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15. Wahlperiode
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   51. Sitzung

   Berlin, Mittwoch, den 18. Juni 2003

   Beginn: 10.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, sich zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

   Bestürzt und fassungslos haben wir am 7. Juni dieses Jahres die Nachricht erhalten, dass vier Soldaten der Bundeswehr bei einem terroristischen Anschlag in Kabul ihr Leben verloren haben und dass weitere 29 Angehörige der Schutztruppe zum Teil schwerste Verletzungen erleiden mussten. Unser Mitgefühl gilt den Familien der Soldaten, die nach Afghanistan gekommen waren, um der Bevölkerung Frieden und Freiheit zu bringen, auf die sie jahrzehntelang verzichten musste. Mit Freude und einem gewissen Stolz haben wir verfolgt, wie es der Schutztruppe in kürzester Zeit gelungen ist, die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Dass gerade dieser vertrauensvolle Umgang und die Nähe zur Bevölkerung zu den schlimmen Folgen geführt haben, die wir heute hier beklagen müssen, erfüllt uns umso mehr mit Trauer.

   Die Gefahren, die der Kampf gegen den Terrorismus mit sich bringt, sind uns durch das bisher schwerste Attentat auf die Schutztruppe noch einmal vor Augen geführt worden. Die getöteten Soldaten haben sich ihnen bewusst und mit großem Mut gestellt, weil sie daran mitwirken wollten, die Zukunft Afghanistans und seiner Menschen positiv zu gestalten. Auch um ihres Andenkens willen müssen wir unsere Anstrengungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus fortsetzen.

   Der Deutsche Bundestag und die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland empfinden für die Hinterbliebenen der Opfer tiefes Mitgefühl. Unsere Gedanken sind auch bei denjenigen, die aufgrund ihrer schweren Verletzungen noch immer behandelt werden müssen. Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 15/1174 und um einen Antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 15/1175 zu erweitern, die im Zusammenhang mit der Beratung zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz aufgerufen werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:

2. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems (Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz - GMG)

- Drucksache 15/1170 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Altersgrenze für Vertragsärzte beseitigen

- Drucksache 15/940 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Andreas Storm, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Für ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen - Gesundheitspolitik neu denken und gestalten

- Drucksache 15/1174 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Mut zur Verantwortung - für ein freiheitliches Gesundheitswesen

- Drucksache 15/1175 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Franz Müntefering, SPD-Fraktion.

Franz Müntefering (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beginnt die Umsetzung der Agenda 2010. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder sie am 14. März dieses Jahres hier vorstellte, haben manche ungläubig geschaut und manche auch empört aufgeschrien.

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): In der SPD!)

Wir haben die drei Monate, die seitdem vergangen sind, gut genutzt. Die Analyse zu den Rahmenbedingungen ist klarer geworden. Die Vorhaben sind präziser. Der Wille zur Umsetzung ist eindeutig. Wir haben versprochen, das Land zu erneuern. Das tun wir. Wir haben auch versprochen, das Land zusammenzuhalten. Dafür sorgen wir.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Heute findet die erste Lesung des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes statt. Wir handeln. Man hat den Eindruck, dass die Opposition die letzten drei Monate ein bisschen verschlafen hat. Das ist nicht gut; denn wir brauchen für die Umsetzung der Agenda 2010 eine handlungsfähige Opposition.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will Ihnen den Hinweis geben, dass wir hier noch vor der Sommerpause die erste Lesung der Vorlage zur Handwerksordnung und des Gesetzes über Arbeitnehmerrechte/Zahldauer Arbeitslosengeld erleben werden. Sie sollten sich um diese Themen ganz konkret kümmern, damit Sie sich nicht wieder erst zwei Tage vor der ersten Lesung in Abwesenheit von Herrn Seehofer mühselig zusammenraufen müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten dafür sorgen, dass Sie zu eigenen Positionen kommen.

   Unser Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz hilft, die Qualität unseres Gesundheitswesens zu sichern und zu bessern. Es sorgt für die Einsparung von Kosten im System. Es macht die gesetzliche Krankenversicherung schlanker. Es fordert mehr Eigenverantwortung und sichert die Substanz der Krankenversicherung dauerhaft. Um all dies geht es.

   Das Gesundheitswesen in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, die wir fortschreiben wollen. Das erfordert Anstrengungen. Es ist nicht billig; aber es lohnt sich. Gesundheit ist ein hohes Gut. Die Absicherung der Gesundheitsrisiken ist teuer; sie können vernünftig nur solidarisch abgesichert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Menschen sorgen für Menschen, das ist der Grundgedanke der gesetzlichen Krankenversicherung, der richtig bleibt und auch in Zukunft gelten wird. Die Idee der totalen Individualisierung der Risiken - sie scheint das Ziel einiger in der Opposition zu sein - führt in die Irre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Manche fragen sich in diesen Wochen: Lohnt sich Krankenversicherung? Bekomme ich das Geld, das ich eingezahlt habe, wieder heraus? Das sind absurde Fragen. Eine Krankenversicherung ist kein Sparklub. Krankenversicherung funktioniert so, dass viele mehr einzahlen müssen, als sie herausbekommen, damit einige, die darauf angewiesen sind, mehr herausbekommen, als sie einzahlen. So funktioniert Krankenversicherung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder von uns kann auf sie angewiesen sein, wenn er lange krank ist, lange Zeit medizinische Hilfe braucht oder teure Rehamaßnahmen in Anspruch nehmen muss. Deshalb bleibt eine obligatorische gesetzliche Krankenversicherung vernünftig. Wir sorgen dafür, dass das Gesundheitssystem auch in Zukunft solidarisch finanziert wird.

   Dies gilt im Übrigen auch für das Krankengeld. Was Ministerpräsident Stoiber diesbezüglich in den letzten Tagen von sich gegeben hat, zeigt, dass er entweder von der Sache keine Ahnung hat oder die Menschen wissentlich falsch informiert.

(Jörg Tauss (SPD): Wie üblich!)

Beides wäre schlimm.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Stoiber, von dieser Stelle aus Klartext: Das Krankengeld wird auch in Zukunft wie bisher gezahlt. Es wird unverändert solidarisch finanziert. Niemand, der länger krank und Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist, muss hier Sorge haben. Den Versicherungsbeitrag für das Krankengeld zahlen in Zukunft ausschließlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht mehr die Arbeitgeber. Diese Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen; aber sie ist logisch und konsequent. Manche behaupten, damit werde die paritätische Finanzierung erstmals durchbrochen. Das ist erkennbar falsch. Fast 40 Prozent unseres Sozialsystems sind nicht paritätisch beitragsfinanziert: Das gilt für die Rente, das gilt für die Pflegeversicherung, das gilt für die Zuzahlung bei Medikamenten.

   Wir machen den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nun schmaler und nehmen alles heraus, was nicht eine originäre medizinische Sachleistung ist oder zum Bereich der Prävention gehört: das Krankengeld - ich habe es soeben erwähnt -, das Mutterschaftsgeld - es wird aus dem Steuertopf gezahlt; Stichwort: Erhöhung der Tabaksteuer - und das Sterbegeld, das in Zukunft entfallen wird.

   Das Gesundheitswesen ist die größte Branche in unserem Land überhaupt. In ihr arbeiten mehr Menschen als in jeder anderen Branche, nämlich über 4 Millionen. Das wird nicht nur so bleiben, es wird sich sogar noch steigern. Der Dienst des Menschen am Menschen wird in unserer Gesellschaft weiter an Bedeutung gewinnen. Es muss sich erst noch zeigen, ob unsere Gesellschaft umfassend bereit ist, diesen Dienst auch zu leisten, oder ob sie sich auf Zuwanderung verlässt. Die Beantwortung dieser Frage ist für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und die Finanzierbarkeit unseres Sozialsystems entscheidend. Wir fordern die Anbieter im Gesundheitswesen mit dem Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz zu besonderer Anstrengung heraus; aber wir achten dabei darauf, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit erhalten bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An einigen Stellen muss der Wettbewerb allerdings erst ausgerufen werden. Wir gehen erste sinnvolle Schritte, den Sicherstellungsauftrag aufzulockern. Wir muten den Beteiligten und Betroffenen im Gesundheitswesen mit der Reform einiges zu. Dabei sind wir sicher: Diese Therapie ist richtig, auch im richtigen Augenblick. Dass gute Therapie anstrengend sein kann, wissen wir alle.

   Zum heutigen Tag haben wir als Koalition unseren Gesetzentwurf, unsere Konzeption, auf den Tisch gelegt. Wir haben das in engster Abstimmung mit der Gesundheitsministerin, mit Ulla Schmidt, getan. Sie hat die wesentliche Vorarbeit für diesen Gesetzentwurf geleistet. Mit ihr zusammen werden wir das Gesetz beschließen und umsetzen.

   Wir haben in den vergangenen Monaten intensive Gespräche mit allen Beteiligten geführt: mit den Ärztekammern, den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Kassen, der Industrie, den Apothekern und vielen mehr. Wir werden diese Gespräche weiter führen. Die Botschaften dabei waren in einem immer ähnlich, sogar sehr ähnlich: Generelle Zustimmung dazu, dass Reformbedarf besteht; schwieriger wird es dann bei eigener Betroffenheit und im Detail. Diejenigen, die sonst täglich die Reformmelodie singen, kriegen dann schnell einen Schluckauf. Ich vermute einmal, dass Sie in der Opposition bei Ihren Gesprächen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Auch dies unterstreicht eines ganz deutlich: Entscheiden müssen am Ende wir hier im Deutschen Bundestag; entscheiden muss die Politik.

   Das Gesundheitswesen ist eine komplizierte Branche mit vielen gegenläufigen und widerstrebenden Interessen. Das Produkt Gesundheit, um das es geht, ist etwas ganz Besonderes. Es unterscheidet sich von den üblichen Angeboten produzierender Betriebe und Dienstleister in markanter Weise. Deshalb braucht es besondere Antworten. Wir werden diese Gespräche weiter führen und darauf drängen, dass wir in der Politik hier im Deutschen Bundestag die nötigen Entscheidungen treffen.

   Dabei wissen wir, dass wir bei der Reform des Gesundheitswesens hier im Haus aufeinander angewiesen sind, wenn es etwas wirklich Gutes werden soll. Es wird also zu einigen Punkten Kompromisse geben, geben müssen. Das Land kann von uns allen hier mit Recht erwarten, dass wir zu solchen Kompromissen fähig sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Wort Kompromiss wird in Deutschland ambivalent gesehen. Es gibt faule Kompromisse - das ist richtig -, aber es gibt auch faule Kompromissunfähigkeit.

(Heiterkeit bei der SPD)

Lassen Sie uns offen darüber reden! Wir wollen, dass die Sache gelingt. Weshalb nicht schon hier im Bundestag? Das wäre für die Sache gut, aber es wäre auch für uns als Gesetzgeber gut und es wäre für die demokratische Kultur in unserem Land gut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe keinen Zweifel: Unsere Demokratie wird dabei gewinnen.

(Zuruf von der FDP: Das ist lächerlich!)

   Ich biete Ihnen, Frau Merkel, deshalb hier eine Verfahrensverständigung an. In unserer parlamentarischen Praxis hat sich ein System herausgebildet, bei dem es als selbstverständlich gilt, dass über fast alle wichtigen Gesetzentwürfe in der zweiten und dritten Lesung kontrovers abgestimmt wird und dann in den Kulissen des Vermittlungsausschusses der Kompromiss gesucht wird. Wir bezweifeln ernsthaft, dass dies zwingend immer der richtige Weg ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Warum legen wir als Bundestag das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz in seltsamer Selbstbescheidung in die Hände der Länder und machen es davon abhängig, dass man dort nicht den Mut hat, jetzt zu handeln, weil demnächst in Bayern oder anderswo Landtagswahlen sind?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Deutsche Bundestag ist der Ort, an dem gestritten, debattiert und verhandelt werden sollte. Im Ausschuss, bei den Anhörungen und natürlich hier im Plenum kann zwischen den beteiligten Parteien, der Koalition und der Opposition, eine gemeinsame Linie gesucht werden. Wir haben alle Voraussetzungen und auch alle Instrumente, um zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.

   Wir streben die zweite und dritte Lesung des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes für den 8. Juli an, also noch vor der Sommerpause.

(Jürgen Koppelin (FDP): Da kann man ja viel verhandeln!)

Wenn es hier vorher zu einer Erfolg versprechenden Kompromisssuche kommt, sind wir da flexibel. Wenn nicht, lassen wir uns allerdings auch nicht aufhalten;

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann machen wir das, was wir aus eigener Kraft stemmen können, auch gegen Sie und gegen die Mehrheit im Bundesrat. Die Verantwortung liegt bei Ihnen.

(Lachen bei der FDP)

   Ich machen Ihnen ein ehrliches Angebot. Wir streben ein gemeinsam getragenes Gesetz an. Ich biete Ihnen, Frau Merkel, an, heute hier oder in den nächsten Tagen mit uns in der Koalition ein solches Verfahren zu vereinbaren. Wir können gemeinsam ein gutes Beispiel setzen.

   Wir sollten ebenso auch noch in diesem Jahr beginnen, die Gedanken über die Reform der bundesstaatlichen Ordnung, die überall - mit Recht übrigens - aufflackern, hier in den Deutschen Bundestag zu tragen. Ich schlage im Namen meiner Fraktion vor, im Herbst dieses Jahres eine umfassende Debatte zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung hier im Deutschen Bundestag und zusammen mit dem Bundesrat zu führen sowie das Verfahren zur Einrichtung einer Verfassungskommission zu klären. Die bundesstaatliche Ordnung ist Teil der Erfolgsgeschichte Westdeutschlands von 1949 bis 1989. Inzwischen gibt es aber Verwerfungen und Verkrustungen, die die Lösung der gesellschaftlichen und politischen Aufgaben unserer Zeit immer mehr behindern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Politischer Aufbruch braucht klare Verantwortungsstrukturen, handlungsfähige Städte und Gemeinden, eindeutige Zuordnung der Zuständigkeiten an die staatlichen Ebenen, den Bundestag als starken Bundesgesetzgeber, in gleicher Weise Raum für Subsidiarität und Eigenverantwortung, Bürgernähe, mehr Vernetzung, weniger Hierarchie, Optimierung der Finanzströme der öffentlichen Hände, mehr Mut zu Neuem, weniger Beharrung. Wir wollen diese Themen aufgreifen. Zur Erneuerung in unserem Land gehört Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme, Erneuerung der Arbeitsmarktstrukturen, Erneuerungsbereitschaft aufseiten der Wirtschaft und des Staates und Erneuerung der Strukturen unserer Demokratie.

(Jürgen Koppelin (FDP): Erneuerung der Bundesregierung!)

Das muss uns in diesem Jahrzehnt in Deutschland gelingen. Deshalb sprechen wir von der Agenda 2010.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um erste wichtige konkrete Schritte geht es heute hier.

   Wir brauchen aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Erneuerung der Mentalitäten, wenn wir Wohlstand dauerhaft sichern und soziale Gerechtigkeit gewährleisten wollen. Und das wollen wir. Wir brauchen in Deutschland mehr Mut,

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Eine gescheite Regierung!)

Mut zur Gestaltung und Zuversicht in die Stärke unseres Landes. Totale Sicherheit gibt es dabei nicht, aber die Zukunft braucht Wandel und Wandel bringt Sicherheit. Die Zukunft ist nicht am Reißbrett und nicht im Sandkasten planbar, aber die richtige Richtung ist sehr wohl erkennbar. Diese Richtung schlagen wir mit der Agenda 2010 ein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende dieses Jahres, das ein anstrengendes Jahr auch für uns im Deutschen Bundestag sein wird - wir werden viele gemeinsame Sitzungen haben, uns streiten und hoffentlich zu guten Ergebnissen kommen -, in Deutschland keine große gesellschaftliche Gruppe mehr geben wird, die nicht auf der richtigen Seite, auf der Seite der Erneuerung, stehen wird. Die Koalition geht voran, Sie bekommen vielleicht knapp die Kurve.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Andere in der Gesellschaft, die sich noch ein wenig zurückhalten, werden auch dabei sein. Ich sage Ihnen voraus: Ende des Jahres ist Deutschland auf die Erneuerung eingestimmt. Wir sind diejenigen, die mit ihr begonnen haben und sie vorantreiben. Sie haben das nicht geschafft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie uns also in einen vernünftigen Wettbewerb treten! Ich bin sicher, dass wir in diesem Jahr in Deutschland die nötigen Schritte tun. Das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz, das wir heute auf den Weg bringen, ist der erste wichtige und konkrete Schritt.

   Die Debatte und der Streit über den richtigen Weg in den vergangenen Wochen und Monaten in meiner Partei, in Ihren Parteien, in den Gewerkschaften, in den gesellschaftlichen Gruppen waren richtig und nötig. Sie haben an vielen Stellen Klarheit geschaffen und noch einmal deutlich gemacht, dass uns die Globalisierung, die Europäisierung und die demographische Entwicklung zu Veränderungen zwingen. Manche sagen, die Einsicht komme sehr spät. Das ist wahr, das kann man nicht bestreiten, aber sehr spät ist nicht zu spät.

(Lachen der Abg. Dr. Angela Merkel (CDU/CSU))

- Sie kam übrigens, Frau Merkel, auch bei Ihnen sehr spät. Sie brauchen da gar nicht zu lachen. Sie hätten es in den 90er-Jahren schon merken können; da wusste man bereits, wie die demographische Entwicklung verläuft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Da kann ich Sie aber anders zitieren! Lesen Sie die Protokolle noch einmal! - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wer hat denn den demographischen Faktor abgeschafft?)

Auch wenn es sehr spät ist, ist das kein Grund, sich jetzt noch den Veränderungen zu verweigern.

Zu einem weiteren Vorwurf, der von Ihnen und auch von anderen Stellen kommt, dass wir unsere Positionen gegenüber dem, was wir vor einem oder vor drei Jahren gesagt haben, kann ich nur sagen: Das stimmt. Dazu bekenne ich mich; dazu bekennen wir uns. Es wäre eine seltsame Politik, die von sich behauptete, dass sie zu keiner Veränderung bereit sei, auch wenn die Rahmenbedingungen sich verändern. Wir alle miteinander haben in den 90er-Jahren bis in die letzten Jahre hinein in der Hoffnung auf eine gute Entwicklung der Konjunktur die Strukturprobleme verdeckt. Das ist schlichtweg die Wahrheit und das müssen wir realisieren. Aber das Land kann von uns erwarten, dass wir aus der Entwicklung der letzten drei Jahre nun die Konsequenzen ziehen und begreifen: Das Warten auf Konjunktur, das Kämpfen um Konjunktur, das zur Politik gehört, ist noch nicht die Lösung, sondern es werden auch Strukturveränderungen nötig sein. Wir sind bereit, sie im Interesse des Landes durchzuführen, und wir hoffen auf gute und gedeihliche Zusammenarbeit.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Müntefering, Einsichten sind immer gut;

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das stimmt!)

aber wenn Sie nunmehr Geschichtsklitterung betreiben

(Jörg Tauss (SPD): Hoi, hoi!)

und behaupten, wir hätten bestimmte Dinge nicht erkannt, zu Zeitpunkten, als Sie noch massiv dagegen gekämpft haben, muss ich das in freundlicher, aber entschiedener Form zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir haben fünf Jahre vertan, bevor auch bei Ihnen jetzt in Form eines Nachhaltigkeitsfaktors über das demographische Problem bei der Rentenversicherung nachgedacht wird. Die Wahrheit ist: Sie hätten besser daran getan, diesen demographischen Faktor damals nicht herauszunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir haben das Thema Zuzahlungen in der Gesundheitsvorsorge 1998 als ein schwieriges, aber notwendiges Thema im Gesetz gehabt. Sie haben einen dramatischen Wahlkampf dagegen geführt. Aber unser Ansatz hat sich als richtig erwiesen; es geht kein Weg daran vorbei.

   Ich will jetzt nicht weiter in die Vergangenheit schauen, sondern nur sagen: Die Erkenntnisse hätten längst umgesetzt worden sein können. Millionen von Menschen könnten heute Arbeitsplätze haben und sich in einer besseren Lage befinden, wenn Sie das früher bedacht hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD)

   Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Veränderungen in Volksparteien sind immer diskussionswürdig. Es gibt verschiedene Interessenlagen und Überzeugungen und damit macht es sich niemand leicht.

   Der Bundeskanzler hat hier am 14. März eine Regierungserklärung abgegeben,

(Jörg Tauss (SPD): Super!)

auf die wir schon damals geantwortet haben, dass wir die Schritte, die in die richtige Richtung gehen, selbstverständlich unterstützen werden. Wir haben aber bis zum 15. Juni warten müssen, bis wir endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt bekommen haben, weil nämlich die Meinungsbildung in Ihren Parteien notwendigerweise mit Sonderparteitagen abgeschlossen werden musste.

   (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich kann nur sagen: Wir waren immer sprechfähig, wir sind jetzt sprechfähig, wir haben ein Alternativkonzept. -

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da können Sie lachen oder auch nicht. Aber zwischen dem 14. März und dem 15. Juni sind in Deutschland 10 000 Betriebe in die Insolvenz gegangen, denen hätte geholfen werden können, wenn wir mit den Gesetzesberatungen weiter wären.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie haben heute einen ersten Gesetzentwurf aus der Agenda 2010 eingebracht, einen Gesetzentwurf, der sich mit einem Thema beschäftigt, das die Menschen in diesem Lande unendlich berührt, weil jeder auf Gesundheit angewiesen ist, jeder um Gesundheit ringt und dieses Thema mit sehr vielen Ängsten belastet ist. Deshalb kann ich Ihnen an dieser Stelle sagen: Was immer wir in den Beratungen gemeinschaftlich durchsetzen können, das wollen wir mit Ihnen gemeinschaftlich durchsetzen.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und wann?)

- Was heißt „wann“? Sofort nach dieser Debatte können unsere Gesundheitspolitiker auf Ihre Gesundheitspolitiker zugehen und vereinbaren, in welcher Form sie im Ausschuss vorgehen wollen.

   Aber ich sage eines, Herr Müntefering: Ihr Satz „Wir werden das Gesetz von Frau Schmidt in diesem Hause durchsetzen“ ist kein Satz, der zu dem Angebot, das Sie dann formal gemacht haben, passt. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie jetzt Angst vor Ihrer eigenen Courage?)

Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie jetzt wieder nach dem von Ihnen ausgerufenen Prinzip „Mehrheit ist Mehrheit“ verfahren oder ob Sie in diesem Falle - ich würde das sehr begrüßen - in eine ernsthafte Debatte eintreten - ich sage nachher, welche Grundzüge wir darin vertreten werden -, in der wir gemeinsam schauen, ob es Lösungen gibt.

   Herr Müntefering, was sich gestern aber im Gesundheitsausschuss abgespielt hat, hat uns natürlich nicht ermutigt. Dort ist die Positivliste, die - im Gesamtzusammenhang gesehen - für das Gesundheitswesen von größter Bedeutung ist, einfach vorgezogen und abgeschlossen worden. Glauben Sie eigentlich, das sei eine Einladung zu einer konstruktiven Zusammenarbeit am nächsten Tag?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch des Abg. Peter Dreßen (SPD))

Über die allgemeinen Erklärungen in Form von Überschriften hinaus brauchen wir von Ihren Fachleuten ein klares Signal - das steht im Gegensatz zu dem, was Sie gestern noch praktiziert haben -, dass sich die Umgangsformen bei den Beratungen, die jetzt anstehen und die wir zügig begleiten werden, ändern. Dieses Signal ist bis jetzt ausgeblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich stimme Ihnen zu: Wir sind beim Gesundheitswesen aufeinander angewiesen. Ich sage aber auch, dass wir nicht nur aufeinander angewiesen sind, sondern dass wir gleiche Zielsetzungen haben; denn auch unser Ziel ist ein Beitragssatz von 13 Prozent in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir müssen es in der Praxis gemeinsam erreichen.

   Der Bundeskanzler hat immer wieder darauf hingewiesen - Herr Müntefering, Sie haben eben auch davon gesprochen -, dass wir mehr Effizienz in diesem System und vor allen Dingen eine langfristig angelegte und realistische Betrachtungsweise brauchen. Herr Müntefering, das Allerwichtigste ist - wenn wir es nicht tun, können wir immer wieder nur kürzen, sparen und einschränken -, dass wir die Einnahmeseite der gesetzlichen Sozialversicherungen wieder in Ordnung bringen. Das können wir erreichen, indem die Arbeitslosigkeit in diesem Lande abgebaut und die wirtschaftliche Lage verbessert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es ist bedauerlich, dass wir bis jetzt keines der Arbeitsmarktgesetze im Parlament vorliegen haben und dass der Prozess hinsichtlich der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie er es sein könnte. Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, wissen genau, dass wir im Zuge der Umsetzung des Hartz-Konzeptes durch unsere unglaublich konstruktive Mitarbeit Herrn Clement geholfen haben, sozusagen aus Unvernunft Vernunft zu machen. Wir haben heute einen relativ gut aufgestellten Niedriglohnsektor, weil das Wahlprogramm der CDU/CSU umgesetzt wurde. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass in dem von uns vorgelegten Antrag eine klare Alternative aufgezeigt ist. Diese klare Alternative macht das Problem deutlich: Der Gesetzentwurf von Frau Schmidt enthält nach unserer festen Überzeugung zu viel Tendenzen in Richtung Zentralismus, Kassenhoheit, Einheitskasse und zu wenig Tendenzen in Richtung Wettbewerb, Freizügigkeit und Gleichheit des Arztberufes.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, über das wir ganz zu Beginn sprechen müssen und bei dem sich zeigen wird, ob man das Gesundheitswesen vom Kopf auf die Füße stellen kann. Es geht um das Thema Qualitätsmanagement. Wir sind auch dafür. Aber wir glauben, dass dies innerhalb der Selbstverwaltung organisiert werden muss.

(Lachen bei der SPD - Jörg Tauss (SPD): Wie schon immer! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Sie wollen mit uns doch konstruktiv beraten. Hören Sie sich also wenigstens einmal an, was unsere Überzeugung ist!

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Die machen schon beim Zuhören Fehler!)

Wenn Sie sich so im Ausschuss verhalten, dann wird es mit der Gemeinsamkeit wohl nichts werden. Sie müssen wenigstens zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Erster Punkt. Wir halten die zentralistische Anbindung an das Ministerium für falsch. Aus diesem Grunde sagen wir zwar Ja zum Qualitätsmanagement, aber wir wollen nicht, dass aufgrund des Drucks, der von der zentralen Stelle ausgeübt wird, Bedingungen für die Kassen geschaffen werden, die letztlich die Tendenz in Richtung Einheitskasse verstärken.

   Zweiter Punkt. Wir denken in der Tat, dass wir den Arztberuf in einen freien Beruf umwandeln müssen, das heißt, dass wir Restriktionen abbauen müssen. Wir wollen nicht - das sage ich ganz ausdrücklich -, dass die Zugänge zu den verschiedenen Ärzten, also zum Hausarzt und zum Facharzt, unterschiedlich geregelt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der freie Arztberuf wird in Deutschland nur erhalten bleiben, wenn der Zugang zum Hausarzt und zum Facharzt in gleicher Weise geregelt ist.

   Meine Damen und Herren, das sind zwei ganz wesentliche Punkte, an denen Sie die Unterschiedlichkeit der Auffassungen sehen können. Darüber müssen wir sprechen.

   Nun sind auch wir der Meinung, dass wir Einsparungen vornehmen müssen und vor allen Dingen für den Patienten Anreize zu einem sparsamen Umgang mit dem Gesundheitswesen schaffen müssen. Dazu sage ich: Wir haben große Vorbehalte. Wir unterstützen es nicht, dass man einzelne Leistungen herausnimmt. Warum die Sehhilfe? Warum das nicht verschreibungspflichtige Medikament? Warum ausgerechnet die Fahrt zum Arzt?

(Widerspruch bei der SPD - Lilo Friedrich (Mettmann) (SPD): Warum der Zahnersatz?)

   Wir sagen: Lasst uns eine Selbstbeteiligung einführen! Aber lasst sie für alle in Anspruch genommenen Leistungen in gleicher Weise gelten, damit nicht bei bestimmten Gruppen Leistungen herausgenommen werden und bestimmte Gruppen an anderer Stelle überhaupt nicht betroffen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sind wir zu der Meinung gekommen, eine Selbstbeteiligung in Höhe von 10 Prozent für jede in Anspruch genommene medizinische Leistung einzuführen, allerdings sozial gestaffelt - ich glaube, darin sind wir uns einig - bis zu einer maximalen Belastung von 2 Prozent des Lohns.

   Bitte lassen Sie uns jetzt nicht wieder in Diffamierungsargumentationen zurückfallen!

(Jörg Tauss (SPD): Oder in blanken Lobbyismus!)

- Das hat mit blankem Lobbyismus gar nichts zu tun.

(Jörg Tauss (SPD): Doch! Schon ein bisschen!)

   Wir sehen bei jeder Leistung eine Selbstbeteiligung von 10 Prozent vor, und zwar gedeckelt bis 2 Prozent des Einkommens. Es gibt ähnliche Regelungen; sie funktionieren. Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns in aller Ruhe die Argumente darüber austauschen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Frau Schmidt, es hat mich sehr enttäuscht, was die Herausnahme einer bestimmten Leistung - darüber gab es bei uns in den letzten Wochen und insbesondere in den letzten Tagen eine Kontroverse - angeht: Der Bundeskanzler hat am 14. März gesagt, im Falle des Krankengeldes bleibe die Kostenbelastung durch eine private Versicherung für den Einzelnen beherrschbar. Die ursprüngliche Idee in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers war es, das Krankengeld privat abzusichern.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): So ist es!)

Wir haben damals im Hinblick auf die Frage, ob diese Leistung dafür geeignet ist oder nicht, eine andere Meinung gehabt. Dies war aber Ihr Ansatz. Sie haben dann eine interne Diskussion geführt und dies so nicht durchsetzen können. Sie haben sich entschlossen, diese Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu belassen, und haben einfach bei der paritätischen Finanzierung Verschiebungen vorgenommen. Das ist jetzt die Beschlusslage.

   Bitte fangen Sie nicht unter der Freude, dass Sie uns auseinander dividieren könnten, an, den Eindruck zu erwecken, die Herausnahme einer Leistung sei Teufelszeug!

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig! So ist es!)

Es gibt in Europa viele Länder, die gerade im Bereich der Zahnbehandlung erhebliche und gute Erfahrungen damit gemacht haben, eine Leistung herauszunehmen, weil sie damit für die Menschen Anreize schaffen, Prophylaxe zu betreiben und die Dinge in diesem Bereich ernsthafter zu betrachten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir stehen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten im Gesundheitssystem vor riesigen Herausforderungen. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Dies ist im Grunde ein Wachstumsmarkt, ein Markt, den wir so organisieren müssen, dass in unserem Land auf diesem Markt Arbeitsplätze geschaffen werden können. Die Alterung unserer Bevölkerung nimmt zu. Die eigentlichen demographischen Herausforderungen werden von 2010 bis 2030 auf uns zukommen. Wer sich den demographischen Buckel einmal anschaut, der weiß, welche Belastungen wir zu tragen haben und welche Leistungen von der Politik noch erwartet werden.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Deswegen müssen wir schnell handeln!)

   Deshalb ist es für uns wichtig - das war die Intention des Kompromisses in unserem Antrag -, dass wir den Instrumentenkasten der Möglichkeiten, die wir in Zukunft brauchen, um das Gesundheitssystem über Jahrzehnte stabil zu halten, jetzt erproben. Deshalb sagen wir: Die Herausnahme einer Leistung halten wir für ein ganz wichtiges Element, um damit Erfahrungen zu sammeln, um zu schauen, ob die privaten Versicherungen überhaupt ihre Versprechungen einhalten, und zu lernen, ob dies in die richtige Richtung führt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deshalb sind wir auf der einen Seite für Eigenbeteiligung, für mehr Effizienz im System sowie für einen freien Arztberuf und auf der anderen Seite für die Herausnahme einer Leistung. Das ist unser Werkzeugkasten, mit dem wir dieses System beherrschbar machen, den Arztberuf zu einem attraktiven Beruf machen, uns der Einheitskasse entgegenstellen sowie Vielfalt und Optionen ermöglichen wollen.

   Ich glaube, dieses ernsthafte, reale und im Übrigen für eine Opposition herausragend gegenfinanzierte Konzept sollte eine Gesprächsgrundlage mit Ihnen sein können. Wir werden die Probe aufs Exempel machen und sehen, ob Sie nach dem Motto „Mehrheit ist Mehrheit“ oder nach dem Motto „Gute Lösungen für alle sind das beste Verfahren“ vorgehen. In diesem Sinne: Auf gute Zusammenarbeit! An uns soll es nicht liegen.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir in den letzten Tagen erlebt haben, das war schon bemerkenswert. Sie von der Opposition hatten uns aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen - damit man überhaupt weiß, worüber man verhandeln soll. Das hat die Regierung jetzt gemacht. Frau Merkel hat auch eben wieder berichtet, sie habe auf diesen Gesetzentwurf geradezu sehnsüchtig gewartet. Dann aber frage ich mich doch: Warum erleben wir eine sich zerlegende Opposition, die sich in alle Richtungen auseinander dividiert?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn Sie so sehnsüchtig auf unseren Entwurf gewartet haben, dann müssten Sie doch eigentlich ausreichend Gelegenheit gehabt haben, sich auf unseren Gesetzentwurf vorzubereiten.

   Ich habe den Eindruck, Sie haben sich in den letzten Wochen und Monaten zu viel damit beschäftigt, sich mit Blick auf die persönliche K-Frage gegenseitig zu belauern. Vielleicht sollten Sie sich einer anderen K-Frage zuwenden, nämlich der Frage nach den eigenen Konzepten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Jörg Tauss (SPD): Der Frage nach der Kompetenz!)

   Dass Ihnen in diesem Streit als erstes Ihr Gesundheitsexperte abhanden kommt, ist auch nicht gerade ein Qualitätssiegel für Ihre Politik. Herr Seehofer ist bei Ihnen schon in einer schlechteren Rolle als der arme Troubadix bei den Galliern: Das Singen haben Sie Herrn Seehofer zwar nicht verboten, aber reden darf er bei Ihnen offensichtlich jedenfalls nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Machen Sie einmal konstruktive Vorschläge!)

   Auch mit Ihrem Antrag heute ist Ihr Richtungsstreit offenbar bei weitem nicht überwunden. Herr Seehofer sagt, bei Ihrem Antrag handele es sich um eine Privatisierungsorgie; Herr Milbradt, CDU-Ministerpräsident, erklärt, die Privatisierungsorgie gehe ihm noch nicht weit genug. Ich bin sicher, Sie müssen noch Zeit darauf verwenden, das in Ihren eigenen Reihen zu klären.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Jetzt sagen Sie einmal, was Sie wollen! - Hildegard Müller (CDU/CSU): Thema!)

   Dabei gibt es durchaus Ziele in Ihrem Konzept, bei denen wir übereinstimmen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Über Ihr eigenes Konzept redet sie nicht!)

Manche Dinge sind durchaus vernünftig angesprochen. Patientenrechte stärken, mehr Mitwirkung, mehr Informationsrechte, mehr Transparenz zugunsten der Patienten - darin sind wir uns einig, das sind wichtige Ziele. Ein weiteres wichtiges Ziel ist mit Sicherheit, die Prävention zu stärken und Anreize für vernünftiges, vorbeugendes Verhalten zu entwickeln. Damit rennen Sie bei uns offene Türen ein. Für die Grünen ist immer klar gewesen: Die beste Gesundheitspolitik ist die, mit der man Krankheiten verhindert. Erst die zweitbeste Lösung ist es, Krankheiten zu bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie aber haben in Ihrem Vorschlag nichts drin, was nicht schon im Regierungsentwurf enthalten ist. Im Gegenteil, der Regierungsentwurf geht in vielen Punkten weit über das hinaus, was Sie in Ihrem Antrag fordern.

   Ich habe festgestellt, dass sich Frau Merkel in dieser Debatte schon um einen etwas anderen Ton bemüht hat, als er in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Was? Machen Sie beim Lesen Fehler?)

In Ihrem Antrag sprechen Sie von „Dirigismus“, von „Staatsmedizin“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

- Dann lassen Sie uns einmal darüber reden, welches Verständnis Sie von den Aufgaben des Staates haben. Immer dann, wenn es um den Schutz der Patienten, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, um die Belange der Versicherten geht, schreien Sie: Oh, nein, das ist Staatsmedizin, das ist Dirigismus. - Aber wenn es um den Schutz Ihrer Klientel geht, kann Ihnen der Dirigismus gar nicht weit genug gehen, da schützen Sie die absurdesten Dinge.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Mit Blick auf die FDP sage ich: Es ist wirklich absurd, dass die Partei, die den Dirigismus am meisten beklagt und immer Wettbewerb will, jetzt die Aufrechterhaltung des Verbots für einen Apotheker, mehr als eine Apotheke zu besitzen, fordert. Wenn das nicht Dirigismus ist, dann weiß ich nicht, was Dirigismus ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Parteien, die am lautesten nach Wettbewerb schreien, verteidigen weiterhin das Kartell der Kassenärztlichen Vereinigungen. Hier wollen sie auf gar keinen Fall Wettbewerb einführen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist doch nicht die Aufgabe des Staates, einen Schutzzaun um alle Kartelle der Leistungsanbieter zulasten der Versicherten zu errichten. Ihre Politik entlarvt sich als typische Klientelpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Folge ist, dass Sie dort, wo es um die Finanzierung geht, ausschließlich den Patienten etwas abverlangen. Ihre Finanzierungsvorschläge - das muss man hier leider sagen - sind weitgehend nur Luftbuchungen. In Ihrem Antrag steht, versicherungsfremde Leistungen sollen geeigneten Finanzierungen zugeführt werden:

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn das keine windige Finanzpolitik ist! Ich weiß nicht, woher Sie den Mut nehmen, die Regierung zu kritisieren. Das, was Sie vorschlagen, ist windige Finanzpolitik pur.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es war Frau Merkel wahrscheinlich schon peinlich, dass der Vorwurf in Ihrem Antrag steht, das Regierungspaket sei sozial nicht ausgewogen. Dass sie das hier nicht mehr gesagt hat, finde ich interessant. Ich sage Ihnen dazu: Wer 10 Prozent Eigenbeteiligung bei jeder medizinischen Leistung fordert,

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): 100 Prozent Eigenbeteiligung verlangen Sie!)

der sollte einen solchen Vorwurf nicht auch noch schriftlich formulieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Deswegen machen Sie 100 Prozent Leistungsausgrenzung!)

   Wir werden an Leistungseinschränkungen nicht vorbeikommen. Das können Sie auch unserem Entwurf entnehmen. Deswegen sollten wir die Diskussion über das, was zumutbar und gerecht ist, dringend versachlichen. Frau Merkel hat einen Blick in die Vergangenheit getan, deshalb will auch ich das tun: Sie haben noch vor wenigen Wochen mit Abscheu und Empörung auf unseren Vorschlag reagiert, das Sterbegeld zu streichen. Jetzt gehen Sie den Leuten an die Zähne.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Billiger geht es ja nicht mehr!)

Ich biete Ihnen an: Lassen Sie uns gemeinsam in aller Ruhe darüber nachdenken, ob wir das Geld der Krankenversicherungen nicht lieber für die Lebenden als für die Toten ausgeben wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es hat mich sehr empört, dass wir in den letzten Wochen eine Diskussion darüber erlebt haben, ob über 75-Jährige noch das medizinisch Notwendige bekommen sollen. Das sollten wir alle gemeinsam zurückweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dass wir aber überhaupt eine solche Diskussion erleben, zeigt auch, wohin die öffentliche Diskussion geht, wenn wir unsere Systeme jetzt nicht in Ordnung bringen. Das ist die gemeinsame Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Sie haben grundsätzliche Strukturentscheidungen angekündigt, diese liefern Sie aber nicht. Vor diesen Entscheidungen stehen wir aber.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Aber nicht mit dem Gesetz von heute Morgen!)

Wir sollten die Diskussion darüber auch führen; denn wenn wir es nicht tun, landen wir dort, wo sich Herr Milbradt heute schon befindet. Er will den Leistungskatalog immer weiter ausdünnen. Ich sage Ihnen: Aus unserer Sicht war es richtig, dass Herr Seehofer gesagt hat: Wir müssen über die Einführung einer Bürgerversicherung sprechen. - Das war ein völlig richtiger Diskussionsansatz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dass Sie jetzt diesen nachhaltigen Ansatz zur Senkung der Lohnnebenkosten einfach für tot erklären, wird Sie noch einmal bitter einholen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Herr Seehofer diese Diskussion nicht mehr mit Ihnen führen kann, dann laden wir ihn herzlich ein, diese Diskussion bei uns zu führen. Wir sind im geduldigen Umgang mit älteren querköpfigen Herren bestens geübt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Im Umgang mit ihnen verstehen wir uns aufs Beste. Er ist uns herzlich willkommen.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der SPD: Hotte, komm zu uns!)

   Frau Merkel, jetzt komme ich zu der entscheidenden Frage: Wie ist es nun mit Verhandlungen? Ich hatte den Eindruck, Sie wollten Herrn Müntefering nicht richtig verstehen. Deswegen möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen, worum es uns geht. Es geht uns nicht darum, dass Sie Ihre Bereitschaft erklären, die Diskussion im Ausschuss zu begleiten. Wir gehen davon aus, dass Sie das als Opposition tagtäglich tun; das sollte auch weiterhin so bleiben. Es geht um etwas anderes. Es geht darum, ob Sie, Frau Merkel, den Mut und die Kraft haben und es sich auch zutrauen, etwas mit uns zu verhandeln, was wir dann als Ergebnis gemeinsam durchsetzen wollen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gerhard Schröder?

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dazu kann ich ja gar nicht Nein sagen; das traue ich mich gar nicht.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Gerhard Schröder (SPD):

Verehrte Frau Fraktionsvorsitzende, gestatten Sie mir, dass ich Ihre Bemerkung über die älteren Herren im Auftrag meines Innenministers entschieden zurückweise?

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Abgeordneter Schröder, ich bin sehr beruhigt, dass Sie diese Äußerung nicht auf sich selbst bezogen haben.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Klamauk bei einem solch schweren Thema! Schämt Euch!)

   Frau Merkel, es geht wirklich darum: Wollen Sie mit uns in Richtung auf ein gemeinsames Paket verhandeln? Wenn es ein gemeinsames Paket werden soll, dann heißt das auch, dass man es gemeinsam durchsetzt. Die Ankündigung von Herrn Müntefering war nicht: Unabhängig von dem, was verhandelt wird, werden wir machen, was wir wollen. Vielmehr war die Ankündigung: Wenn Sie sich verweigern, weil Sie es sich nicht zutrauen und dafür nicht die nötige Durchsetzungskraft haben, dann sollten Sie keinen Zweifel daran haben, dass wir eine eigene Mehrheit für dieses Paket haben werden. Mit dieser eigenen Mehrheit werden wir unsere Vorstellungen durchsetzen, weil das Land diese Veränderungen braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsche Öffentlichkeit weiß seit Jahren, dass das gegenwärtige System des Gesundheitswesens in Deutschland nicht mehr trägt. Es bedurfte daher nicht einer Aussprache im Bundestag. Jede deutsche Familie hat in den letzten Jahren zur Kenntnis genommen, wie die Beiträge gestiegen sind und dass sich aus gut gemeinten Absichten etwas entwickelt hat, was man eigentlich vermeiden wollte, nämlich eine Zweiklassenmedizin.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Solange die Budgets reichten, wurde jeder sofort bedient. Wenn sie aufgebraucht waren, konnten sich diejenigen im Markt der Anbieter durchsetzen, die etwas mehr als andere hatten.

   Die deutsche Öffentlichkeit hat mit Interesse beobachtet, dass wir Politiker unterschiedlich auf die Wirklichkeit reagiert haben. Der Kollege Müntefering hat Recht - ich will es ihm gar nicht vorhalten -, wenn er den langen Prozess seiner eigenen Partei hin zu einer Annäherung an die Wirklichkeit beschreibt. Das nehme ich zur Kenntnis und begrüße es auch. Aber er hätte auf diesem Weg die Diffamierung gegen die Freien Demokraten unterlassen sollen, die schon früher gesagt haben, was notwendig ist und was getan werden muss.

(Beifall bei der FDP)

   Ich erinnere Sie, Herr Bundeskanzler, an die Rentendiskussion im Wahljahr 1998. Ich erinnere Sie an die Diskussion über den Zahnersatz im selben Jahr. Vorhin ist von der Kollegin Merkel darauf hingewiesen worden, dass die Schweizer beim Zahnersatz eine andere Regelung haben. Diese beißen die Toblerone mit Zähnen durch, während mancher Deutscher, der in der GKV versichert ist, dafür das Messer benutzen muss.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist doch nicht unsozial, wenn man Finanzierungen anders organisiert.

   Wir kennen doch alle die Geschichte des Kollegen Horst Seehofer mit Lahnstein und wissen, dass das nicht gereicht hat. Wir kennen die Geschichte der ehemaligen Gesundheitsministerin Fischer und wissen, dass es nicht gereicht hat. Auch die gegenwärtige Amtsinhaberin weiß, dass das Gesetz nicht reicht.

   Dieses Gesetz ist nichts anderes als ein erneutes ingenieurhaftes medizinisches Stellschraubengesetz, bei dem - wie mit dem Versuch, Gebühren bei Facharztbesuchen ohne Überweisung vom Hausarzt zu erheben - an kleinen Schräubchen gedreht wird. Die Kassen auf dem Markt zu lassen bzw. - wie es die Sozialdemokraten verstehen - Kassen als Betreiber eigener Zentren zuzulassen ist nichts anderes als der Einsatz von Kapital, um andere vom Markt zu drängen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir stehen für die Freiberuflichkeit und betonen das an dieser Stelle auch.

   Ein Gesundheitswesen hat nicht nur medizinische Leistungen anzubieten. Vielmehr muss ein Gesundheitswesen in seiner Organisation auch einer freiheitlichen Gesellschaft entsprechen.

   Ich möchte, dass deutsche Patienten, die auch Nachfrager sind, die Freiheit haben, ihren Hausarzt, ein Krankenhaus oder einen Facharzt aufzusuchen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte nicht, dass Wettbewerb durch ein Institutionengefüge entsteht, sondern ich möchte Wettbewerb auf der Nachfrageseite.

(Peter Dreßen (SPD): Reine Lobbyarbeit, was Ihr macht! Sonst nichts!)

   Wir haben einige Prinzipien zu beachten, zum Beispiel die Therapiefreiheit. Wir bekennen uns dazu, dass der Patient zum Arzt seines Vertrauens gehen kann. Niemand anders als dieser Arzt - auch kein Zentrum für Medizin - entscheidet, welche Therapie er für angemessen hält.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass Sie - das wissen Sie auch - die Beitragsstabilität mit diesem Gesetz nicht garantieren können. Sie werden sie nur garantieren können, wenn Sie den Menschen die Wahrheit sagen. Die Wahrheit lautet, dass die Stabilität nur dann möglich ist, wenn den Menschen durch Steuersenkungen netto mehr Geld im Portemonnaie bleibt und sie in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden, bei wem sie sich in welcher Höhe und wogegen versichern. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass Sie die Wahrheit sagen.

(Beifall bei der FDP)

   Ich versichere Ihnen heute für die Freien Demokraten: Wir sprechen uns wieder. Es führt kein Weg daran vorbei, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass derjenige, der die Beitragsentwicklung längerfristig und nachhaltig in den Griff bekommen will, einige Leistungen aus der GKV herausnehmen muss. Diese Leistungen können herausgenommen werden, wenn ihre Erbringung im Anbieterwettbewerb gut organisiert wird. Das können die Zahnbehandlung oder das Krankengeld sein, die als private Zusatzversicherung angeboten werden können. Denn die größte soziale Sicherheit und das schönste Leben hat man doch nicht in der GKV, sondern an einem Arbeitsplatz!

(Beifall bei der FDP)

Die Senkung der Lohnnebenkosten ist eine Notwendigkeit, die auch von den Anbietern zu berücksichtigen ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sager?

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Bitte, Frau Kollegin.

(Detlef Parr (FDP): Aber bitte ernsthaft!)

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Gerhardt, Sie haben gerade vom Anbieterwettbewerb gesprochen. Gehört es auch zum Anbieterwettbewerb, dass einem deutschen Apotheker von staatlicher Seite verboten wird, mehr als eine Apotheke zu besitzen?

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Zu der Freiberuflichkeit und zu selbstständigen Existenzen in Deutschland gehört, dass sie der Wirklichkeit entsprechen, dass keine Filialisierung stattfindet und dass sie am Markt in Vielfalt erscheinen. Im Übrigen halte ich einen Versandhandel in der Form, wie er in Nachbarländern organisiert ist, in Deutschland nicht für günstig. -

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist keine Antwort! - Zurufe von der SPD: Antworten!)

- Die Frage stellt die Frau Kollegin Sager und die Antwort gebe ich. Darauf sollten wir uns verständigen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich antworte noch einmal sehr präzise: Wir halten im Interesse des Gesundheitswesens eine Filialisierung nicht für die beste Grundlage für den Anbieterwettbewerb, sondern viele selbstständige Existenzen. Wir halten es im Übrigen auch mit Blich auf den Versandhandel für besser - diese Aufforderung richtet sich an die deutschen Apotheker -, wenn sie als Anbieter Gesellschaftsformen finden, die gleichzeitig das Rückgrat für eine gute und fachmännische Beratung in Deutschland bilden. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Franz Müntefering (SPD): Können Sie das alles noch mal wiederholen? Das war so schön!)

   Die deutsche Öffentlichkeit ist weiter als manche Diskussionsbeiträge hier. Die Menschen wissen, dass sie sich allein in der gesetzlichen Krankenversicherung mit all ihren Mechanismen, die sie seit zwei Jahrzehnten erlebt haben, nicht mehr sicher fühlen können. Sie wissen, dass sie ihnen bei angemessenen Beiträgen nicht mehr den größten Schutz bietet. Es wäre besser, wenn die Politik diese Erkenntnis der Bürgerinnen und Bürger, die sich mehr und mehr durchsetzt, aufgreift, sie bei der Neugestaltung des Gesundheitswesens umsetzt und den Menschen Wahlmöglichkeiten anbietet, wie wir Freien Demokraten das ernsthaft wollen.

(Beifall bei der FDP)

   Wir sind der Überzeugung, dass Tausende von Menschen im Gesundheitswesen aufgrund der freien Wahl ihres Arztes oder ihrer Ärztin sowie ihres Versicherungsträgers und aufgrund ihres Vertrauensverhältnisses zum Arzt den Wettbewerbsmarkt im Gesundheitswesen besser nach vorne bringen als alle Stellschrauben, die eine Ministerin und eine rot-grüne Koalition erfinden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb habe ich größte Zweifel, ob in den temporeichen Schritten, die uns bis zum 8. Juli ohnehin bevorstehen - man muss sich das vorstellen -,

(Zuruf von der FDP: Unverschämt!)

so etwas zustande kommen kann.

   Rot-Grün denkt anders als wir in der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten. Sie wollen ein System retten, das so nicht mehr zu retten ist. Sie verhindern erneut eine Veränderung, die wir dringend brauchen. Wer die demographische Entwicklung kennt, weiß, dass die medizinische Versorgung nur über mehr Elemente der privaten Kapitaldeckung gesichert werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wer die Europäisierung des Marktes kennt, weiß, dass sich ein deutscher Arzt nur behaupten und im Wettbewerb nur bestehen kann, wenn wir ihm bei der Gegenüberstellung der Nachfragemacht gleichzeitig auch die Anbietermacht im Wettbewerb geben.

(Beifall bei der FDP)

Dieses Gesetz löst beide Punkte nicht.

(Peter Dreßen (SPD): So ein Stuss!)

   Ich will Ihnen einmal einen Absatz vorlesen und Sie fragen, ob Sie ihn verstehen und ob Sie wissen, was Sie der Öffentlichkeit mit einem solchen Gesetz eigentlich zumuten. In dem Gesetz steht - das ist der Ausdruck des Geistes dieses Gesetzes -:

Bei der Ermittlung der oberen Preislinie des unteren Preisdrittels wird ein Arzneimittel nicht berücksichtigt, dessen Arzneimittelabgabepreis 90 vom Hundert des Preises desjenigen Arzneimittels übersteigt, das als erstes Arzneimittel mit diesem Wirkstoff zugelassen worden ist, es sei denn, der Anteil des nicht als erstes zugelassenen Arzneimittels an der Gesamtzahl der Packungen der zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff, identischer Wirkstärke und Packungsgröße und vergleichbarer Darreichungsform erreicht einen Anteil von mindestens 10 vom Hundert im Zeitraum der vorangegangenen vier Quartale.
(Detlef Parr (FDP): Alles klar?)

Glaubt hier eigentlich irgendjemand, dass das deutsche Gesundheitswesen in diesem Geiste zu reformieren ist? Ich glaube das nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Deshalb sage ich Ihnen - Herr Müntefering hat es unter unserer stillen Anteilnahme vorgetragen -: Ich weiß, was sich bei Ihnen getan hat. Sie haben drei Monate gebraucht, um den Sonderparteitag abzuhalten und sich über ein Minimum an Schritten klar zu werden. Verlangen Sie von uns nicht, dass wir Ihnen bis zum 8. Juli die Hand zu einem solchen Gesetz reichen! Wenn Sie das machen, was Sie hier erklärt haben, dass Sie zwar verhandeln, es aber am Ende notfalls durchsetzen wollen, dann werden Sie auf Ihre eigene Mehrheit zurückgreifen müssen.

(Franz Müntefering (SPD): Das ist nicht so schlimm!)

Die FDP-Fraktion kann einem solchen Weg und einem solchem Modell nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt.

(Beifall bei der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt darf die Frau Ministerin auch einmal!)

Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr Gerhardt hier gesprochen hat, ist es vielleicht noch einmal ganz nützlich, sich jenseits aller Reformdebatten über notwendige Reformmaßnahmen, die wir umsetzen müssen, darauf zu besinnen, dass sich das deutsche Gesundheitswesen bis heute dadurch auszeichnet, dass derjenige, der krank ist, all das erhält, was er medizinisch braucht und was aufgrund des medizinischen Fortschritts möglich ist.

(Beifall bei der SPD - Dr. Dieter Thomae (FDP): Das stimmt leider nicht! - Volker Kauder (CDU/CSU): Seit Sie regieren, stimmt das nicht mehr!)

- Herr Kollege Thomae, das erhält er vor allem unabhängig von seinem Geldbeutel und von seinem Alter.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Gehen Sie mal nach Greifswald!)

   Zeigen Sie mir eine Person, der eine notwendige Operation verweigert wurde! Zeigen Sie mir diejenigen, bei denen eine Transplantation oder eine andere Behandlung nicht vorgenommen wurde, nur weil sie Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse sind! Ich glaube, zur Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande gehört auch,

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Eine bessere Leistung!)

dass wir uns bei dem, was wir hier sagen, seriös verhalten

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und auch akzeptieren, dass uns Millionen Menschen auf dieser Welt um unser Gesundheitswesen beneiden, weil für alle - auch für alle Kinder - der Zugang zu medizinischen Leistungen sichergestellt ist. Wir wollen, dass das so bleibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das kann nur gelingen, wenn wir den Mut und auch die Kraft haben, notwendige Veränderungen vorzunehmen. Diese Veränderungen sind erforderlich, weil sich die Welt verändert hat. Wir wissen, dass Arbeit und Wissen heute weltweit verfügbar sind. Die Menschen werden älter. Zu wenig junge Menschen wachsen nach, es werden zu wenig Kinder geboren. Die Krankheitsbilder verändern sich. Der medizinische Fortschritt und die technischen Möglichkeiten wachsen rasch. Hinzu kommen konjunkturelle Probleme, die eine Einnahmenschwäche zur Folge haben.

   Deshalb: Wer den Sozialstaat bewahren will, der muss Änderungsprozesse einleiten. Änderungsprozesse im Gesundheitswesen einzuleiten, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann nicht bedeuten, allein den Versicherten und Kranken mehr aufzubürden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer nachhaltige Veränderungen einleiten will, der muss vielmehr darauf drängen, dass sich alle - ich sage ausdrücklich: alle - Akteure in diesem Gesundheitswesen bewegen, damit es uns gelingt, jeden Euro in diesem System wirklich zum Nutzen der Patientinnen und Patienten einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Schauen wir uns unser Gesundheitswesen an: Gemessen an den Pro-Kopf-Ausgaben haben wir das drittteuerste Gesundheitssystem der Welt. Trotzdem sind Leistung und Qualität in der Regel nur Durchschnitt.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Was denn jetzt? Durchschnitt oder nicht?)

Das ist kein Vorwurf an einzelne Akteure oder Akteurinnen, sondern das hat mit der Organisation des Gesundheitswesens zu tun. Anders als andere Länder dieser Welt erlauben wir uns völlig abgeschottete Bereiche. Der eine Arzt muss nicht wissen, was eine andere Ärztin verordnet hat. Menschen mit einer Chipkarte können ungefragt und ohne Beratung Leistungen in Anspruch nehmen, ohne dass das jemand kontrolliert. Passt das überhaupt zusammen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir eine zunehmende Zahl nicht nur von schweren Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen, sondern sogar an Todesfällen zu verzeichnen haben, die dadurch zustande kommt, dass Arzneimittel nicht zueinander passen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage noch einmal: Wir erlauben uns in der Arzneimittelversorgung Preisunterschiede für Arzneimittel mit vergleichbarem Wirkstoff von mehr als 300 Prozent bei gleichem Nutzen. Das erfordert Veränderungen. Hier müssen wir den Weg gemeinsam gehen und deutlich machen: Unser Ziel ist es, das Geld so effektiv einzusetzen, dass es den Patientinnen und Patienten zugute kommt und das System für alle bezahlbar bleibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Kollegin Merkel, wir wollen mit diesem Gesetzentwurf einen echten Qualitätswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung einleiten,

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Das wird wohl nichts!)

und zwar bei allen, bei den Kassen, bei den Ärztinnen und Ärzten, bei den Apothekerinnen und Apothekern, bei der Pharmaindustrie und bei den Krankenhäusern. Wer in einem so sensiblen Bereich wie dem deutschen Gesundheitswesen Wettbewerb will, der muss darauf achten, dass er solidarisch organisiert ist und Qualitätsstandards festgelegt werden.

   Lassen Sie uns einmal jenseits aller ideologischen Betrachtungen schauen, welche Erfahren andere Länder gemacht haben. Ich nenne beispielhaft die skandinavischen Länder, die Niederlande und die USA.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Katastrophe!)

Sie haben versucht, Netzwerke der besten Köpfe aus Praxis und Wissenschaft, Professoren, die an Krankenhäusern gearbeitet haben, zu bilden.

   Lassen Sie uns schauen, welche Qualitätsstandards wir als Grundlage des Wettbewerbs wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wie können wir Patientinnen und Patienten besser informieren und wie können wir - basierend auf groß angelegten Studien - herausfinden, was beim Kampf gegen große Volkskrankheiten wirklich hilft?

   Wenn wir dieses von uns geplante Institut unter diesen Gesichtspunkten betrachten, müssten wir zu einer Lösung kommen können, zumal dieses Institut keine Entscheidungen treffen, sondern nur Empfehlungen geben soll. Die Entscheidungsbefugnis bleibt bei der Selbstverwaltung. Jeder, der etwas von diesem System versteht, weiß, dass wir die Bewertung der Qualität von der Entscheidung über die Finanzierung trennen müssen. So wie es der Bundesausschuss bisher macht, ist es nicht optimal.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Vor allen Dingen wird es Zeit, dass wir endlich den Schleier der Intransparenz von den Entscheidungen, die auch in der Selbstverwaltung getroffen werden, wegreißen.

Mehr Qualität, mehr Effizienz, mehr Transparenz - das ist die Philosophie unseres Gesetzentwurfes. Hinzu kommt: Wir wollen gut informierte Bürgerinnen und Bürger. Wir sind davon überzeugt, dass nur der informierte Patient und die informierte Patientin wirklich in der Lage sind, sich in diesem System gesundheitsbewusst und kostenbewusst zu verhalten. Das ist Eigenverantwortung und geht über die reine Forderung nach mehr finanzieller Eigenbeteiligung hinaus. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, selbst darüber zu entscheiden und daran mitzuwirken, wie das Geld, das auch das Geld der Versicherten ist, effizient eingesetzt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN)

   Man kann mit Blick auf unseren Gesetzentwurf sagen, dass sich da ein Motto durchzieht, das lautet: Gesundheit geht vor. Das bedeutet, dass der Gesetzentwurf darauf ausgerichtet ist, die Reformen, die zum Wohle der Patientinnen und Patienten, der Bürgerinnen und Bürger notwendig sind, auf den Weg zu bringen und sie in den Mittelpunkt zu stellen. Das geschieht ohne Abstriche. Das heißt konsequenterweise: Wer das tut, muss sich gegen Lobbyinteressen stellen, sonst werden wir dieses Ziel nicht erreichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer das will, der muss dem Sankt-Florians-Prinzip eine Absage erteilen. Eine Reform nach dem Motto „Reformen ja, aber nicht bei mir“ funktioniert nicht mehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nur mit allen. Jeder muss seinen Beitrag leisten und der ganze „Koloss“ muss sich in Bewegung setzen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Aber in die richtige Richtung!)

- In die richtige Richtung. Wir werden noch weiter darüber diskutieren. Ich hoffe, dass das Angebot, im Bundestag zu Verhandlungen zu kommen, ernst gemeint ist.

(Jürgen Koppelin (FDP): In drei Wochen!)

Die Schwierigkeiten bei allen Diskussionen über das Gesundheitswesen und auch manchmal die Schwierigkeit, zu notwendigen Entscheidungen zu kommen, haben etwas damit zu tun, dass es kaum einen Bereich gibt, in dem es so widersprüchliche und manchmal schwer vereinbare Interessen gibt. Sie wissen das alle. Auf der einen Seite ist das Interesse der Patienten und Patientinnen, dass alles getan wird, was menschenmöglich ist, damit Menschen, gesund werden. Auf der anderen Seite müssen wir das Gesundheitswesen so organisieren, dass die Versicherten und Arbeitgeber es bezahlen können. Das ist das Spannungsverhältnis, in dem wir uns befinden. Die Politik muss, beide Interessen, die zwei Seiten einer Medaille sind, ausbalancieren und zusammenführen.

   Deshalb sind für uns Sicherheit und Bezahlbarkeit die beiden Pfeiler der Gesundheitsreform. Wenn wir in Zukunft das medizinisch Notwendige, auf hohem Niveau sicherstellen wollen, dann bedeutet das, dass wir Milliarden Euro einsparen und die Kassenlage in Ordnung bringen müssen. Das müssen wir gründlich tun.

   Das Festhalten an alten Zöpfen und Zünften verträgt sich nicht mit der Zukunft. Einfach immer nur bezahlen und die herkömmliche Praxis beizubehalten, das geht nicht mehr. Das hat nichts mit Einheitskassen zu tun. Wer die Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen immer weiter vor der kleinsten echten und fairen Konkurrenz schützen will, der trägt dazu bei, dass sich nichts im Gesundheitswesen bewegt. Wir müssen den Wettbewerb fördern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer das Gesundheitswesen retten will, muss eindeutig sagen, dass wir uns nicht länger erlauben können, Geld für unnütze und zweifelhafte Dinge auszugeben.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja!)

Wir müssen für die Patientinnen und Patienten die medizinische Versorgung zur Verfügung stellen, die nachgewiesenermaßen qualitätsgesichert ist. Alles andere wird nicht dazu führen, dass das Gesundheitssystem auch morgen noch die Sicherheit und Bezahlbarkeit für alle gewährleistet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aus diesem Grund besteht unser Reformentwurf aus drei großen Blöcken. Einerseits muss das, was sich bewährt hat und was die Menschen gewohnt sind, eine Kernaufgabe der Krankenversicherung sein. Dazu gehört auch die paritätische Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Krankenversicherung muss sich auf alles, was medizinisch notwendig ist, konzentrieren, von der Vorsorge bis hin zur Rehabilitation.

Das ist die eigentliche Aufgabe der Krankenversicherungen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben gemeinsam die Verantwortung, die Versicherungsbeiträge zu zahlen.

   Der zweite Punkt: Wir müssen genau prüfen, ob tatsächlich alle Leistungen, die die Krankenversicherung heute erbringt, finanziert werden müssen und welche gesellschaftlich notwendig, aber nicht von den Krankenkassen zu finanzieren sind. Zum Beispiel sind alle Leistungen, im Zusammenhang mit Mutterschaft und mit Schwangerschaft, die gesellschaftlich gewünscht sind, keine Aufgabe der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen, sondern sollen über Steuern finanziert werden.

   Frau Kollegin Widmann-Mauz und Herr Kollege Storm, ich würde mich freuen, wenn Sie zu Ihren Vorschlägen vom Februar stehen würden. Damals haben Sie gesagt, wir brauchten eine Erhöhung der Alkohol- und der Tabaksteuer, damit wir diese Leistungen finanzieren könnten und damit die Forderung nach Steuerfinanzierung nicht leer im Raume stehe. Deshalb bitte ich Sie, das gemeinsam mit uns umzusetzen. Das ist eine weitere Gemeinsamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der dritte Punkt betrifft die Frage, was die Menschen alleine finanzieren können. Ich möchte nur eines zu dem ergänzen, was Frau Kollegin Merkel gesagt hat. Wir sind der Meinung, dass wir das Krankengeld aus der paritätischen Finanzierung herausnehmen können. Das ist nichts, was medizinisch notwendig ist, sondern es ist eine Lohnersatzleistung. Wenn die Arbeitgeber 26 Milliarden Euro über die Lohnfortzahlung zahlen, dann können, wie wir finden, die Versicherten die rund 7 Milliarden Euro - es waren 7,1 Milliarden Euro - alleine finanzieren. Aber die Finanzierung bleibt in der gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar aus einem Grund, Frau Kollegin Merkel: Wir haben so die Möglichkeit, dass jeder Beiträge entsprechend seiner Leistungsfähigkeit bezahlt. Das ist der Unterschied zu dem Vorschlag, das ganz aus der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen und stattdessen privat abzusichern.

   Das Problem bei Ihrem Vorschlag zum Zahnersatz ist, dass die Menschen dieselben Leistungen bekommen wie derzeit in der gesetzlichen Krankenversicherung, aber zu einem Großteil wesentlich mehr dafür bezahlen müssten. Hinzu kommt, dass heute die Familie mitversichert ist. Aber nach Ihrem Vorschlag müsste ein Ehepaar, bei dem nur ein Partner verdient, zweimal Beiträge für Zahnersatz zahlen und auch weiterhin alle Zuzahlungen leisten. Man muss schon darüber sprechen, was das mit sozialer Gerechtigkeit und mit einer guten Zukunft zu tun haben soll.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sagen ganz klar: Wir werden alles tun, um den Strukturwandel einzuleiten. Wir stellen den mündigen Patienten und die mündige Patientin in den Mittelpunkt unserer Bemühungen. Wir stärken die Patientensouveränität. Wir werden die Qualität sichern. Wir verlangen aber von allen, von den Krankenkassen, von den Ärzten, von den Apothekern und Apothekerinnen und von der Pharmaindustrie, dass sie sich den notwendigen Reformprozessen nicht verschließen. Jeder muss dazu beitragen, dass die große kulturelle und zivilisatorische Errungenschaft in unserem Lande, das Herzstück des Sozialstaates, nämlich dass jeder, unabhängig vom Alter und vom Portemonnaie, die notwendigen medizinischen Leistungen erhält, auch in Zukunft bestehen bleibt und unseren Kindern und Kindeskindern ein Stück Sicherheit in dieser sich wandelnden Welt gibt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Schmidt, was haben Sie heute wieder für eine Rede abgeliefert!

(Widerspruch bei der SPD - Rudolf Bindig (SPD): Etwas mehr Niveau, bitte!)

Sie reden über Monate hinweg das deutsche Gesundheitswesen schlecht. Dann zerschlagen Sie die Strukturen, die zu Qualität und zu Patientenzufriedenheit in unserem Land geführt haben. Jetzt wollen Sie sich als die Retterin des Systems aufspielen.

   Das nimmt Ihnen angesichts eines Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung von 14,4 Prozent, der im Winter auf 15 Prozent ansteigen wird, draußen niemand mehr ab. Das, was Sie hier abliefern, ist reine Rhetorik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir sollten ebenso auch noch in diesem Jahr beginnen, die Gedanken über die Reform der bundesstaatlichen Ordnung, die überall - mit Recht übrigens - aufflackern, hier in den Deutschen Bundestag zu tragen. Ich schlage im Namen meiner Fraktion vor, im Herbst dieses Jahres eine umfassende Debatte zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung hier im Deutschen Bundestag und zusammen mit dem Bundesrat zu führen sowie das Verfahren zur Einrichtung einer Verfassungskommission zu klären. Die bundesstaatliche Ordnung ist Teil der Erfolgsgeschichte Westdeutschlands von 1949 bis 1989. Inzwischen gibt es aber Verwerfungen und Verkrustungen, die die Lösung der gesellschaftlichen und politischen Aufgaben unserer Zeit immer mehr behindern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Politischer Aufbruch braucht klare Verantwortungsstrukturen, handlungsfähige Städte und Gemeinden, eindeutige Zuordnung der Zuständigkeiten an die staatlichen Ebenen, den Bundestag als starken Bundesgesetzgeber, in gleicher Weise Raum für Subsidiarität und Eigenverantwortung, Bürgernähe, mehr Vernetzung, weniger Hierarchie, Optimierung der Finanzströme der öffentlichen Hände, mehr Mut zu Neuem, weniger Beharrung. Wir wollen diese Themen aufgreifen. Zur Erneuerung in unserem Land gehört Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme, Erneuerung der Arbeitsmarktstrukturen, Erneuerungsbereitschaft aufseiten der Wirtschaft und des Staates und Erneuerung der Strukturen unserer Demokratie.

(Jürgen Koppelin (FDP): Erneuerung der Bundesregierung!)

Das muss uns in diesem Jahrzehnt in Deutschland gelingen. Deshalb sprechen wir von der Agenda 2010.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um erste wichtige konkrete Schritte geht es heute hier.

   Wir brauchen aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Erneuerung der Mentalitäten, wenn wir Wohlstand dauerhaft sichern und soziale Gerechtigkeit gewährleisten wollen. Und das wollen wir. Wir brauchen in Deutschland mehr Mut,

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Eine gescheite Regierung!)

Mut zur Gestaltung und Zuversicht in die Stärke unseres Landes. Totale Sicherheit gibt es dabei nicht, aber die Zukunft braucht Wandel und Wandel bringt Sicherheit. Die Zukunft ist nicht am Reißbrett und nicht im Sandkasten planbar, aber die richtige Richtung ist sehr wohl erkennbar. Diese Richtung schlagen wir mit der Agenda 2010 ein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende dieses Jahres, das ein anstrengendes Jahr auch für uns im Deutschen Bundestag sein wird - wir werden viele gemeinsame Sitzungen haben, uns streiten und hoffentlich zu guten Ergebnissen kommen -, in Deutschland keine große gesellschaftliche Gruppe mehr geben wird, die nicht auf der richtigen Seite, auf der Seite der Erneuerung, stehen wird. Die Koalition geht voran, Sie bekommen vielleicht knapp die Kurve.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Andere in der Gesellschaft, die sich noch ein wenig zurückhalten, werden auch dabei sein. Ich sage Ihnen voraus: Ende des Jahres ist Deutschland auf die Erneuerung eingestimmt. Wir sind diejenigen, die mit ihr begonnen haben und sie vorantreiben. Sie haben das nicht geschafft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie uns also in einen vernünftigen Wettbewerb treten! Ich bin sicher, dass wir in diesem Jahr in Deutschland die nötigen Schritte tun. Das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz, das wir heute auf den Weg bringen, ist der erste wichtige und konkrete Schritt.

   Die Debatte und der Streit über den richtigen Weg in den vergangenen Wochen und Monaten in meiner Partei, in Ihren Parteien, in den Gewerkschaften, in den gesellschaftlichen Gruppen waren richtig und nötig. Sie haben an vielen Stellen Klarheit geschaffen und noch einmal deutlich gemacht, dass uns die Globalisierung, die Europäisierung und die demographische Entwicklung zu Veränderungen zwingen. Manche sagen, die Einsicht komme sehr spät. Das ist wahr, das kann man nicht bestreiten, aber sehr spät ist nicht zu spät.

(Lachen der Abg. Dr. Angela Merkel (CDU/CSU))

- Sie kam übrigens, Frau Merkel, auch bei Ihnen sehr spät. Sie brauchen da gar nicht zu lachen. Sie hätten es in den 90er-Jahren schon merken können; da wusste man bereits, wie die demographische Entwicklung verläuft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Da kann ich Sie aber anders zitieren! Lesen Sie die Protokolle noch einmal! - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wer hat denn den demographischen Faktor abgeschafft?)

Auch wenn es sehr spät ist, ist das kein Grund, sich jetzt noch den Veränderungen zu verweigern.

Zu einem weiteren Vorwurf, der von Ihnen und auch von anderen Stellen kommt, dass wir unsere Positionen gegenüber dem, was wir vor einem oder vor drei Jahren gesagt haben, kann ich nur sagen: Das stimmt. Dazu bekenne ich mich; dazu bekennen wir uns. Es wäre eine seltsame Politik, die von sich behauptete, dass sie zu keiner Veränderung bereit sei, auch wenn die Rahmenbedingungen sich verändern. Wir alle miteinander haben in den 90er-Jahren bis in die letzten Jahre hinein in der Hoffnung auf eine gute Entwicklung der Konjunktur die Strukturprobleme verdeckt. Das ist schlichtweg die Wahrheit und das müssen wir realisieren. Die Anzahl der Stufen der Treppe der Irrtümer wird immer größer.

   Wir haben große Herausforderungen zu meistern. Das, was wir in der Gegenwart versäumen, wird man in der Zukunft nicht wieder gutmachen können. Zukunft wagen heißt deshalb Zukunftsfähigkeit schaffen. Wir haben den Paradigmenwechsel mit unserem Konzept eingeleitet. Wir brauchen nämlich eine Gesundheitspolitik für die Menschen und wir haben klare Prinzipien für ihre Gestaltung.

(Jörg Tauss (SPD): Oh, das haben wir gemerkt! - Rudolf Bindig (SPD): Glauben Sie den Unsinn selbst, den Sie da vorlesen?)

   In einem humanen Gesundheitswesen muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Er muss am medizinischen Fortschritt teilnehmen und deshalb legen wir auch auf das Prinzip der Solidarität großen Wert. Wir wollen, dass die Menschen auch in Zukunft einen Anspruch auf eine qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung, unabhängig vom Alter, vom Geschlecht, vom Familienstand und vom Einkommen, haben.

(Beifall bei der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Das ist schon einmal was!)

   Aber

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt kommts!)

Solidarität braucht Verantwortung. Nur durch verantwortliches Handeln jedes Einzelnen kann die Solidargemeinschaft vor Überforderung geschützt werden. Diese Verantwortlichkeit gilt wirklich für alle, nicht nur für Versicherte und Patienten, sondern auch für Leistungserbringer und für die Krankenkassen.

(Helga Kühn-Mengel (SPD): Was sind denn da Ihre Vorschläge?)

   Wer gefordert wird, der muss auch gestalten können. Patienten müssen eine aktive Rolle übernehmen können. Wir wollen, dass Patienten und Versicherte als mündige Partner im Gesundheitswesen ernst genommen und nicht zum bloßen Objekt degradiert werden. Wir brauchen keine Klagemauer auf Bittstellerniveau, wie Sie sie mit Ihrem Gesetz wieder errichten wollen.

(Jörg Tauss (SPD): Das sind doch Textbausteine hier!)

   Statt die Menschen ständig mehr zu bevormunden, wollen wir sie stärker beteiligen. Wir wollen Ihnen Mitwirkungs- und Gestaltungsspielräume eröffnen. Das beginnt beim gesundheitsbewussten Verhalten und es geht weiter über Mitsprache und Mitwirkung bei der Behandlung, das heißt Mitbestimmung in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir wollen weg von der Funktionärswahl bei der Sozialwahl; wir wollen eine wirkliche Versichertenwahl.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir brauchen mehr Wettbewerb und Transparenz bei der Qualität und bei der Wirtschaftlichkeit. Deshalb wollen wir die Möglichkeit zur Kostenerstattung in unser System wieder einführen. Wir wollen aber auch den Abrechnungsbeleg und wir wollen Informationen über die Verwendung der Beitragsmittel bei den Krankenkassen. Das trägt zu Kostenbewusstsein in unserem System bei und ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Dazu gehört aber auch, dass wir die Selbstständigkeit und die Freiberuflichkeit in unserem Land als Garanten einer qualitativ hochwertigen Versorgung für die Zukunft bewahren.

   Wir wollen Wirtschaftlichkeitsreserven bei den Leistungserbringern abfordern. Deshalb haben wir ein Modell des Qualitätswettbewerbs entwickelt: Statt den von Ihnen vorgeschlagenen Wettbewerb um einzelne Ärzte - dazu sagen alle Beteiligten, sogar die Krankenkassen, dass sie damit überfordert sind; außerdem wird dadurch die Freiberuflichkeit infrage gestellt - wollen wir den Wettbewerb um die beste Versorgung. Wir haben ein Modell entwickelt, das dem ihrigen eindeutig überlegen ist, weil es die kollektivvertragliche Verantwortung sicherstellt, Leistungs- und Qualitätsanreize setzt und den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen durch ein Versorgungsangebot fördert, das die stationäre und die ambulante Versorgung kombiniert. Eine weitere Öffnung der Krankenkassen ermöglicht den Versicherten in unserem Land mehr Wahlmöglichkeiten, also eine bessere Auswahl zwischen verschiedenen Versorgungsstrukturen.

   Dazu gehört aber auch, dass wir die Ärzteschaft leistungsgerecht honorieren. Budgets führen hierbei nicht weiter. Wer eine bessere Leistung erbringt, der muss dafür auch honoriert werden und er darf dafür am Ende des Jahres nicht bestraft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was Sie unter Wettbewerb verstehen, das zeigen die Abschnitte, in denen es um die kassenartenübergreifenden Fusionen geht. Damit ermöglichen Sie die Einheitskasse. Am Ende wird nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb herauskommen.

   Was die Finanzierungsgrundlagen anbelangt: Es ist wichtig, keine Luftschlösser zu bauen, sondern unser Solidarsystem auf soliden finanziellen Grundlagen aufzubauen. Wir müssen die Lohnnebenkosten senken. Das Ziel, den Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung auf 13 Prozent zu senken, scheint unstrittig zu sein. Wer meint, man könne Einsparungen in Höhe von 20 Milliarden Euro - dieses Volumen ist nötig, um den Beitragssatz entsprechend zu senken - erzielen, ohne dass es jemand merkt oder ohne dass es jemand spürt, der erliegt einer Illusion; er macht den Menschen in unserem Land etwas vor.

   Deshalb müssen auch hier die Prinzipien stimmen. Unsere Vorschläge müssen ökonomisch vernünftig und ordnungspolitisch sauber sein. Sie müssen sozialverträglich und gerecht sein, das heißt, die Lasten der Maßnahmen müssen ausgewogen auf viele Schultern verteilt werden und dürfen nicht einseitig den Kranken aufgebürdet werden. Sie müssen vor allen Dingen nachhaltig sein. Wir geben mit unserem Modell auch erste Antworten auf die demographische Entwicklung und auf den medizinischen Fortschritt als die größten Herausforderungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir schlagen vor, den Zahnersatz durch eine private Pflichtversicherung zu finanzieren. Warum tun wir das? Damit senken wir Lohnzusatzkosten. Es ist ein klar abgrenzbarer Bereich. Wir haben in diesem System die Möglichkeit zum Aufbau von Altersrückstellungen. In diesem System wird ein größeres Gesundheitsbewusstsein etabliert; denn optimale Prävention und Prophylaxe können Zahnersatz im Grunde oft überflüssig machen. Dass wir dabei in guter Gesellschaft sind, zeigt nicht nur das Beispiel der Schweiz. Niemand würde auf die Idee kommen, die Schweiz oder die skandinavischen Länder als unsolidarische Länder in Europa zu bezeichnen. Auch dort herrscht dieses Prinzip vor.

   7,50 Euro im Monat pro Erwachsenen ist sozialverträglich. Kinder sind kostenlos mitversichert. Es gibt weder eine Risikoprüfung noch Risikozuschläge. Wir bieten damit mehr Gestaltungsmöglichkeiten beim Leistungsumfang, auch für Leistungen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung heute nicht erstattet werden. Auch individuelle Wünsche und Präferenzen sind versicherbar. Zusätzliche Tarife sind damit kombinierbar. Das bietet mehr Chancen, mehr Freiheit. Deshalb ist das der richtige Ansatz.

   Unser zweiter Baustein ist die Selbstbeteiligung der Patienten. Wir haben in der Bundesrepublik ein im internationalen Vergleich völlig undurchsichtiges und unsystematisches System an Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen. Die Selbstbeteiligung liegt bei uns in diesem Sektor im internationalen Vergleich viel zu niedrig. Deshalb ist es richtig, eine prozentuale Selbstbeteiligung - unser Vorschlag: 10 Prozent - in allen Leistungsbereichen, aber sozial begrenzt auf maximal 2 Prozent des jährlichen beitragspflichtigen Bruttoeinkommens, anzusetzen. Wir nehmen mitversicherte Kinder aus. Alle Maßnahmen der Vorsorge und Früherkennung sollen nicht betroffen sein.

   Dies ist eine sehr soziale Komponente; denn wer mehr verdient, kann auch mehr Eigenverantwortung wahrnehmen. Wer sozial schwächer ist, muss weniger an Eigenleistung beisteuern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist allemal besser als die 100-prozentige Selbstzahlung, wie Sie sie in Ihrem Modell vorschlagen.

   Wir lassen die Menschen am Fortschritt teilhaben. Wir schärfen das Kostenbewusstsein.

(Lachen bei der SPD - Peter Dreßen (SPD): Das glauben Sie selber nicht!)

Das hat eine positive Steuerungswirkung. Bei Sehhilfen einzusparen, wie Sie es vorschlagen, hat höchstens eine negative Steuerungswirkung, zum Beispiel im Straßenverkehr.

   Wir wollen international Chancengleichheit erreichen, zum Beispiel durch Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf den ermäßigten Satz. Es ist doch nicht einzusehen, dass in unserem Land das Mickymausheft als Grundbedarf definiert wird, aber lebensnotwendige Arzneimittel nicht unter diese Regelung fallen dürfen.

(Rudolf Bindig (SPD): Wir wollen Seehofer wiederhaben!)

   Wir wollen die versicherungsfremden Leistungen umfinanzieren. Uns liegt sehr daran, dass wir in der Beihilfe analoge Maßnahmen treffen; da werden wir Sie an Ihren Äußerungen genau messen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich frage mich: Wo sind da Ihre Vorschläge, zum Beispiel betreffend das Sterbegeld in der Beihilfe? Da hört und sieht man bei Ihnen nichts. Unsere Vorschläge sind in der Beihilfe zeit- und wirkungsgleich umsetzbar. Das sorgt für soziale Gerechtigkeit. Sie haben doch genau das Krankengeld in die private Absicherung ausgegliedert, weil Sie wissen, dass eine Analogie für die Beamten nicht herstellbar ist. Die Beamten brauchen das Krankengeld nicht, weil sie vom Staat alimentiert werden. Das ist nicht soziale Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir wollen, dass Sozialhilfeempfänger in unserem Gesundheitswesen in Zukunft genauso behandelt werden wie gesetzlich Krankenversicherte. Deshalb ist es richtig, dass wir für sie zu einer Beitragszahlung an die gesetzliche Krankenversicherung kommen und nicht die Zweiklassenmedizin fortsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig!)

   Wir streben eine solide Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung an. Ihre rot-grünen Luftschlösser sind Schall und Rauch, vor allem dann, wenn sie aus blauem Dunst bestehen.

Steuererhöhungen sind bei der derzeitigen konjunkturellen Lage pures Gift.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Frau Schmidt, Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie eigentlich wollen: Wollen Sie Prävention oder wollen Sie Geld? An Ihrem Beschluss, die Tabaksteuer in einem Dreierschritt zu erhöhen, wird doch ganz deutlich, dass Sie den Menschen nicht das Rauchen abgewöhnen wollen, sondern sie an höhere Steuern gewöhnen wollen.

(Andreas Storm (CDU/CSU): Wie bei der Ökosteuer!)

Dieser Weg ist eindeutig falsch und von einer Gesundheitsministerin eigentlich so auch nicht vertretbar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine Damen, meine Herren, wir wollen keine große Koalition, aber wir sind zu einer großen Kooperation bereit, wenn es darum geht, den Einstieg in eine echte Gesundheitsreform zu schaffen. Das heißt, weg von der Staatsmedizin hin zu mehr Eigenverantwortung und Mitbestimmung der Patienten und Versicherten, weg von Bevormundung und Bürokratie hin zu mehr Freiheit und Wettbewerb, weg vom kurzatmigen Stopfen der Finanzlöcher hin zu einer Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die langfristig tragfähig ist und von den Menschen her denkt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Rudolf Bindig (SPD): Schlechteste Beitragsleistung heute!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Widmann-Mauz, Ihr Auftritt - sehen Sie mir meine Bemerkung nach - mag als Selbstdarstellungsrede vor dem CDU-Kreisverband Tübingen geeignet sein, aber als Auftakt zu einer großen Kooperation, wie Sie es nennen, nicht. Da haben Sie, wie ich glaube, die falsche Tonlage gewählt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jörg Tauss (SPD): Der Kreisverband hat ein höheres Niveau! - Widerspruch bei der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich nur zwei Beispiele aufgreifen: Sie reden selbst da Differenzen herbei, wo wir gar keine haben. Für die Erhöhung der Tabaksteuer waren Sie selber noch bis zum Februar dieses Jahres.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist oft so!)

Sie könnten es einfach einmal begrüßen, dass wir hier einen richtigen Schritt machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger werden nach dem rot-grünen Gesetzentwurf in Zukunft auf Chipkarte behandelt. Da sind wir uns doch einig. Sagen Sie doch einfach einmal: Das finden wir gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Tonlage der Frau Fraktionsvorsitzenden Merkel - sie ist jetzt gerade leider im Gespräch - hat mir erheblich besser gefallen. Darauf würde ich gerne eingehen. Erster Punkt. Frau Merkel hat - das habe ich mit Interesse gehört - kritisiert, dass es zu wenig Wettbewerb in unserem Vorschlag gebe. Wenn Sie, Frau Merkel und werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU und CSU, für Wettbewerb sind, dann haben Sie in uns gute Bündnispartnerinnen und -partner. Wir wollen, dass die Kassen nicht mehr nur über den Preis konkurrieren, sondern tatsächlich in einen Wettbewerb um die beste Versorgungsqualität eintreten. Dazu aber brauchen die Kassen die Möglichkeit, Verträge mit den Arzneimittelherstellern, den Apothekern und den Ärzten abzuschließen.

(Jörg Tauss (SPD): Ja, das ist gut!)

Wir brauchen Regelungen, wie solch ein flexibles Vertragsgeschehen gehandhabt werden kann. Das bedeutet, den Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern zu ermöglichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Da aber hat die CDU bislang leider einen blinden Fleck.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie Wettbewerb so aufteilen wollen, dass die Patienten mehr zuzahlen müssen, aber die Leistungsanbieter geschont werden, weil bei ihnen alles so bleiben kann, wie es ist, dann können wir nicht zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Zweiter Punkt. Frau Merkel, Sie sprachen von Qualitätsmanagement. Das finde ich sehr interessant. Offensichtlich sehen auch Sie, dass wir im deutschen Gesundheitswesen ein Qualitätsproblem haben. Diese Aussage unterscheidet sich ja wohltuend von der Redeweise der Ärztefunktionäre, die einfach sagen: Wo ist das Problem? Wir sind gut, rückt uns bloß nicht auf den Pelz.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Wenn Sie also zugestehen, dass wir mit Über-, Unter- und Fehlversorgung in Deutschland ein Problem haben, dann lassen Sie uns darüber reden, wie wir Rahmenbedingungen für bessere Qualität setzen können. Wir brauchen Qualitätssteigerung. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge. Es muss klar sein, dass die Politik hier einen Handlungsauftrag hat.

   Zum Dritten muss ich sagen: Wir müssen uns schon darüber verständigen, wie das Solidarsystem gestaltet werden soll. Gestern habe ich gelesen und gehört, dass die CDU für den Erhalt des Solidarsystems ist - schön. Sie sind aber auch für die Privatisierung des Zahnersatzes. Das sehen wir anders. Man muss das nicht als Privatisierungsorgie bezeichnen; aber mir ist aufgefallen, dass Frau Merkel im Zusammenhang mit der Privatisierung des Zahnersatzes von einem Pilotprojekt gesprochen hat. Außerdem habe ich vorhin im Pressespiegel gelesen, dass das Papier Ihrer Herzog-Kommission schon wieder vorschlägt, die ganze Zahnbehandlung und den Bereich der Unfälle zu privatisieren.

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Im Gegensatz zu Ihnen denken wir bis 2030!)

   Da sage ich: Moment mal! Der Weg, den die FDP uns hier vorschlägt,

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Den wollen Sie nicht gehen!)

die praktisch alles aus der Krankenversicherung herausnehmen will - das Krankengeld, die Unfälle, die Kuren, die Taxifahrten, die Zähne sowieso -, führt dahin, dass vielleicht auf der Fassade noch Solidarsystem steht, hinter dieser Fassade aber alles nur noch privat ist.

   Wir werden einen Weg, der aus dem Solidarsystem ein potemkinsches Dorf macht, nicht mitgehen. Ich setze darauf, dass die CDU diesem Weg zu widerstehen weiß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Andreas Storm (CDU/CSU): Fragen Sie den Oswald Metzger! - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wir sprechen mit Metzger! Sie mit Seehofer, wir mit Metzger!)

   Deswegen, lieber Herr Kollege, denke ich, wir sollten jetzt in Gespräche eintreten. Dann kann man die Tonlage öffentlich ein bisschen senken. Es ist in unser aller Interesse, dass wir eine Gesundheitsreform durchführen, und zwar schnell. Denn die Leute wollen sehen, dass wir die Lohnnebenkosten senken, dass wir mehr Qualität in dieses Gesundheitswesen bringen und dass wir uns einigen können, dass Politik handlungsfähig ist. Lassen Sie uns das gemeinsam beweisen.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Thomae, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Dieter Thomae (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seitdem Rot-Grün an der Regierung ist, haben Sie in diesem Bereich viele Gesetze formuliert. Die Beitragssätze sind gestiegen, der Überwachungsstaat ist stärker geworden

(Lachen bei der SPD)

und die Versorgung ist erheblich verschlechtert worden.

(Beifall bei der FDP - Rudolf Bindig (SPD): Jetzt kommen die Lobbyisten!)

   Nehmen Sie das Beispiel Greifswald im letzten Dezember. Dort war das Budget erschöpft, die Patienten konnten nicht behandelt werden und die Universitätsklinik Greifswald musste aufgrund Ihrer Budgetierung schließen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das sind die Fakten. So kann man eine Liste von einzelnen Häusern vorlegen, in denen medizinische Leistungen nicht mehr erbracht werden können,

(Peter Dreßen (SPD): Das ist doch nicht wahr!)

weil Sie die Budgetierung in den Vordergrund Ihrer Überlegungen stellen.

   Jetzt legen Sie einen Gesetzentwurf vor und glauben, damit könnten Sie den Beitragssatz stabilisieren. Jeder Fachmann sagt heute: Mit diesen Maßnahmen ist ein Beitragssatz von 13 Prozent nicht zu erreichen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

Sie müssen schon mutiger sein.

   Wir sagen ehrlich: Wir wollen einen Bereich, der im Umlageverfahren finanziert wird, auch in Zukunft. Aber wir wollen auch Leistungen ausgliedern, zum Beispiel Krankengeld, private Unfälle und den Zahnbereich, um ihn in ein Prämiensystem zu überführen. Aber im Gegensatz zu Ihnen wollen wir das erst dann, wenn eine Steuerreform auf den Weg gebracht worden ist, damit die Bürger dies mit finanzieren können. Das ist ein himmelweiter Unterschied zu Ihren Überlegungen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Dann reden Sie davon, ganz neue Wege gehen zu wollen. Ja, Sie gehen neue Wege:

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Zur Staatsmedizin!)

Von Freiberuflichkeit ist in diesem Gesetz keine Rede mehr. Sie wollen Gesundheitszentren, sogar von den Krankenkassen, organisieren. Sie wollen die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung öffnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wollen den jungen Medizinern einen Vertrag über fünf Jahre geben und diesen dann nicht verlängern. Glauben Sie, eines Ihrer Kinder würde fünf Jahre investieren, um dann keinen neuen Vertrag mehr zu bekommen?

(Peter Dreßen (SPD): Das stimmt so nicht!)

   Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen einmal sehr deutlich, was Sie machen: Sie öffnen die Krankenhäuser und wollen die Freiberuflichkeit vernichten, weil Sie die Macht von Verdi in diesem Bereich vergrößern wollen. Das ist das Thema.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

   Sie wollen unser Gesundheitssystem den Systemen in anderen europäischen Staaten annähern. Ich freue mich, dass die Ministerin Vergleiche mit anderen europäischen Staaten, beispielsweise mit Holland, zieht. Holland hat ein „hervorragendes“ System mit „super“ Wartezeiten. Die holländischen Patienten kommen über die Grenze zu uns. Und Sie wollen das holländische Konzept in Deutschland einführen? Da frage ich mich: Lernen Sie nie?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie reden von Wettbewerb. Aber Sie bevorzugen die Gesundheitszentren gegenüber den niedergelassenen Ärzten bei der Honorierung. „Super“ ist das; von Gleichberechtigung und Wettbewerb kann keine Rede sein.

   Ich sage Ihnen eines: Sie werden Wettbewerb nur organisieren können, wenn Sie die Kostenerstattung einführen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kostenerstattung hat zwei Aspekte. Erstens. Der Patient wird über Leistung und über den Preis der Leistung informiert. Das ist sehr wichtig.

(Peter Dreßen (SPD): Das wird er bei uns auch!)

- Nein, eben nicht. Er bekommt eine Patientenquittung, aber er wird nicht über den Preis der Leistungen informiert.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig! Er weiß nicht, was es kostet!)

   Zweitens. Die Kostenerstattung führt zu einem Wettbewerb unter den Leistungserbringern. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Das ist ein himmelweiter Unterschied zu Ihren Vorschlägen. Deswegen werden wir die Kostenerstattung bekommen.

   Noch eine Bemerkung zum Schluss. Es ist fast schon schizophren, wenn bei der Erarbeitung dieses neuen Gesetzes von Rot-Grün überhaupt nicht beachtet wird, was in Europa passiert. Der Europäische Gerichtshof hat vor einem Monat entschieden, dass Patienten über die Grenzen hinweg Leistungen im ambulanten Bereich in Anspruch nehmen können. Wollen Sie die deutschen Patienten gegenüber Patienten aus anderen Ländern diskriminieren? Lernen Sie aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs! Dann bleibt uns der Weg erspart, dass Deutschlands Gesundheitswesen in eine Staatsmedizin überführt wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD - Rudolf Bindig (SPD): So ein Unsinn! - Weiterer Zuruf von der SPD: Das sind halt die Lobbyisten!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Marianne Linke.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Dr. Marianne Linke, Ministerin (Mecklenburg-Vorpommern):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Verehrte Gäste! Willy Brandt hat einmal gesagt: „Eine Reform ist eine Reform, wenn sie das Leben der Menschen verbessert.“ Das ist eine Orientierung, mit der auch die Landesregierung in Schwerin übereinstimmt. Das ist ein Grundsatz, dessen Einhaltung zu gegebener Zeit und an gegebenem Ort immer wieder eingefordert werden muss. Ich denke, hier und heute ist so ein Tag und so ein Ort; denn hier und heute werden die über Jahrzehnte bewährten Grundpfeiler des Sozialstaates infrage gestellt.

   Die gesetzliche Krankenversicherung stellt nicht nur das älteste Element der Sozialversicherung, sondern geradezu ihr Kernstück dar. Geben wir hier das Prinzip der paritätischen Finanzierung zur Absicherung gegen Gesundheitsrisiken und Krankheitsfolgen auf - dazu gehört auch der Zahnersatz -, dann höhlen wir das Solidarmodell in der Sozialversicherung insgesamt aus.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Es ist eine Gesundheitsreform erforderlich, die das Solidarprinzip stärkt und die allen Menschen der Gesellschaft auch weiterhin den Zugang zu einer bedarfs- und qualitätsgerechten medizinischen Versorgung ermöglicht. Der einheitliche Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist zu erhalten und der sozialen Funktion des Gesundheitswesens ist Rechnung zu tragen. Der medizinische Fortschritt und die demographische Entwicklung erfordern selbstverständlich eine Verbesserung der Einnahmensituation der gesetzlichen Krankenversicherung.

   Wenn die größte Oppositionspartei im Bundestag mit dem profiliertesten Sachkenner in den eigenen Reihen über „Privatisierungsorgien“ in Streit gerät, dann ist das ein Armutszeugnis besonderer Art.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD), der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos) und)

   Mit mehr als 4 Millionen Beschäftigten ist das Gesundheitswesen ein Jobmotor ohnegleichen. Gerade für die neuen Länder hat dieser eine enorme Bedeutung. Das Krankenhaus ist an vielen Standorten der größte verbliebene Arbeitgeber. Wir in Mecklenburg-Vorpommern haben eine Gesundheitswirtschaft, die noch mehr zum Wohle der Menschen - auch der Menschen aus anderen Bundesländern - leisten könnte.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Was ist mit Greifswald?)

   Wir dürfen diesen Jobmotor nicht abwürgen, indem wir mit immer neuen Vorschlägen zur Belastung der sozial Schwachen gerade diese daran hindern, das medizinisch Notwendige auch in Anspruch zu nehmen. Wir sollten diesen - vielleicht sogar den - Wachstumsmarkt der Zukunft im Interesse der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen nicht durch gesetzgeberische Fehlanreize, wie zum Beispiel durch die von der Union geforderte 10-prozentige Selbstbeteiligung, eingrenzen. Denn das eine sind Arbeitsplätze, die jetzt schon real vorhanden sind, und das andere sind eben potenzielle Arbeitsplätze, für die es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einen objektiv wachsenden Bedarf gibt.

   Selbstverständlich befürwortet die Schweriner Landesregierung alle Maßnahmen, die die Frau Bundesministerin heute zur Verbesserung von Effizienz, Qualität und Transparenz in der medizinischen Versorgung vorgestellt hat. Vorhaben wie das Zentrum für Qualität in der Medizin, die nachweispflichtige Fortbildung oder die Orientierung auf den Hausarzt und auch die Stärkung der Patientenrechte finden daher meine volle Unterstützung.

   Bei der Prävention bitte ich Sie als Gesetzgeber, einiges dazuzulegen, zum Beispiel durch ein Präventionsgesetz und durch die Errichtung einer Bundesstiftung für Gesundheitsförderung und Prävention, die sich auch aus Mitteln aus der Erhebung der Tabaksteuer speisen könnte.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Unser Gesundheitswesen braucht eine konsequente Förderung der integrierten Versorgung. Die Kosten treibende und qualitätsbegrenzende Abschottung der Versorgungsbereiche muss überwunden werden. Gerade in den neuen Ländern sind in der Zeit nach der Wende mithilfe des Bundes sehr viele öffentliche Mittel in die Krankenhäuser geflossen. Wir haben hier ein leistungsstarkes Potenzial. Allein in Mecklenburg-Vorpommern wurden seit 1991 1,5 Milliarden Euro in die 35 Krankenhäuser unseres Bundeslandes investiert. Dieses Kapital wollen wir noch besser nutzen und ausbauen, indem wir die Krankenhäuser zu Kompetenz- und Gesundheitszentren für die integrierte Versorgung entwickeln.

   Die PDS hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder für den Gedanken der Polikliniken eingesetzt. Ich begrüße, dass die Erfahrungen der neuen Länder auch in den alten Bundesländern immer mehr Befürworter finden. Ich befürworte ausdrücklich die von der Frau Bundesministerin angesprochene Aufhebung der strikten Trennung von ambulanter und stationärer medizinischer Versorgung.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Wichtig ist mir, dass die Hausärzte gestärkt werden. Was aber ist, wenn es die Hausärzte nicht mehr gibt?

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Bei Ihnen bald!)

Die schönsten Modelle nützen wenig, wenn es heißt: Leider keiner zu Hause in Ueckermünde oder Grimmen. - Für den Osten ist es vor allen Dingen wichtig, in den nächsten Jahren den Generationswechsel in der Ärzteschaft zu bewältigen. Fast ein Drittel der Hausärzte erreicht in den nächsten Jahren das Ruhestandsalter. Nicht zuletzt wegen der Mehrarbeit bei deutlich geringeren Honoraren fällt es in unserem Land zunehmend schwer, Praxisnachfolger zu finden.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Ach nein!)

   Die schnelle Ost-West-Angleichung der Vergütung ist deshalb unverzichtbar. Wir brauchen sie als Signal für die Nachbesetzung unserer Hausarztpraxen. Sie ist aber auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Denn warum soll die ambulante Behandlung einer Grippe oder die Behandlung eines allergiekranken Kindes oder die Blinddarm-OP eines Patienten aus Parchim weniger wert sein als die eines Kasseler Bürgers?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Die paritätische Finanzierung des Krankengeldes sollte nicht aufgegeben werden. Warum? - Es besteht die Gefahr, dass, sofern die durch die Streichung des Krankengeldes erhoffte Beitragssatzentlastung nicht eintritt, Zug um Zug weitere Eingriffe folgen. Die paritätische Finanzierung der Leistungen in der Krankenversicherung ist doch für die Arbeitgeber nicht nur ein Kostenfaktor, sondern besitzt auch eine wichtige Anreizwirkung. Die heutige hohe Bereitschaft zur betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention wird ausgehöhlt, wenn die Parität entfällt.

   Meine verehrten Damen und Herren Abgeordnete, das Gesundheitswesen und letztlich alle Bürger brauchen vor allem eine grundlegende Neustrukturierung der Einnahmenseite; darüber wurde viel gesprochen. Haben Sie den Mut, auch die Starken in unserer Gesellschaft entsprechend ihrem Leistungsvermögen - im wahrsten Sinne des Wortes, aber auch im übertragenen Sinne - zur Kasse zu bitten!

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Mittlerweile fordern Politiker und Experten aus allen Lagern die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger mit eigenem Einkommen, die Einbeziehung von Freiberuflern und Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung.

(Hildegard Müller (CDU/CSU): Das ist eine Milchmädchenrechnung!)

Die Union in Bund und Ländern sollte hier ihrem bayerischen Vordenker Seehofer folgen - und nicht den Lobbyisten der privaten Krankenversicherung.

(Beifall des Abg. Peter Dreßen (SPD))

Die Zeit ist reif für die Umgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer echten Bürgerversicherung. Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, die GKV ist dabei nicht als Einheitsversicherung oder Einheitskasse, sondern als GKV in ihrer vielfältigen Ausgestaltung zu sehen.

   Jahrelang haben Bundesregierungen die Beitragsbemessungsgrenze von der gesetzlichen Krankenversicherung hin zur privaten Krankenversicherung so gezogen, dass gut verdienende, junge Leistungsstarke stimuliert wurden, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Durch diese Flucht der Besserverdienenden aus der solidarischen GKV sind der Versichertengemeinschaft Mittel in Milliardenhöhe verloren gegangen. Das darf durch Vorschläge oder gar Vorhaben wie die 10-prozentige Eigenbeteiligung nicht zusätzlich beschleunigt werden.

In praktikabler Form sollte auch die Einbeziehung von Vermögen in die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung umgesetzt werden. Einkommen wird heute nicht nur aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erzielt. Einkommen wird auch und zu einem stetig wachsenden Teil aus der Vermietung von Wohnungen, aus Dividenden und anderen Kapitaleinkünften erworben. Schon vor Jahren haben Studien der AOK bewiesen, dass mit einer solchen Neustrukturierung der Einnahmen Beitragssatzabsenkungen von fast 5 Prozent möglich wären. Hier liegen echte Reserven für eine Senkung der Lohnnebenkosten. Ich appelliere deshalb an Sie: Haben Sie den Mut, Lösungen in dieser Richtung zu suchen und zu finden. Verabschieden Sie eine Reform, die den eingangs zitierten Intentionen Willy Brandts gerecht wird!

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rot-Grün legt heute nun endlich ein Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz vor. Leider wird es seinem Namen nicht gerecht und verdient ihn nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Staatsdirigismus, Ausweitung der Verwaltung, Zerschlagen der Freiberuflichkeit, Rationierung und Patientengängelung sind kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Dieter Thomae (FDP): So ist es!)

   Mit Genehmigung der Präsidentin darf ich die „Rheinische Post“ zitieren. Sie schreibt:

Anders als die rot-grüne Mannschaft, die mit der Beschränkung der Arztwahl und der Einführung eines Kontrollzentrums rückwärts Richtung Planwirtschaft passt, flankt die Merkel-Mannschaft kräftig nach vorn.
(Zurufe von der SPD: Ui! - Rudolf Bindig (SPD): Das ist aber ein Fehlpass!)
10 Prozent Selbstbeteiligung an den Kosten für Arznei, Arztbesuch und Krankenhaus, sozial austariert durch Höchstgrenzen und Kostenfreiheit für die Kinder - das ist ein Steilpass für echte Reformen.
(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Abseits!)
Denn nur mit mehr Eigenverantwortung kann es gelingen, den Patienten zum kostenbewussten Nachfrager zu machen und Wettbewerb in das Gesundheitssystem zu bringen.

Ich glaube, diesem Zitat ist nicht sehr viel hinzuzufügen.

(Jörg Tauss (SPD): Außer: Unfug!)

- Herr Kollege Tauss, Lautstärke ist kein Beweis für Intelligenz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, manche Reden und die Meldungen der Medien vermitteln den Eindruck, als bestehe unser Vorschlag ausschließlich aus einem Abkassiermodell. Wenn das so behauptet wird, dann muss man entweder unter Realitätsverlust leiden oder sein eigenes Gesetz nicht richtig kennen. Bei der Fokussierung darauf werden ganz bewusst wichtige Strukturelemente verschwiegen: Qualitätswettbewerb, Prävention, Beteiligung der Versicherten, Freiberuflichkeit und der große Bereich des Bürokratieabbaus.

   Aber selbst wenn man nur über die Zuzahlungen diskutieren würde, sind Ihre Aussagen unredlich. Wir sagen den Bürgern klar und deutlich, was wir mit Zuzahlung meinen und wie viel diese betragen sollen. Sie dagegen überschreiben die Zuzahlungen für den Bürger in Ihrem Gesetz mit „Entlastung der Kassen“; letztendlich aber ist es nichts anderes als eine Zuzahlung für den Bürger. Deshalb sollten wir im Umgang mit Zahlen ehrlicher sein.

   Bei uns werden die Bürger - das haben wir mit unserem Vorschlag klar gesagt - mit einer einheitlichen 10-prozentigen Zuzahlung bei einer Obergrenze von maximal 2 Prozent des Bruttoeinkommens und gleichzeitiger Zuzahlungsbefreiung von Kindern mit rund 6 Milliarden Euro sowie durch die private Absicherung des Zahnersatzes mit rund 1,75 Milliarden Euro belastet. Das entspricht einer Gesamtbelastung von rund 7,75 Milliarden Euro. Gleichzeitig aber werden die Versicherten bei uns entlastet: durch Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel und Kürzung der Verwaltungskosten.

   Dagegen wird in der Öffentlichkeit die Belastung der Versicherten durch das rot-grüne Reformgesetz ganz bewusst verschwiegen. Wäre dies nicht der Fall, würde man sehr schnell erkennen, dass Sie die Versicherten wesentlich stärker belasten als wir.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist jetzt aber eine Erfindung!)

Um das deutlich zu machen, möchte ich die Belastungen einmal im Einzelnen benennen: erstens Herausnahme des Krankengeldes aus der paritätischen Finanzierung;

(Peter Dreßen (SPD): Aber in der Solidarität!)

zweitens Streichung der OTC-Präparate, das heißt der Arzneimittel mit schwachen Nebenwirkungen, aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung; drittens Praxisgebühr in Höhe von 15 Euro bei direktem Facharztbesuch; viertens Änderung der Härtefallregelung für Arzneimittelzuzahlungen; fünftens Anhebung der Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalt auf 12 Euro; sechstens Reduzierung der Leistungen bei Sehhilfen; siebtens höhere Beiträge bei Rentnern auf Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen; achtens Reduzierung der Leistungen bei Fahrtkosten und neuntens Streichung des Sterbegeldes und Begrenzung der Leistungen bei Sterilisation, künstlicher Befruchtung und Entbindung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bender?

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Ja, ich möchte aber vorher noch einen Satz sagen, damit das abgeschlossen ist. Danach beantworte ich ihre Frage gern.

   In der Summe sieht das rot-grüne Modell Belastungen für die Versicherten von über 10 Milliarden Euro vor.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Plus Tabaksteuer!)

Wenn Ihre Ministerin - wie gestern im Fernsehen - unsere Mehrbelastungen in Höhe von 7,7 Milliarden Euro als unsozial bezeichnet, frage ich: Was sind die eigenen 10 Milliarden Euro?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Man könnte sagen, die Steigerung von unsozial lautet Schröder-Schröpf. Darüber können wir gern diskutieren.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Zöller, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass unsere Vorschläge nicht unsozial sind, Ihre Rechnung dagegen unseriös ist? Wenn Sie die Umfinanzierung des Krankengeldes als Belastung der Versicherten bei uns einrechnen - das trifft an sich auch zu -, dann müssen Sie auch so ehrlich sein und den Preis für die Privatisierung des Zahnersatzes nennen. Sie bedeutet ja nicht nur, dass die Versicherten ihn allein bezahlen, sondern sie müssen dafür wegen der Privatversicherung und privatärztlichen Abrechnung sogar mehr bezahlen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Wo ist die Frage?)

   Zweitens. Finden Sie es wirklich sozial, dass ein Mensch, der das ganze Jahr über gesund war und plötzlich ins Krankenhaus kommt - eine Krankenhausbehandlung hat nach den jüngsten Zahlen aus dem Jahr 2001 im Schnitt mehr als 3 000 Euro gekostet -, auf einen Schlag 300 Euro zusätzlich zu den Beiträgen zahlen muss?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Zunächst ist eines mehr als seltsam: Wir haben eine Obergrenze der Belastung der Versicherten von 2 Prozent vorgesehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie ist nicht höher als Ihre Obergrenze von 2 Prozent. Das heißt, auch bei uns muss der Versicherte bezüglich der einzelnen Belastungen nicht mehr als 2 Prozent zahlen. Ich halte es für unredlich, dass Sie unsere vorgesehenen Belastungen in Höhe von 7,7 Milliarden Euro als unsozial bezeichnen, während Sie selber 10 Milliarden Euro bei den Menschen abkassieren wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Dieter Thomae (FDP): Tabaksteuer!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Gern.

Klaus Kirschner (SPD):

Herr Kollege Zöller, wir haben nie verschwiegen - das wird auch in unserem Gesetzentwurf deutlich -, dass Belastungen auf die Versicherten zukommen werden. Wie hoch würden aber die Belastungen ausfallen, wenn der Arbeitgeberbeitrag eingefroren würde? Sie haben bisher nicht gesagt, in welcher Höhe Sie ihn einfrieren wollen; gehen wir hier einmal von 6 bis 6,5 Prozent aus. Sie müssen uns auch sagen, wie hoch die Belastungen der Versicherten durch die Streichung des Zahnersatzes, auf die die Kollegin Bender bereits einging, werden.

   Sie sagen, für jede Art von Leistung soll ein Eigenanteil von 10 Prozent, höchstens jedoch 5 Euro, zusätzlich bezahlt werden. Werden die Versicherten dadurch nicht in viel stärkerem Maß zur Kasse gebeten als durch unsere Regelungen? Sie sehen vor, dass jede einzelne Leistung zusätzlich bezahlt werden muss; das müssen Sie seriöserweise aber zu den Belastungen addieren.

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Sie können davon ausgehen, dass wir das bereits addiert haben. Das ist doch vollkommen klar. Deshalb haben wir auch gesagt: Die 10-prozentige Zuzahlung wird einen Umfang von 6 Milliarden Euro ausmachen. Das ist seriös gerechnet.

   Die erste Frage betraf

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Einfrierung des Arbeitgeberbeitrags!)

- danke schön - das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags. Wir haben erklärt, dass wir das mittelfristig durchsetzen wollen. Ich halte das sogar für die gerechtere Lösung. In dem Moment, in dem der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wird, muss die Versichertengemeinschaft insgesamt die erhöhten Kosten zahlen. Wenn dies nicht gemacht wird, müssen die Kranken durch erhöhte Zuzahlung die Kosten allein tragen. Das Einfrieren des Arbeitgeberanteils ist daher sozial gerechter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann-Mauz?

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Ja.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Könnt ihr das nicht in der Fraktionssitzung klären?)

Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU):

Lieber Kollege Zöller, könnten Sie den Kollegen des Deutschen Bundestages erklären, wo im Gesetzentwurf von Rot-Grün eine soziale Begrenzung bei den Leistungen, die die Menschen wieder eigenverantwortlich regeln sollen, vorgesehen ist? Ich meine die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel und Sehhilfen. Wo liegt da die Grenze für den sozialen Schutz?

   Vielleicht könnten Sie auch eine Aussage dazu machen, ob sich die Verschiebung der Parität, die Rot-Grün zur Finanzierung des Krankengeldes vorsieht, nur auf das Krankengeld oder auf alle Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung bezieht.

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Der erste Punkt, Frau Kollegin: Es ist natürlich wesentlich unsolidarischer, ganze Leistungsbereiche herauszunehmen. Dann bleibt den Versicherten nichts anderes übrig, als diese Leistungen zu 100 Prozent selbst zu zahlen.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist mit dem Zahnersatz? Ist das eine ganze oder eine halbe Leistung?)

- Wenn Sie das nicht verstehen, dann können Sie dazu gerne eine Frage stellen.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe es nicht verstanden!)

   Der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben: Da sich Rot-Grün nicht einigen konnte, das Krankengeld ganz aus dem Leistungskatalog herauszunehmen, was systemgerechter gewesen wäre, hat man - ich sage es einmal so - eine Zwitterlösung gefunden, indem einfach die Parität verschoben wurde. Inwiefern ist das noch solidarisch? Was das mit Parität zu tun hat, wenn der Arbeitnehmer das Doppelte zahlt, müssen Sie schon erklären. Ich jedenfalls verstehe es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Noch ein Unterschied bei der Zuzahlung zwischen Ihrem und unserem System ist erwähnenswert. Ihr Gesetzentwurf enthält über 20 verschiedene Zuzahlungsregelungen. Gleichzeitig fällt ein großer Teil der Zuzahlungen heraus. Das heißt, Sie haben Bereiche ausgegrenzt und dafür über 20 verschiedene Zuzahlungsregelungen aufgenommen. Daher bin ich der Auffassung, dass unsere einfache und übersichtliche Regelung des gesamten GKV-Bereiches für die Versicherten wesentlich transparenter ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass keiner mehr den Überblick über alle bisherigen Zuzahlungsregelungen im Gesetz hat. Ich bin ganz ehrlich: Auch ich habe einen Spickzettel dabei. Deshalb könnten wir diesen Bereich mit einer einfachen Regelung wesentlich sinnvoller gestalten.

   Damit noch nicht genug. Das rot-grüne Modell beherbergt noch weitere kostenintensive Fallgruben, die der Reform jedwede Nachhaltigkeit rauben. Das Hausarztmodell wurde angesprochen. Ich bin felsenfest davon überzeugt: So, wie es im Gesetzentwurf angelegt ist, wird dieses Hausarztmodell zu mehr und nicht zu weniger Kosten führen,

(Andreas Storm (CDU/CSU): Richtig!)

wie Sie es der Bevölkerung gerne weismachen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das Zentrum für Qualitätssicherung stellt eine neue staatsnahe Behörde dar, die unweigerlich zu mehr Bürokratie und damit wiederum automatisch zu Kostensteigerungen führt. Wir brauchen doch nicht mehr Bürokratie und Verwaltung in diesem System. Wir müssen endlich gemeinsam den Mut aufbringen, die Verwaltungskosten und den Verwaltungsaufwand in diesem System drastisch zu reduzieren.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine gute Idee!)

Es geht doch nicht an, dass allein in den letzten vier Jahren rund 3 800 zusätzliche Verwaltungsfachkräfte im Gesundheitswesen eingestellt werden mussten und gleichzeitig rund 15 000 Pflegekräfte entlassen wurden. Damit ist eine Verschiebung erfolgt. Die Ausgaben für die Verwaltung sind höher als die für die sinnvolle Behandlung von Kranken. Insofern ist in diesem Bereich eine Umsteuerung notwendig. Ich bin sehr dankbar, dass in unserem Gesetzentwurf erstmals die Senkung der Verwaltungskosten zwingend festgeschrieben wird.

   Eines kann ich Ihnen nicht ersparen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Bürokratisierung für Sie eine Art Droge bedeutet. Ich möchte das an einem Beispiel belegen. Wir haben doch - darin bin ich mir felsenfest sicher - ein gemeinsames Ziel, nämlich dass die preisgünstigsten Arzneimittel in Anspruch genommen werden sollen. In dem Ziel sind wir uns wohl alle einig. Unser Vorschlag dazu lautet, eine Zuzahlung in Höhe von 10 Prozent einzuführen. Wir sind davon überzeugt, dass dies zu einer kostenbewussten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen führen wird.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): So ist es richtig!)

Dabei handelt es sich um eine sehr einfache Regelung: 10 Prozent Zuzahlung, und Sie werden sehen, dass die Menschen selber bestrebt sein werden, das preisgünstigste Arzneimittel zu bekommen. Das ist unser Vorschlag: übersichtlich und einfach.

   Nun zu Ihrem Gegenvorschlag. Dazu darf ich einen Satz wiederholen, den der Kollege Gerhardt bereits zitiert hat.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Das versteht kein Mensch!)

Ihre Regelung sieht Folgendes vor - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -:

§ 129 wird wie folgt geändert: ... Bei der Ermittlung der oberen Preislinie des unteren Preisdrittels wird ein Arzneimittel nicht berücksichtigt, dessen Arzneimittelabgabepreis 90 vom Hundert des Preises desjenigen Arzneimittels übersteigt, das als erstes Arzneimittel mit diesem Wirkstoff zugelassen worden ist, es sei denn, der Anteil des nicht als erstes zugelassenen Arzneimittels an der Gesamtzahl der Packungen der zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff,
(Dr. Dieter Thomae (FDP): Herr Müntefering, erklären Sie das mal!)
identischer Wirkstärke und Packungsgröße und vergleichbarer Darreichungsform erreicht einen Anteil von mindestens 10 vom Hundert im Zeitraum der vorangegangenen vier Quartale.

Das war der erste Satz.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Verstehen Sie das nicht?)

- Nein, ich verstehe das nicht, tut mir Leid. Aber das ist doch auch nicht unser Gesetzentwurf, sondern Ihrer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der zweite Satz lautet:

Ein Arzneimittel, dessen Packungsgröße abweicht von der Packungsgröße anderer Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff, gleicher Wirkstärke und vergleichbarer Darreichungsform ist preisgünstig nach Satz 1 Nr. 1, wenn sein Preis nicht höher ist als das Vielfache aus der Zahl der Einzelanwendungen in der Packung dieses Arzneimittels und den Kosten je Einzelanwendung in der nächstgrößeren Packung zum Preis entsprechend der oberen Preislinie des unteren Preisdrittels.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

   Jetzt kommt der entscheidende dritte Satz:

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Der Hersteller ist verpflichtet, in seinen Mitteilungen zur Erstellung von Preislisten jeweils anzugeben, ob das Arzneimittel preisgünstig nach Satz 1 Nr. 1 ist.

Das muss vom Apotheker überprüft werden.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Gegensatz zu Ihnen kann der das!)

Es muss auch von den Krankenkassen überprüft werden und ich befürchte, dass Sie demnächst auch noch das Zentrum für Qualität in der Medizin diesen Schwachsinn überprüfen lassen.

   Ich meine, dass der ganze Paragraph gestrichen werden kann. Mit unserer 10-prozentigen Zuzahlung ist das Ziel wesentlich einfacher und sinnvoller zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir wollen auch einen Großteil der rund 7 000 existierenden Vorschriften streichen, nämlich die, die nicht notwendig sind. Muss beispielsweise gesetzlich geregelt werden, dass der sechste Zahn von hinten nur mit einer bestimmten Verblendungsform versehen werden darf? - Das kann doch nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein!

Sie haben aber keine einzige Vorschrift zurückgenommen oder gekürzt. Im Gegenteil: Sie legen uns jetzt 380 neue Seiten mit neuen und zusätzlichen Vorschriften vor, durch die das Ziel, mehr Transparenz und Übersichtlichkeit herzustellen, aber nicht erreicht wird.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel für unwirksame, unsinnige und bürokratische Regeln von Frau Ministerin Schmidt nennen.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Ganz langsam!)

Gegen unseren Willen wurde gestern im Gesundheitsausschuss die Positivliste beschlossen. Wenn wir Ihren Gesetzentwurf ernst nehmen, müssen wir heute alle Medikamente, die eine schwache Nebenwirkung haben, aus dieser Liste wieder herausnehmen. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf nämlich geschrieben, dass alle OTC-Präparate, also alle Arzneimittel mit schwachen Nebenwirkungen, nicht mehr vergütet werden dürfen. Gestern haben Sie aber eine Liste beschlossen, in der diese Arzneimittel noch enthalten sind.

   Jetzt kommt der Gipfel: Heute korrigieren Sie Ihr Gesetz, das gestern im Ausschuss beschlossen wurde. Nun höre ich, dass Sie schon jetzt - Sie merken, dass es Schwachsinn ist - eine Korrektur der Korrektur des Gesetzes von gestern einführen. Sie beauftragen den Bundesausschuss, Indikationen festzulegen, damit solche nur schwach wirksamen Medikamente entgegen der Positivliste bzw. Ihrer Regelung, dass OTC-Produkte nicht mehr bezahlt werden, doch wieder aufgenommen werden können. Es tut mir Leid: Das ist ein Wust von Bürokratie, Behördenaufgaben und neuen Vorschriften.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Das ist schon schlimm!)

Damit ist unser Gesundheitswesen nicht zu retten.

   Für die Union ist diese Gesetzesvorlage keine geeignete Grundlage für zielführende Verhandlungen. Es ist auch bezeichnend: Schauen Sie sich einmal unsere zehn Seiten an. Auf unseren zehn Seiten sind mehr strukturelle Elemente vorhanden als auf Ihren 380. Wenn wir versuchen, auf der Grundlage unserer zehn Seiten zu verhandeln, werden wir, da bin ich mir sicher, gemeinsam etwas Vernünftiges zustande bringen können.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.

Gudrun Schaich-Walch (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Merkel, ich habe eine Frage an Sie. Eingangs der Debatte gab es ein Angebot, dass wir über das Vorliegende, den Gesetzentwurf und Ihren Antrag, in diesem Parlament verhandeln könnten. Vorhin sagte Herr Zöller, er sehe dafür gar keine geeignete Grundlage. Zum Ende dieser Debatte würden wir von Ihnen jetzt gerne sehr klar wissen, wie die Verhandlungen aussehen sollen und wie sie organisiert und durchgeführt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss die Opposition nicht sagen!)

   Dass der Ausschuss tagt und über die Dinge, die eingebracht wurden, berät, ist mehr als eine Selbstverständlichkeit. Es wäre sehr wünschenswert, wenn wir wenigstens das als eine klare Aussage Ihrerseits heute mit auf den Weg nehmen könnten. Nicht nur wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier, sondern auch die Menschen in diesem Land wollen eine klare Aussage dazu haben, dass es einen gemeinsamen Willen der hier vertretenen Fraktionen gibt, zu einem Ergebnis bezüglich der Reform des Gesundheitswesens zu kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Zöller, es gab heute sehr viel Trennendes und einiges Einigende. Sie haben aus einer Zeitung vorgelesen. Es gibt andere Zeitungen, aus denen ich heute vorlesen könnte. Die „Frankfurter Rundschau“ hat zum Beispiel sehr deutlich gemacht, dass es sich bei Ihrem Vorschlag um ein Abkassiermodell und um den Einstieg in die Privatisierung des Gesundheitswesens handelt. Es wurde so deutlich gemacht, dass es in diesem Land eigentlich auch jeder verstehen können sollte.

   Neben dem Trennenden nehme ich allerdings auch einiges Einigende mit, nämlich die Tatsache, dass wir uns hier gemeinsam darüber bewusst sind, dass wir ein leistungsfähiges Gesundheitssystem haben. Im letzten Jahr haben wir über 140 Milliarden Euro zur Versorgung der Patienten ausgegeben. Alle Versicherten haben Zugang zu den medizinisch notwendigen Leistungen.

   Frau Widmann-Mauz sagte, es gebe Wartelisten bei uns. Auf der anderen Seite erklärt sie aber, dass wir die Wartelisten anderer Länder abarbeiten. Ich meine, Sie sollten einmal zu einem Klärungsprozess kommen. Wenn wir die Wartelisten anderer abarbeiten, dann bedeutet das nämlich ganz klar, dass wir keine haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller?

Gudrun Schaich-Walch (SPD):

Vielleicht zum Ende hin.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Da ich heute Geburtstag habe, hätte es ja sein können!)

   Einen ganz wesentlichen Beitrag zu unserem Gesundheitswesen leisten die Menschen, die dort arbeiten. Es wird unsere gemeinsame Aufgabe sein, darauf zu achten, dass sie mit ihrer Arbeit, die sie dort erbringen, zufrieden sind und dass sie eine vernünftige wirtschaftliche Basis haben. Es kann nicht sein - wie Sie von der Union es heute vorgetragen haben und wie es auch aus Ihrem Antrag hervorgeht -, dass die durch die notwendigen Veränderungen entstehenden Belastungen allein von den Versicherten zu tragen sind und Sie um diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten, einen Schutzzaun errichten und sagen, jegliche Veränderungen dort seien des Teufels.

(Beifall bei der SPD)

   Wir brauchen Reformen und wir müssen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen sowie auf den medizinischen Fortschritt eingehen. Wir müssen diese in unser System einbringen. Letztendlich müssen aber alle, die an diesem System partizipieren - egal in welcher Art und Weise -, ihren Beitrag dazu leisten.

   Wenn ich sage, alle müssen einen Beitrag leisten, meine ich damit auch die Pharmaindustrie, die Apotheken, den Großhandel, die Ärzte, die Versicherten und die Patienten. Nach Gesprächen, die ich geführt habe, kann ich sagen: Die meisten Menschen sind dazu bereit. Sie sind bereit, diese Belastungen gemeinsam zu tragen.

   Frau Widmann-Mauz, auf der einen Seite sprechen Sie von einer gleichmäßigen Verteilung der Lasten auf breite Schultern; auf der anderen Seite sehe ich bei Ihnen kaum Vorschläge für strukturelle Veränderungen, nur den Vorschlag einer 10-prozentigen Zuzahlung.

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

Angesichts dessen frage ich mich, ob in diesem Land nur die Patientinnen und Patienten Schultern haben und alle anderen Menschen nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Mit dem Entwurf, den wir Ihnen vorgelegt haben, setzen wir sehr konsequent eine begonnene Politik hin zu mehr Prävention, mehr Qualität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit fort. Wir haben zu all diesen Bereichen Angebote unterbreitet. Ich nenne die Patientenkarte mit der Weiterentwicklung zur Patientenakte und eine verstärkte Prävention. Sie wissen alle, dass es auch ein gesondertes Präventionsgesetz geben wird. Wir erfüllen mit unserem Entwurf also viele Anforderungen, die als solche auch in Ihrem Papier stehen, die Sie allerdings - weil Sie sich nicht einigen konnten - nicht so weit gehend und im Detail beschreiben konnten, wie wir es getan haben.

   Im Mittelpunkt unseres Gesetzentwurfs steht die Verbesserung der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Ich denke, das ist auch ein gemeinsames Ziel. Wir müssen daher unsere Strukturen an den tatsächlichen Notwendigkeiten der Versorgung und nicht daran ausrichten, wie wir die Einkommen der Leistungserbringer - auch der Selbstständigen - sichern können. Es muss also weiterhin im ambulanten Bereich, im krankenhausärztlichen und auch zahnärztlichen Bereich die notwendige Versorgung zur Verfügung stehen. Allen Versicherten muss weiterhin uneingeschränkter Zugang zu den verordneten Leistungen gewährt werden und der finanzielle Beitrag - das ist ganz wichtig -, der dazu gehört, muss sich nach wie vor nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Einzelnen richten. Mit Ihrer Lösung beim Zahnersatz verstoßen Sie eklatant gegen dieses Prinzip.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Bei den Sehhilfen haben Sie gar keinen Sozialschutz!)

   Die notwendige medizinische Versorgung muss weiterhin solidarisch finanziert werden. Die Beiträge dafür müssen weiterhin paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht werden. Dabei gibt es einen deutlichen und klaren Unterschied zu Ihnen: Ihr Vorschlag der privaten Finanzierung von Zahnersatz ist ja eindeutig der Ausstieg aus der solidarischen Finanzierung einer medizinisch notwendigen Sachleistung. Das ist beim Krankengeld nicht der Fall.

(Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Ach nein?)

Ich sage es noch einmal: Ihr Vorschlag bedeutet den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung einer medizinischen notwendigen Leistung. Deshalb ist das mit unserem Vorschlag zum Krankengeld nicht vergleichbar.

   Was aber noch schlimmer ist: Sie haben heute in der Debatte und auch in Pressebeiträgen die Option eröffnet und deutlich gemacht: Ihr Vorschlag ist der Einstieg in die private Absicherung des Krankheitsrisikos. Das ist etwas, was mit uns nicht zu machen ist, auch wenn Sie es unter dem netten Begriff „Paradigmenwechsel“ verstecken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Andreas Storm (CDU/CSU): Ist das eine Absage an Gespräche?)

   Ihr Vorschlag verletzt das solidarische Grundelement unserer gesetzlichen Krankenversicherung, dass Beiträge zur Krankenversicherung entsprechend dem Einkommen gezahlt werden. Wer viel verdient, zahlt auch viel. Das ist Solidarität.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie aber beginnen letztlich mit der Zerstörung der Solidarität dadurch, dass Sie eine einseitige Belastung der Versicherten herbeiführen. Ferner wollen Sie den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung festschreiben. Damit - da hatte der Kollege Kirschner absolut Recht - koppeln Sie die Arbeitgeber von der Dynamik der Ausgabenentwicklung bei den medizinischen Leistungen ab. Ich glaube, das ist ein Schritt, der nicht vertretbar ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Beim Krankengeld haben Sie es auch gemacht!)

Ich spreche von dem Unterschied zwischen den medizinischen Leistungen und den Sozialleistungen. Wir finanzieren demnächst auch andere soziale Leistungen wie das Mutterschaftsgeld um. Den Vorschlag habe ich bei Ihnen auch gefunden. Sie wissen nur nicht, wie Sie zu den 1,5 Milliarden Euro kommen. Das ist offensichtlich nur das Problem des Finanzministers.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mehrwertsteuer auf Medikamente!)

Wir beschreiten auch dort den Weg der Veränderungen.

   Das heißt also schlicht und einfach, dass alle Lasten, die aus dem demographischen Wandel und dem medizinischen Fortschritt resultieren, nach Ihrem Vorschlag alleine von den Arbeitnehmern getragen werden sollen. Auch Ihr Vorschlag, eine Selbstbeteiligung von 10 Prozent für alle medizinischen Leistungen einzuführen, belastet einseitig die Kranken.

   Man muss auch einmal über Zahlen reden. Herr Zöller, Sie können sonst so gut rechnen. Heute hat es bei Ihnen nicht so geklappt.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Da werden Sie sich wundern!)

Ein Durchschnittsverdiener mit 2 500 Euro Monatsgehalt wird bei Ihrem Modell mit 600 Euro im Jahr zusätzlich belastet. Ich frage Sie, ob das vernünftig ist, da nicht zu erkennen ist, dass Sie auf der anderen Seite eine Entlastung vornehmen. Sie setzen letzten Endes nur Ihre gescheiterte Politik, die Sie bis 1998 betrieben haben, fort, mit der die Kranken für ihr Kranksein bestraft wurden.

   Ganz besonders schlimm - das wissen Sie auch - sind die chronisch Kranken dran. Dann werfen Sie Nebelkerzen. Sie können unserem Entwurf entnehmen, dass wir gerade chronisch Kranke entlasten, indem diese nicht 2 Prozent, sondern nur 1 Prozent zur Finanzierung beitragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eigenverantwortung heißt bei uns - anders als bei Ihnen - nicht immer nur zahlen, zahlen, zahlen, sondern bei uns hat der Patient in Zukunft die Chance zu entscheiden,

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Er zahlt bei Ihnen mehr als bei uns! Das ist unredlich, was Sie sagen!)

was er zahlt und ob er zahlt. Das hängt davon ab, wie er sich im System verhält und für welche Versorgungsstruktur er sich entscheidet.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sind 10 Milliarden nicht mehr als 7,5 Milliarden?)

Das ist ein Stück Freiheit.

   Ähnlich verhält es sich mit der von Ihnen vorgeschlagenen Kostenerstattung. Schauen Sie sich die Krankenversicherungssysteme an, die eine Kostenerstattung haben. Das ist die private Krankenversicherung. Sie hat einen Verwaltungsaufwand von 10 Prozent. Bei der GKV beträgt der Verwaltungsaufwand etwa 5 Prozent. Sie aber beklagen die Bürokratie. Mit diesen 10 Prozent wird die Bürokratie bezahlt. Sie müssen sich schon entscheiden, wohin Sie wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will aber auch nicht verkennen, dass wir Gemeinsamkeiten haben. Diese bestehen darin, den Schwerpunkt auf die Prävention zu setzen, mehr Transparenz zu schaffen, die Patientenrechte zu verbessern und die Qualität zu steigern. Zu all diesen Punkten finden Sie Angebote in unserem Entwurf. Auch Sie haben welche. Darüber müssen wir reden. Sie müssen uns sagen, wann, wie und wo wir darüber reden. Das sind Sie uns letztendlich schuldig.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, erfüllen Sie jetzt den heutigen Geburtstagswunsch des Kollegen Zöller und lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Gudrun Schaich-Walch (SPD):

Mache ich doch glatt.

Wolfgang Zöller (CDU/CSU):

Kollegin Schaich-Walch, können Sie mir eventuell zustimmen, dass es, wenn der Wunsch zu gemeinsamen Verhandlungen wirklich ernst gemeint ist, logisch ist, dass der gestern beschlossene Gesetzentwurf über die Positivliste eigentlich in das Gesundheitsmodernisierungsgesetz gehört, da Sie doch selber gesagt haben, dieser sei eines der Kernstücke Ihrer Gesundheitsreform? Wir empfinden es schon als einen seltsamen Akt, dass man vorher ein Kernstück herausnimmt, es damit zustimmungsfrei macht und dann fragt, ob darüber nicht verhandelt werden solle.

Gudrun Schaich-Walch (SPD):

Ich muss Sie erst einmal korrigieren. Nicht die Herausnahme hätte den Gesetzentwurf zustimmungsfrei gemacht, sondern die Positivliste ist bereits mit der Gesundheitsreform im Jahre 1999 in Angriff genommen worden. Durch sehr sorgfältige Arbeit ist der Gesetzentwurf erst jetzt zum Abschluss gekommen.

(Lachen bei der FDP)

Sie können doch nicht den Anspruch erheben, dass wir alle Gesetzentwürfe, die jetzt noch nicht abgeschlossen sind, im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform zu verhandeln haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Können Sie die sorgfältige Arbeit einmal beschreiben?)

   Lassen Sie mich zum Schluss kurz noch etwas zum Thema Wettbewerb sagen. Man hatte heute bei Ihren Reden den Eindruck, Wettbewerb sei plötzlich des Teufels. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Wettbewerb brauchen, um zu Verbesserungen zu kommen. Es wird Ihnen, glaube ich, nicht gelingen, sich an strukturellen Veränderungen vorbeizumogeln.

   Einfach immer nur mehr Geld in das System zu stecken löst unsere Probleme letztlich nicht. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe. Es scheint, wir werden uns bei einigen Punkten einigen können; bei anderen Punkten wird das kaum möglich sein. Das Ganze wird ausgesprochen schwierig werden. Die Menschen in diesem Land haben aber einen Anspruch darauf, dass wir zumindest den ernsthaften Versuch wagen und dass wir ihnen erklären, wie es geht.

   Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie enthalten alle wesentlichen und notwendigen Punkte. Ihre Vorschläge haben noch Fragmentcharakter. Wir sind gerne bereit, Ihre intensive Auslegung zu den einzelnen Punkten entgegenzunehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1170 und 15/940 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlagen auf Drucksachen 15/1174 und 15/1175 sollen an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 15/1170 überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:

4. a) Überweisungen im vereinfachten Verfahren

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Beweisaufnahmedurchführungsgesetz)

- Drucksache 15/1062 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland und weiterer berufsrechtlicher Vorschriften für Rechts- und Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

- Drucksache 15/1072 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Juni 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien über die Auslieferung

- Drucksache 15/1073 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:

3. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem EU-geführten Einsatz zur Stabilisierung der Sicherheitslage und Verbesserung der humanitären Situation in Bunia auf der Grundlage der Resolution 1484 (2003) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
30. Mai 2003

- Drucksachen 15/1168, 15/1177 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 15/1177 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin

   Über die Beschlussempfehlung werden wir im Anschluss an die Debatte namentlich abstimmen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Aussprache eröffnen kann, bitte ich diejenigen, die sich in den Gängen unterhalten, ihre Gespräche in der Lobby des Bundestages fortzuführen. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 51. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 19. Juni 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15051
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