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15. Wahlperiode
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   49. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 06. Juni 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die Beratung des Koalitionsantrages „Für einen stärkeren UN-Einsatz im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo“ - Drucksache 15/1144 - erweitert werden. Der Zusatzpunkt soll nach Tagesordnungspunkt 22 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland - Körperschaft des öffentlichen Rechts -

- Drucksache 15/879 -

(Erste Beratung 43. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)

- Drucksache 15/1109 -

Berichterstattung: Abgeordnete Sebastian Edathy
Martin Hohmann
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 15/1124 -

Berichterstattung: Abg. Susanne Jaffke
Abgeordnete Klaus Hagemann
Antje Hermenau
Abg. Otto Fricke

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. Januar dieses Jahres wurde in Berlin durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und den Präsidenten des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland unterzeichnet. Mit diesem Vertrag erhalten die in Jahrzehnten gewachsenen guten Beziehungen und die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Zentralrat der Juden erstmals eine vertragliche Grundlage. Das kann man als einen historischen Vorgang bezeichnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Der Vertrag bedarf der Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes. Dem dient der vorliegende Gesetzentwurf. Mit diesem Gesetz sollen die vertraglichen Leistungen zügig umgesetzt und Voraussetzungen für die Gewährung der festgeschriebenen Staatsleistungen geschaffen werden.

   Im Jahre 1950, zur Zeit der Gründung des Zentralrates der Juden in Deutschland, lebten nur 25 000 Juden in Deutschland. Bis 1989 betrug ihre Zahl nicht mehr als 30 000. Heute haben die 83 jüdischen Gemeinden wieder rund 100 000 Mitglieder. Dieser Zuwachs ist - das darf man feststellen - insbesondere durch Zuwanderung entstanden. Damit hat Deutschland nach Frankreich und Großbritannien mittlerweile die drittgrößte jüdische Gemeinschaft in Europa und die weltweit am schnellsten wachsende.

   Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Aufgaben des Zentralrates stark zugenommen haben. Deshalb ist mit dem Vertrag eine wesentliche Erhöhung der bisherigen Fördermittel verbunden, trotz schwieriger Haushaltslage. Wir sind froh, dass wir das auch darstellen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Zentralrat wird zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft, für seine integrationspolitischen und sozialen Aufgaben sowie für die gestiegenen Kosten seines Büros jährlich eine Staatsleistung in Höhe von 3 Millionen Euro erhalten.

Die Bundesregierung erklärt in dem Vertrag auch ihre Absicht, weiterhin die Hochschule für Jüdische Studien und das Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland zu unterstützen. Beide Einrichtungen werden vom Zentralrat der Juden in Deutschland getragen. Andere Leistungen an die jüdische Gemeinschaft bleiben von diesem Vertrag unberührt, so zum Beispiel die staatliche Unterstützung aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern aus dem Jahre 1957 über die Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe.

   Zudem würdigen wir mit diesem Staatsvertrag die Arbeit des Zentralrates für den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland. Bundeskanzler Schröder sagte anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages, aus Sicht der Bundesregierung sei dieser Vertrag auch ein Zeichen der hohen Anerkennung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft. Unbeirrt und mutig setze sich diese für einen Wiederaufbau ihrer Gemeinden ein - und das „gerade in Deutschland, wo der Völkermord an den europäischen Juden mit solcher verbrecherischer Systematik geplant und ausgeführt worden ist“.

   Meine Damen und Herren, dieser Vertrag ist auch ein Zeichen für den Eintritt in die Normalität und dafür, dass wir in der Verantwortung gegenüber unserer Geschichte zu einem konstruktiven und solidarischen Miteinander kommen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zu Recht hat der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, einen intensiven christlich-jüdischen Dialog gefordert. Ein solcher Dialog sei nötig, um das Verhältnis zueinander zu entkrampfen. Herr Spiegel sagte wörtlich: „Wir müssen normaler, lockerer miteinander umgehen.“ Er fügte hinzu: „Wir reden noch viel zu sehr übereinander.“ In Deutschland herrsche nach wie vor großes Nichtwissen über das Judentum und den Holocaust. Zu einem großen Teil liege dies darin begründet, dass bisher keine richtige didaktische Form und kein richtiges Maß gefunden worden seien, um darüber zu informieren. Dies sollten wir aufnehmen und beachten und uns gemeinsam darum bemühen, dass dieser christlich-jüdische Dialog in Gang gesetzt und verbessert werden kann.

   Angesichts eines neuen beunruhigenden Antisemitismus hat der Deutsche Bundestag eine Entschließung mit der Überschrift „Antisemitismus ächten - Zusammenarbeit in Deutschland stärken“ gefasst. Hier heißt es:

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl neuer jüdischer Gemeinden in Deutschland entstanden sind. Dies ist Ausdruck des Vertrauens in unsere Demokratie und in die jungen Generationen.

   Weiterhin steht in der Entschließung:

Der Deutsche Bundestag unterstützt alle Bemühungen, die dazu beitragen, dass jene Frauen und Männer jüdischen Glaubens, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind und hier ihre Heimat gefunden haben, sich in ihrer Entscheidung bestätigt fühlen können. Hierzu gehört, die jüdischen Gemeinden in Deutschland bei der Aufgabe, jüdische Zuwanderer zu integrieren, nicht alleine zu lassen, sondern ihnen hierbei zur Seite zu stehen.

Das wird mit diesem Vertrag geleistet.

(Beifall im ganzen Hause)

   Mit diesem Vertrag soll auch ein substanzieller Beitrag dafür geleistet werden, dass die jüdische Dachorganisation ihren Aufgaben auch in Zukunft nachkommen und damit die jüdische Gemeinschaft in Deutschland stärken kann. In der Präambel wird der Vertragsschluss auch mit der besonderen historischen Verantwortung begründet. Der Vertrag schreibt eine kontinuierliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat der Juden in Deutschland fest. Der Zentralrat hat sich bereits bisher als verlässlicher Partner der Bundesregierung in vielen gesellschaftspolitischen Fragen erwiesen. Beispielhaft nenne ich nur seine Mitarbeit in der Zuwanderungskommission und bei der Bekämpfung von Rassenhass und Intoleranz. Dafür gebührt ihm Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

   Einen Punkt möchte ich an dieser Stelle: An die Umsetzung des Vertrages knüpfen wir - ich weiß, dass dies auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages so sehen - die klare Erwartung, dass die Zusage und die Zielsetzung, der Zentralrat der Juden in Deutschland sei für alle Richtungen innerhalb des Judentums offen, in der Praxis umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung geht davon aus und wird darauf hinwirken, dass ihre damit verbundene Erwartung, alle jüdischen Richtungen könnten unter Wahrung des religiösen Selbstbestimmungsrechts an der Förderung teilhaben, in Zukunft erfüllt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Ich habe es für richtig befunden, diese Erwartung in diesem Zusammenhang deutlich zum Ausdruck zu bringen. Im Übrigen bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Da Sie mich so bitten! Sie haben mich überzeugt!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der 6. Juni 2003 ist ein guter Tag, nicht nur für die Vertragspartner - die Bundesrepublik Deutschland auf der einen und den Zentralrat der Juden auf der anderen Seite -, nicht nur für die 83 jüdischen Gemeinden in Deutschland und ihre mittlerweile wieder gut 100 000 Mitglieder, sondern für uns alle. Mit diesem Vertrag soll kein Kapitel abgeschlossen und erst recht kein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen, sondern ein neues Kapitel des jüdischen Lebens in Deutschland aufgeschlagen werden.

   Vielleicht ist es kein Zufall, sondern glückliche Fügung, dass gerade in diesen Tagen die Erinnerungen des aus Deutschland geflohenen Philosophen Hans Jonas erschienen sind. Viele kennen sein Buch „Das Prinzip Verantwortung“, das in den 80er-Jahren gerade in Deutschland große Aufmerksamkeit erfahren und Anstöße für das damals wachsende Bewusstsein für den Schutz der Schöpfung und das Bemühen um Nachhaltigkeit gegeben hat. Es ist das Vermächtnis eines der vielen Deutschen, die durch Flucht und Vertreibung zwar den Mördern entkommen konnten, deren Geist und Kraft unserem Land dennoch verloren gegangen sind.

   Ebenfalls in diesen Tagen ist das neue Buch von Amos Elon „Zu einer anderen Zeit - Porträt der deutsch-jüdischen Epoche“ in deutscher Übersetzung erschienen. In der langen, auch innerjüdischen Kontroverse, ob es denn jemals so etwas wie eine deutsch-jüdische Symbiose gegeben habe, wird damit ein neuer Akzent gesetzt und die Erinnerung daran wach gehalten, wie stark gerade Mitbürger jüdischen Glaubens die Entwicklung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, aber auch der Medizin oder der Jurisprudenz in Deutschland ganz entscheidend geprägt haben. Für viele beispielhaft möchte ich Heinrich Heine, Kurt Tucholsky oder Walther Rathenau nennen. Erinnern darf ich aber auch an prominente Vordenker unseres Rechtsstaates wie Eduard von Simson, Hermann Staub oder Hans Kelsen.

   Dieser Vertrag ist keineswegs selbstverständlich. Er ist kein Zeichen von Normalität, auch wenn der Staat sein Verhältnis zu den großen christlichen Kirchen seit langem durch Staatskirchenverträge oder Konkordate auf eine dauerhafte und verbindliche Rechtsgrundlage gestellt hat. Dieser Vertrag ist keine Privilegierung einer Gruppe; denn die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates bedeutet nicht, dass er mit den Religionsgemeinschaften des Landes nicht vertrauensvoll zusammenarbeiten und sie unterstützen soll. Das wäre nicht Neutralität, sondern geradezu Feindlichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Als Kulturstaat schützen und fördern wir die religiösen und kulturellen Engagements unserer Bürger. Die Unterzeichnung des Vertrages durch den Zentralrat der Juden in Deutschland ist ein beeindruckender Beweis des Vertrauens der jüdischen Mitbürger in unsere Demokratie, unsere Grundordnung, die freiheitlich ist und bleibt, und unsere Gesellschaft.

Als die ersten Juden nach dem Schrecken der Nazibarbarei wieder nach Deutschland zurückkehrten, war dies alles andere als selbstverständlich. Es war für sie zunächst ein großes Wagnis. Sie konnten ja nicht ahnen, welche politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen es in der Nachkriegszeit in Deutschland geben würde und ob jemals wieder jüdisches Leben in Deutschland erblühen könnte. Es gab nicht wenige, für die es unvorstellbar war, dass Juden in das Land der Täter zurückkehren, um dort ein neues Leben zu beginnen. Deshalb lebten nicht wenige in den ersten Jahren auf gepackten Koffern. Doch mit der Zeit wuchs das Vertrauen in unseren Staat und damit die Hoffnung, dass es richtig sein würde, sich wieder für ein Leben in Deutschland zu entscheiden. Aus dieser Hoffnung wurde im Laufe der Zeit Gewissheit. Dann wurden diese Koffer ausgepackt und man war wieder in der Heimat.

   Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass dieses Vertrauen der jüdischen Mitbürger in unser Land, in unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung auch dazu beigetragen hat, das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft in die damals noch junge Bundesrepublik zu festigen.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Sehr richtig!)

Dieses Vertrauen war und ist nicht selbstverständlich. Das Vertrauen dürfen wir nicht enttäuschen.

   Der Kollege Edathy hat in der ersten Lesung dieses Vertrages eine Umfrage zitiert, nach der 60 Prozent der Bevölkerung im Antisemitismus ein Problem sehen. Es wäre falsch, wenn wir so tun würden, als gäbe es in Deutschland keinen Antisemitismus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Aber ebenso falsch wäre es, wenn wir bei Debatten über jüdisches Leben in Deutschland zuerst, vor allen Dingen oder gar ausschließlich über Antisemitismus reden würden. Paul Spiegel hat einmal gefragt: Was geht uns Juden der Antisemitismus an? Eine zunächst überraschende, aber zweifelsfrei richtige Frage. Die Frage richtet sich auch an uns. Entscheidend ist, dass wir alle gemeinsam geschlossen und entschlossen jeder Form des Antisemitismus entgegentreten, ganz gleich in welcher Gestalt er uns begegnet, dass wir ihm den Nährboden entziehen und dass wir stets darauf achten, dass es nie mehr so sein darf, dass sich unsere jüdischen Mitbürger fragen müssen, ob es richtig war, nach Deutschland zurückzukehren, und ob es richtig ist, hier zu leben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es muss für uns alle nicht nur selbstverständlich sein, dass sie hier im Sinne von Toleranz und Duldung leben können - darum kann es nicht gehen -, sondern dass sie auch hier leben wollen, weil Deutschland ihre Heimat ist.

   Staatssekretär Körper hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass unsere deutsche jüdische Gemeinde weltweit am schnellsten wächst. Der Grund hierfür ist insbesondere die Zuwanderung in der Zeit nach der Wiedervereinigung. Sie hat zum einen dazu geführt, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder erblüht; aber es gibt auch Probleme bei der Zuwanderung, die wir nicht verschweigen dürfen, sondern lösen müssen. Es gibt neue Aufgaben und Herausforderungen.

   Die Integration dieser Migranten jüdischen Glaubens ist nicht nur für die jüdischen Gemeinden, sondern für unser Land insgesamt, für die gesamte Gesellschaft eine wichtige Aufgabe. Der Vertrag soll deshalb auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die notwendige Integration nicht nur in die jüdischen Gemeinden, sondern auch in unsere Gesellschaft besser gelingt und dass wir dadurch die Kultur der Verständigung weiter ausbauen.

   Unser Dank gilt dem Zentralrat der Juden in Deutschland, an der Spitze seinem Präsidenten Paul Spiegel, aber auch allen anderen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten um Versöhnung, um Verständigung, um eine gute und vor allen Dingen eine gute gemeinsame Zukunft bemühen. Dieser Vertrag kann und wird dazu beitragen, nicht nur die besseren Voraussetzungen für eine gute Integration zu schaffen, das deutsch-jüdische kulturelle Erbe zu pflegen und zu erhalten, sondern auch die Bemühungen um Verständigung zu unterstützen.

   Es wird in den nächsten Jahren aber nicht nur darauf ankommen, dass die nun zur Verfügung stehenden Mittel vertragsgerecht und sinnvoll eingesetzt werden; entscheidend wird es vielmehr sein, den Geist des Vertrages mit Leben zu erfüllen. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Vertragspartner. Das ist eine Aufgabe für alle Menschen, die guten Willens sind. In diesem Sinne stimmt die CDU/CSU-Fraktion diesem Vertrag gerne zu.

(Beifall im ganzen Hause)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Staatsvertrag wurde am 27. Januar unterzeichnet. Das ist der Holocaust-Gedenktag und der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Die erste Lesung dieses Vertrages hatten wir im Deutschen Bundestag am 8. Mai, dem Tag der Befreiung von der Hitler-Diktatur. Diese beiden Daten werfen ein Schlaglicht darauf, dass das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zu ihrer jüdischen Minderheit immer noch sehr von den Schatten der Vergangenheit geprägt wird.

   Heute ist ebenfalls ein wichtiger Tag, nämlich der jüdische religiöse Feiertag Schawuot. Sieben Wochen nach Pessach wird die Offenbarung der zehn Gebote am Berge Sinai gefeiert.

   Dass die Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag mit dem Jahrestag dieses religiösen Festes zusammenfällt, war uns allen nicht bewusst, als wir die Tagesordnung zusammengestellt haben. Auch das wirft ein Schlaglicht auf unsere Situation, weil es zeigt, wie wenig vertraut die Nichtjuden in diesem Land mit der jüdischen Kultur und mit den jüdischen Feiertagen sind.

   Ich hoffe, dass sich diese Situation mit der Bereicherung durch das jüdische Leben, das durch die Zuwanderung bedingt auch präsenter und sichtbarer wird, verbessert und dass wir alle etwas dazulernen und stärker aufeinander eingehen. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Aspekt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP))

   Wir müssen mehr über die Geschichte des Judentums lernen und wissen als das, was sich in den vergangenen Jahrzehnten und im vergangenen Jahrhundert ereignet hat. Wir müssen das Judentum aus sich selbst heraus verstehen. Darin haben wir wohl alle noch Nachholbedarf.

   Der Staatsvertrag zeigt, dass die jüdische Gemeinde ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in unserem Lande geworden ist. Der Zentralrat, gegründet nach dem Krieg als Notgemeinschaft der 15 000 noch in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden, ist heute fester Bestandteil unseres kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Der Staatsvertrag kommt vielleicht etwas spät; aber er dokumentiert diese entscheidende Entwicklung und er dokumentiert auch, dass sich viele jüdische Bürgerinnen und Bürger entschlossen haben, in unser Land zu kommen, hier zu bleiben und die Koffer auszupacken. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, dass viele Jüdinnen und Juden das Gefühl hatten, sie bleiben hier nur auf Probe. Sie saßen auf ihren Koffern und hatten sich noch nicht entschieden. Ich denke, dass sich viele Jüdinnen und Juden trotz aller Probleme, die Juden in unserem Land immer noch haben, entschieden haben, dauerhaft hier zu bleiben und ihre Kultur und Religion zu leben, ist etwas, worüber wir sehr zufrieden sein können.

   Der Staatsvertrag soll ein neues Kapitel in der langen Geschichte jüdischen Lebens in unserem Land aufschlagen. Durch die Zuwanderung aus Osteuropa sind viele jüdische Gemeinden gewachsen und weitere gegründet worden. Diese Zuwanderung, die von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages ausdrücklich gewollt ist, hat erheblich zum Reichtum und zur Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Deutschland beigetragen.

   Dieser Reichtum bedeutet auch ein zunehmendes Sichtbarwerden der Vielfalt des jüdischen Lebens. Diese Vielfalt war auch ein Diskussionspunkt bei der Verabschiedung des Staatsvertrages.

   Ich meine, wir sollten fast dankbar dafür sein, dass wir uns heute darum kümmern müssen, dass Jüdinnen und Juden ihre religiöse Überzeugung in unterschiedlicher Ausprägung leben können und auch in dieser Unterschiedlichkeit vom Staat akzeptiert und anerkannt werden wollen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland bekennt sich dazu, dass er die Vielfalt religiöser Strömungen des Judentums in seinen Reihen repräsentiert.

   Wir hoffen, dass dieser Staatsvertrag dazu führt, dass diese gesamte Vielfalt gelebt werden kann. Das gilt auch für eine Minderheit in unserem Land, die früher die Mehrheit der deutschen Jüdinnen und Juden bildete, und zwar die liberalen jüdischen Gemeinden, die bislang noch nicht im Zentralrat vertreten sind.

   Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen Appell an die Landesinnenminister richten, die für die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts zuständig sind. Eine Religionsgemeinschaft kann normalerweise erst dann eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, wenn sie bereits zehn Jahre existiert und eine gewisse Größe hat.

   Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern daran erinnern: Leo Baeck, der Vorsitzender der World Union for Progressive Judaism war, hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland begonnen zu wirken. Er hatte bis weit nach dem Krieg eine entscheidende Bedeutung für das religiöse Leben der Juden in Deutschland und auf der ganzen Welt. Vielleicht sollte man unter diesem Gesichtspunkt anerkennen, dass es nicht darum geht, vor wie vielen Jahren die Gemeinden gegründet wurden. Es geht vielmehr darum, dass das liberale Judentum in Deutschland eine lange Tradition und tiefe Wurzeln hat. Insofern sollte man in Kenntnis der historischen Umstände vielleicht seine Ermessensspielräume nutzen, um auch diese Fragen und Probleme im Einvernehmen mit allen Seiten zu lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP))

   Zum Schluss: Bei Debatten über die jüdische Gemeinschaft - auch Herr Bosbach hat das angesprochen - wird immer wieder das Stichwort „Normalität“ erwähnt. Ich wünsche mir in der Tat mehr Normalität für das Leben der Jüdinnen und Juden in unserem Land. Normal wäre es für mich, wenn Polizeiwagen und Absperrgitter vor jüdischen Einrichtungen nicht mehr notwendig wären.

(Beifall im ganzen Hause)

Momentan ist das aber noch notwendig, weil der Antisemitismus in Deutschland noch immer das Leben der Jüdinnen und Juden gefährdet. Ich finde, der schrecklichste Gedanke dabei ist, dass Kinder, die einen jüdischen Kindergarten besuchen, erst einmal an einem Polizeispalier vorbeigehen müssen. Was bedeutet das für den Eintritt in unsere Gesellschaft und welches Grundgefühl vermittelt das? Es ist unser aller Aufgabe, die geistigen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die entsprechenden Gefährdungen abgebaut werden können, damit tatsächlich wieder ein normales jüdisches Leben in unserem Land möglich wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP):

Meine Damen und Herren! Es stimmt, heute ist ein wirklich guter Tag, und zwar gleichermaßen für Juden sowie für Nichtjuden in Deutschland. Wir setzen einen Vertrag in Kraft, den es jedenfalls in dieser Form vor wenigen Jahren wohl noch nicht hätte geben können. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland werden auf eine dauerhafte juristische Basis gestellt. Dieser Vertrag ist - so hoffe ich jedenfalls - Ausdruck wachsenden Vertrauens der jüdischen Bürger in die demokratische Stabilität dieses Landes.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Kollege Bosbach und Kollege Beck, sicherlich ist das Verhältnis der Juden zu Deutschland noch weit von der so genannten Normalität entfernt. Jedenfalls darf diese nicht einseitig von Nichtjuden ausgerufen werden. Trotzdem drücke ich die Hoffnung aus, dass der Abschluss dieses Vertrages von den Juden selbst als ein weiterer Schritt auf Deutschland zu verstanden wird. Diese bewusste Hinwendung zu einem Land, das vor 70 Jahren unfassbares Leid über Juden in ganz Europa brachte, ist Reifezeugnis und zugleich Verantwortung für das neue demokratische Deutschland.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich betrachte den Abschluss dieses Vertrages auch als ein politisches Signal an die Ewiggestrigen, und zwar dahin gehend, dass sich Demokraten in Deutschland gemeinsam und konsequent gegen jede Form von Antisemitismus wenden und wehren. Es ist in der Tat beschämend, dass nahezu sämtliche jüdischen Einrichtungen noch immer mit einem Polizeiaufgebot gesichert werden müssen.

   Lassen Sie mich - ohne das Vorherige zu vergessen - heute vor allem eines feststellen: Der heutige Tag, an dem wir diesen Vertrag ratifizieren, ist für uns vor allem ein Tag der Freude darüber, wie lebhaft und intensiv sich jüdisches Leben in Deutschland wieder entwickelt hat. Damit meine ich nicht zuletzt auch jüdisches kulturelles Leben auf allen Ebenen unserer Gesellschaft. Juden haben über Jahrhunderte hinweg das kulturelle Leben in Deutschland ganz entscheidend mitgestaltet und bereichert. Gerade in Berlin, aber auch in meiner Heimatstadt Frankfurt kennt man das Engagement und die Verdienste der jüdischen Bevölkerung in Kunst und Wissenschaft sowie in Politik und Gesellschaft sehr gut.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man weiß deshalb, welchen Verlust ganz Deutschland durch die Nazibarbarei erlitten hat. Gerade dieser intellektuelle Verlust wird sich natürlich nicht einfach durch die heute zu beschließenden finanziellen Zuwendungen ausgleichen lassen. Diese Finanzmittel sind nur ein Baustein, um die durch den Zuzug insbesondere osteuropäischer Juden in finanzielle Bedrängnis geratenen jüdischen Gemeinden zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag würdigt damit ausdrücklich auch die überwiegend ehrenamtliche Arbeit in den jüdischen Gemeinden. Deren soziale Integrationsleistung kann gar nicht hoch genug bewertet werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Der Vertrag - auch ich möchte das betonen - soll aber der gesamten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zugute kommen. Ich appelliere genauso wie meine Vorredner an den Zentralrat, für einen fairen Ausgleich auch mit den übrigen jüdischen Organisationen zu sorgen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   In seinem Buch „Geteilte Erinnerung“ schreibt der Frankfurter Architekt und Publizist Dr. Salomon Korn, der vorgestern seinen 60. Geburtstag feierte, Folgendes:

Erinnerung an Zerstörung - und Hoffnung auf Zukunft: zwischen diesen Polen bewegt sich heute jüdisches Dasein in Deutschland.

   Erinnerung an die Zerstörung und Hoffnung auf die Zukunft sind auch die Fundamente des heute zu ratifizierenden Vertrages. Ohne die Erinnerung an den staatlich verordneten Völkermord des Naziregimes gäbe es diesen Vertrag sicherlich nicht. Aber - viel entscheidender -: Ohne Hoffnung auf die Zukunft gäbe es ihn erst recht nicht.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland wurde als historisch und als Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft gewürdigt. Ich finde: zu Recht. Die PDS im Bundestag wird dem Gesetzentwurf daher auch zustimmen.

   Mehr als 3 Millionen Euro, die nunmehr pro Jahr vertraglich vereinbart wurden, wiegt das Symbol. Es wurde spät gesetzt, aber es gilt. Jüdinnen und Juden sind in Deutschland nicht nur geduldet; sie sind gleichberechtigt und gefragt. Das macht nichts wieder gut, was Jüdinnen und Juden in Deutschland angetan wurde, aber mit diesem Vertrag, finde ich, setzen wir heute, wenn auch sehr spät, ein Zeichen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) sowie des Abg. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP))

   Bei aller Bedeutung will ich aber auch nicht verschweigen: Der Vertrag birgt Klippen und die Vertragspartner versuchen, sie zu umschiffen. Eine Klippe steckt in dem Satz - der hier schon mehrfach zitiert wurde -, wonach die vereinbarten Leistungen der gesamten jüdischen Gemeinschaft zugute kommen. Ich will jetzt nicht auf kulturelle, strukurelle und religiöse Unterschiede der gesamten jüdischen Gemeinschaft eingehen, aber ich unterstreiche, auch in Kenntnis der Berliner Verhältnisse, dass dieser Gleichstellungssatz gilt und auch in der Umsetzung des Vertrags gelten muss.

   Noch wichtiger ist mir aber Folgendes: Die PDS im Bundestag fragt die Bundesregierung seit Jahren, wie viele rechtsextremistische Straftaten je Monat offiziell registriert werden. Das Ergebnis ist übersichtlich und erschreckend. Jeden Tag gibt es hierzulande eine rechtsextremistische Gewalttat und jede Stunde wird im statistischen Schnitt eine Straftat mit diesem Hintergrund registriert. Der Anteil der Straftaten, die einen antisemitischen Hintergrund haben, ist hoch und steigt. Deshalb: Ein Vertrag ist ein Vertrag. Er ersetzt aber nicht das tägliche Leben und das alltägliche Miteinander.

Zum Abschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein weiterführender Gedanke. Der Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Bundesrepublik war überfällig, aber es gibt weitere Bevölkerungsgruppen, die noch immer um Anerkennung und Gleichberechtigung kämpfen. Ich meine speziell die Sinti und Roma. Auch ihnen gegenüber gibt es eine historische Verantwortung und eine aktuelle zudem. Es ist schon bedenklich, wie lange es dauert, den Opfern unter ihnen ein Mahnmal zu setzen, und wie schnell dagegen Sinti und Roma selbst in Bürgerkriegsgebiete abgeschoben werden sollen. Jüngst wurde dazu eine Kampagne gestartet. Aber auch in dieser Frage geht es nicht um Parteipolitik, sondern um die Kultur unseres Landes.

   Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy, SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die meisten Mitglieder des Bundestages haben hier, in Berlin, zusätzlich zu ihrem Wahlkreiswohnsitz eine Zweitwohnung; meine befindet sich im östlichen Teil Berlins. Wenn ich in den Sitzungswochen des Bundestages morgens zum Reichstagsgebäude fahre, komme ich an der Oranienburger Straße entlang. Dort befindet sich eine jüdische Synagoge. Das Erste, was ich von dieser Synagoge zur Kenntnis nehme, ist nicht das Gebäude selbst, sondern sind die Polizeiwagen vor dem Gebäude. Die Situation in Deutschland verlangt es, dass - nicht nur religiöse - Einrichtungen der Juden, anders als etwa christliche Kirchen, eines besonderen Schutzes bedürfen. Das gilt auch für Schulen und für Kindergärten.

   Es ist wichtig, festzuhalten - ich freue mich, dass wir auch in den Ausschussberatungen Einstimmigkeit in Bezug auf den heute zu ratifizierenden Vertrag erzielt haben -, dass Menschen jüdischen Glaubens, die in Deutschland leben, Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, ganz offenkundig eines besonderen Schutzes bedürfen. Dieses Stück Realität aber dürfen wir in Deutschland niemals als ein Stück Normalität akzeptieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

   Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir nach wie vor ein Problem mit antisemitischen Positionen - diese gibt es auch in anderen Ländern; aber wir haben in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung - haben, weil diese in einem Teil der Bevölkerung Anklang finden. Insofern haben wir nicht nur Anlass, uns über das Vertrauen, das die vielen erfreulicherweise wieder in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens diesem Staat entgegenbringen, zu freuen, sondern auch, dafür ausgesprochen dankbar zu sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Der Vertrag, den wir heute einvernehmlich und geschlossen verabschieden werden - alle Fraktionen haben bereits erklärt, dass sie dem entsprechenden Gesetzentwurf zustimmen -, gibt aber auch Anlass, über jüdisches Leben in Deutschland einmal anders zu sprechen als unter dem Gesichtspunkt, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland potenzielle Opfer von Übergriffen sind. Die Debatte über diesen Vertrag gibt uns Anlass, darüber zu reden, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch Akteure sind, dass sie unser Zusammenleben bereichern, dass sie nichts sind, was man zu der Gesellschaft hinzunimmt, sondern dass sie elementarer Teil dieser Gesellschaft sind.

   Das Zustandekommen dieses Vertrages hat seine Ursache selbstverständlich auch darin - der Kollege Otto hat zu Recht darauf hingewiesen -, dass wir vor dem Hintergrund der furchtbaren deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 gerade gegenüber den Jüdinnen und Juden in Deutschland eine besondere Verantwortung haben. Dieser Vertrag bringt aber auch zum Ausdruck, dass wir wieder einen Zustand erreichen wollen - der damit verbundene Prozess wird heute nicht abgeschlossen -, in dem es ganz selbstverständlich ist, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger hier in Frieden und ungefährdet leben können, egal welcher Glaubensrichtung sie angehören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist richtig, auch darauf hinzuweisen, dass rund eine halbe Million Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens bis zur Zeit des Nationalsozialismus trotz aller Brüche in der deutschen Geschichte ein Teil dieser Gesellschaft gewesen sind, übrigens nicht nur im Bereich der Eliten, sondern auch in anderen Bereichen der deutschen Gesellschaft. Sie gehörten dazu. Sie waren ein Teil dieses Landes. Deswegen ist die Judenverfolgung im Nationalsozialismus nicht nur etwas gewesen, was sich gegen den jüdischen Teil der deutschen Bevölkerung gerichtet hätte. Vielmehr war die Judenverfolgung in Deutschland ein Akt der Selbstzerstörung der eigenen Gesellschaft, der deutschen Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie war eine Selbstamputation. Wir leiden noch heute unter diesem Verlust.

   Ich selbst bin in den 70er-Jahren in Niedersachsen aufgewachsen. An meiner Schule, am Gymnasium, gab es keinen jüdischen Schüler und keine jüdische Schülerin. Übrigens: Ich glaube, dass ein Grund für den Antisemitismus auch darin besteht, dass oftmals kein Wissen umeinander da ist. Ich war auch überrascht, zu hören - Herr Kollege Beck hat es angesprochen -, dass heute einer der höchsten jüdischen Feiertage ist. Ich weiß nicht, wem in diesem Hause das bewusst war.

   Der Vertrag, den wir schließen, der den Zentralrat stärker dazu in die Lage versetzen soll, die Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes - des gemeinsamen Kulturerbes - zu betreiben, der den Zentralrat unterstützen soll bei dem Aufbau der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, der ihn unterstützen soll insbesondere bei den integrationspolitischen, bei den sozialen Leistungen, die er erbringt, sollte vielleicht auch eine Grundlage und ein Ausgangspunkt dafür sein, dass wir uns miteinander vornehmen, wechselseitig mehr übereinander erfahren zu wollen, mehr übereinander wissen zu wollen; denn Zusammenleben ohne Verständigung kann nicht funktionieren. In dem Sinne ist dieser Vertrag nach meinem Dafürhalten eben nicht der Abschluss eines Prozesses oder ein Punkt, ab dem man sagen könnte: Jetzt ist ein Zustand der Normalität erreicht. Nein, der Vertrag ist ein Zwischenschritt in diesem langen Prozess.

   Ich möchte an dieser Stelle abschließend an Ignatz Bubis erinnern, den langjährigen Präsidenten des Zentralrates der Juden, der kurz vor seinem Tod mit einiger Verbitterung sinngemäß gesagt hat - ich zitiere ihn aus dem Gedächtnis heraus -: Ich habe mich immer bemüht, dieses Missverständnis, auf der einen Seite gebe es die Deutschen, auf der anderen Seite gebe es die Juden, zu überwinden. - Er sagte, er habe in dieser Hinsicht wenig, nach seiner Einschätzung sogar nichts erreicht. Ich glaube, dass das Vermächtnis solch großer Menschen wie Ignatz Bubis für uns auch darin besteht, ihre Ansätze aufzugreifen und fortzuführen. Wenn wir viel Glück haben und wenn wir dazu beitragen, dass eine Grundlage dafür da ist, dass wir dieses Glück haben dürfen, werden vielleicht in einigen Generationen Menschen, die unsere Bevölkerung - die Deutschen, die jüdischen Deutschen, die christlichen Deutschen, die muslimischen Deutschen - hier im Bundestag vertreten, feststellen können: Ja, es gibt dieses Separieren zwischen Deutschen und Juden nicht mehr, Deutsche jüdischen Glaubens sind deutsche Bürgerinnen und Bürger und nicht Juden in Deutschland. Wenn wir das feststellen können, dann werden wir, glaube ich, an einem Punkt angelangt sein, von dem wir sagen können: Es war wichtig, ihn zu erreichen.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Hohmann, CDU/CSU-Fraktion.

Martin Hohmann (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Redner haben so gesprochen, dass ich nur sagen kann: Ich kann alles bekräftigen und unterstützen. Besonders möchte ich mich natürlich auf Wolfgang Bosbach, unseren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, beziehen. Ich möchte das nicht wiederholen, aber ich bekräftige: Juden gehörten seit Jahrhunderten zu uns. Unser aller Wunsch ist: So soll es wieder werden.

   Ich darf etwas, was noch keiner gesagt hat - als Letzter hat man es ein wenig schwer, etwas bisher Ungesagtes zu bringen -, hinzufügen: Wir haben bei der Zuwanderung nach Deutschland jetzt sogar die Situation, dass erstmals mehr Juden nach Deutschland gekommen sind als nach Israel. Das wird vielleicht noch manchem Kopfzerbrechen bereiten. Aber es ist ein sehr positives, gutes Zeichen.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, die ersten Architekten und Baumeister am Haus der deutsch-jüdischen und der deutsch-israelischen Beziehungen waren David Ben-Gurion und Konrad Adenauer. Konrad Adenauer formulierte die noch heute gültige Basis, auf der auch der zur Abstimmung stehende Staatsvertrag letztendlich beruht. Ich zitiere:

Wer unsere besondere Verpflichtung gegenüber den Juden und dem Staat Israel verleugnen will, ist historisch und moralisch, aber auch politisch blind. Der weiß nichts von der jahrhundertelangen deutsch-jüdischen Geschichte und nichts von den reichen Beiträgen, die von Juden zur deutschen Kultur und Wissenschaft geleistet worden sind. Er begreift nicht die Schwere der Verbrechen des nationalsozialistischen Massenmordes an den Juden.

So weit Konrad Adenauer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Glaube keiner, über dem deutsch-israelischen Verhältnis habe damals so etwas wie der Zauber des Anfangs gelegen. Nein, zwischen den ersten Geheimkontakten im Jahr 1951, der Vertragsunterzeichnung im Jahre 1952 und, erst ein ganzes Jahr später, der Ratifizierung im März 1953 lagen riesige Anstrengungen für alle Beteiligten. Außerdem schwebte das Damoklesschwert des gänzlichen Scheiterns über dem Vorhaben. Manche Abgeordneten stimmten wegen der Höhe der Entschädigungssumme oder der drohenden Verärgerung der Araber nicht zu oder enthielten sich. Letztendlich war der erfolgreiche erste Schritt der Mehrheit der CDU und der geschlossenen Zustimmung der Sozialdemokraten zu danken. Auch die Anbahnung der diplomatischen Beziehungen glich unter anderem wegen des Kräftevierecks Bundesrepublik Deutschland, Israel, DDR, Ägypten eher einer Echternacher Springprozession, bis unter Kanzler Erhard am 12. Mai 1965 Botschafter ausgetauscht wurden.

   Nein, einfach war es nie, weder die deutsch-israelischen Beziehungen noch das deutsch-jüdische Zusammenleben in Deutschland.

   Woran das liegt, hat György Konrad, der langjährige Präsident der Berliner Akademie der Künste, so ausgedrückt:

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind wir weder Täter noch Opfer. Durch Blutsbande, Bekanntschaften oder kulturelle Bindungen aber gehen sie uns etwas an. Wir wissen von ihnen. ... Auf einer inneren Bühne sind sie anwesend, lassen sich nicht verscheuchen. Sie kommen.

   György Konrad hat Recht. Wer eine bewusste geschichtlich-kulturelle Prägung erfahren hat und sich seiner Entität zugehörig fühlt, der ist dem Kommen, besser gesagt dem Hinzudrängen der Täter-Opfer-Rolle fast hilflos ausgesetzt. Nicht jeder bringt so viel Geduld auf und schätzt es als erfreuliche Herausforderung ein wie Avi Primor, der israelische Botschafter der Jahre 1993 bis 1999, wenn sein deutscher Gesprächspartner unweigerlich und als Erster, was auch immer der Gegenstand und ursprüngliche Grund des Treffens gewesen sein mochte, das Thema Nazivergangenheit anschnitt.

   Dieser Vergangenheitskomplex führt zu seltsamen Fehlhaltungen und treibt auch Blüten. Gestatten Sie mir bitte, Ihnen in diesem Zusammenhang eine Beobachtung mitzuteilen, die ich beim Nachlesen einschlägiger Bundestagsprotokolle machte. Spricht ein Mitglied des Bundestages über einen deutschen Juden, wird meist - Herrn Beck nehme ich ausdrücklich aus - die Umschreibung „jüdischer Mitbürger“ oder „jüdischer Bürger“ gewählt.

   Professor Dr. Ernst Tugendhat, Philosoph und deutscher Jude, berichtete in dem Wochenblatt „Die Zeit“ Ähnliches. In Deutschland, und nur in Deutschland, werde die Frage nach der Zugehörigkeit so gestellt: Sind Sie jüdischer Abstammung? Er fühle sich dann immer etwas gekränkt und sehe sich genötigt, zu antworten: Ich bin nicht nur jüdischer Abstammung; ich bin auch Jude.

   Die höfliche Vorsicht, die in der umständlichen Frageform liegt, löst bei Tugendhat, so sagt er, ein ungutes Gefühl aus. Er kann es sich nur so vorstellen, dass der Fragende das Jude-Sein als etwas Anrüchiges, als einen Makel empfindet. Wie würde es in unseren Ohren klingen, wenn man beispielsweise den Berliner Kardinal fragte: Sind Sie katholischer Abstammung?

   Auch Ignatz Bubis ging diese gewundene Umschreibung gegen den Strich. 1996 ließ er einen so genannten koscheren Knigge herausgeben. Darin heißt es wörtlich:

Sie dürfen ruhig „Jude“ sagen. Das Wort ist nicht beleidigend. Wenn es Ihnen dennoch nur schwer über die Lippen kommt, dann hat das damit zu tun, dass irgendwo in Ihrem Hinterkopf noch rudimentär frühere Zeiten stecken. Das allerdings ist Ihr Problem, nicht unseres.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Warum nicht von Ignatz Bubis lernen? Mit allem Respekt: Ein Jude ist ein Jude; ein Christ ist ein Christ.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Die psychologische Erklärung für den Hang, das schlichte Wort Jude nicht zu gebrauchen, dürfte in der Tat darin liegen, dass es für viele Deutsche assoziativ mit der Judenvernichtung besetzt ist. Zugleich - das hat Herr Beck schon angesprochen - sind uns religiöse Inhalte und Riten des Judentums weitgehend fremd geworden. Wir wissen wenig von dem religiösen Universum und Reichtum einer 5 763-jährigen Geschichte als auserwähltem Volk. Die Juden sind - ich spreche als Christ - unsere weit älteren Brüder und Schwestern. Sie waren sozusagen Gottes erste Liebe. Gott sagt in Genesis 12,3 zu Abraham:

Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Ich will segnen, die dich segnen, wer dich verwünscht, den will ich verfluchen.

   Indem wir Juden in unserer Vorstellung und aufgrund unserer Kenntnisdefizite von ihren religiösen Prägungen separieren, rauben wir ihnen den Wesensteil, der ihnen als einziges Volk der Welt ein jahrtausendelanges Überleben und ein Bewahren ihrer Identität gesichert hat. Ziel des Vertrages mit dem Zentralrat der Juden ist jedoch gerade, jüdische Identität sowie jüdisches kulturelles und religiöses Leben, also Jüdischkeit, in Deutschland langfristig zu sichern.

   Wolfgang Bosbach hat das gute Einvernehmen zwischen dem Zentralrat und der Union betont. Ich pflichte dem auch mit Hinweis auf die gemeinsam gewünschte Änderung des § 166 StGB bei. Übereinstimmend mit dem jüdischen Vertreter sprach sich die Unionsfraktion für eine Verbesserung des Schutzes religiöser Bekenntnisse aus. Parallele Anschauungen sind auch in der Abtreibungsfrage zu verzeichnen. Oberrabiner Berger bezeichnete Abtreibung als strafwürdiges Blutvergießen.

   Da vor dem Kriege gerade die liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland stark vertreten waren, bleibt mir abschließend nur die Bitte an den Zentralrat, die geringe Zahl der neu gegründeten liberalen jüdischen Gemeinden an der jährlichen Dotation anteilsmäßig zu beteiligen.

   Schließen möchte ich mit einer Vision von einem zukünftigen umfassenden und friedlichen Zusammenleben aller Menschen guten Willens unter einem Dach und möchte dazu aus der Offenbarung des Johannes zitieren:

Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein.

   Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland, Drucksache 15/879. Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1109, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, möge sich erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

(Beifall im ganzen Hause)

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Klarheit über Rentenfinanzen und Alterssicherung schaffen - Notwendige Reformmaßnahmen nicht auf die lange Bank schieben

- Drucksache 15/1014 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr (Münster), Dr. Dieter Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI (Rentenversicherungsbericht 2002)
und
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2002

- Drucksachen 15/110, 15/318, 15/859 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Müller

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Andreas Storm von der CDU/CSU-Fraktion.

Andreas Storm (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die seit Tagen anhaltende Fortsetzungskomödie der Irrungen und Wirrungen der Regierungskoalition über bevorstehende Einschnitte bei der gesetzlichen Rente zeigt, dass Rot-Grün nur zwei Jahre nach der Verabschiedung der - angeblichen - riesterschen Jahrhundertrentenreform heute vor einem rentenpolitischen Scherbenhaufen steht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Begründung des Bundeskanzlers im Hinblick auf eine neue Rentenreform in seiner Agenda-Rede vom 14. März dieses Jahres, in der er gesagt hat, man habe vor anderthalb Jahren die Arbeitsmarktentwicklung zu optimistisch und die demographische Entwicklung zu pessimistisch eingeschätzt, kommt in der Tat einem Offenbarungseid gleich.

   Die anhaltende Talfahrt auf dem Arbeitsmarkt macht auch vor den Rentenkassen nicht Halt. So ist im nächsten Jahr mit einem massiven Anstieg des Rentenbeitragssatzes auf mehr als 20 Prozent zu rechnen. Ein höherer Rentenbeitrag bedeutet zwangsläufig einen höheren Bundeszuschuss.

   Vor diesem Hintergrund muss die Verzweiflung von Bundesfinanzminister Hans Eichel riesengroß sein. Denn nicht anders ist es zu erklären, dass der Minister in der vergangenen Woche panikartig um sich geschlagen hat. Offenbar hat er vor lauter Haushaltslöchern den Überblick völlig verloren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist doch ein Treppenwitz, wenn ausgerechnet Eichel erklärt, dass der Bundeszuschuss zur Rente in den letzten Jahren zu dynamisch gewachsen sei.

   Ich frage Sie: Wer hat denn unter dem Motto „Tanken für die Rente“ einen zweiten Rentenbeitrag an der Zapfsäule eingeführt? Welcher Finanzminister hat denn freudig zugestimmt, als beschlossen wurde, die Ökosteuer ab 1999 Jahr für Jahr anzuheben? Wer nun einen steigenden Steueranteil bei der gesetzlichen Rente beklagt, leidet offenkundig unter einem massiven Gedächtnisverlust.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nicht besser sieht es mit Eichels zweitem Vorschlag aus: den Anteil der Rentner an den Krankenversicherungsbeiträgen von 50 auf 75 Prozent anzuheben. Es ist ein merkwürdiges Verständnis von Generationengerechtigkeit, wenn allein die Rentner die Fehler der verkorksten Riester-Reform ausbaden sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Vorschlag bedeutet nämlich im Klartext nichts anderes als eine Rentenkürzung um 3,5 Prozent. Das wäre ein massiver Schnitt in die Substanz. Das ist mit der Union nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Gudrun Schaich-Walch (SPD): Mit uns auch nicht!)

- Wenn Sie sagen: „Mit uns auch nicht!“, dann ist es ja beruhigend, dass die SPD ihren Finanzminister vielleicht auf Kurs bringt.

   Eichels Kopflosigkeit ist allerdings inzwischen auch auf den Koalitionspartner übergeschlagen. Denn nicht anders ist der Vorschlag der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt zu erklären: Sie will die Rentenanpassung in Zukunft von der Rentenhöhe abhängig machen. Die Bezieher hoher Renten gehen dann leer aus, die kleiner Renten bekommen etwas. Das hört sich für den einen oder anderen am Anfang noch ganz vernünftig an. Aber das hätte gewaltige Konsequenzen. Das wäre der Einstieg in den Ausstieg aus der beitragsbezogenen gesetzlichen Rente.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich stimme dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD Ludwig Stiegler ja nicht allzu oft zu,

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das wäre auch schlecht!)

aber wo der Mann Recht hat, hat er Recht. Er hat es auf den Punkt gebracht, indem er gesagt hat, Frau Göring-Eckardt habe das Rentensystem nicht begriffen: „Jeder kriegt die Rente, die er durch seine Leistung verdient hat. Wer darauf ein anderes Prinzip anwendet, ist völlig von der Rolle.“ - Stiegler hat es hiermit auf den Punkt gebracht.

   Nun haben Eingriffe in die Rentenerhöhung allerdings eine klare Tradition in der rot-grünen Bundesregierung. Nahezu kein Jahr vergeht ohne eine Änderung des Anpassungsverfahrens. Das begann 1999 mit der normalen nettolohnbezogenen Rente. Dann hat Eichel gesagt: Renten nach Kassenlage. Noch nicht einmal den Inflationsausgleich gab es im Jahr 2000. Dann ist man im Jahr 2001 zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung übergegangen und in den Folgejahren zu einem Abschlag für die Riester-Rente.

   Das Fatale ist, dass die Rentner so behandelt werden, als würden die Beitragszahler zu 100 Prozent einen Riester-Vertrag abschließen. Aber Fakt ist, dass noch nicht einmal jeder sechste Förderberechtigte einen Riestervertrag abgeschlossen hat.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Leider wahr!)

Damit wird bei den Rentnern abkassiert, was überhaupt keine Grundlage hat. Wenn Sie im nächsten Jahr für die Rentner eine Nullrunde anstreben, dann bedeutet das im Klartext, dass bei Ihnen die Rente nach Kassenlage zum Dauerzustand wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Eine Rente nach Kassenlage droht auch durch die offenbar angedachte Absenkung der Rentenreserve. Diese Rentenreserve hat noch immer eine Größenordnung von 6 bis 7 Milliarden Euro. Das ist für den Finanzminister verlockend, der im Sozialetat 6 bis 7 Milliarden Euro einsparen will. Eine solche Absenkung bedeutet im Kern nichts anderes, als dass die Rücklage der Rentenversicherung gänzlich abgeschafft wird. Damit wäre klar, dass bei jeder nur geringfügigen Verschlechterung der Konjunktur und der Arbeitsmarktlage der Finanzminister mit Steuergeldern einspringen müsste, damit die Renten pünktlich gezahlt werden. Genau darauf arbeitet der Finanzminister offenbar hin. Denn er will - das wäre die Konsequenz einer solchen Umstellung - jedes Jahr bei der Frage, um wie viel die Renten erhöht werden, mitreden. Das wäre das Ende der eigenständigen Rentenversicherung. Die Rentenversicherung wäre am Tropf des Bundesfinanzministers. Das kann kein Mensch in diesem Haus ernsthaft wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Völlig absurd wird es aber, wenn der Bundesfinanzminister mit der Begründung, die Rentenfinanzen liefen aus dem Ruder und deshalb müssten wir bei der gesetzlichen Rente Leistungseinschnitte machen, den Menschen auch noch den Ausweg verbaut. Denn wenn man sagt, dass die gesetzliche Rente das derzeitige Niveau in Zukunft nicht mehr garantieren kann, dann brauchen wir doch den Aufbau eines zweiten Standbeins ergänzender Vorsorge im Bereich der privaten oder betrieblichen Renten. Nun sagt Eichel: Auch bei der Riester-Förderung müssen wir überlegen, ob wir die Mittel reduzieren. - Schlimmer geht‘s wirklich nimmer!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Eines ist richtig: Die Riester-Rente hat sich als eine Fehlkonstruktion erwiesen. Aber die Konsequenz kann doch nicht sein, die Fördergelder zusammenzustreichen. Die Konsequenz muss sein, dass wir gemeinsam aus der Riester-Rente eine echte Förderrente machen, die die Menschen annehmen, weil sie attraktiv ist, die nicht mit niedrigen Renditen eingeengt und so gestaltet ist, dass viele sagen: Ich werde eine solche Rente wählen. Wenn man die Riester-Rente durch eine attraktive Förderrente ablösen will, dann braucht man dafür Fördermittel; denn nur so können die Menschen überhaupt in die Lage versetzt werden, ein zweites Standbein der Alterssicherung aufzubauen.

   Die wichtigste Voraussetzung, um einen Kollaps des Rentensystems zu verhindern, ist, dass die Kakophonie innerhalb der Bundesregierung schleunigst beendet wird. Die Regierung muss den Mut zu einem Neubeginn in der Rentenpolitik aufbringen. Die zuständige Bundessozialministerin muss einen ungeschminkten Kassensturz bei den Rentenfinanzen vornehmen. Die derzeit betriebene Arbeitsteilung muss ein Ende haben: Die Ministerin behauptet, dass die Beiträge - wie durch ein Wunder - stabil bleiben, und der Finanzminister legt aus Furcht vor steigenden Beiträgen und Bundeszuschüssen bis zum Gehtnichtmehr Kürzungspläne vor. Wir brauchen noch vor der Sommerpause Klarheit über die tatsächliche Finanzsituation bei den Renten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der von Professor Rürup in die Diskussion eingebrachte Nachhaltigkeitsfaktor, den die Ministerin inzwischen aufgreifen möchte, wird von der Union ausdrücklich begrüßt. Er entspricht in der Zielrichtung ganz eindeutig dem demographischen Faktor, den wir bereits in den Jahren 1997/98 in die Rentenformel eingebaut haben. Es war der größte Fehler der rot-grünen Regierung in der Rentenpolitik, dass sie diese wegweisende Reform nach dem Regierungswechsel 1998 als erste Maßnahme rückgängig gemacht hat. Damit haben wir fünf wertvolle Jahre verloren. Ohne diesen gravierenden Fehler hätten wir eine ganze Reihe von Problemen nicht gehabt, die Sie in den vergangenen Jahren versucht haben zu beheben und in den nächsten Jahren versuchen werden zu beheben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Deshalb ist es erforderlich, dass die nächste Rentenreform keine Verfallszeit von anderthalb bis zwei Jahren hat. Die neue Rentenreform muss in jedem Fall auch Klarheit über die Neuregelung der steuerlichen Behandlung von Alterseinkommen bringen und die Nachfolgeregelung für die Riester-Rente - sie muss durch eine echte Förderrente auf breiter Grundlage ersetzt werden - beinhalten.

   Nur wenn Sie bereit sind, eine Verzahnung der drei Projekte Rentenformel, Besteuerung der Alterseinkünfte und Aufbau einer ergänzenden Förderrente in Angriff zu nehmen, sehen wir uns in der Lage, an solchen grundlegenden Weichenstellungen mitzuwirken.

   Deshalb lautet meine Forderung: Legen Sie noch in diesem Jahr ein vernünftiges Gesamtkonzept zur Rente vor! Dann sind wir zur Zusammenarbeit bereit. Einer Rente nach Kassenlage reichen wir mit Sicherheit nicht die Hand.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Darauf können sich die Rentnerinnen und Rentner, aber auch die Beitragszahler in unserem Land verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit! - Gegenruf von der SPD: Genau! Richtig bemerkt!)

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig: Der Rentenversicherungsbeitrag liegt derzeit bei 19,5 Prozent

(Zuruf von der FDP: Das ist bald vorbei!)

und damit um 0,8 Prozentpunkte über der Zielmarke, die wir uns gesetzt haben. Damit der Wahrheit Genüge getan wird, muss aber auch gesagt werden, dass er damit immerhin noch um 0,8 Prozentpunkte unter den 20,3 Prozent, die wir 1998 von Ihnen geerbt haben, liegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann müssen Sie aber auch die Ökosteuer in die Beitragssätze einbeziehen! Das ist eine Mogelei! Nichts mit Stunde der Wahrheit!)

Das bedeutet immerhin um 6,5 Milliarden Euro geringere Lohnnebenkosten.

   Außerdem muss erwähnt werden, dass die Renten in der Zeit zwischen 1998 und 2002 um ungefähr 5,97 Prozent gestiegen sind. In den fünf Jahren davor - also während Ihrer Regierungszeit - lag die Steigerung bei nur 2,74 Prozent.

(Lothar Mark (SPD): Das ist die Wahrheit!)

   Mit der Rentenreform 2001 wurde die eigenständige Alterssicherung der Frau ausgebaut, Kindererziehung wurde stärker berücksichtigt und

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Wir haben sie überhaupt erst eingeführt!)

eine kinderbezogene Höherbewertung der Beitragszeiten ist erfolgt. Die Anrechung von Zeiten für die Erziehung mehrerer Kinder wurde mit aufgenommen und die Grundsicherung wurde eingeführt, um verschämte Altersarmut zu verhindern. Erstmalig wurde in Deutschland eine kapitalgedeckte private Altersvorsorge eingeführt.

   Der Sozialbeirat hat in seinem Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2002 im Prinzip sehr positiv bewertet, dass mit diesem Einstieg in den Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge eine richtige Weichenstellung unternommen worden ist, um die Alterssicherung langfristig zu stabilisieren. Erstmals unterstützt der Staat damit die private Altersvorsorge. Das ist alles andere als ein rentenpolitischer Scherbenhaufen, Kollege Storm.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist und bleibt ein sozialpolitischer Meilenstein in der Geschichte unseres Sozialstaates.

   Aber ich stimme auch der kritischen Bewertung des Sozialbeirates zu, der in seinem Gutachten sagt: Die Entwicklung im Jahre 2002 - damit meint er die wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der Arbeitslosenzahl - hat deutlich gemacht, dass im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung auch künftig Reformbedarf besteht.

   Das war der Grund dafür, dass die Bundesregierung die Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme eingesetzt hat. Teilempfehlungen liegen bereits vor. Weitere Empfehlungen werden im Abschlussbericht folgen. Wir werden sie sorgfältig prüfen und dann entscheiden. Ich kann Ihnen jetzt aber schon sagen: Eine Anhebung des Beitrages der Rentnerinnen und Rentner zur Krankenversicherung steht für uns nicht zur Debatte. Ich sage dies, damit diese Mär nicht weiter von Ihnen verbreitet wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das werden wir am Ende des Jahres sehen!)

   Es ist unbestritten: Wir stehen vor erheblichen Herausforderungen und Problemen.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Die löst ja keiner!)

Dazu gehören die wirtschaftliche Entwicklung, die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und die demographische Entwicklung. Das sind Herausforderungen, die die Entscheidungen, vor denen wir alle gemeinsam stehen, erheblich erschweren. Wenn wir ehrlich sind, werden wir sagen müssen, dass wir diesen Herausforderungen in der Vergangenheit vielleicht alle ein Stück weit ausgewichen sind, als sie absehbar gewesen sind und es erforderlich gewesen wäre, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir verschließen wenigstens nicht die Augen davor!)

   Wir könnten darüber sprechen, wie die Frühverrentung eingeführt worden ist, die mit dazu beigetragen hat, dass die Rentenkassen zum Teil ausgeblutet sind, und dass sie von denen ausgeblutet worden sind, die sich als Unternehmen von den Kosten für die Sozialleistungen entlasten wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir haben in der letzten Legislaturperiode als einzige Fraktion dagegen gestimmt!)

   Wir könnten auch darüber sprechen, wie die deutsche Einheit finanziert worden ist, nämlich zum großen Teil über die sozialen Sicherungssysteme und nicht - wie es gerechter gewesen wäre - durch alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über den Haushalt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

   Hier tragen alle ein Stück Verantwortung für die Vergangenheit. Deswegen ist es wichtig, dass die Antworten, die jetzt gefunden werden müssen, einerseits Fortschritt und Wohlstand in Deutschland gewährleisten, andererseits dafür sorgen, dass Beschäftigung entsteht und gleichzeitig soziale Sicherheit diesen Wandel begleitet und unterstützt.

   Die rentenpolitische Diskussion bewegt sich zwischen den Rentnerinnen und Rentnern und den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis nach Sicherheit und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Bezahlbarkeit. Das zeugt von dem inneren Spannungsverhältnis, in dem wir uns bewegen, dass nämlich Politik versuchen muss, die jeweiligen Interessen sozial vernünftig auszubalancieren. Deshalb sind Sicherheit und Bezahlbarkeit die Leitplanken der Rentenpolitik.

   Wir fordern Solidarität ein, um die solidarische Rentenversicherung zukunftsfest zu machen. Der Athener Staatsmann Solon, 640 vor Christi geboren, 600 vor Christi maßgeblich an der Ausarbeitung einer Verfassung im damaligen Athen insbesondere zur Wirtschafts- und Sozialordnung beteiligt, hat einmal zur Erläuterung seiner Philosophie Folgendes zum Ausdruck gebracht: Zu ihm soll einmal ein älteres Ehepaar gekommen sein, um sich über den gemeinsamen Sohn zu beklagen, der sich geweigert hatte, seinen Eltern im Alter mit Hilfe und Geld beizustehen. Bevor Solon antwortete, wollte er von den Eltern wissen, ob sie ihrerseits für den Sohn gesorgt hätten, als er noch klein und hilfsbedürftig war. Erst nachdem sie diese Frage mit Ja beantworteten, sprach er den Eltern den Anspruch auf Unterhalt zu.

   Das ist Ausdruck einer gegenseitigen Fürsorge und Verantwortung, die von beiden Seiten einzuhalten ist, die es aber auch ernst meint mit dem Sozialstaat und der Generationengerechtigkeit. Die Jungen sorgen für die Alten, nachdem die Alten ihrerseits ausreichend für die Jungen vorgesorgt haben.

   Der Punkt, um den es uns in dieser schwierigen ökonomischen Situation gehen muss, ist, einerseits die Beiträge so zu gestalten, dass sie bezahlbar sind und helfen, Beschäftigung zu fördern, und andererseits den Rentnerinnen und Rentnern angemessene Einkommen zu gewährleisten. Dabei muss der notwendige Spielraum bei den finanziellen Mitteln gewahrt bleiben, die notwendig sind, um in Bildung und Forschung zu investieren. Denn wir müssen den jungen Menschen die Voraussetzungen für eine gute Zukunft schaffen, damit sie, im späteren Arbeitsleben in einer Gesellschaft arbeiten können, die wettbewerbsfähig ist, und sie ein gutes Bruttosozialprodukt erwirtschaften können, das wiederum die Möglichkeit bietet, die Altersbezüge derjenigen, die dann in Rente sind, zu finanzieren. Anders formuliert - ich sage das sehr einfach -: Wir dürfen heute nicht das verzehren, was wir erarbeitet und erwirtschaftet haben. Wir müssen auch einen Teil in das Morgen investieren, damit unsere Kinder eine Zukunft haben und die Rentnerinnen und Rentner auch künftig ein vernünftiges Auskommen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Herausforderung, die sich aus der demographischen Entwicklung ergibt, ist groß. Dass die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern und Frauen in den letzten 40 Jahren um acht Jahre gestiegen ist, bedeutet, dass sich auch die Rentenbezugsdauer um acht Jahre verlängert hat. Wir freuen uns, dass die Menschen länger leben, aber dass sie acht Jahre länger Rente beziehen, bedeutet für die Kassen einen größeren Aufwand.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen!)

   Anfang der 60er-Jahre lag die durchschnittliche Geburtenrate in Deutschland pro Frau bei 2,5 Kindern, heute liegt sie nur noch bei 1,3 Kindern. Das zeigt, dass die jüngere Generation nicht mehr in dem Maße wie früher nachwächst. Die Bevölkerungspyramide hat sich völlig verändert. Heute sorgen drei Beschäftigte für einen Rentner. In Zukunft, in etwa 30 bis 40 Jahren, wird das Verhältnis wahrscheinlich bei 1,5 Beschäftigten zu einem Rentner liegen.

   Vor diesen Herausforderungen stehen wir nicht nur in Deutschland. Auch in Frankreich, Österreich und allen anderen Ländern in Europa muss man sich damit auseinander setzen. Das macht deutlich, dass nicht die Rentenreform Ursache für die jetzige Situation ist - sie wird immer als Kritikpunkt genannt -, sondern dass auch die massive Verschlechterung der globalen und der nationalen wirtschaftlichen Situation eine Ursache ist. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung zur Agenda 2010 darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung eine Nachjustierung auch in der Rentenpolitik erfordert.

   Eine Teilempfehlung der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme umfasst den so genannten Nachhaltigkeitsfaktor.

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Das ist ja etwas ganz Neues!)

Mit diesem Nachhaltigkeitsfaktor werden wir dazu beitragen, dass künftig in der neuen Rentenformel die Entwicklung und das Verhältnis der Zahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu der Zahl der Rentnerinnen und Rentner mit einbezogen wird und Auswirkungen auf die Rentenentwicklung hat. Verändert sich nämlich dieses Verhältnis zulasten der beruflich aktiven Generation, müssten die Beiträge steigen. Damit dies nicht ungebremst geschieht, ist die Generation der Rentnerinnen und Rentner mit an den daraus resultierenden Belastungen und Herausforderungen zu beteiligen. Das heißt, die Verteilung der Lasten aus der demographischen Entwicklung muss in vernünftigem Rahmen auf beide Seiten verlagert werden.

   Dieser Faktor - das erlaube ich mir zu sagen - ist etwas höher als der demographische Faktor, weil wir die Entwicklung am Arbeitsmarkt und die Entwicklung bei den Beschäftigtenzahlen bei diesem Faktor mit berücksichtigen. Damit machen wir deutlich, dass beides sehr stark voneinander abhängig ist.

   Der Nachhaltigkeitsfaktor ist somit ein wesentliches Element, um einerseits die Lohnnebenkosten zu senken bzw. zu stabilisieren und andererseits über die Gesamtsituation mit dazu beizutragen, dass sich die Renten so entwickeln, dass sie auf Dauer sicher sind. Das ist sozial gerecht, das verbessert die Beschäftigungschancen, das sichert die Rente für die ältere Generation.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Im Gegensatz zu den Vorstellungen unserer Vorgängerregierung haben wir vor dem Hintergrund der längerfristigen Rentenentwicklung mit der Riester-Rente den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben, die Versorgungslücke, die sich im Alter auftun kann, im Rahmen einer privaten Vorsorge aufzufüllen. Das war damals in Ihrer Rentenreform nicht enthalten. Deswegen war es richtig, sie abzulehnen. Über unseren Weg tragen wir dazu bei, dass die Menschen für ihre private Situation im Alter vorsorgen können.

   Die bisherige Inanspruchnahme stimmt mich zuversichtlich. Ich muss mir nur anschauen, in welch kurzer Zeit nach der Bundestagswahl - bis dahin gab es Boykottaufrufe aus Ihren Reihen, weil Sie alles ändern wollten - in den Betrieben entsprechende Tarifverträge abgeschlossen worden sind und wie viele Menschen sich mittlerweile mit privaten Verträgen an ihrer Altersvorsorge beteiligen.

   Aus diesem Grund sollten vor dem Hintergrund der notwendigen Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das uns aufgegeben hat, die Besteuerung der Pensionen und Renten in Übereinstimmung mit der Verfassung zu regeln, keine weiteren Ängste geschürt werden. Wir werden die Vorschläge der Kommission genauso wie die ergänzenden Vorschläge zur Vereinfachung und vielleicht Erweiterung der Riester-Rente vernünftig bewerten.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das ist auch sehr wichtig!)

Uns geht es darum, dass es für die Menschen in Zukunft eine verlässliche und die derzeitigen Renteneinkommen berücksichtigende klare politische Grundlage gibt.

   Wir halten Ihren Antrag auch aufgrund Ihrer Forderung, das Wohneigentum stärker zu fördern, für nicht umsetzbar und nicht erforderlich, weil - das ist ganz klar und eindeutig - mit der Eigenheim- und der Bausparzulage bereits jetzt ausreichende Möglichkeiten dazu bestehen, das Wohneigentum zu fördern.

   Mit der bisherigen Reformpolitik, insbesondere mit der steuerlichen Entlastung der geringen Einkommen, der Erhöhung des Etats für Bildung und Forschung um 25 Prozent seit 1998, der Gewährung zusätzlicher Kredite an die Gemeinden, sodass sie investieren können und somit Nachfrage schaffen können, und der Maßnahmen im Rahmen der Agenda 2010, werden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Wandel in Deutschland so gestaltet werden kann, dass zusätzliche Beschäftigung entsteht und dass der Fortschritt sowie die Renten - mit den entsprechenden Nachjustierungen - gesichert werden.

   Die zukünftige Entwicklung ist nicht ohne Risiken, aber auch nicht ohne Chancen. Bezüglich der Höhe des Rentenversicherungsbeitrages in diesem Jahr werden Planungen durchgeführt und Prognosen erstellt. Es gilt jetzt, das offensiv zu nutzen und nicht schwarz zu malen, sondern den notwendigen Reformprozess gemeinsam mutig zu gestalten.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Es gilt aber auch, nicht rosarot zu malen!)

   Herr Kollege Storm, wir sind sehr gespannt, wie sich die Opposition verhalten wird, wenn diesem Haus einerseits unsere Entscheidung bezüglich der Gestaltung des Nachhaltigkeitsfaktors und andererseits die Bewertung des im Herbst tagenden Schätzerkreises - er wird die Prognosen für das nächste Jahr abgeben und womöglich einen Bedarf für Nachjustierungen sehen - vorliegen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Konstruktiv, wie bisher!)

Ich kann nur herzlichst darum bitten, sich diesem Reformprozess anzuschließen und sich nicht aus parteipolitischen Gründen zu verweigern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Darauf können Sie sich verlassen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Satz des heute hier zu beratenden FDP-Entschließungsantrags vom 15. Januar dieses Jahres war nie aktueller als in diesen Tagen.

(Beifall bei der FDP)

Dort heißt es nämlich zutreffend: „Die Rentenpolitik der Bundesregierung ist ein einziges Desaster.“

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

   Sie haben mit Ihrer Rentenpolitik seit Ihrem Regierungsantritt fünf wertvolle Jahre vertrödelt. Es ist heute vollkommen klar - ich kann nur hoffen, dass Sie das mittlerweile auch so sehen -, dass es unverantwortlich war, den demographischen Faktor ersatzlos zu streichen. Wir haben Sie damals nachdrücklich gewarnt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Es war unverantwortlich, mit der Ökosteuer, die heute 17 Milliarden Euro ausmacht, frisches Geld in ein nicht zukunftsfähiges System zu leiten,

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ansonsten wären die Beiträge noch höher!)

anstatt mit wirksamen Strukturreformen die Voraussetzungen für eine breite und dauerhafte Beitragssenkung zu schaffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Frau Kollegin Bender, die Bürger stellen jetzt fest, dass das Fass keinen Boden hat. Die Bürger zahlen die Ökosteuer und die Beiträge steigen dennoch munter weiter. Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie, wie hoch die Beiträge ansonsten lägen! Sie lägen um 1,7 Prozentpunkte höher!)

   Herr Staatssekretär Thönnes, im Rahmen der Rentenreform haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern versprochen, dass der Beitragssatz im Jahre 2004 bei 18,7 Prozent liegen wird. Sie rühmen sich damit, dass er heute bei gerade einmal 19,5 Prozent liegt. Dabei unterschlagen Sie aber, dass die Ökosteuer umgerechnet rund zwei Beitragssatzpunkte ausmacht. Das ist die Wahrheit, Herr Staatssekretär Thönnes!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, eben!)

   Sie unterschlagen ebenfalls, dass bereits heute feststeht - der Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger geht mittlerweile zwingend davon aus -, dass der Beitragssatz bis Ende dieses Jahres auf mindestens 19,8 Prozent steigen wird.

(Detlef Parr (FDP): Hört! Hört!)

Diese Schätzung wurde noch vor dem Hintergrund der Wachstumsprognose der Bundesregierung, die von 0,75 Prozent ausging, abgegeben. Das ist aber vollkommen unrealistisch. Das ist doch die Wahrheit!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, ist die von Rot-Grün in zwei Stufen abgesenkte Schwankungsreserve im Monat April erstmals unter den Referenzwert von 0,5 einer Monatsausgabe gefallen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Leider!)

In der Konsequenz heißt das, Frau Kollegin Bender - ich darf Sie namentlich ansprechen;

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne!)

wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das zu -: Wir müssen schon heute davon ausgehen, dass der Beitragssatz im Jahre 2004 über 20 Prozent liegen wird. Das heißt, Arbeitsplätze werden weiter vernichtet und die Spiralbewegung verläuft weiter nach unten. Wir haben das schon im Januar in unserem Entschließungsantrag vorausgesagt. Sie haben das als Panikmache bezeichnet und es geleugnet. Aber es ist leider genau so gekommen, wie wir es prognostiziert haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deswegen, Herr Staatssekretär Thönnes, haben Sie heute in diesem Haus, sozusagen als Prokurist stellvertretend für Ihre Ministerin, den Offenbarungseid einer verfehlten Rentenpolitik ablegen müssen. Trotz Einführung der Ökosteuer, trotz Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und trotz zweimaliger Absenkung der Rentenreserve kann der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht einmal stabilisiert, geschweige denn gesenkt werden.

   Jetzt machen die Verursacher dieses Chaos hektisch Vorschläge, wie man mit diesem Fiasko umgehen soll. So schlägt die Fraktionsvorsitzende der Grünen Göring-Eckardt eine pauschale Rentenkürzung bei höheren Renteneinkommen vor. Der Bundesfinanzminister deutet an, man könne ja den Krankenversicherungsbeitrag der Rentenversicherung abschmelzen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ist alles Flickwerk. Das ist auch angesichts der demographischen Herausforderung, die unaufhaltsam auf uns zukommt, keine langfristige Strategie zur Behebung der finanziellen Misere der Rentenversicherung.

(Beifall bei der FDP)

   Darüber hinaus will der Bundesfinanzminister zusätzlich an der Riester-Förderung sparen. Das ist jetzt wirklich die absurdeste Forderung, die man überhaupt erheben kann. Sie haben mit der Rentenreform 2001 das Rentenniveau deutlich abgesenkt. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, dass die Riester-Reform in Wirklichkeit eine verkappte Rentenkürzung war.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): So ist es!)

Sie haben diese Maßnahme damals mit der grundsätzlich richtigen, leider aber völlig überregulierten Förderung der privaten kapitalgedeckten Alterssicherung verbunden.

   Nach dem blamablen Start der Riester-Rente, die bis heute gerade einmal 3 Millionen Bürger - diese Zahl stammt aus einer Umfrage des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft - abgeschlossen haben, wollen Sie ausgerechnet an dem einzigen innovativen Instrument der Riester-Reform sparen. Sie provozieren damit absehbar Altersarmut bei der jetzigen Generation der 30- bis 50-Jährigen, die schon jetzt die historisch höchsten Beitragssätze zahlen. Das nennen Sie von Rot-Grün „kohärente und nachhaltige Politik“. Ich sage Ihnen, Herr Staatssekretär: Das ist in der Tat ein Scherbenhaufen, vor dem Sie hier stehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die schlimmsten Populisten in diesem Zusammenhang sind aber die Grünen. Wenn führende Politiker der Grünen, wie Frau Katrin Göring-Eckardt oder auch der Kollege Markus Kurth, der im Plenum gerade anwesend ist, immer wieder die Einbeziehung von Beamten und Freiberuflern in die gesetzliche Rentenversicherung fordern, dann ist dies das Schüren einer Neiddiskussion und blanker Populismus.

(Beifall bei der FDP)

Jeder Rentenexperte in der Bundesrepublik Deutschland, ob er nun Rürup oder Raffelhüschen heißt, verweist darauf, dass eine Einbeziehung von Freiberuflern und Beamten in die Rentenversicherung keine Lösung der demographischen Herausforderung darstellt, sondern die Finanzierungskrise der gesetzlichen Rentenversicherung noch verschärft.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat etwas mit horizontaler Gerechtigkeit zu tun! - Aber davon versteht die FDP nichts!)

   Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen, Frau Bender. Mein Großvater hat mir die Geschichte von dem Bauern erzählt, der Eier für 20 Pfennig pro Stück produziert und sie für 15 Pfennig verkauft.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Es waren wohl eher die Hühner!)

Darauf angesprochen, dann mache er doch einen Verlust von 5 Pfennig pro Ei, antwortete der Bauer: Die Masse macht’s.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Genau das ist der Punkt. Auch Beamte erwerben Ansprüche, ebenso werden Freiberufler älter. Kurzfristig höheren Einnahmen stehen langfristig höhere Defizite gegenüber. Verabschieden Sie sich endlich von dieser Schnapsidee.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Alles in allem: Wir müssen uns in diesem Haus - dazu fordere ich Sie nachdrücklich auf - endlich den Realitäten stellen; denn ab 2010 wird der Reformdruck aufgrund des demographischen Wandels dramatisch zunehmen. Angesichts dieser Herausforderung brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik. Wir haben auf dem Parteitag in Bremen einen solchen Paradigmenwechsel beschlossen. Wir werden ihn in Antragsform in Kürze in dieses Haus einbringen. Ich kann Sie nur auffordern, uns auf diesem Weg zu begleiten.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender vom Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kolb, manchmal frage ich mich, ob die Gesetze der Logik eigentlich auch in diesem Hause

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Nicht für alle! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das frage ich mich bei Ihnen immer!)

bzw. auch für Ihre Fraktion gelten. Sie erklären hier vom Rednerpult, es sei entsetzlich, dass mit den Einnahmen aus der Ökosteuer die Rentenversicherung mitfinanziert wird. xxxxx

Gleichzeitig legen Sie selber dar, dass der Beitrag zur Rentenversicherung um nahezu zwei Prozentpunkte höher wäre, wenn wir die Ökosteuer nicht hätten. Anschließend beklagen Sie, dass der Rentenversicherungsbeitrag so hoch liegt, wie er ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie haben fünf Jahre Zeit verloren! Das werfen wir Ihnen vor! Wir könnten heute anders dastehen!)

Wie das zusammengeht, das müssen Sie mir einmal erklären. Aber da werden Sie wie in den Schulen ein PISA-Problem bekommen. Das nimmt Ihnen einfach niemand ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Nun komme ich zu Ihrem Eierbeispiel.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sehr lehrreich!)

Ich gebe zu, es ist unterhaltsam. Die grüne Idee der Bürgerversicherung bedeutet in der Tat, alle Menschen, auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige, in die Rentenversicherung einzubeziehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erwerben die Ansprüche? Werden die älter?)

Dies ist - lassen Sie mich das deutlich sagen, Herr Kollege - kein Beitrag zur Lösung des demographischen Problems und kein Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Es ist ein Beitrag zur horizontalen Gerechtigkeit,

(Andreas Storm (CDU/CSU): Und kein Beitrag zur Lösung des Einnahmeproblems!)

weil alle dann in dem Sicherungssystem sind und alle dazu beitragen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wenn alle gleich leiden, ist das Gerechtigkeit!)

Es wäre auch glaubwürdiger, Herr Kollege, wenn wir Abgeordnete Maßnahmen zur Rentenversicherung diskutieren würden, die uns selber betreffen. Das wäre dazu geeignet, in der Bevölkerung in besonderem Maße Akzeptanz zu erreichen, während man so immer weiß, dass wir über anderer Leute Geld reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das verstehe, wer will!)

Herr Kollege Storm, Sie beschweren sich auch über die Höhe der Beiträge. Manchmal nützt ein Blick ins Archiv. Ich habe mir den Spaß erlaubt. Es gab eine Zeit vor der letzten Wahl, in der Rot-Grün die Mehrheit errungen hat.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Vor der vorletzten Wahl!)

Da hat sich Kollege Seehofer, der heute vielleicht nicht ganz zufällig nicht anwesend ist, hingestellt und den Rentnern versprochen, es gebe einen Nachschlag, wenn die CDU/CSU die Wahl gewinne. „Wir zahlen euch höhere Renten“, hat er damals gesagt. Der Wirtschaftsweise Rürup hat ihm vorgerechnet, dass das 2,5 Milliarden Euro gekostet hätte. Ich frage Sie: Wer hätte denn das bezahlt? - Doch die heutigen Beitragszahler. Sie aber vergießen Krokodilstränen über die Höhe der Beiträge. Sie sollten sich selber an die Nase fassen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sie müssen Ihre Hausaufgaben schon selber machen!)

Die CDU/CSU ist bisher jedenfalls nicht als Vertreterin des Prinzips der Generationengerechtigkeit aufgefallen - um das einmal deutlich zu sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Andreas Storm (CDU/CSU): Weil ihr Renten nach Kassenlage zum Prinzip macht! - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Seit 1998 seid ihr doch dran! - Andreas Storm (CDU/CSU): Zum dritten Mal, dass Sie die Rentenanpassung aussetzen!)

   Es war hingegen die rot-grüne Regierung, die durch die letzte Rentenreform die Weichen für eine nachhaltige Finanzierung und für die Gerechtigkeit zwischen den Generationen gestellt hat. Ich darf darauf hinweisen, dass es Teil dieser Reform ist, dass auch die Rentner und Rentnerinnen ihren Anteil zur der Stabilisierung der Beiträge leisten. Ich will für die Grünen deutlich sagen: Wir halten an diesem Grundsatz fest. Das heißt auch - auch dieses gilt es, ehrlich zu sagen -, dass weitere Maßnahmen notwendig sind.

   Alle Experten sind davon ausgegangen, dass es gelingen würde, durch die damals getroffenen Maßnahmen zur Rentenreform bis 2020 einen Beitragssatz von 20 Prozent und bis 2030 einen Beitragssatz von 22 Prozent zu halten. Nach den aktuellen Schätzungen müssen wir davon ausgehen, dass dieses nicht der Fall sein wird. Deswegen besteht Handlungsbedarf. Ich sage Ihnen im Namen der Grünen: Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Beitragssatz von 19,5 Prozent im nächsten Jahr nicht steigen wird.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das glauben Sie selber nicht!)

Eine solche Steigerung zulasten der jüngeren Generation werden wir nicht hinnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Es ist Pfingsten und nicht Weihnachten, Frau Bender! Da wünscht man sich nichts!)

Das heißt auch - Politik soll ja immer ehrlich sein -, dass es im nächsten Jahr nicht möglich sein wird - ich sage das sehr deutlich -, die Renten zu erhöhen. Wir werden die Rentenerhöhung um ein Jahr aussetzen müssen. Wenn wir erklären, dass dieses im Interesse der Kinder und Enkel derjenigen geschieht, die es betrifft, weil wir höhere Beiträge vermeiden wollen, dann werden wir auch auf Verständnis stoßen. Davon bin ich überzeugt.

   Ich will aber auch gerade an die Adresse der Opposition deutlich sagen: Es handelt sich dabei nicht um eine Rentenkürzung, sondern wir reden über eine Aussetzung der Rentenerhöhung.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Das ist eine dauerhafte Kürzung! - Andreas Storm (CDU/CSU): Eichel redet von Rentenkürzung!)

Um Ihren längeren Passagen, Herr Kollege Storm, über Kürzungen im Allgemeinen und im Besonderen gerecht zu werden,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das müssen Sie uns nach den Gesetzen der Logik erklären!)

sage ich auch: Der Finanzminister hat nicht immer Recht.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das ist wieder das „negative Wachstum“!)

   Bevor ich zu der Frage komme, wie eine neue Rentenreform aussehen muss, will ich zu zwei Dingen Stellung nehmen, die gern von der CDU/CSU behauptet werden. Das eine ist der Mythos, dass alles geregelt wäre, wenn man den demographischen Faktor beibehalten hätte. xxxxx

Herr Kollege Storm, dem ist nicht so.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aber wir wären ein Stück weiter, Frau Bender!)

Mit Ihrem demographischen Faktor wären die Renten bis 2010 stärker gestiegen, als es mit der bereits beschlossenen Rentenreform der Bundesregierung der Fall ist. Das sollten Sie vielleicht auch deutlich machen.

   In Ihrem Antrag findet sich der Vorschlag, die Rentenzugangsberechtigung von der Lebensarbeitszeit der Versicherten abhängig zu machen. Haben Sie sich das auch gut überlegt? Schließlich richtet sich die Höhe der Rente bereits jetzt nach der Dauer und Höhe der Einzahlungen.

   Wenn Sie den Renteneintritt zusätzlich von der Lebensarbeitszeit abhängig machen wollen, dann bedeutet das, dass Menschen zu unterschiedlichen Zeiten in Rente gehen können, obwohl sie im Laufe ihres Lebens Einzahlungen in gleicher Höhe und über die gleiche Zeitdauer hinweg geleistet haben, weil sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten damit begonnen haben. Mithin bekommen Menschen, die in jüngeren Jahren angefangen haben, insgesamt eine wesentlich höhere Rente. Damit schaffen Sie eine Zweiklassengesellschaft unter den Rentnern. Was daran fair sein soll, müssen Sie mir noch erklären.

   Ich füge hinzu: Mit einem solchen Mechanismus würden Sie besonders Frauen benachteiligen. Es ist doch interessant, dass die CDU/CSU auf diese Weise ausgerechnet die Rente von Frauen absenken will. Das werden wir uns merken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wer hat denn die Rente für Frauen um 5 Prozent gekürzt? Das war doch Rot-Grün und nicht wir!)

   Jetzt komme ich zu dem, was wir über kurzfristige Maßnahmen hinaus zur Stabilisierung des Beitragssatzes im nächsten Jahr unternehmen müssen. Die Rürup-Kommission hat in diesem Zusammenhang gute Vorschläge vorgelegt. Sie schlägt zum einen die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors vor, mit dem bei der Entwicklung der Renten die Zahl der Jüngeren im Verhältnis zur Zahl der Älteren berücksichtigt würde. Das halten wir für richtig.

   Ein weiterer Vorschlag, der zunächst bei vielen Skepsis hervorruft, lohnt es aber, ihn näher zu betrachten, nämlich ab dem Jahr 2011 das Renteneintrittsalter zu erhöhen, sodass es jährlich um einen Monat bis auf 67 Jahre steigt.

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Ist das jetzt ein Koalitionsbeschluss?)

   Gegen dieses hohe Renteneintrittsalter wenden viele ein, dass ältere Menschen zurzeit keine Arbeit finden. Das ist zwar richtig, aber es geht bei dem Vorhaben um das Jahr 2011,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann regieren wir wieder! Dann wird es besser!)

einen Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaft wahrscheinlich händeringend Arbeitskräfte suchen wird. Es geht um einen Übergangszeitraum von 24 Jahren. Für jemanden beispielsweise in meinem Alter - ich bin Jahrgang 1956 - würde das bedeuten, elf Monate länger zu arbeiten als nach heutigem Recht.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ist das die Koalitionsbeschlusslage oder ist es Wunschdenken, was Sie uns vortragen?)

   Wenn Sie berücksichtigen, dass nach allem, was wir wissen, heutzutage Menschen mit 70 so gesund sind wie in den 60er-Jahren Menschen mit 65, dann teilen Sie sicherlich meine Auffassung, dass es sich um eine richtige Maßnahme zur Finanzierung der Rentenversicherung handelt,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ist das denn in der Koalition abgestimmt, Frau Kollegin Bender? - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Die SPD fällt schon in Ohnmacht!)

die auch der Tatsache Rechnung trägt, dass wir alle älter werden und dabei gesünder bleiben und dass deshalb die Aktivität im Erwerbsalter von uns allen angestrebt werden sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Bender, kommen Sie bitte zum Schluss!

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dann fasse ich mich kurz.

   Selbstverständlich muss auch die kapitalgedeckte Vorsorge weiterhin eine Rolle spielen. Sie muss weiter ausgebaut werden. Die Grünen haben die Einrichtung eines Altersvorsorgekontos vorgeschlagen, wodurch unterschiedliche Anlageformen steuerlich gefördert würden. Das würde den Menschen eine größere Wahlfreiheit ermöglichen und wäre von daher sicherlich ein guter Beitrag für die Sicherung des gesamten Lebensstandards im Alter.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Bender, das war jetzt der Schluss Ihrer Rede. Vielen Dank.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Storm, spielen Sie nicht den Rächer der - angeblich - „enterbten“ Rentner, sondern erklären Sie sich zu einer Rentenreform bereit, die auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit berücksichtigt! Dann finden wir zueinander.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Die wäre schon gerechter, wenn ihr unsere nicht zurückgenommen hättet!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Hildegard Müller von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hildegard Müller (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Klarheit über Rentenfinanzen und Alterssicherung schaffen - Notwendige Reformmaßnahmen nicht auf die lange Bank schieben“ lautete der Titel des Entschließungsantrags der CDU/CSU, den wir eigentlich jetzt beraten sollten. „Klarheit über Rentenfinanzen und Alterssicherung schaffen“ war auch die Überschrift einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion vom April, die ich mir in Vorbereitung auf diese Debatte noch einmal durchgelesen habe. Wenn ich die Antwort der Bundesregierung auf unsere damalige Anfrage nehme und um das ergänze, was heute gesagt worden ist, Herr Thönnes, dann muss ich feststellen: Sie haben leider überhaupt keine konkreten Vorschläge zur Klarheit der Rentenfinanzierung gemacht. Frau Bender, auch von Ihnen sind scheinbar mehr Absichtserklärungen gekommen als tatsächliche Koalitionsbeschlüsse; jedenfalls ist mir insbesondere das, was Sie zur Heraufsetzung des Renteneintrittsalters gesagt haben, nicht bekannt gewesen. So kann ich also nur feststellen, dass bei der Regierung und bei Rot-Grün keine Klarheit darüber herrscht, was man bei der Rentenfinanzierung vorhat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wer die Schlagzeilen dieser Woche einmal betrachtet, der muss unweigerlich an den Refrain eines Spottliedes aus dem Jahre 1928 denken. Dieser lautet: „Wir schlagen Schaum - Wir seifen ein.“

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die vor zwei Wochen den 140. Geburtstag ihrer Partei feiern konnten, wird dieses „Seifenlied“ von Ernst Busch vielleicht noch etwas sagen; denn dieses Lied war die Reaktion der Bevölkerung auf den SPD-Wahlkampf zur Reichstagswahl von 1928. Es war schon damals der passende Kommentar zu gebrochenen Wahlversprechen. Dieser Kommentar passt auch zur aktuellen Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was haben wir uns im Wahlkampf nicht alles anhören müssen! Wider besseres Wissen wurden Zahlen vertuscht und schöngefärbt. Wenn man sich die aktuelle Lage anschaut, dann stellt man fest, dass sie sehr dramatisch ist. Diesen Eindruck haben nicht nur die Unionsfraktion und ich, sondern diesen Eindruck hat auch die Bevölkerung in unserem Land. Übrigens, Frau Bender, drei Rentenanpassungen auszusetzen ist noch keine Reform.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso drei?)

Ich gebe Herrn Bundesfinanzminister Eichel - ich freue mich, dass ich das ausnahmsweise einmal tun kann - Recht, wenn er sagt, dass dies in Wahrheit Rentenkürzungen und nichts anderes seien.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Schlagzeilen dieser Woche lauten: „Absurdes Renten-Theater“, „Gefährliches Zündeln an der Rente“, „Renten im Steuerloch“ und „Renten nach Kassenlage“. Aus diesen Schlagzeilen kann meiner Ansicht nach nur eines abgeleitet werden: Die Rente und die Höhe des Beitragssatzes in der Rentenversicherung sind bestimmt nicht sicher. Außerdem sollten Sie, Frau Bender, die Ökosteuer in Ihrer Argumentation zur Kassenlage der Rentenversicherung immer berücksichtigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sicher sind aber auch nicht mehr die Aussagen der Koalitionäre zur eigenen Rentenpolitik. Diesen Eindruck muss man einfach gewinnen, wenn man die inflationäre Flut der Schreckensnachrichten aus dem Regierungslager verfolgt. Einmal soll das Rentenalter heraufgesetzt werden. Ein anderes Mal soll die Riester-Förderung beschnitten werden. Ein weiteres Mal stehen die Kindererziehungszeiten zur Disposition. Dann ist in einem Papier, das intern schon vorliegen soll, angeblich von dem Ende der Schwankungsreserve die Rede. Ich finde, das ist eine der unverantwortlichsten Ideen, die ich in diesem Zusammenhang jemals gehört habe.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dann soll wieder einmal die Anpassung der Altersbezüge ausgesetzt werden. Frau Lotz, Sie werden mir bestimmt sagen können - Sie werden ja nach mir reden -, ob die Koalition das Heraufsetzen des Renteneintrittsalters beschlossen hat. Ich jedenfalls habe aufseiten der Sozialdemokraten Fassungslosigkeit angesichts der Aussagen von Frau Bender wahrgenommen. Ich hoffe, dass Sie das gleich aufklären werden.

   Schließlich erwacht auch der demographische Faktor von Norbert Blüm kaum verkleidet wieder zu neuem Leben. Für diesen Faktor hat die SPD uns nicht nur 1998 als „unanständig“ beschimpft. Noch am 17. August 2002 erklärte der Bundeskanzler bei der Betriebsrätekonferenz der IG BAU in Dortmund:

Wir haben den Unsinn des demographischen Faktors gestoppt und eine faire und zukunftsweisende Reform durchgesetzt.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Jetzt hat Seehofer die Wiedereinführung des demographischen Faktors angekündigt. Das war vor vier Jahren unanständig und das ist heute genauso unanständig.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Parteitagsbeschluss der SPD vom vergangenen Sonntag kann man nun lesen:

Ein Nachhaltigkeitsfaktor

- oh Wunder! -

ist ein geeignetes Instrument, um der sich verändernden Relation zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern Rechnung zu tragen. Und das ist in der Rentenanpassungsformel zu berücksichtigen.

Das ist doch nichts anderes als ein demographischer Faktor. Ich möchte Sie fragen: Ist das unanständig oder nicht? Hören Sie mit Ihrer Polemik gegen die CDU/CSU auf; denn der demographische Faktor war ein richtiger Schritt. Sie haben mit Ihrer falschen Rentenpolitik fünf Jahre vertändelt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich freue mich ja, das aus Regierungsmund zu hören, und auch darüber, dass endlich ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit geleistet werden soll. Dass dies aber nur ein erster Schritt ist, wissen wir alle; denn wir haben wertvolle Zeit dadurch verloren, dass Sie diesen Faktor, der eine wirklich systematische Verteilung der Lasten aus der demographischen Entwicklung auf alle Generationen hätte sicherstellen können, 1998 abgeschafft haben. Wie und wann und wieso überhaupt der Demographiefaktor à la Schröder genau kommen wird, ist trotz Parteitagsbeschluss unklar. Herr Vater, der Sprecher von Frau Schmidt, hat am Montag vor der Regierungspressekonferenz das Jahr 2005 angesprochen. Vor dem Parteitag haben wir immer gehört, 2011 sei das Jahr; vorher könne der Faktor eh nicht wirksam werden. Ich appelliere deshalb noch einmal an Sie: Schaffen Sie Klarheit - heute haben Sie bisher wieder nichts zur Klarheit beigetragen -, damit die Menschen endlich wissen, wie ihre Altersversorgung aussehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Auch in der zweiten Säule der Altersvorsorge haben wir weiterhin Stillstand. Angesichts des Durcheinanders bei Rot-Grün braucht man sich darüber nicht zu wundern. Die Leute sind verunsichert.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dazu tragen Sie heftig bei!)

Das zeigt sich an den Zahlen. Bis Ende 2002 wurden gerade einmal 3,4 Millionen Verträge über eine Riester-Rente abgeschlossen. Bei 30 Millionen förderfähigen Bürgern entspricht das 11,3 Prozent. Nach Umfragen wollen 70 Prozent der Bundesbürger überhaupt keinen Vertrag über eine Riester-Rente abschließen. Diese fatale Analyse hat die Bertelsmann-Stiftung in der letzten Woche noch einmal ausdrücklich bestätigt. Die Bereitschaft der Bundesbürger, für das Alter privat vorzusorgen, ist nach ihren Analysen in den vergangenen Monaten spürbar gesunken.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist fatal!)

Das ist eine Reaktion auf die Unsicherheit und das Durcheinander, das wir von der Regierungsseite erleben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

   Die Bertelsmann-Stiftung und Mitglieder der Rürup-Kommission, die Sie ja immer nur zitieren, wenn es Ihnen passt, haben dringend eine Reform der Rente auch in diesem Bereich angemahnt, weil das sonst zur lahmen Ente werden würde. Wenn wir angesichts der Zahlen nicht endlich zu Veränderungen kommen, wird nur ein Drittel der Zahl von Menschen, die ursprünglich angenommen worden war, einen solchen Vorsorgevertrag abschließen.

   Deshalb rate ich noch einmal dazu, auf die Gründe zu schauen - die Bertelsmann-Stiftung hat das bestätigt -: zu viel Bürokratie, schlechte Information und fehlende Transparenz. Herr Thönnes, reden Sie nicht immer nur darüber, was man ändern muss! Schaffen Sie Fakten! Bringen Sie hier endlich Anträge ein, die wirklich zur Verbesserung der Lage führen!

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wer regiert hier eigentlich? Ich fürchte, niemand!)

   Es reicht nicht aus, dass es in der Koalitionsvereinbarung heißt:

Wir werden ... die Aufwendungen für die Altersvorsorge schrittweise von der Besteuerung befreien.

Wenn Sie das nicht gleichzeitig auch in der privaten Säule tun, ist das kontraproduktiv und wird verhindern, dass mehr Verträge abgeschlossen werden.

   Bei der sich parallel dazu entwickelnden betrieblichen Altersvorsorge zeigt sich, dass sie durch die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze deutlich geschwächt worden ist. Sie können uns nach wie vor keine Angaben darüber machen. Alle Experten haben in den Anhörungen angeregt, hier zu Veränderungen zu kommen. Sagen Sie uns, wie es auch in der betrieblichen Altersvorsorge durch Ihre Rentenreform zu einer Verschlechterung gekommen ist! Schaffen Sie Klarheit! Sehen Sie Ihre Fehler ein! Tragen Sie endlich zu einer Rentenreform im Sinne aller Generationen in diesem Land bei! Vertuschen Sie nicht weiter die Zahlen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz von der FDP-Fraktion.

Erika Lotz (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Beim Studieren des CDU/CSU-Antrags habe ich mir natürlich die Frage gestellt: Um was geht es Ihnen? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Ihnen nicht so sehr um die Sache, also um die Rente, und auch nicht um Klarheit über die Rentenfinanzen, sondern darum geht, Rentner und Rentnerinnen, aber auch die Beitragszahler zu verunsichern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Andreas Storm (CDU/CSU): Frau Lotz, das ist Ihre Rede von vor vier Jahren!)

Verbreitung von Zukunftsängsten führt nicht zu einer Lösung. Das ist nicht redlich. Redlich ist auch nicht, so zu tun, als wäre die Bundesrepublik eine Insel, auf welche weltweite konjunkturelle Probleme keinen Einfluss hätten. Wir haben ein Wachstumsproblem - ebenso wie die USA, Japan und andere Staaten Europas. Das mindert unsere Chancen.

   Frau Kollegin Müller, Sie haben vorhin die Worte „sichere Renten“ in den Mund genommen. Deshalb will ich an Folgendes erinnern: Es war der ehemalige Arbeitsminister Blüm, der immer von den sicheren Renten gesprochen hat.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Und Sie haben kräftig Beifall geklatscht! - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sie haben dessen Rentenreform rückgängig gemacht!)

Aber Sie haben Veränderungen durchführen müssen - so wie auch wir.

   Ich will Ihnen auch nicht ersparen, noch einmal an Folgendes erinnert zu werden: 1998 betrug der Rentenversicherungsbeitrag 20,3 Prozent. Ein Beitragssatz von 19,5 Prozent ist nach Adam Riese wohl niedriger.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das ist doch nicht redlich! - Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Haben Sie schon mal das Wort Selbstbetrug gehört?)

Seit 30 Jahren werden in Deutschland weniger Kinder geboren. Die Lebenserwartung nimmt kontinuierlich zu. Der demographische Wandel - das wissen Sie selbst - findet nicht nur in Deutschland statt. Sie entnehmen den Medien, dass die Diskussionen über Veränderungen bei der Rente dementsprechend geführt werden.

   Was will ich damit sagen? Egal wie ein Rentensystem aufgebaut ist: Demographische Veränderungen erfordern ein Nachsteuern im System. Das haben wir schon 2001 gemacht: Mit der Einführung der kapitalgedeckten, staatlich geförderten, zusätzlichen privaten Alterssicherung haben wir dafür gesorgt, dass die Menschen eine zweite Säule in der Alterssicherung aufbauen, die der Sicherung des Lebensstandards dient.

   Nun hören Sie doch endlich auf, die Riester-Rente zu kritisieren,

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Weil sie so perfekt ist!)

nur weil sie nicht von Ihnen stammt! Über 30 Millionen Arbeitnehmer haben Anspruch auf die staatliche Förderung; sie ist aber nicht nur staatlich, sondern auch stattlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Eine Familie mit zwei Kindern und 30 000 Euro Bruttogehalt erhält für eine jährliche Gesamtversorgung in Höhe von 1 200 Euro 678 Euro Förderung;

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist die Rede von vor zwei Jahren!)

das sind mehr als 50 Prozent; das ist familien- und arbeitnehmerfreundlich. Dadurch wurde die betriebliche Altersvorsorge wieder attraktiv. Experten schätzen, dass zwischen zwei Drittel und Dreiviertel der Beschäftigten eine Betriebsrente aufbauen werden. Die Versicherungsgesellschaften melden, dass bis heute 3,7 Millionen andere Verträge zur Altersvorsorge - Herr Kolb, nicht, wie Sie vorhin sagten, 3 Millionen - abgeschlossen worden sind. Ich meine, wir sind in diesem Bereich auf einem guten Weg. Die Menschen müssen umdenken - das heißt, sie müssen frühzeitig an das Alter denken -; das ist ein Prozess, der etwas Zeit braucht.

   Wir werden auch die Möglichkeit von Vereinfachungen prüfen und sicherstellen, dass die entsprechenden Produkte in Zukunft bei gleichen Beiträgen gleiche monatliche Leistungen für Männer und Frauen vorsehen. Das ist unser Ziel. Man erreicht das Ziel, Arbeitnehmer zu motivieren, eine zusätzliche Altersvorsorge abzuschließen, nicht dadurch, dass man diese madig macht, so wie Sie es tun. Was dieses Ziel angeht, erweisen Sie einen Bärendienst.

   Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. Ich gehöre zu den Menschen, die ihre Ausbildung mit 14 Jahren begonnen haben. Wir alle wissen, dass dies schon lange nicht mehr die Regel ist. Der Einstieg ins Erwerbsleben beginnt später. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass ein früherer Ausstieg auch wegen der demographischen Veränderung nicht möglich ist. Wir müssen die Frühverrentung deshalb stoppen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wie bitte? Das ist ja sensationell!)

Der Rentenbeginn und die Regelaltersgrenze von 65 Jahren müssen sich annähern. Ich denke, solange wir noch eine so hohe Arbeitslosigkeit haben wie derzeit, ist es müßig, über eine Anhebung der Altersgrenze zu diskutieren. Das versteht niemand. Wir haben mit den Hartz-Gesetzen erste Schritte getan, um es den Arbeitgebern zu erleichtern, ältere Arbeitslose einzustellen. Arbeitslose ab 52 können ohne Grund befristet eingestellt werden. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entfallen für den Arbeitgeber bei Einstellung von Arbeitslosen über 55.

   Ich appelliere an die Arbeitgeber, auch älteren Arbeitnehmern Qualifizierungsangebote zu machen. Wir können nicht mehr zulassen, dass sich Unternehmer mit relativ geringem Eigenaufwand von Arbeitnehmern über 55 Jahren auf Kosten der Sozialkassen trennen. So werden wir keine Beiträge senken können. Wir können auch den nachfolgenden Generationen nicht die damit verbundenen Belastungen aufbürden.

   Das deutsche Rentensystem hat schon gewaltige Belastungen getragen; die größte Leistung war die Finanzierung der deutschen Einheit. Rentnerinnen und Rentner der neuen Länder sind Teil dieses Systems. Kein anderes, kein kapitalgedecktes System hätte dies leisten können.

(Beifall bei der SPD)

   Ich sage aber auch: Es war falsch, die deutsche Einheit allein über die Sozialversicherungssysteme zu finanzieren.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Dafür sind die Bundeszuschüsse erhöht worden! Das wissen Sie!)

Das muss man bei aller Kritik - egal ob an der Ökosteuer oder eben am erhöhten Bundeszuschuss - bedenken. Das muss man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen. Wer die Ökosteuer kritisiert, verschweigt, dass damit letztendlich gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanziert werden.

Der Generationenvertrag funktioniert, aber ein Nachsteuern war schon in der Vergangenheit notwendig und wird in der Zukunft nicht auszuschließen sein; die Gerechtigkeit zwischen, aber auch innerhalb der Generationen erfordert dies. Ich denke, was für die Rentenversicherung gilt, muss auch für andere Versorgungssysteme wirkungsgleich gelten. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sind eingeladen, konstruktiv daran mitzuarbeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Den letzten Satz unterstreichen wir voll!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Uns von der PDS im Bundestag wird zu viel über die Rentner im Allgemeinen gesprochen, aber Rentner ist nun einmal nicht gleich Rentner. Auch bei den Renten gibt es oben und unten, Ost und West, Männer und Frauen. Zum Beispiel leben in der Bundesrepublik circa 2,5 Millionen Frauen mit einer Rente unter 300 Euro pro Monat. In den neuen Ländern wird fast jede dritte neue Rente wegen Altersarbeitslosigkeit gezahlt. Durch die progressive Erhöhung der Altersgrenzen führt das zu Abschlägen von bis zu 18 Prozent.

   Da bin ich schon bei einer wichtigen Forderung der PDS: Wir brauchen einen Zeitplan zur Angleichung der Ostrenten an die Westrenten.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Wir wollen die viel beschworene deutsche Einheit auch bei den Renten. Ich darf Ihnen sagen, dass der aktuelle Rentenwert Ost nur bei knapp 88 Prozent des Westrentenwertes liegt. Die SPD erklärt nun in Briefen an Rentnerinnen und Rentner, sie wolle einen solchen Zeitplan zur Angleichung der Rentenwerte von Ost und West nicht, und verweist dabei auf die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse. Da habe ich einen Vorschlag an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Legen Sie doch einfach einen Zeitplan für die Angleichung der Löhne und Gehälter in Ost und West vor, dann haben wir auch gleich einen Zeitplan für die Angleichung der Rentenwerte in Ost und West.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Frau Göring-Eckardt von den Grünen, hier in der Debatte schon mehrmals angesprochen, spricht viel über Generationengerechtigkeit. Jüngst dachte sie in diesem Zusammenhang über die Absenkung des Rentenniveaus nach. Das Problem ist nur, dass mit dem Begriff Generationengerechtigkeit unentwegt soziale Unterschiede verwischt werden sollen und er von vielen als Kampfbegriff missbraucht wird, der die Generationen gegeneinander aufwiegelt und die Entsolidarisierung in der Gesellschaft befördert. Es gibt nun einmal eine Erbengeneration, darunter übrigens viele grüne Wählerinnen und Wähler, die bei der geltenden Erbschaftsteuer bequem ihren Job als angenehmen Zeitvertreib verstehen können, weil sie materiell durch ihr Erbe abgesichert sind. In der gleichen Generation gibt es aber auch Menschen, die gar nichts erben werden, die nicht einmal genug Geld haben, um etwas für das Alter zu sparen.

   Wer heute einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellt, muss damit rechnen, dass sein Vermögen und Leistungen, die eigentlich der Altersvorsorge dienen sollten, auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden. Diese Arbeitslosen wollen eigenverantwortlich für das Alter vorsorgen, wie es von der Regierung verlangt wird, gleichzeitig nimmt diese ihnen ihr Vermögen aber wieder ab. Im „Stern“ dieser Woche sind dazu einige interessante Fallbeispiele aufgeführt.

   Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich noch einmal auf den Osten zu sprechen kommen. Gern wird ja angeführt, wie hoch das Rentenniveau im Osten im Vergleich zu dem im Westen sei. Laut Statistik verfügen Rentnerehepaare in den alten Bundesländern über ein durchschnittliches Nettoeinkommen, das nur ungefähr 200 Euro über dem von Rentnerehepaaren in den ostdeutschen Ländern liegt.

(Erika Lotz (SPD): Umgekehrt!)

Das klingt schon ganz gut, aber häufig wird vergessen, dass das nur die halbe Wahrheit ist; denn der Anteil der Rente am Nettogesamteinkommen im Westen beträgt bei kleineren Renten nicht einmal 50 Prozent. Mehr als die Hälfte machen Pensionen, Mieteinkünfte, Privatrenten und andere Einkommensarten aus. In den neuen Ländern wird das Nettoeinkommen der Rentnerinnen und Rentner dagegen fast ausschließlich durch die gesetzliche Rente bestritten.

   Meine Damen und Herren, wenn wir über die Weiterentwicklung des Rentensystems sprechen, müssen wir von folgenden Voraussetzungen ausgehen: Es muss sozial und solidarisch zugehen. Wir von der PDS sagen: Es muss Rente von allen für alle geben.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Gerald Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einige Aspekte der Debatte aufnehmen. Herr Staatssekretär Thönnes, Sie sagten in einer Haltung zwischen Autosuggestion und Beschwörung: Nein, unser Rentensystem ist kein Scherbenhaufen. Kann man denn nicht von einem Scherbenhaufen sprechen, wenn sich die Jahrhundertreform von 2000 in allen Werten so grundfalsch entwickelt,

(Widerspruch der Abg. Erika Lotz (SPD))

wie sie es momentan tut, und alle Ziele verfehlt werden?

Das ist doch ein Scherbenhaufen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Von sinkenden Beiträgen, Entlastung der Arbeitskosten und mehr Beschäftigung keine Rede; alle Ziele verfehlt.

   Ist es kein Scherbenhaufen, wenn in einer einzigen Woche folgende Vorschläge aus dem rot-grünen Lager kommen? Erster Vorschlag: Aussetzung der Rentenanpassung - zum dritten Mal, Herr Staatssekretär, ein willkürlicher Eingriff in die Renten und der Abschied von der beitragsabhängigen und lohnorientierten Rente; zum dritten Mal ein systemwidriger Eingriff. Ich wiederhole: ein Scherbenhaufen!

   Zweiter Vorschlag: Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner von 50 auf 75 Prozent. Sie sagen jetzt: Lassen Sie die Mär, das wollen wir gar nicht. - Das hat Herr Eichel aber gefordert.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Der ist doch nur Finanzminister, Herr Weiß!)

Wenn der Finanzminister von Ihnen als Märchenerzähler tituliert wird, dann ist das allerdings ein Stück Konsens, den wir heute feststellen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Dritter Vorschlag: Rentensplitting. Frau Göring-Eckardt blieb es vorbehalten, zu fordern, höhere Renten zu deckeln oder Renten gar nicht zu erhöhen. Das ist doch der Abschied von der leistungsorientierten Rente, von der Beitragsäquivalenz im Rentensystem, ein völlig systemwidriger Eingriff!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Dann gab es den Vorschlag, die Förderung der Riester-Rente abzubauen. Frau Lotz, Sie haben eben die kapitalgedeckte Zusatzversicherung, in Wahrheit eine ersetzende Versicherung, hervorgehoben und sie als zweite Säule bezeichnet. Das ist nur ein Säulchen und keine zweite Säule. Wenn nur 11 Prozent der Antragsberechtigten diese Möglichkeit nutzen können,

(Erika Lotz (SPD): Das wächst doch! - Gegenruf des Abg. Andreas Storm (CDU/CSU): Aber ganz langsam!)

die Einkommensschwächeren aber nicht, weil sie das nicht bezahlen können,

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das ist das Problem!)

weil wir eine sozial unausgewogene Förderung haben, weil wir zu hohe Bürokratiehürden und zu komplizierte Kriterien haben, dann ist der Weg, den Sie eingeschlagen haben, ein zwar im Grundsätzlichen richtiger Weg, aber in der Durchführung total verfehlt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir müssen - so kam es in diesen Tagen auch in der Bertelsmann-Studie zum Ausdruck - hier entbürokratisieren, müssen die Förderung verbessern. Wir dürfen die Förderung natürlich nicht kürzen, weil wir dann noch mehr Menschen den Zugang zu einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung verbauen.

   Ich komme zu einem Aspekt, den Sie, Frau Bender, gebracht haben. Sie sagten, die Aussetzung der Rentenerhöhung sei keine Rentenkürzung. Wenn bei den Rentnerinnen und Rentnern eine Nullrunde erfolgt

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind Sie jetzt dafür oder nicht?)

und die Abgaben, die Steuern und die Preise weiter steigen, bedeutet das für die Rentner ein Kaufkraftminus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie mal, was Sie tun wollen, damit die Rentenbeiträge nicht steigen!)

Zum dritten Mal betrügen Sie die Rentner. Das ist offenbar ein bereits abgestimmtes Programm. Es bedeutet ein Kaufkraftminus in den Rentnertaschen.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man kann doch nicht gleichzeitig über die Beiträge jammern und sich zum Fürsprecher der armen Rentner machen!)

   Ich nehme ein weiteres Argument von Ihnen, Frau Bender, auf. Sie sagen, die volle Rente nach 45 Beitragsjahren, die wir anstreben, würde sozusagen zu einer Klassenbildung im Rentensystem führen. Ja, das streben wir an. Wir wollen, dass diejenigen, die 45 Jahre geschafft haben, oft in körperlich schwer belastenden Berufen,

(Andreas Storm (CDU/CSU): So ist es!)

von frühester Jugend bis ins Alter hinein, und die 45 Jahre lang Beiträge eingezahlt haben, auch die volle Rente erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ja, wir sind dafür. Das ist ein Stück Leistungsgerechtigkeit und damit eine Verbesserung des Rentensystems.

   Frau Lotz, Sie haben davon gesprochen, wir müssten die Frühverrentung in der Tendenz stoppen, wir müssten die Ist-Verrentung näher an das gesetzlich festgelegte Renteneintrittsalter rücken; damit haben Sie Recht. Dennoch glaubte ich mich verhört zu haben: Vor ganz kurzem wollten Sie noch ein glorreiches Brückengeld einführen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das ist der Unterschied zwischen Reden und Handeln!)

Das wäre ein Signal für eine neue Frühverrentungswelle in Deutschland gewesen! Die Union und die FDP haben im Bundesrat verhindert, dass dieser Unsinn umgesetzt wird

(Erika Lotz (SPD): Wir wollten doch in Ostdeutschland die Abwanderung stoppen!)

und dass eine neue Frühverrentungswelle über die Bundesrepublik schwappt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): „Hartz“ lässt grüßen!)

   Nächster Punkt. Sie machen sich jetzt zum dritten Mal daran, in die Schwankungsreserve, also in die Rücklage der Rente, einzugreifen. Diesmal haben Sie sogar den Vorsatz, der Schwankungsreserve den Garaus zu machen und sie auf null zu fahren. Wenn Sie diesen Weg gehen, dann führen Sie unser Rentensystem in die totale Abhängigkeit vom Finanzminister.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie werden mit dieser Maßnahme erreichen, dass Herr Eichel im Rahmen seiner fiskalischen Handlungen täglich, ja stündlich Einfluss auf die Renten nehmen kann. Wer eine solche etatistische und staatsdirigistische Rente will, der muss diesen Schritt gehen. Wir wollen aber eine von der Finanzpolitik unabhängige Rente, deren Anpassungsmechanismen nicht vom Staat beeinflusst werden. Das ist ein ganz anderer Weg als der, den Sie einschlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Gudrun Schaich-Walch von der SPD-Fraktion das Wort.

Gudrun Schaich-Walch (SPD):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Storm, die Debatte heute Morgen hat, wie ich fand, ganz hoffnungsvoll begonnen. Sie ist jetzt allerdings an einem Punkt angekommen, an dem ich nur sagen kann: Die Opposition wird ihrer Verantwortung weder im Bundestag noch im Bundesrat gerecht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Andreas Storm (CDU/CSU): Als wenn die Bundesregierung mit Herrn Eichel ihrer Verantwortung gerecht würde!)

   Was Sie heute abgeliefert haben, zeigt, dass Sie niemandem im Haus erklären können, wohin Sie überhaupt wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Elke Wülfing (CDU/CSU): Wer regiert denn? - Andreas Storm (CDU/CSU): Wir haben ein konkretes Angebot gemacht!)

Das Einzige, was man Ihrer Rede entnehmen konnte, ist, dass Sie den Rentnern höhere Renten,

(Andreas Storm (CDU/CSU): Das ist doch gar nicht wahr!)

denjenigen, die in die betriebliche Altersvorsorge oder in die Riester-Rente einzahlen, höhere Zuschläge - damit wollen Sie die Akzeptanz steigern -

(Andreas Storm (CDU/CSU): Wollen Sie die jetzt auch abschaffen wie Herr Eichel?)

und den Beitragszahlern niedrigere Beiträge versprochen haben. Sagen Sie uns einmal, wo Ihre Gelddruckmaschine steht. Auch wir würden sie gerne nutzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nach dem Prinzip der eierlegenden Wollmilchsau! - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sie wissen es wohl besser!)

   Sie machen einen Fehler: Sie lesen entschieden zu viel Zeitung.

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Wir lesen wenigstens! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Lesen bildet! Mir kommt es vor, als wenn Sie die Zeitungen nicht lesen würden, Frau Schaich-Walch!)

Das scheint Sie zu verwirren, weil Sie offensichtlich all das glauben, was Sie in der Zeitung lesen. Lesen bildet, da haben Sie absolut Recht. Es wäre aber an der Zeit, Sie würden einmal etwas anderes lesen und sich mit uns in der Sache, um die es wirklich geht, auseinander setzen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wer ist denn für die Rente zuständig? Herr Eichel oder Frau Schmidt?)

Was Sie hier abliefern, ist Vergangenheitsbewältigung gepaart mit einem absoluten Mangel an Redlichkeit.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Quatsch!)

   Sie, Herr Kolb, haben uns gesagt, wir sollten Sie bei Ihrer Diskussion begleiten; aber Sie wüssten eigentlich selbst noch nicht so genau, wohin es gehen soll.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein! Nein! Ich habe gesagt, wir haben es auf dem Bremer Parteitag schon beschlossen! Bei etwas mehr Redezeit hätte ich das im Detail ausgeführt!)

Vielleicht werden Sie es uns im Herbst sagen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Der Kollege Storm hat einen Vorschlag gemacht!)

Das können Sie doch wirklich nicht im Ernst meinen.

   Sie behaupten hier, unser Rentensystem sei nicht zukunftsfähig. Dazu muss ich Ihnen sehr deutlich sagen: Ich glaube, dass dieses System in seiner Grundanlage eines der sichersten und zukunftsfähigsten Alterssicherungssysteme ist. Es ist nur unsere Aufgabe, es in einer gemeinsamen Anstrengung den wirtschaftlichen und demographischen Gegebenheiten anzupassen.

(Beifall bei der SPD - Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Und das machen Sie wohl jetzt!)

Zu dieser Debatte und zu dieser Diskussion laden wir Sie im Herbst ein.

(Andreas Storm (CDU/CSU): Was ist denn mit der Riester-Reform?)

- Erinnern Sie sich einmal an die Einführung des 630-DM-Sparens. Trotz vieler Anreize hat es viele Jahre gedauert, bis die Menschen diese Form des Sparens genutzt haben. Sie haben bis zur Bundestagswahl die Menschen aufgefordert - Herr Thönnes hat es Ihnen schon gesagt -, keine Riester-Verträge abzuschließen, weil nach der Wahl die Reform sowieso rückgängig gemacht werden würde.

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Wir sollen schuld sein? Unglaublich!)

Sie können also nicht erwarten, dass wir Ihre Vorwürfe in Bezug auf die Riester-Rente akzeptieren.

   Im Herbst werden wir mit der Diskussion über die Rente, zu der ich Sie einlade, beginnen. Herr Storm, wir stimmen mit vielen Ihrer Ansätze überein.

Wir werden über den Nachhaltigkeitsfaktor zu diskutieren haben, darüber, ob er das entscheidende und richtige Instrument ist, um die Ziele zu erreichen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, was jetzt? Wird er schon wieder infrage gestellt?)

die wir erlangen wollen: vertretbare Beitragssatzzahlungen und am Ende eine vertretbare Rente für diejenigen, die die Rente zum Leben brauchen. Das werden unsere Zielsetzungen sein. Die Instrumente, die zur Verfügung stehen, werden wir genau zu überprüfen haben.

   Im Herbst wird der Bericht der Rürup-Kommission vorliegen. Einiges zeichnet sich bereits ab. Wir werden über die Einführung dieses Nachhaltigkeitsfaktors diskutieren. Wir werden auch darüber diskutieren

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wir müssen nicht diskutieren, wir müssen entscheiden! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Im Herbst, im Herbst, im Herbst! - Hildegard Müller (CDU/CSU): Wir wollten es heute von Ihnen hören!)

- ich würde erst einmal diskutieren und dann entscheiden; denn dann müssen wir nicht hinterher korrigieren -,

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Das tun Sie seit fünf Jahren!)

welche begleitenden Instrumente wir zusätzlich brauchen und wie wir die Riester-Rente und die betriebliche Altersversorgung verbessern können. Wenn man im Hinblick auf die Zusatzversorgungsrente eine Gesamtschau vornimmt und feststellen kann, dass sie etwa ein Jahr nach ihrer Einführung schon eine Größenordnung von 30 bis 40 Prozent erreicht hat, dann kann ich Ihnen dazu nur sagen: Dies ist ein ganz hervorragender Erfolg, auf den wir zurückgreifen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich möchte noch ein paar Punkte nennen, von denen ich glaube, dass wir hier - auch wenn viele meinen, man müsse das Thema Rente zu einem Kriegsschauplatz machen - eine ähnliche Einschätzung haben.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wie ist das jetzt mit den 67 Jahren? Dazu haben Sie noch nichts gesagt!)

Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 bzw. 68 Jahre steht nicht zur Debatte. Wir sollten vielmehr gemeinsam unsere Kraft darauf verwenden, dafür zu sorgen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter dem gesetzlichen Renteneintrittsalter entspricht. Meine Kollegin hat Ihnen zudem bereits gesagt, über welche Punkte wir gerne bereit sind mit Ihnen zu diskutieren.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da müssen Sie erst einmal mit Frau Bender sprechen, bevor Sie mit uns sprechen!)

   Voraussetzung für diese Diskussion ist: Wir hatten in der Vergangenheit den Mut zu einer gemeinsamen Verantwortung. Ich erwarte von Ihnen ein bisschen Mut für die gemeinsame Zukunft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1014 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache 15/859 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zum Rentenversicherungsbericht 2002 und zum Gutachten des Sozialbeirats zu diesem Rentenversicherungsbericht. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 15/318 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP und einiger Kollegen aus der Fraktion der CDU/CSU, im Übrigen bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes (Förderbankenneustrukturierungsgesetz)

- Drucksache 15/743 -

(Erste Beratung 38. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes (Förderbankenneustrukturierungsgesetz)

- Drucksachen 15/902, 15/949 -

(Erste Beratung 43. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 15/1127 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Hilsberg
Otto Bernhardt
Hubert Ulrich
Dr. Andreas Pinkwart

b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kleinunternehmern und zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung (Kleinunternehmerförderungsgesetz)

- Drucksache 15/537 -

(Erste Beratung 31. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kleinunternehmern und zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung (Kleinunternehmerförderungsgesetz)

- Drucksache 15/900 -

(Erste Beratung 43. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 15/1042 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Hans Michelbach
Kerstin Andreae
Dr. Andreas Pinkwart

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäߧ 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 15/1043 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau

   Zu den Entwürfen eines Kleinunternehmerförderungsgesetzes liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin gebe ich der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks das Wort.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 49. Sitzung - wird am,
Dienstag, den 11. Juni 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15049
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