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15. Wahlperiode
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   57. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 04. Juli 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Heute feiert der Kollege Dr. Christoph Zöpel seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere ihm namens des Hauses sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute.

(Beifall)

   Der Kollege Paul Breuer hat am 27. Juni 2003 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Magdalene Strothmann am 3. Juli 2003 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin herzlich.

(Beifall)

   Sodann gebe ich bekannt, dass der Kollege Christoph Hartmann sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Die Fraktion der FDP benennt als Nachfolger den Kollegen Michael Kauch. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Kauch als Schriftführer gewählt.

   Dann möchte ich Sie davon unterrichten, dass der Ältestenrat gestern die Präsenzpflicht für Dienstag, den 8. Juli 2003, aufgehoben hat. Außerdem hat der Ältestenrat vereinbart, dass in der Haushaltswoche vom 9. September 2003 keine Regierungsbefragung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:

4. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann Otto Solms, Gisela Piltz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Kommunale Finanzreform)

- Drucksache 15/1247 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Peter Götz, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Finanzkraft der Kommunen stärken - kommunale Selbstverwaltung sichern

- Drucksache 15/1217 -

c) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Eckpunkte für eine umfassende Gemeindefinanzreform

- Drucksache 15/1321 -

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die FDP zwölf Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Andreas Pinkwart von der FDP-Fraktion das Wort.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Städte und Gemeinden in Deutschland sind in einer außergewöhnlich schwierigen Lage; wir haben in diesem Jahr schon wiederholt darüber diskutieren dürfen. Worin liegen die Gründe für diese schwierige finanzielle Lage? - Zum einen in den gravierenden Schwächen der in den letzten Jahren deutlich eingebrochenen Gewerbesteuer als Einnahmequelle. Ihre Konjunkturabhängigkeit, aber auch ihre Mittel- und Großbetriebsabhängigkeit in der Struktur, ihre erhebliche Bürokratielast und vieles mehr - ich komme gleich noch darauf zurück - sprechen gegen die Gewerbesteuer.

   Aber es wäre blauäugig, zu sagen, das sei der einzige Grund. Es kommen andere, gewichtige Gründe für die Finanzsituation der Kommunen hinzu. Einer der wesentlichen Gründe - wenn wir genau hinschauen - ist die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland mit wegbrechenden Steuereinnahmen in erheblichem Umfang - nicht nur bei der Gewerbesteuer, sondern auch bei den anderen Steuerarten - sowie erheblichen zusätzlichen sozialen Lasten durch die hohe Arbeitslosigkeit. Dies ist wesentlich auf die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Diese sind vor allem von der seit fünf Jahren amtierenden Regierung Rot-Grün zu verantworten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Hinzu treten weitere Benachteiligungen der Kommunen durch rot-grüne Politik: zum einen durch die Verschlechterung bei der Gewerbesteuerumlage im Zuge der großen Steuerreform und durch die Anhebung des entsprechenden Umlagesatzes zulasten der Kommunen - wir haben hier wiederholt beantragt, dies rückgängig zu machen -

(Hans Eichel, Bundesminister: Sie haben es aber mitbeschlossen!)

und zum anderen durch eine erhebliche Verlagerung staatlicher Aufgaben auf die Kommunen ohne entsprechende Gegenfinanzierung. Das Konnexitätsprinzip, von dem immer wieder die Rede ist, wird zulasten der Städte und Gemeinden im praktischen Handeln leider nicht umgesetzt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Bernd Scheelen (SPD): Wir machen das schon! Sie haben das früher nie gemacht!)

   Welche Wege führen aus der Krise? Zunächst - das ist unsere Meinung; wir haben das hier wiederholt vorgetragen - brauchen wir ein Soforthilfeprogramm für die Städte und Gemeinden.

(Bernd Scheelen (SPD): Das haben wir gemacht!)

Das Ergebnis der Kommission unter Ihrem Vorsitz, Herr Eichel, kommt zu spät. Egal welche Variante im Ergebnis umgesetzt wird, sie wird zum 1. Januar 2004 nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen in Deutschland führen. Deswegen brauchen wir nicht später eine Entlastung, sondern wir brauchen sie jetzt. Bekennen Sie sich endlich dazu, dass bei der Gewerbesteuerumlage und bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der größte Teil des Kuchens jetzt an die Gemeinden ausgeschüttet wird!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Darüber hinaus brauchen wir eine dauerhaft stabile, konjunkturunabhängige, unbürokratische und das Band zwischen Wirtschaft und Gemeinden endlich wieder stärkende Einnahmequelle für die Städte und Gemeinden.

   Daneben brauchen wir mehr Autonomie auf der Ausgabenseite. Dabei stellt sich die Frage, ob man auf die Gewerbesteuer setzen kann. Eine überbürokratische, international unbekannte und daher wettbewerbsverzerrende, konjunkturanfällige und aufgrund erheblicher Abgrenzungsprobleme ungerechte Steuer wird nicht dadurch besser, dass Sie sie auf einen noch größeren Personenkreis ausdehnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Schon jetzt werden von 2,7 Millionen Steuerpflichtigen nur 900 000 veranlagt, von denen per saldo wiederum nur wenige das Gros der Steuereinnahmen erbringen. Jetzt wollen Sie diesen Kreis um über 800 000 Personen, die freie Berufe ausüben, erweitern.

   Damit wird das Abgrenzungsproblem aber nicht gelöst. Es wird nur hin zur Schnittstelle zwischen selbstständiger und nicht selbstständiger Tätigkeit verlagert.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

Dies würde nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, sondern auch zu Ausweichstrategien bei den freien Berufen führen. Personen, die einen freien Beruf ausüben, würden in eine unselbstständige Tätigkeit wechseln. Das wäre nicht nur gesellschaftspolitisch der völlig falsche Weg, das würde im Ergebnis auch keinen Cent mehr an Steuereinnahmen für die Kommunen bedeuten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Gewerbesteuer wird auch dadurch nicht besser, dass Sie versuchen, sie gegen den ausdrücklichen Rat Ihres Bundeswirtschaftsministers, Ihres Superministers für Wirtschaft und Arbeit, der heute leider nicht an der Debatte teilnehmen kann - ich fand, er hat sich bei der Vorstellung des Kommissionsergebnisses hervorragend geäußert -, um ertragsunabhängige Bestandteile zu erweitern; denn das hieße ja nichts anderes, als dass der Staat auch dann noch zugreift, wenn die Unternehmen in der Krise sind, also Verluste machen. Hier unterstützen wir Herrn Clement in seiner Meinung: Auf diesem Weg würden Sie die Betriebe erst recht in den Konkurs treiben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Nun bringen Sie das Argument der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer zumindest bei den Einzel- und Personenunternehmen vor. Eine verbreiterte Bemessungsgrundlage - wenn Sie Mieten, Pachten und Leasing, also Kosten der Betriebe, auch noch besteuern wollen - würde nichts anderes bedeuten, als dass in den Jahren, in denen die Betriebe keine Ertragsteuern zahlen, weil sie Verluste schreiben, auch die Anrechenbarkeit nicht gelingt. Die Übertragbarkeit der Anrechenbarkeit ist in § 35 EStG nämlich nicht geregelt. Das heißt de facto, dass es hier zu einer Substanzbesteuerung kommen würde: In einer Situation, in der der Mittelstand in Deutschland am Boden liegt und über ein Drittel der Betriebe unterkapitalisiert ist, würde ein weiterer Eingriff in die Substanz, in die Eigenkapitalbasis der Betriebe, stattfinden. Das wäre verantwortungslos.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir, die Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss, haben uns einmütig und wiederholt - auch in der letzten Legislaturperiode - zum Thema Basel II ausgetauscht. Es sind Verbesserungen bei Basel II erreicht worden. Ein Problem ist aber nach wie vor nicht gelöst - wir haben das in der letzten Finanzausschusssitzung deutlich gemacht -, nämlich die prozyklische Wirkung von Basel II. Im konjunkturellen Tal wirkt Basel II so, dass die Unternehmen noch weniger Kredite erhalten. Wenn Sie sie in dieser Situation noch zusätzlich mit Steuern auf ertragsunabhängige Bestandteile belasten, dann erhöhen Sie die prozyklische Wirkung von Basel II und verschlechtern die Finanzierungsbedingungen des Mittelstandes dramatisch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Beide von Ihnen vorgeschlagenen Wiederbelebungsversuche der Gewerbesteuer lösen die Probleme nicht. Sie verschaffen den Gemeinden keine Luft zum Atmen, indem Sie sie den Betrieben abschnüren. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Entlasten Sie die Betriebe. Verschaffen Sie dem Mittelstand Luft zum Atmen! Dann wird es auch den Kommunen in Deutschland und dem Staat besser gehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb schlagen wir Ihnen vor, die Finanzen der Kommunen mit uns auf zwei verlässliche und gleichgewichtige Säulen zu stellen: Die erste Säule besteht aus einem kommunalen Zuschlag auf die Ertragsteuern unter Berücksichtigung des Wohn- und Betriebsstättenprinzips und die zweite Säule aus einem wesentlich höheren Anteil an der Umsatzsteuer.

(Horst Schild (SPD): Steuererhöhungen!)

- Das sind keine Steuererhöhungen. Lieber Herr Kollege Schild, durch Ihre Pläne werden die Steuern erhöht; lesen Sie dazu einmal die heutige Ausgabe der „FAZ“. Nach Ihrem Modell werden 4 Milliarden Euro mehr abkassiert, bei unserem Modell wird eine Belastungsneutralität erreicht. Das ist der Unterschied zwischen den Modellen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Bei Umsetzung unseres Vorschlags würde Konjunkturfestigkeit erzielt. Das Band zwischen Wirtschaft und Kommunen würde wieder gestärkt; denn wir haben in unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorgeschlagen, dass die Umsatzsteuer nach der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugeordnet wird. Dadurch käme es zu einer Belastungs- und Aufkommensneutralität. Auch folgt unser Vorschlag dem Prinzip der Verfassungsmäßigkeit, was bei Ihnen nicht der Fall ist. Deswegen werben wir bei Ihnen für dieses Zweisäulenmodell.

   Ich möchte mit einer Bitte meiner Fraktion an den Bundesfinanzminister schließen: Herr Eichel, wir wären Ihnen und Ihrem Haus ausgesprochen dankbar, wenn Sie während der Sommerpause - bekanntermaßen stehen wir unter einem gewissen zeitlichen Druck - mit Ihrer Arbeitsgruppe unser Zweisäulenmodell, das eine Erweiterung des BDI/VCI-Modells um die zweite Säule - den Anteil an der Umsatzsteuer - darstellt und noch nicht gerechnet worden ist, berechnen könnten.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Die rechnen doch immer falsch!)

Wir gehen davon aus, dass dieses Modell dem Wettbewerb mit den anderen Modellen standhält. Wir würden uns im Herbst bei der weiteren Beratung diesem Wettbewerb gerne stellen. Deswegen wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unserem Modell eine Chance in einem fairen Wettbewerb geben würden.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Poß, SPD-Fraktion, das Wort.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Der Nebenminister! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Warum spricht Herr Eichel nicht?)

Joachim Poß (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der FDP, Kollege Pinkwart, bedeutet im Klartext eine Verabschiedung von der Gemeindefinanzreform. Sie haben, wie immer, nicht seriös gearbeitet und kein durchgerechnetes Modell vorgelegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch bei der FDP)

Die Kommunen werden von Ihrer Partei nicht gerade verwöhnt. Sie waren noch nie ein überzeugender Vertreter kommunaler Interessen. Deswegen brauchen wir heute Morgen über diesen Entwurf nicht mehr zu sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Regierungserklärung mit aller Deutlichkeit klar gemacht: Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform um ein Jahr und die mit der Agenda 2010 und dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2004 vorgegebenen ehrgeizigen Ziele für dauerhafte Strukturveränderungen in Deutschland gehören untrennbar zusammen. Wenn wir die Steuersenkung und zugleich die erforderlichen Strukturmaßnahmen zur Gewährleistung dauerhaft tragfähiger Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden erfolgreich auf den Weg bringen, geht die Rechnung auf. Dann ist der konjunkturelle Impuls der Steuerentlastung der erforderliche und gewünschte Anschub für nachhaltig wirkende Wachstumskräfte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Für die Koalition war von Anfang an klar: Eine ganz besondere Bedeutung kommt der Sicherung und Stärkung der kommunalen Investitionskraft zu. Auch von einer gut funktionierenden Infrastruktur in unseren Städten und Gemeinden, von ihrem Angebot an Bildung und Betreuung, an sozialen und kulturellen Leistungen hängen die Zukunftschancen und die Lebensqualität aller Bürgerinnen und Bürger ab. Es war daher nur konsequent, dass der Herr Bundeskanzler der Gemeindefinanzreform in seiner Regierungserklärung am 14. März einen zentralen Platz im Rahmen der Agenda 2010 eingeräumt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Klatschen, es geht um den Kanzler! Mitmachen!)

   Auch bei diesem Thema, meine Damen und Herren von der Union, sollten Sie Ihr Durcheinander endlich überwinden. Warum findet sich eigentlich kein Name aus der Unionsführung, weder der von Frau Merkel noch von Herrn Merz, noch von Herrn Glos, auf dem Antrag der CDU/CSU?

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das stimmt doch überhaupt nicht! - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist doch überhaupt nicht wahr!)

In der Fassung des Antrags, die mir übermittelt wurde, findet sich kein Name der Unionsführung,

(Hans Michelbach (CDU/CSU): „Und Fraktion“ steht darauf!)

weil die Union in einer zentralen Frage unseres Landes, nämlich wie es mit den Kommunen weitergeht, gespalten ist.

(Beifall bei der SPD - Hans Michelbach (CDU/CSU): Poß, Posse!)

Überwinden Sie die Spaltung in Ihren eigenen Reihen! Sie müssen sich entscheiden, ob Sie an der Seite der Kommunen oder an der Seite des BDI das Thema weiterverfolgen wollen.

   Wenn Sie mir das Exemplar zeigen, das die Namen der Unionsführung enthält,

(Abg. Volker Kauder (CDU/CSU) hält ein Schriftstück in die Höhe)

dann muss ich das insoweit korrigieren.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf der Fassung, die gestern vorlag, stand kein Name der Unionsführung. Das ändert übrigens nichts an der Richtigkeit meiner Feststellung: Sie haben keine Position zum kommunalen Steuermodell.

(Beifall bei der SPD)

Frau Merkel oder Herr Merz können gleich darstellen, für welches Modell sie votieren, ob sie für die modernisierte Gewerbesteuer oder für das BDI-Modell sind. Oder Herr Merz kann das darstellen. Bisher haben sich die Volksparteien CDU und CSU in der zentralen Frage der Gemeindefinanzreform nicht positioniert.

(Beifall bei der SPD)

Das muss sich dringend ändern; denn die Kommunen brauchen eine klare Perspektive. Sie brauchen eine Lösung zum 1. Januar 2004.

(Beifall bei der SPD)

   Den Kommunen nützen keine zehn wortreich formulierten Anforderungen an eine künftige Gemeindesteuer, wie sie im Antrag der CDU/CSU aufgelistet sind. Sie brauchen eine konkrete Aussage dazu, wie sie in Zukunft zu stetigeren, besser planbaren Einnahmen kommen sollen.

(Jürgen Koppelin (FDP): Wir wollen Eichel hören!)

Als Abgeordneter aus einer Region, die seit Jahrzehnten einen schwierigen Strukturwandel zu bewältigen hat, weiß ich: Kommunale Finanznot ist nicht nur ein Thema der letzten zwei, drei Jahre. Neu ist jedoch - das sage ich zu dem, was Herr Pinkwart hier festgestellt hat -,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Professor Dr. Pinkwart! - Friedrich Merz (CDU/CSU): So viel Zeit muss sein!)

dass die Einbrüche bei der Gewerbesteuer nach dem Ende des Börsenbooms, dem Platzen der Blase, der Liberalisierung im Binnenmarkt mit der daraus folgenden Umstrukturierung vieler großer Unternehmen und dem Wachstumsausfall in den letzten drei Jahren auch Städte und Kommunen betroffen haben, die sich als Standorte von Banken, Versicherungen und anderen Konzernen immer sicher geglaubt haben.

   Die letzte umfassende Reform der Gemeindefinanzen liegt jetzt über 30 Jahre zurück. Die verschiedenen Regierungen Kohl haben sich 16 Jahre lang nicht um das Thema gekümmert. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Im Gegenteil: Die Gewerbesteuer wurde immer stärker ausgehöhlt. In der letzten Wahlperiode fanden es die Herren Stoiber und Teufel wichtiger, vor dem Verfassungsgericht einen neuen, jahrelangen Streit über den gerade zuvor mit ihrer eigenen Zustimmung geregelten Länderfinanzausgleich vom Zaun zu brechen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eichel war auch dabei!)

   Heute kommen Sie anstelle einer Reform mit einem Vorschlag, der nicht weiter reicht als bis ins nächste Jahr. Das wird keine einzige Kommune dazu bewegen können, endlich wieder ausreichend und dauerhaft zu investieren. Thema verfehlt, Frau Merkel, Herr Merz, Herr Glos!

(Beifall bei der SPD)

Das haben Ihnen doch schon mehrere Tausend Kommunalpolitiker auf einer Veranstaltung des Bayerischen Gemeindetages vor ein paar Wochen ins Stammbuch geschrieben, als die Herren Staatsminister Faltlhauser und Beckstein den Kommunalpolitikern genau das unterjubeln wollten, was Sie heute hier vorlegen. Thema verfehlt, haben die schwarzen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker gesagt. Thema verfehlt, stellen auch wir hier und heute fest.

(Beifall bei der SPD - Jürgen Koppelin (FDP): Wovon sprechen Sie denn?)

Was soll denn bitte die Senkung der Gewerbesteuerumlage, wenn Sie gleichzeitig die Gewerbesteuer ganz infrage stellen? Wo soll ein höherer Kommunalanteil an der Umsatzsteuer herkommen? Wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen?

(Zurufe von der SPD: Klar! - Ja, immer Steuererhöhungspartei! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Verdoppeln! - Gegenruf von der SPD: Das kommt ins Protokoll, Herr Westerwelle!)

   So geht es wirklich nicht. So wird es auch nicht kommen. Die Bundesregierung wird handeln und vor Ende der parlamentarischen Sommerpause

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Steuererhöhungen beschließen!)

einen Gesetzentwurf vorlegen, der dann zügig beraten werden kann. xxxxx

Wir wollen am 1. Januar 2004 mit der Umsetzung der Reform beginnen. Darin waren sich gestern auch alle Kommissionsmitglieder einig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin sehr gespannt, ob es die Länder - die nach dem Grundgesetz die Interessen ihrer Kommunen in finanziellen Angelegenheiten zu wahren haben -, wagen werden, mit der Unionsmehrheit im Bundesrat die Reform zu verhindern. Darauf sind wir alle sehr gespannt. Das ist ein Test Ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber den Kommunen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Kommunen, vertreten durch ihre Spitzenverbände, haben im Zuge der Arbeit der Kommission deutlich gemacht, was sie wollen, nämlich eine modernisierte Gewerbesteuer mit einem verstetigten Aufkommen als Kernstück des künftigen Gemeindesteuersystems. Wir - die Koalition, die Bundesregierung wie auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - stehen an der Seite der Kommunen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Sie stehen am Abgrund!)

   Die Alternative, die Abschaffung der Gewerbesteuer zugunsten von kommunalen Zuschlägen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, die die Wirtschaftsverbände unter Führung des BDI in der Kommission vertreten haben und die sich im Antrag der FDP-Fraktion im Ansatz wiederfindet,

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Das stimmt doch nicht!)

wird von den Kommunen aus gutem Grund abgelehnt. Insbesondere die Großstädte hätten bei diesem Modell riesige Einnahmeverluste zu verkraften, die bis zu einem Drittel ihres bisherigen Aufkommens an der Gewerbe- und Einkommensteuer ausmachen würden. Oder sie wären gezwungen, die zum Ausgleich der Gewerbesteuer vorgesehenen Zuschläge auf die Einkommensteuer so weit über das Niveau ihres jeweiligen Umlands anzuheben, dass eine noch stärkere Abwanderung von Betrieben und Einwohnern unvermeidlich wäre. Das wäre die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera, die wir den Kommunen nicht zumuten wollen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Meine Damen und Herren von der Union, Sie schreiben in Ihrem Antrag:

Die Gemeinden in Deutschland haben Anspruch darauf, dass gerade diese Reform mit ihnen und nicht gegen sie verwirklicht wird.

Das sehen wir genauso. Die Kommunen haben sich bereits entschieden. Nehmen Sie sich doch selbst ernst und arbeiten Sie mit uns gemeinsam an einer Erneuerung der Gewerbesteuer!

   Die Erneuerung bzw. die Reform wäre aber ohne das zweite Element - die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nach dem Hartz-Konzept - unvollständig. Das ist erforderlich, um auch den Städten in strukturschwachen Regionen, denen eine Reform auf der Einnahmeseite allein nicht in ausreichendem Maße helfen kann, wieder eine langfristig tragfähige finanzielle Perspektive zu geben. Wir haben das gemeinsam mit den Kommunen von Anfang an so gewollt. Schon die Gliederung der Kommissionsarbeit war auf diesen Doppelschritt der Verstetigung der Einnahmen einerseits und der Entlastung auf der Aufgabenseite andererseits angelegt. Auch Letzteres müssen wir - insbesondere im Interesse der strukturschwachen Kommunen - realisieren.

(Beifall bei der SPD)

   Damit komme ich noch einmal auf unsere gestrige Debatte zurück. Gerade auch mit Blick auf die Einnahmen der Kommunalhaushalte stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, für spürbare Erfolge beim Abbau von Ausnahmetatbeständen und Steuervergünstigungen zu sorgen. Die Blockadehaltung des Bundesrats in der Steuerpolitik im Frühjahr, die Blockadehaltung von CDU/CSU und FDP hat die Städte und Gemeinden viele Milliarden Euro gekostet. Das darf sich nicht wiederholen!

(Beifall bei der SPD)

   Ich habe die gestrige Debatte und auch die Ausführungen von Frau Merkel so verstanden, dass wir jetzt gemeinsam das Aufbruchsignal für die vorgezogene Steuersenkung setzen wollen. Die Kommunen können das umso leichter mittragen, je schneller wir bei der Gemeindefinanzreform und beim Abbau von Steuersubventionen zu guten Ergebnissen kommen.

   Daher noch einmal mein Appell: Nach all den berechtigten Klagen über die Finanzlage der Kommunen ist es jetzt an der Zeit, für eine grundlegende und dauerhafte Verbesserung zu sorgen.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Mit einer Rolle rückwärts?)

Sie sind aufgefordert, das ernsthaft mitzubetreiben. Andernfalls verhindern Sie ein großes Reformwerk.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der FDP: Nicht zu fassen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Monaten diskutieren wir nun in verschiedenen Gremien, in der Öffentlichkeit und bei sonstigen Anlässen über die dramatische Finanzsituation der Gemeinden. Wir haben gehofft, dass heute, einen Tag nach Abschluss der Beratungen der Regierungskommission zur Reform der Gemeindefinanzen, vonseiten der Koalitionsfraktionen und der Regierung endlich eine Perspektive aufgezeigt wird, die den Kommunen wirklich hilft, und zwar nicht irgendwann und nicht mit einer neuen Bezeichnung einer Steuer, sondern durch eine sofortige Linderung ihrer Nöte. Wir sind leider enttäuscht worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Situation der Kommunen wird immer dramatischer und die Konsequenzen sind besorgniserregend. Es hat handfeste Auswirkungen für die Bürger vor Ort - es geht hier schließlich nicht um eine unpersönliche Struktur von Städten und Gemeinden -, wenn notwendige Investitionen unterbleiben, wenn Bibliotheken und Hallenbäder geschlossen werden und wenn selbst notwendige Reparaturarbeiten an Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern entweder verschoben oder gar nicht vorgenommen werden. Das Ganze ist, wie gesagt, nicht neu. Die Regierung hat die Situation der Gemeinden über Jahre verharmlost und verniedlicht. Herr Eichel, Sie haben außerdem mit Ihren Entscheidungen in der Wirtschafts-, in der Finanz- und insbesondere in der Steuerpolitik zur Verschärfung der Probleme der Gemeinden beigetragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die dramatische Situation hat enorme Auswirkungen auf die kommunale Arbeit vor Ort. Ich habe bereits geschildert, wie die Bürger davon betroffen sind. Aber ich möchte ausdrücklich auch unsere Kollegen in den kommunalen Parlamenten und Gremien, die Oberbürgermeister, die Bürgermeister und die Landräte, erwähnen, die zurzeit einen äußerst schweren Job zu machen haben. Wenn sie die an sie gerichteten Erwartungen nicht mehr erfüllen können, weil ihnen die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort fehlen, weil ihnen immer mehr Geld vom Bund und von den Ländern beispielsweise über die Gewerbesteuerumlage aus der Tasche genommen wird, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Eine solche Situation erfordert vielmehr die Solidarität der Bundespolitiker mit den Kommunalpolitikern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es ist auch notwendig, dass wir uns über die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen dieser Situation im Klaren sind; denn wenn Investitionen vor Ort unterbleiben, weil die Gemeinden keinen finanziellen Spielraum mehr haben, dann geht das insbesondere zulasten der mittelständischen Unternehmen mit der Konsequenz, dass dort noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen und dass noch mehr Existenzen vernichtet werden, was wiederum - das ist dann die logische Konsequenz - zu noch mehr Sozialausgaben und zu noch weniger Steuereinnahmen führt. Genau dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie haben viel zu spät und erst nach unserem Drängen in der letzten Legislaturperiode begonnen, eine Gemeindefinanzreform anzugehen.

(Florian Pronold (SPD): Sie haben 16 Jahre geschlafen! - Joachim Stünker (SPD): Was?)

- Das ist nachweisbar. - Sie selber haben zu Beginn der letzten Legislaturperiode in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgestellt, dass eine umfassende Gemeindefinanzreform vorgenommen werden müsse.

(Joachim Poß (SPD): Richtig! Dann kamen Stoiber und die Klage zum Finanzausgleich!)

Aber die ganze Legislaturperiode hindurch haben Sie nichts getan. Sie haben immer nur große Versprechungen gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Am Ende der letzten Legislaturperiode haben Sie endlich eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen eingesetzt, wohl wissend, dass in dieser Legislaturperiode nichts mehr herauskommen wird.

(Joachim Poß (SPD): Weil das andere Thema erst abgearbeitet werden musste! Wegen Stoiber!)

Sie haben dann der Kommission unter Zeitdruck zwei Aufgaben gestellt: Sie sollte Vorschläge zur Gewerbesteuer sowie zur Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe erarbeiten.

(Joachim Poß (SPD): Lenken Sie doch nicht ab! Sagen Sie doch, welches Steuermodell Sie wollen!)

Dieser Auftrag war viel zu eng gestaltet; denn die Problematik ist viel umfassender. Die gesamte Einnahmen- und Ausgabensituation beispielsweise in der Grundsicherung, im Kinder- und Jugendhilfebereich und im Bereich der Eingliederungshilfe muss berücksichtigt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben den Kommunen doch ständig neue Aufgaben und Ausgaben aufgebürdet. Sie behaupten, dass Sie mit der jetzigen Reform, die Sie als eine große anpreisen - in Wirklichkeit ist es nur eine kleine, wie wir es schon häufig erlebt haben -, die Probleme der Gemeinden lösen könnten. Ich sage Ihnen: Die Probleme werden so nicht gelöst, weil Ihnen die Gesamtschau fehlt. Wenn Sie unseren Antrag lesen, dann werden Sie feststellen, dass die Gesamtschau bei uns das Entscheidende ist. Man kann nicht nur einige wenige Punkte herauspicken. Das Ziel muss vielmehr sein, den Gemeinden eine Finanzausstattung zu geben, die mit den Ausgaben und den Aufgaben abgestimmt ist, die sie zu bewältigen haben. Ich wiederhole: Man muss eine Gesamtbetrachtung vornehmen und darf nicht nur Rosinen herauspicken.

   Mittlerweile hat die von Ihnen eingesetzte Kommission ein Jahr gearbeitet. Ich möchte den Mitgliedern dieser Kommission ausdrücklich danken. Sie haben sich sehr engagiert. Es ist allerdings schade, dass die Regierung die Kommission in weiten Bereichen allein gelassen hat

(Horst Schild (SPD): Das ist doch absoluter Unsinn! - Bernd Scheelen (SPD): Was hat Herr Fromme Ihnen denn erzählt?)

und dass in dieser Kommission kein Vertreter der freien Berufe, die Sie jetzt in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen wollen, vertreten war. Während dieser Kommission zum Beispiel Vertreter der Gewerkschaften angehörten, sind diejenigen, die künftig zusätzlich zur Kasse gebeten werden sollen, von Anfang an außen vor gelassen worden.

   Sie haben angekündigt, im Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Erst vor wenigen Monaten hat der Bundeskanzler selbst in diesem Haus gesagt: Der Gesetzentwurf wird vor der Sommerpause vorgelegt. Dass Versprechen nicht eingehalten werden, sind wir mittlerweile gewohnt: Seit Monaten versprechen Sie milliardenschwere Entlastungen der Kommunen. Davon war in den letzten Tagen nicht mehr die Rede; Zahlen werden nicht mehr genannt.

(Horst Schild (SPD): Mehrere Milliarden stehen hier! - Gabriele Frechen (SPD): 6 Milliarden!)

Was die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe angeht, sprechen Sie jetzt nicht mehr von einer konkreten Entlastung, sondern davon, dass die Größenordnung der Entlastung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens festgelegt wird. Irgendwie ist das alles ganz nebulös. Man verabschiedet sich heimlich, still und leise von den früher gegebenen Versprechen.

   Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Wenn es uns nicht gelingt, den Kommunen, den Städten und den Gemeinden schnell und wirksam Hilfe zu gewähren, dann wird das Vertrauen der Bürger in die Politiker noch mehr zerstört - Sie haben darauf einen ganz wesentlichen Einfluss -, als es sowieso schon den Fall ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zurufe von der SPD: Das blockieren Sie doch gerade! - Bundesrat!)

   Beim Versuch, etwas über die Inhalte des Gesetzentwurfs, der vorgelegt werden soll, zu erfahren, stochert man im Nebel herum. Anders als der Wirtschaftsminister haben sich der Finanzminister und die Fraktionen für ertragsunabhängige Elemente ausgesprochen. Folgt man Ihrem Antrag, sollen die Zinsen zukünftig berücksichtigt werden.

(Bernd Scheelen (SPD): Die werden schon heute berücksichtigt!)

   Der Bundeskanzler hat vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr auf einer öffentlichen Veranstaltung am Tag der Freien Berufe versprochen, dass die freien Berufe nicht in die Gewerbesteuerpflicht einbezogen werden.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Im Antrag der Koalitionsfraktionen und in den Verlautbarungen der Regierung ist davon dennoch die Rede. Auch daran wird deutlich: Glaubwürdigkeit ist dieser Regierung und den Koalitionsfraktionen völlig fremd. Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn die Leute Ihnen nichts mehr glauben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wenn man nach einer Lösung dieses Problems sucht, dann wäre es eigentlich nur logisch, sich die Ursachen dieses Problems zunächst einmal vor Augen zu halten. Eine der wesentlichen Ursachen - Herr Professor Pinkwart hat es in seinen Erläuterungen zum Ausdruck gebracht - ist die wirtschaftliche Entwicklung. Durch die wirtschaftliche Entwicklung sind sowohl die Einkommensteuer- als auch die Gewerbesteuereinnahmen in den letzten zwei Jahren dramatisch eingebrochen.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist die Wahrheit!)

Da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist so.

   Die erste und wichtigste Konsequenz muss sein, alles dafür zu tun, dass es wieder zu mehr Beschäftigung, zu mehr Wachstum und damit zu mehr Steuereinnahmen kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder Perspektiven haben und wieder investieren können.

(Gabriele Frechen (SPD): Dann machen Sie mal mit!)

   Wir haben entsprechende Vorschläge vorgelegt,

(Joachim Stünker (SPD): Wo denn? - Weitere Zurufe von der SPD)

- Sie nehmen das noch nicht einmal wahr - beispielsweise zur Strukturreform des Arbeitsrechts.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darüber reden Sie gar nicht. Vielleicht werden Sie den - seit Monaten angekündigten - Gesetzentwurf irgendwann einmal vorlegen.

   Wir alle wissen, dass es notwendig ist, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Die von Ihnen vorgesehenen Steuererhöhungen - das, was Sie vorhaben, ist nichts anderes; dazu kommt es durch die Verbreitung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer durch die Einbeziehung der freien Berufe

(Bernd Scheelen (SPD): Es geht um eine Senkung von 23 Milliarden Euro!)

und die Einbeziehung von Mieten, Zinsen, Pachten und Leasingraten - sind nicht dazu geeignet, die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, ganz im Gegenteil.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ganz abgesehen davon hat dies natürlich auch überhaupt nichts mit den eigentlichen Ursachen zu tun.

   Damit bin ich bei der zweiten Ursache. Die zweite Ursache ist Ihre eigene Politik, die Wirtschafts- und insbesondere die Steuerpolitik. Sie haben nämlich mit Ihrer Steuerreform bei den Gemeinden, die ohnehin geringere Einnahmen haben, noch mehr Geld abgezogen und ziehen weiter mehr Mittel ab, als das früher der Fall war. Sie haben die Gewerbesteuerumlage von 20 auf 28 Prozent erhöht, und zwar - das ist das Entscheidende - ohne sachlichen Grund. Sie haben den Gemeinden Steuermehreinnahmen versprochen durch Maßnahmen, die Sie zwar angekündigt, aber dann nicht realisiert haben - nicht etwa deshalb, weil wir gesagt haben, das komme nicht infrage, sondern Sie selbst haben es nicht realisiert, aber trotzdem das Geld der Gemeinden kassiert. Unter seriösen Geschäftspartnern nennt man das ungerechtfertigte Bereicherung.

   Deshalb ist das Allerwichtigste, was Sie zu tun haben, diese Gewerbesteuerumlagenerhöhung so schnell wie möglich, nicht irgendwann, sondern sofort, zurückzunehmen. Die Gemeinden haben ein Recht darauf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Horst Schild (SPD): Das ist doch pure Heuchelei!)

   Das sollten Sie allein schon deshalb tun, meine Damen und Herren, weil die Gemeinden jetzt und nicht erst irgendwann konkrete und auch kassenwirksame Hilfen brauchen.

   In der Kommission und in vielen anderen Zirkeln wurden verschiedene Modelle intensiv diskutiert, insbesondere das von Ihnen angesprochene Modell des Zuschlags, aber auch die so genannte Revitalisierung und verschiedene Mischmodelle. Allerdings wurden nicht alle durchgerechnet.

(Zuruf von der FDP: So ist das!)

Bevor sie nicht solide durchgerechnet sind, bevor nicht alle Alternativen wirklich geprüft wurden, kann man eine so grundlegende Reform nicht durchführen. Sie soll zukunftsträchtig sein, für längere Zeit gelten und nicht nur für ein Jahr oder zwei Jahre - was bei allem, was Sie bisher vorgelegt haben, die Halbwertszeit war - und dauerhaft tragen. Dazu ist es notwendig, dass wirklich grundlegend durchgerechnet wird, auch die Verteilungswirkungen ausgerechnet werden und die Gemeinden genau wissen, was auf sie zukommt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart (FDP))

   Selbst wenn am 1. Januar 2004 im Gesetzblatt steht, was Sie heute in groben Zügen andeuten, bringt das den Gemeinden - da muss man ganz ehrlich miteinander umgehen - im Jahr 2004 nichts, sondern frühestens im Jahr 2005, in manchen Bereichen sogar erst im Jahr 2006. Bei den Landkreisen wird das noch ein Jahr später, wenn überhaupt, kassenwirksam. Ich bezweifle, dass bei Ihren Vorschlägen überhaupt etwas kassenwirksam wird. Es wird nämlich nur fiskalisch auf dem Papier, aber nicht in der Praxis wirksam, weil Sie die wirtschaftliche Entwicklung so kaputtmachen.

   Deshalb ist es notwendig, sofort etwas zu tun. Ein Vorschlag von uns liegt seit langem auf dem Tisch; ich wiederhole ihn hier. Ich habe vorhin gesagt: Die Gemeinden haben ein Recht darauf. - Dabei geht es nicht um ein Almosen oder ein Entgegenkommen. Ich spreche von dem Recht der Gemeinden darauf, dass die Gewerbesteuerumlage wieder auf das Niveau gesenkt wird, auf dem sie vor der Steuerreform war. Das bringt für die Gemeinden schon in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Weil wir auch für die Gemeinden etwas tun müssen, die wenig oder keine Gewerbesteuereinnahmen haben, die unter der wirtschaftlichen Situation aber auch enorm leiden, schlagen wir vor, den Gemeinden zumindest für das Jahr 2004 eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung zu geben, den Anteil von 2,2 Prozent zumindest im Jahr 2004 auf 3 Prozent anzuheben. Das schlagen wir nicht vor, weil wir die notwendige grundsätzliche Reform der Gemeindefinanzen auf die lange Bank schieben wollen, weiß Gott nicht.

(Bernd Scheelen (SPD): Ach nein!)

Im Gegenteil: Die Arbeit muss fortgesetzt werden, aber mit dem Ziel, eine wirklich langfristig tragfähige Reform zu erreichen, eine Reform, die eine Finanzausstattung der Gemeinden gewährleistet, bei der die Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, und zwar originären Mitteln, nicht zugewiesenen Mitteln, in Einklang stehen, eine Reform, deren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durchdacht ist, eine Reform, die auch in den Konsequenzen und in den Verteilungswirkungen genau durchgerechnet ist; denn einen Blankoscheck, für wen auch immer, können wir uns bei einer solch grundlegenden Reform nicht leisten. Wir wollen eine grundlegende und tragfähige Reform.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das ist nicht in einem Hauruckverfahren zu machen. Es kann nicht angehen, dass man zuerst jahrelang untätig bleibt - und Sie sind jahrelang untätig geblieben; das Problem ist nicht neu -,

(Joachim Poß (SPD): Quatsch! Stoiber hat das verursacht, weil erst ein Finanzausgleich gemacht werden muss!)

dann nach langem Drängen eine Kommission einsetzt, die aber zu keiner Einigung kam, was vorauszusehen war, und zwischenzeitlich selber nichts tut.

(Widerspruch bei der SPD)

Jetzt wollen Sie unter dem Deckmantel einer großen Reform etwas verkaufen, das letztlich nicht mehr als das Drehen an einem Schräubchen in die falsche Richtung darstellt, und das Ganze in einem Hopplahopp-Verfahren durchziehen. Das, meine Damen und Herren, geht mit uns nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Lassen Sie uns deshalb zweigleisig vorgehen: zum einen mit einem Sofortprogramm die aktuelle Not der Kommunen wirksam lindern und zum anderen parallel dazu eine große Reform erarbeiten, die Aufgaben, Ausgaben, Konnexität und alles, was dazu gehört, berücksichtigt. Dann sind wir auf einem guten Weg.

   Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir werden diese Reform nur gemeinsam mit den Kommunen durchführen können; denn eine Reform gegen die Kommunen, die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte macht keinen Sinn.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß (SPD): Ja eben! Dann unterstützen Sie doch das Kommunalmodell!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine alte Weisheit lautet: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Ganz anders ist es bei den Gemeindefinanzen. Hier müsste es heißen: Solange sich zwei streiten, leidet der Dritte Not.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Es ist höchste Zeit für eine Reform der Gemeindefinanzen. Die finanzielle Situation der Kommunen ist prekär und die Folgen für die Städte sind fatal. Wir haben jetzt lange debattiert, Berichte gelesen und ein Jahr lang hat die Kommission gearbeitet. Wir haben von der Kommission Ergebnisse präsentiert bekommen. Wir sind jetzt gefragt, diese Ergebnisse so umzusetzen, dass eine tragfähige und wirksame Reform der Gemeindefinanzen zustande kommt.

   Sie sagen: Wir brauchen ein Sofortprogramm. Wir haben in den letzten Monaten einiges auf den Weg gebracht, was punktuell hilft. Die Flutopferhilfe hat den Kommunen immerhin ein bisschen gebracht. Die KfW hat ein kommunales Investitionsprogramm „Wachstumsimpulse“ aufgelegt. Wir wissen, dass das nur Kommunen mit starkem Steueraufkommen hilft; aber immerhin. Wir wissen auch, dass diese Einzelmaßnahmen nur punktuell wirken, sie nutzen nicht strukturell. Wir brauchen eine strukturelle Reform der Finanzsituation der Kommunen. Unser Ziel ist und bleibt eine Reform zum 1. Januar 2004.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Reformkommission hat gestern ihre Arbeit - die Prüfung von zwei Modellen - beendet. Man kann immer den Vorwurf erheben, dass ihr Auftrag zu eng war und noch andere Modelle hätten geprüft werden müssen. Man kann aber auch sagen - deswegen will ich die von der Kommission geleistete Arbeit ausdrücklich würdigen -, dass sie uns sehr deutlich klar gemacht hat, anhand welcher Stränge wir entscheiden müssen, welche grundlegenden Differenzen existieren und auf welche Fragen wir mit dieser Reform eine Antwort geben müssen. Ich finde, dass die Arbeit der Reformkommission dadurch sehr hilfreich gewesen ist, auch wenn sie keine Einigung hinbekommen hat. Das ist nicht schlimm; denn wir hier müssen uns einigen. Die Arbeit der Kommission aber erleichtert unsere Entscheidungsfindung, weil sie die Brennpunkte herausgearbeitet hat, nämlich die Haltung zur Gewerbesteuer - Ja oder Nein - und zum Zuschlagsrecht - Ja oder Nein -, nichts anderes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Gisela Piltz [FDP]: Das wussten Sie vorher nicht?)

   Bevor wir uns für ein Modell entscheiden, müssen wir anhand der Prüfkriterien, die die Kommission ihrer Arbeit zugrunde gelegt hat, überlegen, mit welchem Modell die Ziele am effizientesten erreicht werden. Ich will die Ziele noch einmal nennen, die ja hier einhellig immer wieder thematisiert werden und auch im Antrag der CDU/CSU detailliert in zehn Punkten - nur bei einem bringen Sie eine Bewertung - aufgelistet werden.

   Ein erstes Ziel ist die Verstetigung der kommunalen Steuereinnahmen. Das heißt, wir wollen die Finanzkraft der Kommunen stärken

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die habt ihr doch kaputtgemacht!)

und dafür sorgen, dass sie nicht mehr so stark von der Konjunktur abhängt. Das wollen Sie doch auch. Wir wollen das aber nicht nur, weil die finanzielle Situation der Kommunen dringend verbessert werden muss, sondern vor allem auch aus wirtschaftspolitischen Gründen. Der Investitionsstau in den Kommunen ist so massiv,

(Peter Götz (CDU/CSU): Sagen Sie einmal, was die Ursache dafür ist!)

dass wir glauben, dass das Geld, das in die Kommunen hineinfließt, produktiv wirkt, weil es sofort wieder ausgegeben wird und wichtige Impulse für mehr Beschäftigung gibt. Deswegen wollen wir für eine Verstetigung der kommunalen Steuereinnahmen sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es ist ein Problem, dass die Steuereinnahmen nur von wenigen Steuerpflichtigen vor Ort aufgebracht werden. Nur ein kleiner Teil der wirtschaftlich Tätigen beteiligt sich heute an den kommunalen Leistungen. Die Gewerbesteuer ist eigentlich eine Bezahlung kommunaler Leistungen. Daran müssen sich mehr beteiligen.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Dann machen Sie das doch!)

Jetzt sagen Sie, unser Vorschlag bedeute eine Steuererhöhung. Ich sage Ihnen: Unser Vorschlag - gößerer Zahlerkreis - ermöglicht eine Senkung der Steuersätze. Das ist ein ganz elementarer Bestandteil dieses Modells. Dann haben wir mehr, die sich an diesen Leistungen der Kommune finanziell beteiligen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)

   Ich könnte weitere Ziele nennen, die Sie alle kennen: Administrierbarkeit, Lösung des Stadt-Umland-Problems, Vermeidung von Bürokratie; ich komme noch im Einzelnen darauf. Diese können am besten durch das Modell der kommunalen Spitzenverbände erreicht werden. Wir sind nach einer langen Entscheidungsfindung zu dem Schluss gekommen, dieses Modell zu verfolgen. Wir stellen uns an die Seite der Kommunen, die die Gewerbesteuer beibehalten und weiterentwickeln wollen. Das wollen auch wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)

   Jetzt sage ich Ihnen kurz, warum wir das Modell der Wirtschaftsverbände ablehnen. Das liegt auf der Hand, wenn Sie sich die gemeindescharfen Berechnungen der Kommission anschauen und sie vorbehaltlos interpretieren. Es bestehen zwei große Probleme.

   Das erste Problem ist die Stadtflucht. Kernstädte werden einen wesentlich höheren Zuschlag auf die Einkommensteuer legen müssen. Das bedeutet: Es lohnt sich, auf dem Land zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten. Damit kommt es zu einem Ausbluten der Kernstädte. Das ist auch aus ökologischer Sicht nicht zu befürworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Das zweite Problem ist - das können Sie sich in den Ergebnissen der Kommission genau anschauen -: Das Steueraufkommen, das heute etwa je zur Hälfte von den Unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, verlagert sich wesentlich auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur noch ein kleiner Teil des Steueraufkommens wird von der Wirtschaft getragen. So bröckelt das Band zwischen Wirtschaft und Kommune, das wir dringend brauchen, damit es vor Ort ein Ansiedlungsinteresse und aktive Wirtschaftsförderung gibt. Dieses Band wollen wir erhalten und stabilisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)

   Die Koalitionsfraktionen nehmen die Ziele der Reformkommission auf und haben in dem vorliegenden Eckpunktepapier die wesentlichen Grundzüge einer Neugestaltung der Gemeindefinanzen dargelegt. Dabei steht für uns im Vordergrund, die Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer weiterzuentwickeln.

   Ja, wir wollen die Einbeziehung der Freiberufler. Ja, wir wollen, dass die Freiberufler die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anrechnen können. Wir glauben, dass wir durch diese Erweiterung des Zahlerkreises

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Die Bürokratielast ausweiten!)

mehr Steuergerechtigkeit erlangen können.

   Ja, wir wollen, dass Finanzierungsneutralität gewährleistet ist. Sie wissen um das Problem, dass Fremdkapital und Eigenkapital steuerlich unterschiedlich behandelt werden.

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Das eine sind Kosten, das andere ist Gewinn! Das ist ganz einfach!)

Sie wissen auch, dass - ganz vorsichtig gesagt - Gewinne steueroptimierbar sind.

   Letzte Woche hat Innenminister Beckstein vorgeschlagen, Managergehälter in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einzubeziehen. Warum sagt er das? Er sagt es, weil er weiß, dass der Betriebsausgabenabzug es ermöglicht, die Steuerbasis zu senken und damit die Gewerbesteuer herunterzuschrauben. Dies wollen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist der falsche Weg für die Gemeinden!)

- Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich teile den Vorschlag von Innenminister Beckstein nicht. Aber er benennt damit indirekt das Problem, das auch wir sehen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das ist doch nur ein Teil des Problems!)

   Neben der Ausgestaltung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer gibt es natürlich weitere Aspekte. Ein wesentlich unstrittigerer Aspekt ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Die Kommunen können hier in Milliardenhöhe entlastet werden. Ein Teil der eingesparten Mittel soll für den dringend notwendigen Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren verwendet werden.

Ein dritter Aspekt - da wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD - ist die Gewerbesteuerumlage. Aus grüner Sicht gehört die Gewerbesteuerumlage in den Gesamtkontext der Reform der Gemeindefinanzen. Wenn wir die Gewerbesteuer neu auflegen, wenn wir das Band zwischen Kommune und Wirtschaft festigen, wenn wir das kommunale Ansiedlungsinteresse stärken und wenn wir die Gemeindefinanzen umfassend reformieren wollen, dann dürfen wir die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den Ebenen nicht ausblenden. Dies bedeutet für mich in der logischen Konsequenz, dass die Prüfung der Gewerbesteuerumlage im Gesamtkontext noch in diesem Jahr erfolgen muss. Ich verhehle dabei nicht, dass die Gewerbesteuerumlage nach Auffassung der grünen Finanzpolitiker zu hoch ist und gesenkt werden sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP - Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr richtig! Aber Sie reden nur!)

- Herr Götz, ich weiß, dass Sie mir Beifall spenden. Aber jetzt erkläre ich Ihnen, warum wir den Antrag der Union nicht unterstützen können.

   Er verdeutlicht die komplette Unsicherheit der Union zu diesem Thema. Frau Roth will etwas anderes als Herr Beckstein, dieser will etwas anderes als die Bundestagsfraktion und diese will etwas anderes als Ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie wollen etwas anderes als Herr Eichel! - Gegenruf des Abg. Bernd Scheelen (SPD): Sie wissen gar nicht, was Sie wollen! Das ist viel schlimmer!)

Die Folge ist, dass Sie einen Antrag vorlegen, mit dem Sie viel zu kurz springen.

   Ich bewerte ein paar Punkte dieses Antrags: Sie sagen, der Auftrag der Kommission sei zu eng gefasst gewesen. Okay, aber von Ihnen kommt kein Vorschlag, der im Hinblick auf die Steuer signifikant über die Vorschläge der Kommission hinausginge.

(Peter Götz (CDU/CSU): Viele Vorschläge haben wir eingebracht! Alle wurden abgelehnt!)

Sie sagen, die Gewerbesteuer wirke selektiv. Okay, aber das liegt daran, dass in Zeiten der Unionsregierung die Gewerbesteuer systematisch ausgehöhlt wurde. Sie sagen, die Abgrenzung des Gewerbebegriffs sei problematisch. Das sehen wir auch so. Dann sollten Sie uns aber bei unserer Forderung nach Einbeziehung der Freiberufler öffentlich unterstützen. Dies wirkt der Selektion entgegen. In den zehn Punkten, die Sie auflisten und die wir größtenteils unterschreiben können, sagen Sie überhaupt nicht, welches Steuermodell Sie eigentlich wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie müssen irgendwann springen. Ich sage Ihnen: Ein bisschen Mut tut gut.

   Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie dringend, mit uns für eine umfassende Reform zu streiten. Ihre Konfusion bedeutet weitere Verzögerung. Sie haben uns vor nicht allzu langer Zeit vorgeworfen, wir verzögerten die Gemeindefinanzreform.

(Peter Götz (CDU/CSU): Habt ihr doch auch! Nur ein Eckpunktepapier! - Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Sie haben doch kein Gesetz! Wo ist denn der Gesetzentwurf?)

Wir haben heute ein Eckpunktepapier. Im Laufe des Sommers wird ein Gesetzentwurf erarbeitet. Sie aber legen einen Gesetzentwurf vor, der die Probleme gar nicht löst. Das ist Verzögerung.

   Jede weitere Verzögerung trägt zu einer Verschärfung der strukturellen Probleme der Städte und Gemeinden bei. Wir sollten den Kommunen gemeinsam helfen und ein für alle Seiten befriedigendes Gewerbesteuerkonzept erarbeiten, das nicht wirtschaftsfeindlich, sondern kommunalfreundlich ist. Wir brauchen eine umfassende Reform. Die Kommunen zählen auf uns. Wenn wir dies heute auf den Weg bringen, dann ist es ein guter Tag für die Kommunen und damit ein guter Tag für die Menschen in diesem Land.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile des Wort dem Kollegen Peter Götz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß (SPD): Er sagt uns jetzt endlich, was die CDU will!)

Peter Götz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist manchmal spannend, die Unterschiede zwischen den Koalitionsfraktionen hier zur Kenntnis zu nehmen.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei uns sind die Unterschiede nicht so groß!)

   Uns geht es darum, dass das System der Gemeindefinanzen wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Der Dachstuhl in den Kommunen brennt. Deshalb brauchen sie sofort Hilfe. Wir greifen Ihren Vorschlag gern auf, die Gewerbesteuerumlageerhöhung sofort zurückzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß (SPD): Jetzt sagen Sie doch endlich, was Sie wollen!)

   Ständig neue Ankündigungen sind zu wenig, Herr Finanzminister; Handeln ist angesagt. Seit Jahren gehört die Reform der Kommunalfinanzen zu den Dauerbrennern der politischen Diskussion in Bund, Ländern und Gemeinden.

(Bernd Scheelen (SPD): Ja, 16 Jahre Kohl!)

Rot-Grün hat innerhalb von wenigen Jahren die Städte und Gemeinden an den Rand des finanziellen Ruins regiert. Die kommunalen Haushalte laufen aus dem Ruder.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dann sprechen Sie einmal mit Ihren Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten vor Ort.

(Horst Schild (SPD): In der letzten Wahlperiode wollten Sie die Gewerbesteuer noch um 20 Prozent senken!)

   Der Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Regierungserklärung zur finanziellen Lage unseres Landes die kommunale Finanzmisere mit keiner Silbe erwähnt. Er hat nicht einmal das Wort Kommunen in den Mund genommen. Städte, Gemeinden und Kreise gibt es bei ihm nicht.

(Widerspruch bei der SPD)

Das ist schade und für unser Land nicht gut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Durch Ihre über Jahre hinweg betriebene kommunalfeindliche Politik gefährden Sie die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Grundsubstanz. Es ist immer schwieriger, Menschen zu finden, die für ein kommunales Mandat zur Verfügung stehen. Das hat etwas mit Ihrer Politik zu tun. Auf der einen Seite nehmen Sie den Kommunen immer mehr Steuereinnahmen weg - wir haben es heute gehört: bei der Gewerbesteuer durch die Gewerbesteuerumlage - auf der anderen Seite sorgen Sie durch ständige Übertragung von neuen Aufgaben dafür, dass die kommunalen Ausgaben immer mehr zunehmen. Geschenke an die Bürger zu verteilen und sie von anderen bezahlen zu lassen ist immer mehr zum Markenzeichen rot-grüner Politik geworden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bernd Scheelen [SPD]: In Bayern müssen die Kommunen die Lehrergehälter bezahlen!)

   Grundsicherungsrente, Eingliederungshilfe, Ganztagsschulen, Kinderbetreuung, das alles hört sich gut an. Aber wer bezahlt die Rechnung? - Die Kommunen. In den Städten und Gemeinden werden Schwimmbäder, Bibliotheken und Theater geschlossen. Schulen, Straßen und Kinderspielplätze können nicht mehr repariert werden. Straßenbeleuchtungen werden in vielen Kommunen abgeschaltet. Es gehen im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus.

(Widerspruch bei der SPD)

   Was macht die Bundesregierung? Sie kündigt an und verbreitet Hoffnung; aber Konkretes kommt nicht. Nach fünf Jahren Ankündigungen

(Lothar Mark (SPD): Was haben Sie jetzt Konkretes?)

- Entschuldigung, Sie sind seit fünf Jahren in der Regierungsverantwortung -

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

erklären Sie, dass man die kommunalen Finanzkräfte stärken wolle. Dieser Tage ist ein dünnliches Eckpunktepapier serviert worden, in dem wieder nichts Neues und nichts Substanzielles steht. Sie werfen uns in diesem Papier vor, dass wir den Kommunen schnell helfen wollen und dass wir dafür konkrete Gesetzesvorschläge unterbreitet haben. Das ist für uns nicht nachvollziehbar.

(Florian Pronold [SPD]: Für Sie ist vieles nicht nachvollziehbar!)

   Die mit großem Tamtam jahrelang angekündigte und kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode unter dem großen Druck der Öffentlichkeit und der Kommunen unter dem Vorsitz des Bundesfinanzministers eingesetzte Gemeindefinanzreformkommission - man sollte sich es einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Gemeindefinanzreformkommission ist unter dem Vorsitz des Bundesfinanzministers eingesetzt worden -

(Zuruf von der SPD: Ja, und?)

hat, wie wir heute wissen, gestern ihre Zelte ergebnislos abgebrochen.

(Bernd Scheelen [SPD]: Das ist doch Unsinn! Sie hat hervorragende Ergebnisse! Das müssen Sie nur mal nachlesen!)

- Sie hat gut gearbeitet; nur die Ergebnisse sind leider nicht hervorragend.

   „Kommission zur Gemeindereform gescheitert“, lauten die Schlagzeilen in der Tagespresse. „Flickwerk programmiert“, titelt heute die „Welt“. Sie sollten einfach einmal zur Kenntnis nehmen, was hier aufgezeigt wird.

   Einig waren sich die Mitglieder der Kommission lediglich darüber, dass den Kommunen schnell geholfen werden muss. Das lehnen Sie leider ab.

(Lothar Mark [SPD]: Dann blockieren Sie nicht im Bundesrat weiter!)

Tun Sie es jetzt! Es wird höchste Zeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Kaum ein Globalplayer zahlt heute dank Ihrer weltgrößten rot-grünen Steuerreform überhaupt noch Gewerbesteuer. Nahezu alle international agierenden Konzerne haben sich von der Gewerbesteuer verabschiedet.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)

Herr Bundesfinanzminister, wenn der Oberbürgermeister von München vorgestern in der „Süddeutschen Zeitung“ zu Recht beklagt, dass - ich zitiere - „kein einziges der sieben im Dax notierten Unternehmen Münchens Gewerbesteuer zahlt“ und mit dem Finger deutlich nach Berlin zeigt, dann besteht dringender Handlungsbedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bernd Scheelen [SPD]: Er spricht sich aber auch für unser Kommunalmodell aus!)

   Ich fordere Sie deshalb auf, den Streit in der Regierung zu beenden und endlich den wiederholt von Ihnen selbst angekündigten Entwurf eines Gesetz zur Gewerbesteuer auf den Tisch zu legen, und zwar einen verfassungsgemäßen. Ich bin gespannt, ob sich der Finanzminister oder der Wirtschaftsminister bei diesem Gesetzentwurf durchsetzt. Wir werden einmal schauen, was dabei unter dem Strich herauskommt.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Peter Götz (CDU/CSU):

Bitte, ja.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön.

Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):

Herr Abgeordneter Götz, die nordrhein-westfälischen CDU-Oberbürgermeister haben sich im Oktober letzten Jahres einstimmig für das Modell der kommunalen Spitzenverbände ausgesprochen. Die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte haben in Mannheim dem Modell der kommunalen Spitzenverbände mit überwiegender Mehrheit zugestimmt. Der Deutsche Städtetag und der Landkreistag folgten dem. Warum missachten Sie die Sachkompetenz Ihrer eigenen CDU-Bürgermeister in einer derart eklatanten Art und Weise?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Peter Götz (CDU/CSU):

Ich frage Sie zurück: Warum legen Sie dann nicht endlich einen Gesetzentwurf auf den Tisch?

(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie schon zitieren, dann darf ich vielleicht noch einen weiteren Hinweis geben. Die SPD-Landtagsfraktion in Bayern fordert: Die letzte Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge des Steuersenkungsgesetzes 2000 muss zurückgenommen werden.

(Bernd Scheelen [SPD]: Der bayerische Anteil! Zitieren Sie komplett!)

Es kann ja nicht angehen, Herr Bundesfinanzminister, dass Sie hier alles ablehnen und am Schluss die Länder alles bezahlen lassen, was Sie nicht finanzieren wollen. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Götz, gestatten Sie noch eine Nachfrage? Der Kollege Krüger ist noch nicht ganz zufrieden.

Peter Götz (CDU/CSU):

Ja.

Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):

Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie nicht bereit sind, vor der eigenen Haustür zu kehren. Ansonsten bitte ich, das Problem im von mir ansonsten sehr geschätzten Bundesland Bayern zu erläutern. Schönen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das war nun keine Frage mehr.

Peter Götz (CDU/CSU):

Ich habe Ihrer Bemerkung keine Frage entnommen. Ich würde gerne in meiner Rede fortfahren, und zwar auch, weil wir die Debatte über die Kommunalfinanzen nicht auf die Frage verkürzen dürfen, an welcher Stelle wir die Gewerbesteuer reformieren. Der Einbruch der Kommunalfinanzen hat eine wesentlich größere Dimension; hier geht es um mehr. Die Ursachen dafür liegen bei den Ausgaben und den Aufgaben.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Götz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Pronold?

Peter Götz (CDU/CSU):

Ich würde gerne den Gedanken, den ich angesprochen habe, fortsetzen.

   Deshalb brauchen wir darüber hinaus eine Begrenzung der Aufgaben- und der Ausgabenpolitik. Es muss Schluss sein mit dem ständigen Verschiebebahnhof, bei dem bundespolitische Aufgaben auf kommunale Haushalte verschoben werden. Diese Aufgaben können die Gemeinden, Städte und Kreise nicht mehr finanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb fordern wir eine konsequente Anwendung des Konnexitätsprinzips bei der Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen, damit endlich wieder der Grundsatz gilt: Wer bestellt, bezahlt.

   Wir wollen auch eine zügige, umfassende Reform der Kommunalfinanzen - wie sie von Ihnen seit fünf Jahren immer wieder angekündigt wird -, und zwar nicht verkürzt auf die Frage der Gewerbesteuer. Eine solche Reform muss die Städte und Gemeinden in die Lage versetzen, über eigene Steuern zu verfügen, die ihnen stabile und verlässliche Einnahmen garantieren.

   Langer Rede kurzer Sinn:

(Lachen bei der SPD)

Wir wollen endlich Taten sehen, nicht irgendwelche Ankündigungen. Durch Ihre zögerliche Politik verhindern Sie seit vielen Jahren dringend notwendige kommunale Investitionen. Die lokale Bauwirtschaft bricht weg - vielleicht haben Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen. Ein traditionsreiches Unternehmen nach dem anderen macht still und leise Pleite. Die Zahl der Arbeitslosen nimmt zu; Sie brauchen sich nur Ihre eigenen Statistiken anzuschauen. Auch wenn nicht, wie bei Holzmann, der Bundeskanzler kommt, so hat das Ganze, was sich hier wie in vielen anderen Politikfeldern vollzieht, nur einen Namen: Er heißt Gerhard Schröder.

(Bernd Scheelen [SPD]: Das ist ein guter Kanzler! - Weiterer Zuruf von der SPD: Andere Debatte!)

   Wir wollen zügige, vernünftige Lösungen. Wir wollen Lösungen, die nicht noch mehr Unternehmen in den Ruin treiben.

(Lothar Mark [SPD]: Das ist eine ganz bösartige Unterstellung!)

Deshalb ist die von Ihnen angekündigte Substanzbesteuerung von Unternehmen, die rote Zahlen schreiben, der falsche Weg. Sie vernichten damit Arbeitsplätze in Deutschland. Das kann nicht im kommunalen Interesse sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir wollen, dass schnell gehandelt wird, und zwar so, dass die Kommunen dies nicht erst im Jahre 2006 oder noch später spüren, sondern so, dass sie dies bereits 2003 oder 2004 in ihren Kassen merken, damit sie endlich wieder im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ihre Aufgaben wahrnehmen können.

   Deshalb bitte ich Sie, auch im Namen vieler Kommunalpolitiker, die heute zuhören: Herr Finanzminister, stimmen Sie unserer Initiative zu und nehmen Sie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage sofort zurück! Das ist Geld, das der Bund den Kommunen weggenommen hat. Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, es ihnen zu belassen. Das hilft schnell und wäre ein positives Signal für Ihren guten Willen. Es reicht nicht, Frau Kollegin Andreae, hier am Rednerpult zu verkünden, dass Sie eigentlich für die Rückführung der Gewerbesteuerumlage sind, wenn Sie gleichzeitig den Antrag „Eckpunkte für eine umfassende Gemeindefinanzreform“ unterschreiben, in dem unser Vorschlag abgelehnt wird. Was gilt jetzt: Entweder das eine oder das andere?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Um es ganz konkret zu sagen: Unsere Vorschläge, schnell zu helfen, sind kein Ersatz für die dringend notwendige Reform, sondern sie gehen ihr voraus und dienen einer schnellen Entlastung der Kommunen.

   Lebenswerte Städte und Gemeinden sind ein guter Garant für eine positive Entwicklung. Diese brauchen wir in unserem Land dringend. Wenn Sie den Kommunen wirklich helfen wollen, bitte ich Sie: Helfen Sie jetzt - nicht für uns, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Bundesminister Hans Eichel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einen einzigen Satz zur Antwort: Wer in 16 Jahren systematisch die Gewerbesteuer ausgehöhlt hat,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

statt jemals das Thema Kommunalfinanzen auf die Tagesordnung zu setzen, der kann nicht kritisieren, dass wir erst die Unternehmensteuerreform und dann die Gemeindefinanzreform durchführen. Wenn wir die Reihenfolge anders herum gewählt hätten, hätten wir die Unternehmensteuerreform noch gar nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Wenn es sein muss, bitte.

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Herr Bundesfinanzminister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Frage zulassen. Was halten Sie denn von der Forderung des bayerischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Maget,

(Ute Kumpf (SPD): Das hatten wir doch schon mal!)

der die ungerechtfertigte Bereicherung des Bundes zulasten der Kommunen durch die Gewerbesteuerumlageerhöhung anprangert und den bayerischen Kommunen wörtlich schreibt:

Die letzte Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge des Steuersenkungsgesetzes 2000, die hälftig jeweils Bund und Ländern zugute kommt, muss zurückgenommen werden.

Er geht dann noch darauf ein, dass es im Bund dafür leider keine Mehrheit gibt.

   Herr Bundesminister, ist Herr Maget damit nicht ein klarer Zeuge dafür, dass Sie endlich unserem Antrag folgen sollten, die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurückzunehmen? Auch aus den Reihen Ihrer eigenen Partei wird das klar gefordert. Dazu steht Ihre Aussage hier in einem klaren Widerspruch.

(Florian Pronold (SPD): Die CSU hat die Forderung im Landtag abgelehnt!)

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Ich werde dieses Thema nachher im Zusammenhang ausführlich behandeln, Herr Kollege Michelbach, und dann bekommen Sie auch meine Antwort.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Gehen Sie dann auch auf Maget ein?)

- Von mir aus auch das, kein Problem. Aber in Bayern ist ja zurzeit Wahlkampf und es wird beispielsweise von Ihrem Ministerpräsidenten für nach der Landtagswahl allen alles versprochen. Ich erreiche nicht einmal, dass im Finanzplanungsrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird, die sich mit den Ausgabenproblemen der Länder und Kommunen im Zusammenhang mit Bundesgesetzen beschäftigen soll, weil in Bayern Landtagswahlen sind und sich keiner traut, das jetzt zu machen; erst nach der Wahl können sachliche Gespräche beginnen. Das ist die Lage, mit der wir es in Bayern zu tun haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hans Michelbach (CDU/CSU): Und was ist mit der SPD?)

- Ich komme darauf zurück. Es ging jetzt darum, was Sie in Bayern machen.

   Nun sage ich Ihnen kurz und klar etwas zu der Kommission. 16 Jahre haben Sie nichts gemacht und die Gewerbesteuer ausgehöhlt. Es waren stabilisierende Elemente im Gesetz zur Fortentwicklung der Unternehmensteuerreform enthalten. Das hat nicht ausgereicht; das ist wohl wahr. Das, was der Kollege Ude sagt, ist die Konsequenz Ihrer Gesetzgebung. In der Tat kann das nicht hingenommen werden. Herr Senator Peiner aus Hamburg hat sehr nachdrücklich auf die Gewerbesteuerzahlungen der großen, international tätigen Unternehmen an ihren Standorten in Deutschland hingewiesen. Es ist richtig: Das muss geändert werden.

(Beifall bei der SPD)

Darüber besteht auch Einvernehmen.

   Ich will hier keine streitige Debatte führen; denn eines ist ganz entscheidend: Wir hatten eine Kommission, deren Auftrag, bevor wir den Kabinettsbeschluss gefasst haben, mit allen Beteiligten - mit den Bundesländern, den Wirtschaftsverbänden, den kommunalen Spitzenverbänden - einvernehmlich behandelt worden ist. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir alles unter einem Hut hatten und den Einsetzungsbeschluss fassen konnten, aber es war alles einvernehmlich.

   Auch die Kommissionsarbeit ist vollkommen einvernehmlich erfolgt, auch was die Überprüfung der Modelle betraf.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Götz?

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Nein, nach der Erfahrung mit Herrn Michelbach mache ich das nicht.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich werde jetzt von der Arbeit der Kommission berichten. Es dürfte für Sie hochinteressant und spannend sein

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist euer parlamentarisches Verständnis! Dass Sie nicht mal bereit sind, Fragen von Abgeordneten zu beantworten! Wo sind wir denn hier?)

- auch für die Zwischenrufer, Herr Michelbach -, wie sich die verschiedenen Länder, auch die B-Länder, in dieser Kommission eingelassen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht können wir doch gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Sie müssten nur berücksichtigen, was Ihre Landesregierungen und Ihre Kommunalpolitiker in diesem Zusammenhang tun.

   Ich will nun zur Arbeit der Kommission differenziert vortragen und auf Unterschiede eingehen. Die gemeinsame Grundlage, der Beschluss des Kabinetts, war - das sage ich ausdrücklich - vorher mit allen abgestimmt. Alle arbeiteten völlig einvernehmlich und ohne Streit zusammen. Wir liegen genau im Zeitplan, der übrigens außerordentlich ehrgeizig ist. Auch das haben Sie anders darzustellen versucht. Was wir nicht geschafft haben - das will ich Ihnen ebenfalls sagen -, ist, in allen Punkten einen breiten Konsens zu finden. Das ist wahr.

   Ich möchte nun zum Ergebnis der Arbeit der Kommission kommen, das ich gestern völlig einvernehmlich zusammengestellt habe, und es differenziert darstellen. Die Kommission hat eine hervorragende Grundlage für die nun zu leistende Arbeit im Gesetzgebungsverfahren geschaffen. Wir haben eine gemeinsame Position mit allen Verbänden und allen Vertretern gefunden, mit einer Ausnahme: Sachsen war anderer Meinung.

   Auf dieser Basis soll zum 1. Januar 2004 das Gesetz über die grundlegende Reform der Gemeindefinanzen im Bundesgesetzblatt stehen. Darin waren sich alle einig. Deshalb erwarte ich, dass wir das im Bundesrat und im Bundestag - das geht nur, wenn beide Organe zustimmen - gemeinsam schaffen.

   Ich will darauf hinweisen, dass es verfassungsrechtlich so ist, dass die Länder die Kommunen vertreten und dass die Kommunalhaushalte verfassungsrechtlich Bestandteil der Länderhaushalte sind.

(Lothar Mark (SPD): Das müssen wir denen immer wieder erklären!)

Es gibt eine besondere Verantwortung der Länder für die Kommunen, was sich bei ihrem Abstimmungsverhalten im Bundesrat übrigens widerspiegeln müsste. Da wir das einvernehmlich entschieden haben, gehe ich davon aus, dass wir das auch so machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ziel ist die Verstetigung der kommunalen Einnahmesituation. In Bezug auf die Einnahmeseite soll es als Grundlage einer kommunalen Wirtschaftssteuer eine modernisierte Gewerbesteuer geben. Hierin bestand Einvernehmen zwischen allen Landesvertretern, den kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesregierung. Einvernehmen bestand nicht mit den Wirtschaftsverbänden, wobei durchaus zu erkennen war, dass es bei der Stärke der Ablehnung der Gewerbesteuer durchaus Differenzierungen gibt. Der Grad der Ablehnung durch den BDI war nicht bei den anderen Wirtschaftsverbänden anzutreffen.

   Ich bin übrigens froh, dass am Schluss alle erklärt haben, auch BDI-Präsident Rogowski, dass sie sich beim Gesetzgebungsverfahren kooperativ einbringen werden. Denn es macht keinen Sinn, dann, wenn alle Vertreter der Kommunen und der Länder das Modell von BDI und VCI strikt ablehnen, zu sagen: Weil wir uns nicht durchgesetzt haben, gehen wir nach Karlsruhe. Ich hoffe, das wird nicht passieren. Ich begrüße ausdrücklich, dass BDI-Präsident Rogowski erklärt hat, am Gesetzgebungsverfahren kooperativ mitzuarbeiten.

   In diesem Zusammenhang ist zu würdigen, dass geklärt wurde, wie die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage aussehen soll. Darüber will ich im Einzelnen nichts sagen, weil wir verabredet haben - es gibt auch in der Bundesregierung noch Diskussionen darüber; das ist ja auch in Ordnung -, dass wir mit allen Betroffenen sehr sorgfältig im Gesetzgebungsverfahren verhandeln wollen. Denn die Verstetigung der kommunalen Einnahmesituation - das haben wir alle gewollt - ist nicht einfach auszutarieren. Ziel muss sein, dass die prozyklische Investitionspolitik der Gemeinden aufhört.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese ist schlecht für uns alle. Das ist kein Vorwurf an die Gemeinden, sondern ein Vorwurf, der unserem System und der ständigen Aushöhlung der Gewerbesteuer gilt. In diesem Zusammenhang muss man sich die Frage stellen, wie sich das auf der einen Seite auf kleine und mittlere Betriebe auswirken wird und wie wir es auf der anderen Seite schaffen, dass die großen, international tätigen Unternehmen Gewerbesteuer zahlen. In diesem Punkt hat Christian Ude vollkommen Recht; darüber muss man gar nicht streiten. Also werden wir das bereits bei der Aufstellung sehr sorgfältig prüfen. Das erwarte ich selbstverständlich auch von Ihnen, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt.

   Die Zusammenführung der Zuständigkeit für die Arbeitslosenhilfeempfänger und die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger bei der Bundesanstalt für Arbeit und damit deren Überführung in die finanzielle Verantwortung des Bundes ist, mit Ausnahme des Deutschen Landkreistages einvernehmlich beschlossen worden. Alle anderen waren dafür.

   Es gibt auch eine gemeinsame Position hinsichtlich der Entlastungswirkungen für die kommunale Ebene: dieses Thema war übrigens im Rahmen des Auftrages ursprünglich nicht vorgesehen. Es stand ja im Auftrag des Kabinetts, dass es keine Belastungsverschiebungen zwischen den Ebenen geben dürfe. Seinerzeit hatten die kommunalen Spitzenverbände - ich muss das einmal zum Schmunzeln sagen - den dringenden Wunsch geäußert, das in den Entwurf hineinzuschreiben, weil sie den Verdacht hatten, der Bund wolle die Arbeitslosenhilfeempfänger ihren Zahlungspflicht unterstellen. Da haben sie gesagt: Das darf nicht passieren, wenn es dafür keinen Ausgleich gibt. - Das ist in Ordnung. Ich sage aber ganz leise: In demselben Augenblick, in dem klar war, dass der Zug anders herum fährt, haben sich viele an diese Forderung, die wir auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände in den Beschluss des Kabinetts hineingeschrieben haben, nicht mehr so gern erinnert.

   Ich sage ausdrücklich: Unsere Bereitschaft - so weit das geht; ich komme gleich auf diese Bemerkung zurück -, an dieser Stelle zu helfen, besteht. Deswegen haben wir - mit unserer Stimme - einvernehmlich festgestellt, dass Entlastungswirkungen für die kommunale Ebene im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu klären sind. Warum soll das im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geschehen? Weil es zwei Dinge betrifft: Man muss klären, was auf der Einnahmeseite passiert, zum Beispiel mit der Gewerbesteuerumlage. Sie ist seinerzeit mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände beschlossen worden - das muss sich jeder noch einmal klar machen -, weil deutlich war, dass die Kommunen in etwa, sogar unterdurchschnittlich, an den durch die Steuerreform verursachten Ausfällen beteiligt werden sollten, beteiligt würden. Das war der Punkt. An dem Argument hat sich auch nichts geändert, nur dass die Finanznot der Kommunen in der Zwischenzeit genauso groß geworden ist wie unsere.

   Ich will bei der Gelegenheit sagen: Wir werden zusätzlich zu den Wirkungen einer modernisierten Gewerbesteuer reden, auch Wirkungen auf der Einkommensteuerseite zu beachten haben. Das wird man im Einzelnen in diesem Herbst betrachten müssen. Hier ist ausdrücklich von Entlastungswirkungen die Rede.

   Es war die Meinung einer Mehrheit von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, kommunalen Spitzenverbänden und einem Teil der Ländervertreter, dass es außerdem ein Sofortprogramm geben solle. Das würde ich in keinem Moment bestreiten. Wir wollen aber in diesem Herbst sehen, was auf dem Tisch liegt und welche Wirkungen sich bereits in 2004 entfalten. Das wird man dann sehen. Dann können Sie wieder Anträge einbringen.

   Aber ich sage ausdrücklich: Die Finanzprobleme der Kommunen sind nicht durchgreifend - das ist übrigens auch nicht unsere Aufgabe - unter Rückgriff auf den Bundeshaushalt zu lösen; das ist eine Aufgabe der Länder. Sie sind demzufolge nur in einem Konsolidierungskonzept durchgreifend zu lösen, das sowohl die Länder und die Kommunen als auch den Bund in eine andere finanzielle Situation bringt. Dabei sind Betrachtungen der Ausgabenseite genauso anzustellen wie die der Einnahmenseite.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei haben alle eine große Verantwortung.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Danke, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Er hätte länger reden können, wenn er meine Frage zugelassen hätte!)

   Bayern hätte das schon machen können; es wurde übrigens im Bayerischen Landtag abgelehnt. Die Bayerische Staatsregierung hätte doch schon längst ihren Anteil an der Umsatzsteuer abtreten können. Das wäre in Ordnung gewesen.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Es gibt auch bei uns da und dort unterschiedliche Auffassungen. Es ist aber erstaunlich, dass wir bei dem, was ich eben dargestellt habe, eine gemeinsame Position aller dort anwesenden B-Länder-Vertreter und

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Der Maget fordert es vom Bund!)

aller kommunalen Spitzenverbände - und zwar, wie Sie wissen, einschließlich derer, die Ihrer Partei angehören - haben.

   Letzter Punkt. Wir haben verabredet, den Themenkatalog dessen, was weiterbehandelt werden soll, in einer gemeinsamen Besprechung zwischen kommunalen Spitzenverbänden, dem Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und der Bundesregierung festzulegen. Denn dass wir nur die beiden Themen - Gewerbesteuer und Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in das Zentrum gestellt haben, war ausdrücklich auch der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände. Ich halte das für richtig, weil eine breitere Themenpalette nie dazu geführt hätte, dass wir in einem Jahr zu einem Ergebnis der Kommissionsarbeit gekommen wären. Angesichts des Ziels 1. Januar 2004 war die Begrenzung auf diese beiden großen Themen die richtige Antwort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Bundesregierung wird im August im Kabinett über den Entwurf entscheiden. Er wird Ihnen zugeleitet. Wir haben einen straffen Zeitplan; wir alle haben dafür eine Verantwortung. Wir müssen in diesem Herbst neben vielen anderen Dingen für eine durchgreifende Konsolidierung der Kommunalhaushalte sorgen. Durch diesen Gesetzentwurf werden wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hans Michelbach [CDU/CSU]: Steuererhöhungen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion, das Wort.

Gisela Piltz (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arme Kommunen - das ist der einzige Gedanke, der mir gleich in mehrfacher Hinsicht kommt, wenn ich das sehe, was Rot-Grün hier heute vorgeschlagen hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Bei Umsetzung der Pläne von Rot-Grün bleiben die Kommunen arm. Eine umfassende finanzielle Absicherung ist nicht zu erwarten. Ich darf mir aus aktuellem Anlass folgende Bemerkung gestatten: Das, was das Kabinett open air in Neuhardenberg besprochen hat, geht mit ungefähr 4,5 Milliarden Euro zulasten der Kommunen. Die Entlastungen, die Sie vorschlagen, würden weniger bringen. Ich frage mich, wie Sie angesichts dieser Tatsache heute eigentlich noch in Ihre Gemeinden nach Hause gehen und erklären können, warum Sie sie so, wie Sie es heute hier tun, im Regen stehen lassen.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Weil wir etwas tun! - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die bleiben in Berlin! Die fahren ja gar nicht nach Hause!)

   Arme Kommunen aber auch, weil die rot-grüne Bundesregierung hier und heute zum wiederholten Mal gezeigt hat, dass ihr das Schicksal der Kommunen eigentlich ziemlich egal ist.

(Lachen des Abg. Bernd Scheelen (SPD))

   Erinnern Sie sich noch an den Anfang des Jahres und an das Thema Grundsicherung? Das war wieder einmal ein dunkles Kapitel für die Kommunen. Sie haben sich der „angenehmen“ Auftragsverteilung zulasten der Kommunen bedient.

(Florian Pronold (SPD): Warum sitzt die FDP in keinem Kommunalparlament? Weil sie keine Ahnung von der Praxis hat!)

Sie haben zwar eine Kostenerstattung in Höhe von 409 Millionen Euro bereitgestellt, überwiesen wurde sie aber an die Länder und nicht an die Kommunen. Das bezeichnen Sie auch noch als Umsetzung des Konnexitätsprinzips.

   Meine Damen und Herren, wir legen heute als erste und bisher einzige Fraktion einen Gesetzentwurf mit einem konkreten Vorschlag zur Umsetzung des Konnexitätsprinzips vor. Wir sind so konsequent, dass wir sagen: Es kann nicht länger angehen, dass derjenige, der bestellt, nicht bezahlt und dass immer alles zulasten der Kommunen geht. Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP)

   Auf unsere Anfrage hin erklärte die Bundesregierung zur Grundsicherung damals lapidar: Über die Kosten kann die Bundesregierung im Moment noch keine Aussage treffen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das macht ja wohl deutlich, dass Sie gar nicht wissen, welche Kosten bei den Kommunen anfallen, und dass es Ihnen eigentlich auch egal ist.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch überhaupt nicht wahr!)

Ohne leistungsfähige Kommunen wird in den Städten weniger gebaut, fallen Arbeitsplätze weg und wird das Wirtschaftswachstum noch weiter geschwächt. Nur durch unseren Gesetzentwurf, eine konkreten Gemeindefinanzreform und die Beachtung des Konnexitätsprinzips wird sich das ändern.

(Beifall bei der FDP)

   Ich komme zum Schluss. Lassen Sie es nicht zum Scheitern einer umfassenden und soliden Finanzreform kommen! Helfen Sie den Kommunen hier und sofort! Wenden Sie sich von einer unsoliden und unsicheren Einnahmequelle der Kommunen ab! Kommen Sie weg von der Gewerbesteuer und hin zu einem soliden Finanzkonzept, wie wir es Ihnen heute vorschlagen!

   Die Kommission ist gescheitert, wir sind es nicht. Wir haben nicht 13 Monate umsonst getagt; wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie können mit Ihrer Zustimmung einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der Kommunen leisten. Wir würden uns freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Eichel, der Bürgermeister von Neuhardenberg, Herr Michael Kernchen, parteilos, hätte sich sicher gefreut, wenn Sie - Herr Eichel, ich spreche gerade direkt zu Ihnen; es wäre nett, wenn Sie diese eine Minute zuhören würden - das Schloss am letzten Wochenende für eine Stunde verlassen hätten, um bei ihm auf ein Bier vorbeizuschauen.

   Dieser kleine Ort Neuhardenberg hat zwar ein schönes Schloss, aber auch 1 Million Euro Schulden. Bei allen Inszenierungen, die in unserer Mediengesellschaft offenbar unvermeidbar sind, sollte auch ein Finanzminister einmal hinter die Kulissen schauen.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Er hätte das Bier mitbringen müssen! - Volker Kauder (CDU/CSU): Für 1 Million Euro Schulden hat der Eichel kein Ohr!)

   Die schwerste Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik trifft die allermeisten der etwa 14 000 Rathäuser und 323 Landratsämter. Den Kommunen werden in diesem Jahr rund 10 Milliarden Euro fehlen. Das sind noch 3 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Die Gewerbesteuer als wichtigste Steuereinnahme der Städte und Gemeinden ist seit 2001 in einem bislang unbekannten Umfang eingebrochen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Da hat sie Recht!)

Von diesen rückläufigen Einnahmen müssen die Kommunen zusätzlich einen zunehmenden Anteil als Gewerbesteuerumlage an Bund und Land abführen.

   Besonders angespannt ist die finanzielle Situation von Kommunen in Ostdeutschland. Deren Pro-Kopf-Steuereinnahmen betragen lediglich ein Drittel dessen, was die Kommunen im Westen einnehmen. Damit hängen die meisten ostdeutschen Kommunen am Tropf ihrer Länder.

   Bundesweit gehen die kommunalen Investitionen spürbar zurück. Im Jahre 2002 lagen diese Investitionen 30 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das heißt, viele Kommunen können nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Der Bund muss unserer Meinung nach den Kommunen die finanziellen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit - das sind jährlich rund 5 Milliarden Euro - im Rahmen der kommunalen Sozialhilfe erstatten.

   Welche Vorschläge aber liegen auf dem Tisch? Ich will die Vorschläge der Unternehmerverbände herausgreifen. Diese wollen die Gewerbesteuer abschaffen und durch ein so genanntes kommunales Zuschlagsrecht auf die Lohn- und Körperschaftsteuer ersetzen. Das würde bedeuten: Vor allem große Unternehmen würden aus ihrer Verantwortung für die Kommunalfinanzierung entlassen. Im Gegenzug würden den Arbeitnehmern noch größere Lasten aufgebürdet. Nach dem Willen der Unternehmer würde der Anteil der Arbeitnehmer am kommunalen Steueraufkommen von derzeit ungefähr 48 Prozent auf voraussichtlich 64 Prozent gravierend ansteigen und dementsprechend der Anteil der Unternehmen spürbar sinken.

   Wir als PDS haben ganz andere Vorschläge:

   Erstens. Erhalt und Modernisierung der Gewerbesteuer als wirtschaftskraftbezogene Steuer.

   Zweitens. Der Kreis der Steuerpflichtigen muss spürbar erweitert werden. Alle ortsansässigen Wirtschaftseinheiten - von den global wirtschaftenden Konzerngesellschaften bis hin zu den freien Berufen - sollten ab dem Jahr 2004 entsprechend ihrer Leistungskraft ihren Beitrag für die Finanzierung ihrer Standortgemeinde leisten.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Dass Sie das wollen, überrascht uns nicht!)

- Ich bin nicht dafür da, Sie in jeder Sitzung zu überraschen, sehr geehrter Herr Kollege.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Denken Sie an Ihr PDS-Vermögen!)

   Drittens. Erweiterung der Bemessungsbasis für die Gewerbesteuer. Daher sollten ab dem Jahr 2004 sämtliche Zinsen und Zinsanteile von Mieten, Pachten und Leasingraten einbezogen werden.

   Viertens. Um den Kommunen sofort, das heißt, noch im laufenden Haushaltsjahr 2003, mehr finanziellen Spielraum einzuräumen, sollte die mit der Steuerreform von 2000 beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zugunsten von Bund und Länder von jetzt 26 Prozent wieder auf 20 Prozent reduziert werden. Auch die Grünen sind schon darauf eingegangen. Damit hätten Städte und Gemeinden noch in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro mehr an Gewerbesteuer zur Verfügung.

   Fünftens. Für den Nachtragshaushalt dieses Jahres fordern wir eine kommunale Investitionspauschale des Bundes, und zwar nicht nur an ostdeutsche Städte und Gemeinden, sondern auch für Kommunen in strukturschwachen Regionen im Westen.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Zur Finanzierung könnte zum Beispiel der Verkauf eines geringen Teils der immer noch immensen Goldreserven der Bundesbank mobilisiert werden.

   Ich erwarte nicht, dass Sie gleich alle Vorschläge der PDS aufnehmen. Aber Sie sollten sich neuen Ideen öffnen. Das würde uns allen helfen.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Karin Roth (Esslingen) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unseren Vorschlägen zur Gemeindefinanzreform, auf der Einnahmenseite wie auch auf der Ausgabenseite, wollen wir den finanziellen Spielraum der Kommunen erweitern. Wir sehen alle gemeinsam - darüber gibt es keinen Dissens -, dass es notwendig ist, den Kommunen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie Investitionen vor Ort tätigen können. Das ist unser Beitrag zur Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Diese Reform wollen wir voranbringen und am 1. Januar 2004 in Kraft setzen. Das ist die Perspektive.

(Beifall bei der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Donnerwetter!)

   Die Gemeindefinanzreform ist auch die Voraussetzung dafür, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzuführen, Herr Kauder.

Das ist etwas, was offensichtlich auch die CDU/CSU will.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Schon lange vor Ihnen! Willkommen im Club!)

- Das ist nicht richtig. Wir haben das schon sehr viel länger geplant, Herr Schauerte. Entscheidend ist, dass es auch gemacht wird.

(Peter Götz (CDU/CSU): Ihr habt unsere Vorschläge abgelehnt!)

   Wir haben mit den ersten Seiten Gesetzen zur Hartz-Reform schon einiges auf den Weg gebracht. Wir haben wichtige Weichen gestellt. Denken Sie daran, dass wir die Vermittlung in Arbeit verbessert und vor allen Dingen die Existenzgründungen vorangebracht haben. Die Zahl der Existenzgründungen ist in der ersten Hälfte dieses Jahres um 33 000 gestiegen. Das ist ein großer Erfolg unserer Hartz-Gesetze I und II. Die „Berliner Zeitung“ schreibt darüber: „Das ist der Boom des Jahres“. Das ist ein gutes Zeichen, um auch die Hartz-Gesetze III und IV, die unter anderem die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe betreffen, auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist überhaupt keine Frage: Wir müssen weg von der Finanzierung der Arbeitslosigkeit und hin zur Vermittlung in Arbeit und zur Integration in Beschäftigung. Das tun wir vor allen Dingen mit der Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Indem Sie die Wirtschaft kaputtmachen, schaffen Sie das sicher!)

Wir brauchen klare Zuständigkeiten und vor allen Dingen klare Verantwortlichkeiten. Der Verschiebebahnhof, den es - das ist unstrittig - in diesem Bereich gibt, zwischen den Kommunalfinanzen auf der einen Seite und den Bundesfinanzen auf der anderen Seite, soll der Vergangenheit angehören.

   Wir wollen mit der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe einen Wechsel einleiten. Das betrifft sehr viele Menschen in unserem Land, nach den heutigen Schätzungen 900 000 Sozialhilfeempfänger und 1,3 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger, zusammen genommen also 2,2 Millionen Menschen in unserem Land.

   Weil eine solch große Gruppe von Menschen von dieser Reform betroffen sind, brauchen wir dazu - das sage ich an die Adresse der CDU/CSU - einen Kompromiss und die Fähigkeit zum Konsens. Das kann man nicht im Dissens organisieren. Ich bin ganz überrascht, dass es in diesem Zusammenhang - wenn man den Antrag der CDU/CSU liest - sehr viele Gemeinsamkeiten gibt. Das ist aus meiner Sicht ein Signal dafür, dass wir vielleicht mit der CDU/CSU einen Kompromiss erreichen. Dies wäre zum Wohle der Menschen; denn sie warten auf dieses Signal.

(Beifall bei der SPD - Peter Götz (CDU/CSU): Als wir regiert haben, habt ihr das abgelehnt!)

   Wir wollen mit der Reform zum einen zwei nebeneinander vorhandene, getrennte steuerfinanzierte Systeme zusammenfassen. Zum anderen wollen wir vor allen Dingen die Integration von Langzeitarbeitslosen in Arbeit und Beschäftigung verbessern. Ich weiß, dass das ehrgeizige Ziele sind. Aber wenn die aktivierenden Leistungen unabhängig vom Status des Langzeitarbeitslosen zusammengefasst werden, kann dies - davon bin ich überzeugt - nicht nur zu mehr Beschäftigung führen, sondern auch dazu beitragen, dass die Menschen mehr Selbstbewusstsein und eine Perspektive erhalten. In diesem Zusammenhang ist „fördern und fordern“ keine Leerformel, sondern sogar existenziell.

   Wir müssen positive Signale setzen, die zeigen, dass Wiedereingliederung für viele machbar ist und Eigeninitiative und Eigenverantwortung belohnt werden. Deshalb sind wir jetzt schon - im Vorgriff auf diese Reform - bereit gewesen, zwei große Sonderprogramme zu finanzieren. Zum Ersten gibt es JUMP plus, wodurch 100 000 junge Menschen den Einstieg in den Beruf erhalten sollen. Das finanziert die Bundesregierung mit 310 Millionen Euro.

(Heinz Seiffert (CDU/CSU): Wie beurteilt Clement diese Programme?)

Zum anderen wurde in den letzten Tagen zusätzlich das Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose in Höhe von 860 Millionen Euro beschlossen. Mit diesen beiden Programmen schließt die Bundesregierung die finanzielle Lücke in diesem Jahr, die entstanden ist, weil sich Kommunen und Länder zum Teil aus den Arbeitsmarktprojekten zurückgezogen haben. Wir setzen also schon in diesem Jahr ein positives Signal in Richtung der Kommunen. Das ist eine gute Nachricht für die Beschäftigungsträger in den Regionen und eine noch bessere Nachricht für die Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen eine neue staatliche Fürsorgeleistung einführen.

Wir wollen, dass Erwerbsfähige im Alter von 15 bis 65 Jahren anspruchsberechtigt sind, und wir wollen vor allen Dingen, dass die Leistung existenzsichernd und armutsfest ist.

   Aus dem Antrag der CDU/CSU ergeben sich Möglichkeiten zu einem gemeinsamen Kompromiss in der Frage der Sanktionen und der Anrechnung von Vermögen. Ich wünschte mir, dass insbesondere auch hinsichtlich der Gestaltung auf kommunaler Ebene eine gemeinsame Position gefunden wird. Es geht nicht an, weiterhin auf Dezentralisierung zu setzen, wie es der Landkreistag fordert, und die Zuständigkeit für die neuen Leistungen den Kommunen zu übertragen. Ich halte es vielmehr für richtig, die Zuständigkeit für diese Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu übertragen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Die wird noch nicht einmal ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht!)

Alle Leistungen aus einer Hand - das ist die richtige Position!

   Die kommunalen Haushalte erfahren durch diese neue Maßnahmen Entlastungen in Milliardenhöhe. Ich denke, diese Möglichkeit muss genutzt werden, zum Beispiel um die Kinderbetreuung auszubauen. Deshalb sollen 1,5 Milliarden Euro aus der Einsparsumme an die Kommunen zurücküberwiesen werden. Das ist eine wichtige Botschaft für die allein erziehenden Mütter und Väter; denn damit wird die Voraussetzung für ihre Erwerbsfähigkeit geschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Roth, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.

Karin Roth (Esslingen) (SPD):

Mit der Gemeindefinanzreform wollen wir die Kommunen, vor allem in den strukturell benachteiligten Regionen, unterstützen. Auch mit der Zusammenlegung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe sollen die Kommunen entlastet werden. Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns auf diesen Weg einigen, auch und vor allem im Interesse der Menschen in unserem Lande.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesminister musste leider weg, um einen wichtigen Termin wahrzunehmen. Das müssen wir verstehen. Er hat uns seine Probleme vorgetragen und über die Prüfungen informiert, die er vornehmen will. Als er nicht mehr weiterwusste, erzählte er von den 16 Jahren, in denen die Union dieses Land geführt hat. Als langjähriger Kommunalpolitiker versichere ich Ihnen: Jedes dieser 16 Jahre war für die Kommunalpolitik und für die Bürger in unserem Lande besser als die letzten fünf Jahre unter dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Lachen bei der SPD - Horst Kubatschka (SPD): Sie sind ja wirklich ein Witzbold!)

   Der Kollege Götz hatte Recht: Der Einfluss von Minister Eichel auf den Bundeskanzler ist offensichtlich so gering, dass der Bundeskanzler gestern nicht mit einem einzigen Wort die katastrophale Finanzlage der Kommunen in diesem Land erwähnt hat. Die Kommunen haben finanziell bewegte Jahre hinter sich; der Druck auf die Ausgabeseite ist gerade von Ihrer Bundesregierung immer weiter erhöht worden. Die Erosion der kommunalen Finanzen hat unter dieser Regierung eine Größenordnung erreicht, die nur mit dem krassen Versagen der Bundesregierung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu begründen ist. Das wird derzeit allen Bürgern klar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das Ihnen recht nahe steht, prognostiziert ein Wachstum von 0,1 Prozent. Die Bundesregierung hingegen kalkuliert immer noch mit einem Wachstum von 2 Prozent.

(Bernd Scheelen (SPD): Für das nächste Jahr!)

Das muss man sich einmal vorstellen! Die Zahl der Insolvenzen steigt ständig an. Unsere Kommunen weisen ein laufendes Defizit in Höhe von mindestens 10 Milliarden Euro auf. Denken Sie in diesem Zusammenhang an die 80er- und 90er-Jahre zurück, als die Haushalte noch ausgeglichen waren!

   Durch das Vorziehen der Steuerreform wird für die Kommunen ein weiteres Loch von 2 Milliarden Euro entstehen. Sie können ihre Bilanzen nur noch durch Schönrechnen gestalten. Die Nachricht über ein weiteres Loch in Höhe von 2 Milliarden Euro hat, so schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer gestrigen Ausgabe, bei den Kommunen wie eine Bombe eingeschlagen. Denn die Betroffenen wissen, dass ihnen eine Gegenfinanzierung nicht möglich ist.

Herr Eichel hat wieder eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Kosten für die Kommunen errechnen soll. Das ist natürlich eine tolle Leistung. Sie wissen doch, dass die Kommunen keine Möglichkeit haben, weitere Kürzungen auf der Ausgabeseite vorzunehmen. Gerade deshalb ist es erstaunlich, was die Kommunen in den letzten Jahren geleistet haben. Sie müssen immer bedenken, dass jede Kürzung im kommunalen Bereich für die Bürger unmittelbar spürbar ist. Ich appelliere deshalb an Sie in den Regierungsfraktionen: Vergessen Sie nicht, dass die Eingliederungshilfe für die Kommunen ein wichtiges Thema ist. Die hier vorhandenen Probleme können die Kommunen nicht alleine bewältigen. Wir wissen, dass sich die Erfordernisse der Eingliederungshilfe, deren Mittel den Behinderten zugute kommen, in den nächsten Jahren verdoppeln werden. Wir müssen deshalb hier ein eigenes Leistungsgesetz schaffen. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung.

   Den Kommunen geht es schlecht und Ihnen fällt nichts anderes ein, als die Gewerbesteuer zu reanimieren. Diese Steuer hat bewiesen, dass sie wegen der Unstetigkeit und der Konjunkturanfälligkeit der aus ihr resultierenden Einnahmen jegliche kommunale Planung über den Haufen werfen kann. Sie ist des Weiteren sehr bürokratisch, weil sie aufwendig berechnet werden muss: Zuerst müssen der Gewinn und der Gewerbeertrag ermittelt werden. Dann muss eine Gewerbesteuererklärung abgegeben werden. Danach erfolgt die Prüfung des Gewerbesteuerbescheids. Dann geht es von den Finanzämtern zu den Steuerämtern der Städte. Die Gemeinden ziehen schließlich die entsprechenden Beträge ein - und dann wird die Zahlung wieder auf die Einkommensteuer angerechnet.

   Der Kanzler hat gestern von Bürokratieabbau gesprochen. Nichtsdestotrotz machen Sie heute den Vorschlag, 750 000 bzw. 800 000 Freiberufler in die Gewerbesteuer einzubeziehen. Wir werden ja sehen, was passieren wird, wenn die ersten Einsprüche kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Einbeziehung der freien Berufe in diese Steuer verfassungsgemäß ist oder nicht. Derzeit müssen 750 000 selbstständige Freiberufler eine teure und aufwendige Berechnung ihrer beruflichen Einkünfte vornehmen. Anschließend erfolgt die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer, allerdings nur bis zu einem Hebesatz von 350 Prozent.

(Zurufe von der SPD: 360 Prozent!)

Aus Sicht der Bürger haben wir es mit einer doppelten Belastung zu tun; denn der Hebesatz endet ja nicht unbedingt bei 350 Prozent. In Frankfurt beispielsweise liegt der Hebesatz bei 490 Prozent. Hier wird der einzelne Freiberufler deutlich mehr Steuern zahlen als bisher. So kommt ja - der Deutsche Städtetag hat es heute bekannt gegeben - die zusätzliche Belastung von 2 Milliarden Euro zusammen. Selbst diejenigen, die innerhalb der Freibeträge bleiben, also keinen Gewinn errechnen, müssen natürlich die Ermittlungskosten tragen. Diese beginnen für diese Gruppe der Freiberufler bei 300 Euro und können in die Tausende gehen.

   Zusammenfassend stelle ich fest: Das alles ist nichts anderes als eine dramatische Steuererhöhung für die 750 000 selbstständigen Freiberufler in Deutschland. Das sollten Sie von Rot-Grün auch den Menschen sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Anstatt eine unsinnige Steuer abzuschaffen, dehnen sie diese mit dem Gerechtigkeitsargument auf 750 000 weitere Existenzen aus. Das ist der wahre Abbau von Bürokratie, von dem Kanzler Schröder gestern gesprochen hat.

   Nun geht Ihre Liebeserklärung an die Gewerbesteuer noch ein Stück weiter. Sie wollen die so genannten ertragsunabhängigen Teile wie Zinsen, Leasingraten und Mieten in die Berechnung der Gewerbesteuer einbeziehen. Damit greifen Sie tief in die Substanz der Unternehmen ein. Warum müssen denn viele Unternehmen mieten und Leasingverträge abschließen? Weil sie nicht über das notwendige Eigenkapital verfügen. Nur noch mit dieser Fremdfinanzierung können viele Unternehmen überleben. Sie von Rot-Grün wollen offenbar bei den 40 000 Insolvenzen noch draufsatteln. Es ist kaum zu glauben, wie tief offenbar die mangelnde Kenntnis vom Innenleben deutscher Unternehmen bei Ihnen sitzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das Scheitern der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Lange genug haben Sie diese Kommission versteckt und sich auch hinter ihr versteckt. Ich behaupte, dass die beabsichtigte Ausdehnung der Gewerbesteuer schon vorher zu Ihrem Plan gehört hat. Sie können übrigens auch nicht die kommunalen Spitzenverbände heranziehen. Denn diesen geht es heutzutage ausschließlich um die Frage: Wie kommen wir schnell an Geld?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wissen genau, dass die kommunalen Spitzenverbände unser Sofortprogramm unterstützen. Das ist auch nicht verwunderlich; denn es verspricht als Einziges sofortige Hilfe.

Sie haben sich aber nicht nur hinter der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen versteckt, sondern haben uns auch alle Detailergebnisse verheimlicht. Sie haben sich nur auf zwei Modelle konzentriert, obwohl zehn verschiedene vorgelegen haben, unter anderem von der FDP und insbesondere von unserem Kollegen Fromme. Sie waren einfach nicht in der Lage, mithilfe dieser Modelle Detailergebnisse vorzulegen, was für das Gelingen einer Beratung notwendig ist.

   Die Krisenanfälligkeit des jetzigen Gewerbesteuersystems hat doch gezeigt, dass die Zeit für eine neue Finanzierung unserer Städte und Gemeinden längst reif ist. Natürlich kann auch ein Zuschlagsmodell das Band zwischen der Wirtschaft auf der einen Seite und den Bürgern auf der anderen Seite sein. Sie begründen Ihre Ablehnung aller Zuschlagsmodelle damit, dass die Arbeitnehmer dadurch zu stark belastet werden. Wie Sie wissen, sind die Kommunen mit 15 Prozent an den Einkommensteuereinnahmen beteiligt. Die Vorschläge - ich halte sie für realistisch - zielen darauf ab, dass diese 15 Prozent herausgelöst werden und dass auf dieser Grundlage ein Zuschlagsrecht für die Gemeinden gebildet wird. Wir müssen selbstverständlich noch darüber diskutieren, ob die Verteilung der Mittel heute noch gerecht ist. Vor allen Dingen müssen wir an die Mischfinanzierung herangehen; denn sie ist ein Übel dieser Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt noch die Gewerbesteuerumlage in den Kommunen ansprechen. Die Kommunen meines Kreises befinden sich in folgender Situation - ich habe mit den jeweiligen Bürgermeistern gesprochen -: Zehn Kommunen befinden sich in der Haushaltssicherung, drei noch nicht. Die Kommunen müssen von ihren Gewerbesteuereinnahmen, sofern sie solche noch haben, einen Betrag von 28 Prozent und demnächst 30 Prozent an Bund und Land abführen. Da sie noch Gewerbesteuereinnahmen haben, bekommen sie vom Land entsprechend geringere Zuweisungen, sodass von den eigentlichen Gewerbesteuereinnahmen überhaupt nur 10 Prozent übrig bleiben. Wir sollten wirklich eine gemeinsame Lösung finden und die gesamte mit der Gewerbesteuer verbundene Bürokratie abschaffen. Das ist der einzig sinnvolle Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir brauchen ein Konzept, das von der Bevölkerung in Gänze akzeptiert wird. Nutzen wir deshalb diese Situation, um den Kommunen eine neue finanzielle Basis zu geben! Frau Andreae, ich unterstütze Ihr Vorhaben - auch Frau Scheel, die Vorsitzende des Finanzausschusses, hat davon gesprochen -, die Gewerbesteuerumlage zu senken. Unterstützen aber auch Sie unseren Vorschlag, kurzfristig den Umsatzsteueranteil von 2,2 Prozent auf 3 Prozent anzuheben! Das hilft den Gemeinden - sofort und wirksam.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Scheelen, SPD-Fraktion.

Bernd Scheelen (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Flosbach, jedes der 16 Jahre unter der Regierung Helmut Kohl war für die Gemeinden ein verlorenes Jahr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Guck doch auf die Zahlen! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie müssen sich einmal die Gewerbesteuerstatistik anschauen!)

In diesen 16 Jahren wurde die Gewerbesteuer ausgehöhlt. Die jetzt zu beobachtenden, im Vergleich zu früheren Jahren relativ geringen Gewerbesteuereinnahmen sind eine Folge Ihrer verfehlten Politik in dieser Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich könnte mein Redemanuskript jetzt eigentlich zur Seite legen und alles, was Kollegen hier gesagt haben, kommentieren. Ich will das nur in Teilen tun.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Scheelen, gestatten Sie vorweg eine Zwischenfrage des Kollegen Götz?

Bernd Scheelen (SPD):

Ich werde gleich die Zwischenfrage beantworten, die Sie vorhin gestellt haben. Aber stellen Sie ruhig eine weitere Zwischenfrage!

Peter Götz (CDU/CSU):

Vielen Dank, dass Sie mir diese Möglichkeit geben. - Sind Ihnen zwei Zahlen bekannt - -

(Zurufe von der SPD: Mehr!)

- Ich bin schon froh, wenn er zwei Zahlen kennt.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ist Ihnen bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Regierungszeit unter Helmut Kohl und der Entwicklung des Gewerbesteueraufkommens gibt? Das Gewerbesteueraufkommen belief sich 1999 - das war eine Auswirkung der Politik der Regierung Helmut Kohl - auf etwa 27 Milliarden Euro. Ist Ihnen bekannt, dass sich das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden in diesem Jahr voraussichtlich auf eine Größenordnung von 16 Milliarden Euro beläuft? Können Sie mir erklären, inwieweit die Differenz zwischen 27 Milliarden Euro und 16 Milliarden Euro etwas mit der Regierung Helmut Kohl zu tun hat? Hat das vielleicht nicht doch etwas mit dem Wechsel zur Regierung Schröder zu tun?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ein ganz bisschen!)

Bernd Scheelen (SPD):

Diese Frage beweist Ihre ganze Doppelzüngigkeit. Bei den 27 Milliarden Euro handelt es sich um einen Bruttowert. Den können Sie nicht mit einem vermutlichen Nettowert - abzüglich der Gewerbesteuerumlage - vergleichen. Was Sie machen, ist schräg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Das Aufkommen der Gewerbesteuer im Jahr davor betrug 23,5 Milliarden DM. Das gute Aufkommen in 1999 - da regierte Gerhard Schröder schon - hat mit der guten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung zu tun gehabt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU)

Das steigerte sich im Jahr 2000 noch. Da hatten wir das höchste Gewerbesteueraufkommen überhaupt.

   Der Rückgang beim Gewerbesteueraufkommen, der sich jetzt zeigt, Herr Kollege Götz, hängt mit der Aushöhlung zusammen, die Sie betrieben haben. Sie haben die Gewerbesteuer zu einer reinen Gewinnsteuer gemacht. In wirtschaftlich schlechten Zeiten wie jetzt zeigt sich, dass Sie eine falsche Politik betrieben haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Der Kollege Götz will nicht lockerlassen. Herr Kollege Scheelen, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Götz?

Bernd Scheelen (SPD):

Wenn es denn sein muss.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön.

Peter Götz (CDU/CSU):

Ich möchte nur fragen: Ist Ihnen bekannt, Kollege Scheelen, dass schon einmal ein wichtiges Mitglied Ihrer Fraktion das Thema brutto und netto behandelt hat und damit Probleme hatte?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Peter Dreßen (SPD): Das war schwach!)

Bernd Scheelen (SPD):

Herr Kollege Götz, ich habe eher den Eindruck, dass Sie brutto und netto verwechselt haben. Ich werde auch keine weiteren Zwischenfragen des Kollegen Götz mehr zulassen und nur noch die Zwischenfrage beantworten, die er vorhin gestellt hat und die Bayern betraf; der Kollege Michelbach hat ja auch noch in die Kerbe gehauen.

   Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Die SPD-Landtagsfraktion in Bayern

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die unbedeutendste Oppositionsfraktion in Deutschland!)

hat im Bayerischen Landtag beantragt - insofern haben Sie nur die Hälfte zitiert -, dass in Bayern der Länderanteil an der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge der Steuerreform zurückgezahlt wird.

(Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Das würde euch so passen! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Weil der Bund nicht mitmacht!)

Das haben die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Landtagsfraktion mit ihrer Mehrheit abgelehnt. Das zeigt, wie ernst Sie diese Forderung wirklich nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist ja zynisch!)

   Sie stellen hier im Bundestag das vierte Mal, glaube ich, die Forderung, dass der Erhöhungsanteil der Gewerbesteuerumlage infolge der Steuerreform zurückgezahlt wird. Ernst meinen Sie es damit aber nicht; noch vor eineinhalb Jahren, im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich, haben Sie es abgelehnt, über die Gewerbesteuerumlage zu reden. Wie ernst Sie es damit meinen, haben Sie ganz besonders in Bayern gezeigt. Die Staatsregierung ist nicht bereit, ihren Anteil an die Gemeinden zurückzuzahlen.

(Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Das ist Bundesgesetz! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Da ist der Bund zuständig!)

Ganz im Gegenteil: In Bayern nimmt man den Kommunen sogar Geld für die Besoldung von Lehrern ab. Das gibt es in keinem anderen Bundesland.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Jetzt noch ein Wort zur FDP als Kommunalpartei. Ich finde es besonders spannend, dass sich die FDP als Kommunalpartei geriert. Sie von der FDP sind in den 90er-Jahren in Nordrhein-Westfalen - das ist mein Heimatbundesland, daher kommen auch die beiden Abgeordneten, die von Ihnen heute hier gesprochen haben - doch reihenweise aus den Kommunalparlamenten geflogen.

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Wir sind 1999 wieder eingezogen!)

Das geschah doch nicht deswegen, weil Sie so gute Politik gemacht haben. Sie sind erst wieder hineingekommen, als die Fünf-Prozent-Hürde gefallen ist. Da hatten sie die Chance, mit 2 Prozent wieder in den Stadtrat einzuziehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Mit Polemik kommt man nicht weiter! - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ihre Verluste waren auch ganz schön!)

   Frau Kollegin Piltz, Sie haben bemerkt: Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann sage ich nur: Arme Kommunen. - Ich kann Sie nur dazu auffordern, unseren Antrag, unser Vorhaben, das Kommunalmodell zum Gesetz zu machen, zu unterstützen; denn das ist das, was die Kommunen wollen. Sie wollen nicht nur kurzfristig Geld haben, Herr Kollege Flosbach, Sie wollen ein langfristiges Konzept, das zukunftssicher ist, und das ist das Konzept der kommunalen Spitzenverbände, das auch unserem Antrag zugrunde liegt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Haltung der CDU/CSU ist hier in der Zeitung sehr gut beschrieben. Ich hatte das Vergnügen, am Montag in Bayern zu sein, und konnte vor Ort die „Süddeutsche Zeitung“ kaufen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): So weit durften Sie reisen?)

Darin steht: Kommunen fühlen sich im Stich gelassen. - Das zielt nicht auf die Bundesregierung, sondern auf die Bayerische Staatsregierung. Vom Bayerischen Städtetag ist zu hören, die CSU eiere in dieser Frage herum. Herr Deimer, der Ihnen als Oberbürgermeister von Landshut und Städtetagschef in Bayern sicherlich sehr gut bekannt ist, fühlt sich von der Staatsregierung verraten und sagt: Wir sind stinksauer. Die haben uns im Stich gelassen. - Das ist die Stimmung an der CSU-Basis bei Ihnen in den Kommunen!

   Sie sollten sehr gut auf das hören, was Ihre Kommunalpolitiker vor Ort wollen. Die wollen das, was wir in unserem Antrag niedergelegt haben, nämlich die Durchsetzung des Kommunalmodells. Dazu werde ich gleich noch ein paar Sätze sagen.

   Ich will zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, der Kommission von dieser Stelle aus für die wirklich intensive Arbeit, die sie in gut einem Jahr geleistet hat, sehr herzlich zu danken. Es war nicht einfach, in einer so kurzen Zeit den sehr schwierigen Komplex der Gemeindefinanzen so aufzuarbeiten, wie sie es getan hat.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Sie hat uns gestern den Abschlussbericht vorgelegt, der, was das Zahlenmaterial angeht, völlig unstrittig ist. Darüber gibt es innerhalb der Kommission, zwischen den verschiedenen Partnern überhaupt keinen Streit. Unsere Aufgabe ist jetzt, anhand der unstrittigen Zahlen zu entscheiden, was wir machen wollen. Das ist Aufgabe von Politik. Wir haben Ihnen unseren Antrag vorgelegt, nach dem das Kommunalmodell weiterverfolgt werden soll.

Zwei Sätze dazu, warum wir das BDI/VCI-Modell nicht wollen. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist folgender: Dieses Modell verlagert Zahllasten der Wirtschaft infolge der Gewerbesteuer auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zwei Drittel der jetzigen Last, die die Unternehmen mit der Gewerbesteuer tragen, sollen demnächst Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir nicht einverstanden. Das werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zweitens. Wenn Sie sich das Zahlenmaterial des BDI/VCI-Modells anschauen, werden Sie feststellen, dass die Kommunen unterm Strich leer ausgehen, denn das Aufkommen erhöht sich nicht. Ganz im Gegenteil, es sind 8 Millionen Euro - diesmal sind es wirklich 8 Millionen und nicht 8 Milliarden, Herr Flosbach - weniger. Das geht im Wesentlichen zulasten der Länder. Hier stellt sich die Frage, wie Sie das auf der anderen Seite ausgleichen wollen. Das heißt, dieses Modell hilft den Kommunen überhaupt nicht.

   Ein dritter Punkt ist, dass, vorausgesetzt, das Hebesatzrecht, das den Gemeinden nach diesem Modell auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeräumt werden soll, würde in Kraft treten, die großen Städte - vorhin wurden ja Frankfurt und die dort geltenden 480 Punkte genannt - einen deutlich höheren Hebesatz erheben müssten als die Umlandgemeinden. Auch das können Sie dem von der Gemeindefinanzreformkommission vorgelegten Zahlenmaterial entnehmen. Bei einem durchschnittlichen Hebesatz von 23 Prozent würde Frankfurt beispielsweise 35 Prozent weniger kommunale Einnahmen haben, während die Gemeinde Kronsberg, wo viele gut verdienende Leute wohnen, 65 Prozent mehr hätte. Um das auszugleichen, müssten die Hebesätze deutlich verändert werden. Frankfurt müsste dann mit einem Hebesatz von etwa 35 Prozent kalkulieren, während Kronsberg möglicherweise mit 8 oder 9 Prozent auskäme. Das würde zur Stadtflucht führen, die wir aber nicht unterstützen wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Letzter Grund, warum wir das BDI/VCI-Modell ablehnen: Es ist ein bürokratisches Monster. Es wundert mich, ehrlich gesagt, dass die FDP und auch die Industrie so etwas vorschlagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stellen Sie sich ein Werk wie BMW vor, das Arbeitnehmer aus vielleicht 50 Umlandgemeinden beschäftigt. Die Lohnbuchhaltung müsste den Hebesatz dieser 50 Gemeinden abfragen. All das muss in die Berechnungen einfließen und auf dem Lohnsteuerzettel des Arbeitnehmers erscheinen. Es ist und bleibt also ein bürokratisches Monster. So etwas ist nicht durchsetzbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Dafür gibt es doch Computer!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Scheelen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pinkwart?

Bernd Scheelen (SPD):

Bitte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Pinkwart, bitte.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Herr Kollege Scheelen, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie den Antrag zur Grundgesetzänderung, der heute von der FDP-Fraktion vorgelegt worden ist, gelesen haben. Dann müssten Sie nämlich festgestellt haben, dass hier nicht die Umsetzung des BDI/VCI-Modells beantragt wird, sondern ein Zweisäulenmodell. Besteht die Bereitschaft in Ihrer Fraktion, sich mit diesem Ansatz auseinander zu setzen, damit wir tatsächlich zu einer grundlegenden Reform kommen können?

Bernd Scheelen (SPD):

Herr Kollege Pinkwart, Sie haben im Prinzip das BDI/VCI-Modell übernommen und noch ein paar Elemente angefügt. Das ändert aber nichts an den Aussagen, die ich gerade zu den Auswirkungen dieses Modells getätigt habe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Stimmt doch überhaupt nicht!)

   Jetzt sage ich noch einen Satz zu dem, was wir vorhaben: Wir wollen, dass die Gewerbesteuer modernisiert wird. Ich wende mich entschieden gegen die Behauptung, dass das, was wir da vorschlagen, einer Substanzbesteuerung gleichkommt. Das ist eine infame Lüge. Es geht im Prinzip darum, diejenigen Unternehmen, die - das beklagen Sie ja auch permanent - Möglichkeiten zur Gestaltung ihrer steuerlichen Belastungen haben, nämlich die großen Konzerne, und die keine Gewerbesteuer mehr zahlen, dazu zu zwingen, wieder ihren Beitrag zur kommunalen Infrastruktur zu leisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir können nicht akzeptieren, dass sich Großunternehmen aus der Finanzierung der Gemeinden verabschieden. Das verhindert das Modell, das wir Ihnen vorschlagen. Es geht nicht um eine weitere Belastung des Mittelstandes, ganz im Gegenteil: Der wird durch Freibeträge und eine entsprechende Gestaltung solchern Belastungen freigestellt. Es geht also um die großen Konzerne, denn es ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, ob Großkonzerne ihren Beitrag für das Gemeinwesen leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist aufgrund der Wahlentscheidungen in den Bundesländern Verantwortung zugewachsen. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr! Hören Sie auf Ihre Kommunalpolitiker vor Ort. Unterstützen Sie unser Kommunalmodell und tragen Sie dazu bei, dass wir dieses Jahr eine vernünftige und anständige Reform hinbekommen, die zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten kann.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1247 und 15/1217 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/1321 mit dem Titel „Eckpunkte für eine umfassende Gemeindefinanzreform“: Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Dritte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung

- Drucksachen 15/1179, 15/1272 Nr. 2.1, 15/1343 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Christian Eberl, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen

- Drucksachen 15/315, 15/729 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Gerd Friedrich Bollmann von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die dieser Debatte nicht folgen wollen, bitte ich, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen auf die Rede konzentrieren können. Bitte schön, Herr Bollmann.

Gerd Friedrich Bollmann (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es liegt sicherlich im Interesse aller Betroffenen, dass wir die Verpackungsverordnung zügig und abschließend regeln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich denke, dass mir alle hier im Hause zustimmen, wenn ich sage, dass die jetzt geltende Pfandregelung unübersichtlich ist und dringend verbessert werden muss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU - Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, dem können wir zustimmen!)

Wir haben uns intensiv mit diesem Thema befasst. Vor zwei Tagen fand dazu im Umweltausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Unsere Meinung zur Novelle der Verpackungsverordnung wurde dabei bestätigt: Die Neuregelung stärkt Mehrwegsysteme und ökologisch vorteilhafte Getränkeverpackungen.

(Birgit Homburger [FDP]: Wer hat das denn gesagt?)

Sie bringt Klarheit für Verbraucher und größere Planungs- und Investitionssicherheit für die betroffenen Wirtschaftszweige.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Umweltschutzverbände, das Umweltbundesamt, das Institut für Energie- und Umweltforschung und die Verbraucherzentralen bewerten die Novelle positiv. Der Bundesverband mittelständischer Privatbrauereien sprach, bezogen auf das Pfand, von einer Erfolgsstory und sprach sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen für die von uns vorgeschlagene Neuregelung aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Jörg Tauss [SPD]: Und gegen Stoiber!)

   Es gibt natürlich auch Kritik an der Novelle, aber selbst die Kritiker müssen zugeben, dass das Pfand schon jetzt eine Lenkungswirkung in Richtung Mehrweg ausübt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Unser Ziel ist es, Abfall zu vermeiden und speziell bei den Getränkeverpackungen Mehrwegsysteme und ökologisch vorteilhafte Verpackungen zu fördern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dieses Ziel wird auch von den Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unterstützt. Nach einer Forsa-Umfrage vom 11. und 12. Juni halten 75 Prozent der Befragten ein Pfand auf Einwegflaschen und Dosen grundsätzlich für richtig. 70 Prozent der Befragten sind jedoch mit der gegenwärtigen Umsetzung der Verpackungsverordnung weniger oder überhaupt nicht zufrieden. Unübersichtliche Regelungen, fehlende Rückgabemöglichkeiten, die Verweigerung eines Teiles des Handels und die Meinung der Bürger beweisen die dringende Notwendigkeit einer raschen Neuregelung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Was würde passieren, wenn diese Novelle scheitert?

(Jörg Tauss [SPD]: Eine Katastrophe!)

Dann würde die jetzige Pfandregelung mit all ihrer Unübersichtlichkeit und der ökologisch wenig sinnvollen Unterscheidung nach Getränkesegmenten weiter gelten. Weiterhin gäbe es zum Beispiel die absurde Regelung, dass nur auf Mineralwasser mit Kohlensäure Pfand erhoben wird, nicht jedoch auf Mineralwasser ohne Kohlensäure. Diese ökologisch und ökonomisch nicht nachvollziehbare Regelung stammt aus der Zeit, in der sich die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel intensiv mit dieser Thematik beschäftigt hat.

(Horst Kubatschka [SPD]: Das hat man davon!)

   Aber es würde sogar noch schlimmer kommen. Nach der jetzigen Regelung müsste demnächst Pfand auf Wein,

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht!)

Milch und möglicherweise auch auf Fruchtsäfte erhoben werden, egal in welchen Verpackungen sie angeboten werden.

(Birgit Homburger [FDP]: Stimmt überhaupt nicht!)

Das bedeutet, es gäbe auch Pfand auf Getränkekartons, also auf Verpackungen, die nach den Ergebnissen der Ökobilanzen genauso umweltverträglich wie Mehrwegsysteme sind.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das könnten Sie doch gar nicht durchhalten!)

   Die Konsequenz wäre eine weitere Verunsicherung der Verbraucher, eine fehlende Planungs- und Investitionssicherheit für die Verpackungs- und Getränkehersteller und vor allem eine weitere Schwächung ökologisch vorteilhafter Verpackungen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

All dies zeigt, dass die Neuregelung unbedingt notwendig ist.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Merkel hat sich in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung in, wie ich finde, kurioser Form zum Dosenpfand geäußert.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Ganz hervorragend! Das war sehr stark!)

Sie hat von „hirnrissigen Vorschlägen“ und „Schwachsinn, der keine Grenzen kennt“ gesprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das ist das, was Sie hier erzählen!)

Ich würde diese Begriffe nicht verwenden. Aber wenn Frau Merkel dies tut, dann hat sie wohl bereits vergessen, dass es sich genau um jenen Unsinn handelt, an dem sie als zuständige Ministerin mitgewirkt hat und den wir nun durch die dringend notwendige Novelle korrigieren wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Werner Wittlich [CDU/CSU]: Wie kann man mir so einen Käse erzählen? Das schreit ja zum Himmel, so einen Schwachsinn zu erzählen!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heute zu verabschiedende Novelle beruht auf den Eckpunkten, die das Bundesumweltministerium mit den Umweltministern von Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen abgesprochen hat.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das ist ja wieder eine Unterstellung!)

Dieser Kompromiss mit Vertretern des Bundesrates vom 16. Februar dieses Jahres ist die Grundlage; ich hoffe, dass wir auf dieser Basis auch im Bundesrat zu einer schnellen Einigung kommen werden.

   Meine Damen und Herren von der Union, ich denke, Sie akzeptieren ebenfalls das Pflichtpfand für alle Einweggetränkeverpackungen. Neben wenigen kleinen Änderungen fordern Sie jedoch insbesondere die Einführung einer automatischen Innovationsklausel. Einen solchen Automatismus lehnen wir ab. Politische Entscheidungen muss das Parlament treffen.

   Die Anhörung im Umweltausschuss hat deutlich gemacht, dass ein Innovationsautomatismus nicht sinnvoll und auch nicht notwendig ist. Herr Professor Troge, Präsident des Bundesumweltamtes, stellte eindeutig fest, Ökobilanzen seien ein Hilfsmittel für die politische Entscheidungsfindung, könnten aber die politische Entscheidung, welche Verpackungen umweltverträglich sind, nicht ersetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Tanja Gönner [CDU/CSU]: Sie haben es nicht kapiert!)

Insbesondere die Bewertung der Kriterien ist eine politische Entscheidung.

   Herr Professor Troge erläuterte in der vorgestrigen Anhörung des Umweltausschusses des Weiteren, dass er den in der Novelle vorgesehenen Weg zur Prüfung der Umweltverträglichkeit für sinnvoll und praktikabel hält. Jeder Produzent einer Getränkeverpackung kann eine Ökobilanzstudie durchführen lassen; diese wird vom Umweltbundesamt geprüft. Die Untersuchung nach internationalen Normen dauert zwischen drei und sechs Monate. Anschließend ist eine schnelle Entscheidung über die ökologische Vorteilhaftigkeit und damit die Pfandbefreiung durch den Verordnungsgeber möglich.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Jahre hat das doch bisher gedauert! Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden!)

   Ebenso sprach sich das Institut für Energie- und Umweltforschung gegen einen Innovationsautomatismus aus. Es wies darauf hin, dass die Komplexität und die Vielzahl der zu beachtenden und sich auch verändernden Kriterien einen Automatismus nicht zuließen. Darüber hinaus müssten bei der Entscheidungsfindung auch weitere Informationen, beispielsweise ökonomische und soziale Aspekte, berücksichtigt werden.

   Diese Argumente der Sachverständigen bestärken unsere Position. Eine Innovationsklausel ohne Beteiligung des Parlaments an der Entscheidungsfindung lehnen wir als undemokratisch ab.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Tanja Gönner [CDU/CSU]: Dann nehmen Sie doch mal ein Verfahren mit Beteiligung! Sie haben doch noch nie darüber nachgedacht!)

Trotz dieser unterschiedlichen Standpunkte halte ich eine schnelle Einigung im Bundesrat für möglich.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Alles, was Ihnen nicht passt, ist undemokratisch!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle der Bundesregierung ist eine gute Lösung. Sie setzt unser umweltpolitisches Ziel der Abfallvermeidung und der Förderung von Mehrweg- und ökologisch vorteilhaften Getränkeverpackungen in sinnvoller Weise um. Sie schafft eine für den Verbraucher übersichtliche Lösung. Nicht zuletzt sorgt sie für Planungs- und Investitionssicherheit bei den Getränke- und Verpackungsherstellern.

   Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dieser zweckmäßigen und notwendigen Novelle zuzustimmen.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekennt sich in der Umweltpolitik zu der Idee der Kreislaufwirtschaft. Die Verpackungsverordnung, die unser damaliger Bundesumweltminister, Professor Töpfer, initiiert hat, hat in der Bevölkerung zu einem umweltbewussten Verhalten geführt. Wir sind stolz auf dieses Ergebnis christlich-demokratischer Umweltpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Hier geht es heute nicht um die Frage, ob das, was damals richtig initiiert worden ist, weiter aufrechterhalten werden soll. Heute geht es nur darum, ob die von Ihnen vorgelegte Novelle zur Verpackungsverordnung den heutigen und modernen Anforderungen der Umweltpolitik gerecht wird. Wir sagen Ihnen schon jetzt: Das ist leider nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Herr Bollmann, eines muss ich klarstellen: Sie haben in Ihrer Rede Frau Merkel die Verantwortung für die jetzige Fassung der Verpackungsverordnung zugewiesen, obwohl nach Ihrer Ansicht - so haben Sie ausgeführt - neue, moderne Ökobilanzen einen Novellierungsbedarf erfordern. Sie kennen aber nicht die Vorgeschichte. Zur Zeit von Frau Merkel gab es eine Ökobilanz, und zwar in Sachen Schlauchbeutel. Frau Merkel hat diese Ökobilanz 1997 in ihrem Novellierungsentwurf aufgegriffen. 1998 ist diese Novelle beschlossen worden.

   Die heute in Rede stehenden Veränderungen der Verpackungsverordnung, zum Beispiel zur Kartonverpackung, sind durch Ökobilanzen erforderlich geworden, die erst nach 1998 eingereicht und teilweise erst im Jahre 2000 bewertet worden sind. Da war Frau Merkel nicht mehr Umweltministerin; da war Herr Trittin Umweltminister.

(Zuruf von der CDU/CSU. Leider! - Zuruf des Bundesministers Jürgen Trittin)

- Herr Minister, es ist nicht üblich, von der Regierungsbank Zwischenrufe zu machen. - Wie kommen Sie dazu, Frau Merkel einen solchen Zeitablauf in die Schuhe zu schieben? Was Sie vorgetragen haben, war falsch. Die Vorwürfe gehen völlig fehl.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Eines muss man ebenfalls festhalten: Wir hatten am Mittwoch eine Anhörung. Das Beratungsverfahren zu dieser Verpackungsverordnung ist erst heute Morgen im Umweltausschuss abgeschlossen worden. Dies ist ein völlig ungewöhnliches und hektisches Verfahren. Ich sage deutlich: Ein solches hektisches Verfahren werden wir in Zukunft nicht mehr akzeptieren. Das hat überhaupt nichts mit einem ordentlichen Beratungsgang hier im Parlament zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Folgen dieses überstürzten Verfahrens sieht man deutlich - dies spiegelt sich im vorliegenden Entwurf wider -:

   Erstens. Diese Verordnung ist rechtlich nicht durchdacht.

   Zweitens. Sie ist kompliziert und bürokratisch.

   Drittens. Sie setzen - das ist unser Hauptvorwurf - technologisch das falsche Signal. Ihre Verpackungsverordnung wirkt innovationsfeindlich; denn sie erschwert unnötigerweise die Entwicklung ökologisch günstiger, neuer Verpackungen. Das muss immer das Ziel einer modernen Umweltpolitik sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Anhörung hat ergeben, dass europarechtlich noch viele Fragen offen sind, zum Beispiel: Kann diese Verordnung überhaupt mit dem Binnenmarkt konform gehen? Die neuesten Äußerungen von Frau Wallström am vorgestrigen Tage im Europaparlament deuten darauf hin, dass die ganze Angelegenheit für die EU noch nicht erledigt ist.

   In der Beratung des Umweltausschusses ist die Frage aufgeworfen worden, ob ein zentraler Begriff dieser Verordnung, die „ökologische Vorteilhaftigkeit“, überhaupt ein Begriff ist, der weiteren Gerichtsverfahren in Deutschland standhalten wird. Von Sachverständigen ist die Frage aufgeworfen worden, ob unter dem Gesichtspunkt der Belastbarkeit dieser Verordnung nicht der Begriff „ökologisch gleichwertig“ sinnvoller ist. Warum haben wir nicht die Zeit, über solche Fragen hier im Plenum in Ruhe zu diskutieren?

   Es gab ja große Bedenken von Sachverständigen hinsichtlich der Frage, ob die jetzt bestehenden Einwegglassysteme tatsächlich kostengünstig fortgeführt werden können. Welche Auswirkungen hat Ihre Verpackungsverordnung auf Recyclingverfahren, auf mittelständische Strukturen in diesem Bereich? Das alles sind Punkte, die wir gerne erörtert hätten, die aber leider aufgrund der Hektik nicht ausdiskutiert werden konnten.

   Ein Sachverständiger hat gesagt, dass nun auch beim Mengenstromnachweis große bürokratische Verfahren entwickelt werden müssen. Er hat uns in der Anhörung dargelegt, welche bürokratischen Konsequenzen sich daraus entwickeln. All das, Herr Bollmann, wischen Sie heute mit einer Bewegung vom Tisch. Ich kann dazu nur sagen: Sie zeigen damit, dass Sie aufgrund der hektischen Beratung nicht zu den Kardinalproblemen dieser Verpackungsverordnung gekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Das ist undemokratisch!)

   Nun zu dem Hauptvorwurf - Sie haben ihn in der Tat korrekt beschrieben - in der politischen Diskussion der letzten Tage: Es geht um die Frage, ob eine Innovationsklausel eingeführt werden soll oder nicht. Ich will auf den politischen Kern der Auseinandersetzung zurückkommen. An der Frage, ob eine Innovationsklausel eingeführt werden soll oder nicht, kann man nämlich klar und deutlich den Unterschied zwischen rot-grüner und christlich-demokratischer Umweltpolitik erkennen. Wir wollen in der Umweltpolitik nicht nur kontrollieren, sondern wir wollen durch eine moderne Gestaltung des Umweltrechts Innovationen anregen und wollen an die Wirtschaft Signale senden, dass wir für die Einführung neuer Verpackungsmaterialien offen sind. Wir wollen damit deutlich machen, dass die Umweltpolitik Anreize setzen muss und dass sie nicht nur mit Verboten arbeiten darf.

   Sie setzen auf Kontrolle. Sie setzen beispielsweise auf langwierige Beratungen im Deutschen Bundestag über die Frage, ob eine neue Verpackung demokratisch legitimiert werden kann. Ich habe Verständnis dafür, dass das Legitimitätsgebot in vielen Bereichen unseres Verfassungsstaates einen hohen Rang hat. Aber dass dieses Legitimitätsgebot entscheidend dafür sein soll, ob eine neue Form der Kartonverpackung nun eingeführt werden soll oder nicht, erschließt sich mir unter keinen Umständen. Ich glaube, das gilt auch für die gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Haben Sie denn den Zeitplan des Beratungsverfahrens im Griff, wenn das UBA, wie Sie vorschlagen, nach sechs Monaten mit der ökologischen Bewertung fertig ist und wenn das BMU schätzungsweise in zwei Monaten seinen Stempel darunter setzt? Wie lange wollen Sie im Plenum über diese Fragen beraten? Wir haben doch über den Karton als Verpackung diskutiert. Die entsprechende Ökobilanz wurde schon im Jahr 2000 erstellt. Aber erst jetzt, im Jahr 2003, diskutieren wir darüber, ob diese Verpackungsform als ökologisch vorteilhaft anerkannt werden kann. Daran sieht man, dass es notwendig ist, eine Innovationsklausel einzuführen, die klare Verfahrensbestimmungen kennt und in der genaue Fristen enthalten sind. Das ist das Signal an die Wirtschaft, dass wir Anregungen für neue Schritte auf dem Gebiet der Umweltpolitik geben wollen. Das muss unser Ziel sein. Deswegen fordern wir Sie auf: Sagen Sie Ja zu einer Innovationsklausel im Rahmen der Beratungen über den Entwurf einer Verpackungsverordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist in den Beratungen des Ausschusses immer wieder angedeutet worden - dass will ich zum Schluss klar sagen -, dass wir Einvernehmen erzielt haben. Sie behaupten jetzt aber - das war ein Diskussionspunkt -, dass die Union von diesem Einvernehmen abrücken will. Ich sage deutlich - Herr Minister, Sie nicken -: Von dieser Regelung will bei der Union niemand abrücken.

   Ich habe eine Presseerklärung des baden-württembergischen Umweltministers vorliegen, die direkt nach dem Gespräch am 16. Februar veröffentlicht wurde. In dieser Presseerklärung vom 17. Februar heißt es unter der Überschrift „Öffnungsklausel für zukünftig ökologisch vorteilhafte Getränkeverpackungen“:

Dieses Anliegen ist den unionsregierten Ländern besonders wichtig, um umweltverträgliche Verpackungsinnovationen anzuregen und in einer vorhersehbaren Weise sie „als Belohnung“ aus der Pfandpflicht zu entlassen

   Niemand kann jetzt mehr behaupten, dass nicht schon im Februar dieses Thema Gegenstand der Erörterung war. Deshalb sage ich: Geben Sie sich einen Ruck! Kommen Sie unserer Forderung nach, diese Innovationsklausel einzuführen! Ich glaube, dann werden wir eine breite parlamentarische Mehrheit für einen solchen Novellierungsentwurf bekommen.

   Heute muss ich leider sagen, dass wir diesen Entwurf nur ablehnen können, weil ein zentraler Punkt unserer Forderungen nicht aufgegriffen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Sehr überzeugend!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Vogel-Sperl vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über wenige Themen ist in den vergangenen Jahren und Monaten so kontrovers und intensiv diskutiert worden wie über das Thema Dosenpfand. Auch in dieser Legislaturperiode haben wir uns bereits mehrfach im Plenum des Bundestages und im Umweltausschuss mit diesem Thema beschäftigt. Nach einer Meldung der „Zeit“ vom 18. Juni hat es kaum eine Frage - abgesehen von der Auseinandersetzung über die Agenda 2010 - so oft in die Schlagzeilen geschafft wie die Diskussion um die Dose.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich habe aufmerksam zugehört und muss feststellen: Durch ständiges Wiederholen werden Ihre Argumente weder besser noch richtiger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Tanja Gönner (CDU/CSU): Ihre aber auch nicht!)

Ich frage mich zudem, ob wir am Mittwoch auf der gleichen Veranstaltung waren.

(Tanja Gönner (CDU/CSU): Das fragen wir uns allerdings auch!)

Die Anhörung im Umweltausschuss am Mittwoch hat gezeigt: Das Pfand auf Einwegverpackungen ist ein verhältnismäßiges, praktikables und ökologisch sinnvolles Instrument, um den Mehrweg nachhaltig zu stärken. Damit trägt das Pfand dem im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz verankerten Grundsatz Rechnung, Abfall zu vermeiden. Dies wird vom Umweltbundesamt bestätigt. Mehr noch: Von Herrn Professor Dr. Troge wurde bei der Anhörung weiter ausgeführt, dass die Pfandregelung im Vergleich zu einem Lizenzmodell oder einer Abgabenlösung das geeignetste und verhältnismäßigste Mittel sei, um Mehrweg zu schützen. Außerdem ist das Pfand ein geeignetes Mittel, Verpackungen zurückzunehmen und einem anspruchsvollen Recycling zuzuführen.

   Es wird immer wieder behauptet, das Pfand führe zu einem Abbau von Arbeitsplätzen. Wenn ich mir die Pressemeldungen der vergangenen Tage anschaue, ergibt sich für mich ein anderes Bild. So war im „General-Anzeiger“ vom 26. Juni zu lesen, dass eine Großbrauerei wie Becks trotz des Dosenpfandes beim Umsatz zulegen konnte. Der Konzern Thyssen-Krupp Stahl investiert nach Meldung der „Westfälischen Rundschau“ vom 27. Juni sogar 100 Millionen Euro in die Weißblechherstellung für Getränkedosen in Andernach.

   Meine Damen und Herren, die Anhörung hat gezeigt: Die Pfandpflicht ist eine Maßnahme, die Arbeitslätze sichert und neue schafft,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Tanja Gönner (CDU/CSU): Und „Brau und Brunnen“ schließt Brauereien!)

Arbeitsplätze im arbeitsintensiven Mehrwegbereich, Arbeitsplätze bei den mittelständischen Unternehmen, die sich auf die Vorgaben der Politik verlassen und auf Mehrweg gesetzt haben.

   Im Bereich der mittelständischen Getränke- und Brauereibetriebe sind seit der Einführung des Pfandes ca. 10 000 neue Arbeitsplätze entstanden

(Tanja Gönner (CDU/CSU): Es gibt keine Zahlen, die das belegen!)

und damit vor allem regionale Kreisläufe gestärkt worden.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, mit Ihrem immer wieder vorgetragenen Argument, das Pfand vernichte Arbeitsplätze, ignorieren Sie den Mittelstand und seine Bedeutung für unsere Wirtschaft. Sie lassen sich vor den Karren der Einweglobby spannen, die sich ohne eine nachhaltige Ausrichtung nur an kurzfristigen ökonomischen Zielen orientiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Novelle macht die Pfandpflicht für die Verbraucher verständlicher und gibt der Wirtschaft Rechts- und Investitionssicherheit.

(Tanja Gönner (CDU/CSU): Genau! Europarecht lässt grüßen!)

Die Pfandpflicht wird zukünftig nicht mehr von Quoten abhängig sein. Hersteller, Abfüller und Vertreiber werden wissen, welche Verpackungen auch mittel- und langfristig pfandpflichtig sind, ohne kohlensäurehaltige und kohlensäurefreie Getränke unterscheiden zu müssen.

   Das Ziel der Verordnung, den Mehrweganteil über 72 Prozent zu halten und damit Abfälle zu vermeiden, wird seit 1997 eben nicht mehr erreicht. Ohne das Pfand würde Mehrweg genauso endgültig aus den Regalen verschwinden wie in den Nachbarländern, die kein Einwegpfand haben. Dem wirkt die Einführung des Pfandes - zur Überraschung seiner Kritiker - ganz entschieden entgegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Zur Förderung von Innovationen bedarf es auch keiner so genannten Innovationsklausel. Sie ist rechtlich auf der Grundlage des bestehenden Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nicht möglich, sie ist politisch nicht akzeptabel und sie ist auch nicht notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Eine Entscheidung durch den Verordnungsgeber mit Beteiligung des Parlaments ist erforderlich, weil die Entscheidung über die Pfandpflicht für eine Verpackungsart von erheblicher Tragweite ist und eine solche Entscheidung nicht an Experten delegiert werden darf. Eine Ökobilanz ist nun einmal keine schlichte Rechenaufgabe. Der Beurteilung einer Ökobilanz müssen notwendigerweise politische Wertungen zugrunde gelegt werden. Dies wurde auch von, ich betone: allen Sachverständigen bei der Anhörung des Umweltausschusses bestätigt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Da gibt es auch keine Bedenken! - Tanja Gönner (CDU/CSU): Legen Sie was vor!)

   Einen Ökobilanzautomatismus kann es deshalb nicht geben. Vielmehr müssen bei politischen Entscheidungen über die Pfandpflicht von Verpackungen auch weitere Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden. Mit einem Automatismus würden wir als Fachpolitiker uns selbst die Fähigkeit absprechen, eine solche Entscheidung verantwortungsvoll zu treffen.

   Eine Innovationsklausel ist ohnehin nicht notwendig, weil eine Anpassung an neue Erkenntnisse durch eine Verordnungsänderung durchaus kurzfristig möglich ist. Dies ist von Herrn Professor Dr. Troge bei der Anhörung ausdrücklich bestätigt worden. Mir stellt sich zudem die Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Wenn Sie so für Innovationen sind, warum haben Sie dann eigentlich 2001 unserem Gesetzentwurf nicht zugestimmt?

(Tanja Gönner (CDU/CSU): Da gab es sie auch nicht! Hätte es sie gegeben, hätten wir ja eine Formulierung!)

Hinsichtlich Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Pfand in Höhe von 25 Cent begrüße ich, dass die 25 Cent immerhin schon akzeptiert werden. Aber das nach Volumen differenzierte Pfand hat der damalige Umweltminister Klaus Töpfer aus gutem Grund vorgesehen. Das Pfand soll schließlich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis des gesamten Gebindes stehen. Die zwei Pfandsätze sind außerdem in der Handhabung unproblematisch, genauso wie die unterschiedlichen Pfandhöhen beim Mehrweg.

   Dies gilt im Übrigen auch für die Rücknahme von Partyfässern. Wir haben heute früh in der Ausschusssitzung von Herrn Professor Troge gehört, dass außerdem der Materialeinsatz für diese Fässer deutlich höher ist, als wenn die gleiche Menge in Dosen abgefüllt würde. Eine ökologische Rechtfertigung für eine „Lex Partyfass“ gibt es also nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Werner Wittlich (CDU/CSU): Natürlich gibt es die!)

   Nach Schätzungen der Verbraucherzentralen verbleiben durch nicht zurückgegebene Einwegverpackungen derzeit monatlich circa 80 Millionen Euro beim Handel. Hinzu kommen zusätzlich noch einmal circa 330 Millionen Euro an eingesparten Lizenzgebühren, die nicht an das DSD entrichtet werden müssen. Die Finanzierung eines einheitlichen Rücknahmesystems ist also entgegen allen Behauptungen keine außergewöhnliche Belastung für Handel und Industrie. Auch dies ist ein Ergebnis unserer Anhörung in Umweltausschuss.

   Lassen Sie mich zum Schluss eine Bemerkung machen, die über die Diskussion um das Pfand hinausgeht. Mit ihrem Wortbruch haben Teile von Handel und Getränkeindustrie einen Schaden angerichtet, der weit über den Tag hinaus reichen wird. Denn das Ansehen eines wichtigen Instruments der Umweltpolitik, nämlich das der freiwilligen Selbstverpflichtung, ist dadurch von der Wirtschaft selbst erheblich beschädigt worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich fordere Sie auf, Ihre Zustimmung zu der Novelle nicht zu verweigern, damit wir das Thema Verpackungsrechtsnovelle im Sinne einer nachhaltigen Wirtschafts-, Verbraucher- und Umweltpolitik endlich abschließen können.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Thema Zwangspfand haben wir schon vielfach diskutiert. Dabei ist klar geworden, dass wir eine umfassende Novelle der Verpackungsverordnung brauchen. Diese kleine Novelle, die heute hier vorgelegt worden ist, ist nichts anderes als Flickschusterei.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Der Zeitablauf bei diesem Vorhaben zeigt, Herr Minister Trittin, mit welcher Arroganz Sie mit dem Parlament umgehen: Im Februar haben Sie bestimmte Verabredungen getroffen. Sie haben sich dann vier Monate Zeit gelassen, um die Verordnung in den Deutschen Bundestag einzubringen. Anschließend wird der Deutsche Bundestag gezwungen, diese Verordnung innerhalb von anderthalb Wochen im Schweinsgalopp durch das Parlament zu peitschen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das, Herr Trittin, ist die Arroganz der Macht.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ich verstehe nicht, warum Sie sich von Minister Trittin so missbrauchen lassen. Bei Ihnen besteht genauso wie bei uns noch Beratungsbedarf. Ich kann nicht verstehen, wie man so vorgehen kann: Es wird eine Anhörung angesetzt und obwohl dort mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden, schließt man das Ganze anschließend ab. Obwohl die Verordnung im Ausschuss nicht mehr vernünftig beraten wird, bringt man sie hier ein. Es wird mehr und mehr zu einem peinlichen rot-grünen Marionettentheater.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ulrich Kelber (SPD): Inhalte!)

   Ich will Ihnen einige zentrale Punkte nennen. Zunächst zur Frage des Rücknahmesystems. Hier soll es so genannte Insellösungen geben. Diese sind europarechtlich aber höchst fragwürdig.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Die EU-Kommission hat in ihrem Schreiben an das BMU kürzlich klar gemacht, dass ein nicht bundesweites Rücknahmesystem wettbewerbsrechtliche Fragen aufwirft und nicht akzeptabel sei.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Genauso ist es!)

Diese Grundsatzeinwände gelten nicht nur für die Übergangslösung. Das hat auch die Anhörung deutlich gemacht. Deswegen sage ich Ihnen: Das Zwangspfand wird europarechtlich keinen Bestand haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   In der Diskussion wird angeführt, dass es einen Trend zum Mehrweg gebe. Das ist im Moment sicherlich richtig. Aber klar ist auch, dass dieser Trend einzig und allein aus dem aktuellen Rücknahmechaos resultiert.

(Ulrich Heinrich (FDP): So ist es!)

Wenn Rücknahmesysteme erst einmal etabliert sind, dann wird sich dieser Trend umkehren. Dann werden sich die großen Handelsketten für ein System entscheiden, und zwar für das, das sie einfacher handhaben können. Wenn erst einmal Rücknahmeautomaten aufgestellt sind, dann müssen sie sich auch rentieren, weil sie Geld gekostet haben. Dann werden sie das Mehrwegsystem dauerhaft gefährden. Deswegen ist diese Novelle ökologischer und ökonomischer Unsinn.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber (SPD): Jetzt haben Sie es uns aber gegeben!)

   Wir haben zwischenzeitlich auch eine parteiübergreifende Einigung darüber erzielt, dass die Trennlinie nicht mehr zwischen Einweg und Mehrweg verläuft, sondern aufgrund aktueller Ökobilanzen, neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Entwicklungen zwischen ökologisch sinnvollen und ökologisch nicht sinnvollen Verpackungen. Wenn das allerdings so ist, dann frage ich mich, warum Sie in dieser Novelle nach wie vor nicht nur eine Quote ökologisch sinnvoller Verpackungen, sondern auch noch zusätzlich eine Mehrwegquote erheben wollen, obwohl sich daran keine Rechtsfolge knüpft. Das, meine Damen und Herren von Rot-Grün, ist bürokratischer Wahnsinn.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Das Zwangspfand ist unsozial. Wenn Sie immer von Nachhaltigkeit reden, dann sollten Sie sich die Dinge klar anschauen. Die Kollegin von den Grünen hat gerade von Arbeitsplätzen gesprochen. Ich empfehle dringend, dass man beim Mehrweg nicht nur auf die eine Seite schaut, sondern dass man auch auf die andere Seite schaut. Wenn man das tut - das haben wir in der Anhörung getan -, dann wird man merken - das haben uns die Sachverständigen bestätigt -, dass es netto zu einem Arbeitsplatzverlust in Deutschland kommt. Deswegen ist das, was Sie machen, unsozial.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrike Mehl (SPD): Das stimmt nicht! Ich weiß nicht, bei welcher Anhörung sie waren!)

   Sie haben ja bereits die Rede des Kollegen Paziorek gehört, der völlig zu Recht etwas zur Innovationsklausel gesagt hat. Diese neue Zwangspfandregelung ist innovationsfeindlich. Er hat das alles erklärt. Ich sage Ihnen klar: So schafft man keine Investitionssicherheit und schon gar nicht, wenn man weiß, dass das Ganze am 1. Oktober 2003 umgesetzt sein soll, der Bundesrat sich aber erst am 26. September 2003, also vier Tage vorher, damit beschäftigen kann. Das hat doch mit Investitionssicherheit nichts, aber auch gar nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wieder diese Hektik!)

   Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Das Risiko irreversibler ökologischer, ökonomischer und sozialer Fehlsteuerungen ist zu groß. Die FDP hat Ihnen mit den Abfülllizenzen eine Alternative vorgelegt. Ich fordere Sie, Herr Trittin, auf: Nutzen Sie Ihre Chance! Setzen Sie dieses Zwangspfand aus und machen Sie mit uns gemeinsam eine ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvolle und verträgliche Regelung!

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ulrike Mehl (SPD): Wer hat denn diese Regelung erfunden, Frau Kollegin?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Michael Müller von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Michael Müller (Düsseldorf) (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte über das Töpfer-Pfand von Anfang an verfolgt hat - ich war seit Ende der 80er-Jahre immer dabei -, dann kann man nur zu folgendem Ergebnis kommen: Immer wenn es darum ging, einen wichtigen Gedanken umzusetzen - in diesem Fall war es der Gedanke der Stoffwirtschaft, der dahinter stand -, dann haben Sie verwässert, verzögert und verhindert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)

Immer wieder war es die gleiche Geschichte; ich meine jetzt niemanden persönlich, aber es war Ihre Fraktion.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Deswegen machen Sie jetzt Ihre Novelle!)

   Die große Idee - wir haben damals in einer Enquete-Kommission und vielen anderen Gremien darüber diskutiert - war die Verbindung von Ökonomie und Ökologie über die stoffliche Seite. Das war die Idee von Klaus Töpfer. Er hat sich schon damals nicht durchsetzen können, weil die FDP - sprich der Handel - dagegen war.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, das war eine Frage des Systems!)

Der ursprüngliche Ansatz ist nicht durchgekommen. Danach haben Sie ein anderes Modell entwickelt.

   Ich kann das übrigens auch deshalb sagen, weil ich viele Kritikpunkte, die Sie heute vorbringen, damals vorgebracht habe. Wir sind damals in einer Weise von Ihnen kritisiert worden, die unerträglich war. Ich will Ihnen das heute noch einmal sagen; Sie können das in den alten Protokollen nachlesen. Jetzt stellen Sie sich hier mit einer Chuzpe hin, als ob die Verpackungsverordnung, die heute vorliegt, keine Vorgeschichte hätte, die Sie zu verantworten haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist das denn überhaupt für eine Logik, wenn sich die Brandstifter auf einmal sozusagen als Feuerwehrleute aufspielen? Das ist doch die Wahrheit in dieser Sache.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Jetzt brennt bei Ihnen was durch! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen die gesamte Geschichte sehen!)

Wenn es darum ging, bei der Verpackungsverordnung Verbesserungen zu erreichen, haben Sie immer wieder Argumente dafür gefunden, diese Verbesserungen nicht zuzulassen. Das war die ganze Geschichte der Verpackungsordnung.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Sie sind am Ende völlig durchgeknallt!)

- Im Gegensatz zu Ihnen war ich immer dabei. Weil es aus meiner Sicht um eine ganz wichtige Frage geht, würde ich an Ihrer Stelle ein wenig mehr Selbstkritik üben. Das würde Sie glaubwürdiger machen.

   Lieber Herr Paziorek, das was Frau Merkel hier gesagt hat, hatte mit der Innovationsklausel, über die wir durchaus reden können,

(Tanja Gönner [CDU/CSU]: Aha!)

nichts zu tun.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber natürlich!)

- Entschuldigung, aber Sie hören anscheinend nicht zu.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Doch, immer!)

Es geht um die Frage, ob man eine automatische Innovationsklausel einführt oder ob man die Innovationsförderung auf einem anderen Weg betreibt.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Darüber müssen wir uns jetzt unterhalten! - Tanja Gönner [CDU/CSU]: Eben, Sie haben aber nichts vorgelegt!)

Das ist ein politischer Unterschied. Sie machen daraus aber einen Streit und sagen, dass wir auf diesem Feld gegen Innovationen sind. Um es einmal klar zu sagen: Davon hat hier niemand geredet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Tanja Gönner [CDU/CSU]: Haben Sie etwas vorgelegt oder haben Sie nicht?)

Ich habe den Eindruck, dass Sie hier nicht ganz sauber sind.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: In der Argumentation, meinen Sie!)

   Ich erinnere an die Kritik von Frau Merkel in der gestrigen Debatte. Sie hatte überhaupt nichts mit der Innovationsklausel zu tun. Es war stattdessen ein reines Lächerlichmachen des Instruments der Verpackungsverordnung und ihrer eigenen Arbeit als Umweltministerin. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein! - Tanja Gönner [CDU/CSU]: Sie hat nicht von dieser Verpackungsverordnung gesprochen!)

   Ich sage das aber auch aus einem anderen Grund, weil es in dieser Diskussion aus meiner Sicht zwei zentrale Punkte gibt, die wir gemeinsam nicht hinnehmen können:

   Erster Punkt. Als die Verpackungsverordnung entstanden ist, hat eine große Mehrheit der Bevölkerung Umweltpolitik mit Abfallpolitik gleichgesetzt. Abfallpolitik war in jener Zeit mit großem Abstand das Thema Nummer eins in der Umweltpolitik. Weil es nicht nur um die Abfallpolitik, sondern auch um das ökologische Selbstverständnis unserer Politik geht, müssen wir jetzt ein gemeinsames Interesse haben. Wir können es nicht zulassen, dass die Abfallpolitik lächerlich gemacht wird. So wie die Diskussion im Augenblick von Ihnen geführt wird, kann man sie nicht mehr als ernsthaft bezeichnen. Es handelt sich um den Versuch, ein Instrument lächerlich zu machen. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme zum zweiten Punkt, der weit über diese Diskussion hinausgeht: Anfang der 90er-Jahre ist die Quote nach intensiven Verhandlungen mit der Wirtschaft und dem Handel festgelegt worden. Viele von denen waren bei mir und haben gesagt: Diese Quote ist in Ordnung, das machen wir mit. - Sofort als die Quote 1997 unterschritten wurde, hat die Wirtschaft alles getan, um das Gesetz dann doch nicht in Kraft treten zu lassen.

   Wer dieser Strategie der Wirtschaft durch sein eigenes Verhalten auch noch Vorschub leistet, der macht jede Möglichkeit einer seriösen Absprache kaputt. Das können wir nicht wollen. Wenn wir uns bei einer Sache anfänglich auf ein Konsensprinzip einigen - wie gesagt, das Ganze geschah damals zunächst gegen unseren Widerstand -, dann muss das Konsensprinzip auch gelten, wenn es ernst wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Tanja Gönner [CDU/CSU]: Dann müssen doch auch Vorschläge gemacht werden, Herr Müller!)

Dann darf nicht so getrickst werden, wie es jetzt getan wird.

   Ich sage das übrigens auch in Ihrem Interesse. Nehmen Sie an, Sie würden jetzt die Regierung stellen und Ihr Partner würde ein Gesetz, das gemeinsam verabschiedet wurde, derart infrage stellen. Dann müssten auch Sie das mit aller Macht kritisieren. Das tun Sie leider nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Doch! Wir haben immer gesagt, dass Gesetze eingehalten werden müssen!)

- Ja, vielleicht im zehnten oder zwölften Nebensatz. Ich habe aber keine klare Ansage von Ihnen gehört, in der dieses Verhalten des Handels und der Wirtschaft massiv kritisiert worden ist. Wir müssen es aber aus Gründen der Glaubwürdigkeit unserer Umweltpolitik kritisieren.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Natürlich müssen Gesetze eingehalten werden!)

   Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Innovationsklausel sagen: Bei der Innovationspolitik geht es eben nicht nur um eine technische Frage. In der ganzen Diskussion über die Abfallpolitik haben wir nicht nur die Seite der Wirtschaft zu sehen, sondern wir müssen auch das Bewusstsein, das Handeln und die Motive der Menschen berücksichtigen, die sich engagieren. Mit der Behauptung von Innovationen, die zum Teil auf diesem Gebiet zustande kamen, wurde auch Schindluder getrieben; das war so. Zum Teil wurden Dinge als ökologisch bezeichnet, die das nicht waren.

   Deshalb bleibt es dabei - das entspricht übrigens meinem Selbstverständnis -: In einer solch wichtigen Frage muss das Parlament natürlich ein Mitspracherecht haben. Wieso auch nicht? Technik ist nicht wertneutrale, sie ist politisch zu bewerten.

   Wir haben eine große Bitte: Bei allen Unterschieden, die wir haben, sollten Sie das Instrument offensiv verteidigen und zeigen, dass es ein Teil der gemeinsamen Geschichte des Bundestages ist.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Natürlich! Habe ich ja gesagt!)

Instrumentalisieren Sie die Debatte bitte nicht mit offensichtlichen Stammtischparolen oder aufgrund einer populistischen Sucht nach der schnellen Überschrift!

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das habe ich doch nicht getan!)

Das hilft uns allen nicht, es schadet uns nur.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Werner Wittlich von der CDU/CSU-Fraktion.

Werner Wittlich (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Müller, die Verpackungsverordnung von Klaus Töpfer wird in den meisten Teilen ihrem Anspruch, Deponienotstand und Müllbergen - eine Entwicklung, die Sie kennen - entgegenzuwirken, gerecht. In dieser Hinsicht ist sie sehr erfolgreich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Einzige, was wir wollen, ist, die technischen Entwicklungen im innovativen Bereich dem Verbraucherverhalten ein Stück anzupassen. Ich denke, dies ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber.

Werden Minister dafür bezahlt, dass sie die Bürger vorsätzlich ärgern und schikanieren? Wenn dem so wäre, hätte Umweltminister Trittin

- „der grüne Pfand-Rambo“ -

eine Gehaltserhöhung verdient.
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nicht das schon wieder!)

So titelte die „Bild“-Zeitung am 4. Juni. Die Zustimmung in der Bevölkerung zum Dosenpfand ist drastisch eingebrochen. Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Bielefelder Marktforschungsinstituts Valid Research sprechen sich nur noch 52 Prozent der Befragten für das Pfand aus, 45 Prozent sind dagegen, 3 Prozent machen keine Angaben. Vor einem Jahr, also noch vor Pfandstart, waren noch 77 Prozent der Befragten für das Zwangspfand und 20 Prozent dagegen.

   Aus Sicht der Union stehen wir vor einer Reihe ungelöster Probleme: Handel und Wirtschaft wollen sich verständlicherweise nicht mit der bestehenden Rechtsunsicherheit abfinden. Für die meisten Einzelhändler, insbesondere für mittelständische Lebensmittelkaufleute und Kioske, ist der Einstieg in ein bundeseinheitliches Pfandsystem zum 1. Oktober unmöglich geworden. Wenn Herr Trittin hier mit Bußgeldern droht, müssten diese Händler den Verkauf von Einwegflaschen und Dosen ganz einstellen. Es stellt sich die Frage, ob dadurch aus der Pfandpflicht nicht ein indirektes Verbot für Einweg wird. Damit steht uns ein neuer Streit mit der EU-Kommission ins Haus. Um dies zu verschleiern, singt jetzt der Bundesumweltminister ein öffentliches Loblied auf die Discounter, die ganz auf Einweg setzen und ein eigenes Rücknahmesystem aufbauen. Es ist fraglich, ob und inwieweit diese Insellösungen mit dem Europarecht vereinbar sind. Im Übrigen sind 95 Prozent aller importierten Getränke in Einweg verpackt. Ich frage mich, Herr Minister Trittin: Wie wollen Sie diese Verpackungen in die Pfandpflicht einbeziehen?

   Viele mittelständische Betriebe, besonders Getränke- und Verpackungshersteller, sind in ihrer Existenz bedroht. Einige Brauereien haben bei Einwegverpackungen Rückgänge zwischen 60 und 70 Prozent zu verkraften. Dieser Einbruch wird nur zum Teil wieder im Mehrweggeschäft aufgefangen. Insgesamt ist der Bierabsatz in Deutschland in den ersten fünf Monaten um rund 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Seit Anfang dieses Jahres sind nachweisbar 3 500 Arbeitsplätze verloren gegangen. Langfristig drohen die Schließung von 2 000 Unternehmen, darunter vor allem Kioske, und der Verlust von weiteren 10 000 Arbeitsplätzen.

   Wir haben in den vergangenen Tagen eine selten da gewesene Missachtung des Parlamentes erleben können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Obwohl erst Ende August die Ergebnisse des von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Pflichtpfandes vorliegen, wurde die Verordnung noch vor der parlamentarischen Sommerpause durchgepeitscht. Wegen der gesetzlichen Fristen hatten die Gremien des Bundestages faktisch nur zwei Wochen für die gesamten Beratungen Zeit. Hierfür hagelte es sogar Kritik aus den Reihen der Regierungskoalition. Der Vorsitzende des Umweltausschusses hat in einem Brief an den Bundesumweltminister scharf kritisiert, dass wir als Parlament so sehr unter Druck gesetzt wurden.

Am Mittwoch wurden die Beratungen im Umweltausschuss nach nur 70 Minuten auf einen Geschäftsordnungsantrag der Grünen hin mit Zustimmung der SPD abgebrochen. Viele unserer inhaltlichen Fragen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantwortet, zum Beispiel die gesamte Ausgestaltung von Ökobilanzen. Auch hier wurden die Informationsrechte des Parlamentes und der Opposition wieder einmal mit Füßen getreten.

   Gerade die Grünen, die sich selbst immer als Partei für Demokratie und Minderheitenrechte bezeichnen, haben deutlich gemacht, dass es sich dabei meistens nur um Worthülsen handelt.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie die Kirche im Dorf!)

- Sie haben gerade Grund, Frau Kollegin Hustedt, etwas zu sagen. Es ist eine Zumutung, heute kurz vor Beginn der Debatte noch eine Ausschusssitzung anzusetzen, um diesen Mangel zu heilen.

   CDU und CSU halten die Einführung eines Pfandes auf Einweggetränkeverpackungen nach wie vor für grundsätzlich falsch. Da die Bundesregierung aber an den bestehenden Regelungen festhalten will, müssen wir sehen, wie wir das Beste aus der misslichen Situation machen. Es ist wichtig, die Auswirkungen für Verbraucher, Wirtschaft und Handel so erträglich wie möglich zu gestalten.

   Deshalb haben wir folgende vier Forderungen formuliert, an denen wir festhalten werden:

   Erstens. Für Milchverpackungen muss ein Ausnahmetatbestand geschaffen werden. Diese Forderung wurde zum Glück inzwischen in die Novelle aufgenommen.

   Zweitens. Verpackungen ab 3 Liter dürfen nicht in die Pfandpflicht einbezogen werden.

   Drittens. Wir fordern ein einheitliches Pfand von 25 Cent.

   Viertens. Es muss eine Innovationsklausel geschaffen werden, in der die Voraussetzungen verbindlich festgelegt werden, unter denen die Freistellung von der Pfandpflicht gewährt werden soll. Die Anhörung am vergangenen Mittwoch hat gezeigt, dass die vorgelegte Novelle beim Kriterium „ökologische Vorteilhaftigkeit“ viel zu starr und unflexibel ist. Durch immer mehr technische Neuerungen und Innovationen erhöht sich der Anpassungsdruck. Die Innovationsklausel erlaubt es, ökologisch vorteilhafte Verpackungen in einem zügigen Prüfverfahren von der Pfandpflicht freizustellen.

   Die CDU/CSU-Fraktion bekennt sich eindeutig zum Schutz des Mehrweges.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Die jetzige Regelung ist aber eine Provokation für den Verbraucher, weil sie ihn zur Kasse bittet, für die Getränkehersteller, weil sie deren Absatz reduziert, und für den Handel, weil sie ihm unnötige Kosten aufbürdet. Wir tragen nur eine Novelle der Verpackungsverordnung mit, die verbraucherfreundlich ist, die Rechtssicherheit schafft und die Förderung ökologisch vorteilhafter Verpackungen klar und zukunftsweisend regelt. Wir fordern deshalb eine Novelle der Verpackungsverordnung, die unseren Anforderungen Rechnung trägt.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die dritte Variante einer CDU/CSU-Position! - Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zum Thema Minderheitenschutz!)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die unendliche Geschichte der Verpackungsverordnung geht in eine neue Phase. Die nächste Phase wird Ende September dieses Jahres sein. Dann werden wir sehen, was von dem, was heute vorliegt, noch übrig bleibt.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau!)

   Das Hauptproblem bei der ganzen Frage besteht für meine Begriffe darin, dass landauf, landab so getan wird, als wären Mehrwegverpackungen per se ökologisch günstiger als Einwegverpackungen. In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass die Verpackungsverordnung von 1991 von einem Mengenziel in Höhe von 72 Prozent ausgegangen ist. Wir müssen uns darüber klar sein, dass das ein Mengenziel ist und kein ökologisches Ziel. Daraus entwickeln wir unsere Forderung nach der Innovationsklausel.

   Diese Innovationsklausel hat natürlich ihren Sinn. Denn von 1991 bis heute haben sich die technischen Voraussetzungen in der Verpackungswirtschaft deutlich verändert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das sollten Sie, Herr Müller, zur Kenntnis nehmen, wenn Sie über diese Dinge sprechen.

   Im Übrigen, Herr Müller, Sie reden über Kreislaufwirtschaft und geschlossene Stoffströme usw. Wer hat denn die Kreislaufwirtschaft eingeführt? Es war eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung, die diese Dinge eingeführt hat, und nicht eine SPD-geführte Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

Ihre Äußerungen, Herr Müller, haben uns deutlich vor Augen geführt, dass Sie persönlich - wie auch der größte Teil der SPD-Fraktion - in Ihrer Denkweise der Entwicklung um zehn Jahre hinterherhinken.

(Lachen bei der SPD - Ulrike Mehl [SPD]: Ausgerechnet Sie müssen das sagen!)

   Ihrer Äußerung, das Unterschreiten der Quote habe das In-Kraft-Treten des Gesetzes verhindert, ist die Frage entgegenzuhalten, warum die Quote nicht eingehalten wurde. Sie wurde nämlich auch deswegen nicht eingehalten, weil sich die technischen Voraussetzungen für die Verpackungsherstellung in diesen zehn Jahren deutlich verändert haben.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber Herr Obermeier, das ist doch horrender Unsinn!)

- Wenn man sich ein bisschen mit dieser Materie befasst, dann bekommt man das mit. Wenn man sich mit diesem Thema befasst, erkennt man, dass das Mehrwegsystem durchaus sinnvoll ist

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber darum ging es doch gar nicht! Es ging um die Dosenflut!)

und dass in bestimmten Fällen den technischen Innovationen Rechnung getragen werden muss.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Na klar!)

   Deswegen fordern wir eine Innovationsklausel,

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Dosenflut!)

die rechtlich verlässlich ist, bestimmte Kriterien beinhaltet und Bewertungsverfahren sowie die Intervalle, in denen die ökologische Überprüfung erfolgt, festlegt.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau!)

Solche Regelungen erwarten wir von der Verpackungsverordnung. Dann können Sie sich unserer Zustimmung sicher sein. Denn auch wir stehen im Prinzip zur Mehrwegverpackung.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Aber wenn es darauf ankommt?)

   Ich möchte noch auf die volkswirtschaftlichen Aspekte dieses Themas eingehen. Es gibt in Deutschland ein funktionierendes Verpackungsrücknahmesystem. In keinem anderen Land werden so viele Verpackungsgegenstände wieder eingesammelt und in den Stoffkreislauf zurückgeführt.

   Mit der vorgesehenen Novelle der Verpackungsverordnung würde ein Parallelsystem eingeführt. Darüber müssen wir uns alle im Klaren sein. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern auch mitteilen, dass die Einführung eines solchen Parallelsystems mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.

(Ulrich Kelber [SPD]: Ihre Redezeit ist um!)

   Auch was das Parallelsystem angeht, haben wir bereits technische Erfahrungen gesammelt. Der Stand der Technik hat sich in den zurückliegenden Jahren auch in diesem Bereich deutlich verändert.

   Ich fordere Sie in diesem Sinne auf: Schließen Sie sich der Innovationsklausel an!

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Legen Sie uns einen Vorschlag vor, mit dem wir uns beschäftigen können! Wir sind für Ihre Vorschläge offen. Möglicherweise bekommt dann die Novelle der Verpackungsverordnung dank der CDU/CSU einen guten Anstrich.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich dem Kollegen Josef Göppel das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.

Josef Göppel (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu der Abstimmung folgende Erklärung abgeben: Ich bin grundsätzlich für die Verordnung. Schon im Bayerischen Landtag bin ich für die Pfandregelungen eingetreten, was dann auch zu einem entsprechenden Beschluss geführt hat. An der Aktion „Dosenfreie Zone“ haben sich zahlreiche CSU-Politiker - darunter auch ich - beteiligt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

- Warten Sie, bevor Sie so applaudieren! Meine heutige Gegenstimme bezieht sich auf die fehlende Präzisierung des Verfahrens und der Inhalte,

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es !)

inwiefern - unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit in diesem Hause - neue Verpackungen als ökologisch vorteilhaft eingestuft werden können.

(Horst Kubatschka [SPD]: Herr Göppel, das ist doch an den Haaren herbeigezogen! - Gegenruf des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Herr Kubatschka, hören Sie doch bis zum Ende zu!)

   Ich rate dazu, in den nun folgenden Beratungen im Bundesrat auf diese Vorschläge einzugehen, damit ein konstruktives Ergebnis erzielt werden kann. Dann wird eine Lösung zustande kommen, die von einer breiten Mehrheit getragen wird. Die Messlatte dafür muss die jeweils günstigste Mehrwegverpackung sein. Dann wird es auch niemand mehr verhindern können, dass die Verpackungen endlich überall in einem landesweiten Rücknahmesystem zurückgegeben werden können. Diese von einer breiten Mehrheit getragene Lösung ist mein Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ulrich Keller [SPD]: Dann müssen Sie sich aber wenigstens enthalten!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/1343 zu der Dritten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 15/1179 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/729 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/315 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 57. Sitzung - wird am,
Montag, den 7. Juli 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15057
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