Frau Ministerin, solange Sie dies nicht begreifen, wird sich die Lage am Lehrstellenmarkt bedauerlicherweise auch weiterhin dramatisch verschlechtern.

(Cornelia Pieper (FDP): Genau!)

   Frau Ingrid Sehrbrock, - sie ist immerhin Mitglied im DGB-Vorstand -, hat am 3. April in Berlin erklärt:

Die Lücke hat sich seit Februar also um rund 30 000 fehlende Ausbildungsplätze vergrößert. Diese Entwicklung ist dramatisch und es muss schnell gegengesteuert werden.
(Nicolette Kressl (SPD): Genau!)

Recht hat sie: Es muss sich etwas ändern, und zwar sofort.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Und zwar auf der Regierungsbank!)

   Das Handwerk und der Mittelstand haben in den vergangenen Jahren die größte Last übernommen. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg Tauss (SPD): Dafür wollen wir sie entlasten!)

Doch, das sage ich hier auch sehr deutlich: So manche Großunternehmer haben sich dieser Ausbildungsverantwortung leider entzogen.

(Jörg Tauss (SPD): Sehr richtig! Was schließen Sie daraus?)

Diese haben in besseren Zeiten just an dem Ast gesägt, auf dem sie heute selbst sitzen.

(Jörg Tauss (SPD): Ergo?)

Sie haben die Kosten für die Ausbildung gespart und anschließend den Rahm, nämlich die qualifizierten Fachkräfte, abgeschöpft.

(Jörg Tauss (SPD): Alles wahr!)

Das ist zu kritisieren

(Beifall des Agb. Jörg Tauss (SPD))

- ich bin erstaunt, dass dies selbst Herr Tauss wahrnimmt -, und zwar ist das laut zu kritisieren. Das machen wir auch.

   Doch in dieser Krisensituation führt der Ruf nach einer Ausbildungsplatzabgabe völlig in die Irre. Da feiert der Wahnsinn geradezu Triumphe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Knüppel aus dem Sack trifft doch die Falschen, nämlich insbesondere die meisten kleinen Betriebe, die zwar willig sind, auszubilden, denen aber aus konjunkturellen Gründen der Atem auszugehen droht.

(Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Sie sagten doch gerade, die großen Betriebe bilden nicht aus!)

Sie trifft auch völlig zu Unrecht diejenigen, die trotz aller persönlichen Bemühungen keinen geeigneten Bewerber finden. Große Unternehmen hingegen, die sich um ihre Verantwortung drücken, lässt eine solche Abgabe eher kalt. Mehr Lehrlinge werden sie deswegen garantiert nicht einstellen.

(Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Aber dann zahlen sie!)

   Das Geld, das sie zu zahlen haben, fließt bestenfalls in die überbetriebliche Ausbildung,

(Jörg Tauss (SPD): Nein! Ausdrücklich nicht! - Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Lesen Sie den Antrag!)

die nicht die beste ist. Die Handwerker schauen dann wieder in die Röhre. Die Ausbildung zu einer staatlichen Veranstaltung zu machen ist das Gegenteil von dem, was das duale Ausbildungssystem zu seinem tollen Erfolg gebracht hat.

Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Darum sagen Sie uns jetzt, wie das geht!)

   Wir wollen das noch einmal im Klartext sagen: Durch die geplante Ausbildungsabgabe werden die Anstrengungen der deutschen Wirtschaft, speziell des Mittelstandes und damit auch des Handwerks, in diesem Jahr noch eine möglichst hohe Zahl an Ausbildungsplätzen zur Verfügung zu stellen, geradezu konterkariert und erheblich behindert.

(Beifall des Abg. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP))

   Allein schon die zynische - ich kann sie wirklich nicht anders nennen - Ankündigung der Regierungsfraktionen, diese umstrittene Zwangsabgabe, die von Schröder, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, zu Recht durchgehend vehement abgelehnt worden war, nun ausschließlich „zum Wohle der Wirtschaft“ erheben zu wollen,

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Unglaublich!)

belastet die kritische Ausbildungssituation in diesem Jahr und in Ihrer Verantwortung zusätzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Im Ergebnis ist diese Zwangsabgabe nichts anderes als ein Schritt hin zur Verstaatlichung der Ausbildung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist immer wieder das Gleiche: umverteilen und gleichzeitig das Niveau senken, mehr Zwang und weniger Kreativität. Genau in diese armselige Denkstruktur passt Ihre Forderung nach Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe

Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Wir warten immer noch auf Ihren Vorschlag!)

und nach einer flächendeckenden Reduzierung der Meistertitel. Dabei garantiert gerade beispielsweise der Meister die Qualität beruflicher Ausbildung.

   Frau Minister Bulmahn hat gemeint, sagen zu können und zu müssen, dass wir keine eigenen Vorschläge unterbreiten.

(Jörg Tauss (SPD): Bis jetzt kam auch noch nichts!)

Wir haben so viele eigene Vorschläge,

(Lachen bei der SPD - Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): wo sind sie denn? Wir haben nichts gehört!)

dass Sie, Frau Bulmahn - das ist mein Eindruck -, hierbei die Übersicht verloren haben. Mir liegt ein Katalog von mindestens acht konkreten Vorschlägen vor,

(Jörg Tauss (SPD): Lesen Sie mal vor!)

die ich unglaublich gerne im Einzelnen hier erläutern möchte, woran mich aber die Tagesordnung und die Redezeitbegrenzung hindern.

(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber drei möchte ich Ihnen nennen.

Dirk Niebel (FDP): Mehr kann Herr Tauss auch nicht aufnehmen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Lensing, Ihre Zeit ist aber abgelaufen.

(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Nur die Redezeit!)

Werner Lensing (CDU/CSU):

Das ist aber sehr traurig, Herr Präsident. Dann sage ich noch einen Satz als Höhepunkt der Darstellung:

(Jörg Tauss (SPD): Noch ein Höhepunkt!)

Das wichtigste und effektivste Ausbildungsprogramm für ganz Deutschland sind möglichst baldige Neuwahlen.

   In diesem Sinne!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Lensing hat wieder einmal alle Karnevalserwartungen perfekt erfüllt! - Jörg Tauss (SPD): Ich dachte, jetzt käme wirklich mal ein Höhepunkt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicolette Kressl von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicolette Kressl (SPD):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Lensing, es wäre schön gewesen, wir hätten wenigstens einen Vorschlag und nicht nur nebulöse Ankündigungen von Ihnen gehört.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn die Ausbildungssituation so kritisch ist, wie sie sich zurzeit tatsächlich darstellt, dann müssen alle, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, diese auch wahrnehmen.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Fangen Sie mal bei sich an!)

Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass junge Menschen tatsächlich Startchancen für ihr Berufsleben bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Verantwortung muss auch deshalb wahrgenommen werden, weil unser wirtschaftliches Wachstum und der damit verknüpfte Wohlstand in den nächsten Jahren davon abhängen wird, ob es auch in 10 oder in 20 Jahren genügend qualifizierte Menschen gibt, die Ideen entwickeln, Innovationen auf den Weg bringen und hochwertige Güter und Dienstleistungen produzieren. Dafür müssen wir jetzt die Basis legen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Verantwortung liegt auch bei denen, die politisch verantwortlich sind. Sie liegt natürlich besonders stark bei der Wirtschaft. Es kann nicht angehen, dass vonseiten der Wirtschaft immer wieder - wie ich finde: zu Recht - angemahnt wird, dass die Politik mittelfristige und langfristige Perspektiven entwickelt, dass die Wirtschaft selbst aber bei der Ausbildung der eigenen Fachkräfte völlig darauf verzichtet, mittelfristig zu denken. Das kann doch wirklich nicht wahr sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb halten wir es für so problematisch, dass gegenüber dem Vorjahresmonat 57 000 betriebliche Ausbildungsstellen weniger gemeldet worden sind und dass der Anteil der ausbildenden Betriebe auf weniger als ein Drittel zurückgegangen ist.

   Es gibt inzwischen - sicherlich auch wegen der Ausbildungsoffensive der Bundesregierung - Hoffnungsschimmer. Dazu gehört zum Beispiel der neue Tarifvertrag für die chemische Industrie wie auch die Initiative des Metall-Arbeitgeberverbandes Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD)

Wir unterstützen solche freiwilligen Aktionen, um es ganz deutlich zu sagen. Wir werden aber nicht nur zusehen dürfen und können, falls sich immer größere Teile der Wirtschaft dieser Aufgabe und dieser Verantwortung nicht stellen. Es geht nicht, dass wir einfach nur zusehen. Sie haben heute den ganzen Morgen gejammert, schlechtgeredet und zugeschaut,

(Katherina Reiche (CDU/CSU): Was heißt „schlechtreden“! Das kann man gar nicht mehr!)

weil Sie von dem profitieren wollen, was sich entwickelt.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wenn man Sie hört, wird einem schlecht!)

Das ist nicht die Übernahme politischer Verantwortung, um es ganz deutlich zu sagen. Hier sind andere Wege gefragt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist deshalb so wichtig, dass wir nicht nur zusehen, weil wir hier über einen Bereich reden, in dem es um die Lebenschancen von jungen Menschen geht, um ihr Selbstwertgefühl, um ihren zukünftigen Platz in der Gesellschaft. Wie sollen denn junge Menschen zu diesem Staat, zu dieser Gesellschaft, zu dieser Demokratie stehen können, wenn sie erleben, dass wir nicht alle - ich sage bewusst: alle - Maßnahmen ergreifen, um ihnen tatsächlich Startchancen geben zu können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir, wenn es nicht gelingt, durch freiwillige Vereinbarungen zu einem ausreichenden Ausbildungsplatzangebot zu kommen, gesetzliche Regelungen vorlegen werden, um ausbildende Betriebe von ihren Kosten zu entlasten. Dies wird dann selbstverständlich von Unternehmen finanziert, die sich an dieser Aufgabe nicht beteiligen.

   Um auch dies noch einmal deutlich zu sagen: Dieser Entscheidung geht eine Vielzahl von Maßnahmen voraus, um die Ausbildungsplatzsituation zu verbessern. Dazu gehört die Ausbildungsplatzoffensive. Dazu gehören die Erleichterungen bei der Möglichkeit, auszubilden. Dazu gehören aber natürlich auch Maßnahmen wie die Modernisierung von Ausbildungsordnungen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Bei diesem Thema wird es in Ihrem Antrag richtig absurd. Da fordern Sie die Modernisierung von Ausbildungsordnungen. In Wirklichkeit hat erst diese Koalition und hat erst diese Regierung sich bewegt, während sich vor unserer Zeit im Bereich der Modernisierung von Ausbildungsordnungen so gut wie nichts getan hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Sie drehen sich doch im Kreis! - Michael Kretschmer (CDU/CSU): Totaler Stuss! Das stimmt gar nicht! - Jörg Tauss (SPD): Die Wahrheit tut weh!)

Ein Beispiel: Am 1. August 2002 sind 24 neue Ausbildungsordnungen, davon acht zu neuen Berufen, in Kraft getreten - und dieser Prozess ist keineswegs am Ende.

   Dann schauen wir noch einmal in den Antrag der CDU/CSU: Welcher Zynismus und welche Doppelzüngigkeit spricht denn aus diesem Antrag, wenn Sie fordern, die - erfolgreichen - Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit einzustellen? Gleichzeitig erlebe ich, wie sich sämtliche Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion bei Veranstaltungen - manchmal sind es ja in Person die gleichen - darüber beschweren, dass wir bei der Bundesanstalt für Arbeit dafür kämpfen mussten, dass die Programme für Berufsvorbereitungsmaßnahmen weitergeführt werden - das haben wir erreicht.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Die Sie zusammengestrichen haben!)

Da schimpfen und jammern Sie und gleichzeitig fordern Sie, das JUMP-Programm abzuschaffen. Das ist wirklich purer Zynismus und pure Doppelzüngigkeit!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie werden sich schon entscheiden müssen, welchen Weg Sie gehen wollen. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich, wie gesagt, erfolgreich für den Erhalt dieser Maßnahmen eingesetzt.

   Gerade bei diesem Thema erwarten die Menschen von der Politik zu Recht, dass gemeinsame Lösungswege gesucht werden, statt zu versuchen, aus der kritischen Situation politisches Kapital zu schlagen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Von dieser Regierung erwarten die Menschen nichts mehr!)

Ich finde, Sie sollten diese gemeinsamen Lösungswege nicht ideologisch versperren.

(Beifall bei der SPD - Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Wer ist denn hier Ideologe?)

   Das muss auch nicht sein. Ich darf kurz aus der „Frankfurter Rundschau“ aus dem Jahr 1999 zitieren. Darin wurde über einen Beschluss berichtet, den die Sozialausschüsse der CDU damals gefasst haben:

Es muss einen Lastenausgleich geben zwischen ausbildenden und nicht-ausbildenden Betrieben.
(Zurufe von der SPD: Ach nein!)
Zwar favorisiere die CDA tarifliche Lösungen - falls aber dieser Weg nicht zum Ausgleich führe, müsse auch über gesetzliche Regelungen nachgedacht werden.
(Zurufe von der SPD: Oh! Recht hat sie!)

   Jetzt hingegen unterstellen Sie uns dirigistische Maßnahmen, und zwar aus reiner Ideologie.

(Beifall bei der SPD - Dirk Niebel (FDP): Die Sozialisten der beiden großen Parteien denken halt gleich! Das ist so!)

- Herr Niebel, dass Sie das feststellen, während Sie sich weiterhin massiv für den Schutzwall für die Handwerkerordnung einsetzen, finde ich Klasse.

(Abg. Jörg Tauss (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Kressl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Nicolette Kressl (SPD):

Ja, sehr gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Tauss, bitte.

Jörg Tauss (SPD):

Frau Kollegin Kressl, nur weil es so schön war: Könnten Sie noch einmal sagen, wen Sie zitiert haben?

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicolette Kressl (SPD):

Das war die CDA im Jahr 1999. Um es Ihnen noch etwas näher zu erläutern, Herr Tauss: Dabei handelt es sich um die Sozialausschüsse der CDU.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein Ortsverband!)

- Nein, das war kein Ortsverband, sondern bundesweit -, um es Ihnen noch einmal zu erläutern.

   Ich kann Sie deshalb nur auffordern: Unterstützen Sie das Engagement aller, die sich für die Ausbildungsoffensive stark machen! Benutzen Sie die schwierige Situation nicht für billige Polemik, sondern ziehen Sie mit uns an einem Strang! Wir finden, die jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen und darauf warten müssen, ein Recht darauf haben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Schummer von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Uwe Schummer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Werte Damen! Werte Herren! Im Januar fehlten nach den Angaben der Bundesanstalt für Arbeit 90 000 Ausbildungsplätze für das neue Ausbildungsjahr. Im Februar waren es 118 000, im März 140 000 und im Mai 171 000. Die Dramatik der Ausbildungssituation nimmt von Monat zu Monat weiter zu.

   Jeder zweite Schulabgänger in diesem Jahr wird voraussichtlich keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, sondern eine Ersatzmaßnahme wahrnehmen müssen. Das heißt, es gibt eine Erosion der betrieblichen dualen Ausbildung.

   Was ist Ihre Reaktion darauf? - Ein Ausbildungsgipfel. Die Minister Clement und Bulmahn luden zu diesem Gipfel ein. Erstmals seit 1983 war es nicht der Bundeskanzler, sondern die nachgeordneten Ministerien, die dazu einluden. Der Bundeskanzler fehlte. Gerhard Schröder ist wie Richard Kimble auf der Flucht vor den Ergebnissen seiner Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Zukunftschancen junger Menschen sind für diesen Bundeskanzler eine nachgeordnete Angelegenheit nachgeordneter Instanzen. Das ist der Gipfel seiner Verantwortungslosigkeit.

(Zuruf von der SPD: Das war aber jetzt energisch!)

- Und es kam von Herzen, lieber Kollege.

   Es gibt einen sozialdemokratischen Reflex: Hier ist ein Problem und dort ist eine Steuer. So tanken wir für die Rente und rauchen für die innere Sicherheit. Demnächst heißt es „Trinken für die Gesundheit“ und als Rezept gegen die Ausbildungskrise gibt es eine Ausbildungsplatzabgabe.

(Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und Ihr Rezept?)

   Tatsache ist, dass mit 40 000 betrieblichen Insolvenzen eine Rekordzahl erreicht wurde. Mit diesen 40 000 Insolvenzen wurden mehr als 400 000 Arbeits- und Ausbildungsplätze vernichtet.

(Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

- Wenn Sie nicht nur Ihren Kehlkopf, sondern auch den Kopf nutzen würden, dann könnten Sie auch besser zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Ausbildungsschwäche der Betriebe ist ein Spiegelbild der miserablen wirtschaftlichen Lage, die auch von Ihrer Steuer- und Abgabenpolitik verursacht wurde.

   Da wir nur noch wenige Monate bis zum September 2003 Zeit haben, möchte ich drei ganz konkrete Vorschläge - den Rest werden wir nachliefern - machen, über die wir reden sollten.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aus der CDA- oder CDU-Ecke?)

   Erster konkreter Vorschlag: Entlasten wir anteilig Betriebe von Sozialversicherungsbeiträgen für Auszubildende. Die Mittel dafür nehmen wir aus dem JUMP-Programm, da es für 70 Prozent der betroffenen Jugendlichen eine reine Warteschleife ist. Dieses Geld sollte besser in die Unterstützung der betrieblichen Ausbildung fließen.

(Jörg Tauss (SPD): Der Staat zahlt?)

Bei den kleinen Einkommen von 401 bis 800 Euro haben wir bereits einen solchen Anreiz zur Arbeitsaufnahme parteiübergreifend beschlossen.

(Ulla Burchardt (SPD): Was machen Sie denn mit den Jugendlichen? Lassen Sie sie auf der Straße oder in der Spielhalle?)

Der Sozialversicherungsbeitrag steigt für die Beschäftigten nur langsam an. Nach diesem Vorbild könnten wir auch einen Anreiz für betriebliche Ausbildungsplätze schaffen. Etwas Ähnliches bei den Arbeitgeberbeiträgen für Auszubildende zu machen wäre kreativer und intelligenter, als immer neue Abgaben zu erheben.

   Zweiter konkreter Vorschlag: Auf einem Ausbildungsgipfel sollte mit den Tarifpartnern vereinbart werden, dass die Ausbildungsgehälter in den nächsten drei Jahren eingefroren werden. Mit dem gesparten Geld könnten die Unternehmen zusätzliche Ausbildungsplätze finanzieren. Im Schnitt liegen die Ausbildungsvergütungen in Deutschland zwischen 430 und 800 Euro. Hier ist eine Atempause vertretbar, wenn dafür zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dritter konkreter Vorschlag: Ausbildungsmeister ist das Handwerk. Dort befinden sich über 80 Prozent der Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Die freie Berufswahl ist ein Verfassungsrecht. Das Handwerk leistet hierfür einen elementaren Beitrag. Die Handwerksberufe - das ist ein Punkt, über den wir noch heute Nachmittag beraten werden -, die bis zum Dezember 2004 die Ausbildungsquote der übrigen Wirtschaft massiv übersteigen, erhalten sich so ihren Meisterbrief. Wettbewerb als Instrument für unser Gemeinwohl - das wäre klassisch für soziale Marktwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Der Staat entlastet Ausbildungsbetriebe von Lohnnebenkosten. Die Gewerkschaften garantieren Ruhe bei den Lohnkosten. Die Arbeitgeber sorgen für zusätzliche Ausbildungsplätze und im Handwerk startet ein Wettbewerb für mehr Lehrstellen. Das wäre ein Gesamtkonzept, das wir bis zur Sommerpause auf den Weg bringen könnten und mit dem wir schon in diesem Jahr den Schulabgängerinnen und Schulabgängern eine Perspektive eröffnen würden.

   Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, folgen Sie uns zeitnah, damit die Jugend in Deutschland eine Chance hat!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schummer, mit der Beschreibung der Situation haben Sie ja Recht: 140 000 Ausbildungsplätze werden möglicherweise im Herbst fehlen. Damit dürfen wir uns wirklich nicht abfinden. Nur 30 Prozent der Betriebe bilden aus. In diesem Jahr werden bis jetzt ungefähr 11 Prozent weniger Ausbildungsplätze angeboten als im letzten Jahr. Das geht nicht. Nur: Das, was Sie anbieten, lieber Herr Kollege Schummer, stellt Ihnen ein Armutszeugnis hoch zehn aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie schlagen vor, die Mittel für das JUMP-Programm zu streichen und dafür andere Angebote zu machen.

(Jörg Tauss (SPD): Subventionen! - Gegenruf von der CDU/CSU: Dann haben Sie es wirklich nicht verstanden!)

Das geht aber auf Kosten der Jugendlichen, die im JUMP-Programm einen Ausbildungsplatz oder ein Angebot gefunden haben - schließlich bilden nur 30 Prozent der Betriebe aus. Auch diese Jugendlichen haben ein Anrecht auf Hilfe und Ausbildung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das gilt übrigens genauso für alle anderen Jugendlichen in diesem Land, die die Schule verlassen und in den Arbeitsmarkt hineinwollen, die sich also ihrer Erwerbsbiographie gerade nähern. Vor diesem Hintergrund finde ich, dass Ihre Vorschläge nicht nur untauglich, sondern auch zynisch sind; denn Sie wollen ausgerechnet die Maßnahmen zur Disposition stellen und sich zur Finanzierung Ihrer Vorschläge der Programme bedienen - das wollten Sie auch schon in den letzten Jahren; übrigens, Frau Pieper, die betreffenden Programme sind vor allen Dingen in den neuen Bundesländern sehr stark nachgefragt -, die insbesondere an diejenigen Jugendlichen gerichtet sind, die Schwierigkeiten haben, sich dem Arbeitsmarkt zu nähern, weil sie zum Beispiel in der Ausbildung Probleme hatten oder sich aus anderen Gründen arbeitsmarktfern aufgehalten haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Im dualen System - das ist natürlich ein Pfund für die Wirtschaft in Deutschland - haben die Unternehmen eine Ausbildungspflicht. Der Staat kann, zum Beispiel durch JUMP, durch außerbetriebliche Maßnahmen, immer nur Second-best-Lösungen anbieten.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Wir müssen sehen, dass die Jugendlichen in die Betriebe hineinkommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deswegen sage ich hier ganz deutlich: Wenn die Unternehmen in diesem Sommer dieser Verpflichtung nicht nachkommen, weil sie nicht können oder nicht wollen,

(Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Was denn nun?)

dann werden wir gesetzlich eingreifen müssen und die Unternehmen in die Pflicht nehmen müssen. Das gebietet uns das Recht der Jugendlichen auf Ausbildung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Ministerin hat gesagt, dass 500 000 Betriebe noch ausbilden könnten. Wenn wir nur die Hälfte dieser Betriebe erreichen könnten, hätten wir in diesem Jahr das Problem schon gelöst.

   Ich will noch einmal auf das zurückkommen, was Sie in Wahrheit vorschlagen. In Ihrem Antrag steht, dass Sie JUMP streichen und die 1 Milliarde Euro zur Senkung der Lohnnebenkosten benutzen wollen. Haben Sie eigentlich einmal ausgerechnet, Frau Reiche, wie hoch der Effekt wäre? Dadurch würde eine Senkung der Lohnnebenkosten um maximal 0,1 Prozentpunkte erreicht.

(Nicolette Kressl (SPD): Natürlich ein PISA-Problem!)

   Sagen Sie einmal ganz im Ernst - denken Sie dabei an Ihren eigenen Betrieb -: Sind Sie wirklich der Auffassung, dass wir die Probleme auf dem Ausbildungsplatzmarkt in diesem Jahr lösen können, wenn wir JUMP streichen, also die jungen Leute in die Wüste schicken, um dafür die Lohnnebenkosten um 0,1 Prozentpunkte zu senken? Erklären Sie mir in diesem Zusammenhang - -

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Dückert, ich muss einmal dazwischengehen. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kretschmer?

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, wenn ich meinen Satz zu Ende geführt habe.

   Erklären Sie mir in diesem Zusammenhang, wie Sie auf der anderen Seite der Streichung der Ökosteuer das Wort reden können, wodurch die Lohnnebenkosten, nämlich der Rentenversicherungsteil, um mehrere 0,1 Prozentpunkte steigen würden!

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Deswegen steigt die dauernd!)

Frau Reiche, so wird doch kein Schuh daraus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Man erkennt, was Sie wirklich verfolgen. Sie haben überhaupt kein Interesse daran, Jugendlichen, die ausbildungsfern sind, ein Angebot zu machen. Das ist die Realität.

(Zuruf von der CDU/CSU: Belügen Sie doch nicht das Volk!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kretschmer, bitte schön.

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, die Unternehmen könnten oder wollten nicht ausbilden. Wir möchten von Ihnen doch gern wissen, was denn nun Ihrer Meinung nach zutrifft. Es ist nämlich ein großer Unterschied zwischen Können und Wollen.

   Wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Unternehmen nicht können - wegen Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Pieper (FDP))

wegen der 5 Millionen Arbeitslosen, wegen der Situation im Handwerk, wegen rückgängiger Umsätze, wegen 40 000 Unternehmenspleiten im Jahr. 40 000 Unternehmen bilden nicht mehr aus, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt eine Ausbildungslücke. Sie ist jetzt auch in großem Maß in den alten Ländern entstanden. Die jungen Leute aus meiner Heimat, aus den neuen Bundesländern, sind ja bisher immer in die alten Bundesländer gegangen.

   Ist es also nicht Ihre Wirtschaftspolitik, die dafür gesorgt hat, dass die Situation jetzt so schlimm ist? Sollten Sie nicht doch etwas daran ändern, bevor Sie anfangen, mit einer Ausbildungsplatzabgabe die Probleme noch zu verschlimmern?

(Beifall bei der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Wie war es denn 1998?)

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Schönen Dank für Ihre Frage, Herr Kollege. - Es gibt Unternehmen, die wollen nicht, und es gibt Unternehmen, die können nicht.

(Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Wie unterscheiden Sie das?)

Dies, lieber Herr Kollege, hat die Wirtschaft schon besser erkannt als Sie, als die CDU/CSU-Fraktion und vor allem die FDP-Fraktion.

   Herr Rogowski hat am Anfang dieser Woche vorgeschlagen, einen Fonds einzurichten, um den Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, auszubilden, weil sie finanzielle Probleme haben, über ein Umlageverfahren quasi einen Bonus zu geben.

(Jörg Tauss (SPD): Wer war das?)

So etwas gibt es in der chemischen Industrie und so etwas gibt es in der Metallindustrie. Es ist ein kluger Ansatz, Fonds zu bilden. Alle zahlen ein und die, die ausbilden - ich antworte noch auf Ihre Frage, Herr Kretschmer; bleiben Sie bitte stehen -, bekommen etwas aus diesen Fonds. Vom Ansatz her halten auch wir Grüne das für einen sinnvollen Weg: Alle zahlen ein, niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen, wie zum Beispiel im Rahmen der Behindertenabgabe. Bei diesem System muss jeder seinen Obolus leisten und wer ausbildet, wird unterstützt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Das war Rogowski?)

- Das war Rogowski.

   Einen solchen Weg geht man in der chemischen Industrie und in der Metallindustrie. Diesen Ansatz können wir aufgreifen und weiterentwickeln. Wir Grüne möchten zu diesem Zweck gern ein Stiftungsmodell entwickeln, ähnlich wie es die Hartz-Kommission vorgeschlagen hat. Lassen Sie uns über diese Dinge reden und streiten! Aber hören Sie auf, den Jugendlichen, die mit der Streichung von JUMP besondere Schwierigkeiten haben, auf den Pelz zu rücken!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jörg Tauss (SPD): Der Rogowski wird auch immer sozialistischer!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Wir von der „PDS im Bundestag“ meinen: Der Bundeskanzler muss jetzt sein Wort halten. Er hat in seiner Regierungserklärung „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“ am 14. März eine gesetzlich verordnete Ausbildungsplatzabgabe angekündigt,

(Nicolette Kressl (SPD): Er hat eine gesetzliche Regelung angekündigt!)

wenn die Wirtschaft nicht aus eigener Kraft in der Lage ist, ausreichend Ausbildungsplätze zu schaffen. Die Wirtschaft hat den Beweis geliefert: Sie ist dazu nicht in der Lage. In regelmäßigen Abständen beklagen die Arbeitgeberverbände zwar den Mangel an Fachkräften; sie sind aber offensichtlich nicht bereit, etwas zur Beseitigung dieses Mangels zu tun.

   Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat am 17. April eine Umfrage zu den Lehrstellenangeboten der DAX-Unternehmen veröffentlicht. Das Ergebnis ist mehr als niederschmetternd: Die Schlusspositionen nehmen Lufthansa, Deutsche Börse und SAP ein. Besonders bedauerlich ist, dass die Deutsche Post, deren Hauptaktionär der Bund ist, die Zahl der Lehrstellen in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 350 reduziert hat. Da frage ich mich natürlich: Wie wird der Bund als Aktionär gegenüber der Deutschen Post und anderen Unternehmen, an denen er beteiligt ist, seiner Pflicht gerecht? Schaut man sich das Verhältnis zwischen Gesamtbelegschaft und der Zahl der Auszubildenden an, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Deutsche Post weit abgeschlagen hinter vielen privaten Unternehmen liegt. Wo ist da die Vorbildwirkung des Bundes, Frau Bulmahn?

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Bemerkenswert ist auch, dass ein DAX-Unternehmen wie Adidas-Salomon - da ist der Bund nicht Aktionär - im Jahre 2003 insgesamt 15 Lehrstellen - ich wiederhole: 15 Lehrstellen - bereitstellt. Das ist deshalb bemerkenswert, weil gerade dieses Unternehmen seine Produkte an junge Menschen verkauft und mit dem Image eines besonders jugendlichen Lebensgefühls um jugendliche Kunden wirbt, aber offensichtlich kaum bereit ist, etwas für junge Menschen zu tun. Das zeigt sich, wenn man sich die Zahl der Ausbildungsplätze anschaut.

   Die CDU/CSU lehnt in ihrem Antrag eine Ausbildungsplatzabgabe ab. Dieser Antrag ist überschrieben: „Ausbildungsplatzabgabe zerstört Ausbildungsmotivation“. Wessen Motivation meinen Sie eigentlich: die der Jugendlichen oder die der Unternehmer?

(Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Gute Frage!)

Ich denke, Sie machen sich Sorgen um die Motivation der Unternehmer. Sie machen sich in Ihrem Antrag nämlich keine Sorgen um die Motivation der Jugendlichen, die dringend einen Ausbildungsplatz brauchen und immer wieder vertröstet werden. Ich möchte auf das Beispiel Adidas-Salomon zurückkommen. Wie viel Motivation brauchte dieses Unternehmen eigentlich, um 15 Jugendliche auszubilden?

   Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist dramatisch. Sie schreiben in Ihrem Antrag:

Im Ausbildungsjahr 2003/2004 fehlen derzeit 148 000 Lehrstellen. Davon allein 105 000 in den neuen Ländern.

So weit, so schlecht. Was ist nun Ihr Rezept? Warten auf die Konjunktur und Abbau von Bürokratie. Die Jugendlichen können aber nicht warten. Sie haben auch noch nie erlebt, dass in dieser Republik Bürokratie abgebaut wird, weder unter Kohl noch unter Schröder.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Bei der PDS ist es am schlimmsten! - Jörg Tauss (SPD): Das ist nicht wahr!)

Sie sagen den Jugendlichen nicht, wie Sie neue Ausbildungsplätze schaffen wollen. Deshalb ist Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU, untauglich und wird von uns entschieden abgelehnt.

(Katherina Reiche (CDU/CSU): Das schockiert uns zutiefst!)

Der Bundeskanzler hat die Ausbildungsplatzabgabe mittlerweile in Aussicht gestellt, wenn die Unternehmen nicht bereit sind, ausreichend Ausbildungsplätze zu schaffen. Für diese Ankündigung - ich hoffe, sie wird umgesetzt - möchte ich ihn ausdrücklich loben; denn diese Drohung hat schon - zumindest partiell - Wirkung gezeigt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat in einem Flugblatt erklärt: Nicht ausbilden könnte teuer werden. Plötzlich finden Arbeitgeber Argumente, warum Ausbildung gar kein Verlustgeschäft ist; im Gegenteil: Es rechnet sich. Das Klagen über zu hohe Ausbildungsvergütungen ist unehrlich. Das Argument steht in dem genannten Flugblatt. Man kommt zu dem Schluss, dass viele Auszubildende ihren Unternehmen mehr einbringen als sie kosten.

   Die Arbeitgeberverbände haben den Wert von Azubis richtig erkannt. Das Problem ist nur, dass die Unternehmen offensichtlich nicht bereit sind, sich durch eine Selbstverpflichtung für die Schaffung der fehlenden Ausbildungsplätze zu sorgen. Ich darf daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1980 darauf verwiesen hat, dass die Verantwortung der Arbeitgeber besteht, für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu sorgen und eine gesetzliche Regelung anmahnte. Diese Mahnung ist inzwischen 23 Jahre alt, Frau Ministerin.

   Aus den genannten Gründen fordert die PDS die schnelle Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe für die Unternehmen, die nicht ausbilden. Das sollte keine Drohung sein, die sich im Nirwana verliert, sondern muss jetzt, wo es Not tut, angewandt werden: Nur Mut, meine Damen und Herren von der Koalition!

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Anton Schaaf von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Anton Schaaf (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Pieper, die größten Deregulierer dieses Landes sind hier heute eingeknickt, als es um ihre ureigene Klientel ging.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Diejenigen, die in diesem Land - an vielen Stellen zu Recht - am lautesten nach Subventionsabbau schreien, haben heute neue Subventionen gefordert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Cornelia Pieper (FDP): Weil Sie uns in die Lage gebracht haben!)

   Der Berufsbildungsbericht macht die ökonomische, aber auch die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der beruflichen Bildung eindrücklich klar. Unser wertvollstes Kapital sind die jungen Menschen. Wir sind ihnen verpflichtet. Kommen wir unseren Verpflichtungen nicht nach, verspielen wir ihre Zukunft und gefährden die ökonomische Zukunft unseres Landes.

   Noch immer bildet die betriebliche Ausbildung für die Mehrzahl der jungen Menschen den Einstieg in das Berufsleben. Die Grundlage unserer Industriegesellschaft ist die Erwerbsarbeit.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Schaaf, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Anton Schaaf (SPD):

Ich möchte gerne im Zusammenhang reden. Danke. Ich glaube nicht, dass wir im Laufe der Debatte noch substanzielle Beiträge - ich habe heute zumindest keine gehört - erwarten dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Cornelia Pieper (FDP): Ihr Beitrag ist noch viel substanzloser! - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist Show!)

   Erwerbsarbeit bedeutet nicht nur Gelderwerb, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe, Anerkennung und materielle Sicherheit. Umfragen zeigen, dass Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren insbesondere vor Arbeitslosigkeit Angst haben. Wir wollen verhindern, dass das Leben junger Menschen von Unsicherheiten geprägt wird. Wie sollen sie aber Vertrauen aufbauen, wenn Jahr um Jahr ein Lehrstellendebakel droht?

   Die Unternehmer in diesem Land müssen jedes Jahr von ihren eigenen Verbänden und den jeweiligen Regierungen - ich sage ausdrücklich: den jeweiligen Regierungen - mit Kampagnen und aufwendiger Öffentlichkeitsarbeit dazu aufgerufen werden, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Das muss jungen Menschen den Eindruck vermitteln, nicht gebraucht zu werden, ja überflüssig zu sein. Das trägt nicht unbedingt zum Zusammenhalt einer Gesellschaft bei.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   In Schule, betrieblicher Ausbildung und Studium sollen junge Menschen auf das Berufsleben vorbereitet werden. Darauf haben sie einen Anspruch. Nur ein Drittel der Unternehmen in Deutschland bildet aus, aber 100 Prozent der Unternehmen sind auf gut ausgebildete Mitarbeiter angewiesen. Im April dieses Jahres klafft zwischen Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen eine Lücke von 160 000. Es ist keineswegs so, als stünden ausreichend ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung. In den nächsten Jahren droht ein erheblicher Mangel an Fachkräften, wenn heute nicht genügend junge Menschen ausgebildet werden. Auf der einen Seite haben wir dann schlecht Qualifizierte ohne Arbeit und auf der anderen Seite einen steigenden Bedarf an Fachkräften, den wir nicht decken können.

   Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, die deutsche Wirtschaft nachdrücklich an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Falls die Wirtschaft keine Lösung anbietet - unseren Antrag haben Sie in diesem Punkt offensichtlich nicht richtig gelesen -, ist die Bundesregierung gefordert, Maßnahmen zu treffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Das heißt, sie muss eine gesetzliche Regelung verabschieden. Die Ziele der Regelung sind eine gerechte Verteilung der Kosten für die Berufsausbildung und die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze. Wenn bis zum Ende des laufenden Vermittlungsjahres zu wenig Lehrstellen zur Verfügung stehen, muss die Bundesregierung aktiv werden. Die Sicherung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots ist zusammen mit der Modernisierung der beruflichen die Bildung im dualen System Voraussetzung für die Erhaltung der Berufs- und Lebenschancen eines überwiegenden Teils der jungen Generation.

Über Jahrzehnte entstandene Fehlentwicklungen müssen jetzt korrigiert werden. Der Staat trägt mittlerweile einen sehr großen Anteil an den Ausbildungskosten, nämlich 11 Milliarden Euro. Die Verantwortung wurde Stück für Stück auf den Staat abgewälzt.

(Jörg Tauss (SPD): So ist es!)

   Ob es sich um einen Mangel an Ausbildungsplätzen oder einen Mangel an ausgebildeten Fachkräften handelt, die Öffentlichkeit nimmt die Politik, zumeist die Regierenden, als Verantwortliche wahr. Das war übrigens schon zu Ihren Zeiten so. Auch die Unternehmer sind schnell dabei, der Politik den schwarzen Peter zuzuschieben. Unsere Kinder und Jugendlichen werden demnach unzureichend auf die Berufstätigkeit vorbereitet. In Teilen stimmt das, aber wir handeln. Für die Qualität der betrieblichen Ausbildung ist die Wirtschaft zum größten Teil selbst verantwortlich. Die Unternehmen müssen ihre eigene Verantwortung erkennen, ihre Strukturen und Erwartungen überprüfen und vor allen Dingen endlich handeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nur wenn sie dazu nicht bereit sind, muss die Politik, auch im Interesse der Wirtschaft, eingreifen. Ohne ausreichende Ausbildung werden wir in den folgenden Jahren auf der einen Seite einen massiven Fachkräftemangel und auf der anderen Seite einen noch größeren Anstieg der Arbeitslosenquote erleben.

   Die Wirtschaft höhlt ihre eigenen Grundlagen aus, wenn sie nicht ausbildet. Ausbildung ist die Basis unserer Ökonomie und auch unseres Sozialstaats. Ohne sie werden wir in Deutschland kein nennenswertes Wirtschaftswachstum erreichen; Deutschland wird international nicht mehr mithalten können.

   Meine Damen und Herren, überrascht hat mich die Lektüre eines gemeinsamen Positionspapiers von Herrn Kollegen Schummer und Dietmar Schäfers von der IG BAU. Herr Schummer, unsere Positionen scheinen gar nicht so weit auseinander zu sein. Zumindest habe ich das beim Lesen so verstanden; denn in dem Papier steht:

Betriebe, die nicht ausbilden, wollen wir anreizen, ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung für die berufliche Bildung nachzukommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Oh, Herr Schummer!)

Da stimme ich absolut mit Ihnen überein, Herr Schummer. Jetzt geht es darum, diese gesellschaftliche Verpflichtung von den Unternehmern in diesem Land auch einzufordern. Dabei können Sie gerne behilflich sein.

(Abg. Uwe Schummer (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Sie brauchen sich nicht zu melden, ich rede im Zusammenhang weiter.

   Weiter heißt es in dem Papier - auch das zitiere ich sehr gern -:

Gäbe es die tarifliche vereinbarte Umlagefinanzierung in der Bauwirtschaft nicht, sähen die Ausbildungsplatzzahlen in der krisengeschüttelten Baubranche noch schlechter aus.
(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Hört! Hört!)

Da gebe ich Ihnen Recht: Ausbildung muss tatsächlich konjunkturunabhängiger gestaltet werden. Dafür treten wir gerade ein. Helfen Sie mit dabei!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Sie haben weiter gesagt:

Die Schaffung von betrieblichen Ausbildungsplätzen hat oberste Priorität.

Dazu haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon Deutliches gesagt.

   Auch Bundesregierung, Unternehmerverbände und Gewerkschaften haben in ihrer gemeinsamen Kampagne für tarifliche Vereinbarungen nach diesem Vorbild geworben.

   Handeln wir jetzt nicht, nehmen wir in Kauf, dass einem zunehmenden Teil unserer Jugendlichen die materielle wie auch die soziale Lebensperspektive fehlt. Die Folgekosten für die Gesellschaft würden dramatische Ausmaße annehmen. Deshalb müssen wir jetzt vernünftige Instrumente zur Förderung der betrieblichen Ausbildung entwickeln. Eine Alternative dazu gibt es nicht. Sonst überlassen wir den Umgang mit ausgegrenzten Jugendlichen, die dann zu ausgegrenzten Erwachsenen werden, den sozialen Sicherungssystemen. Das wäre verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   70 Prozent der Unternehmen bilden nicht mehr aus. Das ist nicht nur konjunkturell oder steuerpolitisch bedingt, wie Sie behaupten, sondern mittlerweile strukturell begründet. Es ist eben bequemer und auch günstiger, nicht auszubilden.

   In der betrieblichen Ausbildung erleben wir seit Jahren, eigentlich schon seit Jahrzehnten, zumindest seit einem Jahrzehnt, eine Wackelpartie. Im ureigensten Interesse der Wirtschaft und vor allen Dingen im gesamtgesellschaftlichen Interesse, jungen Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, muss mit dieser Wackelpartie Schluss sein. Die jungen Menschen in diesem Land brauchen eine Politik, die sich für ihre Zukunft verantwortlich zeigt. Diese Politik machen wir. Politik allein wird unsere Zukunft aber nicht sichern können. Wir brauchen die Bereitschaft aller Akteure dieser Gesellschaft, Verantwortung zu übernehmen. Dazu rufen wir gerade die Unternehmerinnen und Unternehmer dieses Landes auf. Wir leisten unseren Beitrag.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich will mit Ihnen einmal ein bisschen das Lang- und das Kurzzeitgedächtnis überprüfen. Wissen Sie, wie die Zahl der Jugendarbeitslosen gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen ist? - Um 33 000 allein im Monat Mai. Richten wir das Kurzzeitgedächtnis aber auch auf etwas noch näher Liegendes. Sie haben Ende April auf dem berühmten Ausbildungsgipfel Folgendes zusammen mit Bundesminister Clement gesagt:

Die gemeinsamen Anstrengungen, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu mobilisieren, haben absolute Priorität.

- Einverstanden! -

Jegliche Diskussion über eine Ausbildungsabgabe lehnen wir ab, da dies den gemeinsamen Anstrengungen schadet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was wollen Sie eigentlich?

   Gleichzeitig, Frau Ministerin, sitzen Sie, wie wir gehört haben, der SPD-Arbeitsgruppe vor, die an den Plänen eines zweistufigen Modells zur Ausbildungsplatzabgabe arbeitet. Ich kann das nur als Täuscherei bezeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Schizophrenie!)

- Das genau ist Ihre Politik: Zuerst erzählen Sie den Unternehmen, dass Sie einen Vorschlag ablehnen und da nicht mitmachen werden, weil er der wirtschaftlichen Entwicklung schadet. Aber nur einige Tage später - ich sage nur: Kurzzeitgedächtnis - wird dann großartig verkündet, dass doch eine Ausbildungsplatzabgabe kommt. Genau das ist Ihre Politik.

(Widerspruch des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD))

- Hören Sie besser zu! Dann lernen Sie etwas.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Von Ihnen wirklich nicht!)

Sie sorgen nicht für die Verlässlichkeit, die wichtig ist, damit es in diesem Land weiter aufwärts gehen wird.

(Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Sie haben doch die Möglichkeiten gehabt! Es reicht!)

   Ähnliches haben wir schon mit den Vorschlägen von Herrn Hartz erlebt. Vor fast genau einem Jahr - ich appelliere wieder an Ihr Gedächtnis - wurden uns 2 Millionen neue Arbeitsplätze versprochen. Was ist denn daraus geworden? - Es war nur ein Papiertiger: außer Kosten und Spesen nichts gewesen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Doch! Arbeitslose!)

   Dieses Jahr gibt es im Monat Mai die höchste Arbeitslosigkeit, nicht seit der Wiedervereinigung, sondern seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das haben Sie - und niemand anderes - mit Ihrer Politik zu verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Je ernster die Probleme in unserem Land werden, desto unausgereifter sind Ihre Konzepte. Es fehlen eine klare, verlässliche Politik und jedes wirtschaftliche Gesamtkonzept. Der Stillstand auf dem Arbeitsmarkt und damit die Probleme, die wir auf dem Ausbildungssektor haben, resultieren doch aus Ihrer katastrophalen Wirtschaftspolitik, die dazu führt, dass kein Unternehmer mehr den Mut hat, Arbeitsplätze zu schaffen. Wann schafft denn ein Unternehmer Arbeitsplätze? - Doch immer nur dann, wenn er Geld verdient. Aber zurzeit verdient die deutsche Wirtschaft kein Geld mehr. Das sehen Sie auch am Aufkommen der Körperschaftsteuer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Weil alles wegbesteuert wird! - Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Er hat doch gesagt, wir zahlen keine Steuern! Wie kann dann alles wegbesteuert werden? Alles unlogisch!)

   Wir haben in diesem Jahr die größte Pleitewelle, die dieses Land jemals erlebt hat. 42 000 Unternehmen werden Pleite gehen. 400 000 Arbeitsplätze und 20 000 Ausbildungsplätze, Frau Bulmahn, werden uns dadurch verloren gehen.

   Ich habe eine ganz konkrete Bitte an das Bundeskabinett. Sie können mir helfen, dass in meinem Wahlkreis Arbeits- und auch Ausbildungsplätze erhalten bleiben. Ungefähr 20 Kilometer rheinabwärts von Koblenz gibt es das wunderschöne Städtchen Weißenthurm. Dort befindet sich die Firma Schmalbach-Lubeca, die vom Konzern Ball übernommen wurde. Dieses Unternehmen ist ein Dosenhersteller mit 500 Beschäftigten. Geplant war, dieses Jahr 20 Auszubildende einzustellen. Aber dieser Plan wurde aufgegeben. Seit Januar gibt es Kurzarbeit. Der Betrieb wird demnächst geschlossen. So vernichten Sie Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Sagen Sie Herrn Trittin, er soll diese dämliche Verordnung aussetzen, damit die Arbeitsplätze in dieser Branche erhalten bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Willi Brase (SPD): Hören Sie bloß auf mit dem Dosenpfand! Peinlich ist das!)

   Wir können es uns in dieser wirtschaftlichen Situation nicht leisten, das Dosenpfand durchzusetzen, weil dadurch Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze vernichtet werden. Ich bin der Meinung, dass es so nicht weitergehen kann.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie hier als Lobbyist oder als Abgeordneter auftreten!)

Sie sind seit fünf Jahren an der Regierung und wissen ziemlich genau, dass dieses Dosenpfand kompletter Blödsinn ist.

(Jörg Tauss (SPD): Sie reden als Lobbyist!)

- Herr Tauss, Ihr Zuruf wird auch durch noch so viel Lautstärke nicht intelligenter.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wo sind denn die Analytiker in dieser Regierungsmannschaft? Man verspürt nur noch Hektik. Es vergeht kein einziger Tag, an dem in diesem Land nicht neue panikartige Töne zu hören sind. In diesem rot-grünen Panikorchester fiedelt jeder auf seiner eigenen Geige. Der Kanzler nennt das völlig zu Recht eigene Kakophonie.

   Angesichts dieses kakophonen Orchesters - schauen Sie sich nur die Steuererhöhungsdikussionen der letzten Tage an; Frau Nahles: Vermögenssteuer, Frau Simonis: Mehrwertsteuer, Herr Schreiner: Erbschaftsteuer, Herr Eichel: Eigenheimzulage und möglicherweise Erhöhung der KFZ-Steuer, Frau Schmidt: Tabaksteuer, etc. -

(Widerspruch bei der SPD)

ist es klar, dass kein Mensch in dieser Republik mehr Vertrauen in Ihre Politik hat und dass kein Mensch den Mut hat zu investieren.

Wenn man nicht mehr weiß, welche Steuern in welcher Höhe am nächsten Tag auf einen zukommen, dann kann man meiner Meinung nach nicht mehr investieren. Genau diese Situation haben Sie durch die ständige Verunsicherung der deutschen Wirtschaft erreicht. Das muss geändert werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Fuchs, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

(Volker Kauder (CDU/CSU): Muss das sein?)

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Das kann ja nur lustig werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Tauss, bitte schön.

Jörg Tauss (SPD):

Ganz ernsthaft: Können Sie mir nochmals vortragen, welche Position die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft im Moment einnimmt und wie die Äußerungen von Herrn Koch in diesen Tagen lauteten? Könnten Sie uns kurz etwas zu dem von ihm geforderten Subventionsabbau und zu den Vorschlägen des Herrn Stoiber sagen?

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Zu Herrn Koch kann ich Ihnen nur Folgendes sagen: Er hat zusammen mit Herrn Steinbrück gefordert, die Subventionen abzubauen, und zwar rasenmäherartig.

(Jörg Tauss (SPD): Kakophonie!)

Wir dürfen aber mit den Mitteln, die durch den Abbau von Subventionen zur Verfügung stehen, nicht generell die Taschen des Staates auffüllen. Auch das hat Herr Koch gesagt; nur, das hören Sie nicht gerne. Wir müssen diese Mittel vielmehr für die Senkung der Steuern, die die Bürger zahlen müssen, verwenden. Dann macht das Ganze Sinn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg Tauss (SPD): Freibier für alle! Und was ist mit der CDA?)

   Die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe wird in diesem Lande kein Problem lösen. Im Gegenteil: Sie wird mehr Bürokratie schaffen und dafür sorgen, dass sich noch mehr Betriebe verabschieden müssen; denn sie wirkt kostenerhöhend. Gerade der Bundeskanzler hat Ihnen mit der Agenda 2010 ins Stammbuch geschrieben, dass die Lohnnebenkosten dringend gesenkt werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was machen Sie denn jetzt anderes, als sie wieder zu erhöhen? Bei der Absenkung der Lohnnebenkosten müssen Sie ansetzen. Zusätzliche Belastungen der deutschen Wirtschaft sollten Sie aber bitte unterlassen.

(Jörg Tauss (SPD): Agenda 2010! Stimmen Sie zu!)

   Lassen Sie mich ein Letztes aus dem eigenen Erleben in meinem Wahlkreis sagen - Herr Tauss, hier können wir sofort gemeinsam etwas tun; ich bin gespannt, wie weit Sie bereit sind zu springen -: Es gibt in meinem Wahlkreis ein Unternehmen mit 190 Arbeitsplätzen. Die hatten bis jetzt circa 15 Azubis. Dieses Jahr bilden sie nur neun aus. Wissen Sie, warum? Weil sie ab 200 Beschäftigten einen Betriebsrat freistellen müssten.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

   Machen wir uns doch nichts vor: Das sind die Hemmnisse, die Sie geschaffen haben!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schaffen wir das gemeinsam ab, und das so schnell wie möglich! Denn es muss nun wirklich nicht sein, dass deswegen die Einstellung von Auszubildenden verhindert wird. Sie sehen, es gibt viel zu tun. Aber ich befürchte, Sie werden wie immer nichts tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): So weit der Verbandslobbyist!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Willi Brase von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Willi Brase (SPD):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen die Aktivitäten im Rahmen der Ausbildungsoffensive des Jahres 2003 ausdrücklich.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Die aktuellen Zahlen belegen die Notwendigkeit dafür überdeutlich. Es ist richtig, dass wir gemeinsam durch kurzfristig greifende Maßnahmen, die jetzt angebracht sind, versuchen, einiges auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Auf einen Punkt will ich hinweisen, der von meinem Vorredner in einer Art und Weise aufgegriffen wurde, dass ich das so nicht stehen lassen kann: Wir halten das Engagement der Betriebs- und Personalräte, die in den Unternehmen hier und heute auch unter Verzicht der Belegschaften zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen, für ungeheuer wichtig. Es war gut, dass wir das Betriebsverfassungsgesetz reformiert haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Vertreter und deren Gewerkschaften, die das teilweise bis hin zu tarifvertraglichen Vereinbarungen machen, haben es nicht verdient, als Blockierer beschimpft zu werden. Sie brauchen vielmehr unsere Ermutigung und Unterstützung. Das sollte sich die Opposition endlich einmal merken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Kollege Lensing, der Berufsbildungsbericht 2003 gibt wie viele Berufsbildungsberichte zuvor einen umfassenden und ausreichenden Überblick über die Struktur, die Lage und die Entwicklungsperspektiven der beruflichen Bildung. Ich bin mir ganz sicher: Wir werden darüber sowohl in den Ausschüssen als auch hier im Plenum diskutieren. Deshalb finde ich die Bemerkung, er gebe nichts her, wirklich deplatziert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Es macht aber Sinn, meine Kolleginnen und Kollegen, sich einmal die finanzielle Seite der beruflichen Bildung anzuschauen: Was kostet die Ausbildungskrise den Staat und was wenden die ausbildenden Unternehmen auf? Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat in zwei Studien, die sich auf das Jahr 2000 bezogen - damals hatten wir übrigens ein Wachstum von 3 Prozent; in jenem Jahr war eine gute Konjunktur zu verzeichnen -, Folgendes aufgelistet:

   Bund und Länder gaben 7,8 Milliarden Euro für die Finanzierung der beruflichen Bildung aus.

(Jörg Tauss (SPD): Steuerfinanziert!)

Es wurden 1 433 Millionen Euro zur Schaffung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze ausgegeben. 6,2 Milliarden Euro wurden für die berufsbildenden Schulen ausgegeben, also für den schulischen Teil der dualen Ausbildung sowie für die Vollzeitberufsschulen. 154 Millionen Euro machte das Schüler-BAföG aus. Ich weise nur darauf hin, dass im Schuljahr 2000/01 über 203 000 Schülerinnen und Schüler die Berufsfachschulen besuchten, um einen Berufsabschluss zu erhalten, davon mehr als 36 000 nach BBiG und Handwerksordnung und über 167 000 nach Landesrecht. Vergegenwärtigt man sich diese Zahlen, muss man durchaus Angst haben, dass das duale System immer weiter verstaatlicht wird, allein was die finanzielle Seite angeht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Damit sind wir aber noch nicht am Ende. Im selben Jahr finanzierte die Bundesanstalt für Arbeit mit 3,3 Milliarden Euro die berufliche Ausbildung. Insgesamt wurden also circa 11 Milliarden Euro vom Bund, von den Ländern und der BA für die Durchführung der beruflichen Ausbildung ausgegeben. Die zweite Studie bringt zum Ausdruck, dass die Unternehmen für alle Azubis Nettokosten von 14,6 Milliarden Euro hatten. Stellt man diese beiden Zahlen gegeneinander, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass nicht immer mehr Ausbildungskosten von den Unternehmen und Betrieben auf die öffentliche Hand und die Bundesanstalt abgewälzt werden dürfen. Das können wir nicht weiter hinnehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb hält es die SPD-Fraktion für richtig und notwendig, die Finanzierungsfrage in der beruflichen Bildung zu diskutieren und Perspektiven zu entwickeln. Auch die schon mehrfach angesprochene IAB-Untersuchung, die zu dem Ergebnis kam, dass von 1,2 Millionen ausbildungsfähigen Betrieben nur noch 640 000 ausbilden, führt uns zu der Überlegung, wie wir künftig die Schaffung ausreichender und qualitativ hochwertiger Ausbildungsplätze konjunkturunabhängiger machen können. Es muss das Ziel sein, dass eine ausreichende Zahl betrieblicher Ausbildungsplätze konjunkturunabhängig angeboten wird; nur dann können wir allen Jugendlichen eine dauerhafte Perspektive bieten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es wird Sie nicht verwundern, dass wir natürlich auch tarifvertragliche Lösungen unterstützen.

(Jörg Tauss (SPD): Ja, Tarifverträge! Die anderen wollen sie abschaffen!)

Sie haben sich bewährt. Wir verkennen nicht die schwierige konjunkturelle Lage in der Bauindustrie, wissen aber, dass dies auch etwas mit einem überhöhten Bauboom im Zuge der Wiedervereinigung zu tun hat. Auch das muss reguliert werden. Im Grundsatz hat sich aber die Berufsbildungsabgabe auf tarifvertraglicher Grundlage in der Bauindustrie bewährt. Wir fordern die Tarifvertragsparteien auf, darüber nachzudenken, ob sie sie nicht auch in anderen Branchen einführen. Ich hielte dies für richtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bringe den Begriff „Bonus-Malus-System“ bewusst in die Diskussion hinein. Was spricht eigentlich dagegen, die Unternehmen zu belohnen, die nach wie vor Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, aber diejenigen, die es könnten und nicht tun, ein bisschen an den Kosten zu beteiligen? Ich halte diesen Gedanken nicht für verkehrt. Wir möchten eine unbürokratische Regelung, die sehr schnell umzusetzen ist. Daran werden wir arbeiten; denn unser Ziel muss es sein, eine ausreichende Zahl von qualitativ hochwertigen Ausbildungsplätzen anzubieten.

   Ganz kurz zum FDP-Antrag: Wer meint, das JUMP-Programm habe nichts gebracht, und damit die Schaffung von 60 000 neuen betrieblichen Ausbildungsplätzen ignoriert, hat eine falsche Sichtweise. Das akzeptieren wir nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Redezeit geht zu Ende.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Gott sei Dank!)

Daher beschränke ich mich darauf, noch auf einen Punkt hinzuweisen. Es ist völlig klar, dass wir eine Reform der beruflichen Bildung umsetzen müssen. Mit mehr Qualität in der beruflichen Bildung und mit einer besseren Wertigkeit der abgeschlossenen Ausbildungen von Facharbeiterinnen und Facharbeitern sowie Gesellinnen und Gesellen und durch verbesserte Prüfungsstrukturen leisten wir in Fortsetzung unserer Neuordnung einen absolut richtigen Beitrag, um mittel- und langfristig die berufliche Bildung auf den Pfad zu bringen, auf den sie gehört.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Neuordnungsverfahren in der Elektroindustrie zwischen IG Metall und dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, in nur zehn Monaten sieben neue Elektroberufe entwickelt zu haben, sollte uns zu genau dieser Qualität ermutigen. Wir werden diesen Weg weiter gehen.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/925, 15/1000, 15/1090 und 15/1130 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 15/925 soll zusätzlich an den Ausschuss für Tourismus überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 h sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch und des Sozialgerichtsgesetzes

- Drucksache 15/1070 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung

- Drucksache 15/1071 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlakts

- Drucksache 15/1059 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Juni 2000 über ein Europäisches Fahrzeug- und Führerscheininformationssystem (EUCARIS)

- Drucksache 15/1058 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau

Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS im 15. Bundestag

- Drucksache 15/873 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau

Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

- Drucksache 15/874 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

g) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes

Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2001

- Einzelplan 20 -

- Drucksache 15/1047 --

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

h) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes

Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2002

- Einzelplan 20 -

- Drucksache 15/1048 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Kranz, Wolfgang Spanier, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Ursula Sowa, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Stadtumbau Ost auf dem richtigen Weg

- Drucksache 15/1091 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Weis, Eckhardt Barthel (Berlin), Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Die Qualitätsoffensive für gutes Planen und Bauen voranbringen

- Drucksache 15/1092 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 Job AQTIV, die Zusatzpunkte 5 a und 5 b sowie Tagesordnungspunkt 14 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 27 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 22. April 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits

- Drucksache 15/884 -

(Erste Beratung 46. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

- Drucksache 15/1119 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Bernd Schmidbauer
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer

   Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1119, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 27 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 17. Juni 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits

- Drucksache 15/885 -

(Erste Beratung 46. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

- Drucksache 15/1120 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Bernd Schmidbauer
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer

   Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1120, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 27 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Registrierung von Betrieben zur Haltung von Legehennen (Legehennenbetriebsregistergesetz - LegRegG)

- Drucksache 15/905 -

(Erste Beratung 43. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

- Drucksache 15/1037 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wilhelm Priesmeier
Gitta Connemann
Friedrich Ostendorff
Hans-Michael Goldmann

   Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1037, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 27 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Vertrag vom 3. November 2001 über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft

- Drucksache 15/882 -

(Erste Beratung 43. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

- Drucksache 15/1036 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Matthias Weisheit
Helmut Heiderich
Ulrike Höfken
Dr. Christel Happach-Kasan

   Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt auf Drucksache 15/1036, den Gesetzentwurf anzunehmen.

   In diesem Zusammenhang weise ich auf eine offensichtliche Unrichtigkeit in der französischen Fassung des Vertragstextes hin: In Art. 12 Abs. 2 muss anstatt auf Art. 12 Abs. 4 richtigerweise auf Art. 11 Abs. 4 verwiesen werden.

   Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der soeben vorgetragenen, korrigierten Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 48. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 6. Juni 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15048
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