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15. Wahlperiode
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   54. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Die frühere Kollegin Angelika Volquartz hat am 16. Juni 2003 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Der Abgeordnete Helmut Lamp hat als ihr Nachfolger am 18. Juni 2003 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den uns bereits aus der 14. Wahlperiode bekannten Kollegen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 14 auf:

17. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen

- Drucksache 15/1089 -

(Erste Beratung 48. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

- Drucksache 15/1224 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Lange (Backnang)

ZP 14 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 15/1206 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
A. f. Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Wolfgang Clement das Wort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn dieses Monats haben wir ein Gesetz für Erleichterungen von Existenzgründungen und zur Förderung von Kleinunternehmen erörtert. Heute steht eine große Reform des Handwerksrechts auf der Tagesordnung. In der Tat: Seit dem In-Kraft-Treten der Handwerksordnung im Jahre 1953 gab es in diesem Land keine vergleichbare Reform des Handwerksrechts, wie wir sie heute anstreben.

   Mit dieser Novelle wollen wir das Handwerksrecht zukunftssicher und europafest machen. Wer sich die Situation beim Handwerk anschaut, der sieht, dass daran kein Weg vorbeiführt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das ist eine Täuschung!)

Seit Jahren verzeichnen wir einen Rückgang der Zahl der Betriebe im Handwerk und einen Abbau von Beschäftigungsverhältnissen und vielen Ausbildungsplätzen. Seit Jahren gehen die Umsätze zurück.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Bei der Politik kein Wunder! - Hans Michelbach (CDU/CSU): An wem liegt das?)

- Wenn Sie einmal zurückrechnen, Herr Kollege, dann stellen Sie fest, dass Sie Anteil daran haben. - Notwendig ist deshalb ein deutlicher Impuls für mehr Existenzgründungen im Handwerk und für mehr Beschäftigung und Wachstum.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hans Michelbach (CDU/CSU): Schauen Sie sich die Insolvenzen an!)

   Bei dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, geht es um eine Änderung der Strukturen. Wir wollen weder den großen Befähigungsnachweis abschaffen,

(Zuruf von der SPD: Genau!)

noch haben wir vor - das wird gelegentlich behauptet -, einem der wichtigsten Bereiche unserer Wirtschaft, nämlich dem Handwerk, den Garaus zu machen.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Natürlich wollen Sie das!)

Solche Behauptungen entbehren jeder Grundlage; sie sind Unsinn. Das Gegenteil ist richtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer sich die Situation einigermaßen unbefangen ansieht, der erkennt, dass das Handwerk große strukturelle Probleme hat. Damit es in seinen Grundstrukturen erhalten bleiben und vor den heutigen und künftigen Herausforderungen bestehen kann, muss es Veränderungen geben.

   Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, haben ein Konzept mit dem Titel „Handwerk mit Zukunft“ vorgelegt. Mit dem Titel stimmen wir überein. Um dieses Ziel aber zu erreichen, bedarf es zielführender Reformen. Ihr Zwölfpunktplan ist dagegen in Teilbereichen, zum Beispiel bei den Kriterien für den Vorbehaltsbereich, unpräzise und rechtlich bedenklich. Es handelt sich aus meiner Sicht insgesamt eher um ein Dokument des Stillstandes - um nicht zu sagen: der Rückwärtsgewandtheit - und sicher nicht um eine Konzept für Modernisierung, die Zukunft hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Seminar für Handwerkswesen der Universität Göttingen, eines unserer Handwerksinstitute, hat kürzlich in einer Studie - lassen Sie mich das deutlich sagen - beim Vollhandwerk einen Rückgang der Zahl der Betriebe von über 100 000 bis zum Jahr 2010 prognostiziert, und zwar auf der Grundlage des heute geltenden Handwerksrechts. Auch bei den gefahrgeneigten Gewerken des Handwerks in der Anlage A müssen die Marktzutrittsbarrieren verhältnismäßig sein. Dazu gehört, dass die Meisterprüfung zukünftig zeitnah nach der abgeschlossenen Berufsausbildung, das heißt nach der Gesellenprüfung, möglich werden muss. Es ist eine Tatsache, dass überproportional viele erfolgreiche Existenzgründungen in der gewerblichen Wirtschaft außerhalb des Handwerks gerade von ganz jungen Menschen erfolgen. Diese Chancen müssen auch die Jungmeister bekommen.

   Gesellen mit jahrelanger Berufserfahrung bringen in der Regel ebenfalls die erforderliche Qualifikation für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Technik und dem Material mit. Ich denke, drei bis vier Jahre Ausbildung, eine Gesellenprüfung und zehn Jahre Berufserfahrung - davon fünf Jahre in herausgehobener, verantwortlicher oder leitender Stellung - sollten als Nachweis genügen. Durch diese Neuerung entsteht zusätzliches Potenzial für Existenzgründungen im Handwerk.

   Wir wollen das Inhaberprinzip aufheben. Damit wird es auch für Personenunternehmen nicht mehr erforderlich sein, dass der Inhaber oder die Inhaberin selbst die handwerkliche Befähigung besitzt. Damit wird die bisherige, nicht gerechtfertigte Privilegierung von Kapitalgesellschaften gegenüber Personengesellschaften und Einzelunternehmen abgeschafft.

   Mit all diesen Maßnahmen erleichtern wir Existenzgründungen und Betriebsübernahmen. Nach Schätzungen gibt es in den nächsten zehn Jahren 80 000 bis 120 000 wirtschaftlich sinnvolle Betriebsübergaben im derzeitigen Vollhandwerk. Wem sollen die Betriebe angesichts der drastisch zurückgehenden Jungmeisterzahlen eigentlich übergeben werden? Ich habe kürzlich in Düsseldorf an einer Jungmeisterfeier und an einer wunderbaren Diskussion teilgenommen. Dort gab es den seit 50 Jahren absolut kleinsten Jungmeisterjahrgang; dies ist in vielen anderen Bereichen unseres Landes genauso. Das hat Ursachen. Diesen Ursachen müssen wir nicht nur nachgehen, sondern wir müssen diese Ursachen überwinden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das liegt an dieser Regierung! Sie sind das Problem! - Werner Wittlich (CDU/CSU): Wären Sie doch in Düsseldorf geblieben!)

- Herr Kollege, machen Sie sich nicht lächerlich.

   Wir geben dem Handwerk nach einer langen Phase des Rückgangs eine neue Chance für die Zukunft, weil wir Gründungen erleichtern, notwendige Impulse für mehr Beschäftigung und Ausbildung schaffen, die Innovationsfähigkeit erhöhen, das Dienstleistungspotenzial erweitern und weil wir - nicht zuletzt, sondern zuallererst - einen Beitrag zum Abbau der Schwarzarbeit leisten.

   Auch die Ausbildungsleistung des Handwerks wird weder bei der Zahl der Auszubildenden noch in der Breite der Ausbildung beeinträchtigt. In den Gewerken der Anlage A werden wie bisher die Meister die praktische Ausbildung durchführen. In den Unternehmen der Anlage B werden viele freiwillig ihren Meister machen. Für Ausbilder in Nichtmeisterbetrieben wird die gleiche persönliche und fachliche Eignung nach dem Berufsbildungsgesetz verlangt wie in der üblichen gewerblichen Wirtschaft. Das sollte niemand übersehen. Es wird auch niemand ernsthaft behaupten wollen, dass die Ausbildungsqualität im Handwerk aufgrund seiner Vorbehaltsbereiche besser sei als die Berufsausbildung in der übrigen gewerblichen Wirtschaft. Dort werden immerhin zwei Drittel aller Lehrlinge in Deutschland ausgebildet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt ja zurzeit viele Diskussionen und Beiträge darüber, die oftmals von vielen Emotionen getragen sind. Ich habe mit dem Handwerk viele Gespräche geführt, übrigens auch mit dem Präsidenten und mit der Spitze des Handwerksverbandes. Leider waren diese nicht von Erfolg, das heißt von einer Einigung, gekrönt. Deshalb sage ich hier klar: Ich sehe nicht, dass die Motivation des Handwerks, weiter auszubilden - wie es oft behauptet wird -, zurückgehen wird.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Doch! Sie geht zurück!)

Dagegen stehen schon rein ökonomische Interessen, Herr Kollege. Der Auszubildende beginnt sich - wie wir alle wissen - bereits nach dem zweiten Ausbildungsjahr - wie man so schön sagt - zu rentieren. Das Verhältnis von Kosten und Nutzen ist im Handwerk viel besser und schneller spürbar als in Industrie und Handel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ausbildung kostet Geld!)

- Die Beiträge vonseiten der Liberalen finde ich besonders beeindruckend, weil Sie sonst immer gegen Regulierung und für Freiheit und Spielräume im Handwerk eintreten. Wenn Sie jetzt als die Verteidiger der letzten Regularien auftreten, ist das wirklich nicht sehr überzeugend.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Aber mit großem Vergnügen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Minister Clement, mit meinem Zwischenruf wollte ich darauf hinweisen, dass, Ihre Behauptung, dass man mit Ausbildung im Handwerk Geld verdienen könnte, einfach falsch ist. Es ist vielmehr so, dass Ausbildung Geld kostet. Von daher ist es anerkennenswert und eine besondere Leistung, dass das Handwerk in Deutschland über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Ich bin nicht erst jetzt bereit, das zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen, sondern ich tue das schon ziemlich lange. Ich bin Ihnen für diesen Hinweis aber sehr dankbar; er ist richtig. Setzen!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Na ja, Herr Minister, ich setze mich. Aber mit der Note sehr gut! - Dirk Niebel (FDP): Eine solche Oberschlaumeierei der Sozialdemokraten ist unerträglich! - Volker Kauder (CDU/CSU): Unverschämt! So können Sie mit uns nicht umgehen!)

   Jeder Handwerker weiß, dass der Berufsnachwuchs für die Zukunft des eigenen Betriebes unerlässlich ist. Alle wissen es: Die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen. Die Handwerksbetriebe schätzen natürlich ihren talentierten Nachwuchs und sie kennen seinen Wert.

   Meine Damen und Herren, wir debattieren heute auch über eine bedeutsame Klarstellung im Handwerksrecht, nämlich über das Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen. Dabei geht es auch um die Erleichterung von Existenzgründungen. Wir wollen die Möglichkeit zur Existenzgründung auch für arbeitslose Männer und Frauen erleichtern. Mit dem Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wurden dafür bereits neue Anreize geschaffen.

   Schon jetzt zeigt sich - darauf habe ich bereits gestern hingewiesen -, dass viele diese Chance durch die Ich-AG oder das Überbrückungsgeld ergreifen. In diesem Jahr haben bereits etwa 100 000 Menschen den Weg aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit gewählt. Ich habe gestern darzustellen versucht, dass dieser Weg für viele mit Erfolgsaussichten verbunden ist.

(Dirk Niebel (FDP): Für die Masse - zwei Drittel - aber nicht!)

Deshalb kann ich nur dazu ermutigen, diesen zu wählen.

   Mit dem Kleinunternehmerförderungsgesetz werden außerdem die Steuer- und Buchführungsvorschriften gerade für Existenzgründer erleichtert. In diesem Zusammenhang steht auch der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt. Eine Klarstellung besagt, dass so genannte einfache Tätigkeiten außerhalb der Handwerksordnung und des Vorbehaltsbereichs von Handwerken mit Meisterpflicht stehen. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland warten darauf, dass einfache Tätigkeiten, zum Beispiel bei den Hausmeisterdiensten, auch von Dienstleistern wahrgenommen werden dürfen.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Das geht doch heute schon!)

Bei der hohen Arbeitslosigkeit in unserem Land wäre es nicht hinnehmbar, dass unternehmerische Initiativen und Engagements untersagt, eingeengt oder gar verhindert werden. Im Gegenteil: Wir müssen dazu anregen und motivieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Um auch klar anzusprechen, wie es in der Praxis aussieht, wenn Existenzgründer den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und eine Nischentätigkeit zur tragenden Geschäftsidee für eine gewerbliche Tätigkeit machen wollen: Handwerkskammern und Behörden gehen heute vielfach mit Abmahnverfahren und Betriebsschließungen gegen Unternehmen vor, die nicht in die Handwerksrolle eingetragen sind und einfache Tätigkeiten ausüben. Es werden Betriebe geschlossen, die teilweise schon zehn bis 15 Jahre am Markt sind. Im wahrsten Sinne des Wortes sind davon nicht nur Existenzgründer betroffen, sondern auch bestehende Unternehmen, die neue Tätigkeitsfelder akquirieren. Selbst Handwerksunternehmen, die über das eigene Gewerk hinaus tätig werden, bleiben nicht verschont. Wir müssen uns doch fragen, ob dies so sein und bleiben kann. Kann es sein, dass wir arbeitswillige Unternehmer daran hindern, bestehende Aufträge auszuführen? Ich bin davon überzeugt, dass das sicherlich nicht sein kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir können und wir werden mit dem, was wir hier vorlegen, einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft tun; dieser Schritt muss sein. Auch hier wird nicht an den Grundfesten des großen Befähigungsnachweises gerüttelt. Er wird auch nicht zugunsten von Teiltätigkeiten, die dem Vorbehaltsbereich der Meister unterliegen, aufgebohrt, wie man es gelegentlich lesen kann. Das Gesetz beinhaltet keine Neuregelung, die wir gewissermaßen aus dem Hut zaubern. Es enthält eine Klarstellung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach einfache Tätigkeiten nicht den Regelungen zum Handwerk unterliegen, sondern von jedem ausgeübt werden dürfen.

   Das Bundesverfassungsgericht hat am 7. April dieses Jahres in einer Handwerksangelegenheit entschieden, dass es keinem Handwerker zugemutet werden kann, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen gewissermaßen auf der Anklagebank erleben zu müssen. Das kann ich nur dick unterstreichen. Deshalb greifen wir das auf und sorgen wir für mehr Rechtsklarheit bei unberechtigten Vorwürfen bezüglich der Schwarzarbeit.

Meine Damen und Herren, es geht hierbei um ganz einfache handwerkliche Tätigkeiten, die binnen eines Vierteljahres erlernt werden können, und auch darum, dass wir die effektive Beachtung des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes gewährleisten. Dazu gehören auch diese einfachen Tätigkeiten. Ich wundere mich über manches, was dazu zu lesen und zu hören ist, nicht zuletzt auch über das, was gestern im Bundesrat dazu gesagt worden ist. Meines Erachtens ist es völlig klar: Es muss endlich damit Schluss sein, dass für einfache und einfachste Tätigkeiten in Deutschland die Meisterprüfung deshalb verlangt wird, weil auch Meisterbetriebe diese Tätigkeiten anbieten. Das kann nicht richtig sein. Das müsste eigentlich jeder begreifen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Jeder Selbstständige fängt einmal klein an. Wir sollten nicht die Motivation des Einzelnen unterschätzen. Die Existenzgründerinnen und Existenzgründer streben nach Gewinn und mehr Umsatz. Daraus entstehen mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze. Genau das wollen und brauchen wir in Deutschland. Deshalb ist diese Reform des Handwerksrechts notwendig. Es ist eben nicht mehr nur mit oberflächlichen Korrekturen und ein paar Veränderungen bei Anlage A und Anlage B getan. Wir müssen schon an die Substanz dessen gehen, was heute gilt. Dies gilt übrigens nicht nur für das Handwerk, sondern für viele Berufsstände.

   Viele Berufsstände bei uns haben sich Schutzmauern verschafft, die für sie selbst ein Vorteil sein können, die aber verhindern, dass andere von außen in diese Berufsstände hinein können: durch die Gründung eines kleinen Unternehmens, um aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen, also von unten, oder durch Unternehmer aus den Nachbarstaaten, die sich hier in Deutschland eine Existenz aufbauen wollen, also von der Seite. Dies ist dann möglich, wenn sie fünf bis sechs Jahre gemäß den dort geltenden Regelungen gearbeitet haben. Wer in Holland, Belgien, Frankreich oder anderen Staaten unter den dortigen Rechtsbedingungen fünf bis sechs Jahre ein Handwerk betrieben hat, kann in Deutschland jederzeit ein Unternehmen aufbauen und hier praktizieren, und zwar ohne die strengen Auflagen des Handwerksrechts erfüllen zu müssen.

   Deutsche Gesellen dürfen dies nicht. Es muss klar sein, dass dies kein Weg in die Zukunft sein kann. Das ist auch in den meisten Ländern anders geregelt. Insbesondere in den Grenzregionen unseres Staates findet zwischen den einzelnen Gewerken und Handwerken ein Austausch unter unterschiedlichen rechtlichen Bedingungen statt.

   Daher haben wir meines Erachtens die Pflicht und Schuldigkeit, hier für die notwendigen Veränderungen zu sorgen. Die Vorschläge dazu liegen vor Ihnen auf dem Tisch. Ich hoffe, dass wir uns nach einigen emotionalen Diskussionen über den richtigen Weg einigen. Er ist mit diesem Entwurf vorgezeichnet.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass in diesem Hause Minister und Abgeordnete gleichrangige Partner sind. Das sollte sich auch sprachlich niederschlagen. Es ist jedenfalls kein Lehrer-Schüler-Verhältnis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich erteile nunmehr dem Kollegen Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst herzlich, Herr Präsident, dass Sie dem Minister eine meisterliche Weisung erteilt haben. Dies ist erforderlich, wenn man nicht weiß, wie man sich zu verhalten und mit Kollegen umzugehen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Klaus Brandner (SPD): Jetzt kommt der Oberlehrer!)

   Herr Minister Clement, es ist eine infame Behauptung, uns zu unterstellen, dass wir am Status quo festhalten wollen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber sicher!)

- Nein, ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Ich werde nachdrücklich herauszuarbeiten versuchen,

(Klaus Brandner (SPD): Versuchen können Sie es, aber es wird Ihnen nicht gelingen!)

wo unsere Schwerpunkte liegen. Wir wollen dem Handwerk Zukunftsperspektiven geben und es europatauglich machen. Den Meistern muss die Möglichkeit eröffnet werden - dazu sind auch viele bereit -, den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen.

   Zunächst möchte ich die vielen anwesenden Handwerksmeister auf der Tribüne herzlich willkommen heißen. Ich bedanke mich dafür, dass Sie so zahlreich erschienen sind.

(Beifall)

Ihnen brennt dieses Thema auf den Nägeln. Sie sind hierher gekommen, um zu erfahren, wie die einzelnen Fraktionen das anstehende Problem bewältigen wollen.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Das Publikum sitzt hier unten, nicht da oben!)

Ich möchte mich gerade auch bei denen bedanken, die auf Einladung der Fraktionsvorsitzenden der CDU, Frau Angela Merkel, vor vier Wochen zu Tausenden an der Zahl zu uns nach Berlin gekommen sind, um deutlich zu machen, dass sie mit dem, was Sie hier vorhaben, nicht einverstanden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Uwe Küster (SPD): Fensterrede!)

   Das ist für mich das Zeichen eines lebendigen Handwerks. Eine Novelle, die mit heißer Nadel gestrickt wird, wie das hier der Fall ist, wird nie zu einem vernünftigen und guten Ergebnis führen. Das hat sich in der Vergangenheit immer gezeigt und wird sich auch in der Gegenwart bewahrheiten.

   Es ist mir auch wichtig, darauf zu verweisen, dass offenbar nicht alle Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen der Meinung der Fraktionen der SPD und der Grünen hier im Bundestag sind. Wie sonst könnte es kommen, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag einstimmig beschlossen hat, an der Meisterprüfung festhalten zu wollen?

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das verstehe ich auch nicht!)

Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Kolleginnen und Kollegen im hohen Norden. Auch wenn nicht alles richtig ist, was von dort kommt, aber da haben sie Recht. Und wo sie Recht haben, sollen sie auch Recht behalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

Heute beraten wir die Vorschläge der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen zur Novellierung der Handwerksordnung, zum einen das Gesetz zu den Ich-AGs, über das heute hier abschließend abgestimmt werden soll, zum anderen die große Novelle zur Handwerksordnung, die von der Bundesregierung eingebracht wird. Beide Gesetze müssen in einem engen Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Ich stelle fest, dass dies auch die Regierungsfraktionen so sehen, denn sonst würden wir jetzt nicht innerhalb eines Tagesordnungspunktes darüber sprechen.

Man muss sehen, dass sich im Handwerk große Sorge breit macht. Denn die Zielrichtung der Ich-AGs ist klar: Gewachsene mittelständische und handwerkliche Strukturen, die die Grundlage für das Wirtschaftswunder Ludwig Erhards waren, sollen zerschlagen werden. Dagegen werden wir mit aller Entschiedenheit kämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsinn! Wie kann man so etwas erzählen!)

Denn dies kommt einer Veränderung der Gesellschaft gleich. Anstatt mit vernünftigen Konzepten um die Zustimmung des Handwerks zu werben, soll es mit der Brechstange und dem Vorschlaghammer zerschlagen werden.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Helias von der CDU/CSU-Fraktion?

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Gerne, bitte schön.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Um die Ecke geht es jetzt! - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorbestellt! - Klaus Brandner (SPD): So schlecht sind Ihre Argumente, dass Sie sich gegenseitig die Bälle zuspielen müssen!)

Siegfried Helias (CDU/CSU):

Herr Kollege Hinsken, Sie haben den einstimmigen Beschluss des Landtages von Schleswig-Holstein erwähnt. Sind Sie mit mir der Meinung,

(Dr. Uwe Küster (SPD): Sehr gut um die Ecke!)

dass auch die schriftlich vorliegende Auffassung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein richtig ist, dass der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung eine Fülle weiterer Probleme schafft, die Zweifel auslösen, ob ein geordneter Vollzug überhaupt möglich sein wird, und dass dieses Gesetz ohne eine grundlegende Überarbeitung weder durchführbar noch zielführend ist?

   Sind Sie außerdem mit mir der Meinung, dass dieser Gesetzentwurf gesellschaftspolitisch verfehlt ist, den Selbstständigen die Zukunft raubt, den Jugendlichen die Perspektive nimmt und diese Regierung ihr Handwerk nicht versteht?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Kollege Helias, ich bedanke mich für diese Frage,

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und zwar deshalb, weil Sie verschiedene SPD-Institutionen zum Beleg für die Bewahrheitung vieler Befürchtungen herangezogen haben.

(Klaus Brandner (SPD): Jetzt liest er die vorgeschriebene Antwort vor! Das ist ja blamabel!)

Deshalb müssen wir alle zusammen daran gehen, eine Konzeption zu erarbeiten, die die Grundlage für eine weitere Fortentwicklung des Handwerks im Hinblick auf ein gemeinsames Europa und im Hinblick auf offene Grenzen bilden kann. Ich kann die Befürchtungen, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kamen, voll und ganz teilen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Christian Lange (Backnang) (SPD): Das war jetzt stark!)

Unsere Devise lautet wie immer: Nicht gegen das Handwerk, sondern mit dem Handwerk wollen wir den modernen, dynamischen, zukunftstauglichen und europafesten Meister schaffen. Sie von Rot-Grün setzen die Axt an der Wurzel des Handwerks an und höhlen das Handwerksrecht aus. Das geht uns entschieden zu weit.

   Sie sprechen momentan laufend von der Agenda 2010. Das Handwerk braucht aber eine Agenda 2003, damit der Aderlass bei den Betrieben, Mitarbeitern und Ausbildungsplätzen endlich gestoppt werden kann. Herr Bundesminister, Sie behaupten, mit Ihrer Novelle werde das Existenzgründungsklima verbessert. Ich sage Ihnen: Darum geht es in der Tat. Sie betreiben aber nur Augenwischerei und setzen mit Ihrer überzogenen Novelle den Hebel falsch an. Sie wollen den Leuten weismachen, dass das Handwerk schuld an der Wirtschaftsmisere Deutschlands ist.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsinn!)

Sie machen damit die Opfer zu Tätern!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel (FDP))

Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Denn die Ursache ist an anderer Stelle zu suchen: Sie haben eine falsche Wirtschaftspolitik betrieben, die dazu geführt hat, dass sich Handwerk und Mittelstand gegenwärtig in dieser schwierigen Situation befinden.

   Rot-Grün hat 1998 eine wahre Reformorgie begonnen. Seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte 1998 hat Rot-Grün alles unternommen, um dem Handwerk das Leben schwer zu machen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das Meister-BAföG war doch das Gegenteil!)

Ich nenne als Beispiele die Reform des Kündigungsschutzgesetzes, mit der der Schwellenwert von zehn auf fünf Beschäftigte reduziert wurde, die Rücknahme der Änderung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Gesetz zur Bekämpfung der so genannten Scheinselbstständigkeit, die Neuregelungen zum Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse oder die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung auf Kleinbetriebe.

(Zuruf von der SPD: Das hilft dem kleinen Mann!)

   Eine wirkliche Veränderung des wirtschaftlichen Klimas ist aber nur dann möglich, wenn Sie von Rot-Grün endlich die notwendigen Strukturreformen in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Sozialpolitik umsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel (FDP))

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Hinsken, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Rossmann von der SPD-Fraktion?

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Gerne.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Herr Kollege Hinsken, wenn Sie schon feststellen, dass alles schlecht gelaufen sei, könnten Sie dann auch erläutern, wie Sie aus heutiger Sicht Ihre seinerzeit geäußerte positive Beurteilung des Meister-BAföGs als wesentliche Förderung des Handwerks durch die jetzige Bundesregierung bewerten?

(Michael Glos (CDU/CSU): Setzen! Sechs!)

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Kollege Rossmann, ich meine, dass gerade die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Meister-BAföG ein Schritt in die richtige Richtung waren. Wenn Sie uns einen vernünftigen Vorschlag unterbreiten, unterstützen wir Sie immer wieder gerne, damit solche Vorschläge auch umgesetzt werden können. Das war beim Meister-BAföG so und das wird auch in Zukunft so bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel (FDP))

   Angesichts der notwendigen Veränderung des wirtschaftlichen Klimas halte ich die erwähnten Strukturreformen für den richtigen Weg, um der boomenden Schwarzarbeit, die mit einem Finanzvolumen in Höhe von 350 Milliarden Euro der größte prosperierende Wirtschaftsbereich ist, das Wasser abzugraben. Denn es ist nicht nachvollziehbar, dass ein Handwerker dem Auftraggeber für eine Arbeitsstunde viermal so viel berechnen muss wie jemand, der den Auftrag in Schwarzarbeit ausführt.

   Bei uns in Deutschland sind die Bruttolöhne zu hoch und die Nettolöhne zu niedrig. Dabei müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen, unabhängig davon, auf welcher Seite wir sitzen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das machen wir doch!)

Wenn wir die bestehende Ordnung entkrusten würden, könnten unzählige - vielleicht sogar einige Millionen - Arbeitsplätze geschaffen werden. Ich meine aber, dass das mit den Ich-AGs nicht möglich sein wird.

   Herr Minister Clement, Sie vergessen offenbar, dass derzeit 130 000 Meister sozusagen in Reserve stehen. Wenn das Konzept der Ich-AGs so umgesetzt wird wie vorgesehen, hätten sie ihre Meisterprüfung vergeblich gemacht. Das geht doch nicht an!

   Ich meine, dass die heutige Debatte - unabhängig davon, was uns von der Bundesregierung unterscheidet - die Möglichkeit bietet, die Zukunftspotenziale des Handwerks hervorzuheben. Denn für uns bedeutet das Handwerk etwas Positives, während Sie es vielfach schlechtreden.

(Zurufe von der SPD: Was? - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der Wahrheit bleiben!)

Unser Handwerk steht für innovative Unternehmen und kompetente Dienstleistungen. Es steht für Berufsvielfalt und Ausbildungskompetenz,

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Flexibilität, Innovation und Anpassungsfähigkeit. Wir wollen, dass das Handwerk ein wichtiger wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Faktor bleibt, auch wenn viele Mitbürger - wahrscheinlich weil sie sich schon einmal über einen Handwerker geärgert haben - der Meinung sind, man könnte auf alle Standards verzichten.

   Das Handwerk ist unbestritten ein Faktor, den wir in unserer Gesellschaft brauchen. In rund 580 000 Betrieben arbeiten fast 5,3 Millionen Menschen. Mehr als 520 000 Lehrlinge erhalten in diesen Betrieben eine qualifizierte Ausbildung. Damit sind nahezu 15 Prozent aller Erwerbstätigen und circa 34 Prozent aller Lehrlinge in Deutschland im Handwerk tätig.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Jetzt sagen Sie doch mal etwas dazu, was Sie wollen! Davon habe ich noch nichts gehört! Hören Sie doch auf, Ihre Rede vorzulesen!)

- Herr Kollege Lange, ich sage das deshalb, damit Sie endlich kapieren, was sich hinter dem Handwerk verbirgt. Das haben Sie nämlich noch nicht geschnallt, sonst würden Sie sich nicht in dieser Weise äußern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der Meister ist geradezu der Inbegriff der Selbstständigkeit. Etwa 80 Prozent der Handwerksbetriebe sind Personenunternehmen. Das Handwerk sichert wie kein anderer Bereich der Wirtschaft Ausbildung und Beschäftigung in den Ballungszentren und in der Fläche.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Handwerk bietet Ausbildung und Qualifizierung und es bereitet auf Existenzgründungen und Existenzübernahmen vor.

   Warum sind wir gegen den Gesetzentwurf von Rot-Grün in der vorliegenden Fassung?

   Erstens. Wir wollen nicht, dass der große Befähigungsnachweis, also die Meisterprüfung, praktisch wertlos gemacht wird. Die Meisterprüfung als Qualitätssiegel ist uns etwas wert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zweitens. Wir wollen nicht, dass die Ausbildungslokomotive Handwerk zum Stilltand gebracht und damit der Weiterbestand des dualen Systems gefährdet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Drittens. Wir wollen nicht, dass nicht mehr gewährleistet ist, dass das Handwerk Qualitätsarbeit abliefert.

   Viertens. Wir wollen nicht, dass unsere Handwerksbetriebe nicht mehr zu den stabilsten Betrieben gehören, die es in Deutschland gibt.

   Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Müller hat vorgestern ausgeführt - lassen Sie sich das gesagt sein! -: „Es ist nicht alles modern, was modern scheint.“

(Michael Glos (CDU/CSU): Wo er Recht hat, hat er Recht!)

Wie Recht er hat, wenn er das Handwerk in höchsten Tönen lobt und auf es setzt! Herr Minister Clement, Ihr Vorgänger hat für das Handwerk mehr übrig gehabt als Sie.

(Beifall des Abg. Michael Glos (CDU/CSU))

Auch wenn ich nicht alles gut finde, was er gemacht hat: Da hat er Recht gehabt.

   Zweifellos müssen in allernächster Zeit viele Probleme bewältigt werden. Früher hing das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit vor allem über den älteren Arbeitnehmern; mittlerweile sind immer mehr Jugendliche davon bedroht. Es wird aber noch schlimmer werden, wenn Sie durch die Abschaffung des Meisterbriefes dem Handwerk, der Ausbildungslokomotive in Deutschland, den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Zahl der Betriebe mag kurzfristig steigen, weil ihre Gründung und Führung auch für Nichtmeister möglich wird, Herr Minister Clement. Die Bestandsfestigkeit der Betriebe dürfte dagegen abnehmen, sodass unter dem Strich zwar nichts gewonnen wird, aber möglicherweise viele Existenzen zerstört werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Immerhin sind rund drei Viertel aller Meisterbetriebe fünf Jahre nach der Existenzgründung noch am Markt, während die Quote der übrigen Wirtschaft bei knapp über der Hälfte liegt.

(Michael Glos (CDU/CSU): So ist es!)

   Werte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das deutsche Handwerk weiterhin die Reife hat, in der Champions League zu spielen. Wenn unsere Vorschläge umgesetzt werden, wird das Handwerk sein enormes Zukunftspotenzial nutzen können. Wir wollen es unseren Handwerksmeistern ermöglichen, den Weg in ein erweitertes Europa zu gehen. Herr Clement, das Handwerk kann sich mit Ihren so genannten Reformen nicht weiter herumschlagen.

   Das Handwerk will unseren Jugendlichen durch die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen eine Zukunft bieten. Dem Handwerk ist für die millionenfachen Ausbildungsleistungen, die bisher erbracht worden sind, zu danken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Zeit, in der es „Handwerk hat goldenen Boden“ hieß, ist vorbei. Aber entgegen allen Untergangsvoraussagen, die im letzten Jahrhundert gemacht wurden, ist es quicklebendig. Die Situation des Handwerks wäre noch besser, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Das Handwerk ist der Garant des dualen Ausbildungssystems - des besten Ausbildungssytems der Welt. Überall werden wir darum beneidet. Aus unserer Sicht ist es fraglich, ob das nach der Verabschiedung dieses Gesetzes noch so sein wird.

   Ich begrüße es nachträglich, dass Bayern einen eigenen Gesetzesantrag zur Novellierung der Handwerksordnung in den Bundesrat einbringen wird.

(Klaus Brandner (SPD): Sie selbst sind zu feige dazu und lassen es Bayern machen!)

Dies wird noch vor der Sommerpause geschehen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Absichten für ein modernes und europafestes Handwerk in zwölf Punkten festgelegt. Die wichtigsten sind dabei:

   Wir sagen Nein zu dem von der Bundesregierung beabsichtigten Kahlschlag der Meisterberufe. „Gefahrengeneigtheit“ als einziges Kriterium ist uns zu wenig. CDU/CSU haben für die Festlegung der Gewerbe in Anlage A drei Kriterien aufgestellt: Ausbildungsleistung, Gefahrengeneigtheit und Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter. Das ist der richtige Ansatz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir lehnen die von Ihnen, Herr Clement, geplante Sonderregelung strikt ab, wonach sich Altgesellen nach zehnjähriger Berufserfahrung und fünfjähriger Tätigkeit in herausgehobener, verantwortlicher oder leitender Stellung auch ohne Meisterbrief in der Anlage A der Handwerksordnung selbstständig machen dürfen.

   Übrigens, Herr Minister, ich habe eine Frage an Sie: Meine Enkelin ist jetzt sechs Jahre alt. Wenn sie acht Jahre alt ist, werde ich sie zehn Jahre lang bei Volksfesten dauernd Autoskooter fahren lassen. Wenn sie 18 wird, bräuchte sie dann nach Ihren Vorschlägen keinen Führerschein mehr zu machen, da sie bereits zehn Jahre Fahrpraxis vorweisen kann.

(Hans-Werner Bertl (SPD): So ein Quatsch! Herr Hinsken, Sie schaden dem Ansehen der Meister mit dem, was Sie hier erzählen! Peinlich! - Christian Lange (Backnang) (SPD): Das ist keine Meisterleistung, was Sie hier abliefern! - Weitere Zurufe von der SPD: Oh nein!)

Ist das richtig? - Ich habe dieses Beispiel genannt, weil ich von einem Handwerksmeister diesbezüglich gefragt worden bin. Ich habe ihm versprochen, dass ich die Frage gerne an Sie weitergeben werde.

   Wir, die CDU/CSU, sind jedenfalls für Einzelfallentscheidung. Dabei muss der Betriebsinhaber etwas von Ausbildung und Betriebsführung verstehen. Klar und deutlich sagen wir deshalb Nein zur „Existenzgründung light“.

   Wir wollen des Weiteren die Handwerksordnung öffnen. Künftig soll zur Existenzgründung im Handwerk auch die Qualifikation von Technikern, Ingenieuren und Industriemeistern berechtigen. Zudem soll die Meisterprüfung die Tür zu einem Hochschulstudium öffnen. Wir wissen, dass dies alles in erster Linie von den Ländern geregelt werden muss. Aber wir sollten das Ganze seitens des Deutschen Bundestages positiv begleiten. Wir wollen außerdem, dass als Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung keine Gesellenjahre mehr erforderlich sind. Wir wollen das Inhaberprinzip ändern und Personengesellschaften gegenüber Kapitalgesellschaften nicht mehr benachteiligen. Als Meister sollte man aber höchstens in zwei Betrieben fungieren können. Dadurch verhindern wir einen Betriebsleitertourismus. Eine Reform der Kammern und deren Beitragswesen wollen wir nicht innerhalb der Novellierung der Handwerksordnung, sondern in Abfolge vornehmen. Dabei werden wir auch der Bürokratie nachhaltig zu Leibe rücken.

   Der heute zu verabschiedende Entwurf eines Gesetzes über die Ich-AGs muss, wie ich bereits gesagt habe, als Teil der Gesamtnovelle gesehen werden und dem Bundesrat zugeleitet werden. Der Zusammenhang kann nicht bestritten werden. Ich hoffe, dass das Ganze in einem Paket verabschiedet wird. Die Betätigungsfelder der so genannten Ich-AGs müssen unserer Meinung nach auf den Bereich der jetzigen Anlage B - handwerksähnlicher Bereich - beschränkt werden; denn wir wollen nicht, dass ein Meister, der ausbildet, zu guter Letzt der Dumme ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Eines muss bei der Novellierung der Handwerksordnung klar sein: Der Standort Deutschland braucht eine hohe Qualifikation. Nur Unternehmen mit Qualität - das sind nun einmal die Meisterbetriebe - können unser Land wieder nach vorne bringen. Voraussetzung ist aber, dass Sie von Rot-Grün das auch zulassen. Das Handwerk in Deutschland braucht mehr Arbeit und Aufträge, mehr Meister statt Ich-AGler, verehrter Herr Bundesminister Clement.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie hieß es in der Vergangenheit immer - das gilt auch für die Gegenwart -: „Lehrling ist jedermann. Geselle ist, der was kann. Meister ist, der was ersann.“ Was für den Arzt der Doktortitel ist, ist für Betriebsinhaber und Handwerker der Meisterbrief. Wir meinen, dass dieses Prädikat bestehen bleiben soll. Das wollte ich für die CDU/CSU-Fraktion besonders einfordern; denn Deutschland braucht weiter den Meister. Er ist schließlich Fachmann, Kaufmann und Techniker in einer Person.

   Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, ich freue mich, dass uns in diesem Bereich fast nichts trennt

(Heiterkeit bei der FDP)

und dass wir an einem Strang ziehen, um dem Meister eine Zukunft zu geben. Ich hoffe, dass der Bundesrat in der Lage sein wird, die Korrekturen vorzunehmen, die vorgenommen werden müssen, um die Grundlagen für einen modernen Meister für die nächsten Jahre und Jahrzehnte in einem freien und zusammenwachsenden Europa zu schaffen.

   Ich bin auch der festen Überzeugung, dass zumindest auf einigen Seiten die Bereitschaft dazu vorhanden ist. Herr Müntefering, Sie sind ja genauso wie wir oftmals in Lernprozessen begriffen. Wenn Sie diesen Lernprozess abgeschlossen haben, dann ist die Hoffnung gegeben - das ist mein letzter Satz -, dass Sie zur Einsicht kommen und das, was Sie vorhaben, nicht umsetzen, sondern dem Handwerk eine Zukunftsperspektive geben, die es dringend braucht, um auch künftig tief und gut atmen zu können.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hinsken, Ihre Lebkuchen haben mich bei Gelegenheit schon überzeugt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Meisterarbeit!)

aber Ihre Argumente noch nicht. Ich will Ihnen darstellen, warum.

   Wenn man über die Handwerksordnung redet, dann muss man über Grundsätze der Marktwirtschaft reden. Marktwirtschaftliche Systeme sind anderen deswegen überlegen, weil sie auf freiem Wettbewerb beruhen, auf freiem und uneingeschränktem Zugang der Marktteilnehmer zum Markt, übrigens auch auf der Souveränität der Verbraucher, auswählen zu können, bei wem sie Arbeiten in Auftrag geben und bei wem nicht.

   Deswegen müssen wir als Staat dann, wenn wir Zugangsbeschränkungen zulassen, diese ganz besonders begründen. Wir müssen da sehr vorsichtig sein und überlegen, ob sie nicht zu weit gehen, und sie bei Gelegenheit auch überprüfen. Genau dies tun wir.

   Ich will zwei Zitate von Personen anführen, auf die Sie sonst hören, und zwar dazu, wie sie in Bezug auf die Ordnungspolitik in unserer Marktwirtschaft die gegenwärtige Handwerksordnung sehen. Professor Norbert Berthold von der Universität Würzburg sagt: „Der Meisterbrief ist eine lupenreine Marktzutrittsbeschränkung.“ - Ganz klare Aussage also: Hier wird der Marktzutritt durch den Staat beschränkt und damit werden Wettbewerb und Marktwirtschaft eingeschränkt. Im Jahresgutachten 2002/03 des Sachverständigenrats - Zitate daraus halten Sie der Bundesregierung ja gern vor - heißt es:

In einem wichtigen Teilbereich des Mittelstands, nämlich dem Handwerk, wird der Wettbewerb durch Zugangsbeschränkungen erschwert.

Das ist der Sachverhalt.

   Was die Bundesregierung hier macht - das ist ja alles auch im Rahmen der Agenda 2010 zu sehen -, ist nichts anderes als

(Birgit Homburger (FDP): Ein Ablenkungsmanöver!)

die Überprüfung, in welchem Bereich diese Zugangsbeschränkung aufrechterhalten werden kann und in welchem Bereich sie abgeschafft werden muss. Klare Antwort: Bei gefahrengeneigten Berufen wird der Meisterbrief weiterhin obligatorisch sein. Überall sonst gilt: Der Wettbewerb, die Kundensouveränität werden es richten, übrigens auch zugunsten des Handwerks. Ich würde mir an Ihrer Stelle nicht die Sorge machen, dass gutes Handwerk dabei untergehen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Türk?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, bitte.

Jürgen Türk (FDP):

Herr Kollege Kuhn, Sie wollen durch die Novellierung der Handwerksordnung Marktzutrittsbeschränkungen beseitigen und damit Arbeitsplätze schaffen. In dem Ziel sind wir uns noch einig. Meinen Sie aber nicht auch, dass es daran liegt, dass wir zu wenig Aufträge haben - und nicht, wie Sie sagen, zu viele Handwerksbetriebe - und dass der Umfang der Bürokratie und die Höhe der Kostenlast die eigentlichen Marktzutrittsbeschränkungen sind?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es gibt vieles, was wir ändern müssen. Selbstverständlich hat das Handwerk auch deswegen Probleme, weil die Lohnnebenkosten zu hoch sind. Sie können im Rahmen der Agenda 2010 und der Reformen bei Rente und Gesundheit mitmachen und so mit dazu beitragen, dass die Lohnnebenkosten sinken.

(Dirk Niebel (FDP): Die Agenda wird nicht ganz ausreichen!)

Dann wird die Handwerkerstunde für die Verbraucherinnen und Verbraucher günstiger und wird es dem Handwerk besser gehen. Die ganze Veranstaltung, die wir jetzt gerade durchführen, die Agenda 2010, hat den Sinn, den Laden an verschiedenen Stellen aufzufrischen. Deswegen fordere ich Sie auf: Machen Sie bei der Kostensenkung mit,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie haben Jahre vertrödelt!)

machen Sie mit bei der Finanzierung des Vorziehens der nächsten Steuerreformstufe! Dabei geht es nämlich auch um die Personengesellschaften, um die mittelständischen Betriebe: Wenn die Steuersätze für diese Betriebe schneller sinken können, dann ist deren Bereitschaft, in Investitionen einzusteigen, größer.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie der Clement!)

Sie haben hier eine Verantwortung für das Gesamtpaket.

Ihre politische Vorgehensweise, Herr Hinsken, ist ja ganz eindeutig: Bei den Vorhaben, die Ihnen recht sind, machen Sie mit, aber sobald starke Lobbys wie Apotheker- und Handwerksverbände auftreten, sagen Sie: Nein, diese Vorhaben sind vom Teufel, die tragen wir nicht mit. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich möchte jetzt einmal die zentralen Argumente für die Änderung der Handwerksordnung, die wir vorhaben, nennen:

   Erstens. Wir sind für mehr Wettbewerb. Ich möchte noch einmal festhalten: Wettbewerb ist das konstitutive Element einer Marktwirtschaft. Wenn man feststellt, dass es Elemente gibt, die den Wettbewerb untergraben und verhindern, muss man sie beseitigen. So einfach ist Marktwirtschaft. Ihr ganzes Gerede nützt da überhaupt nichts.

(Dirk Niebel (FDP): Sie sind ja ein Marktliberaler! Ein Radikaler! Sie Lambsdorff!)

   Wir sind für sinkende Preise. Es ist ja bekannt, dass funktionierender Wettbewerb - übrigens: Wettbewerb um Preise und Qualität - auch zu Preissenkungen führen kann. Bei den einfachen Tätigkeiten, deren Liberalisierung Sie so bekämpfen, findet gar kein Wettbewerb statt. Ich sage es klipp und klar: Verbraucherinnen und Verbraucher haben große Probleme, für viele einfache handwerkliche Tätigkeiten einen Handwerksbetrieb zu finden, der sie zeitnah, schnell und unkompliziert ausführt. Ehe Sie das bestreiten und die Handwerksbetriebe verteidigen, fragen Sie sich doch einmal, warum die vielen Allroundfirmen, die einfache Tätigkeiten schnell und unkompliziert ausführen, so einen extremen Zulauf haben. Ich kann nur sagen: Da haben Teile des Handwerks - ich betone: Teile - wirklich gepennt, was diesen Markt angeht. Das werden wir verändern.

   Warum soll denn jemand, der eine Tapete anstreicht, unbedingt aus einem Meisterbetrieb kommen? Dafür gibt es kein vernünftiges Argument; es geht doch auch so. In diesem Zusammenhang möchte ich Ludwig Erhard zitieren, der gesagt hat: Beim Wettbewerb kommt es darauf an, was den Verbrauchern nützt. Das ist der Sinn der Marktwirtschaft. Hierzu braucht man keine Kartelle oder sonstige Lobbys. Wir beschließen jetzt unser Gesetz; der sich daraus ergebende Wettbewerb wird zu Preissenkungen und mehr Qualität führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Der Meisterbetrieb zahlt Steuern und Sozialabgaben! Der andere nicht!)

   Ihre Rede, Herr Hinsken, beinhaltete einen Widerspruch, auf den ich Sie hinweisen möchte: Wenn das Handwerk Arbeiten so qualifiziert und gut ausführt, wie Sie sagen - ich glaube übrigens, dass wir sehr gute Handwerker in der Bundesrepublik Deutschland haben, die etwas gelernt haben und ihren Job gut ausführen -, dann braucht es doch den Wettbewerb nicht zu fürchten, Herr Hinsken.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Es geht nicht um Wettbewerb! Es geht um unlauteren Wettbewerb!)

Sie sagen: Schützt unser Handwerk! - Aber warum denn, wenn Sie es gleichzeitig so loben? Das ist ein Widerspruch in Ihrer Argumentation. Im Handwerk arbeiten Hochqualifizierte. Die, die gut sind, werden Wettbewerb nicht zu fürchten haben. Ihre Argumentation ist ängstlich und drückt eigentlich Misstrauen gegenüber der Qualität des Handwerks aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie diesen Punkt noch einmal überdenken sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Kollege Kuhn, ist es Ihrer Meinung nach lauterer Wettbewerb, wenn der Meisterbetrieb Sozialabgaben und Steuern zu zahlen und die ganze Bürokratie zu tragen hat, während der Inhaber einer so genannten Ich-AG weder Steuern noch Sozialabgaben zu zahlen hat, bürokratisch nicht belastet ist usw. und zu guter Letzt noch einen Zuschuss vom Staat bekommt, also subventioniert wird? Ich kann Ihre Argumentation nicht nachvollziehen. Für mich bricht hier eine Welt zusammen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir haben die Ich-AGs ja als Einstieg von Arbeitslosen in die Erwerbsarbeit vorgesehen. Das Ziel der ganzen Maßnahme ist, dass sich aus diesen Ich-AGs nach einer gewissen Zeit - Sie kennen die zeitlichen Beschränkungen - Betriebe entwickeln, die sich ohne jede Unterstützung am Markt halten können.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie lösen ein Strohfeuer aus!)

Wir sehen am Markt einen Bedarf für einfache Tätigkeiten, der heute in der Regel durch Schwarzarbeit befriedigt wird. Wir haben mit diesem Gesetz eine Regelung gemacht, mit der einfache Tätigkeiten leichter in die normale und damit sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit überführt werden. Genau das ist unser Ziel. Dabei liegen wir ja nicht so weit auseinander. Nur, Sie haben bisher kein Instrument genannt, wie man solche Tätigkeiten aus dem Bereich der Schwarzarbeit herausholen kann. Wir sind alle gespannt auf den Gesetzentwurf aus Bayern. Ich bin ganz sicher, dass da dann die entsprechenden Regelungen enthalten sind.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Reguläre Arbeit billiger machen, dann läuft es!)

   Ich komme jetzt zu meinem zweiten Punkt, Herr Hinsken: Wir sind für Kundensouveränität. Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland können selber einen Betrieb für die handwerklichen Leistungen, die sie erbracht haben wollen, aussuchen. Sie können in Zukunft souverän entscheiden, ob sie jemanden haben wollen, der das Verbrauchergütesiegel Meisterbrief hat, oder ob sie einen Betrieb beauftragen, der es nicht hat.

Sie werden es in der Qualität beurteilen. Sie werden es im Preis beurteilen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wie die Union als eine Partei, die sagt, sie sei für Marktwirtschaft, auf den Gedanken kommt, dies verhindern zu wollen, kann ich bis heute nicht nachvollziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir wollen mehr Existenzgründungen. Wir wollen mehr Arbeitsplätze schaffen. Und wir wollen mit dem, was heute zu beraten ist, einen Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit leisten. Schwarzarbeit hat viele Ursachen. Eine davon sind die hohen Lohnnebenkosten; ich glaube, da sind wir uns vom Grundsatz her einig. Eine weitere Ursache dafür sind aber natürlich auch die Zugangsbeschränkungen bei handwerklichen Berufen. Wir wissen nicht genau, wie viele Leute in diesem Bereich in der Schwarzarbeit sind; es ist auch klar, dass das schwer zu erfahren ist. Aber es ist doch logisch, dass viele, die diesen langen Weg über die Meisterprüfung nicht gehen wollen oder können, die Fähigkeiten, die sie haben, einfach auf dem Schwarzmarkt anbieten. Unser Vorhaben ist also ein weiterer Baustein zur Bekämpfung der Schwarzarbeit; so haben wir es auch bei den Minijobs im Haushaltsbereich gemacht. Wenn Sie sich die Sache im Überblick vergegenwärtigen, dann erkennen Sie, dass diese Regierung an vielen verschiedenen Stellen dagegen kämpft, dass sich die Schwarzarbeit weiter ausbreitet.

   Mein nächstes Argument: Wir sind dagegen, dass Inländer in der Bundesrepublik durch die Handwerksordnung diskriminiert werden. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Zum Argument Europa ist Ihnen in diesem Zusammenhang bisher nichts Gescheites eingefallen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ihnen auch nicht!)

Es geht doch nicht, dass jemand in Deutschland, wenn er einen Handwerksbetrieb aufmachen will, Beschränkungen unterliegt, die für den Kollegen zum Beispiel aus Frankreich nicht gelten.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das ändern Sie doch auch nicht!)

Da muss man etwas tun.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das tun wir doch! Da liegen wir doch in den Zielen gar nicht weit auseinander!)

Deswegen ist unsere Reaktion vernünftig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich verstehe die ordnungspolitische Konzeption der CDU/CSU nicht. Ich will Ihnen noch einmal vergegenwärtigen, Frau Merkel, was Sie im Wahlkampf in Ihrem Sofortprogramm dargestellt haben. Dort heißt es:

Schritt für Schritt werden wir die notwendigen Reformen einleiten, den überbürokratisierten Arbeitsmarkt entriegeln ...

Ich sage klipp und klar: Wenn Sie den Arbeitsmarkt entriegeln wollen, dann ist es doch nicht damit getan, die Zugangsbeschränkungen in der Handwerksordnung, die nicht notwendig sind, hier im Bundestag zu verteidigen. Vielmehr müssen Sie einen substanziellen Vorschlag machen, wie man entriegeln und entbürokratisieren soll. Frau Merkel, mit „neuer sozialer Marktwirtschaft“ hat die Verriegelung des Arbeitsmarktes und haben Zugangsbeschränkungen überhaupt nichts zu tun. Dieses Konzept, das Sie in der Öffentlichkeit immer darstellen, können Sie vergessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Auf einen Widerspruch möchte ich die Union hinweisen. Sie sagen: Um die Anzahl der Gewerke in der Anlage A der Handwerksordnung zu erhalten, sollte nicht nur das Kriterium der Gefahrengeneigtheit, sondern sollten auch andere Kriterien herangezogen werden, zum Beispiel die Ausbildungsintensität und der Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter. Wenn Sie ernst meinen, was Sie da sagen, dann müssen Sie viele der Gewerke, die heute in der Anlage B sind, in die Anlage A nehmen, weil sie sowohl viel ausbilden als auch wichtige Gemeinschaftsgüter zur Verfügung stellen. Was die Union da will, ist: mehr aus der Rolle B in die Rolle A. Damit würden Sie das Handwerk noch weiter verriegeln. Ich glaube, Sie haben sich diese Geschichte nicht konsequent überlegt. Nach dem, was Sie uns hier erzählen, sind Sie für noch mehr Bürokratie und noch mehr Zugangsbeschränkungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kuhn, Sie haben auch schon klügere Reden gehalten!)

   Meine Fraktion unterstützt den Gesetzentwurf der Bundesregierung, hat aber an zwei Stellen noch Anfragen, Herr Minister. Wir werden im Verfahren im Bundestag noch stärker darauf achten, ob wirklich alle Berufe, die jetzt nach Ihrem Vorschlag in der Handwerksrolle A stehen, in dem Sinne gefahrengeneigt sind, wie wir es in unserer gemeinsamen Definition festgelegt haben. Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von Berufen gibt, die noch in die Rolle B überführt werden können. Dafür werden wir uns einsetzen, ebenso wie für die Beantwortung der Frage, ob man eigentlich wirklich zehn Jahre braucht, bis Gesellen in der Handwerksrolle A einen Betrieb übernehmen können, oder ob dies nicht in kürzerer Zeit geht.

   Ich will noch zu einem weiteren Punkt etwas sagen, nämlich zu dem Ausbildungsargument. Ein zentrales Argument der Union ist: Wer jetzt weniger Betriebe in der Meisterpflicht hält, schadet der Ausbildung.

(Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Stimmt doch!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Die tatsächliche Entwicklung, wie viele Betriebe wir von A nach B verschieben, gibt Ihrem Argument nicht Recht.

Die entsprechenden Zahlen sind bekannt: Nach dem Entwurf der Bundesregierung gibt es 455 000  Betriebe mit Gewerben in Anlage A und 214 000  Betriebe mit Gewerben in Anlage B. Aus diesen Zahlen kann man Ihr Argument also nicht ableiten. Wir reden über ein Drittel der Betriebe und ein Viertel der Auszubildenden.

   Wenn man sich anschaut, dass die Ausbildungsleistung des Handwerks zurückgegangen ist - das liegt auch an der Krise, in der sich das Handwerk befindet; das darf man dem Handwerk nicht vorwerfen -, dann wird doch offensichtlich, dass der Bedarf des Handwerks an Jungmeistern - aus demographischen Gründen wird dieser Bedarf ab 2005 noch größer sein als heute - allein über die Regelungen der Handwerksordnung gar nicht mehr bedient werden kann. Deswegen ist es völlig absurd, wenn Sie noch mehr Betriebe von der Anlage B in die Anlage A bringen wollen. Das können Sie letzten Endes auch nicht durchsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Werner Wittlich (CDU/CSU):Thema völlig verfehlt!)

   Es gibt noch ein weiteres Argument und dieses Argument ist perfide. Es wird nämlich behauptet, Betriebe, die nicht mehr meisterpflichtig sind und in denen nur einfache Tätigkeiten ausgeführt werden, würden nicht mehr ausbilden.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Weniger!)

Diese Behauptung ist empirisch nicht bewiesen. Sie wissen, dass in Betrieben der Anlage B sehr intensiv ausgebildet wird. Wenn Handwerksfunktionäre, wie in den Medien dargestellt, zum Teil jetzt davon sprechen, dass sie nicht mehr ausbilden, wenn diese Novelle in Kraft tritt, dann muss ich sagen: Das ist eine politische Erpressung. Diejenigen, die so reden, sägen selber den Ast ab, auf dem sie sitzen, weil qualifiziertes Handwerk auch qualifizierte Ausbildung braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Werner Wittlich (CDU/CSU): Das müssen Sie gerade erzählen!))

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, bitte.

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Herr Kollege Kuhn, ich frage Sie, ob Sie jemals in einem Betrieb ausgebildet haben. Wahrscheinlich haben Sie das nicht getan. Für meinen Betrieb stelle ich jedenfalls fest, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Größe und der Leistungsfähigkeit eines Betriebs auf der einen Seite und der Ausbildungsfähigkeit auf der anderen Seite gibt. Es gibt also einen Unterschied zu demjenigen, der als Einzelperson mit meinem Betrieb im Wettbewerb steht. Wenn Sie die Ich-AGs in dieser Form weiter begünstigen, was für das Handwerk wettbewerbsverzerrend ist, dann wird diese Wettbewerbsverzerrung selbstverständlich automatisch zu einer geringeren Ausbildungsleistung führen. Es handelt sich also sozusagen nicht um eine künstliche Geiselhaft, die Sie anprangern, sondern es ist eindeutig die Folge Ihrer Politik und Ihres Gesetzes. Diesen Punkt muss man ganz klar ins Auge fassen.

(Beifall des Abg. Werner Wittlich (CDU/CSU))

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Herr Kollege, ich teile Ihr Argument überhaupt nicht. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Es gibt kein stichhaltiges Argument, warum sich die Größe eines Betriebs, dessen Gewerbe heute in der Anlage A aufgelistet wird und nach dem Vorschlag der Regierung in die Anlage B wechseln soll, verändern soll. Das Argument „Je kleiner der Betrieb ist, desto weniger wird ausgebildet“ trifft nicht zu.

   Noch eine Bemerkung zu den einfachen Tätigkeiten. Wer sagt Ihnen denn, dass aus den Ich-AGs, die logischerweise nur wenige Beschäftigte haben, durch den Wettbewerb, den wir anstoßen, nicht eines Tages größere Betriebe werden können? Es gibt kein stichhaltiges Argument dafür, dass das nicht möglich sein soll.

   Sie wollen etwas anderes. Sie wollen diejenigen, die keinen Meisterbrief haben, schon heute präventiv die Bereitschaft und den Willen absprechen, auszubilden. Das ist reine Ideologie. Dafür können Sie uns kein vernünftiges Argument nennen. So können wir nicht verfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Schauen wir einmal ins Ausland - das soll gelegentlich helfen -, zum Beispiel nach Österreich.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Gerade Sie müssen nach Österreich schauen!)

Der Untergang eines Berufsstandes - das ist doch Ihr Argument - hat in den Ländern, die die Regelungen gelockert haben, nicht stattgefunden. Dort sind viele neue Betriebe entstanden; dort ist das Handwerk nicht ruiniert worden. Ein empirischer Blick auf die tatsächliche Situation in anderen Ländern würde Ihnen zeigen, dass es gelegentlich klug ist, in Marktwirtschaften auch nach 50 Jahren - so lange geht die Diskussion schon -, zu überprüfen, ob die ordnungspolitischen Instrumente noch stimmen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Kuhn, Sie können Ihre bereits abgelaufene Redezeit noch verlängern, indem Sie auf eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte eingehen.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte schön, Herr Schauerte.

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Ich denke, die Ausbildungsdichte ist das zentrale Argument, um das wir politisch ringen sollten. Deswegen lohnt es, sich im Rahmen einer Frage damit noch einmal zu beschäftigen.

   Können Sie nicht bestätigen, dass erstens das Handwerk, so wie es heute verfasst ist, 3,5-mal mehr ausbildet als die übrige Wirtschaft

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es! Das ist richtig!)

und dass zweitens zum Beispiel der Handel oder die freien Berufe bei 710 000 Existenzen 160 000 Auszubildende haben und das Handwerk bei 540 000 Existenzen etwa 560 000? Können Sie, bezogen auf Arbeitsplätze und Betriebszahlen, bestätigen, dass Handwerker, nach Anlage B deutlich weniger ausbilden als die Handwerker nach Anlage A? Können Sie angesichts dessen, dass das so ist, nicht nachvollziehen, dass wir aufgrund der Situation, dass wir schon jetzt 80 000 Ausbildungsplätze zu wenig haben und möglicherweise eine psychologische Verärgerung der Handwerksmeister, die so intensiv ausbilden, hinzukommt, mit Ihrer rabiaten Vorgehensweise die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätze leicht um weitere 100 000 vergrößern können? Das ist unsere Sorge.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Schauerte, selbstverständlich gibt es unter uns - ich bin dankbar für Ihre Frage - keinen Streit darüber, dass das Handwerk in Deutschland hervorragende Ausbildungsleistungen erbracht hat und erbringt; das ist doch nicht strittig.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Warum verärgern Sie die dann?)

   Das entscheidende Argument ist aber, dass die Zugangsbeschränkung, die wir heute haben, ein Wettbewerbshindernis ist und dass es kein systematisches Argument dafür gibt, warum Betriebe, deren Gewerbe nicht mehr in der Anlage A, sondern in Anlage B aufgelistet sind, oder auch die neuen Betriebe der einfachen Tätigkeiten weniger ausbilden.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das ist faktisch so! - Dirk Niebel (FDP): Es darf doch nicht jeder einstellen! Dann verliert er doch seinen Zuschuss!)

   Ich will auf Ihre Frage eingehen. Sie haben Recht: Die Ausbildungsdichte ist heute bei Betrieben nach Anlage A größer als bei solchen nach Anlage  B. Den Grund dafür haben Sie aber unterschlagen. Der Grund dafür ist, dass Betriebe nach Anlage B gegenwärtig in der Regel kleinere Betriebe sind. Das liegt am Zuschnitt der Gewerbe. Angesichts der Tatsache, dass Gewerbe von Anlage A in die Anlage B kommen, können Sie doch niemandem erzählen, dass diese Betriebe deswegen schrumpfen.

   Ich will Ihre Frage zum Anlass nehmen, an die Demographie zu erinnern. Diese Diskussion ist ein wenig eine Gespensterdiskussion. Ab 2005 werden die Jahrgänge, die die Schule verlassen, in ihrer Zahl schwächer. Das heißt, wir werden überall das Problem bekommen, qualifizierte junge Leute für die Ausbildung zu gewinnen. Das Beste, was wir tun können, ist, durch mehr Wettbewerb viele Betriebe neu auf den Markt zu bringen, sodass Ausbildungschancen für alle bestehen werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Herr Schauerte, Sie haben die Frage angesprochen, ob die Betriebe nicht durch die Diskussion über diese Veränderungen demotiviert werden. Dazu will ich Ihnen klipp und klar sagen: So wie Sie die Diskussion führen, kann das passieren. Denn Sie bringen die Handwerker vor Ort - wir bekommen ja mit, was da vorgeht - zum Teil gegen die Bundesregierung in Stellung - und das nicht aus Leidenschaft in der Sache, sondern deswegen, weil Sie sich erhoffen, daraus politisches Kapital schlagen zu können. Sie sind verantwortlich dafür, wenn Demotivation entsteht. Sie glauben, Sie könnten die Leute verrückt machen und aufhetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zum Abschluss möchte ich feststellen: Wenn wir eine mutige, nach vorn gewandte Wirtschaftspolitik machen wollen, kommt es sehr darauf an, dass wir uns den gut organisierten Lobbys entgegenstellen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Die IG Metall ist eine gut organisierte Lobby!)

Der CDU/CSU muss ich sagen: Sie zeigen immer mit ausgestrecktem Finger auf die SPD und die Gewerkschaften. Sie jedoch sind in einem Lobbydenken gefangen. Sie sind vor den Handwerksorganisationen in die Knie gegangen und haben eine eigenständige wirtschaftspolitische und ordnungspolitische Konzeption aufgegeben. Ich glaube, dass sich das rächt, auch wenn Sie es geschafft haben, 1 000 Personen zu diesem Thema hier zu versammeln. Wenn 1 000 Leute auf eine Einladung von Frau Merkel kommen, dann ist das schon ein besonderes Ereignis. Aber der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung wird das nicht gut tun.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion, das Wort.

Dirk Niebel (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundesarbeitsminister Clement hat heute ebenso wie gestern den Zustand, in dem wir uns befinden, ganz richtig beschrieben. Das Handwerk hat schwere strukturelle Probleme. Die Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Wirtschaft insgesamt haben Probleme. Wir haben seit der Wiedervereinigung die höchste Arbeitslosigkeit, und das nicht nur in einem Monat, sondern drei Monate in Folge. Wir haben im letzten Jahr seit der Wiedervereinigung die höchste Zahl an Insolvenzen - übrigens noch die wenigsten im Handwerksbereich - in der Geschichte der Bundesrepublik gehabt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Leider wahr!)

Der Bundeswirtschaftsminister hat diesen Zustand völlig richtig beschrieben.

Aber schuld daran ist doch nicht der Meisterbrief, schuld daran ist die verkorkste Politik von Rot-Grün im Bereich Wirtschaft, Arbeit und Finanzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir haben die Situation, dass ungefähr 14 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland im Handwerk beschäftigt sind, aber 32 Prozent aller Auszubildenden im Handwerk ausgebildet werden. Wenn jetzt die durchaus notwendige Modernisierung der Handwerksordnung in der Art und Weise, wie Sie das vorhaben, betrieben wird, dann werden diejenigen verprellt, die das Rückgrat der Ausbildung und der Arbeitsplätze in Deutschland sind.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Clement, Sie haben bei den Verhandlungen über die Ergebnisse der Hartz-Kommission im Vermittlungsverfahren, als die Ich-AG herausgelöst worden ist, uns, die wir in kleiner Runde zusammengesessen haben, versprochen, dass Sie gemeinsam mit der Opposition, dem Bundesrat und den Betroffenen beraten, wie die Handwerksordnung modernisiert, zukunftsfähig und europafest gemacht wird. Dieses Versprechen haben Sie nicht eingehalten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es gab kein gemeinsames Gespräch mit der Opposition und den Handwerksvertretern, es gab noch nicht einmal ein Gesprächsangebot. Sie haben Ihr Versprechen schlichtweg gebrochen, haben eine Handwerksordnungsnovelle mit der Herauslösung von 65 Berufen auf den Weg gebracht und sie den Handwerkern vors Hirn geknallt, ohne diejenigen, denen Sie es vorher fest zugesagt haben, daran zu beteiligen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Wenn das nicht zu Vertrauensverlust führt, dann möchte ich wissen, was die Politik sich sonst noch erlauben kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Vor einiger Zeit war einer der größten Arbeitgeber die Firma Wayss & Freytag. Heute ist der größte Arbeitgeber in Deutschland die Firma Schwarz & Samstag. Daran ist nicht das Handwerk schuld, daran ist schuld, dass die Steuern und Abgaben zu hoch sind, dass die sozialen Sicherungssysteme überbordet sind, dass die Betriebe und die Privaten zu wenig Geld in der Tasche haben, um investieren und konsumieren zu können, dass sie andere Wege suchen, weil es sich in der Schattenwirtschaft und im Graubereich einfach mehr lohnt. Daran ist unter anderem Ihre Regierungspolitik schuld,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

weil Sie mit der Arbeitsmarktüberregulierung, die Sie in den ersten vier Jahren Ihrer Regierungszeit betrieben haben, den Menschen die Lust genommen haben, im regulären Arbeitsmarkt tätig zu werden.

   Wir haben mit der Ich-AG ein neues Instrument bekommen, eine weitere Pflanze im unüberschaubaren Dschungel der Förderinstrumentarien der Bundesanstalt für Arbeit. Statt das vorhandene Instrumentarium zu stärken, zum Beispiel das Überbrückungsgeld, das Arbeitslose in die Selbstständigkeit führen soll und das außerordentlich gut angenommen wird, wie auch Sie richtigerweise festgestellt haben, führen Sie ein neues Instrument ein, das im Endeffekt doch nur dazu führt, dass Einzelunternehmen gegründet werden, die nicht viel verdienen können, die auf jeden Fall niemanden einstellen dürfen, weil sie dann nämlich keine Ich-AG mehr sind, und die deswegen garantiert, von Gesetzes wegen, niemanden ausbilden. Das ist eindeutig der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir brauchen eine Regierungspolitik, die die Menschen mitnimmt. Sie haben auch beim Handwerkertag gesagt, Sie wollen die Novelle der Handwerksordnung gemeinsam mit dem Handwerk auf den Weg bringen, damit diejenigen, die sie hinterher auszubaden haben - in diesem Fall muss man das so sagen -, damit leben können.

   Wir wissen doch, dass die Handwerksvertreter mittlerweile einsehen, dass hinsichtlich der Handwerksordnung Modernisierungsbedarf besteht, der über die Novelle von 1998 hinausgeht. Sie könnten die bestehende Bereitschaft nutzen und die Menschen auf dem Weg zur Schaffung von neuen Chancen und neuen Arbeitsplätzen mitnehmen, statt sie so zu verprellen, wie das jetzt geschieht.

(Beifall bei der FDP - Hans-Michael Goldmann (FDP): Das wäre ja gute Politik!)

   Die FDP hat schon bei der Beratung der kleinen Novelle der Handwerksordnung Vorschläge für eine große Novelle eingebracht, die heute nicht Thema sind, aber in der Anhörung Thema sein werden. Wir haben Vorschläge gemacht, wie das Handwerk zukunfts- und europafest gestaltet werden kann. Ich denke, dass diese Vorschläge, die mit vielen Handwerkerinnen und Handwerkern abgestimmt sind, zielführend sind, was die notwendigen Modernisierungsschritte betrifft, dass sie aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und nicht einen der wichtigsten Wirtschaftszweige in der Bundesrepublik Deutschland weiter schwächen.

   Ich biete Ihnen an, auf diesem Wege zusammenzuarbeiten. Nehmen Sie unsere Vorschläge an. Gestalten Sie die Novelle nicht so, wie Sie es jetzt vorhaben. Werden Sie erst einmal Lehrling,

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sehr gut!)

lernen Sie die Grundlagen des politischen Zusammenarbeitens und werden Sie dann Geselle! Vom Meister sind Sie noch ziemlich weit entfernt. Diese Regierung ist allenfalls ein Meister des Dilettantismus.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Klaus Brandner (SPD): Mein Gott!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

Klaus Brandner (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neulich hat mich eine junge Frau angerufen

(Zurufe von der CDU/CSU und FDP: Oh!)

- übrigens eine interessante Frau -, sie ist gelernte Friseuse und seit Monaten arbeitslos. Ihr Arbeitslosengeld hat sie hier und da durch etwas Schwarzarbeit aufgebessert. Schwarzarbeit insgesamt findet sie aber nicht gut und will gerne offiziell in ihrem Beruf arbeiten. Sie hatte von der Ich-AG gehört und vom Existenzgründungszuschuss des Arbeitsamtes. Darin sah sie die Chance, endlich legal tätig werden zu können. Sie meldete sich beim Arbeitsamt, gab ihren Berufswunsch an, sagte, dass sie sich selbstständig machen wolle und bekam die Antwort, sie solle zur Handwerkskammer gehen. Gesagt, getan. Bei der Handwerkskammer hat man ihr gesagt, es täte ihnen Leid, dass sie nichts für sie tun könnten, aber sie müsse in die Handwerksrolle eingetragen werden. Da sie keine Meisterprüfung habe, drohe ihr, wenn sie sich selbstständig mache, ein Bußgeld. Aus der Traum von der Selbstständigkeit, eine Chance vertan.

   Das muss man sich einmal vorstellen: Da will sich jemand aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig machen und etwas riskieren. Wir aber sagen, das geht nicht, da Bestimmungen, Regulierungen, Bürokratie und Paragraphen das nicht zulassen. Diese würden wir in diesem Hause bei nüchterner Betrachtung, wie ich glaube, allesamt als unsinnig ansehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, eigentlich gegen Bürokratieabbau?

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Der große Reformer Brandner!)

Wir wollen, dass dieser absurde Zustand in unserem Lande - er ist leider Realität - endlich beendet wird.

   Wir reden hier nicht nur über Friseurinnen und Friseure, wir reden auch über Fliesen- und Mosaikleger, Maler und Lackierer, Stuckateure, Parkettleger, Korbmacher, Damen- und Herrenschneider, Schuhmacher, wir reden über Gebäudereiniger, Fotografen und Buchbinder, ja wir reden über Geigenbauer und Bogenmacher.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Über Betriebsräte sollten wir reden! - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Über Gewerkschaftsfunktionäre müssen wir noch ein bisschen reden!)

Das ist nur eine kleine Auswahl der Handwerke, die wir jetzt von alten Regelungen, wie dem großen Befähigungsnachweis, befreien wollen, damit es mehr Selbstständigkeit und mehr Möglichkeiten der Existenz in diesem Lande gibt.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Herr Brandner als Modernisierer! - Werner Wittlich (CDU/CSU): Das Gegenteil wird der Fall sein!)

   Ich kann die Gesellen, die vielen arbeitslosen Handwerker und Techniker nur auffordern: Trauen Sie sich etwas zu! Wir sorgen dafür, dass es ein zustimmungsfreies Handwerk gibt, in dem Sie die Möglichkeit haben, eine Existenz zu gründen.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Sorgen Sie dafür, dass die Unternehmen Arbeit haben!)

Versuchen Sie sich als Unternehmer! Wir sind bereit, Ihnen dabei zu helfen, Ihnen Unterstützung zukommen zu lassen.

Wir wollen die Behinderungen, die mehr Existenzgründungen in diesem Lande verhindern, endlich abschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir werden dafür sorgen, dass sich in diesem Lande viel mehr Menschen selbstständig machen können, als das jetzt möglich ist. Wir werden dafür sorgen, dass die Einschränkung der Berufsfreiheit und die Reglementierung der Gewerbefreiheit auf das absolut notwendige Maß begrenzt wird. Wir werden dafür sorgen, dass in der Europäischen Union und vor allem auch hier in Deutschland gleiche Wettbewerbsbedingungen auf den Handwerksmärkten geschaffen werden. Wir werden dafür sorgen, dass Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft drastisch reduziert werden.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Sie werden dafür sorgen, dass das drastisch zunimmt! Keine Ahnung!)

Das ist ein ganz wichtiges Ziel unserer Handwerksnovellen.

   Nichts wächst in unserer Volkswirtschaft so stetig und so schnell wie der Bereich der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Durch Ihre politischen Rahmenbedingungen!)

Auch wenn keine gesicherten Kenntnisse über Umfang und Art der Schwarzarbeit vorliegen, weiß jeder, dass insbesondere das Baugewerbe, der Gartenbau, das Hotel- und Gaststättengewerbe und die haushaltsbezogenen Dienstleistungen besonders davon betroffen sind. Professor Schneider von der Universität Linz, dessen Analysen in der Öffentlichkeit breite Resonanz finden, hat ausgerechnet, dass allein im Baugewerbe und in den Handwerksbetrieben die Schwarzarbeit eine Wertschöpfung von 133 Milliarden Euro ausmacht. Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen von Vollzeitschwarzarbeitern sind in unserem Lande tätig.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das sollen die Meister schuld sein?)

Wir wollen durch Veränderung der Handwerksordnung mit dafür sorgen, dass es weniger Schwarzarbeit und mehr legale Existenz in diesem Lande gibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das Gegenteil wird der Fall sein! - Dirk Niebel (FDP): So ein Quatsch!)

   Wir wollen dafür sorgen, dass die Handwerksordnung europatauglich wird. Wir stärken die Berufsfreiheit. Die Opposition, die landein, landaus Tag für Tag das Wort „Freiheit“ im Munde führt, geht in diesem Punkt mit der Freiheit aber äußerst zwiespältig umgeht. Von Berufsfreiheit wollen Sie anscheinend nichts wissen. Sie gehen bei diesem Thema zu einer einfachen Klientelpolitik zurück.

(Doris Barnett (SPD): Richtig!)

Meine Kollege Kuhn hat eben sehr deutlich gesagt, wie das bei Ihnen bei den Arbeitnehmern aussieht. Die Abgeordneten der CDU/CSU und FDP sprechen Bürokratieabbau in jeder Rede an. Kein Redebeitrag ohne Forderung nach Bürokratieabbau. Dafür machen Sie sich normalerweise stark.

(Dirk Niebel (FDP): Tun Sie doch etwas dafür!)

Hier haben Sie die Möglichkeit, mitzuhelfen,

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Aber doch nicht bei jedem Blödsinn!)

durch Bürokratieabbau dafür zu sorgen, dass in diesem Land mehr Bewegung, mehr Flexibilität und mehr Existenzmöglichkeiten entstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dirk Niebel (FDP): Wir wollen Bürokratie abbauen, aber keine Anarchie!)

   Sie haben scheinbar ein fast erotisches Verhältnis zu dem Wort „Deregulierung“. Sie rufen jeden Tag danach. Hier - nicht nur wenn es um Arbeitnehmerrechte geht - haben Sie die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass die notwendige Dynamik im wirtschaftlichen Prozess in diesem Lande eintritt. Meine Damen und Herren von der Opposition, es fehlt Ihnen an diesem Punkt wirklich an Wahrhaftigkeit.

   Wir stehen zum Meister. Wir haben nicht umsonst das Meister-BAföG deutlich verbessert. Wir stehen für Qualifizierung in diesem Land. Wir wissen, dass die Menschen ohne gute Qualifizierung keine berufliche Perspektive haben. Deshalb sagen wir Ja zum Meisterbrief. Aber wir sagen Nein dazu, dass der Meisterbrief alleinige Voraussetzung für die Existenzgründung in vielen Handwerksbereichen sein soll. Das ist überholt und veraltet. Deshalb werden wir die Reform durchführen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es doch nicht, Herr Brandner! Bleiben Sie doch sachlich!)

   Meine Damen und Herren, mit der Verabschiedung der kleinen Handwerksnovelle heute wird das erste Gesetzesvorhaben aus der Agenda 2010 ins Gesetzblatt kommen. Es hat, wie wir wissen, bis zum Schluss erhebliches Sperrfeuer von allen Seiten gegen dieses Gesetz gegeben. Doch wer für einfache Tätigkeiten die Meisterprüfung verlangt, hat den großen Befähigungsnachweis nicht verstanden, der verstößt gegen die Verfassung und gefährdet den großen Befähigungsnachweis. Dieser gilt bekanntlich nur für das Handwerk prägende Tätigkeiten. Da dies gerade nicht für einfache Tätigkeiten gilt, gleichwohl in der behördlichen Praxis bei Kammern und Gerichten seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1992 permanent dagegen verstoßen wird, muss der Gesetzgeber diese Regelung klarstellen, damit wir Rechtsklarheit in diesem Land haben. Das sind wir jungen Existenzgründern schuldig.

   Wir halten Kurs und werden uns nicht beirren lasen.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Voll mit dem Kopf durch die Wand! Da können Sie sich einmal die Hörner abstoßen!)

Wir haben unseren Fahrplan eingehalten. Meine Damen und Herren von der Opposition, das wird auch so bleiben. Wir werden auch die große Handwerksnovelle zügig beraten und beschließen. Da das Gesetzesvorhaben diesmal zustimmungspflichtig ist, können Sie es zwar verzögern; aber wir werden nicht um jeden Preis kompromissbereit sein. Wenn wir den Eindruck haben, dass Sie kein wirkliches Interesse an einer sinnvollen Veränderung haben, dann werden wir es auch alleine machen.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Großer Märchenerzähler!)

Wir sind aber sachgerechten Vorschlägen zugeneigt. Deshalb erwarten wir einen Kompromiss bei der großen Novellierung der Handwerksordnung.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gunther Krichbaum, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gunther Krichbaum (CDU/CSU):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Fakt ist, dass die Handwerksordnung modernisiert werden muss. Dem stimmt auch das deutsche Handwerk zu.

   In Zeiten eines zusammenwachsenden Europas mag man sich die Frage stellen, ob es gerecht ist, dass Handwerker aus den EU-Nachbarländern hier ohne Meisterbrief tätig werden können, während von den deutschen Handwerkern die Meisterprüfung verlangt wird. Vielfach wird dies als eine unzulässige Inländerdiskriminierung angesehen. Die Lösung kann nun doch aber nicht darin liegen, dass man den Meisterbrief für viele traditionelle Handwerksberufe - nämlich in 65 von insgesamt 94 Berufsbildern - faktisch abschafft. Dies ist nicht nur fantasielos, sondern auch in hohem Maße gefährlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Eine Reform ist nur so gut, wie sie die Menschen abholt und mitnimmt. Springen die Menschen von diesem Reformzug ab, dann mag dieser Zug vielleicht sein Ziel erreichen, aber ohne Passagiere.

   Seit Jahrzehnten ist das Handwerk bei uns in Deutschland ein solider Garant für die Ausbildung Hunderttausender junger Menschen, Jahr für Jahr. Fast 530 000 Lehrlinge erhalten zurzeit eine qualifizierte Ausbildung. Vor gerade einmal zwei Tagen, am Tag der Ausbildung, hat die Bundesregierung an Unternehmen und damit auch an kleine und mittelständische Handwerksbetriebe appelliert, mehr Lehrlinge einzustellen und Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Den Handwerksbetrieben muss dies wie Hohn geklungen haben. Sie haben ohnehin am meisten unter dem wirtschaftlichen Stillstand in Deutschland zu leiden. Ausbleibende Aufträge haben viele Handwerksbetriebe in die Insolvenz getrieben, sodass hoch qualifizierte Arbeitskräfte auf der Straße stehen.

   Sofern Ihre Reform beabsichtigt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, geht sie am Ziel vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das Problem liegt doch nicht in der Anzahl fehlender Arbeitskräfte,

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es! Sehr richtig!)

sondern in den viel zu hohen Lohnnebenkosten für die vorhandenen Arbeitskräfte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Kommt es deshalb vor allem in grenznahen Regionen zur Beauftragung eines Handwerkers aus einem EU-Nachbarland, dann hat dies seine Ursache darin, dass dieser seine Arbeitsleistung wegen geringerer Steuern und Lohnnebenkosten günstiger anbieten kann als sein deutscher Kollege.

   Diesen Umstand zum Anlass zu nehmen, den Meisterbrief und damit den qualitativen Standard insgesamt infrage zu stellen, ist neben der Sache. Nein, die von Ihnen vorgeschlagene Reform löst das Problem nicht, sie ist Teil des Problems.

(Hubertus Heil (SPD): Jetzt kommt Ihre Lösung!)

   Welcher Handwerker fühlt sich denn unter den heutigen Umständen noch motiviert, zu investieren und sein Geschäft auszubauen? Nur wenn er für sich und seinen Betrieb eine Perspektive sieht, wird er Neueinstellungen vornehmen und junge Leute ausbilden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie müssen endlich erkennen, dass es genau die von Ihnen heute vorgeschlagenen Maßnahmen sind, die unserem Standortklima nicht nutzen, sondern schaden. Wenn im Handwerk weniger ausgebildet wird, fehlen heute die Lehrstellen, morgen die Meister und übermorgen die Unternehmensnachfolger, die diese Betriebe mit ihren Angestellten weiterführen sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich spreche Ihnen nicht ab, dass Sie erkennen, was sich gegenwärtig im Ausbildungssektor abzeichnet. Das einzige, was Ihnen dabei jedoch als Lösung in den Sinn kommt, ist eine Ausbildungsplatzabgabe als Zwangsabgabe, frei nach dem Motto: Und bist zu nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt.

   Nein, mit Ihrer Reform demotivieren Sie einen ganzen Berufsstand und nehmen damit im Ergebnis vielen jungen Menschen die Perspektive eines soliden Ausbildungsplatzes. Es ist schon auffällig, dass alle Ihre Maßnahmen unter dem Deckmäntelchen des Bürokratieabbaus in Wirklichkeit auf die Handwerker und freien Berufe abzielen. So sollen beispielsweise die Vergütungssysteme der Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte und anderer zerschlagen werden. Damit schaden Sie den Freiberuflern und Selbstständigen massiv. Langsam gewinne ich aber auch den Eindruck, dass dies beabsichtigt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Unser Reformvorschlag sichert den Meisterbrief als Qualitätssiegel des deutschen Handwerks und ist damit praktizierter Verbraucherschutz. So sind wir im Gegensatz zu Ihnen auf das Handwerk zugegangen und haben gemeinsam mit dem Handwerk klare Linien entwickelt, wie eine tragfähige Reform auszusehen hat.

   Wenn eines der drei Kernelemente - Gefahrengeneigtheit, überdurchschnittliche Ausbildungsleistung und Schutz wichtiger Gemeinschaftswerte wie Umwelt und Gesundheit - verwirklicht ist, wollen wir auch, dass es im Interesse aller beim obligatorischen Meisterbrief bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das Haus „Deutsches Handwerk“ werden Sie nicht dadurch modernisieren, dass Sie es abreißen, die Fundamente herausnehmen und anschließend wieder neu hinstellen. Dieses Haus wird nicht lange stehen. Ziel einer Reform muss es sein, eine beschäftigungsfördernde Politik einzuleiten, aber auch eine beschäftigungssichernde Politik zu betreiben. Diesen Zielvorstellungen wird Ihr Entwurf nicht gerecht.

   Handwerk hat goldenen Boden - so war es in der Vergangenheit. Wir von der Union wollen, dass es auch in Zukunft dabei bleibt bzw. wieder so wird. Der Kurs von Rot-Grün bedeutet den Konkurs für viele Handwerksbetriebe. Dabei werden wir von der Union nicht mitmachen.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Krichbaum, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation!

(Beifall)

   Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Lange, SPD-Fraktion.

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, wo wir in den vielen Verhandlungen mit dem deutschen Handwerk Einigkeit erzielt haben, um auch der Legende entgegenzutreten, nach der keine Gespräche mit dem Handwerk geführt worden seien:

(Dirk Niebel (FDP): Na, das haben wir nicht gesagt!)

   Aufhebung des Inhaberprinzips - Einigkeit mit dem deutschen Handwerk; Wegfall der Gesellenjahre für die Zulassung zur Meisterprüfung - Einigkeit mit dem deutschen Handwerk;

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Und mit der Union! - Dirk Niebel (FDP): Und mit der FDP!)

Wegfall von Doppelprüfungen und Erleichterung für Ingenieure und staatlich geprüfte Techniker - Einigkeit mit dem deutschen Handwerk.

(Dirk Niebel (FDP): Und mit der FDP! - Werner Wittlich (CDU/CSU): Erzählen Sie doch nicht so einen Käse!)

Hören Sie endlich mit der Legende auf, wir würden mit dem deutschen Handwerk nicht sprechen. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Alles unstreitig! - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Was ist denn außer Gesprächen herausgekommen?)

   Eine zweite Bemerkung. Ich bin erstaunt darüber, mit welchen verdrehten Rollen wir hier argumentieren. Diejenigen, die sich im Deutschen Bundestag für die Gewerbefreiheit einsetzen, die immerhin im Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland steht und die Deutschland stark gemacht hat, müssen sich dafür rechtfertigen, während diejenigen, die an Regulierungen festhalten wollen, glauben, sie könnten das per ordre du mufti hier durchsetzen. So funktionieren das Grundgesetz, die Bundesrepublik Deutschland und die soziale Marktwirtschaft nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dirk Niebel (FDP): Das ist ja Demagogie! Du weißt es doch viel besser!)

Die Handwerksordnung ist aus dem Jahre 1953 und sie bedarf der Veränderung, um die Eingriffe in die selbstständige Berufsausübung rechtfertigen zu können.

(Dirk Niebel (FDP): Unstreitig!)

   Lassen Sie mich jetzt einige Beispiele nennen, anhand deren man das beweisen kann. Während im Jahre 1970 noch etwa 632 000 Unternehmer in der Anlage A registriert waren, sind es heute trotz der deutschen Einheit nur noch etwa 560 000.

(Dirk Niebel (FDP): Weil wir 1998 eine Novelle gemacht haben!)

- Moment. - Vergleichen wir das einmal mit der Anlage B. In der Anlage B waren 1970 nur 29 400 Unternehmen registriert. Heute verzeichnet diese Liste 176 270 Unternehmen.

(Dirk Niebel (FDP): Weil wir 1998 eine Novelle gemacht haben!)

Dies entspricht einem durchschnittlichen Zuwachs von 6 Prozent. Das belegt, dass gerade in den Bereichen eine Dynamik zu verzeichnen ist, in denen es den Meisterbrief als Marktzugangsregelung nicht gibt. Ich bitte Sie, dies entsprechend zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Lange, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Gerne.

(Hubertus Heil (SPD): Jetzt kommt eine Niebel-Granate!)

Dirk Niebel (FDP):

Lieber Kollege Lange, stimmen Sie mir zu, dass die von Ihnen genannten Veränderungen bezüglich der Berufe in den Anlagen A und B der Handwerksordnung zu einem überwiegenden Teil durch die Handwerksnovelle von 1998 zustande gekommen sind?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Das will ich gerne.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Dann ist das, was Sie sagen, aber doch getrickst!)

   Dazu will ich das nächste Beispiel nennen, Herr Kollege Niebel. 1998 haben wir die Gerüstbauer von der Anlage B in die Anlage A heraufgestuft. Schauen Sie sich dort die entsprechenden Zahlen an. Von 1970 bis 1998 konnte die Zahl der Gerüstbauer in der Anlage B aufgrund des freien Marktzugangs eine ganz besondere Dynamik nehmen und expandieren. Nach der 1998 erfolgten Überführung in die Anlage A schrumpfte die Zahl der Betriebe aufgrund der Marktzugangsregelung, die wir alle gemeinsam hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben,

(Dirk Niebel (FDP): Nein, sondern weil Sie die Regierung übernommen haben!)

innerhalb von vier Jahren von 7 138 auf 4 934, das heißt um 35 Prozent. Das ist der schlagende Beweis dafür, dass eine Marktzugangsregelung ein strukturelles Element ist. Wir müssen es lockern, damit in Deutschland eine stärkere Gründungsdynamik Platz greifen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Lange, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Gerne.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Kollege Lange, wenn es so ist, wie Sie es beschrieben haben, stellt sich mir die Frage: Warum ist der Gerüstbau auch in Ihrem Entwurf der überarbeiteten Anlage A weiterhin in dieser Anlage A aufgeführt?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Herr Kollege Kolb, die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben Ihnen doch dargestellt, dass wir am Meisterbrief als Marktzugangsregelung in den Bereichen, wo es eine Gefahrengeneigtheit gibt, festhalten wollen, weil wir meinen, dass wir einen entsprechenden Schutz sicherstellen müssen.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Dass es eine entsprechende Dynamik durch die Veränderung der Marktzugangsregelung gibt, muss man zumindest einmal zur Kenntnis nehmen. Ihr zentrales Argument lautet doch, dass die Marktzugangsregelung keinerlei Einfluss auf die Gründungsdynamik in Deutschland hat. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Zahlen belegen das.

   Auch ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland belegt das.

(Dirk Niebel (FDP): Das Problem war, dass Sie an die Regierung gekommen sind!)

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, nachzuschauen. In den Jahren 1949 bis 1953 gab es in Deutschland keinen Meisterzwang. Es ist interessant, sich hier einmal die Entwicklung anzuschauen. Ein Verlust der traditionellen Ausbildung zum Meister ist durch die Marktöffnung aufgrund des Wegfalls des Meisterzwangs nicht zu befürchten. Gab es 1949 in den damals zehn westlichen Bundesländern - ohne das Saarland und ohne Westberlin - 39 011 bestandene Meisterprüfungen, so sind es heute, nach der deutschen Einheit, bei einer höheren Bevölkerungszahl bundesweit 30 146, wie der Minister kürzlich vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt hat.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das werden noch weniger!)

Auch das macht deutlich, dass Ihre Befürchtung, unser Gesetzentwurf könnte negative Auswirkungen haben, nicht der Wirklichkeit entspricht. Nehmen Sie diese schlichten Zahlen einfach zur Kenntnis. Entfernen Sie sich an dieser Stelle von der bloßen Polemik.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Hören Sie doch auf mit dieser Arroganz!)

Versuchen Sie doch, Ihre Einwände rational zu begründen.

   Auch das geltende EU-Recht zwingt uns zur Novellierung. Wir alle wissen: Nur noch Luxemburg hat eine entsprechende Berufszugangsschranke, die dem deutschen Meisterbrief ähnelt. Andere Staaten, etwa die Niederlande, haben ihre Bestimmungen auf gefahrengeneigte Tätigkeiten konzentriert. Österreich hat aufgrund eines Urteils des österreichischen Verfassungsgerichtshofs Inländer bei der Zulassung zur Handwerksausübung Angehörigen der übrigen EU-Staaten gleichgestellt.

(Dirk Niebel (FDP): Die österreichische Verfassung gilt bei uns doch gar nicht!)

Handlungsbedarf besteht also unabweisbar. In der gesamten Europäischen Union gelten ähnliche Regelungen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Meisterbrief auch in Zukunft europafest ist. Das ist das Ziel der Novelle. Ich bitte darum, dies zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Durch die Aufhebung der Beschränkungen werden Existenzgründungen ebenso wie Unternehmensnachfolgen sowie die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen und Lehrstellen wesentlich erleichtert. Den zulassungspflichtigen und zulassungsfreien Handwerken wird es nämlich ermöglicht, umfassende branchenübergreifende Leistungen anzubieten sowie auf Kundenwünsche flexibel zu reagieren. Außerdem werden vermehrt Angebote aus einer Hand möglich.

   Neue, bisher unter Meistervorbehalt stehende Tätigkeitsfelder können ausgenutzt werden. So können zum Beispiel Kosmetikerinnen künftig auch Friseurleistungen anbieten. Dadurch wird die Erschließung neuer Absatzmärkte möglich. Innovationen können stärker als bisher für das Handwerk genutzt werden. Außerdem werden die bisher so häufigen Abgrenzungsprobleme zwischen den in der Anlage A verbliebenen Handwerken und den in der Anlage B überführten Handwerken beseitigt.

   Ich möchte dazu ein Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis nennen. Eine Friseurmeisterin mit einem Betrieb in meiner Stadt wollte in der Nachbargemeinde eine Filiale eröffnen. Die entsprechende Kammer untersagte ihr dies, obwohl sie dadurch zwei Arbeitsplätze schaffen würde, mit der Begründung: Dies wäre mit der heute geltenden Handwerksordnung unvereinbar.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Das ist doch bestimmt eine Ausnahme, Herr Kollege! - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Was ist das für eine Kammer? - Werner Wittlich (CDU/CSU): Nennen Sie die Kammer!)

Das darf eigentlich nicht wahr sein, ist aber leider Wirklichkeit in Deutschland. Erst als der Fall publik gemacht wurde, hat die Kammer reagiert: Sie wartet mit einer Entscheidung so lange, bis diese Gesetzesnovelle beschlossen ist.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Das konnte die Meisterin auch ohne Sie machen! So ein Käse! Das sind an den Haaren herbeigezogene Beispiele!)

Ohne diese Novelle werden in Deutschland immer mehr Existenzen gefährdet. Damit muss Schluss sein. Auch das ist ein Grund, warum wir diese Novelle endlich umsetzen müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist doch nicht wahr, Herr Lange!)

   Die Gesetzesnovelle liegt nicht nur im Interesse der Gesellinnen und Gesellen und der Dynamik des Wirtschaftsstandorts Deutschland; sie liegt auch im Interesse der expansiven Meisterinnen und Meister, die schon heute eine entsprechende Qualifikation haben und ihren Betrieb voranbringen wollen. Deshalb bitte ich Sie herzlich: Hören Sie mit dieser ideologischen Diskussion auf!

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Das müssen gerade Sie sagen!)

Hören Sie damit auf, das Thema zu einem Kulturkampf hoch zu stilisieren! Konzentrieren Sie sich auf den Kern. Wir brauchen in Deutschland mehr Existenzgründungen und im Handwerk mehr Dynamik. Dem dient diese Novelle. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ein völlig falscher Ansatz!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, das Wort.

(Hubertus Heil (SPD): Freiheit!)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorgeschlagene Änderung der Handwerksordnung - Herr Minister Clement, auch Sie haben das eingeräumt - darf nicht isoliert gesehen werden, sondern sie steht im Zusammenhang mit anderen, derzeit laufenden oder unlängst abgeschlossenen Gesetzgebungsvorhaben. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht Rot-Grün um einen Angriff auf die Bürgergesellschaft,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD - Zuruf von der SPD: Jetzt kommt es heraus!)

weil neben den Handwerksmeistern auch die Apotheker, Ärzte, Architekten und Rechtsanwälte auf der Liste der durch die Bundesregierung gefährdeten Arten stehen.

   Wir von der FDP wollen die bewährten freiberuflichen Strukturen ebenso wie die bewährten handwerklichen Strukturen erhalten. Das schließt - das sage ich ausdrücklich - die Weiterentwicklung geltender Vorschriften nicht aus. 1994 und 1998 - Herr Lange, Sie waren 1998 doch dabei - haben wir die Handwerksordnung zunächst innerhalb des Handwerks geöffnet und weiterentwickelt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es!)

Weitere Schritte müssen folgen: die Abschaffung des Inhaberprinzips und ein verbesserter Zugang durch § 8 der Handwerksordnung. Dazu sind wir bereit. Aber diese Anpassungsmaßnahmen müssen so erfolgen, dass das Handwerk die Chance hat, auf diese Anpassungen zu reagieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich befürchte, dass mit der Reform, wie Sie sie vorgeschlagen haben, ganze Handwerksbereiche platt gemacht werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Klaus Brandner (SPD): So schlicht habe ich Sie gar nicht eingeschätzt!)

   Wenn man sich die Begründung Ihres Gesetzentwurfes durchliest, dann kommt man zu dem Verdacht, das Opfer solle zum Täter gemacht werden, weil die Novelle damit begründet wird, es gebe eine anhaltend schlechte wirtschaftliche Entwicklung. Aber kein Wort von verfehlten rot-grünen Reformen, die gerade das Handwerk belasten, kein Wort von zu hohen Steuern, von steigenden Abgaben, die es für junge Meisterinnen und Meister - davon gibt es immerhin noch eine Reserve von 120 000 - unattraktiv erscheinen lassen, sich im Handwerk zu betätigen. Kein Wort schließlich über fehlende Investitionen von Bund, Ländern und vor allen Dingen Kommunen, was letztendlich das Ergebnis einer schlecht gemachten Steuerreform ist.

(Beifall bei der FDP)

   Es ist ein Hohn - Herr Minister Clement, es ist mehr als das; es ist böswillig -, wenn in der Begründung des Entwurfes darauf hingewiesen wird, dass es im Handwerk bei der Ausbildung eine Abbrecherquote von 30 Prozent gebe, aber kein Wort darüber verloren wird, dass die Ausbildungsquote des Handwerks mit 9,8 Prozent fast dreimal so hoch ist wie im Durchschnitt der übrigen Wirtschaft. Das zeigt mir, Herr Minister Clement, dass Rot-Grün wirklich keine Ahnung davon hat, wie es im Handwerk aussieht und vor allen Dingen wie die aktuelle wirtschaftliche Situation im Handwerk ist.

(Beifall bei der FDP - Hans Michelbach (CDU/CSU): Nur Sündenböcke!)

   Der große Befähigungsnachweis ist im Übrigen auch kein Berufsverbot, wie es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes heißt, sondern er ist ein Qualifizierungsgebot und mithin die einzige Ausbildung zum Unternehmer, die wir in Deutschland haben. Das führt im Ergebnis zu der im Vergleich sehr niedrigen Insolvenzquote und zu der Bestandsfestigkeit der Handwerksbetriebe.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Herr Kollege Kuhn, ich sage Ihnen voraus und gebe zu Protokoll, damit Sie später nicht sagen, das habe man nicht voraussehen können:

(Klaus Brandner (SPD): Das müssen Sie nicht! Protokolle haben wir immer! Der Quatsch wird auch so gedruckt!)

Der vorliegende Gesetzentwurf wird, wenn die Novelle so umgesetzt wird, wie Sie es vorschlagen, dazu führen, dass wir im Herbst nicht nur über 70 000, sondern über 140 000 fehlende Ausbildungsplätze reden müssen, weil es absehbar und durch aktuelle Umfragen beim Handwerk belegt ist, dass die dann von A nach B zu überführenden, künftig zulassungsfreien Handwerke ihre Ausbildungsleistung deutlich auf das Niveau des Durchschnitts der Gesamtwirtschaft zurückführen werden. Das führt zu Ausbildungsplatzverlusten in dieser Größenordnung.

   Man greift sich an den Kopf. Dieselbe Koalition, die zu Beginn ihrer Amtszeit mit dem Gesetz zur Bekämpfung der so genannten Scheinselbstständigkeit die Existenzgründungen in Deutschland nachträglich beeinträchtigt hat, glaubt jetzt, ein Patentrezept gefunden zu haben, mit der Ich-AG Arbeitslose zu Unternehmern zu machen. So lautet das Motto. Wenn es so einfach wäre - -

   Ich sage Ihnen voraus: Mit der Ich-AG als Anbieter handwerklicher Leistungen entfachen Sie vielleicht ein Strohfeuer um den Preis einer Atomisierung des Handwerks in kleinste Einheiten ohne nachhaltige Beschäftigungswirkung. Aber die Ich-AG als Nischenanbieter wird am Markt jämmerlich scheitern, weil der Trend dort zu kompletten, immer umfassenderen Leistungsangeboten geht. Deswegen trifft Ihre Vorstellung auch nicht den Nerv der Zeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Insgesamt sehe ich die Gefahr, dass die jetzige Begründung , die allein auf die Abwehr von Gefahren abstellt, nicht ausreichen wird, um die Anlage A auf Dauer zu erhalten. Wenn es so kommt, wie von Ihnen vorgeschlagen, werden Gerichte den großen Befähigungsnachweis in absehbarer Zeit zu Fall bringen. Wir müssen mit mehr Sorgfalt zu Werke gehen. Nachhaltigkeit und Ausbildungsleistung sind Kriterien, die unbedingt herangezogen werden müssen, um die Anlage A und den großen Befähigungsnachweis zu begründen.

   Nehmen Sie Vernunft an! Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Handwerk überlegen, welche nächsten Liberalisierungsschritte nach den Novellen von 1994 und 1998 jetzt gegangen werden können! Ich habe Beispiele genannt. Das Handwerk hat die Hand ausgestreckt. Sie sollten nicht danach schlagen.

   Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Nun hat Kollege Hans-Werner Bertl, SPD-Fraktion, das Wort.

(Klaus Brandner (SPD): Jetzt kommt wieder ein erfahrener Handwerksmeister! - Werner Wittlich (CDU/CSU): Vor 50 Jahren! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist lange her!)

Hans-Werner Bertl (SPD):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat hier ein Mitglied meiner Fraktion einen Ausspruch des stellvertretenden Vorsitzenden Ihrer Fraktion, Herrn Merz, vom März im „Spiegel“ zitiert. Ich sehe noch den heftigen Zuspruch des Abgeordneten Hinsken. Ich bringe das Zitat noch einmal, benutze aber das Wort, das er benutzt hat, nicht: Wenn man einen Teich trocken legen will, dann darf man nicht die Frösche fragen.

(Dirk Niebel (FDP): Aber man muss viele Frösche küssen, um einen Prinzen zu finden!)

Dazu haben Sie kräftig genickt. Ich kann Ihnen eines sagen, Herr Kollege Hinsken: Wenn wir so handelten und so mit der Organisation des Handwerks umgingen, wie Ihre Fraktionsoberen es Ihnen in Bezug auf andere Organisationen empfehlen, dann wären Sie heute hier der Frosch und ich sehe keine Prinzessin, die Sie küssen würde.

(Beifall bei der SPD)

   Ihre Position zur Handwerksordnung kann ich nur unter oppositionsstrategischem Gesichtspunkt verstehen. Ehrlich sind Sie dem Handwerk gegenüber nicht.

Die dubiose Haltung der Liberalen, denen sonst jede Form von Regulierung in der Wirtschaft ein Gräuel ist, das sie fürchten wie der Teufel das Weihwasser, können sie selbst einem Handwerker nicht mehr vernünftig erklären.

   Ich glaube, dieses Thema ist es wert, in aller Ruhe erörtert zu werden. Wir sollten die Wirklichkeit der Erfahrungen eines deutschen Verbrauchers mit dem Handwerk und die Lebenswirklichkeit eines deutschen Handwerksmeisters im Zusammenhang mit dem Verbraucher nicht ausblenden. Es ist doch schon alles beschrieben worden. Ich nenne als Beispiel den verzweifelten Versuch eines ordentlichen, gesetzestreuen Verbrauchers, die abgeplatzte Fliese von einem fachkundigen Handwerksmeister ersetzt zu bekommen. Bei einem solchen Versuch ist doch ein Scheitern bereits vorprogrammiert. Eine reale Chance, eine solche Bagatellreparatur ausführen zu lassen, besteht in den frühen Abendstunden oder am Samstag, wenn zwar der Verbraucher verschämt die Umsatzsteuer einbehalten muss, letztlich aber glücklich ist, dass der Schaden von fachkundiger Hand behoben wird.

   Wie sieht die Situation aus der Sicht des Handwerksmeisters aus? So mancher Handwerksmeister macht sich beklommen an die Behebung eines Schadens, der nicht zu seinem Gewerk gehört, der ihn aber fachlich nicht überfordert. Er ist vielleicht gerade im Hause und kann sich dem bettelnden Blick der Verbraucherin irgendwann auch mit dem besten Argument nicht mehr entziehen. Es treibt ihn in den Gesetzesbruch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind zu Tränen gerührt!)

- Das ist die Wirklichkeit!

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Wir haben doch mehr Leistungen aus einer Hand beschlossen! Das ist doch Käse!)

Das hört sich vielleicht lustig an, macht aber das System eines geschlossenen Marktes deutlich, das weit von der Wirklichkeit unserer Wirtschaft entfernt ist. Wir brauchen hingegen ein System, das Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ermöglicht.

(Beifall bei der SPD)

   Ich will ein Zitat aus der Schlussarie des Hans Sachs aus den „Meistersingern von Nürnberg“ anführen, das vom Handwerk sehr geliebt wird: Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst! - Hans Sachs singt von Kunst, aber nicht von Zunft. Genau das wollen wir auch: Wir wollen die Kunst und die Qualität des Meisters nicht in Zweifel ziehen. Vielmehr wollen wir seine Markt- und Wettbewerbsfähigkeit und sein Können durch die Novellierung der Handwerksordnung stärken.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn!)

   Im Bereich der Handwerksberufe der Anlage A soll mit dem Primat des besonderen Schutzes des Verbrauchers und in der Anlage B mit der freiwilligen Möglichkeit der Meisterprüfung in den Wettbewerb eingebracht werden, was im Handwerk einen Wert an sich darstellt, nämlich Qualität und hohe fachliche Kompetenz.

   Kann man bestreiten, dass es in vielen Bereichen des Handwerks durchaus zu verantworten ist, sich dem Geschick und der Fachkunde eines Gesellen anzuvertrauen und ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich nach zehn langen Jahren verantwortlichen Arbeitens ein eigenes Geschäft aufzubauen und sogar auszubilden, wenn er die Bedingungen der Ausbildungsverordnung erfüllt? - Ich glaube nicht.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist doch zu wenig, Herr Kollege Bertl!)

   Ist es in einem System der Nischenwirtschaft nicht besser, diejenigen, die in Fachgebieten, in denen heutzutage fast jeder in wenigen Wochen die notwendigen Kenntnisse erwerben kann, heimlich ungesetzliche Tätigkeiten ausüben, mit einzubeziehen? Glauben Sie wirklich, die Behauptung aufrecht erhalten zu können, nur der Meister sei ein Garant für die fachgerechte Ausbildung und nur er sei durch seinen Prüfungsteil in Betriebswirtschaft in der Lage, in unserem sicherlich komplizierten Land erfolgreich zu wirtschaften?

   Was machen eigentlich die Hunderttausende von erfolgreichen Unternehmen, die nicht der Handwerksordnung unterliegen? Welchen Wert hat die Ausbildung einer Industriekauffrau in unserer Wirtschaft? 56 000 der Industriekaufmänner und -frauen werden in der Industrie und im Handel ausgebildet, ganze 61 im Handwerk.

   Welchen Wert hat der Fachinformatiker, Fachrichtung Anwendungsentwicklung, von dem 18 000 in der Industrie ausgebildet werden und ganze vier im Handwerk? Sind all diese Menschen für Unternehmer tätig, denen jede wirtschaftliche Kompetenz fehlt und die nicht am Markt bestehen, weil sie keinen Meistertitel haben?

   Wir müssen zugeben, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem wir uns der Realität stellen müssen. Ich gebe auch offen zu, dass mir das ein bisschen wehtut; ich bin nämlich selbst Handwerksmeister und ich bin stolz auf das, was ich einst erlernt habe und beweisen musste.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Eben! Sie müssten wissen, was die Uhr für Handwerksmeister geschlagen hat!)

   Über die Niederlassungsfreiheit innerhalb Europas ist schon gesprochen worden. Andere EU-Staaten bieten ihren Handwerkern weitere Freiräume. Nach den Regeln des Binnenmarktes kann kein Bürger an einer grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Betätigung gehindert werden.

   Wir befinden uns in einer Situation, in der wir gemeinsam mit dem Handwerk - vonseiten des Handwerks gibt es durchaus entsprechende Zeichen - den Weg beschreiten sollten, die Handwerksordnung angesichts der für sie tatsächlich bestehenden Gefährdungen im Zusammenhang mit unserer Verfassung, der Rechtsprechung und der Diskussion auf europäischer Ebene über die so genannte Inländerdiskriminierung zukunftsfähig zu machen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Aber nicht so!)

- Doch!

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Nein, Herr Bertl! Gerade von Ihnen als Handwerker erwarte ich mehr Sachverstand!)

   Beenden Sie Ihre Ideologisierung! Lassen Sie uns mit den Vertreterinnen und Vertretern des Handwerks - manche von ihnen räumen diese Gefahren in Vieraugengesprächen ein und zeigen die Bereitschaft, etwas Vernünftiges zu entwickeln - sachgerecht und fachgerecht sprechen! Wir werden die Handwerksordnung zukunftsfähig machen und nichts, weder die Qualität noch die Ausbildungsfähigkeit noch die Ausbildungsbereitschaft im deutschen Handwerk, infrage stellen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schauerte.

(Dr. Uwe Küster [SDP]: Oh, schauerlich!)

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Präsident! Ich habe mich zu dieser Kurzintervention gemeldet, da dieser Redner ein Argument aufgegriffen hat, das auch Clement und andere immer wieder angeführt haben. Dieses Argument ist falsch und es darf sich daher nicht festsetzen. Man hat gesagt, die Auswirkungen des großen Befähigungsnachweises seien die Ursache dafür, dass die Zahl der Handwerksbetriebe abnehme, dass die Beschäftigungslage schlecht sei, dass das Handwerk seinen Beitrag zum Wachstum der Wirtschaft nicht mehr leiste und dass der Umfang der Schwarzarbeit größer werde.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das hat niemand gesagt!)

   Ich empfehle, einen Blick auf andere Bereiche zu werfen, um zu prüfen, ob dieses Argument richtig ist. Der Einzelhandel in Deutschland ist völlig unreguliert. Er hat sich - ohne jede Regulierung - katastrophal entwickelt. Es ist daher nicht richtig, zu behaupten, der Negativtrend sei ein Ergebnis der Regulierung. Ein anderer Bereich ist in hohem Maße reguliert - es gibt dort Zugangsbeschränkungen, die deutlich strenger als die im Handwerk sind, einschließlich einer Gebührenordnung -: Ich denke an die Rechtsanwälte und insbesondere Konkursverwalter. Ihre Anzahl hat sich in den letzten Jahren enorm vermehrt.

(Dirk Niebel (FDP): Kein Wunder bei dieser Politik!)

   Die Qualität und der Umfang der Zugangsvoraussetzungen sind kein Maßstab, um zu beurteilen, ob sich eine Branche gut oder schlecht entwickelt und ihren Beitrag zur Volkswirtschaft leistet. Dass es im Handwerk so schlecht läuft, ist das bittere Ergebnis Ihrer absolut verfehlten Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Erklären Sie das Handwerk nicht zum Täter! Das Handwerk ist in dieser Frage Opfer. Lassen Sie diese Art der Argumentation! Sie ist nicht zielführend und zeigt, dass Sie ideologisch vorgehen und nicht an der Sache orientiert sind. Ändern Sie Ihre Wirtschaftspolitik und das Handwerk hat wieder goldenen Boden!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Bertl, Sie haben Gelegenheit zur Erwiderung.

(Jörg Tauss (SPD): Sag ihm, er soll sich entspannen!)

Hans-Werner Bertl (SPD):

Sehr geehrter Herr Kollege, zunächst einmal ist festzuhalten: Was die Existenzgründungsquote angeht, sind wir von vielen anderen europäischen Ländern überholt worden. Die Problematik, die Sie angesprochen haben, hat mit der gegenwärtigen Situation überhaupt nichts zu tun. Es geht nicht darum, die Meisterprüfung oder den Befähigungsnachweis zu diskreditieren. Wir müssen doch einfach sehen, dass wir es hier mit einem geschlossenen Markt zu tun haben, für den es kaum noch eine Berechtigung gibt. Die Geschlossenheit des Marktes hat allerdings in denjenigen Bereichen, bei denen es um den Verbraucherschutz geht, durchaus noch ihre Berechtigung.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): So ein Unsinn! Sie sind viel zu lange aus dem Beruf raus!)

   Anlage A regelt, dass über ein Drittel des Handwerks - dort arbeiten fast zwei Drittel der im Handwerk Tätigen - in einem geschlossenen Markt verbleibt. Das zeigt die wirtschaftliche Struktur in unserem Land, insbesondere im Handwerk, auf. Es zeigt aber auch auf, dass dieser Markt, der aus der Tradition der Zünfte heraus reguliert ist - diese Regulierung lässt sich mit dieser Tradition heute nicht mehr rechtfertigen -, Freiräume braucht. Also: Keine Gefährdung für den großen Befähigungsnachweis!

   Ich glaube, dass es für junge Menschen nach wie vor ein sehr interessantes und anzustrebendes Ziel sein wird, auch in den in Anlage B aufgeführten Handwerksberufen den Meisterbrief zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Sie haben hier eben einen großen Fehler begangen, als Sie behauptet haben, ein Arzt könne sich nur nach einer Promotion selbstständig machen. Das ist eben nicht so.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das sagt doch niemand! - Gegenruf des Abg. Christian Lange (Backnang) (SPD): Sie, Herr Hinsken, haben es gesagt!)

Das Examen reicht aus. Sie müssen sich einmal die Frage stellen, warum so viele junge Medizinerinnen und Mediziner und so viele andere Hochschulabsolventen eine Promotion machen. Warum sollen junge Menschen im Handwerk in Zukunft anders vorgehen? Darüber müssen Sie einmal mit den Vertretern des Handwerks und mit den Gesellinnen und Gesellen diskutieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie feststellen: Ihre gesamte Argumentation ist ad absurdum geführt worden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Turnusende

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Werner Wittlich, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Werner Wittlich (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Bertl, wenn man Ihre Biografie liest, dann stellt man fest, dass Sie irgendwann einmal den Titel eines Uhrmachermeisters erworben haben.

(Hubertus Heil (SPD): Der weiß, was die Stunde geschlagen hat! - Christian Lange (Backnang) (SPD): Seien Sie mal nicht so diskriminierend! Wann haben Sie Ihren Titel „irgendwann einmal“ gemacht?)

- Das mache ich doch nicht. - Aber man merkt, dass Sie wahrscheinlich Jahrzehnte aus diesem Beruf heraus sind; denn sonst würden Sie hier nicht einen solchen Unsinn erzählen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Jeder kennt das Handwerk und kommt täglich mit ihm in Berührung.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Das ist alles, was Sie können: polemisieren! Sonst nichts!)

- Erzählen Sie nicht ein solches Zeug, Herr Lange. - Wer vom Handwerk spricht, denkt dabei oft nur an den Bäcker um die Ecke oder an den Installateur nebenan. Beide verkörpern das traditionelle Handwerk und sind Beispiele seiner Nähe zum Verbraucher. Doch Handwerk ist viel mehr. Handwerk ist Zukunft. Es ist ein moderner, innovativer und kreativer Wirtschaftsbereich, der durch Qualität und Kundenorientierung überzeugt. Handwerk ist so alt wie die Steinzeit und gleichzeitig so jung wie die Technologie von morgen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Handwerksordnung, wie sie seit vielen Jahrzehnten besteht, hat sich nicht nur bewährt. Wir werden auch von vielen Ländern um die Leistungsfähigkeit und den hohen Qualitätsstandard unseres Handwerks beneidet. Das Gütesiegel ist der Meistertitel. Er steht für Fachwissen und solide Kenntnisse in Betriebswirtschaft, Recht und Pädagogik. Damit dieser Qualitätsstandard gehalten werden kann, muss sich die Handwerksordnung flexibel und dynamisch neuen Entwicklungen anpassen können. Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Novellierung der Handwerksordnung ist in sich widersprüchlich, unlogisch sowie tatsächlich und rechtlich fehlerhaft. Er ist außerdem mit dem Handwerk nicht abgestimmt. Die Reform wurde überdies von Politikern eingeleitet, die selbst nie an der Spitze eines Unternehmens gestanden haben, die nie in einem Betrieb für Arbeitsplätze gesorgt haben und die nie auch nur einen einzigen Ausbildungsplatz geschaffen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   CDU und CSU kritisieren insbesondere die Neufassung der Anlage A der Handwerksordnung. Von jetzt 94 Meisterberufen sollen künftig nur noch 29 dem Meisterzwang unterliegen.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Nur Bäckermeister dürfen Gesetze über Bäckermeister einbringen!)

Entscheidendes Kriterium zur Aufnahme in die Anlage A soll die Gefahrengeneigtheit eines Gewerkes sein. Sogar die Bäcker und die Fleischer sollen künftig nicht mehr unter den Meistervorbehalt fallen. Das ist - gelinde gesagt - ein schlechter Treppenwitz. Gerade eine Regierung, die den Verbraucherschutz in den Vordergrund rücken will, plant jetzt, die Bewältigung der BSE-Krise, der Schweine- und Geflügelpest sowie nicht zuletzt die Beachtung umfangreicher Hygienevorschriften in nicht meisterliche Hände zu legen. An diesem Beispiel kann man erkennen, wie weit es mit Ihrer Trennung in gefahrengeneigte und nicht gefahrengeneigte Handwerksberufe her ist.

   Wir fordern deshalb, die Aufnahme in die Anlage A von drei Kriterien abhängig zu machen, und zwar erstens von der Gefahrengeneigtheit, zweitens von der Ausbildungsleistung und drittens von dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, etwa vom Umwelt- und Verbraucherschutz. Dies würde auch den Vorgaben des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts zum Meisterbrief aus dem Jahre 1961 entsprechen. Im Übrigen arbeiten 50 Prozent der Absolventen eines Meisterlehrgangs als abhängig Beschäftigte. Der Wegfall des Meisterzwangs wird deshalb nicht automatisch zu mehr Selbstständigkeit führen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es!)

   Nach den Plänen der Regierung sollen Gesellen nach zehnjähriger Tätigkeit - davon fünf in leitender, verantwortlicher oder herausgehobener Funktion - auch ohne Meisterbrief einen Betrieb, der in Anlage A aufgeführt ist, eröffnen dürfen. CDU und CSU werden es nicht hinnehmen, dass Gesellen künftig ihre Berechtigung zur Unternehmensgründung ersitzen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn die Gesellenprüfung wird durchschnittlich mit Anfang 20 gemacht, die Meisterprüfung durchschnittlich mit Anfang 30. Die Gesellen werden sich doch fragen, warum sie eine Meisterprüfung überhaupt ablegen sollen, warum sie sich neben dem Berufsleben durch die Meisterschule quälen sollen,

(Hans-Werner Bertl (SPD): Warum machen das die Techniker und die Industriemeister?)

wenn sie im gleichen Zeitraum in tatsächlich gefahrengeneigten Berufen nebenher die Berechtigung zur Unternehmensgründung erwerben können.

- Ich komme noch dazu. - Wir befürchten außerdem, dass sich die Ausbildungsleistung drastisch reduzieren wird, wenn die Qualifikation zur Ausbildung junger Menschen nicht mehr vorhanden ist. Wir schlagen deshalb in diesem Zusammenhang eine Einzelfallprüfung vor.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jawohl! Sehr gut!)

   Damit die Berufserfahrung der Altgesellen entsprechend berücksichtigt wird und qualifizierte Unternehmensgründungen leichter werden, sollen die Teile I und III der Meisterprüfung, also über die praktischen Fähigkeiten und die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, angerechnet werden.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Wittlich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bertl?

Werner Wittlich (CDU/CSU):

Ich weiß, dass dabei nichts herauskommt. Deswegen gestatte ich die Zwischenfrage nicht.

(Zuruf von der SPD: Unverschämtheit!)

   Auf die Teile II und IV, nämlich Theorie und Ausbildungsqualifikation, darf dagegen nicht verzichtet werden. Damit wäre gewährleistet, dass der Gefahren- und der Ausbildungsaspekt berücksichtigt werden.

   CDU und CSU lehnen außerdem die Regierungspläne ab, nach denen sich künftig jedermann unabhängig von seinen fachlichen Fähigkeiten selbstständig machen kann, soweit es um Berufe in der Anlage B geht. Dies soll auch für Berufe gelten, die demnächst im Abschnitt 1 der Anlage B stehen, also für Berufe, die jetzt noch dem Meisterzwang unterliegen. Wir fordern auch für Berufe in der Anlage B fakultativ den Erwerb des Meisterbriefs. Zumindest für Gewerbe im Abschnitt 1 der Anlage B müssen die Gesellenprüfung und die Ausbildereignungsqualifikation nachgewiesen werden.

(Klaus Brandner (SPD): Was Sie da vortragen, ist nicht meisterlich!)

Nur so erhalten wir ein Mindestmaß an beruflicher Qualifikation, einen ausreichenden Verbraucherschutz und vernünftige Voraussetzungen für die Ausbildung junger Menschen.

   Wir fordern außerdem die Einführung einer so genannten Revisionsklausel. Alle sieben Jahre soll die geltende Liste der Meisterberufe in der Anlage A überprüft werden. Damit werden bei der Zuordnung zur Anlage A oder zur Anlage B neue Entwicklungen zeitnah berücksichtigt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jawohl! Sehr gut!)

   Unsere Zustimmung findet die geplante Aufhebung des Inhaberprinzips. Einem Existenzgründer ohne Meisterbrief sollte eine Betriebsübernahme möglich sein, wenn er einen Meister einstellt.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Auf der einen Seite arbeiten in Deutschland 130 000 Meister als abhängig Beschäftigte in Betrieben und auf der anderen Seite stehen Menschen, die bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu tragen, aber keinen Meistertitel haben. Wenn wir die Zusammenarbeit dieser beiden Gruppen ermöglichen, erleichtern wir unzählige Betriebsübernahmen.

Ich darf Ihnen kurz ein Beispiel aus dem Friseurhandwerk nennen. Durch die Novellierung werden einzig und allein die so genannten Ich-AGs gefördert; denn die jetzige Form der Handwerksordnung steht in vielen Fällen der Gründung einer Ich-AG entgegen. Viele Friseurgesellen - das Thema ist heute schon oft angesprochen worden - werden bei der Verbandsgemeinde oder der Stadtverwaltung ein so genanntes Kleingewerbe anmelden. Damit wird Schwarzarbeit legalisiert. An ihrem jetzigen Arbeitsplatz werden sie den Kunden erzählen, dass sie anderenorts nunmehr auch offiziell das Friseurhandwerk ausüben dürfen und die Kunden eingeladen sind, sich abends privat zum halben Preis bedienen zu lassen. Das wird dazu führen, dass die offiziellen Friseursalons immer weniger Kundschaft haben und deshalb Ausbildungs- und Arbeitsplätze abbauen müssen. Die Umsätze der legalisierten Schwarzarbeiter werden zumindest offiziell unterhalb der Freigrenze liegen. Damit werden die Sozialkassen und der Staat leer ausgehen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Werner Wittlich (CDU/CSU):

Ich komme sofort zum Schluss.

   Aus dem jahrhundertealten Zunftwesen ist ein Relikt bis zum heutigen Tag übrig geblieben. Es ist der Satz, mit dem die meisten Handwerksversammlungen enden: Gott segne das ehrbare Handwerk. - Dieser Satz ist heute aktueller denn je. Nur müssen wir ihn heute ergänzen: Gott schütze das ehrbare Handwerk vor den wenig ehrenhaften Schnellschüssen dieser Bundesregierung.

(Zuruf von der SPD: Gott segne es!)

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zuruf von der SPD: Das war eine schwache Nummer!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Bertl für die SPD-Fraktion.

Hans-Werner Bertl (SPD):

Kollege Wittlich, wenn ich Sie so höre - was Sie gesagt haben, wird auch in anderen Bereichen artikuliert -, dann frage ich mich schon: Wie geht das organisierte Handwerk, das Verbandshandwerk in Deutschland, mit denen um, die für das Handwerk eine ganz wichtige Größe sind und eine hohe wirtschaftliche Leistungskraft bringen, nämlich mit den Gesellinnen und Gesellen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist kaum noch begründbar und wirklich schon diffamierend, wenn in Diskussionen - ich habe das von Vertretern des Handwerks selber erlebt - Ausdrücke fallen wie: Da kann sich ja jeder Hansel selbstständig machen.

   Man muss sich doch einmal die Hintergründe klar machen: Was unterscheidet eigentlich eine Gesellin oder einen Gesellen im Handwerk von einem jungen Facharbeiter oder einem jungen kaufmännischen Angestellten, der selber entscheiden kann, wann er eine Technikerausbildung, eine Industriemeisterprüfung oder schließlich noch den Betriebswirt macht? Nein, im Handwerk sollen Strukturen zementiert werden, die die hohe Zahl der jungen Gesellinnen und Gesellen in großem Maße diskreditieren. Man muss sich da doch - auch Seitens des Handwerks - die Frage stellen: Ist dieser Weg eigentlich noch zukunftsträchtig?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Sie wissen, dass das nicht stimmt!)

   Ich sage Ihnen: Es wird in wenigen Jahren in einer erweiterten Europäischen Union nicht mehr die Inländerdiskriminierung eine große Rolle spielen, sondern angesichts der demographischen Situation und der abnehmenden Zahl an Schulabgängern werden wir uns - ich sage „wir“, denn ich fühle mich da dem Handwerk schon zugehörig - im Handwerk schon die Frage stellen müssen, ob wir jungen Menschen in einem System, dessen Marktschranken wirklich aus dem Mittelalter kommen, überhaupt noch Anreize und Perspektiven bieten, sich selbstständig zu machen.

   Lassen Sie Ideologie aus dieser Diskussion heraus. Sie schaden dem Handwerk gnadenlos. Wir müssen vielmehr einen Dialog mit ihm führen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Wittlich zur Entgegnung.

Werner Wittlich (CDU/CSU):

Lieber Kollege Bertl, ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Dem Handwerk schaden nicht wir - das müssten Sie draußen längst mitbekommen haben -,

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Das sind die Funktionäre, die von Ihnen aufgehetzt werden! Reden Sie einmal mit Gesellen!)

sondern Sie, indem Sie die Handwerksordnung zerschlagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich will noch einmal deutlich sagen: In keinem Wirtschaftsbereich werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so familiär behandelt.

(Widerspruch bei der SPD)

- Ja, das ist so; das sage ich ganz deutlich. - Wir Betriebsinhaber kümmern uns doch um viele Probleme der Mitarbeiter, seien sie auch privater Natur.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Dann eröffnen Sie ihnen auch Chancen!)

   Mit der jetzt vorgesehenen Zerschlagung der Handwerksordnung werden Sie das Handwerk nicht dazu bringen, so wie bisher Schulabsolventen, die nicht die geistige Frische haben, die vielleicht, um es einmal vorsichtig auszudrücken, etwas benachteiligt sind, auszubilden. Auch in diesem Bereich wird es eine Katastrophe geben.

   Meine Damen und Herren, setzen wir uns gemeinsam an einen Tisch und beraten wir über die Vorlage der FDP, die Vorlage der CDU/CSU und Ihre.

(Dirk Niebel (FDP): Man beachte die Reihenfolge!)

Lassen Sie uns gemeinsam - ich denke, das hat das Handwerk verdient - eine Lösung suchen und zu einem vernünftigen Kompromiss kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dirk Niebel (FDP): Die Reihenfolge der Vorlagen war richtig!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen auf der Drucksache 15/1089. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1224, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. -

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Handwerksvernichter!)

Wer stimmt dagegen? -

(Zurufe von der SPD: Blockierer!)

Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? -

(Klaus Brandner (SPD): Das bereuen Sie noch! - Weitere Zurufe von der SPD: Blockierer!)

Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1206 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die wir heute nicht mehr im Plenarsaal sehen werden, schon einmal ein schönes Wochenende - jedenfalls für den Teil des Wochenendes, der jenseits von Veranstaltungen noch verbleibt.

   Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 24 a auf:

24. Abschließende Beratungen ohne Aussprache

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlakts

- Drucksache 15/1059 -

(Erste Beratung 48. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)

- Drucksache 15/1263 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Dorothee Mantel
Josef Philip Winkler
Dr. Max Stadler

   Wir stimmen über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf ab. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1263, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Ich vermute, dass der eine oder andere, der steht, gleichwohl nicht gegen den Gesetzentwurf stimmen will, was durch spontanes Hinsetzen bestätigt wird. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 54. Sitzung - wird am,
Montag, den 30. Juni 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15054
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