Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > INFORMATIONS-CENTER > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   66. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Zunächst gratuliere ich dem Kollegen Walter Riester, der am 27. September seinen 60. Geburtstag beging, im Namen des Hauses nachträglich recht herzlich.

(Beifall)

   Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass die Kollegin Helga Kühn-Mengel als stellvertretendes Mitglied aus dem Vermittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Klaus Brandner vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Brandner als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuss bestimmt.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU

Haltung der Bundesregierung zum Eingeständnis des Bundesfinanzministers, dass er 2003 für den Bund mit über 40 Milliarden Euro die höchsten Schulden in der Geschichte der Bundesrepublik aufnehmen wird

ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu Tagesordnungspunkt 26)

a) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002 und 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

- Drucksache 15/1700 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (FDP)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Sicherheit von technischen Arbeitsmitteln und Verbraucherprodukten

- Drucksache 15/1620 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Januar 2003 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sonderverwaltungsregion Hongkong der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Schifffahrtsunternehmen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen

- Drucksache 15/1644 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Den Weg für Investitionen und Innovationen durch den Abbau bürokratischer Hemmnisse freimachen

- Drucksache 15/1707 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

- Drucksache 15/1687 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Transparenz für den Hauptstadtkulturfonds

- Drucksache 15/1708 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Tourismus

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Des Weiteren ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 7 b - es handelt sich um die Beratung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion „Klinische Prüfung in Deutschland entbürokratisieren“ - heute als letzten Punkt der Tagesordnung aufzurufen.

   Die Tagesordnungspunkte 13 - Entschädigungsrechtsänderungsgesetz -, 17 - ERP-Wirtschaftsplangesetz 2004 - und 25 - Gesetz zur Förderung Schwerbehinderter - sollen abgesetzt werden.

   Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 63. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung zur Mitberatung überwiesen werden:

Gesetzentwurf der Bundesregierudng zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz - JuMoG)

- Drucksache 15/1508 -

überwiesen:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP

Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung

- Drucksache 15/1685 -

   Es liegt ein Änderungsantrag der fraktionslosen Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Reden der Präsidenten des Deutschen Bundestages und des Bundesrates zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Das Wort hat zunächst der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über den Konsens zwischen Bundestag und Bundesrat und zwischen den Fraktionen dieses Hauses, heute hier im Bundestag und morgen im Bundesrat eine gemeinsame Kommission mit der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu beauftragen. Ich möchte dazu ermuntern und ermutigen, im Sinne dieses gemeinsamen Problembewusstseins, das im Einsetzungsantrag zum Ausdruck kommt, auch gemeinsame Wege zur Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern einzuschlagen, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Europäische Union.

   Über Länder- und Parteigrenzen hinweg hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass das föderale Gleichgewicht neu justiert werden muss. Ich halte es nicht für eine Übertreibung, wenn in der medialen Kommentierung davon die Rede ist, dass diese Kommission wahrlich eine Herkulesaufgabe vor sich habe. Wir wissen doch: Je größer die Aufgabe, desto größer auch die öffentlichen Erwartungen und umso größer die Gefahr eines Scheiterns. Ein häufig gebrauchtes Bild ist hier durchaus angebracht: Es darf für diese Kommission nicht gelten, dass der Berg kreißt, um schließlich ein Mäuslein zu gebären.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich will die Schwierigkeiten zu Beginn dieser Debatte benennen. Sie liegen zum einen in der Sache selbst. Unsere bundesstaatliche Ordnung, die im Kommissionsauftrag richtigerweise in den Mittelpunkt gerückt wird, ist in eine bedrohliche Schieflage geraten. So leicht uns nämlich der Begriff der parlamentarischen Demokratie für unsere Verfassungsordnung über die Lippen geht, so offensichtlich ist zugleich doch geworden, dass sich der Gesetzgebungsprozess auf vielfältige Weise in die Strukturen eines Beteiligungsföderalismus verlagert hat. Wir haben nicht mehr und nicht weniger als die Aufgabe vor uns, an der Wiederherstellung eines transparenten parlamentarischen Entscheidungssystems mit klaren Verantwortlichkeiten zu arbeiten, also an einer im eigentlichen Sinne klassischen Demokratie- und Staatsreform.

   Sie alle kennen die Zahlen, mit denen dieser Missstand seit Monaten illustriert wird: Bis etwa 1970 waren 30 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig. Heute ist die Zahl der Gesetze, bei denen die Zustimmung des Bundesrates zwingend erforderlich ist, auf gut 60 Prozent gestiegen. Allerdings sollten wir uns davor hüten, die Verantwortung dafür auf die Länderseite, auf den Bundesrat, zu schieben. Wir, der Deutsche Bundestag, der Gesetzgeber, sind selbst für eine Entwicklung verantwortlich, in der der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung immer mehr Kompetenzen mit einer Regelungsdichte bis in die kleinsten Verästelungen hinein an sich gezogen hat.

   Wir sind die Hauptverantwortlichen für das, was unsere Verfassung seit einiger Zeit „Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern“ nennt - ein Konstrukt, das unseren Verfassungsmüttern und Verfassungsvätern fremd war, das uns heute aber mehr Schwierigkeiten als Freude bereitet.

(Jörg van Essen (FDP): Sehr richtig!)

Denn dahinter verbergen sich Intransparenz und Unklarheit in Sachen Verantwortlichkeit, insbesondere die der verwirrenden Finanzierungs- und Besteuerungsstrukturen.

   Die Herausforderungen für die einzusetzende Kommission werden nicht kleiner, wenn wir sie mit dem großartigen Projekt einer europäischen Verfassung zusammendenken. Dennoch plädiere ich dafür, dass wir uns dieser Aufgabe nicht kleinlich und beckmesserisch, sondern mit Freude und dem Bewusstsein widmen, welche großen Chancen darin liegen. Wer von uns hätte vor 15 Jahren davon zu träumen gewagt, dass wir in den Jahren 2003/2004 ganz praktisch über Zuständigkeitsfragen eines europäischen Unionsprojektes verhandeln und streiten, das nicht mehr nur von Rom bis Stockholm, sondern auch von Lissabon bis Tallinn reicht?

   Wer diesen einzigartigen Vorgang richtig bewerten und einordnen will, der wird nicht umhinkommen, nach kleineren historischen Vergleichsprojekten zu suchen. Was wir dabei feststellen können, ist eine fast unabweisbare Bewegung der Abgabe von Zuständigkeiten nach oben. Dies war Ende des 19. Jahrhunderts der Fall, als die Wiederbegründung des Deutschen Reiches gelang und die zersplitterten Teilstaaten Kompetenzen an die Zentralgewalt abgeben mussten. Dies findet sich im Prozess der Neugründung der Bundesrepublik Deutschland durch die bereits früher gebildeten Länder wieder. Dies erleben wir seit Jahren als Deutscher Bundestag, der Kompetenzen an die europäischen Entscheidungsstrukturen abzugeben hat.

   Dieser Prozess ist bislang schleichend und eher unkoordiniert erfolgt. Deshalb, meine ich, macht es Sinn, dass wir gewissermaßen im Nachgang zur Arbeit des europäischen Verfassungskonvents unsere eigenen föderalen Entscheidungsstrukturen einer Überprüfung unterziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es mag für manchen unter uns in diesem Hause schmerzlich erscheinen, aber mir scheint es unabweisbar zu sein, dass die Verlagerung von nationalstaatlichen Kompetenzen nach Brüssel und Straßburg auch die Frage nach einer binnenstaatlichen Neujustierung der Zuständigkeit aufwirft, und zwar aus einem besonderen Grund: Alles, was wir in diesem Zusammenhang tun, hat von den Interessen der Bürgerinnen und Bürger auszugehen. Je weiter die politischen Entscheidungsvorgänge von ihnen wegdelegiert werden, umso unpersönlicher und undurchschaubarer wird die Politik für die Bürger.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Aufgabe der Kommission wird es sein müssen, all die politischen Komplexe in die Verantwortung der regionalen Ebene, das heißt die der Länder, zu geben, die dort entschieden werden können. Es geht um Politikfelder, in denen regionale Vielfalt einen Gewinn darstellt und nicht zu einem Verlust an Rechtssicherheit und zu Schwierigkeiten mit der gerade aus ostdeutscher Sicht weiter wünschenswerten Angleichung von Lebensverhältnissen führt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Ich vermute, in dieser abstrakten Form werden mir die meisten in meiner Problembeschreibung folgen. Wie schwer dies im Detail umzusetzen sein wird, will ich an zwei kleinen Beispielen illustrieren.

   Der saarländische Ministerpräsident hat neulich in einem Interview zu Recht auf die Überregulierung aufmerksam gemacht, die darin liegt, dass der Bund den Taxen elfenbeinfarbige Lackierung vorschreibt. Ich habe wie er nichts dagegen, wenn Taxen aller Farben durch Saarbrücken fahren können.

   Schwieriger wird es in einem anderen Fall. Gerade hat die Kultusministerkonferenz der Länder ihren ersten Bildungsbericht verabschiedet. Neben anderen Besorgnis erregenden Befunden stellt der Bericht fest, dass sich Deutschland einen weltweit einmaligen Wirrwarr von weit mehr als 2 500 Lehrplänen für unsere Schulen leistet. Die Lehrplandatenbank weist sogar über 4 400 Eintragungen auf. Die Kommission wird die Frage zu beantworten haben, ob wir gemeinsam die Kraft aufbringen, diesen Wirrwarr im Interesse der Schülerinnen und Schüler wie der Eltern zu beenden. Denn immerhin erwarten wir von den Menschen Flexibilität und muten Familien auch Ortswechsel zur Arbeitsaufnahme zu. Aber das dürfen doch nicht die Kinder in schlecht aufeinander abgestimmten Schulsystemen auszubaden haben!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass die Schwierigkeiten für diese große Aufgabe schon in der Sache selbst liegen. Sie liegen aber zum anderen in gleicher Weise in der großen Vielfalt der beteiligten Akteure, deren Interessen berührt sind und die im Meinungsfindungsprozess der Kommission mit zu entscheiden haben. Wir haben hier den Deutschen Bundestag mit seinen vier Fraktionen und einer Regierungs- und einer Oppositionsseite; wir haben den Bundesrat mit ganz unterschiedlichen Koalitionen bei den Landesregierungen, mit der A- und B-Länder-Koordination. Innerhalb des Bundesrates gibt es verständlicherweise Interessendivergenzen zwischen den armen und den reichen, den kleinen und den großen Ländern. Bereits im Prozess der Kommissionszusammensetzung wurde deutlich, dass sich auch die Länderparlamente nicht immer durch ihre Landesregierung voll vertreten fühlen.

   Schließlich haben wir die Interessen unserer Kommunen zu achten, ohne deren aktive Mitwirkung am demokratischen Prozess unsere Demokratie von unten her ausgetrocknet würde. Deswegen dürfen wir sie auch finanziell nicht austrocknen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Aus dieser Interessenvielfalt ergibt sich zwingend zweierlei: Erstens darf es in der Kommission zu keiner Polarisierung entlang der Parteigrenzen bzw. der beiden aktuell großen „politischen Lager“ kommen. Diese Kommission wurde und wird nicht eingerichtet, um bestimmten politischen Projekten aus der Bredouille der Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat zu helfen. Sie dient vielmehr der Entwicklung von Vorschlägen zum besseren Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie im Interesse aller Beteiligten. Wenn ich „aller Beteiligten“ sage, dann habe ich dabei vor allem die Bürgerinnen und Bürger im Auge. Sie haben einen Anspruch auf Transparenz in der Demokratie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen erleben und sie müssen wissen können, wer für bestimmte Entscheidungen die Verantwortung trägt, sei es die Mehrheit des Deutschen Bundestages, sei es die Mehrheit eines Landesparlaments. Ein quasi permanent tagender Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat verwischt genau diese Transparenz und verunmöglicht es den Bürgern, die Verantwortlichkeiten zu erkennen.

(Beifall im ganzen Hause)

   Demokratie aber - darin sind wir doch alle einig - lebt gerade von dieser Transparenz, davon, dass erkennbar unterschiedliche Konzepte und Lösungen vorgelegt werden und wählbar sind und dass der Streit darum öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen ausgetragen wird.

   Zweitens. Sobald es in der Kommission zu einer Polarisierung entlang der Linie Bundestag gegen Bundesrat bzw. Länder kommt, werden wir ebenfalls unsere Aufgabe verfehlen. Hier hilft nur die Einsicht auf beiden Seiten, dass eine klarere Trennung von Aufgaben und Zuständigkeiten letztlich allen beteiligten Akteuren nützlich sein wird. Diese Warnung heißt allerdings nicht, dass wir nicht hier, im eigenen Hause, bereits bei der Konsenssuche beginnen müssten.

   Ich glaube, dass wir guten Grund haben, an dieser Stelle optimistisch zu sein. Anlass dafür gibt nicht nur der konstruktive und trotz allem zügige Prozess, innerhalb dessen die Struktur dieser heute vorgeschlagenen Kommission entwickelt wurde. Ich glaube, dass dies auch für die Möglichkeiten einer Konsensfindung in der Sache selbst gilt.

   Da ich von Ihnen selten öffentliches Lob gewohnt bin, will ich umgekehrt mit gutem Beispiel vorangehen und einige Eckpunkte positiv herausstellen, die der Kollege Kauder

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Jetzt wird‘s gefährlich!)

bereits im Juni in einem Interview in die Debatte gebracht hat. Innerhalb einer neuen, klaren Verteilung der Kompetenzen und Finanzstrukturen zwischen Bund und Ländern befürwortet Kollege Kauder, dass dies zu einer Stärkung der Länderkompetenzen bei der Gesetzgebung führen müsse. Zugleich aber bedeute dies, dass der Bund bei den verbleibenden Kompetenzen wiederum mehr eigenständige Entscheidungskraft erhalten müsse. Denn, so der Kollege Kauder wörtlich,

der Bundesrat hat nach der grundgesetzlichen Ordnung nicht die Funktion eines ständigen Veto-Organs.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mit einer Erweiterung der Länderrechte wäre deshalb im Gegenzug der Anteil der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze deutlich zu senken. Das betrifft auch den Vermittlungsausschuss. Das Grundgesetz hat ihm die Rolle eines Sonderorgans zur Kompromisssuche gegeben. Inzwischen aber hat der Vermittlungsausschuss nahezu die Funktion eines Ersatzparlaments bekommen.

   Diese Beobachtungen und Eckdaten, so meine ich, dürften im Hause breite Zustimmung finden können. Aber - wir wissen es - wie immer steckt der Teufel im Detail, wird es Streit bei und in jedem Politikbereich geben. Doch wenn wir uns mit den anderen Beteiligten auf eine solche Linie verständigen können, dann wird die Arbeit der Kommission nicht ohne konkrete Ergebnisse bleiben.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht schließen, ohne der Kommission ein mir besonders am Herzen liegendes Problem mit auf den Weg zu geben, nämlich das unserer Hauptstadt Berlin. Mit guten Gründen wird sich die Kommission sicherlich nicht mit einem Neuzuschnitt der Länder befassen. Die nächste Entscheidung darüber haben die Bürgerinnen und Bürger von Berlin und Brandenburg zu fällen. Sie wird auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen der Finanzverfassung Berlins im Verhältnis zum Bund vorwegnehmen können und wollen.

   Aber jenseits der im Rahmen unseres Kulturföderalismus immer neu auftauchenden Detailfragen einer Bundeskulturförderung unserer gemeinsamen Hauptstadt werden auch die Länder darüber mitzubefinden haben, was es heißt, dass Berlin die Hauptstadt dieser Republik geworden ist und wie sich dies dort ausdrücken soll und muss, wo nicht die Rolle eines normales Bundeslandes, sondern die Hauptstadtfunktion gefragt ist. Denn Berlin ist nicht nur eine Angelegenheit der Berliner und des Bundes allein, sondern aller Deutschen und also aller Länder der Bundesrepublik Deutschland.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat nun der Präsident des Bundesrates, Professor Dr. Wolfgang Böhmer.

Dr. Wolfgang Böhmer, Präsident des Bundesrates:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf auch meinerseits für den Bundesrat mit Freude feststellen, dass über die grundsätzliche Notwendigkeit der Einsetzung einer Föderalismuskommission zwischen uns ein breiter, parteiübergreifender Konsens besteht. Das gilt auch für die allgemeine Zielsetzung, bei einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung zu einer klareren Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern und zu einer Neuordnung auch der Mischfinanzierungen zu gelangen.

   Bei den jeweiligen Schwerpunktsetzungen gibt es allerdings je nach Interessenlage gravierende Unterschiede, über die Sie andeutungsweise schon gesprochen haben und über die wir auch in der Kommission ausführlich sprechen werden müssen.

Für den Bund hat eine Reduzierung der Bundesratsmitwirkung durch die Verringerung der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze Vorrang. Das ist verständlich. Die Länder fordern mehrheitlich mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei der Gesetzgebung und eine Zusammenführung von Aufgaben- und Ausgabenkompetenz durch eine Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen. Für die Vertreter der Wirtschaft ist das umständliche und langwierige Zusammenspiel von Bundes- und EU-Ebene sowie den einzelnen Ländern zumindest aus ihrer Sicht ein Standortnachteil. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und des internationalen Konkurrenzdrucks fordern sie schnelle Entscheidungen vor Ort. Für die Bürgerinnen und Bürger - hier kann ich Ihnen, Herr Präsident Thierse, nur zustimmen - muss nachvollziehbar sein, welche Entscheidungen an welcher Stelle verantwortet werden. Für sie sollten Entscheidungen so bürgernah wie möglich getroffen werden.

   Es ist deshalb eine ausgesprochen anspruchsvolle Aufgabe für die zu bildende gemeinsame Föderalismuskommission, die unterschiedlichen Interessenlagen zu einem Gesamtkonzept zusammenzuführen. Angesichts der gegenwärtigen Rahmenbedingungen - stagnierendes Wirtschaftswachstum, internationaler Wettbewerbsdruck und hohe Arbeitslosigkeit - sind Reformen für Deutschland - ich denke, darin können mir alle zustimmen - notwendiger denn je.

(Beifall im ganzen Hause)

Es könnte sein, dass einige zurzeit diskutierte Reformanliegen nur eine Chance auf eine erfolgreiche Umsetzung haben, wenn auch die Föderalismusreform gelingt.

   In seiner derzeitigen Ausgestaltung ist der deutsche Föderalismus an eigene Grenzen gestoßen. Das ist im Bundesrat schon früh erkannt worden. Bereits 1998 hat einer meiner Vorgänger im Amt des Bundesratspräsidenten, der heutige Bundesfinanzminister Eichel, die Einsetzung einer Reformkommission angeregt, wie wir sie jetzt schaffen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Ministerpräsidenten der Länder sind bereits im Oktober 2001 übereingekommen, Verhandlungen mit dem Bund über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung aufzunehmen. Im Dezember 2001 haben sich die Regierungschefs von Bund und Ländern über die Notwendigkeit einer Überprüfung der bundesstaatlichen Ordnung im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten verständigt.

   Die im Wesentlichen gemeinsamen Positionen der Länder zielen darauf ab, die politische Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu stärken sowie eine klare Zuordnung politischer Entscheidungen zu den staatlichen Ebenen zu erreichen. Dies setzt aus Sicht der Länder insbesondere voraus, dass die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder dort gestärkt werden, wo die Länder mehr Gestaltungsrechte als bisher benötigen, um spezifischen regionalen Bedürfnissen durch die Landesgesetzgebung gerecht werden zu können. Zu diesem Zweck sollten Gesetzgebungsbereiche wie zum Beispiel die Förderung der wissenschaftlichen Forschung oder das Wohnungswesen aus der Zuständigkeit des Bundes an die Länder übertragen und den Ländern durch verfassungsrechtliche Zugriffsrechte und Öffnungsklauseln Möglichkeiten eröffnet werden, von vorhandenen bundesrechtlichen Regelungen abzuweichen.

   Die Rahmengesetzgebung soll nach Vorstellung der Länder aufgelockert werden, da sich die Verflechtung von bundesrechtlichen Rahmenbedingungen und ausfüllendem Landesrecht nicht immer bewährt hat. Stattdessen sollten Gegenstände der Rahmengesetzgebung, zum Beispiel das Hochschulrecht, im Wesentlichen der Bundesgesetzgebung mit verfassungsrechtlich gesicherten Zugriffsrechten für die Landesgesetzgebung zugewiesen werden. Auf diese Weise würden Gesetzgebungsverfahren vereinfacht und beschleunigt. Dieser Entflechtungsschritt wäre auch deshalb sinnvoll, weil Rahmenregelungen heute zunehmend auf der europäischen Ebene getroffen werden. Die Auflösung der Rahmengesetzgebung bei gleichzeitiger Öffnung der jeweiligen Bereiche für eine Länderkompetenz könnte die Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben erleichtern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Die Zahl zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze sollte verringert werden. Das ist auch die einhellige Meinung der Länder. Im Gegenzug könnte den Ländern ein Zugriff auf bundesgesetzliche Organisations- und Verfahrensregelungen eingeräumt werden. Die Zustimmungspflicht muss allerdings nach Ansicht der Länder für Gesetze gelten und erhalten bleiben, die den Ländern besondere Belastungen aufbürden, zum Beispiel Kosten für Verfahren, oder durch die Einfluss auf die jeweilige Infrastruktur genommen wird.

   Im Bereich der Mischfinanzierungen sollte die Eigenständigkeit der Länder gestärkt werden. Die bestehenden Mischfinanzierungstatbestände sind unter diesem Gesichtspunkt auf der Grundlage der bisherigen Beschlüsse zu überprüfen und möglichst zu vermindern, wir sagen nicht: abzuschaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die in der gegenwärtigen Finanzverfassung begründeten Mischfinanzierungen engen die haushaltspolitischen Gestaltungsspielräume der Länder in einem beträchtlichen Maße ein. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel werden allein durch die Bund-Länder-Mischfinanzierungskonditionen circa 42 Prozent des Investitionshaushaltes faktisch festgelegt. Die Entscheidungen über die Prioritäten der Landesinvestitionspolitik werden also in der politischen Wirklichkeit ganz wesentlich auch auf der Bundesebene getroffen. Ein solidarischer Ausgleich von gesamtstaatlich nicht hinnehmbaren strukturellen Unterschieden muss allerdings auch künftig gewährleistet bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist nicht nur für die neuen Bundesländer wichtig. Deswegen halten wir diese Aussage für mindestens ebenso bedeutsam. Ich will auch auf das Gegenteil noch zu sprechen kommen.

   Bei der Neuordnung der Finanzverflechtung zwischen Bund und Ländern geht es mittel- bis langfristig darum, größere Freiheiten bei der Verfügbarkeit der Mittel innerhalb der Gemeinschaftsaufgaben zu erlangen. Für die neuen Länder stehen diese Verhandlungen grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass die für sie bislang eingesetzten Mittel bis zum Jahr 2019 vollständig und dauerhaft als freie Mittel zur Verfügung gestellt werden. Durch die Reform darf kein Land finanziell schlechter gestellt werden als bisher; sonst werden wir keine Zustimmung erlangen können.

   Auch Fragen der Steuererhebungspraxis sind mit dem Ziel einer Modernisierung und der Steigerung der Effizienz der Steuerverwaltung einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. In den Verhandlungen zur bundesstaatlichen Modernisierung sollten Regelungskompetenzen für Steuern, deren Ertrag vollständig den Ländern bzw. den Kommunen zufließt, im Hinblick auf eine mögliche Stärkung der Steuergesetzgebungskompetenzen der Länder überprüft werden. Eine reale Erfolgschance haben diese Absichten aber vermutlich nur im zeitlichen Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Steuerreform.

   Im Rahmen der Reformüberlegungen ist auch die Europakompatibilität von Grundgesetz und bundesstaatlicher Ordnung besonders zu berücksichtigen. Dieser Aspekt ist nicht nur für uns von besonderer Bedeutung. Die Modernisierung in Deutschland wird auch von anderen Staaten in Europa mit Interesse beobachtet. Die Europäische Union hat im jetzt auslaufenden Jahr der Bundesratspräsidentschaft Sachsen-Anhalts auf diesem Gebiet deutliche Fortschritte gemacht. Der europäische Konvent hat den Entwurf eines Vertrages für eine europäische Verfassung vorgelegt. Die Verträge über die Erweiterung der Europäischen Union um zunächst zehn neue Mitglieder wurden ratifiziert.

   Zukünftig wird auf EU-Ebene verstärkt über Themen entschieden werden, die Zuständigkeiten der Länder unmittelbar berühren. Die im Verfassungsentwurf verankerte Kompetenzabgrenzung und Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips machen nur Sinn, wenn die verfassungsmäßige Ausübung dieser Rechte innerstaatlich entsprechend gesichert ist. Der Bundesrat ist sich dabei der Tatsache bewusst, dass in Europa verschiedene Konstruktionen zweiter Kammern bestehen und unterschiedliche Lösungswege vorhanden sind. Wir sollten deshalb bei der Modernisierung unserer Verfassungsordnung den Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn nicht vernachlässigen.

   Das Leitbild des Grundgesetzes ist der so genannte kooperative Föderalismus. Oberstes Ziel der Finanzverfassung soll es bleiben, alle Länder und den Bund finanziell so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden können. In der Reformdebatte wird schon bisher gelegentlich die Auffassung vertreten, dass ein mehr autonomieorientierter Systemwechsel hin zu einem so genannten Wettbewerbsföderalismus unabdingbar sei. Der Begriff des Wettbewerbsföderalismus wurde, meine ich, in der letzten Zeit sehr strapaziert. Diesen Begriff brauchen jedoch auch die wirtschaftlich schwächeren Länder dann
- aber eben nur dann - nicht zu fürchten, wenn man sich auf die Selbstverständlichkeit verständigt, dass hierzu Chancengleichheit bei den Startbedingungen gehört. Davon sind wir noch weit entfernt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass die heute zu beschließende gemeinsame Föderalismuskommission im Hinblick auf den Handlungsbedarf Reformvorschläge vorlegen wird, die es ermöglichen, das System der bundesstaatlichen Ordnung auf eine neue, zukunftsfähige Grundlage, und zwar auch im europäischen Kontext, zu stellen.

   Ich glaube, dass die Regelungen des Einsetzungsbeschlusses eine ausreichende Grundlage dafür sind, diese schwierige Aufgabe erfolgreich in Angriff zu nehmen. Die vorgesehene Beteiligung der Landtage und der kommunalen Spitzenverbände halten wir für angemessen.

   Ich möchte Herrn Bundestagspräsidenten Thierse an dieser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit danken, die es ermöglicht hat, dass offene Punkte kurzfristig geklärt werden konnten und heute der Beschlussvorschlag in der Ihnen bekannten Form vorgelegt werden kann. Auch der Bundesrat betrachtet die vereinbarte Föderalismuskommission als Chance, die wir gemeinsam nutzen sollten. Deshalb erbitten auch wir Ihre Zustimmung.

   Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Franz Müntefering, SPD-Fraktion.

Franz Müntefering (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratie hat Bedingungen, inhaltliche und praktische; sie hat Werte und Regeln als Voraussetzung für ihr Gelingen.

   Bei uns in Deutschland sind diese Werte und diese Regeln im Grundgesetz niedergeschrieben. Das Grundgesetz ist in einer Zeit tiefster Schmach Deutschlands entstanden: nach Nationalsozialismus, nach Verirrungen und Verbrechen, nach Krieg, in einem zerstörten Land. Das Grundgesetz hat sich als eine verlässliche und weitsichtige Grundlage für diese deutsche Demokratie erwiesen. Unser Grundgesetz ist ein großer Erfolg in der deutschen Geschichte. Wir sind und bleiben stolz auf dieses Grundgesetz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Darin wurden vor gut 54 Jahren in Bonn Maximen formuliert und Sätze geprägt, die Leitlinien für unsere Politik waren und auch heute sind. Zu den Menschenrechten heißt es in Art. 1:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Zu Bund und Ländern heißt es in Art. 20:

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

   Die Herausforderung, ein demokratischer und sozialer Staat sein zu wollen, begleitet uns, die Abgeordneten des Bundestages, in unseren tagtäglichen politischen Bemühungen, gerade in dieser Zeit großer Neuerungen, in der es um wichtige Entscheidungen geht.

   Die Frage, die damit verbunden ist, lautet: Ist die Ordnung dieses Bundesstaates in vollem Umfang zeitgemäß? Dieser Frage haben wir uns heute im Bundestag, morgen im Bundesrat und dann in der Kommission, die wir gemeinsam einrichten wollen, zu stellen. Werden die Regeln, nach denen wir funktionieren und nach denen unsere Demokratie organisiert ist, unserem Anspruch gerecht, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zu garantieren sowie ein sozialer und demokratischer Bundesstaat zu sein? - Das klingt technisch; aber es geht um die Handlungsfähigkeit der Politik und ganz konkret um die Praxis der Demokratie.

   Heute debattieren wir über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Mit einem Antrag aller Fraktionen des Deutschen Bundestages wollen wir Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates beauftragen, im Verlauf des kommenden Jahres Vorschläge für die Fortentwicklung dieser bundesstaatlichen Ordnung zu machen. Es ist ein gutes Zeichen, dass alle Fraktionen mitmachen und der Bundesrat morgen einen Einsetzungsbeschluss treffen will, der wortgleich mit dem des Bundestages ist.

(Vorsitz: Präsident Wolfgang Thierse)

   Ich bedanke mich beim Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, und in gleicher Weise beim Präsidenten des Bundesrates, Professor Dr. Wolfgang Böhmer, dafür, dass sie mit ihren heutigen Beiträgen Zeichen gesetzt und den Willen zum gemeinsamen Handeln von Bundestag und Bundesrat sichtbar gemacht haben.

(Beifall im ganzen Hause)

Was ist Ausgangslage für unsere Debatte?

In den vergangenen fünf Jahrzehnten ist es Zug um Zug zu einer Verlagerung von Zuständigkeiten, insbesondere bei den Gesetzgebungskompetenzen, auf den Bund gekommen. Dabei ging es meist um einheitliche Regelungen in allen Ländern oder - sagen wir es ehrlich - auch um Geld. Es ging um Geld, das der Bund hatte und das er für sinnvolle Zwecke, zum Beispiel für den Hochschulbau, einsetzen wollte, ohne dafür die Kompetenz zu haben. Per Verfassungsänderung sind dafür quasi zum Ausgleich die Rechte der Länder zur Mitwirkung an der Gesetzgebung ausgebaut worden. Das hat zusammen mit der sehr länderfreundlichen Auslegung von Art. 84 Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht dazu geführt, dass heute über 60 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sind. Es waren einmal viel, viel weniger.

   So haben es sich die Mütter und Väter unserer Verfassung damals jedenfalls nicht vorgestellt. Sie gingen im Jahr 1949 davon aus, dass die Länder nur dann an der Bundesgesetzgebung entscheidend mitwirken, wenn die Länderinteressen besonders stark - besonders stark! - berührt werden. 1949 gab es im Grundgesetz nur in 12 Artikeln zustimmungspflichtige Tatbestände; heute ist das in 35 Artikeln der Fall.

   Man kann jetzt lange darüber lamentieren, wer für diese Entwicklung verantwortlich ist, ob nicht auch die Länder Machtzuwachs gewollt haben, ob nicht auch sie diese Entwicklung befördert haben. Man kann parteipolitische Motive ins Feld führen. Aber alles das hilft nicht weiter. Die Realität ist jedenfalls, dass der Bundesrat mit seiner jeweiligen Mehrheit wesentliche politische Initiativen des Bundes blockieren und so maßgeblichen Einfluss auf die Gesetzgebung des Bundes ausüben kann. Der Bundesrat hat faktisch die Funktion eines permanenten Vetoorgans. Er übt sie längst nicht immer aus, aber auch nicht selten. Im Parlamentarischen Rat damals war das so sicherlich nicht gemeint. Diese Entwicklung bedeutet andererseits, dass die Länder Souveränität aufgeben, ungenutzt lassen, sich bundeseinheitlichen Regeln unterwerfen.

   Deutlich sind hier die Worte eines Ministerpräsidenten:

Die Bundesregierung ist in wesentlichen Teilen ihrer Aktivitäten der intensiven Kontrolle und der rechtlichen Mitentscheidung des Bundesrates unterworfen. Man kann sogar sagen, dass der Bundesrat für die Bundesregierung ein schwierigerer Partner als der Deutsche Bundestag ist, da sie mit der Mehrheit des Bundestages in parteipolitischer Identität steht.

   Man spricht in unserer Gesellschaft - wir tun es auch - öffentlich von der zweiten Kammer und meint, Bundestag und Bundesrat seien bei der Gesetzgebung gleichberechtigt, was, wie wir alle wissen, so nicht ist. Im Grundgesetz steht:

Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit.

Sie wirken mit!

   Mit der skizzierten Entwicklung ist die Bedeutung des Vermittlungsausschusses gestiegen. Er ist in die Rolle eines Ersatzparlaments gerutscht, in dem Kompromisse gebastelt werden. Er ist ein Gremium, das nicht öffentlich in weitgehender Intransparenz, in kleinster Runde, mit oft widerstrebenden Motiven aus vorliegenden Gesetzentwürfen Gesetze macht, die dann in Bundestag und Bundesrat gebilligt werden - oder auch nicht.

   Der Vermittlungsausschuss als Organ der Bündelung, als Konzentrat unserer parlamentarischen Demokratie ist etwas, was schon für uns hier schwer zu verstehen und zu akzeptieren ist; noch viel mehr gilt das für die Bürgerinnen und Bürger im Land. Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Qualität der Gesetze, die da entstehen. Das ist kein Vorwurf an die Kolleginnen und Kollegen, die im Vermittlungsausschuss die Arbeit tun. Aber für das Funktionieren von Demokratie und für die Transparenz von Demokratie ist das, was sich eingebürgert hat, nicht gut.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir wollen die Rolle des Parlaments stärken. Wir Parlamentarier wollen die Auseinandersetzung um die besten Ideen im Parlament öffentlich führen und hier - hier! - über Gesetze entscheiden.

   Die Entstehungsgeschichte der jüngsten Gesundheitsreform wirkte eher ungewöhnlich, war aber parlamentsnäher und eher grundgesetzkonform als viele Entscheidungsprozesse im Vermittlungsausschuss. Die Debatte, die dazu in der politischen Öffentlichkeit geführt worden ist, war schon verwunderlich.

   Die Zeit, die eine Demokratie für Entscheidungen braucht, ist eine andere wichtige Größe. Sorgfältige Arbeit erfordert ihre Zeit. Die Frage ist aber, ob es eingefahrene oder auch eingerostete Mechanismen gibt, die dazu führen, dass die Dinge immer wieder verschleppt werden. Wenn wir als Nation erfolgreich sein wollen, darf der Föderalismus keine Bremse sein, dürfen sich Bund, Länder und Gemeinden nicht gegenseitig blockieren. Als Beispiel nenne ich die bessere Vereinbarkeit von Familie/Kindern und Beruf. Diese wichtige gesellschaftliche Innovation soll in diesem Jahrzehnt in Deutschland gelingen. Sie kann aber nur gelingen, und zwar bald, wenn Bund, Länder und Gemeinden dafür das nötige zielgerichtete, abgestimmte Engagement zeigen,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

wenn sie sich nicht in Zuständigkeitsfragen und stark unterschiedlichen Geschwindigkeiten verlieren.

   Als Bund geben wir in dieser Legislaturperiode 8,5 Milliarden Euro an die Kommunen, damit dort die Möglichkeiten von Ganztagsbetreuung verbessert werden. Wer die Debatten über die Umsetzung miterlebt hat, hat erfahren, dass das manchmal sehr schwierig ist. Nach wenigen Minuten war man nicht mehr bei der Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern bei der Frage, wer denn eigentlich zu entscheiden hat. Es hieß, dass sich der andere bitte schön nicht einmischen soll und dass die Frage betreffend das Geld ganz einfach zu beantworten ist: Wenn das Geld gegeben wird, dann wird das schon irgendwo gemacht werden.

   Unklarheit über die Zuständigkeiten ist eine Bremse für das, was wir wollen. Wir müssen uns darüber klar sein, dass große gesellschaftliche Innovationen, die wir vor uns haben, nur funktionieren werden, wenn wir ein Einvernehmen darüber herstellen, dass Bund, Länder und Gemeinden sich solchen Aufgaben gemeinsam stellen und sie gemeinsam realisieren müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die massive Verflechtung und Unübersichtlichkeit hat einen gefährlichen Nebeneffekt: Die Bürgerinnen und Bürger sehen nicht mehr, wer für was zuständig und verantwortlich ist. Hier ist auch eine der Ursachen für die wachsende Entfremdung zwischen der Bevölkerung und der handelnden Politik. Es muss klar sein, wofür der Bund zuständig ist und wofür jedes einzelne Land zuständig ist. Wahlen verlieren ihren Reiz und sogar teilweise ihren Sinn, wenn auch nach Wahlen nicht klar ist, wer Verantwortung bekommen hat und sie wahrnehmen kann und muss. Das Problem ist klar: Es muss entwirrt werden, bei den Zuständigkeiten, den Gesetzgebungskompetenzen und den Gesetzgebungsmodalitäten.

   Eine diskussionsbedürftige Problematik sind dabei die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Sie werden sicher ein wichtiges Thema in der Kommission sein, deren Einsetzung wir heute beschließen wollen. Manche sagen, die Länder seien Gewinner dieser Entwicklung. Schließlich könnten die Länder bei entsprechenden Mehrheiten im Bundesrat viele Gesetze aufhalten.

   In Wahrheit ist es viel differenzierter. Die gesetzgeberische Gestaltungsmöglichkeit der Länderparlamente ist fast gänzlich verloren gegangen. Gewonnen haben die Landesregierungen. Der Exekutivföderalismus, den wir in Deutschland faktisch haben, hat dazu geführt, dass die Länderparlamente uns - auch in der Vorbereitung auf diese Kommission - fragen: Was ist unsere Rolle?

   Ich weiß nicht, ob wir ihnen in der Debatte, die wir zu führen haben, helfen können. Wir müssen uns trotzdem schlichtweg dieser Wahrheit stellen. Wer spricht da miteinander? Es spricht der Bundestag, das Gesetzgebungsorgan unserer Demokratie, mit den Exekutiven der Länder. Die Länderparlamente sind, wenn überhaupt, nicht unmittelbar an dem beteiligt, was da „zwischen Bund und Ländern“, wie wir schnell sagen, besprochen wird. Ich kann das nicht auflösen und will das auch nicht mal eben versuchen. Ich sage nur: Darüber wird zu sprechen sein. Es wird um die Frage gehen, ob wir die Möglichkeit haben, den Parlamenten neues Gewicht zu geben.

   Die Länder haben kaum noch die Möglichkeit, zu regional unterschiedlichen Regelungen zu gelangen, weil der Bund überall seine Hand mit im Spiel hat. Bei seiner Rahmengesetzgebung ist - wie der Bundespräsident gesagt hat - der Rahmen oft so groß, dass man das Bild nicht mehr sieht. Ob der Bund dabei seine Kompetenzen überzieht oder ob die Länder gar kein Bild entwerfen wollen, ist eine zweite Frage, der wir uns stellen müssen. Jedenfalls hat sich bei uns in der Bundesrepublik Deutschland eine Rahmengesetzgebung herausgebildet, die den Ländern keine Möglichkeit mehr lässt, diesen Rahmen auszufüllen. Vielleicht wollen die Länder das sehr oft gar nicht. Vielleicht tauchen sie vor der Verantwortung weg und blicken auf den Bund - in der Erwartung, dass er die Probleme löst.

   Nein, diese Vernetzung und Vermischung von Zuständigkeiten muss ein Ende haben. Gesetzgebungsverfahren sind zu umständlich, zu langwierig und viel zu kompliziert geworden. Wir brauchen und wollen keine neue Verfassung. Wir wollen keine Revision des Grundgesetzes. Wir brauchen eine Reföderalisierung, eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Aufgaben von Bund und Ländern, klare Regeln und klare Verantwortlichkeiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese Aufgabe steht im Vordergrund der Arbeit der Kommission.

   Das bedeutet im Einzelnen eine Sicherung der Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern, eine Stärkung der Rolle der Landtage in der Gesetzgebung, eine Reduzierung der Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze - Einspruchsgesetze als Regelfall, zustimmungsbedürftige Gesetze als Ausnahme.

Ich will noch einmal auf die Gesundheitsreform zurückkommen. Es mag manchem parteipolitisch scheinen, aber mir leuchtete nicht ein, dass der Bundesrat in der Gesetzgebung zur Gesundheitsreform ein Vetorecht hatte. Er hatte es, weil die Länder für die Finanzierung der Krankenhäuser zuständig sind. Das ist es aber auch.Dass in einer solchen Situation Länder aufgrund ihres Vetorechtes darüber wesentlich mitentscheiden können, wie eine Gesundheitsreform auf Bundesebene gestaltet wird, ist ein Zustand, der diskussionsbedürftig ist und, wie ich finde, so nicht bleiben darf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht deshalb um eine Neujustierung der Rahmengesetzgebung des Bundes. Es geht darum, Raum für Subsidiarität, Eigenverantwortung, mehr Vernetzung, weniger Hierarchie und mehr Bürgernähe zu schaffen. Diesem Ziel dienten auch die Erörterungen der Konferenz der Landtagspräsidenten in Lübeck, die wir mit in unsere weiter gehenden Beratungen einbeziehen wollen.

   Auch die europäische Verfassung ist ein Anlass dafür, dass wir diese Debatte zu führen haben, und bringt wichtige Aspekte ein. Welche Rolle spielen die Bundesländer in einem Europa der Regionen? Europa selbst gibt sich eine Verfassung und justiert seine Institutionen neu. Nationale Aufgabe ist es dabei festzulegen, welche Aufgabe die Länder in einem föderalen Staat wie Deutschland haben. Die Wechselwirkungen zwischen Brüssel, der Bundes- und der Länderebene werden zunehmen und die Beziehungen müssen klar geordnet werden. Für Deutschland steht in Europa viel auf dem Spiel. Deshalb müssen wir in Europa mit einer Stimme und nicht mit 16 Stimmen sprechen. Die Gefahr, die sich sonst ergibt, ist groß; an vielen Stellen merkt und hört man es. Es nützt aber nicht den Interessen unseres eigenen Landes. Andere Länder haben andere Ausgangsbedingungen. Deshalb wird das Thema Europafestigkeit unserer Institutionen - so möchte ich es einmal nennen - eine Rolle spielen müssen in der Diskussion, die wir führen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In vergangenen Legislaturperioden beschäftigten nur sehr wenige Vorgaben aus Europa den Bundestag; so in der dritten und vierten Wahlperiode jeweils 15. In der letzten Legislaturperiode waren es irgendwo zwischen 2 500 und 3 000. Wer von uns könnte denn ehrlich von sich behaupten, dass er die Übersicht hat? Wer von uns würde denn von sich behaupten, dass er Einblick hat in das, was sich da entwickelt, und er rechtzeitig Einfluss auf das nehmen kann, was da vorbereitet wird? So bleibt ihm zum Schluss nur übrig, zuzustimmen bzw. die Beschlüsse zu akzeptieren. Das ist nicht gut für das Selbstverständnis dieses nationalen Parlaments im Verhältnis zu Europa. Deshalb muss auch dieses offen und ehrlich angesprochen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zu einigen Fragen, die kommen werden, nur einige kurze Anmerkungen, ohne das heute vollständig zu beantworten. Zwei Komplexe werden nicht Gegenstand der Beratungen der Kommission sein: der Zuschnitt der Bundesländer und die Frage, ob stärkere plebiszitäre Elemente auf nationaler Ebene vorgesehen werden sollen. Für den ersten Bereich sind einzig und allein die Länder selbst zuständig. Mit dem zweiten Thema wird sich der Deutsche Bundestag in absehbarer Zeit separat befassen. Wir befinden uns hier in den Vorbereitungen.

   Das Stichwort Wettbewerbsföderalismus ist gefallen. Wir werden uns damit auseinander zu setzen haben. Es gehört zu dem Grundsatz der Souveränität der Länder im Bundesstaat, der im Grundgesetz verankert ist, dass die Länder auch im Wettbewerb untereinander stehen. Wir dürfen die Idee des Wettbewerbs, hinter dem ja auch die Idee des Avantgarde-sein-Könnens steckt, nicht verdunkeln.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Kann man das auch auf Deutsch sagen?)

Es müssen nur die Ausgangsbedingungen, von denen aus die Länder antreten, vergleichbar sein. Wir von unserer Seite werden jedenfalls nicht der Idee entgegenstehen, den Ländern in unserem Bundesstaat Platz und Raum für eigene Ideen und eigenes Handeln zu geben. Es muss nur abgestimmt und geklärt sein, wem welche Zuständigkeiten zukommen.

Nicht wenige haben abgeraten, überhaupt an das Thema der bundesstaatlichen Ordnung heranzugehen. Viele haben gesagt: zu komplex, zu zäh, undankbar. - Wir versuchen es trotzdem. Wir haben bei uns im Lande schon Leute genug, die resigniert haben oder uns besserwisserisch Ratschläge geben. Wir wissen alle miteinander in Bund und Ländern, dass wir gut beraten sind, wenn wir uns die Mechanismen der Organisation der Demokratie anschauen und versuchen, sie auf die Höhe der Zeit zu bringen. Wir versuchen das mit Zuversicht. Alle, die Mut haben, können dabei mitmachen. Wir gehen ohne Hektik, aber zügig vor. Ich denke, dass sich im Verlauf des Jahres 2004 herausstellen muss und herausstellen wird, ob wir in der Lage sind, gemeinsam zielführende Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Als Grundlage für Beschlüsse in der Kommission haben wir ja die Zweidrittelmehrheit vereinbart. Es täte der Demokratie in Deutschland gut, wenn wir uns nicht nur bewusst wären, dass wir manche wichtige Inhalte erneuern müssen, sondern auch, dass - nach 50 Jahren Erfolgsgeschichte - vieles verändert werden muss. Wir müssen das Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat, aber auch die Rolle der Kommunen und das Verhältnis Deutschlands und seiner Bundesländer zu Europa klarstellen und uns auf die Erfordernisse unserer Zeit einstellen.

   Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tribüne hat soeben der algerische Parlamentspräsident Younès mit einer Delegation des algerischen Parlaments Platz genommen. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.

(Beifall)

Ihr Besuch, Herr Präsident, ist Ausdruck der guten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Wir wissen, dass Algerien ein besonders wichtiger Nachbar an der Südgrenze der Europäischen Union ist. Wir hoffen, dass Sie in diesen Tagen einen aufschlussreichen Eindruck von unserer parlamentarischen Arbeit gewinnen können. Für Ihren Aufenthalt heute in unserem Hause und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.

(Beifall)

   Ich erteile nun Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alexander der Große wusste sich zu helfen, auch ohne eine Kommission: Ein einziger Schlag genügte - Problem gelöst. Zugegeben: König Gordios hatte sich die Form der Problemlösung wahrscheinlich anders vorgestellt. Aber immerhin - der Gordische Knoten war entzwei.

   Eine so einfache Lösung wird es diesmal wohl nicht geben. Aber die Aufgabenstellung der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung erinnert schon ein wenig an den Versuch, einen unentwirrbaren Knoten zu lösen, einen Knoten, den diesmal allerdings nicht fremde Mächte geknüpft haben, sondern Bundestag und Bundesrat gemeinsam in den vergangenen Jahrzehnten; natürlich nicht in der Absicht, besonders komplizierte verfassungsrechtliche Regelungen zu erfinden, nicht, um klare Zuständigkeiten zu verschleiern, sondern in dem Bemühen, sich wechselseitig ein hohes Maß an Einflussnahme auf die jeweils andere Seite zu sichern.

   Solange die Interessen und die politischen Ziele der unterschiedlichen staatlichen Ebenen deckungsgleich sind, kann das funktionieren. Ganz anders ist die Lage jedoch bei grundlegend unterschiedlichen politischen Auffassungen, bei Interessen- und Zielkonflikten. Dann heißt es oft: Nichts geht mehr. Dann werden wortreich Stillstand und Blockade beklagt. Dann entsteht beim Bürger der Verdacht, dass es den Parteien und Fraktionen nicht in erster Linie um die Sache gehe, um die Lösung von Problemen, sondern um das eigene politische Interesse, dass also Eigennutz mit Gemeinwohl verwechselt werde.

   Der Begriff Föderalismusreform elektrisiert nicht jeden. Er kommt spröde daher. Wenn wir ihn dann noch garnieren mit Begriffen wie Rahmengesetzgebung, Konnexitätsprinzip, Vorranggesetzgebung, Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung, geraten Staatsrechtler und Politologen vielleicht ins Schwärmen, aber viele im Publikum werden sich fragen: Was hat das mit mir zu tun? Was bedeutet das eigentlich ganz konkret für die alltägliche politische Praxis? Was soll sich wie ändern?

   Formal geht es darum, unsere verfassungsmäßige Ordnung so zu ändern, dass die Gewichte im Bundesstaat neu justiert werden; einerseits in horizontaler Richtung - beim Bund und in den Ländern zwischen den Verfassungsorganen und Institutionen -, andererseits in vertikaler Richtung - im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. So kompliziert die verfassungsrechtlichen Details im Einzelnen sein mögen - die Probleme, die wir lösen wollen, sind von großer Bedeutung für die Praxis.

Erstens. Wir wollen die Mischzuständigkeiten zwischen Bund und Ländern entflechten. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU))

Dabei geht es um die höchst praktische Frage, welche staatliche Ebene für welche Aufgaben zuständig, dann aber auch verantwortlich sein soll - nicht ein bisschen verantwortlich, nicht mitverantwortlich, sondern allein verantwortlich.

   Klare Zuständigkeiten stärken die Handlungskraft der politischen Akteure. Wenn Verantwortung nicht mehr klar erkannt werden kann, ist eine Reform vonnöten. Wenn die Zuständigkeiten unklar sind, führt das zu organisierter Unverantwortlichkeit. Das wollen wir alle gemeinsam ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass die Bürger klar erkennen können, wer auf welchen Politikfeldern für sie handelt und wer die Verantwortung trägt, die Verantwortung für Erfolg, aber auch für Scheitern. Wir wollen mehr Transparenz in den politischen Entscheidungsprozessen. Das stärkt unsere Demokratie.

   Zweitens. Wir wollen die Zusammenführung von Sachverantwortung und Finanzverantwortung. Deswegen kann eine Neuordnung der staatlichen Kompetenz- und Aufgabenverteilung nicht ohne eine Entflechtung und eine Neuordnung der finanzwirtschaftlichen Vermengungen erfolgen.

   Das Grundgesetz ist ursprünglich von einem Trennsystem ausgegangen. Im Laufe der Jahre wurde jedoch, immer gut gemeint und fachlich überzeugend begründet, ein höchst komplizierter Verschiebebahnhof errichtet. Er ist mit seinen horizontalen und vertikalen Einnahme-, Ausgabe- und Ausgleichsmechanismen so perfekt, dass kaum noch jemand in der Lage sein dürfte, die horizontalen und vertikalen Finanzbeziehungen in allen Verästelungen zu durchschauen. Deswegen wollen wir die Aufgabenkompetenz einerseits sowie die Einnahmen- und Ausgabenkompetenz andererseits in eine Hand legen.

   Drittens. Wir wollen eine stärkere Beachtung des Konnexitätsprinzips. Obwohl es - anders als in einem Zentralstaat - in einem föderalen Aufbau mit drei unterschiedlichen Ebenen - Staat, Länder und Gemeinden - schwieriger ist, dieses Prinzip einzuhalten, muss zukünftig gelten: Wer die Musik bestellt, der muss sie auch bezahlen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Es darf nicht sein, dass der Bund durch seine Gesetzgebung zusätzliche Vollzugsaufgaben der Länder und der Kommunen begründet, ohne die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Finanzmittel gleich mitzuliefern. Dies beklagen insbesondere die Städte und Gemeinden, die gerade in den letzten Jahren mit neuen Aufgaben und mit neuen Belastungen befrachtet wurden und die gleichzeitig mit wegbrechenden Einnahmen zu kämpfen haben.

   Beispiel Integration. Wir haben keinen Mangel an Zuwanderung, aber wir haben einen erkennbaren Mangel an Integration. Nicht mehr Zuwanderung, sondern mehr Integration ist daher das Gebot der Stunde. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass wir mehr tun für eine bessere Integration, auch für die nachholende.

   Die Integrationsangebote und -leistungen können nur ortsnah erfolgen, also in den Städten und Gemeinden. Das darf im Umkehrschluss jedoch nicht bedeuten, dass die Städte und Gemeinden mit den dadurch entstehenden Kosten belastet werden. Wenn der Bund Rechtsansprüche auf Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen gewährt oder wenn er sogar Teilnahmeverpflichtungen festschreibt, dann muss er auch die Kosten tragen. Unsere Kommunen können wir jedenfalls nicht mit zusätzlichen Kosten belasten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Viertens. Wir wollen die Länder und die Landesparlamente stärken. Die Stichworte lauten hier: Reduzierung oder gar Abschaffung der Rahmengesetzgebung, Öffnungs- und Experimentierklauseln, Vorranggesetzgebung und Wettbewerbsföderalismus. Das bedeutet dann allerdings auch einen Wettbewerb zwischen Ländern, die sich im Hinblick auf Größe, Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft ganz erheblich voneinander unterscheiden. Sie werden deshalb mit ganz unterschiedlichen Bedingungen an den Start gehen. Das dürfen wir nicht vergessen.

   Dieses Kapitel verdeutlicht, dass es Zielkonflikte gibt, die wir nicht verschweigen sollten. Auf der einen Seite wollen wir mehr Vielfalt durch föderalen Wettbewerb; das ist auch ein Wettbewerb um die besseren politischen Konzepte und Ideen. Auf der anderen Seite beklagen wir eine wahre Flut von Vorschriften auf allen staatlichen Ebenen. Ein undurchdringbares Dickicht von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften lähmt unser Land. Stattdessen müssten wir ihm neuen Schwung verleihen.

   Der Verzicht auf bundeseinheitliche Regelungen stärkt zwar die Kompetenz der Länder, wird aber gleichzeitig die Anzahl der Gesetze und Paragraphen nicht verringern, sondern erhöhen. Beide Ziele - mehr Vielfalt auf der einen Seite und eine geringere Regelungsdichte auf der anderen Seite - gleichzeitig zu erreichen dürfte nicht einfach sein. Vermutlich ist es sogar unmöglich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden weiter zu untersuchen haben, wo Vielfalt zu mehr Wettbewerb und zum Ringen um bessere Lösungen führt, aber auch zu neuen Problemen führen kann.

   Vor wenigen Tagen wurde vonseiten der Länder dezent, aber deutlich darauf hingewiesen, dass eigentlich sie die Bundesrepublik gegründet hätten - Überschrift: „Im Anfang waren die Länder“. Die Frage, ob es wirklich die Länder waren, die die Bundesrepublik gegründet haben, oder ob es nach dem Krieg und dem Zusammenbruch noch immer den Staat Deutschland gab, ist nicht nur für Historiker und die politische Wissenschaft von Interesse.

   Mit dieser Thematik verbindet sich nämlich eine andere Frage, die für uns wie für die Kommission von Bedeutung ist: Wie viel Vielfalt und wie viel Einheit wollen wir in Deutschland? Was wollen wir eigentlich sein, diese Bundesrepublik Deutschland oder doch eher ein Bund deutscher Länder? Das Grundgesetz verlangt zwar nicht identische Lebensverhältnisse in allen Ländern, aber gleichwertige. Daher dürfte richtig sein: so viel Vielfalt wie möglich, so viel Einheit wie nötig.

   Welches Verständnis haben wir eigentlich von unserer eigenen politischen Arbeit hier im Deutschen Bundestag? Was wollen wir selber noch regeln? Wofür wollen wir noch die politische Verantwortung tragen? Wir leben in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite zieht die Europäische Union tagtäglich mehr Kompetenzen an sich - die EU ist längst auf dem Wege, die Regelungsdichte in unserem Land zu überbieten -, auf der anderen Seite stehen die Bundesländer, die für sich mehr Freiheiten, mehr Emanzipation und mehr Kompetenzen vom Bund fordern. Daneben gibt es die dritte Kammer namens Vermittlungsausschuss und eine wahre Kommissionitis. Für jeden Bundestagsabgeordneten stellt sich die natürliche Frage: Wofür ist er eigentlich noch zuständig? Welche Kompetenz hat er? Was wollen wir zukünftig selber und abschließend regeln?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese Fragen sollten wir nicht nur in der Kommission erörtern und beantworten. Auch der Deutsche Bundestag sollte diese Frage für sich selbst beantworten. Diese Debatte müssen wir hier in diesem Hause führen.

   Eine nur scheinbar andere Thematik gehört untrennbar zu dem Thema „Reform der bundesstaatlichen Ordnung“. Die Stichworte lauten hier: Deregulierung und Entbürokratisierung. Wir werden über dieses Thema heute noch eine gesonderte Debatte führen. Aber vor der Frage, welche staatliche Ebene welche Kompetenzen haben und wer welche Aufgaben erfüllen soll, müsste eigentlich die Frage stehen, ob der Staat - ganz gleich an welcher Stelle - tatsächlich all das regeln und verwalten muss, was er in den letzten Jahren und Jahrzehnten an staatlichen Aufgaben zuerst definiert, dann an sich gezogen und schließlich bis in das kleinste Detail geregelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die allseits beklagte Zunahme der Zahl von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften geht im Gegensatz zu dem, was immer behauptet wird, auf Bundesebene munter weiter. Im Herbst 1998 hieß es in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung: Wir werden die hemmende Bürokratie rasch beseitigen. Dabei werden wir überflüssige Vorschriften streichen und auf diese Weise die Regelungsdichte vermindern.

   Seitdem sind knapp fünf Jahre vergangen. Es besteht also Gelegenheit für eine kurze Zwischenbilanz. Tatsächlich hat es die rot-grüne Koalition in diesem Zeitraum geschafft, 89 Gesetze und 446 Rechtsverordnungen abzuschaffen. - Das ist die gute Nachricht.

   Jetzt kommt die schlechte. Allerdings ist es derselben Regierung im gleichen Zeitraum gelungen, 518 neue Gesetze und 1 832 neue Rechtsverordnungen zu erlassen. Im Klartext: Es gibt heute rund 1 800 Gesetze und Rechtsverordnungen mehr als zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Regierung an den Start gegangen ist. Das ist der weltweit einzigartige Versuch, durch 1 800 Gesetze und Verordnungen die Regelungsdichte in unserem Staat zu vermindern und Bürokratie abzubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Volker Kröning (SPD) - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie wissen doch, dass das eine Milchmädchenrechnung ist!)

   Dieser etwas kuriose Versuch wird fortgesetzt. Vor genau drei Wochen hat eine Kollegin der SPD-Fraktion von dieser Stelle aus ein Heimtierschutzgesetz gefordert, mit der Begründung, es gebe in Deutschland zwar rund 90 Millionen Heimtiere, aber wie sie lebten und wie sie gehalten würden, das wisse der Staat nicht. Deshalb brauche man klare Regelungen auf Bundes- und Landesebene für die Zucht, die Ausbildung, die Haltung und den Handel von Heimtieren.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Und Fortbildung!)

Diese Forderung ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil durch sie der völlig falsche Eindruck erweckt wird, als gelte das Tierschutzgesetz nicht für Haustiere, sondern auch, weil jetzt offenbar wieder einmal geplant wird, ein neues Gesetzespaket auf den Weg zu bringen und staatlichen Behörden neue Aufgaben zuzuweisen - und dies ausschließlich zu dem Zweck, in Millionen von Haushalten zu kontrollieren, ob dort Goldfische, Meerschweinchen, Katzen, Hunde und Co. nach noch näher zu definierenden Vorschriften für die Haltung von Haustieren einquartiert sind. So geht es nicht weiter! Ich befürchte nämlich, dass diese Forderung auch noch ernst gemeint ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir können doch nicht einerseits einen viel zu großen öffentlichen Dienst beklagen - immer versehen mit dem Hinweis, Anfang der 50er-Jahre gab es 2 Millionen öffentlich Bedienstete, heute sind es knapp 5 Millionen -

(Hans Eichel, Bundesminister: Aber nicht beim Bund!)

und andererseits immer neue staatliche Aufgaben erfinden und diese den Behörden und damit den dort tätigen Mitarbeitern übertragen. Wir müssen den umgekehrten Weg gehen: Wir müssen jede staatliche Aufgabe dahin gehend überprüfen, ob sie erstens tatsächlich noch notwendig ist, ob sie zweitens zwingend von staatlichen Instanzen erfüllt werden muss und drittens, wenn ja, auf welcher Ebene sie zweckmäßigerweise erledigt werden soll.

   Wenn sich der Staat vornimmt, all das, was theoretisch geregelt werden könnte, auch tatsächlich gesetzlich zu regeln, wenn der Staat sich vornimmt, jedes einzelne Problem, das im Leben auftreten kann, von Amts wegen zu lösen, dann wird dieser Staat selber zu einem Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Ja.

Otto Schily (SPD):

Herr Kollege Bosbach, Sie haben von der Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gesprochen und dabei offenbar beklagt, dass diese Zahl zu groß sei.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Hat er gar nicht! Das war eine Feststellung!)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Nein, das habe ich nicht beklagt.

Otto Schily (SPD):

Sie haben das nicht getan? - Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass beim Bund die Zahl der öffentlich Bediensteten niedriger ist als nach der Wiedervereinigung.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Ich weiß, sie ist geringer als nach der Wiedervereinigung.

Otto Schily (SPD):

Ist Ihnen auch bekannt, dass die Zahl für ganz Deutschland gilt?

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Ja.

Otto Schily (SPD):

Dann möchte ich nur noch einmal hervorheben, dass wir die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zurückgeführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Herr Kollege Schily, Sie haben bestimmt wichtige Regierungsgeschäfte erledigt und nicht die Muße gehabt, mir wörtlich zuzuhören. Ich habe gesagt, wir können nicht beklagen, dass der öffentliche Dienst zu aufgebläht ist und es zu viele so genannte Bürokraten gibt, und gleichzeitig den Behörden ständig neue Aufgaben übertragen, das heißt, einer geringer werdenden Zahl von Beamten immer mehr Aufgaben übertragen.

(Erich G. Fritz (CDU/CSU): Richtig, erkläre es ihm noch einmal! - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Gut, dass wir einmal ausführlich darüber sprechen!)

   Anfang der 50er-Jahre gab es 2 Millionen öffentlich Bedienstete, jetzt gibt es knapp 5 Millionen. Ich möchte ein Beispiel aus meinem Heimatland, aus Nordrhein-Westfalen, anführen. Dort gab es Mitte der 60er-Jahre für etwa 16 Millionen Einwohner 200 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst, jetzt gibt es dort für knapp 18 Millionen Einwohner 416 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst.

   Nur dann, wenn wir uns auf unsere Kernaufgaben konzentrieren und nicht alles regeln, was wir regeln könnten, sondern nur das, was dringend geregelt werden muss, kann es uns gelingen, Bürokratie abzubauen, die Staatsquote zu senken und Freiheiten zurückzugeben. Dann dürfte auch die beliebte Pauschalkritik am öffentlichen Dienst im Allgemeinen und an Beamten im Speziellen nicht ständig neue Nahrung bekommen.

   Demjenigen, der sich an dieser Pauschalkritik beteiligt, sei Folgendes gesagt: Die Zahl der Beamten wächst nicht von selber, kein Beamter sitzt auf einer Planstelle, die er selber geschaffen hat; nicht Beamte, sondern Politiker beschließen Gesetze und übertragen Aufgaben auf Behörden und die dort tätigen Mitarbeiter.

   In diesem Bereich wie auch für die Arbeit der Kommission sollte gelten: Wir müssen uns bescheiden. Die Qualität unserer Arbeit sollte am Ende einer Wahlperiode nicht daran gemessen werden, wie viele Gesetze wir erlassen und - das gilt für die Regierung, die Exekutive -, wie viele Rechtsverordnungen wir in Gang gesetzt haben, sondern daran, ob wir als Gesetzgeber auch den Mut hatten, einmal Gesetznehmer zu sein.

   Wir wollen unseren Bundesstaat erhalten und die Länder stärken. Das ist kein Widerspruch.

Klare Zuständigkeiten stärken Bund und Länder in gleicher Weise. Klare Zuständigkeiten nützen dem Staat und vor allen Dingen den Bürgern.

   Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rot-grüne Regierungskoalition hat sich in diesem Jahr sehr ehrgeizige Reformprojekte vorgenommen und sie auch schnell auf den Weg gebracht. Dass unsere bundesstaatliche Ordnung nicht gerade dazu beiträgt, dass wir bei diesen Reformprojekten schnell vorankommen, haben in den letzten Monaten viele gemerkt. Ich glaube, das ist auch unumstritten. Wir wollen nicht jammern und sind auch nicht verdrießlich, sondern gehen weiter energisch ans Werk.

   Wenn inzwischen in diesem Land Konsens herrscht, dass dieses Land dringend Strukturreformen braucht, dann ist es in der Tat richtig und wichtig, dass wir gemeinsam einen Blick auf unsere bundesstaatliche Ordnung werfen und uns fragen, welcher Reformbedarf dort besteht. Hier ist die Politik richtig gefordert. Deswegen begrüßen wir es, dass die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung heute eingesetzt wird.

   Insbesondere die internationalen Herausforderungen, die sich uns stellen, haben sich geändert. Der für die Rechtsgebung maßgebliche Wirtschaftsraum ist nicht mehr der nationale Wirtschaftsraum. Es geht nicht mehr nur um nationales Einheitsrecht für den nationalen Wirtschaftsraum. Der für uns maßgebliche Wirtschaftsraum ist zunehmend das integrierte Europa, wo auch zunehmend die entsprechende Rechtssetzung stattfindet.

   Gleichzeitig ist es offenkundig, dass die Globalisierung den Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften um die besten Lösungen für ähnliche Probleme verstärkt, aber auch beschleunigt hat. Gerade die kleinen Volkswirtschaften machen uns da zum Teil heute etwas vor. Unsere bundesstaatliche Ordnung muss also in Bezug auf die Frage, ob sie europatauglich und unter diesen veränderten Herausforderungen noch effizient ist, auf den Prüfstand. Hier müssen wir als Politiker ran.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es geht aber nicht nur um die Effizienz, sondern auch um die Demokratiedefizite. Die Bürgerinnen und Bürger merken, dass die gestiegenen Anforderungen an Effizienz, Transparenz und Schnelligkeit einerseits und die realen Möglichkeiten unseres Systems andererseits zunehmend auseinander driften. Es ist deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Auseinanderdriften der Politik insgesamt anlasten. Natürlich lasten sie diese Defizite der Regierung immer ein bisschen mehr an als der Opposition. Das ist auch in Ordnung.

   Aber ich war viele Jahre Oppositionspolitikerin und bin mir ziemlich sicher, dass heute auch das Geschäft der Opposition schwieriger geworden ist. Früher konnte man als Oppositionspolitikerin sagen: Hurra, ich bin der Held, wir haben etwas verhindert. Heute aber merken die Bürgerinnen und Bürger sehr genau, dass mit Aufhalten, Verhindern und Blockieren kein Problem in unserem Land gelöst wird. Deswegen reicht das auch für die Opposition nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir wollen uns hier nicht gegenseitig etwas vorwerfen. Wenn die Mehrheit im Bundesrat eine andere ist als die Mehrheit im Bundestag, dann wird es immer die Tendenz geben - egal, ob schwarz-gelb in Bonn regiert wurde oder ob heute rot-grün in Berlin regiert wird -, dass die Länderkammer für das Durchsetzen parteipolitischer Oppositionsinteressen genutzt wird.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das haben wir von Ihnen gelernt!)

Dabei werden die eigentlichen Länderinteressen in den Hintergrund und an den Rand gedrängt, ganz zu schweigen von den kommunalen Interessen, die dabei gar nicht berücksichtigt sind, und davon, dass die Landtage als Landesgesetzgeber marginalisiert worden sind.

   Was daraus erwächst, hat mit Effizienz wenig zu tun. Es hat übrigens auch nichts mit Effizienz zu tun, dass wir in einer nationalen Wahlperiode 16 verschiedene Landtagswahlen haben und vor jeder Landtagswahl nichts Wichtiges mehr entschieden werden darf. Die Bürgerinnen und Bürger merken, dass das mit Demokratieeffizienz nichts zu tun hat.

   Das, was darauf folgt, nämlich Tauschgeschäfte und Verhandlungen, empfinden die Bürgerinnen und Bürger als intransparent; das wurde hier schon mehrfach zu Recht gesagt. Die Leute fragen sich, wer für Entscheidungen überhaupt verantwortlich ist, wer verantwortlich ist, wenn es in bestimmten Bereichen nicht vorangeht. Ihnen ist nicht klar, welche Teile eines Gesetzes, das verabschiedet wurde, wem zuzuschreiben sind. Das ist ein Demokratiedefizit, das nicht nur der Politik schadet, sondern auch dem Ansehen der Demokratie insgesamt. Zu Recht haben die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck, dass man sich in den Gesetzgebungsprozessen zu vielen Fragen, ob das der Subventionsabbau oder die Gesundheitsreform ist, am Ende nicht auf die notwendigen Änderungen einigt, sondern nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Der kleinste gemeinsame Nenner reicht heutzutage aber einfach nicht mehr aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich will unser föderatives System nicht schlechtreden. Es hat eine Menge Vorteile: Bürgernähe, innovative Vielfalt. Verhandlungsdemokratien gibt es auch in anderen Ländern, allerdings nicht unbedingt solche, in denen die Landesregierungen der Teilstaaten das nationale Parlament aushebeln können. Dieses System an sich ist nicht schlecht, wir wollen es auch nicht als Ganzes auf den Kopf stellen. Wir wollen aber realistische Schritte machen. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes sind davon ausgegangen, dass 10 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sein sollten; heute stellen wir dagegen fest, dass 60 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sind. Dieser Prozentsatz ist einfach zu hoch und ist nicht angemessen angesichts der Aufgaben, vor denen wir stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)

   Es geht nicht nur darum, Demokratiedefizite zu beseitigen, sondern auch darum, die Problemlösungsfähigkeit in unserer bundesstaatlichen Ordnung zu erhöhen. Ob wir in der Lage sind, beim Verbraucherschutz dafür zu sorgen, dass die Bürger überall gleich gut, gleich schnell und gleich effizient vor Krankheiten wie BSE geschützt werden, ob wir in der Lage sind, EU-Umweltrichtlinien schnell, zuverlässig und unbürokratisch umzusetzen, ob wir im internationalen Wettbewerb und in der Bildungs- und Forschungspolitik - dazu gehören Themen wie Kinderbetreuung und Ganztagsschulen - strategie- und handlungsfähig sind, das sind Fragen, bei denen unser jetziges Politiksystem auf dem Prüfstand steht.

   Ich will ganz deutlich sagen: Verbesserung der Problemlösungsfähigkeit ist nicht gleich entfesselter Standortwettbewerb. Ein entfesselter Standortwettbewerb führt teilweise auch zur Ausweitung staatlichen Handelns: mehr indirekte Subventionen, mehr verbeamtete Lehrer. Er führt andererseits auch zu einem Verzicht auf Einnahmen - was einer nachhaltigen Infrastrukturpolitik schadet - und setzt eine Abwärtsspirale bei Schutzrechten in Gang. Das kann nicht die Lösung sein. Mit einem entfesselten Standortwettbewerb wird man nicht nur einen Politikstreit auslösen, sondern auch die Länder spalten. Die Länder haben nämlich kein Interesse daran, dass die Autonomie der Starken entfesselt wird und die Schwachen abgehängt werden. Solche Vorstellungen werden uns deshalb in der Kommission sicherlich nicht voranbringen.

   Es wird uns aber voranbringen, wenn wir uns ernsthaft mit dem Thema auseinander setzen, wie Aufgaben besser und effektiver wahrgenommen werden können und wie wir den Wettbewerb der Länder verbessern und einen Benchmark der Länder in Gang setzen können. Wir müssen uns ernsthaft mit Modellen befassen - solche sind in der Diskussion -, die Experimentier- und Öffnungsklauseln zum Inhalt haben. Es gibt verschiedene Vorstellungen darüber, wie man diese Prozesse durch Befristung, Zustimmungs- und durch Vetorechte begleiten kann. Eine pauschale Rückübertragung von großen Komplexen an Gesetzgebungskompetenz an die Länder halte ich nicht unbedingt für den richtigen Weg.

   Meine Damen und Herren, es wird auch viel die Frage diskutiert, ob wir nicht eine Neugliederung unseres Bundesstaates brauchen. Das halte ich im Prinzip für eine wünschenswerte Überlegung. Ich sage als Hamburgerin ganz offen: Ich bin für einen Nordstaat. Aber das kann man nicht von oben verordnen. Wenn wir solche Überlegungen an den Anfang stellen, dann werden wir in der Kommission scheitern. Darin sind wir uns, glaube ich, einig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Worüber wir uns aber Gedanken machen sollten, ist, wie wir Anreize für eine Kooperation der Länder schaffen können, gerade auch beim Lastenausgleich.

Das kann durchaus ein Thema für die Kommission sein.

   Ich möchte noch eine Frage aufgreifen, die der Bundestagspräsident hier gestellt hat: Wie sehen wir die Aufgabe und die Situation unserer gemeinsamen Hauptstadt in der Zukunft? Ein sozialer, fairer Wettbewerbsföderalismus und auch die Neugliederungsdiskussion werden uns diese Frage nicht beantworten. Ich weiß, dass gerade hier in Berlin viele Menschen darauf hoffen, dass die Kommission eine Antwort darauf gibt, wie wir in der Zukunft Berlin als unsere gemeinsame Hauptstadt gestalten wollen. Ich glaube, deswegen wäre es gut, sich dieser Frage anzunehmen.

   Wir werden in der Kommission nicht alle Fragen beantworten können. Ich glaube aber: Wenn wir uns im Kopf ein Stück weit davon befreien, immer nur zu bedenken, wer gerade wo die Mehrheit hat, und immer nur die Querelen des Tagesgeschäftes im Blick zu haben, und wirklich rollenübergreifend in die Zukunft schauen, dann können wir in dieser Kommission die notwendigen, wichtigen Schritte gemeinsam tun. Das ist für das Land und das Ansehen der Politik in der Zukunft auch nötig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP wird, wie es auf dem Antrag ja auch steht - sie ist eine der Antragstellerinnen -, der Vorlage zustimmen, mit der wir uns an die Arbeit begeben wollen, ein Stück mehr Transparenz in das Gefüge der politischen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland zu bringen; darum geht es.

   Ich glaube, dass wir das auch können, weil jeder von uns - egal wo er seinen politischen Standort hat - spürt, dass man nicht mehr ausreichend vermitteln kann, für was man selbst die politische Verantwortung trägt, was man hat entscheiden können und was nicht und wo die übrigen Positionen lagen. Mit Blick auf die spätere Wahlbeteiligung und die politische Wachsamkeit sowie das politische Interesse der Bevölkerung haben wir alle ein massives Interesse daran, dass diese Sachverhalte in der Öffentlichkeit klarer werden, als sie heute sind.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der Kollege Müntefering hat zu Recht gesagt, dass das Grundgesetz überhaupt nicht zur Disposition steht. Das Grundgesetz ist eine äußerst kluge Verfassung, seine Mütter und Väter bewiesen große Klugheit angesichts der historischen Erfahrung. Durch das Grundgesetz wird die einzigartige Chance eröffnet, zur Balance of Power, zu einem Machtgleichgewicht, zu Machtkontrolle und Kontrollmechanismen in einem demokratischen Staat zu kommen. Trotz dieser Verfassung wird aber niemandem in Deutschland mehr klar, wie diese ausgeübt werden. Es ist wahr, dass wir herausgefordert sind, das wieder deutlicher zu machen.

(Beifall bei der FDP)

   Das bedeutet zuallererst, dass wir den einzelnen staatlichen Ebenen wieder die Fähigkeit geben müssen, einen größeren Teil ihrer eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln - das muss auch öffentlich deutlich werden -,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und zwar beginnend von unten. Das heißt: Hier im Bundestag ist in absehbarer Zeit die Entscheidung unumgänglich, das - auch wenn dieses Fremdwort schwer zu vermitteln ist - Konnexitätsprinzip zum Prinzip der politischen Entscheidung zu machen. Wenn es nach der Fraktion der FDP ginge, müsste dies im Grundgesetz klar und eindeutig an hervorragender Stelle verankert werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir können nicht immer nur über die Eigenständigkeit der Gemeinden reden, ohne dass wir das im Grundgesetz fein formulieren, was der Kollege Bosbach mit dem verständlichen Ausdruck „Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch“ umschrieben hat. Ein Kommunalvertreter kann für die Wähler nur dann glaubwürdig eintreten, wenn er auch Verantwortung übernehmen kann. Aus welchen politischen Gründen auch immer - die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland war in der Wirklichkeit nun einmal so - sind die Länder heute sowohl bezüglich ihrer Finanzierungsgrundlagen als auch bezüglich ihrer tatsächlichen eigenen Fähigkeiten - ich denke an das, was ein Landtag heute wirklich noch entscheiden kann - ernsthaft in Bedrängnis geraten.

Es wird hier beklagt, dass die Länder über den Vermittlungsausschuss immer mehr in die Position geraten, Entscheidungen dieses Parlaments zu verzögern und zu beeinträchtigen. Sie selbst sind aber auch in keiner beneidenswerten Lage. Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen würden uns hier wahrscheinlich einen Vortrag darüber halten, dass man sich die Frage stellen muss, was außer den Fragen bezüglich der Begleitung des Verwaltungshandelns in den Ländern tatsächlich noch zu entscheiden ist. Die Länder müssen ein Interesse daran haben, sich Spielraum zu verschaffen. Wenn sie diesen Spielraum nutzen wollen, dann können sie sich nicht ausschließlich auf die Begleitung der Bundesgesetzgebung konzentrieren, um sich dort politisch zu profilieren. Sie müssen zur Ausgestaltung ihres Wirkungskreises politisch konzeptionell arbeiten können. Einen solchen Wettbewerbsföderalismus streben wir an.

   Wir wollen keinen entfesselten Wettbewerb. Die Regeln der Fairness müssen eingehalten werden. Auch in einem Wettbewerbsföderalismus - Professor Böhmer hat es zum Ausdruck gebracht - muss Chancengleichheit gelten. Man kann den ostdeutschen Bundesländern heute nicht ausschließlich Wettbewerbsföderalismus predigen, wenn die politisch Verantwortlichen nicht einmal die Chance haben, von der gleichen Linie aus zu starten, um am Wettbewerb teilzunehmen. Das ist völlig klar.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Hier wären Sonderzuweisungen des Bundes begründet. Allerdings darf das nicht auf Kosten politischer Führungsfähigkeit in den westdeutschen Bundesländern gehen. Das Budget des Saarlands beispielsweise deckt ohne Zuweisungen des Bundes noch nicht einmal die Kosten der eigenen Verwaltung. Deshalb ist ein Stück Courage notwendig, um die Finanzierungsgeflechte aufzulösen.

   Wahr ist, dass uns zwei erkennbare Schwächen an der Umsetzung solcher Entscheidungen hindern. Die eine Seite ist unsere eigene mangelnde Courage zu wirklicher politischer Führung. Die andere Seite - auch das ist wahr - ist, dass wir uns ein Geflecht von politischen Beteiligungsmechanismen, das sich in unseren Gesetzen widerspiegelt, aufgebaut haben, das nichts mehr mit der Balance of Power zu tun hat, die die Verfasser des Grundgesetzes diesem Land geben wollten.

(Beifall bei der FDP)

   Das müssen wir ändern. Deshalb ist die Einsetzung dieser Kommission richtig. Herr Kollege Müntefering, ich will mich nicht wiederholen, aber auf Folgendes hinweisen: Nach unserer Überzeugung wäre es besser gewesen, diese Aufgabe in einem Konvent zu verhandeln. Ich bin nämlich der Auffassung, dass wir keine abgestimmte Ausübung der Stimmrechte brauchen. Auch die Gemeinde- und Landtagsvertreter hätten wie wir Stimmrecht bekommen sollen. Ein Konvent hätte mehr politischen Druck als eine Kommission gemacht. Aber sei es drum! Sich überhaupt an diese Arbeit zu machen war für uns wichtiger.

   Frau Kollegin Sager, Sie haben vom Profil der Länder gesprochen. Es geht nicht darum, dass mit einem Wettbewerbsföderalismus nun ein riesiger Standortwettbewerb einsetzt. Aber es ist doch legitim, dass ein Land seine Chancen zu nutzen sucht. Wenn jemand in einem Land Verantwortung trägt, ist es doch vernünftig, dass er sich in einen Wettbewerb begibt, dass er auf dem Arbeitsmarkt, bei der Investitionsvergabe, bei Standortentscheidungen, bei der Infrastruktur und beim Bildungswesen eine bessere Politik zu machen versucht als ein benachbartes Bundesland. Das ist legitim und auch Wählerauftrag. Es geht nicht um einen ruinösen Wettbewerb, sondern es geht darum, eine gute politische Leistung zu erbringen und dafür die Früchte zu ernten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Eine solche gute politische Leistung kann heute nicht mehr erbracht werden; denn durch den jetzigen Finanzausgleich besteht mehr und mehr die Gefahr, dass erfolgreiche Politik bestraft wird: Über die Transfers kann so manches erfolgreiche Land an die Grenze der Überforderung gebracht werden. Das ist keine Chancengleichheit; denn zur Chancengleichheit gehört auch Chancengerechtigkeit. Einem Land, das in einem wettbewerblichen System mit überzeugender Politik erkennbar erfolgreicher als ein anderes ist, muss aus Gründen der Chancengerechtigkeit eine Belohnung für diese gute politische Leistung zuteil werden können. Dies aber ist nicht mehr sichergestellt. Das muss erörtert werden.

   Wir wollen nicht die Verfassung auf den Kopf stellen oder das Grundgesetz ändern. Wir wollen - das ist die Absicht der Fraktion der FDP und der Vertreter, die wir entsenden - der föderalen Ebene ein Stück Entscheidungskraft zurückgeben, was nach unserem Verständnis so in unserem Grundgesetz vorgesehen war, als unsere bundesstaatliche Ordnung nach 1945 geschaffen wurde.

Wenn man den Ländern Möglichkeiten zu Entdeckungsverfahren geben will, was eine Notwendigkeit ist, Frau Kollegin Sager - das ist von Ihnen ausgedrückt worden und entspricht auch meiner Haltung; wir wollen ihnen Möglichkeiten zu Entdeckungsverfahren geben -, dann muss man das auch glaubwürdig durchhalten. Dann gilt das auch für viele Bereiche der Gestaltung des sozialen Lebensumfeldes und nicht nur der wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn sich Lösungen in Entdeckungsverfahren bewähren, dann muss man sie den Ländern auch ermöglichen, auch wenn sie nicht der politischen Mehrheitsmeinung derer entsprechen, die auf Bundesebene demokratisch legitimiert für bestimmte Zeit Verantwortung haben.

(Beifall bei der FDP)

   Wenn ein Land zum Beispiel das Umfeld von Sozialhilfe, Hilfe zum Lebensunterhalt, Arbeitslosenhilfe mit anderen Mechanismen anders als die Mehrheit hier regeln möchte - und zwar ohne Mindeststandards zu unterschreiten -, dann muss man die Courage haben, dieses Land das auch machen zu lassen. Wettbewerbsföderalismus heißt, dass von einigen bessere Ergebnisse als von denen erzielt werden können, die alles überall gleich regeln wollen.

(Beifall bei der FDP)

   Wenn Hochschulen miteinander im Wettbewerb stehen, dann muss man es der Autonomie der Länder und der Hochschulen überlassen, ob sie Studiengebühren erheben oder nicht, und dann darf der Bundesgesetzgeber nicht Studiengebühren verbieten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dann werden wir sehen, welche Hochschulen aufgesucht werden und welche nicht.

   Wenn man ein Bundesgesetz macht, dann sollte man Experimentierklauseln für die Länder einführen, weil in den Ländern Kolleginnen und Kollegen von uns, wie auch immer die Mehrheiten sind, in politischer Verantwortung sind, die nicht nach dem Schlimmen trachten, sondern sich vielleicht durch eine individuell andere Lösung nicht nur selbst im Wettbewerb besser behaupten wollen, sondern auch glauben, damit einen Beitrag zur Lösungskompetenz des Gesamtstaates zu leisten.

(Beifall bei der FDP)

Zum Abschluss, meine Damen und Herren: Es macht sich niemand etwas vor; es ist offen, ob wir einen großen Sprung schaffen. Das ist eine mühselige Arbeit. Aber egal, wo unser politischer Standort ist: Wir müssen ein massives Interesse daran haben, dass die Öffentlichkeit wieder erkennen kann, wer welche politischen Ziele vertritt, wer sie wie begründet und wer wofür Verantwortung hat. Man kann unterliegen oder man kann Wahlen gewinnen, aber es muss wieder Klarheit herrschen.

   Ich habe die Hoffnung, dass wir ein Ergebnis zustande bringen, das es uns erlaubt, in den jeweiligen parteipolitischen Vorhaben das besser zu begründen, als wir es heute bei Wahlen und in der Öffentlichkeit transparent begründen können.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Bundesministerin Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es sehr, dass Sie heute über alle Fraktionsgrenzen hinweg die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung einsetzen wollen. Morgen wird ein vergleichbarer Beschluss im Bundesrat gefasst werden. Beide Institutionen sind sich darin einig, dass unsere bundesstaatliche Ordnung modernisiert werden muss.

   Diese Erkenntnis teilt die Bundesregierung. Wir haben deshalb schon vor gut einem Jahr auf Initiative des Bundeskanzlers eine Arbeitsgruppe eingesetzt, geleitet vom Bundeskanzleramt, die Vertreter der Ministerien und der Staats- und Senatskanzleien der Länder umfasst, in der wir uns mit eben diesem Thema befasst haben, das Sie sich vorgenommen haben.

   Wir haben auch den Befund zur Kenntnis nehmen müssen, dass, wie Herr Gerhardt gerade sagte, für die Bürgerinnen und Bürger offenbarer werden muss, wer in diesem Lande eigentlich wofür zuständig ist, wer die politische Verantwortung trägt und wen demzufolge Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Wahl, sei es die Bundestagswahl oder eine Landtagswahl, wieder abwählen können, weil er nicht das gemacht hat, was sie sich vorgestellt haben.

Diese Wahrnehmung ist heute nicht mehr möglich. Denken Sie an die großen Verfahren. Das letzte war das Zuwanderungsgesetz. Es ist nicht mehr klar, wer eigentlich die politische Verantwortung trägt. Das muss wieder geändert werden. Das muss aber im Rahmen dieses Systems geändert werden, denn der Föderalismus hat sich im Grundsatz in Deutschland bewährt. Dagegen wird man sicherlich nichts sagen können. Insofern, glaube ich, ist der Begriff Konvent, Herr Gerhardt, eher mit einer grundsätzlichen Reform der Verfassung oder mit einer Neuschaffung von Verfassung belegt. Das ist etwas, was wir nicht brauchen. Wir brauchen bestimmte Korrekturen an Stellschrauben, und zwar im Blick auf Probleme, die noch nicht einmal vom Grundgesetz selber verursacht worden sind, sondern im Wesentlichen von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der letzten 50 Jahre. Diese Korrekturen sind notwendig, nicht aber grundsätzlich neue Überlegungen im Sinne eines Konvents. Von daher halte ich es für richtig, dass Sie sich auf die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung beschränkt haben und sich damit ausdrücklich auf die bestehende bundesstaatliche Ordnung beziehen.

   Wenn wir feststellen, dass wir den Föderalismus zukunftsfähig gestalten und mehr Handlungsfähigkeit für Bund und Länder erreichen müssen, dann würde ich - das sehen Sie mir sicherlich nach - darauf Wert legen, dass auch der Bund mehr Zuständigkeiten bekommt. Es kann nicht nur darum gehen, dass die Länder mehr Gesetzgebungskompetenzen und Verantwortung bekommen, sondern auch für den Bund ist dies notwendig. Denn viele der Veränderungen beziehen sich auf eine verminderte Verantwortung des Bundes. Ich denke in diesem Zusammenhang an Art. 84 Grundgesetz und die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr richtig!)

   Die Bundesregierung geht davon aus, dass wir mit der angestrebten Reform drei Ziele verwirklichen müssen. Wir brauchen mehr Klarheit und Wahrheit bei der Aufgabenverteilung - das erwähnte ich bereits -, straffere Entscheidungsprozesse und vor allen Dingen einen europatauglichen Bundesstaat.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja!)

Das heißt, wir brauchen eine Form der Gesetzgebung, die auch auf die Anforderungen reagieren kann, die aus Europa auf uns zukommen.

   Zum Thema Gesetzgebungskompetenzen - ich habe das eben schon angedeutet - bestand in der Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern auf der Ebene der Staats- und Senatskanzleien und des Kanzleramtes bereits in einem Punkt grundsätzlich Einigkeit, nämlich dass die Rahmengesetzgebung - das heißt, die Kompetenzverteilung, nach der zunächst der Bund einen Rahmen setzt, innerhalb dessen den Ländern die Ausführung obliegt - abgeschafft werden sollte.

   Diese Form der Gesetzgebung führt dazu, dass Verantwortlichkeiten verschwimmen. Sie führt aber auch dazu, dass wir EU-Vorgaben nicht in der von der EU vorgesehenen Zeit umsetzen können. Der Bund hat in der Vergangenheit schon häufiger erhebliche Strafen zahlen müssen, weil einzelne Länder bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt haben. Wir meinen, das geht zukünftig nicht mehr an. In diesem Bereich müssen wir insgesamt schneller tätig werden.

   Wir sind in dieser Debatte sehr offen in der Frage, inwieweit den Ländern Kompetenzen übertragen werden bzw. inwieweit sie vollständig dem Bund übertragen werden sollten. Das muss man im Einzelfall prüfen, um dann zu einer Entscheidung zu kommen.

   Man muss sich aber auch über eines im Klaren sein: Der Bundesgesetzgeber wird sich nicht einfach aus Bereichen zurückziehen können, in denen er bisher bundeseinheitliche Regelungen geschaffen hat. Das heißt, es muss im Einzelfall geprüft werden, wo im Sinne der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit in Deutschland oder auch zur Wahrung der gleichwertigen Lebensverhältnisse einheitliche Regelungen notwendig sind. Johannes Rau hat einmal festgestellt, wir hätten keinen föderalen Bundesstaat beschlossen, damit alle Länder möglichst heftig gegeneinander kämpfen und abweichende Regelungen schaffen; vielmehr sei das Ziel eines solchen Staates, im Grundsatz die gleiche Richtung einzuschlagen. Ich glaube, wir sollten diese sehr einleuchtende Erkenntnis, die nur unterstrichen werden kann, auch in dieser Debatte zur Kenntnis nehmen. Es kann nicht darum gehen, dass wir die Vielfalt um der Vielfalt willen propagieren. Ansatzpunkt sollten vielmehr die Interessen der Menschen sein, die in diesem Staat leben, und die Frage, wie die Zuständigkeiten in deren Interesse formuliert werden sollten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet auch, dass wir einheitliche umweltrechtliche und soziale Schutzstandards bewahren müssen. Es geht nicht an, dass Sozialgefälle von Ost nach West oder von Nord nach Süd entstehen.

(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Schon verlässt Sie der Mut!)

- Nein, mich verlässt keineswegs der Mut. Die Frage ist, wen irgendwann der Mut verlässt, weil das nämlich auch heißt, dass man Kompetenzen abgeben muss. Das wird in dieser Debatte gerade für die Länder nicht einfach werden. Denn der wesentliche Punkt im Zusammenhang mit der Verantwortungsteilung nach Art. 84 wird von den Ländern sehr viel Mut erfordern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Das Grundgesetz sieht in Art. 84 das Erfordernis einer Zustimmung der Länder eigentlich nur dort vor, wo es um Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden geht. Die enorme Menge von Zustimmungsgesetzen, die hier schon mehrfach beklagt worden ist, geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück.

   Im Grunde muss eine Norm gefunden werden, aus der hervorgeht, dass die Verfassungsgeber das Grundgesetz nicht so gemeint haben, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt, sondern so, wie es in der Verfassung steht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Eine solche Norm zu formulieren wird schon schwierig genug sein.

Wir können allerdings insofern entspannt reagieren, als die Rechtsprechung des Karlsruher Gerichts erkennen lässt, dass inzwischen auch die Bundesverfassungsrichter der Meinung sind, dass ihre bisherige Auslegung nicht mehr zeitgemäß ist. Es gibt erste Bewegungen, die vermuten lassen, dass das Bundesverfassungsgericht selber Art. 84 des Grundgesetzes wieder anders auslegen wird. Wir müssen das auf jeden Fall auf die ursprüngliche Formulierung zurückführen. Das wird von den Ländern erheblichen Mut erfordern; denn das bedeutet natürlich, dass die Ministerpräsidenten nicht mehr in der bisherigen Weise über den Bundesrat bei Themen mit regieren können, für die sie nicht gewählt sind. Zu welchem Ergebnis die Kommission à la longue kommen wird, ist für meine Begriffe noch nicht geklärt. Allein die Tatsache, dass die Landesparlamente dafür mehr Kompetenzen erhalten werden, wird die Ministerpräsidenten im Zweifel nicht entschädigen. Die Frage nach dem Mut muss also auch auf der Seite der Länder beantwortet werden.

   Lassen Sie mich noch einen Gesichtspunkt erwähnen, den ich schon eben angesprochen habe. Die föderale Ordnung muss auch europatauglich werden. Wir müssen also sehen, dass in den Kompetenzbereichen wie zum Beispiel dem Umweltrecht ein übergreifender Ansatz besteht. Es interessiert in Europa niemanden, wie wir unser innerstaatliches Rechtssystem, zum Beispiel die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, organisiert haben. Es wird vielmehr verlangt, dass wir insgesamt reagieren. Es wird in Brüssel nicht wahrgenommen, dass wir bei den Gesetzgebungskompetenzen jeweils nach Luft, Wasser und Boden unterscheiden und dementsprechend differenziert handeln müssen. Es kann außerdem nicht sein - das sagte ich bereits -, dass wir in Brüssel Strafen dafür zahlen müssen, dass einzelne Länder ihre Hausaufgaben nicht machen und das, was beschlossen worden ist, nicht rechtzeitig umsetzen. Deshalb brauchen wir auch im Hinblick auf Europa eine Straffung der Kompetenzen und eine deutlichere Zuordnung der Zuständigkeiten.

   Wenn die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Erfolg haben soll, dann - so meine ich - sollte sie sich zunächst auf das beschränken, was unter den ersten beiden Spiegelstrichen im Einsetzungsantrag behandelt ist, nämlich auf die Beantwortung der Frage nach der bundesstaatlichen Ordnung. Das, was unter dem letzten Spiegelstrich aufgeführt ist - hier geht es um die Finanzverfassung -, sollte erst dann behandelt werden, wenn man hinter die ersten beiden Spiegelstriche einen Haken machen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es besteht - so meine ich wenigstens - eine erhebliche Gefahr, dass das eintritt, was der Bundestagspräsident heute Morgen in seiner Rede sagte, nämlich dass der Berg kreißt und ein Mäuschen gebiert. Das kann geschehen, wenn man zu viele Themen auf einmal anpackt und sich in der zur Verfügung stehenden Zeit - das ist die laufende Legislaturperiode - nicht darauf verständigen kann, alles zum Abschluss zu bringen. Die Probleme der Welt, die heute Morgen teilweise als Probleme des Bundes, der Länder und der Kommunen diagnostiziert wurden - hinzu kommt noch die europäische Verfassung -, wird die Kommission sicherlich nicht lösen können. Deshalb meine ich, dass wir schon eine Menge geschafft hätten, wenn es uns gelingen sollte, die Zuständigkeiten im Zusammenhang mit der Rahmengesetzgebung; mit Art. 84 und in anderen Punkten wirklich zu reformieren. Im Interesse eines solchen Ergebnisses sollte man also bei der Wahl der Aufgaben bescheiden bleiben. Man sollte zunächst mit einfachen Schritten beginnen und die von mir angesprochenen Themen abarbeiten. Erst dann sollte man sich an den finanzverfassungsrechtlichen Teil heranwagen.

   Ich jedenfalls wünsche allen Mitgliedern der Kommission eine glückliche Hand und den erforderlichen Mut. Die Bundesregierung wird die Arbeit der Kommission unterstützen, wo immer sie es kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag und - morgen - der Bundesrat machen sich an eine gewaltige Aufgabe, eine Aufgabe, die, wie Wolfgang Bosbach gesagt hat, spröde wirkt und bei der viele Menschen gar nicht verstehen können, worum es dabei eigentlich geht. Deswegen wünsche ich mir, dass die Vorsitzenden, aber auch alle Mitglieder der Kommission über die Kommissionsarbeit in einer Art und Weise berichten, dass die Menschen erkennen, dass es hier nicht um irgendeine Formalie zwischen Bund, Bundesländern und Bundesrat sowie zwischen Ministerien und verschiedenen Behörden geht, sondern um etwas, was die Menschen in ihrem täglichen Leben betrifft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies wird dann auch die notwendige Beteiligung weit über den Bundestag und den Bundesrat hinaus ermöglichen.

   Mein Wunsch, Herr Kollege Gerhardt, könnte nun dahingehend interpretiert werden, dass genau der Konventsgedanke, den Sie angesprochen haben, dies befördern könnte. Ich habe diese Idee aber in einem Beitrag in einem Magazin beleuchtet und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zusammensetzung eines Konventes die Aufgaben nicht erleichtert, weil danach im Deutschen Bundestag und im Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden muss. Deswegen haben wir - zwar nicht als Verpflichtung, aber am Rande unseres Einsetzungsbeschlusses - den Wunsch formuliert, dass auch alle Beschlüsse in der gemeinsamen Kommission mit Zweidrittelmehrheit gefasst werden; denn dann haben sie die größte Chance, umgesetzt zu werden.

   Worum geht es ganz konkret? Es geht nicht, wie manche meinen, um eine Verfassungskommission, die viele Punkte regeln soll. Es geht im Kern um eine zentrale politische Frage in der Demokratie: Wer ist für was zuständig und wer trägt Verantwortung für Entscheidungen? Nur dann, wenn diese Frage beantwortet wird, ist es den Bürgerinnen und Bürgern in einer Demokratie möglich, bei Wahlen ihr Urteil darüber abzugeben, ob die Entscheidungen richtig gefallen sind oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Wenn ich in Veranstaltungen bin, bin ich immer wieder beunruhigt, wenn wir, wie beispielsweise morgen - um ein ganz konkretes Beispiel anzusprechen -, über Arbeitsmarkt und Bundesanstalt für Arbeit sprechen und entscheiden werden. Dann berichten die Medien darüber, wie die Bundesanstalt für Arbeit in Zukunft organisiert wird, wie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe aussehen werden und in welcher Größenordnung Arbeitslosengeld bezahlt wird. Dann beginnt eine Diskussion darüber, was der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Drei bis sechs Wochen später erleben die Menschen auf einmal, dass ein ganz anderes Ergebnis herausgekommen ist. Derjenige, der sich nicht jeden Tag mit Politik beschäftigt, versteht überhaupt nicht, was passiert ist, und denkt: Am Freitag, dem 17. Oktober, hat der Bundestag entschieden, wie das aussehen soll, und sechs Wochen später, am 26. November, beschließt er etwas ganz anderes - die in Berlin müssen irre sein. Dieser Zustand muss geändert werden. Wir müssen klare Zuständigkeiten haben und dürfen nicht eine verwirrende Botschaft an die Menschen in unserem Land aussenden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich habe die große Ehre und Freude, im Vermittlungsausschuss tätig zu sein - eine Tätigkeit, die viel Zeit kostet. Der Vermittlungsausschuss ist eine Einrichtung, in der gestaltet werden kann. Aber genau das, was vielfach von Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen im Deutschen Bundestag gefordert wird, nämlich dass wir mehr an der Entscheidung über Gesetze beteiligt sein müssen, findet im Vermittlungsausschuss nicht mehr statt. Ein Gesetz kommt ganz anders aus dem Vermittlungsausschuss heraus, als es hineingekommen ist. Dann kann ich meiner Fraktion oder kann der Kollege Schmidt seiner Fraktion am Freitagmorgen nur sagen: Leute, gestern Nacht war Vermittlungsausschuss, ihr könnt mit Ja oder Nein stimmen; mehr ist nicht mehr zu machen. Mancher fragt sich dann: Wer hat unser Gesetz so zerstört? Deswegen muss die Aufgabe des Vermittlungsausschusses so definiert werden, dass sie eine Ausnahme und nicht der Regelfall ist. Herr Kollege Müntefering hat darauf ganz entschieden hingewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Damit keine Missverständnisse entstehen, will ich gleich dazusagen: Solange die Kompetenzen so verteilt sind wie jetzt, werden wir natürlich unsere Einflussmöglichkeiten im Interesse des Landes, um für die Menschen bessere Gesetze zu bekommen, nutzen müssen. Wir werden sie auch nutzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Im Rahmen der Vorbereitung dieser Kommission sind immer wieder folgende Fragen gestellt worden: Entmachtet sich der Bundestag selbst? Welche Aufgaben bleiben für ihn noch übrig, wenn auf der einen Seite das Europäische Parlament und auf der anderen Seite die Landesparlamente stehen? Was haben wir eigentlich noch zu tun? Diese Fragen ängstigen mich überhaupt nicht. Vor dem Hintergrund mancher Debatte und mancher Initiative der Fraktionen meine ich, wir könnten angesichts der Größe der Aufgaben des Deutschen Bundestages noch manches konzentrieren. Zur Regierungskoalition gewandt, möchte ich fragen: Wäre es nicht wenn wir uns von einigen Aufgaben trennten, wieder eher möglich, mehr im Deutschen Bundestag miteinander zu besprechen?

   Wir hätten dann wieder mehr Zeit und es müssten, vor allem aufseiten der Regierung, nicht so viele Kommissionen eingesetzt werden. Dies wäre ein schöner Gewinn.

   Der Herr Präsident hat heute darauf hingewiesen, dass ich gefordert habe, den Ländern mehr Kompetenz und mehr Macht zukommen zu lassen. Herr Präsident, Sie haben das völlig richtig wiedergegeben. Ich werde gleich zwei konkrete Fragen stellen, durch die verständlich wird, was in dieser Kommission passiert oder passieren könnte. Heute, mehr als zehn Jahre nach der deutschen Einheit, sind die Lebensverhältnisse in den neuen und in den alten Bundesländern noch immer unterschiedlich; dennoch haben wir hier, im Deutschen Bundestag, Sachverhalte zu regeln, die wir weitgehend nur einheitlich regeln können. Warum muss aber über die Sozialhilfe und ihre Höhe hier im Deutschen Bundestag, also zentral, entschieden werden? Könnten dies die Länder unter Berücksichtigung ihrer besonderen Situation nicht viel besser machen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Länder könnten zielgenauer reagieren.

   Morgen werden wir im Deutschen Bundestag über „Hartz IV“ diskutieren. Für die Menschen ist überhaupt nicht erkennbar, was sich dahinter verbirgt. Es geht um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer neuen Form von Hilfe mit einer einheitlichen Höhe. Wir, die wir aus den alten Bundesländern kommen, müssen erkennen, dass sich die Situation in den neuen Bundesländern - die Arbeitslosigkeit liegt dort teilweise bei 25, 27 oder 28 Prozent; der Mittelstand ist dort noch nicht so ausgebaut wie im Westen, weswegen man dort weniger Möglichkeiten hat - anders als in den alten Bundesländern darstellt, wo die Arbeitslosigkeit teilweise bei 5, 6, 7 oder 8 Prozent liegt. Deswegen liegt es im Interesse der Menschen - es geht gar nicht um die Interessen der Länder oder des Bundes -, dass die Politik näher an ihre Lebenswirklichkeit herankommt. Das können die Länder in vielen Bereichen besser als der Deutsche Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Frau Kollegin Sager, ich trete leidenschaftlich für den Wettbewerbsföderalismus ein. Es geht dabei nicht - der Kollege Gerhardt hat das richtig dargestellt - um einen Wettbewerb, der isoliert in jedem einzelnen Land und ohne Verantwortung für das Gemeinwesen insgesamt stattfindet. Wir wissen sehr genau, dass es einen Länderfinanzausgleich geben muss. Er wird durch die Arbeit dieser Kommission überhaupt nicht zur Disposition gestellt. Aber wer Wettbewerb will - jeder, der den Föderalismus stärken will, muss Wettbewerb wollen; da sollten wir uns nicht in die Tasche lügen -, muss den am Wettbewerb Teilnehmenden die Chance geben, durch die bessere Erfüllung von Aufgaben für sein Land mehr zu erreichen. Mehr Föderalismus und mehr Wettbewerb heißt, dass die einzelnen Länder trotz des Länderfinanzausgleichs mehr von den Erträgen ihrer Arbeit behalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ein in diesem Sinne verstandener Wettbewerbsföderalismus findet in den Ländern schon in ganz anderer Art und Weise statt, und zwar mit großem Erfolg. In den Ländern, aber auch in der ganzen Republik stehen die Städte und Gemeinden im Wettbewerb. Es geht darum, wie eine Kommune Aufgaben besser erfüllen kann als die Nachbarkommune. Es geht darum, ob sie sich für diese oder für jene Investition entscheidet. Genau dieser Wettbewerb hat uns auf kommunaler Ebene enorm vorangebracht. Es sind neue Ideen entstanden.

   Ich nenne wieder ein Beispiel aus dem Bereich, über den wir morgen sprechen wollen. Warum meinen wir im Bundestag, besser zu wissen, wie in einer Stadt mit 20 000 Einwohnern Arbeitsvermittlung stattfinden sollte, und trauen der Kommune nicht zu, das selbst zu entscheiden? Warum wollen wir das zentral steuern?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Damit bin ich wieder bei meinem Thema. Es geht ganz entscheidend darum, den Menschen zu vermitteln: Hier sitzen nicht zwei große Gremien der Demokratie, Bundestag und Bundesrat, zusammen, um über die Aufgabenverteilung und darüber, wer was kann, zu streiten. Vielmehr haben wir hier das Ziel, eine Verbesserung der Entscheidungsstrukturen zu erreichen, um mit unseren Entscheidungen, den Entscheidungen von Bund und Ländern, näher bei den Menschen zu sein. Auf diesem Weg wünsche ich viel Erfolg und viel Glück. Herr Präsident, Sie haben mich zitiert. Jawohl, wir sind bereit, dazu beizutragen. Wir wollen, dass dieses große Vorhaben im Interesse der Menschen zum Erfolg geführt wird.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen in dieser Legislaturperiode vor einer ganz entscheidenden Weichenstellung. Es geht um nicht weniger als um die Reformierbarkeit der politischen Entscheidungsstrukturen unserer Republik. Die Demokratie - Herr Kauder hat das beschrieben - hat eine Vertrauenskrise, weil viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr verstehen, wer welche Entscheidungen zu verantworten hat, warum bestimmte Reformen sozusagen halbiert aus dem Vermittlungsausschuss herauskommen und warum die Bundestagsmehrheit, die einen demokratischen Gestaltungsauftrag bekommen hat, an bestimmten Punkten durch den Bundesrat gehindert ist, den Auftrag der Wählerinnen und Wähler auch so umzusetzen, wie sie ihn umsetzen will. Die Verfassungsreform, die 1994 gescheitert ist, muss jetzt gelingen. Es stehen an eine Neuaufstellung der staatlichen Ebenen und eine Reform der Institutionen, des Institutionengefüges dieser Republik.

   Als Frankreichs vierte Republik 1958 feststellte, dass ihre Institutionen nicht mehr in der Lage waren, die Herausforderungen der Zeit zu bewältigen, hat man sich dort dafür entschieden, das verfassungsrechtliche Gefüge grundsätzlich zu reformieren. Wir sprechen heute von der fünften Republik in Frankreich.

   Gelingt mehr als eine redaktionelle Überarbeitung des Grundgesetzes, nämlich, wie es in dieser Debatte anklang, eine grundsätzliche Reform der Gesetzgebungskompetenzen sowie der Finanzverteilung und der Finanzströme, dann wird man in Deutschland von einer dritten deutschen Republik sprechen können. Das erste Kapitel dieser Republik wäre am Ende dieses Reformprozesses aufgeschlagen.

   Frankreich hat zu seiner Verfassung am Ende jenes Prozesses damals eine Volksabstimmung durchgeführt. Volksabstimmungen zu ermöglichen und unsere Verfassung endlich auch dem deutschen Volk vorzulegen wäre, meine ich, ein Thema, über das wir in diesem Zusammenhang ebenfalls diskutieren sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es gerade nicht!)

   Die anstehende Föderalismusreform bietet in erste Linie neue Chancen für unsere Demokratie. Sie bietet die Möglichkeit, Verantwortung erkennbar zu machen und auch für die Bürgerinnen und Bürger deutlich zu machen, welche Akteure, welche Parteien politisch die Verantwortung für Gesetzgebungsvorhaben oder für die Verhinderung solcher Vorhaben tragen. Der Wahldemokratie laufen heute die Wählerinnen und Wähler weg. Wir können mit der Föderalismusreform dafür sorgen, die Demokratinnen und Demokraten wieder zurückzugewinnen, und den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass es sich lohnt, mitzumachen.

   Unser Föderalismus ist kein starres Gebilde, sondern muss als dynamisches System fortentwickelt und an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Die Institutionen haben sich in 50 Jahren Verfassungsgeschichte immer weiter ineinander verkantet.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Das Ergebnis ist allzu oft Stillstand.

   Uns wird diese Föderalismusreform nur gelingen, wenn es zu einem fairen Geben und Nehmen zwischen Bund und Ländern bei Gesetzgebungskompetenzen und Zuständigkeiten der verschiedenen staatlichen Ebenen kommt. Dabei müssen wir uns von einer Philosophie leiten lassen, die allen Ebenen - Bund, Ländern und Kommunen - mehr Gestaltungsfreiheit und mehr eigenständige Kompetenzen zuweist. Auf welchem Wege sich die Gesetzgebungsautonomie der Länder stärken lässt, darüber wird die Kommission ausführlich beraten müssen.

   In der Wissenschaft wird, frei von politischen Rahmenbedingungen, häufig die Meinung vertreten, wir bräuchten acht leistungsfähige, starke Länder. Ich glaube, wer die Hürde für das Gelingen der Föderalismusreform so hoch legt, wird daran scheitern. Aber wir müssen darüber diskutieren, dass die Länder unterschiedlich leistungsfähig sind. Damit die Zuweisung neuer Kompetenzen und neuer Gestaltungsspielräume im Rahmen des fairen Gebens und Nehmens glücken kann, müssen wir wahrscheinlich auch neue Formen der Kooperation zwischen den kleineren und schwächeren Ländern unterhalb der Fusionsebene finden.

   Hier wurde viel von Wettbewerbsföderalismus geredet. Wir müssen ganz klar darauf achten, dass es keine Rechtszersplitterung geben darf. Der Bund muss in Kernbereichen immer die Möglichkeit haben, für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der SPD)

Zum Beispiel in Fragen der Existenzsicherung, beim Wohngeld, bei der Sozialhilfe, bei der Daseinsvorsorge und in der Wohnraumversorgung ist dies unerlässlich.

   Im Hinblick auf Hartz III und IV bin ich sehr dafür, dass die Kommunen, die in diesem Bereich sehr gute Arbeit leisten - meine Heimatstadt gehört dazu -, in den Vermittlungsprozess aktiv einbezogen werden. Köln hat schon heute ein Jobcenter beim Sozialamt. Warum sollte man diese Kompetenz nicht nutzen? Aber wir können auch nicht darüber hinwegschauen, dass andere Kommunen eine solche Arbeit nicht leisten können und auch gar nicht wollen. Wir müssen darauf achten, dass der Arbeitslose keine Niete zieht, wenn er in der falschen Stadt lebt. Der Bund hat die Aufgabe, für einheitliche Vermittlungsanstrengungen zu sorgen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der SPD)

   Darüber hinaus wird es darum gehen, bereits vorhandene Zuständigkeiten des Bundes präziser auszugestalten und die Entwicklungen auf EU-Ebene, zum Beispiel im Umweltschutz, in unserer verfassungsrechtlichen Ordnung zu reflektieren. Beim Umweltschutz brauchen wir einen medienübergreifenden Ansatz. Wir haben heute einen Sektorenansatz, der noch dazu in einzelnen Bereichen Rahmengesetzgebung und in anderen Bereichen konkurrierende Gesetzgebung vorsieht. Alles ist schön unübersichtlich zersplittert. Wir schaffen es regelmäßig nicht, sinnvoll oder gar zeitgerecht die Vorgaben der Europäischen Union umzusetzen. Hier müssen wir entrümpeln.

   Die Union hat gesagt, sie sei in diesem Zusammenhang bereit, die Rahmengesetzgebung abzuschaffen. Das ist richtig. Von den Ländern habe ich noch wenig gehört und in ihren Papieren wenig darüber gelesen, wie sie die Gestaltungsfähigkeit des Bundes sichern und die Blockadeposition des Bundesrates aufbrechen wollen. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wir müssen - die Justizministerin hat es angesprochen - von der Zustimmungsbedürftigkeit zahlreicher Gesetzesmaterien herunter. Es kann nicht sein, dass Gesetze allein wegen des Verwaltungsaspektes zustimmungsbedürftig werden.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident.

   Zum Schluss: Wir müssen auch darüber reden, wie weit die Rechte der Länder, in die Gesetzgebung einzuwirken, gehen sollen. Wir hatten gestern im Vermittlungsausschuss einen exemplarischen Fall. Da hatten die Länder doch in der Tat den Vermittlungsausschuss angerufen -

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Das können Sie nun nicht mehr im Einzelnen darstellen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

- mein letzter Satz -, um in die Ressortzuständigkeiten eines Bundesministeriums einzugreifen. Sie haben sich Sorgen darüber gemacht, in welcher Bundesbehörde die Mitarbeiter arbeiten. Es hat schon wundersame Blüten getrieben.

   Manche Beiträge in dieser Debatte könnte man sich schon jetzt hinter die Ohren schreiben, damit wir uns auf die wesentlichen Fragen konzentrieren können und nicht jeder Quatsch im Rahmen der Verfahrensmöglichkeiten, die die Verfassung heute noch vorsieht und die wir überarbeiten müssen, auf den Tisch des Vermittlungsausschusses kommt.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Burgbacher, FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ziele, die die Arbeit der FDP in der Föderalismuskommission bestimmen werden, lassen sich mit den Schlagworten Wettbewerb, Entscheidungsfähigkeit und Transparenz umschreiben. Die Reform des Föderalismus ist für mich und für die FDP eine der ganz zentralen Aufgaben dieser Legislaturperiode. Darin sind wir uns alle, wie ich glaube, einig.

   Ich verkenne nicht, dass ich eine gewisse Skepsis bezüglich der Zusammensetzung dieser Kommission hege - ich hoffe, dass sie überwunden wird -; denn neben 16 Bundestagsabgeordneten, die alle, wie ich der Debatte entnehme, vom Willen beseelt sind, etwas zu erreichen, sind noch 16 Ministerpräsidenten Mitglieder dieser Kommission. Ich hoffe wirklich, dass diese 16 nicht mit bei jedem Vorschlag mit dem Taschenrechner nachrechnen, ob er ihnen schadet oder nützt. Wenn diese Einstellung vorhanden sein sollte, dann wäre die Arbeit der Kommission zum Scheitern verurteilt. Deshalb fordere ich gleich am Anfang alle Mitglieder auf, dieses Denken zu überwinden und immer die Sache insgesamt im Blick zu haben.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU))

   Die Kommission darf sich auch nicht nur vom dem Motiv leiten lassen - das ist meine zweite Bemerkung -, danach zu schauen, wo es Machtzuwachs und -verlust gibt. Leitmotiv der Kommission muss es vielmehr sein, dafür zu sorgen, dass unserem föderalen System wieder mehr Entscheidungsfähigkeit zukommt, wie es Wolfgang Gerhardt vorher ausgeführt hat, und die Entscheidungen transparenter werden, damit auch die Wählerinnen und Wähler erkennen können, wer für welche Entscheidung zuständig ist und gegebenenfalls dafür verantwortlich zu machen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Im Verlaufe der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat man sich immer mehr dem Modell des kooperativen Föderalismus zugewandt bzw. es selbst geschaffen. Ausgangspunkt war aber vielmehr das Modell des Wettbewerbsföderalismus. Zu den Reformhindernissen gehört an erster Stelle - ich sage das auch noch einmal in Ihre Richtung, Herr Beck - die Überbetonung der Gleichwertigkeit und der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, die das Grundgesetz an zwei Stellen, nämlich in Art. 72 und in Art. 106, als Nebenbedingungen erwähnt, aber nicht als Staatsziel proklamiert. Der Überinterpretation dieser Nebenbedingungen ist entschieden entgegenzutreten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, von der falschen und im Kern für alle Beteiligten schädlichen Nivellierungsideologie muss endlich Abschied genommen werden und Bürgern wie Politikern wieder bewusst gemacht werden, dass Föderalismus nicht Gleichmacherei bedeutet, sondern exakt das Gegenteil davon, nämlich Länderautonomie, Wettbewerb und die Gewährleistung kultureller, sozialer, ökonomischer und politischer Vielfalt. Das wollen wir doch in unserem Staat. Dafür müssen wir auch jetzt Sorge tragen.

(Beifall bei der FDP)

Dass dabei die Situation der neuen Länder besonders berücksichtigt werden muss, versteht sich von selbst. Darüber hat ja auch Wolfgang Gerhardt bereits gesprochen.

   Die Diskussion um eine Föderalismusreform läuft in der FDP seit vielen Jahren. Es war vor allen Dingen die Friedrich-Naumann-Stiftung, die dabei wesentliche Vorarbeiten geleistet hat. Unter Leitung von Otto Graf Lambsdorff wurden fünf Föderalismusmanifeste verabschiedet. Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen, die in der Kommission mitarbeiten, diese Manifeste einmal sehr genau zu lesen. Ich glaube, sie stellen eine gute Grundlage für unsere Arbeit dar.

   Nun gibt es verschiedene Felder, über die teilweise ja schon geredet wird. Ich will zunächst der Bundesjustizministerin - sie ist jetzt leider nicht mehr hier - ganz entschieden widersprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung ohne Modernisierung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist für uns nicht denkbar.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir hier sogar die Vorgehensweise ändern: Wir müssen zuerst die Finanzverfassung modernisieren; erst danach können wir uns der Lösung der anderen Probleme wirklich zuwenden.

Weiterhin muss im Vordergrund eine klar strukturierte Trennung und Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenz stehen. Im Augenblick neigen ich und meine Fraktion dazu - das sage ich Ihnen ganz offen -, die Rahmengesetzgebung weitgehend abzuschaffen. Wir neigen auch dazu, den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung sehr stark zu beschneiden. Auf diese Weise wollen wir Gesetzgebungskompetenzen wieder klarer dem Bund oder den Ländern zuordnen. Dabei darf nicht der jeweilige Ehrgeiz eine Rolle spielen, sondern der Aspekt, auf welche Ebene sie eher gehören. Ich denke, in der Kommission werden wir uns den Katalog vorknöpfen und Punkt für Punkt diskutieren müssen, wo der Bund besser alleine zuständig sein sollte und was wir in die Zuständigkeit der Länder zurückverlagern sollten. Das wird ganz wesentlich sein.

   Liebe Kollegin Sager, an dieser Stelle stört mich ein Begriff, den Sie, wie ich glaube, zweimal gebraucht haben, und zwar der Begriff der Öffnungsklausel. Eine Öffnungsklausel ist eigentlich ein fauler Kompromiss. Ich will keine Öffnungsklauseln, sondern eine klare Zuweisung der Zuständigkeiten. Wohin es führt, wenn man Öffnungsklauseln einführt, sehen wir im Übrigen im Augenblick bei der Beamtenbesoldung. Sobald man beginnt, Öffnungsklauseln einzuführen, ist das Scheitern eigentlich schon vorgezeichnet. Nein, lassen Sie uns den Mut haben, jetzt klare Entscheidungen zu treffen, was wohin gehört!

   Im Rahmen dieser Zuordnung weise ich auf einen Punkt hin, der heute noch keine Rolle gespielt hat: Die Entflechtung der Aufgabenzuständigkeiten im Interesse einer klaren Zuordnung der Verantwortung verlangt dann aber auch, dass sich die niedrigere Ebene - hier die Länder - bei der höheren - hier dem Bund - nicht über Gebühr in die dortige Aufgabenwahrnehmung einmischt. Deshalb rege ich an, Art. 23 des Grundgesetzes zu überdenken. Viele wissen noch, wie der Artikel damals neu aufgenommen wurde. Wenn wir eine klare Aufgabentrennung wollen, muss auch die Kompetenz des Bundes bei der EU wieder klarer geregelt sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

   Die Europakompatibilität wurde einige Male angesprochen. Ich halte sie für maßgeblich. Uns als Bundesrepublik Deutschland ist daran gelegen, unsere Interessen bei der Europäischen Union zu vertreten. Eine Aufgabe der Kommission muss darin bestehen, uns in die Lage dazu zu versetzen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 7. November dieses Jahres wird die Kommission zum ersten Mal tagen. Wir haben eine große Aufgabe. Ich freue mich auf diese Aufgabe. Meine Fraktion ist entschlossen, alles dafür zu tun, dass wir diese Aufgabe erfolgreich bewältigen. Ich fordere alle Mitglieder der Kommission auf, auch die Mitglieder der Länderseite, nicht eigene Interessen, sondern das Wohl unseres Landes, die größere Effizienz und Transparenz unseres Systems in den Vordergrund zu stellen und endlich mehr Wettbewerb zwischen den Ländern, aber auch zwischen den Kommunen zuzulassen und zu fördern.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Föderalismus gehört zu den Säulen der Bundesrepublik. Als Prinzip hat er sich bewährt. Mit ihm wird geregelt, was der Bund soll und darf, was allein Ländersache und was Angelegenheit der Kommunen ist. Die PDS bejaht dieses Prinzip. Gleichzeitig verweisen wir seit Jahren auf Mängel und Schieflagen in der Praxis. Diese gehen im Übrigen überwiegend zulasten der Länder und Kommunen. Sie drohen das Prinzip auszuhöhlen. Deshalb teilen wir die zunehmenden Klagen und Forderungen des Städte- und Gemeindetages. Es ist löblich, wenn Städte und Kommunen möglichst viel in eigener Sache entscheiden können, aber es ist tödlich für sie, wenn ihnen die Ressourcen und das Geld dazu durch eine falsche Steuerpolitik immer mehr entzogen werden.

   Ein aktuelles Beispiel: Würde die Steuerreform vorgezogen, wie von Rot-Grün geplant, verlöre das Land Berlin Einnahmen von circa 400 Millionen Euro. Käme dagegen die Vermögensteuer, wie die PDS sie fordert, flössen rund 400 Millionen Euro mehr in die Landeskassen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Die Differenz beträgt fast 1 Milliarde Euro. Diese Rechnung trifft - in unterschiedlicher Höhe - auf fast alle Länder zu. Im richtigen Leben geht es dabei um Tausende Kitas, Hunderte Schwimmbäder, zig Theater und vieles mehr.

   Die EU und ihre Erweiterung sind ein weiterer Grund, das Prinzip des Föderalismus einem aktuellen Praxistest zu unterziehen. Immer mehr Entscheidungen werden auf EU-Ebene getroffen oder dorthin delegiert. Für viele ist das undurchsichtig und oft auch uneinsichtig. Politik im Nebel ist aber das Gegenteil von Transparenz und Demokratie. Das ist ein zusätzlicher Grund, uns darüber klar zu werden, wie wir unser föderales System weiter ausgestalten können.

   Hinzu kommt ein grundsätzlicher Streit; denn Föderalismus ist nicht gleich Föderalismus. Auch das haben wir heute Vormittag schon mehrfach gehört. Die einen wollen einen solidarischen, kooperativen Föderalismus -die PDS gehört dazu -,

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

andere wollen einen Wettbewerbsföderalismus, bei dem die starken Länder gewinnen und die ohnehin schwachen weiter verlieren. Die PDS im Bundestag will dies nicht.

   Schließlich gibt es noch einen weiteren Konflikt. Er betrifft das Verhältnis von Exekutive und Legislative, also von Regierung und Parlament. Das Gewicht des Parlaments wird immer geringer und der Einfluss der Regierung immer stärker. Der Versuch, ein Entsendegesetz zu verabschieden, nach dem künftig nicht mehr der Bundestag, sondern eine elitäre Untergruppe des Parlaments über Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheiden soll, ist dafür nur ein aktueller Beleg. Wider das Grundgesetz ist er außerdem.

   Heute geht es um eine gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, also um ein Gremium, das sich mit den von mir aufgeworfenen Fragen und vielen anderen Punkten befassen soll. Gerade deshalb sollten wir einen Konstruktionsfehler gleich von Anfang an vermeiden. Sie wissen es -wenn nicht, dann sage ich es Ihnen -: Es gibt seit geraumer Zeit einen Konvent deutscher Landesparlamente. Er befasst sich mit der Frage, wie den Landesparlamenten die ursächlichen Rechte wiedergegeben werden können und wie das Recht der Parlamentarier gegenüber den Regierenden gestärkt werden kann.

   Dieser Konvent hat am 31. März dieses Jahres Repräsentanten bestimmt. Sie sollen die Interessen der Landesparlamente gegenüber dem Bund, aber auch gegenüber den Landesregierungen vertreten. In der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat, die heute zur Debatte steht, findet sich das berechtigte Anliegen der Landesparlamente allerdings überhaupt nicht wieder. Damit setzt sie sich über den erklärten Willen von rund 2 000 Landesparlamentariern hinweg. Ich finde, das ist kein Fehlstart, sondern schlichtweg ein Foul.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Ich kann auch nicht mit dem Argument des Bundestagspräsidenten von heute Morgen leben, dass die Landesregierungen die Interessen der Landesparlamente in dieser Kommission besser vertreten würden.

   Mit der Reform des Föderalismus geht es auch um die Zukunft des Ostens. In den neuen Bundesländern arbeiten 144 Parlamentarier der PDS. Die PDS aber -und damit rund 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler -wird durch die vorgeschlagene Zusammensetzung der Kommission schlicht ausgegrenzt - nicht zufällig, sondern wohl wissend; denn es gab Vorschläge -im Übrigen nicht nur Vorschläge der PDS, sondern Vorschläge quer aus allen Landesparlamenten -, diesen Fehler zu korrigieren. Professor Lothar Bisky hat dies als PDS-Vorsitzender in einem Brief an den Parlamentspräsidenten Thierse und an den Präsidenten des Bundesrates angemahnt. Bisher gab es keine Resonanz. Diese Ignoranz werden wir nicht hinnehmen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Die PDS im Bundestag bedauert, dass damit ein großes und wichtiges Thema von Anfang an durch kleinlichen Egoismus belastet wird. Wir haben mehrere Änderungen beantragt. Unter anderem wird verlangt, die elf Mitglieder der Verhandlungskommission des Föderalismuskonvents der Landesparlamente in unsere Kommission gleichberechtigt aufzunehmen.

   Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Wilhelm Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe sozusagen mit dem Grundgesetz unterm Arm am Rednerpult. Ich will damit verdeutlichen, an welcher Stelle der Debatte wir uns befinden. Wir müssen an unserem Grundgesetz, mit dem die Politik unseres Landes gestaltet wird, etwas verändern, damit die Menschen draußen im Lande spüren, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen, wenn es um ihre Lebensverhältnisse geht. Wir müssen versuchen, mit der Entflechtung von Gesetzgebungsüberschneidungen voranzukommen und mit dem Gesetzgebungswirrwarr aufzuräumen, und zwar gemeinschaftlich.

   Ich fühle mich von dem Auftakt dieser Debatte heute Morgen und von allen Vorrednerinnen und -rednern ermutigt, wenngleich man feststellen muss, dass es doch den einen oder anderen Unterschied gibt. Das will ich nicht verhehlen; ich komme darauf gleich zurück.

   Wenn aber in den letzten Tagen und Wochen in der Öffentlichkeit zum Beispiel mit Schlagzeilen wie „Augiasstall ausmisten“ oder „Einen elenden Kuhhandel rückabwickeln“ operiert wurde, dann ist das, wie ich finde, eine Übertreibung. Wir haben ein gutes Grundgesetz; das ist zu Recht betont worden. Es haben sich aber im Laufe der Jahrzehnte einige Verwerfungen entwickelt, an denen wir alle übrigens partei-, fraktions- und institutionenübergreifend beteiligt gewesen sind. Es kann deswegen keine Schuldzuweisungen geben; das hat auch niemand getan.

   Das Entscheidende aber ist: Wir stehen vor diesem Hintergrund unter großem Druck. Denn die Veränderungen, die wir herbeiführen wollen und müssen, wie wir alle betont haben, sind von großer Bedeutung und von maßgeblichem Umfang.

   Neben dieser schwierigen Aufgabe stehen wir aber auch vor einer großen Chance: vor der Möglichkeit, wieder mehr als bisher demokratisch-parlamentarische Strukturen zu beleben und wiederzugewinnen und damit dafür zu sorgen, dass die Menschen dem Parlamentarismus wieder mehr Vertrauen entgegenbringen. Das ist nötig.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

   Wir wollen Berufsskeptiker wie Robert Leicht von der „Zeit“ widerlegen; diesen Willen habe ich mit wirklich großem Genuss von allen Seiten des Hauses gespürt. Aber wir müssen dann auch sehr intensiv arbeiten, um die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen.

   Die Zurückhaltung, die Bundesministerin Zypries an den Tag gelegt hat, entspringt - wie ich finde, zu Recht - der Stellung der Bundesregierung in diesem Prozess. Sie soll uns begleiten, helfen und unterstützen; das ist zugesagt worden. Zurückhaltung ist aber deswegen geboten, weil die Bundesregierung nicht direkt am Gesetzgebungsverfahren beteiligt ist. Dass die Bundesregierung aber eine wichtige Rolle spielen muss, ist einheitliche Auffassung.

   Wer sich das Ausmaß der Verflechtungen gerade in der Gesetzgebung, aber auch in den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern konkret vor Augen führt, der wird spüren, dass Veränderungen wirklich nötig sind. Herr Kauder hat vorhin kurz aus unserer gemeinsamen Tätigkeit im Vermittlungsausschuss - auch viele andere daran Beteiligte sind hier - berichtet. Ich muss zugeben: Als wir gestern Abend im Vermittlungsausschuss relativ zügig mit zwei Ablehnungen und einer Vertagung zu Ende gekommen waren, konnte man auf der einen Seite damit nicht zufrieden sein. Auf der anderen Seite sagte mir ein Mitglied des Bundesrates hinter vorgehaltener Hand: Ich muss bekennen, auch ich weiß nicht, warum wir im Bundesrat das Gentechnikgesetz zu behandeln haben. Denn es geht da wirklich nur, wie Herr Beck mit Recht betont hat, um Veränderungen in den Abläufen und Zuständigkeiten innerhalb von Bundesressorts und nachgeordneten Behörden des Bundes. Das Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat treibt manchmal unglaubliche Blüten.

   Ich will mit Blick auf Art. 84 des Grundgesetzes, den ich in unserer Debatte als einen ganz zentralen Punkt empfinde, darauf hinweisen, dass es auch in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Entwicklungen gibt, die uns nicht einerlei sein können. Nehmen Sie nur - Finanzminister Eichel ist ja hier -

(Volker Kauder (CDU/CSU): Noch hier!)

das Förderbankenneustrukturierungsgesetz. Was spielte sich da vor der Sommerpause ab? Es war ursprünglich nicht zustimmungspflichtig. Aufgrund des Drucks der Länder und der Tatsache, dass wir das Ganze nicht verzögern wollten, haben wir für den im Rahmen dieses neuen Förderbankeninstrumentariums vorgesehenen Mittelstandsrat drei Vertreter der Länder zugelassen. Von diesem Augenblick an war das Gesetz in vollem Umfange zustimmungspflichtig. Man fragt sich wirklich, welchen Unsinn wir uns ab und zu selber zumuten.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heiderich?

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Gerne.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Herr Kollege Schmidt, Sie haben eben das Problem der Behandlung des Gentechnikgesetzes im Bundesrat angesprochen. Können Sie sich vorstellen, dass Ihrem Problem durch eine Rückfrage bei fachkundigen Kollegen abgeholfen werden und man Sie darüber informieren könnte, welchen Sinn es hat, dieses Gesetz im Bundesrat zu behandeln?

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Die Frage ist, was man, wenn ein solches Gesetz nach unserer grundgesetzlichen Basis dem Bundesrat zugewiesen werden muss, verhindern kann. Das liegt dann in der Hand des Bundesrates. Wenn man trotz des hinter den Kulissen formulierten guten Willens das Gegenteil in der Praxis erlebt, wird man etwas skeptisch. Deshalb kann ich nur an alle Beteiligten appellieren. Darin wird der Sinn unserer Kommissionsarbeit in Zukunft liegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte für unsere Seite sagen, dass wir die Arbeit sehr konsequent und zugleich pragmatisch angehen wollen. Wir wollen ganz bewusst nicht mit Vorfestlegungen im Detail operieren, weil wir auf alle, auch auf die Länder als Beteiligte, zugehen wollen. Es war jedoch wichtig, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende, Franz Müntefering, schon im Juni den Beginn der Debatte im Deutschen Bundestag ausgelöst hat. Entscheidend ist, dass wir das, was wir geplant haben, konsequent umsetzen. Deshalb wird Herr Müntefering einer der alternierenden Vorsitzenden des Gremiums werden. Das ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass meine Fraktion und wir alle dieses Thema besonders ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD)

   Bezüglich der Analysen haben wir vieles gehört, was uns miteinander verbindet. Ich möchte Ihnen etwas aus den Thesen zur Föderalismusreform von Herrn Koch und Herrn Rüttgers - beide sind immerhin CDU-Präsidiumsmitglieder - vortragen.

Die unklaren Zuständigkeiten von Bund und Ländern haben zu einem System der organisierten Unverantwortlichkeit geführt.

Wie wahr! Daneben werden eine gerechte Aufgabenverteilung und klare Zuständigkeiten angemahnt. Es heißt weiter:

Der ursprüngliche Gestaltungsföderalismus hat sich zu einem bloßen Beteiligungsföderalismus dezimiert.

   Die Schlussfolgerungen, die gezogen werden, können wir zu Beginn der Debatte meiner Meinung nach nicht einfach stehen lassen. In diesem Zusammenhang komme ich auch auf Sie, Herr Burgbacher und Herr Gerhardt, zu sprechen. Auch Sie haben in ähnlicher Weise Ihre Zielsetzungen formuliert. Manchmal handelt es sich dabei um, wie ich finde, ungehemmten Wettbewerbsföderalismus.

   Wir müssen die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in diesem Lande mehr im Blick haben. Herr Burgbacher, dies steht, mit Verlaub gesagt, nicht als Nebenabrede im Grundgesetz, sondern es geht dabei um eine zentrale Aufgabe, der wir uns in den letzten Jahren immer wieder zugewandt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wir müssen über Ausgleichsänderungen reden und sie neu formulieren!)

Ich fand die Formulierung von Herrn Burgbacher schon kritikwürdig; deshalb wollte ich noch einmal darauf eingehen. So etwas darf sich erst gar nicht einschleifen; denn das könnte auch zu falschen Zielsetzungen in der Kommissionsarbeit führen.

   Wir wollen, dass die Mitwirkungsrechte der Länder zurückgeführt werden. Wir wollen klare Verlagerungen auf Bund und Länder, ohne dass man sich gegenseitig Schwierigkeiten machen kann. Ich habe das Grundgesetz deshalb mitgebracht, damit wir ab und zu hineinschauen können. Ich möchte auch Ihnen empfehlen, das ab und zu zu tun. Ich weiß, diejenigen, die hier sind, sind so engagiert, dass sie das Grundgesetz fast auswendig können. Der interessierten Öffentlichkeit sei gesagt, dass zum Beispiel die konkurrierende Gesetzgebung, die im Grundgesetz verankert ist, 26 verschiedene Elemente mit zum Teil vielen Untergruppen enthält. Hier könnte es durchaus zu einem konkreten Ergebnis kommen, sodass wir eine Entflechtung herbeiführen können. Die Rahmengesetzgebung des Bundes mit sieben Einzelpunkten unterliegt genau der gleichen Bewertung.

   Wir hören jetzt aber schon wieder die Reaktionen von Interessengruppen, die nicht möchten, dass wir die Rahmengesetzgebung beim Hochschulrecht oder an anderer Stelle aufgeben. Sie befürchten nämlich, dass bundesweit große Komplikationen eintreten könnten, wenn wir den Rahmen des Bundes nicht mehr setzen. So könnten sich zum Beispiel in den Ländern ganz unterschiedliche Verhältnisse an den Hochschulen entwickeln. Diese Skepsis sollten wir ernst nehmen, ohne deswegen das Ziel der Entflechtung auch bei der Rahmengesetzgebung zu vernachlässigen.

   Art. 84 des Grundgesetzes ist schon angesprochen worden. Wir müssen bei allem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, das uns vor fast 30 Jahren etwas eingebrockt hat, eine Klarstellung herbeiführen. Deswegen wird es eine wichtige Aufgabe sein, Art. 84 des Grundgesetzes in seinen ursprünglichen Sinn zurückzuführen. Ich hoffe, dass wir uns darüber schnell einigen können. Auf diese Weise könnten wir uns vom dem Monstrum der Beteiligungsrechte, die wir alle nicht wollen, verabschieden.

Ich will auf die Frage der Föderalismuswirkung mit Blick auf die neuen Länder eingehen. Ich glaube nämlich, sie sind in der Gesamtdebatte ein wenig vernachlässigt worden. Die neuen Länder haben sich nach der deutschen Einheit im Föderalismus gut eingerichtet. Sie haben auch unglaublich davon profitiert. Daran erkennt man den grundsätzlichen positiven Wert der föderalistischen Bestimmungen und Strukturen in diesem Land.

   Die unterschiedlichen Lebensbedingungen - wenn wir sie in einer Weise aufarbeiten wollen, wie es unser grundgesetzlicher Auftrag ist - erfordern aber nicht, dass wir zum Beispiel die in ihren Strukturen und in ihrer Finanzkraft immer noch schwächeren ostdeutschen Bundesländer in einen Wettbewerb zu den westdeutschen Bundesländern setzen, die - jedenfalls im Grundsatz - besser gestellt sind. Unsere Aufgabe, Herr Burgbacher von der FDP und viele andere von der CDU/CSU, ist es, das in besonderer Weise zu berücksichtigen. Wir haben dem mit der Verlängerung der Geltung des Solidarpakts II und der damit verbundenen Sicherung der notwendigen Ressourcen bis zum Jahre 2019 Rechnung getragen. Ich glaube, das ist eine wichtige Grundlage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zum Antrag der beiden fraktionslosen Abgeordneten, der hier vorliegt, will ich ganz kurz Stellung nehmen: Wir können Ihren Antrag nicht unterstützen, weil wir die Beteiligungsrechte der Landtage nicht von hier aus regeln können und von Anfang an im Einvernehmen mit allen Beteiligten bei den Vorabsprachen auch nicht regeln wollten. Wir haben jedoch nach einigem Hin und Her Folgendes getan: Es gibt sechs beratende Mitglieder aus den Landtagen sowie sechs Stellvertreter für diese. Die Auswahl organisieren wir nicht selber. Das tut der zitierte Konvent, wie ich finde, zu Recht, Frau Pau.

   Ich will alle Beteiligten auf eines hinweisen: Diejenigen, die mit der Konventsidee gespielt haben - so zum Beispiel die FDP, aber auch andere -, bekommen indirekt fast so etwas wie einen Konvent. Die Kommission wird 32 ordentliche Mitglieder sowie zusätzlich 70 weitere Beteiligte, beratende Mitglieder und Sachverständige, haben. Das wird sehr schwer zu handhaben sein. Dabei wird es sehr auf die beiden Vorsitzenden sowie das Sekretariat ankommen, damit die Organisation stimmt.

   Wir haben uns dies übrigens vom Justizministerium rechtlich absichern lassen. Es wird nicht anders gehen. Ich glaube aber, die Beteiligung der Länder ist über den Bundesrat ebenso wie die der Landtage auf diesem Wege durchaus gewährleistet.

(Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich glaube, Herr Präsident, der Kollege Beck möchte mir eine Zwischenfrage stellen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hat der Koalitionsausschuss nicht getagt?)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Da der Redner damit offensichtlich einverstanden ist, erteile ich Kollegen Beck das Wort zu einer Zwischenfrage.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich möchte den Kollegen Schmidt fragen, ob er bereit ist, sich zu erinnern, dass wir uns in dieser Frage zwar so geeinigt haben, wie er es gerade dargestellt hat, das Ergebnis aber nicht die einhellige Auffassung aller Fraktionen widerspiegelt. Wir konnten uns durchaus vorstellen, dem Anliegen einer breiteren Repräsentanz der Landtage stattzugeben.

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Ich bestätige, dass es bei der Fraktion der Grünen in den Vorgesprächen eine solche Tendenz gab. Ich habe aber hier über die Ergebnisse und nicht darüber zu sprechen, was im Vorfeld alles stattgefunden hat, Herr Kollege Beck. Ich bitte dafür um Nachsicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Ich will noch etwas sagen, was der Ehrlichkeit halber auch dazugehört: Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier sollten keine Stellvertreterkriege ausgetragen werden: nicht hier und jetzt zwischen uns - das sowieso nicht -, aber auch nicht in der Sache zu Punkten, die wir mit der Kommission nicht regulieren können. Das gilt zum Beispiel für das Innenverhältnis zwischen den Landesregierungen, die von der Mehrheit der jeweiligen Landtage gewählt worden sind, und ihren jeweiligen Landtagen. Das sollen diese bitte schön untereinander austragen.

   Das Gleiche gilt für das Innenverhältnis des Konvents und seine Arbeit. Sie ist ohnehin informell genug. Wir haben uns auf eine Institution verständigt, die aus 32 Mitgliedern besteht. Das ganze Drumherum hat eher informellen Charakter.

   Ich will zum Schluss noch etwas zu den Kommunen sagen, weil ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir die kommunalen Spitzenvertreter mit am Tisch haben, und zwar in einer Weise, die ihnen nach meiner Überzeugung das Gespür vermittelt, dass wir es mit ihnen ernst meinen. Dass wir als Koalition es mit den Kommunen ernst meinen, wird sich noch einmal morgen in der Debatte zeigen, wenn wir den Entwurf einer kommunalen Finanzreform beraten,

(Ernst Burgbacher (FDP): Eine falsche!)

von der wir hoffen, dass die Opposition sie unterstützen wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Wenn Sie sagen, dass wir es auch ernst meinen, kann ich nachher klatschen!)

Es ist, wie ich glaube, wichtig, dass wir alle Ebenen berücksichtigen, auch die europäische Ebene. Das ist bereits angeklungen; Fraktionsvorsitzender Müntefering hat das, wie ich finde, zu Recht in seiner Rede thematisiert.

   Wir sind auf einem schwierigen, aber auch interessanten Weg, der sicherlich viele Chancen bietet. Heute Morgen ist mit guten Zeichen und guten Ansätzen begonnen worden. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich dieses Klima im Laufe der Debatte und der Kommissionsarbeit aufrechterhalten ließe.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Nach den umfangreichen lichtvollen Ausführungen meiner zahlreichen Vorredner bleiben mir nur einige wenige Gebiete für meine Anmerkungen. Gestatten Sie mir, dass ich zunächst kurz auf den Dialog zwischen dem Kollegen Beck und dem Kollegen Schmidt eingehe. Wir als Parlamentarier dieses Hauses sollten es begrüßen, dass die Landtage in der Kommission vertreten sind, ob beratend oder stimmberechtigt ist nicht entscheidend. Parlamentarier müssen darauf achten, dass das parlamentarische Element, wo immer und auf welchen Ebenen es in Rede steht, zur Geltung kommt. Deswegen finde ich diese Diskussion richtig.

   Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine beispiellose Aushöhlung der parlamentarischen Rechte erlebt. Der Generalangriff gegen die parlamentarischen Rechte findet sicherlich auf europäischer Ebene statt. Die Aushöhlung der faktischen Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente gegenüber ihren nationalen Regierungen in Europaangelegenheiten hat dazu geführt, dass sich die starken Bürokratien der Nationalstaaten in Brüssel eine Überbürokratie installiert haben. Es ist deswegen kein Wunder, dass wir beim EU-Verfassungsvertrag, der diskutiert wird, in eine Situation gekommen sind, in der es ausschließlich darum geht, was die Regierungen sagen, und nicht um Willensbildungsprozesse der Parlamente. Das halte ich für falsch und bedauere es. Das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die zweite Ebene des Angriffs gegen den Parlamentarismus wird seit einigen Jahren besonders hier in Berlin deutlich. Durch die Vielzahl von Sachverständigengremien soll die parlamentarische Arbeit verdrängt oder ersetzt werden. Dass Professoren gescheite Leute sind, muss nicht bewiesen werden; das bestreitet niemand. Dass Professoren aber die besseren Politiker sind, ist schwer zu beweisen, zumindest schwerer als das Gegenteil. Damit spreche ich ausdrücklich nicht gegen die Sachverständigen, die in diese Kommission berufen werden, die wir einsetzen werden. Ich bin allerdings froh, dass es nicht 32 Sachverständige sind, wodurch quasi jedes Mitglied seinen eigenen Professor neben sich bekommen hätte, sondern dass wir mit weniger auskommen.

   Wir erfinden das Rad schließlich nicht neu; das ist heute von der Frau Ministerin schon gesagt worden. Wir haben ein Grundgesetz. Es geht darum, notwendige Modernisierungen und Korrekturen vorzunehmen. Wir knüpfen erstens an einen Dialog zwischen Bund und Ländern an, der seit vielen Jahren geführt wird und der nicht frei von Sachverstand ist, sondern der, im Gegenteil, von Professoren, Wissenschaftlern und Experten begleitet wird. Zweitens gibt es eine Reihe von Vorschlägen nicht nur in der Literatur, sondern auch im politischen Raum, von Ideen und Überlegungen. Es muss dieser Kommission darum gehen, all diese Vorschläge zu einer praktikablen verfassungsrechtlichen Änderung zusammenzuführen.

   Allein die Tatsache, dass wir in dem Einsetzungsbeschluss festgelegt haben, dass alle inhaltlichen Beschlüsse mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden sind, garantiert, dass wir - ich sage es auf Neudeutsch - eine Win-win-Situation für beide Seiten, für Bund und Länder, bekommen: Der Bund hat Interesse an der Funktionsfähigkeit der Länder. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips müssen sie in der Lage sein, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen und zur Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger zu regeln. Umgekehrt haben aber auch die Länder ein Interesse an der Handlungsfähigkeit des Bundes.

   Das Stichwort „Europatauglichkeit“ ist heute mehrfach bemüht worden. Es geht in der Tat auch darum, die Vorgaben, die aus Europa kommen, möglichst rasch und ohne ein kompliziertes, langwieriges und manchmal auch wenig praktikables Verfahren umzusetzen. Es muss aber möglich sein, dass der Bund bei allen neuen Kompetenzzuweisungen und allem, was man hier diskutieren mag, auch in Zukunft Querschnittsaufgaben wahrnimmt. Auch das ist schon gesagt worden.

   Es darf nicht passieren, dass wir Zuständigkeiten neu zuweisen und dann plötzlich feststellen, dass bei bestimmten Querschnittsaufgaben eine Gesetzgebungszuständigkeit der Länder begründet worden ist, sodass wir erst auf die Gesetzgebungstätigkeit der Länder warten müssen, um diese Querschnittsaufgaben befriedigend lösen zu können. Das wäre mit Sicherheit noch unbefriedigender als das momentane Zustimmungsverfahren im Bundesrat.

   Ich warne vor Illusionen: Wir werden damit leben müssen, dass der Bundesrat dort, wo es Verflechtungen zwischen Bund und Ländern gibt, nach wie vor Zustimmungsrechte haben wird. Die Kommission wird alle Grenzen ausloten; das ist sicher. Dort, wo die Länder substanziell betroffen sind, werden sie im Bundesrat aber weiter mitreden. Das ist für die Regierenden und damit momentan für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, lästig. Ich denke aber - vorhin wurde entsprechend appelliert -, dass man das über die Zeit, während der es die momentane Konstellation gibt, hinaus sehen muss.

   Bundesratspräsident Böhmer hat hier Wichtiges zur Mischfinanzierung gesagt. Es ist nicht akzeptabel, dass sich der Bund oder die Länder einseitig aus der Mischfinanzierung und der Finanzverantwortung herausstehlen. Auch das wird man in dieser Kommission sicher ausführlich beraten müssen.

   Ein gewichtiges Problem wird mit Sicherheit auch die unterschiedliche Größe und Leistungsfähigkeit der Bundesländer sein. Je nach Größe wird der Wunsch, mehr eigene Zuständigkeiten zu erhalten, die dann auch ausgefüllt werden müssen, unterschiedlich ausgeprägt sein. Ich will nicht bestreiten, dass es die Idealsituation wäre, wenn wir gleich große und starke Länder hätten. Ich wage hier allerdings nicht die Prognose, dass eine künftige Neugliederung der Länder zügig, also in absehbarer Zeit, vonstatten gehen wird. Deswegen müssen wir in dieser Kommission nach einer Kompetenzverteilung suchen, die sowohl den Interessen der großen Länder als auch den Interessen der kleineren Länder angemessen ist. Grundprinzip des Föderalismus ist natürlich, dass jedes Land die Chance haben muss, in diesem Gefüge in angemessener Weise berücksichtigt zu werden.

   Die Bundesstaatskommission - so möchte ich sie nennen - kommt nicht umhin - das haben wir heute in den Redebeiträgen gehört -, vielleicht ganz am Anfang auch über die Grundphilosophie und die Grundeinstellung zum Föderalismus zu reden. Frau Sager hat heute gesagt, dass das föderative System an sich nicht schlecht ist.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Hamburg heißt das: Das ist gut!)

Wenn ich das so sagen darf, liebe Frau Sager: Das ist schon sehr halbherzig.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „An sich nicht schlecht“ ist in Hamburg schon ein ziemlich großes Kompliment!)

Das föderative System - lassen Sie mich das sagen - ist die Kernsubstanz unseres Staates. Deswegen denke ich, dass die Einschränkung, es sei an sich nicht schlecht, nicht notwendig ist. Wenn man über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung redet, dann muss man auch über die Veränderung von Kompetenzen reden. Die Kernsubstanz der staatlichen Ordnung, der Föderalismus, darf aber nicht angetastet werden.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich auch nicht gesagt! Ich habe gesagt, wir wollen das System nicht auf den Kopf stellen!)

Ich muss sagen: Die Diskussion über den Wettbewerbsföderalismus hat mich etwas irritiert. Dass wir im Jahre 2003 die Spannungen zwischen Freiheit und Gleichheit in diesen Fragen immer noch aufrechterhalten, finde ich merkwürdig. Wir sollten uns darin einig sein, dass es beim Wettbewerb, beim Ringen um die besten Lösungen, immer darum geht, dass es am Ende allen besser geht und dass es überall besser funktioniert. Ich denke, die Art und Weise, wie die Europäische Union Kompetenzen an sich reißt und wie mit den Mitgliedstaaten umgegangen wird, sollten wir uns im Bund-Länder-Verhältnis nicht zu Eigen machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Maßstab ist vielmehr das Bewusstsein, dass die Verflechtung, Vermischung und Verwischung politischer Kompetenzen die föderative Ordnung und Substanz nicht stärken sondern schwächen Jede Intransparenz ist ein Stück Demokratiedefizit, weil der Bürger nicht mehr begreifen kann, wo er wen oder was wählt. Auch das ist heute an vielen Beispielen plastisch ausgeführt worden.

   Eine funktionsfähige und tatkräftige föderale Struktur ist auch im Angesicht der ökonomischen Herausforderungen als Antwort auf die Globalisierung von entscheidender Bedeutung. Wenn es heute um Standortentscheidungen von Unternehmen geht, dann stehen weniger ganze Nationalstaaten, aber immer mehr einzelne Regionen im Vordergrund. Wenn man in ein Land Investitionen holen will, dann bedeutet das, dass man eine bestimmte Region individuell, flexibel, innovativ und strukturangemessen als Wirtschaftsstandort aufbereiten muss. Ich bin überzeugt, dass dafür die föderale Struktur unseres Gemeinwesens viel besser geeignet ist und in der Zukunft viel bessere Möglichkeiten haben wird als die Entscheidungsmechanismen zentralistischer Staaten.

   Aber auch und gerade angesichts dieser ökonomischen Herausforderungen ist es wichtig, dass die Funktionsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung durch eine Modernisierung in der Zukunft gesteigert werden kann. Dadurch wird es möglich, in einem Staat unterschiedliche Konzepte, wo nötig mit unterschiedlichen gesetzlichen Bedingungen, zur Auswahl zu stellen. Vielleicht ist dies ein Beitrag zur Entbürokratisierung, wenn ein Land den anderen Ländern beweisen kann, dass es mit weniger oder sogar ganz ohne Vorschriften in einem Bereich auskommt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Volker Kröning [SPD])

   Die Frau Ministerin hat ausgeführt, dass der Zeitrahmen sehr eng gesteckt sei und wir uns nicht zu viel vornehmen sollten. Ich möchte ihr in diesem Punkt widersprechen; denn es darf nicht dazu kommen, dass wir nicht die Gelegenheit nutzen, Perspektiven aufzugreifen, die vielleicht über die geplante Zielsetzung 2004/2005 hinausreichen. Damit will ich nicht den Zeitrahmen erweitern; denn auch für die Modernisierung des Bundesstaates gilt: Ein schneller Erfolg ist ein guter Erfolg.

   Auch verdammt dicke Bretter sollten nicht dazu führen, sie liegen zu lassen - möglicherweise ist eine Zweidrittelmehrheit in einigen Bereichen nicht auf Anhieb zu erreichen -, sondern wir müssen wenigstens versuchen, sie zu durchbohren. In der einen oder anderen Frage kann ein Konsens möglicherweise schneller erreicht werden, als wir uns das vorstellen können. Ganz konkret nenne ich das Thema Steuerautonomie der Länder, das ein sehr komplexes Thema ist. Aber auch das muss angesprochen werden. Man muss sich darauf einigen, wie sehr man dieses Thema vertiefen will.

   Lassen Sie mich abschließend etwas zu den Kommunen - der Kollege Schmidt hat dieses Thema zu Recht angesprochen - sagen. Wir sollten froh sein, dass wir die Kommunen bei der Verfassungskommission in dieser Weise mit berücksichtigen; denn die Kommunen, Städte und Gemeinden fühlen sich gerade in der aktuellen politischen Debatte oft nicht mehr verstanden. Kollege Schmidt, es ist ein wichtiges und deutliches Signal an unsere Bürgermeister, Gemeinde- und Stadträte, dass ihre Interessen bei der Arbeit der Kommission stärker in den Fokus gestellt werden, gerade weil sie oft das Gefühl haben, bei der Gesetzgebung der Länder und des Bundes vergessen zu werden. Wenn es jetzt darum geht, das Grundgesetz neu zu justieren, dann sollen ihre Vertreter dabei sein. Diese Vertreter von Städten und Gemeinden sollen sehen, dass wir ihre Belange im Blick haben. Das ist in dieser Zeit das richtige Signal. In diesem Sinne freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/1685 zur Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung.

   Hierzu liegt ein Änderungsantrag der fraktionslosen Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksache 15/1721 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

   Wer für den interfraktionellen Antrag auf Einsetzung der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat auf Drucksache 15/1685 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2003

- Drucksache 15/1550 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Manfred Stolpe.

Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wann ist die deutsche Einheit vollendet, wann muss ein Bericht dieser Art nicht mehr vorgelegt werden, und wann verliert die jeweilige Opposition die Chance, der jeweiligen Regierung vorzuhalten, welche teilungsbedingten Nachteile im Osten noch vorhanden sind?

   Helmut Schmidt hat den von uns im Solidarpakt II angedachten Termin, den Silvesterabend 2019, an dem die deutsche Einheit vollendet sein könnte, als sehr optimistisch bezeichnet. Henning Voscherau prophezeite im Jahr 1990, dass die Vollendung der deutschen Einheit 40 Jahre dauern würde, also bis zum Jahr 2030. Ich sehe das ein bisschen anders.

   Es spielen viele Momente mit hinein, die ökonomischen, die sozialen und die mentalen. Viele mentale Unterschiede werden schon deshalb bleiben, weil sie auch landsmannschaftlich bedingt sind. Der Sachse wird nicht zum Bayern und der Mecklenburger wird nicht zum Holsteiner, auch wenn sie sich in manchen Dingen durchaus ähnlicher werden.

   Die gegenwärtige Ostalgiewelle, oft von Selbstironie und Spott begleitet, zeigt mir vor allem eines: Es ist das Selbstbewusstsein im Osten gewachsen. Man muss nicht mehr so tun, als ob man erst am 3. Oktober 1990 geboren sei. Man kann offen und freimütig auch über die davor liegende Zeit reden. Das Selbstbewusstsein wächst und das haben meine Landsleute im Osten nötig. Das wird auch für die Vollendung der deutschen Einheit hilfreich sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die mentale Ost-West-Lage ist wichtig, mir aber geht es heute vor allem um die ökonomischen und die sozialen Unterschiede. Wir haben Ihnen den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit vorgelegt als eine Bilanz, als ein Programm der ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen für das, was man so locker „Aufbau Ost“ nennt. Mir war wichtig, dass der Bericht ungeschminkt in der Bestandsaufnahme, klar in den Zielen, effektiv bei den Instrumenten und auch redlich im Gesamturteil ausfällt.

   Ungeschminkt in der Bestandsaufnahme heißt: Wesentliche teilungsbedingte Strukturprobleme bestehen noch. Es gibt im Osten kein ausreichendes Arbeitsplatzangebot. Die Arbeitslosigkeit ist unser Hauptproblem. Trotz des leichten Rückgangs im September dieses Jahres ist die Arbeitslosigkeit im Osten mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Die Zahl wäre übrigens noch höher, wenn nicht täglich 350 000 Menschen aus den Ostländern in den Westen pendeln würden. Diese Sonderbelastung, die die Leute auf sich nehmen und die der deutschen Wirtschaft hilfreich ist, sollte nicht mit einschneidenden Kürzungen der Entfernungspauschale bestraft werden.

Nach wie vor schlägt die hohe Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft dramatisch zu Buche. 160 000 ostdeutsche Bauarbeiter sind arbeitslos. Ich hoffe, dass die heute Nacht geschlossene Vereinbarung zur Tarifflexibilisierung hierbei etwas Abhilfe schaffen kann.

   Auch die Herausforderungen der Globalisierung und der neuen technologischen Entwicklungen machen vor Ostdeutschland nicht Halt. Die darin liegenden Chancen werden zwar genutzt, doch zunächst einmal kostet diese Entwicklung Arbeitsplätze. In den wettbewerbsfähigen und leistungsstarken ostdeutschen Standorten der Energiewirtschaft, der Stahlindustrie, der chemischen Industrie, des Maschinenbaus und auch in der Landwirtschaft erledigt heute eine Arbeitskraft die Arbeit, die früher sieben oder acht Menschen verrichtet haben.

   Der Verlust von Arbeitsplätzen löst Abwanderung aus. Seit der ersten starken Abwanderungswelle 1989/90 verlassen weiterhin mehr Menschen Ostdeutschland, als neu hinzukommen. Ostdeutschland hat seit 1991 etwa 620 000 Bürgerinnen und Bürger verloren. Es gehen vor allem die jungen und gut qualifizierten Menschen, die beim weiteren Aufbauprozess fehlen werden. Zwei Drittel davon sind Frauen. Das freut mich zwar für die Männer im Westen,

(Heiterkeit bei der SPD)

aber uns fehlen die Mütter von morgen.

   Hinzu kommt der demographische Wandel in ganz Deutschland, der in den neuen Ländern durch eine sehr niedrige Geburtenrate weiter verschärft wird. Unsere Gesellschaft wird älter, weil die Kinder fehlen. Kindertagesstätten und Schulen müssen geschlossen werden. Wir können bereits absehen, dass in den nächsten Jahren deutlich weniger Auszubildende zur Verfügung stehen werden als gebraucht werden. Diese Lösung des Ausbildungsproblems brauchen wir nicht!

   Nach wie vor gibt es viele strukturschwache Regionen in den neuen Ländern mit sehr hohen Arbeitslosenzahlen. Einige strukturschwache Regionen gibt es durchaus auch im Westen Deutschlands. Sie aber haben starke Wachstumszentren in der Nähe. Dagegen sind die drei großen Wachstumsregionen im Osten Deutschlands um Dresden, Leipzig und Potsdam - das haben alle Nachforschungen ergeben - noch nicht stark genug, um genügend Menschen aus schwachen Regionen Arbeit zu bieten. Die Westdrift hält an.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Sie wird dynamisiert!)

   Dies ist kein Klagelied. Das sind Fakten, aber es ist nur die halbe Wahrheit.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Jetzt wollen wir mal etwas dazu hören, wie es weitergeht!)

Zur Wahrheit gehören auch diese Fakten: Im vergangenen Jahrzehnt konnten 520 000 Unternehmen mit mehr als 3 Millionen Arbeitsplätzen geschaffen werden. Die Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe ist positiv. Die Wachstumsraten lagen in den letzten sieben Jahren im Schnitt zwischen 5 und 6 Prozent und auch im ersten Halbjahr dieses Jahres ist das verarbeitende Gewerbe in Ostdeutschland um 5,5 Prozent gewachsen.

   Mit industriellen Neuansiedlungen im Automobil- und Maschinenbau, in der chemischen Industrie, der Hochtechnologie, aber auch in der Energiewirtschaft wurden nicht nur zukunftssichere Arbeitsplätze, sondern auch die Voraussetzung für die Ansiedlung von Dienstleistungs- und Zulieferunternehmen geschaffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Auch im Dienstleistungsbereich werden ermutigende Fortschritte erzielt. Die Tourismusbranche ist dafür ein gutes Beispiel. Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise hat seit Jahren die höchsten Wachstumsraten in dieser Branche.

   Mit der Entwicklung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind in Ostdeutschland moderne Kompetenzzentren entstanden, die sehr eng - vorbildlich eng - mit der Wirtschaft zusammenarbeiten und dabei noch zusätzliche Impulse liefern.

(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Cargolifter!)

   Meine Damen und Herren, der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit zeigt Schatten und Licht. Vor allem aber ist er ein Auftrag zum Handeln. Die Bundesregierung verfolgt folgende Hauptziele:

   Erstens. Wir müssen die Grundlagen für mehr und sichere Beschäftigung durch eine Stärkung und Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte schaffen. Dazu gehört die Stärkung des Mittelstandes durch verbesserte Finanzierungsangebote und die Verbesserung der Eigenkapitalquote.

   Zweitens. Ostdeutschland muss seine eigenen Standortvorteile, Kompetenzen und Qualitäten noch stärker nutzen. Entsprechende Regierungsprogramme müssen fortgesetzt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Welche?)

   Drittens. Bei all den notwendigen Veränderungen müssen wir das soziale Gleichgewicht im Blick behalten. Vor allem junge Familien müssen die Möglichkeit haben, ihre Zukunft in Ostdeutschland zu finden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Aus der Bestandsaufnahme und aus der Zielbeschreibung folgen aber auch die Aktionsfelder und die Instrumente. Schwerpunkte unseres Regierungshandelns für Ostdeutschland sind:

   Erstens. Investitionen müssen weiter gefördert werden. Noch hat Ostdeutschland ein erhebliches industrielles Defizit in Folge der Deindustrialisierung der 90er-Jahre. Jede Chance einer Industrieansiedlung muss genutzt werden. Das gilt auch für die Chipfabrik in Frankfurt (Oder). Für Industrieansiedlungen haben wir den Vertrag mit der Agentur zur Anwerbung ausländischer Investoren, IIC, bis 2008 verlängert, um weltweit Partner darauf aufmerksam zu machen, dass Ostdeutschland ein idealer Investitionsstandort ist. Deshalb müssen die Möglichkeiten für Investitionszuschüsse erhalten bleiben. Die beiden Fördermöglichkeiten, die Investitionszulage und die Zuweisungen aus den europäischen Strukturfonds, müssen verlängert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zweitens. Innovationen im Osten müssen weiter unterstützt werden. Neue Forschungseinrichtungen und andere Bundeseinrichtungen müssen, wie vorgesehen, auf absehbare Zeit vorrangig im Osten Deutschlands angesiedelt werden. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Vor wenigen Tagen hat sich ein winziges Institut mit gerade einmal 70 Mitarbeitern auf dem Beeskower Landrücken - das ist eine sehr strukturschwache Region - angesiedelt. Sie ahnen gar nicht, was das für die Belebung der Wirtschaft bedeutet und welch eine Ermutigung das für die dort lebenden Menschen ist!

   Drittens. Die Infrastruktur im Osten muss weiter gestärkt werden. Ich meine damit die Verkehrswege, die kommunale Infrastruktur und den Stadtumbau.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kretschmer?

Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:

Hinterher gerne. - Wie gesagt, wir müssen die Infrastruktur im Osten weiter stärken. In dieser Legislaturperiode darf hier nicht nachgelassen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Viertens. Auf absehbare Zeit muss eine aktive Arbeitsmarktpolitik für strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit fortgesetzt werden, so wie das schon die jetzigen Regelungen vorsehen. Das Programm für 100 0000 Langzeitarbeitslose und das Sonderprogramm des Bundes für 100 000 jugendliche Sozialhilfeempfänger sind Maßnahmen, die gebraucht werden, und zwar auch in Zukunft.

   Fünftens. In ganz Deutschland müssen die Finanzen der Kommunen gestärkt werden. Die Kommunen könnten größter Auftraggeber für Investitionen sein, wenn ihre Finanzkraft gestärkt würde oder wenn ihnen zumindest bedienbare Kredite angeboten würden, wie wir das mit dem erfolgreichen Milliardenprogramm seit April dieses Jahres praktizieren.

   Sechstens. Wir müssen schließlich die vielen Chancen, die sich mit der EU-Osterweiterung verbinden, konsequent nutzen. Hier ist es auch wichtig, dass vor allem die Grenzregionen eine flankierende Unterstützung bekommen, wie sie die Europäische Union in Aussicht gestellt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auch die Umsetzung der anstehenden Reformen kann dem Osten helfen. Ich kann Ihnen versichern, dass die Ostdeutschen reformbereit sind. Sie erwarten allerdings, dass die Reformen gerecht durchgeführt werden, dass also die Armen nicht noch ärmer werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Gezielt Politik für Ostdeutschland zu machen bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Innenpolitik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Solidarpakt II haben wir Vereinbarungen bis zum 31. Dezember 2019 getroffen, die insgesamt für einen Zeitraum von 30 Jahren gelten. In knapp der Hälfte dieser Zeit haben wir deutlich mehr als die Hälfte des Weges geschafft. Die Weichen sind in die richtige Richtung gestellt.

   Ich möchte zum Schluss die Gelegenheit nutzen, allen in diesem Haus für das Mitdenken und auch die Bereitschaft für die Unterstützung wichtiger Maßnahmen zu danken. Ich bitte Sie um Ihre weitere konstruktive, aber auch kritische Begleitung des großen Projektes deutsche Einheit. Es wird gelingen; das ist meine Überzeugung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Kretschmer.

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Herr Bundesminister, mit Verlaub, aber gerade für die junge Generation aus den neuen Ländern war Ihr Vortrag deprimierend, sowohl wegen der lustlosen und gleichgültigen Art, wie Sie vorgetragen haben, als auch wegen des Inhalts.

(Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

   Wir wünschen uns eine Zukunftsperspektive für die neuen Ländern. Wir brauchen - ich habe das schon vor einem Jahr gesagt; ich weiß es noch heute - ein Konzept. Was ist denn das Ziel der Regierung?

(Zuruf von der SPD: Haben wir doch gesagt! Sie müssen einmal zuhören!)

Wie schaffen wir den Aufbau Ost?

   Ich will nur ein paar Details nennen. Sie haben Forschung und Entwicklung angesprochen. 1,6 Milliarden Euro, Herr Bundesminister, hat Frau Bulmahn Anfang des Jahres für Großforschungseinrichtungen zugesagt. Von 1,6 Milliarden Euro sind 12,4 Millionen Euro für das Forschungszentrum Rossendorf in Dresden vorgesehen, alles andere geht in die alten Länder. Ist das eine Schwerpunktsetzung für die neuen Länder? In einer Ausarbeitung des BMBF über die Haushaltsentwicklung von 2002 bis 2004 wird auf die Auswirkungen der Kürzungen in den neuen Länder hingewiesen: Die Mittel für optische Technologien sinken von 15 auf 14 Millionen Euro, die Mittel für Mobilität und Verkehr von 11 Millionen auf 8,4 Millionen Euro. Im Hochschulbau haben wir ganz massive Einschnitte. Ich frage Sie, wie das, was Sie uns vorgetragen haben - Schwerpunkt Innovation, Schwerpunkt Aufbau Ost -, mit den Zahlen, die ich gerade vorgetragen habe, zusammenhängt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung, Herr Minister Stolpe.

Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:

Herr Präsident! Das war eine bemerkenswerte Anfrage. Ich denke aber, es wäre wichtiger, dass wir konkret an diesen Themen arbeiten. Sie wissen, dass das Material in die Ausschüsse überwiesen wird. Ich bin gespannt, welche handfesten Vorschläge zu Maßnahmen Sie dann machen können, mit denen man wirklich etwas erreichen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich bitte um Nachsicht, dass wir jetzt nicht jenseits der vereinbarten Wortmeldungen eine spontane Debatte durch kurzfristige Wortmeldungen herbeiführen wollen; denn es ist natürlich absehbar, dass das dann nicht auf die eine Seite beschränkt bliebe, sondern sich quer durch alle Fraktionen verteilen würde. Deswegen bemühen wir uns zunächst einmal um die Abarbeitung der vereinbarten Redeliste.

   Ich erteile nun das Wort dem Innenminister des Landes Brandenburg, Herrn Dr. Schönbohm.

Jörg Schönbohm, Minister (Brandenburg):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, den ich persönlich schätze, hat mit seinem Unwort von der Weinerlichkeit der Ostdeutschen manches gefördert, aber auf gar keinen Fall die deutsche Einheit. Ich bedauere dies.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Seine Kennzeichnung ist unzutreffend, verletzend und töricht. Sie zeugt von Unkenntnis. Die Menschen in Ostdeutschland haben in den zurückliegenden Jahren Herausforderungen gemeistert, von denen viele in unserem Land nicht einmal vom Hörensagen Kenntnisse haben. Wenn man über die neuen Bundesländer spricht, kann man von Hoffnung oder Enttäuschung, von Aufbruch oder Resignation sprechen - ja, es gibt alles nebeneinander. Die neuen Bundesländer sind wie ein Vexierbild: Je nachdem, wie oder mit welchem Vorurteil Sie hineinschauen, sehen Sie das Bild, das Sie erwarten.

   Darum müssen wir von den Menschen sprechen, die in den neuen Bundesländern leben, von den Menschen, die in Regionen mit mehr als 20 Prozent Arbeitslosigkeit Arbeit suchen, oder von denen, die zum vierten oder fünften Mal den Arbeitsplatz verloren haben, sich haben umschulen lassen und wieder vor dem Nichts stehen. Ich möchte das sehr konkret an einem Beispiel deutlich machen. Eine junge Frau war zum Ende der DDR Fleischfachverkäuferin. Der Beruf fiel weg. Sie hat umgeschult, ist Bürokauffrau geworden und hat bei einem Immobilienunternehmen gearbeitet. Das Immobilienunternehmen ging Pleite. Sie ist zum nächsten Unternehmen gegangen. Auch dieses ging Pleite. Dann hat sie als allein erziehende Frau mit einem Kind bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet und hat sich so bewährt, dass sie einen festen Arbeitsplatz bekommen hat. Dieses kleine Beispiel steht für den Alltag, mit dem wir uns in den neuen Bundesländern auseinander setzen müssen.

   Wir müssen auch von den Tausenden von Existenzgründern sprechen, die gescheitert sind, weil sie keine Eigenkapitaldecke hatten, weil die Zahlungsmoral schlecht ist oder weil sie sich am Markt nicht durchsetzen können. Darum, Herr Kollege Stolpe, finde ich es gut, dass Sie sagen, Sie wollen die Eigenkapitaldecke verbessern. Das wollen wir seit langer Zeit; wir haben damit nach wie vor ein Problem.

   Wir müssen auch von den Jugendlichen sprechen, die keinen heimatnahen Ausbildungsplatz bekommen, weil es in ihrer Heimat keine Betriebe mehr gibt. Wir müssen auch von den Eltern sprechen, die Sorge haben, dass ihre Kinder von zu Hause weggehen, weil sie zu Hause keine Zukunft sehen.

Wir müssen auch von den Jugendlichen sprechen, die an den Universitäten fleißig studieren, danach im heimatnahen Bereich keine Arbeit bekommen und woanders hingehen. Wir müssen an die fehlende Verkehrsinfrastruktur in ländlichen Gebieten erinnern, die das Leben täglich so schwer macht.

   Wir müssen aber auch an die Erfolgreichen erinnern, die sich am Markt durchgesetzt haben. Sie haben nicht resigniert, sondern sie sind tatkräftig, durch Eigeninitiative, der Arbeitslosigkeit entronnen. Wir müssen von den jungen Unternehmern sprechen, die in ihrer Heimat bestehen. Sie haben mutige Entscheidungen getroffen und ein großes Risiko auf sich genommen. Sie stellen ihr persönliches Vermögen, zum Beispiel den Grundbesitz, den sie von ihren Eltern bekommen haben, zur Verfügung und setzen sich in konjunkturell schwierigen Zeiten in einem strukturell schwierigen Landstrich durch. Diese Menschen gibt es auch - Gott sei Dank. Es handelt sich um junge Handwerksmeister mit eigenen Handwerksbetrieben und um andere Personen, die in der gewerblichen Wirtschaft tätig sind.

   In Brandenburg gibt es zum Beispiel, wie in anderen Bundesländern, erfolgreiche Industrieansiedlungen. Ich möchte nur an die Luft- und Raumfahrtindustrie oder an die chemische Industrie erinnern. Wir alle schauen jetzt mit großer Spannung nach Frankfurt an der Oder, wo eine Chipfabrik gebaut werden soll. Es geht um 1 300 Arbeitsplätze. Hunderte von Familien warten auf den Bau dieser Fabrik. Man wartet darauf, dass man an eine in der DDR große und erfolgreiche Tradition, nämlich an die eines Halbleiterwerks - dort wurden viele Männer und Frauen ausgebildet; sie waren sehr qualifiziert -, anknüpfen kann. Dieses Bangen überschattet im Augenblick alles, was in dieser Region geschieht.

   Wenn Sie sich mit Unternehmern unterhalten, die Betriebe in Ost- und in Westdeutschland haben, dann werden Sie immer wieder eines hören: das Lob für den Fleiß und die Flexibilität der Arbeitnehmer in Ostdeutschland, das Lob für ihre Zuverlässigkeit und für ihre Bereitschaft, die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen der Markt vorgibt. Auch ich möchte den Arbeitnehmern in Ostdeutschland einmal dafür danken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Enttäuschung und Resignation sind da besonders verbreitet, wo Versprechungen, Hoffnungen und die Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Das ist unser Problem. Ich denke an Menschen, die noch immer fühlen, dass sie mit ihren Sorgen und Problemen nicht für voll genommen werden. Es ist völlig klar: Wir in den neuen Ländern brauchen auch in Zukunft Geld und wir bekommen auch viel Geld. Ich möchte hier ausdrücklich all denjenigen danken, die uns dieses Geld zur Verfügung gestellt haben, seien es die Bundesländer, sei es die Europäische Union oder die Bundesregierung. Wir Deutsche haben insgesamt eine großartige Gemeinschaftsleistung vollbracht. Das müssen wir auch einmal dankend anerkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Solange der Gedanke im Vordergrund steht, dass das Geld in den Osten fließt, und nicht der Gedanke, dass wir Deutschland gemeinsam wieder aufbauen, und zwar in all seinen Teilen, werden wir der Einheit nicht wirklich näher kommen. Beim Hochwasser hatten wir diese hohe Emotionalität der Gemeinsamkeit. Wir müssen uns dazu bekennen, dass wir diese Aufgabe als Nation, also gemeinsam, schultern und nicht als Westen oder als Osten oder als Westen gegen den Osten. Für mich gehören das Bekenntnis zur Nation und die deutsche Einheit zusammen.

   Bisweilen reden die Menschen im Westen über den Osten so, wie sie nie über die Saarländer, die Holsteiner, die Bayern oder die Niedersachsen geredet haben. Die Menschen im Osten reden über den Westen häufig so, wie sie es früher wahrgenommen oder mittlerweile erlebt haben - mit Vor- und Nachteilen. Häufig herrschen Sprach- und Interessenlosigkeit, von den Vorwürfen der Weinerlichkeit und der Arroganz einmal abgesehen. Wir sollten mehr miteinander reden, mehr voneinander lernen und wissen. Sich lediglich einmal gemeinsam fotografieren zu lassen und das Foto zu veröffentlichen fördert diesen Dialog nicht.

   Die Oberfläche des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit ist glatt. Dieser Bericht liest sich gefällig und gut. Alles scheint gut zu sein. Vieles ist erreicht, ja. Wir brauchen Investitionen, ja. Wir müssen die Investitionsbereitschaft und auch die Innovationen fördern, natürlich. Mittelstand und Handwerk müssten gefördert werden, ja. Die Stabilisierung im Bausektor müsste unterstützt werden, ja. Das alles ist richtig. Die Frage ist aber: Welche Impulse werden gegeben, um dies umzusetzen?

In diesem Bericht ist von Netzwerken und von innovativen Impulsen für die Region, von Bildung und Forschung sowie vom Ausbau der Verkehrsinfrastruktur die Rede. Es ist richtig: Das alles muss geschehen. Aber angesichts der Realitäten bleibt dies ein Katalog von Formulierungen. Der Bericht mag weitgehend zutreffend sein. Aber täuscht er wegen der verwendeten Allgemeinplätze und der zum Teil sozusagen ewigen Wahrheiten, die seit zehn Jahren wahr sind und auch noch in zehn Jahren wahr sein werden, nicht über den gelebten Alltag hinweg? Wirklichkeit und Bericht, meine ich, klaffen auseinander.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Von dem statistischen Teil abgesehen, vermittelt der Bericht einen Eindruck, der mit der allgemeinen Wahrnehmung offenkundig nicht in Einklang steht. Ich möchte zwei Beispiele für solche semantischen Luxusverpackungen zitieren. Auf Seite 30 - das ist noch unter der Überschrift „Stabilisierung im Bausektor unterstützen“ - findet sich als Zusammenfassung folgende Formulierung:

Mit dem beispielhaft aufgeführten Maßnahmenbündel

- Public Private Partnership, Kontrolle illegaler Beschäftigung usw. -

werden trotz des unverminderten Zwangs zur Haushaltskonsolidierung auch von öffentlichen Investitionen Impulse für eine Verstetigung der Bautätigkeit ausgehen, die eine wichtige Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung insbesondere in den neuen Ländern ist.

   Richtig! Nur: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Bei uns gibt es eine Verstetigung auf niedrigem Niveau. Um es ganz einfach auszudrücken: Uns steht das Wasser bis zum Hals. Wir können den Kopf nicht mehr hängen lassen; wir wollen es auch nicht.

   Die brandenburgischen Kommunen haben im ersten Halbjahr wegen Einnahmeverlusten von 30 Millionen Euro bei der Einkommensteuer, 17 Millionen Euro bei der Gewerbesteuer und wegen einer Steigerung der Ausgaben für die Sozialhilfe um 30 Millionen Euro ihre Investitionsausgaben um 50 Millionen Euro reduzieren müssen, weil sie an der Verschuldungsgrenze waren. Investitionen in die kommunale Infrastruktur sind solche für das örtliche Handwerk, für Hoch- und Tiefbau, für alle anderen Gewerke. Darum brauchen die Kommunen Hilfe und darum ist es wichtig, dass Sie hier im Bundestag zu einer Entscheidung über eine kommunale Finanzausstattung kommen, die es ermöglicht, das umzusetzen, was wir gemeinsam wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zuruf des Abg. Stephan Hilsberg (SPD))

Wir wollen das gemeinsam machen - ich hoffe das - und wir müssen es wohl auch gemeinsam machen, Herr Kollege Hilsberg, weil es in Bundesrat und Bundestag unterschiedliche Mehrheiten gibt. Seien wir doch froh darüber, dass wir in diesem Punkt einen Zwang zur Gemeinsamkeit haben! Sie gehen nicht auf die Probleme ein, die die Menschen vor Ort erleben. Das müssen Sie genauso gut wissen wie ich; denn Sie kennen die Wirklichkeit.

   Die Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung hat dazu geführt, dass die Bundesländer und die Kommunen erheblich weniger Einnahmen haben als bisher. Im Bericht sucht man das vergeblich. Da heißt es nur:

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren mit nachhaltigen Reformen die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsstandortes Deutschland deutlich verbessert.

   Die Arbeitslosigkeit hat zugenommen und das ist unser Problem; Kollege Stolpe hat darauf deutlich hingewiesen.

   Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern - so heißt es sinngemäß in dem Bericht - ging um 0,2 Prozent zurück und blieb hinter der Entwicklung in den alten Ländern zurück. Man könnte es auch einfach ausdrücken: Die Schere zwischen Ost und West öffnet sich wieder. Das ist unser großes Problem und damit müssen wir uns auseinander setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zur Wahrheit gehört, dass man dies anspricht.

(Zuruf des Abg. Markus Meckel (SPD))

Ich habe keine Patentlösung, aber wir müssen die Wirklichkeit doch so wahrnehmen, wie sie ist, Herr Meckel; Sie wissen das genauso gut wie ich. Fahren Sie einmal durch die Uckermark! Wir haben doch gemeinsame Vorstellungen von den Dingen.

   Im Teil A des Berichts findet sich lediglich eine halbe Seite zum Thema Arbeitsmarktpolitik, obwohl der Arbeitsmarkt unser großes Problem ist. Die Lage in den neuen Ländern ist unterschiedlich. Sie finden Aufbruchstimmung und Resignation, je nachdem, wie Sie schauen. Manche - ja, auch die gibt es - mögen der allumfassenden Daseinsfürsorge nachtrauern. Aber die Mehrheit möchte selbst Hand anlegen, möchte etwas schaffen, möchte aus eigener Kraft das Leben und die Zukunft gestalten, möchte etwas leisten, vorankommen, dafür sorgen, dass es ihren Kindern einmal besser geht, möchte eine Chance bekommen, wenn nicht für sich, dann für ihre Kinder, wenn nicht bei uns zu Hause, dann woanders. Darum bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Hauptthema. Im Bericht ist dargelegt, dass rund 9 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt ausgegeben werden. Dafür bedanken wir uns, weil es eine wichtige Hilfe ist, aber unser Problem lösen wir durch die anderen Dinge, die ich vorher angesprochen habe.

   Es geht um die Zukunftsgestaltung von 16 Millionen Mitbürgern. Sie wollen eine faire Chance bekommen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Viele von ihnen treibt die Sorge um das Hier und Heute. Helfen wir ihnen, die Zukunft entschlossen anzugehen! Wir haben viel erreicht - das ist richtig -, aber unsere Mitbürger wollen Verlässlichkeit und eine Perspektive. Der Bericht weckt Hoffnung, aber das reicht nicht. Zu viele Hoffnungen sind enttäuscht worden. Es müssen konkrete Entscheidungen folgen. Die Zeit ist reif. Die Menschen wissen es. Enttäuschen wir sie nicht und versuchen wir, gemeinsam zu handeln!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile dem Kollegen Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 17. September stellte Bundesminister Manfred Stolpe den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit vor und erklärte dabei auch, dass der Traum von einer schnellen Angleichung zwischen Ost und West endgültig beerdigt werden müsse. Wenige Tage später fragte mich ein Journalist, in welchem Zeitraum ich mir eine Angleichung vorstellen könne.

   Ich persönlich habe nie den Traum geträumt, dass eine Angleichung innerhalb von zehn oder fünf Jahren möglich sei. Denn aus meiner persönlichen Erfahrung und den Erlebnissen in Sachsen war mir schon Anfang der 90er-Jahre bewusst und bekannt, welche riesigen Aufgaben mit der Wiedervereinigung bewältigt werden mussten. Für mich galt daher schon frühzeitig, dass wir eine Generation - das sind für mich 30 Jahre - brauchen würden, um eine ungefähre Angleichung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse zwischen Ost und West zu erreichen.

   Mir fiel in diesem Interview als Schlüsseljahr spontan das Jahr 2019 ein. Denn 2019 werden wir des 30. Jahrestages der friedlichen Revolution gedenken. Aber in jenem Jahr wird auch der Solidarpakt II auslaufen, der den ostdeutschen Bundesländern in den kommenden 15 Jahren nochmals erhebliche Transferleistungen zur Verfügung stellt.

   Wie ist es nun mit dem Stand der deutschen Einheit? Der Vollzug der wirtschaftlichen Einheit lässt sich an Parametern wie Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosigkeit und Lohnniveau dokumentieren. Aber was ist mit der Einheit in den Köpfen? Woran lässt sich diese festmachen? Woran können wir eine Angleichung zwischen Ost und West erkennen?

   Auch wenn manche es anders sehen werden: Für mich persönlich haben wir hier in den letzten fünf Jahren große Fortschritte gemacht. Denn alles braucht seine Zeit. Vieles lässt sich eben nicht mit Transferleistungen regeln. Wir haben in den letzten Jahren lernen müssen, dass wir einander fremder waren, als unsere - zumindest zum größten Teil - gemeinsame Sprache und Geschichte glauben macht. Ich finde, dass sich daraus ein ganz neuer und spannender Prozess eines zweiten Kennenlernens entwickelt hat.

   Viele Menschen haben den Film „Good bye, Lenin!“ gesehen, gelacht und vielleicht auch einige Tränen vergossen. Dieser Film war nicht nur im Osten, sondern auch im Westen ein Erfolg. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an den Film „Sonnenallee“, der im Osten alle Kassenrekorde brach. Als ich ihn in Köln anschaute, befand ich mich in der Gesellschaft von etwa fünf Cineasten, von denen drei vorzeitig das Kino verließen, da sie offensichtlich überhaupt nichts mit dem Thema anfangen konnten. Dazwischen liegen wenige Jahre. Aber in diesem Zeitraum hat sich nach meiner Beobachtung einiges deutlich verändert. Ich bin der Meinung, dass wir einander anders, besser und bewusster wahrnehmen, gelassener miteinander umgehen und bereit sind, uns erneut näher kennen zu lernen.

   Gerade die Ostdeutschen haben in den letzten Jahren erkannt, dass Geschichte und Vergangenheit nicht einfach in Müllcontainern und auf Mülldeponien landen können und dürfen. Ein gesundes und differenziertes Verhalten zur eigenen Geschichte ist zur Identitätsstiftung unerlässlich. Daher sehe ich persönlich die Inflation von Ostalgieveranstaltungen eher gelassen und weniger aufgeregt, auch wenn ich das Niveau mancher Veranstaltung lieber in den Mantel des Schweigens hüllen möchte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dennoch bleibt ohne eine Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Einheit unbalanciert und unvollständig. Die hohe Arbeitslosigkeit im Verhältnis zu den wenigen offenen Stellen und das deutlich niedrigere Einkommensniveau bleiben die wesentlichen Herausforderungen für die nächsten Jahre.

   Wir können uns darüber streiten, wie wir diese Ziele am besten und am schnellsten erreichen können. Aber ich darf wohl den Konsens in diesem Hause voraussetzen, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse kommen muss, und zwar je eher, desto besser.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)

Ich will aber daran erinnern, dass wir auch dann noch regionale, aber vertretbare Disparitäten haben werden. Das war schon immer so, auch im Westen. Das ist auch gut so; denn dabei handelt es sich um einen ganz natürlichen Vorgang.

   Für meine Fraktion will ich klarstellen, dass wir zu den Vereinbarungen des Solidarpaktes II stehen und uns für eine sinnvolle Verlängerung der Investitionszulage und den Erhalt der EU-Strukturförderung engagiert einsetzen werden. Wir müssen uns aber der Verantwortung dafür bewusst sein, dass diese Fördermittel bestmöglich eingesetzt werden. Die Kritik an falscher Allokation von Fördermitteln müssen wir ernst nehmen. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir es schaffen, diese erheblichen Finanzmittel zielführender und erfolgreicher einzusetzen.

   In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal kurz auf die so genannte Neiddebatte eingehen, die unser Spätsommerloch anfüllte. Wir negieren nicht die Tatsache, dass es auch im Westen strukturschwache Regionen gibt, die unsere Solidarität benötigen. Aber es hat mich schon sehr geärgert, dass suggeriert wurde, der Osten greife zum Beispiel im Bereich der Städtebauförderung zu Lasten der westdeutschen Kommunen alles ab. Für mich ist das insofern besonders unverständlich, als es zum Beispiel beim Stadtumbau Ost länderübergreifenden Konsens gab. Das lässt sich damit dokumentieren, dass die entsprechende Verwaltungsvereinbarung von allen 16 Bundesländern unterschrieben wurde.

Wie auch bei anderen Fördermaßnahmen können wir uns gerne darüber verständigen, was besser gemacht werden kann. Aber für mich gilt auch hier: pacta sunt servanda - Verträge bzw. Vereinbarungen sind zu erfüllen.

   Ich möchte zum Schluss meiner Rede auf die Auswirkungen der Agenda 2010 und insbesondere der so genannten Hartz-Gesetze auf die ostdeuschen Bundesländer eingehen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II betrifft den Osten sehr viel stärker, da hier der Anteil der Arbeitslosenhilfeempfänger mit über 1 Million Menschen sehr hoch ist und die finanzielle Entlastung der Kommunen bei der Sozialhilfe deutlich niedriger ausfällt. Die Festlegung der Höhe des Arbeitslosengeldes II auf das Sozialhilfeniveau macht mich alles andere als glücklich. Die verschärfte Anrechnung von Partnereinkommen führt gerade bei Frauen im Osten zu harten Einschnitten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum tun Sie es denn dann?

- Warten Sie einmal ab! - Wir haben uns in unserer Fraktion an vielen Stellen gemeinsam für eine Entschärfung und Verbesserung der Gesetze eingesetzt und dabei auch vieles erreicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Arnold Vaatz (CDU/CSU): Was haben Sie denn erreicht?)

Mehr war angesichts der schwierigen Haushaltslage einfach nicht möglich.

   Es ist aber auch sicher gestellt, dass in Zukunft Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit in veränderter Form als ABM neu oder BSI einen Marktersatz für fehlende Arbeitsplätze darstellen werden. Wir wissen, dass dies keine Dauerlösung sein kann. Die eigentlichen Arbeitsplätze müssen nämlich am ersten Arbeitsmarkt entstehen. Wir brauchen aber den zweiten Arbeitsmarkt, um eine gewisse Stabilisierung der sozialen Verhältnisse zu gewährleisten; deshalb ist er unersetzlich.

   Ich habe aus Gesprächen mit Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit, aber auch der Landesarbeitsämter den positiven Eindruck mitgenommen, dass die Reformen auf diesem Gebiet wirklich zu einer Verbesserung führen werden. Es gibt das ehrliche Bemühen und die Zusage, die Fördermaßnahmen auch in 2004 in beinahe unveränderter Höhe fortzuführen. Oberstes Ziel muss auch hier sein, eine möglichst hohe Erfolgsquote zu erreichen, das heißt letztlich die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt.

   Hartz III und Hartz IV werden wir morgen in zweiter und dritter Lesung verabschieden, wohl wissend, dass es zu einem Vermittlungsverfahren kommen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, dann werden wir auch über das unsägliche Existenzgrundlagengesetz des Ministerpräsidenten Koch und über die Androhungen Ihres Parlamentarischen Geschäftsführers, Volker Kauder, diskutieren müssen, die angeblich sozialen Wohltaten, zum Beispiel bei der Zumutbarkeitsregelung oder bei der Höhe des Arbeitslosengeldes II, zurückfahren zu wollen. Machen Sie Ihren Kollegen einmal klar, wozu das im Osten führen wird! Was versprechen Sie sich davon außer der Lufthoheit über den Stammtischen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es liegt auch in Ihrer Verantwortung, die an sich schon harten Einschnitte durch die Reformgesetze so zu gestalten, dass sie noch sozial vertretbar sind. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie, aber auch die ostdeutschen Ministerpräsidenten nicht entlassen.

   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort der Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion.

Cornelia Pieper (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen von der Regierungskoalition können ja kaum erwarten, dass ich anfange zu reden.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Wie immer irren Sie sich! Wir warten auf das Ende! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Ich weiß, dass Sie sich freuen.

   Das Thema deutsche Einheit ist der FDP-Fraktion viel zu wichtig, als dass es ihr ausreichte, über rein ökonomische Daten zu reden. Für uns ist die deutsche Einheit auch 13 Jahre danach keine Selbstverständlichkeit. Es waren die Grundpfeiler unserer Gesellschaft - Grundrechte, Freiheit und Demokratie -, die uns die deutsche Einheit ermöglicht haben. Dank der Kraft, die aus diesen Werten unserer Gesellschaft kommt, konnten wir die deutsche Einheit vollenden. Ich will auch noch einmal an das anknüpfen, was Minister Schönbohm hier zum Ausdruck gebracht hat: Es geht einfach nicht an, dass Politiker aus den Landesregierungen, aber auch aus dem Bund die deutsche Einheit mit ihren Worten diffamieren. Wir sagen ganz deutlich, dass die deutsche Einheit die Leistung der Menschen selbst gewesen ist,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

dass die Ostdeutschen mit der selbst errungenen Freiheit und die Westdeutschen mit einer gut funktionierenden Marktwirtschaft diese deutsche Einheit politisch vollendet haben. Es soll nicht aus den Augen verloren werden, dass wir auf diese Weise eine gute Grundlage für die Zukunft geschaffen haben.

   Meine Damen und Herren, mich haben die Worte des Altbundeskanzlers Schmidt, die Ostdeutschen, vor allem die Rentner, sollten endlich aufhören zu jammern, sehr enttäuscht, und zwar deswegen, weil hier alte Vorurteile geprägt und die Lebensleistungen gerade älterer Menschen im Osten infrage gestellt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es waren doch die Menschen in den neuen Ländern, die in der aktuellen Reformdebatte die Kugel ins Rollen gebracht haben. Was hätten wir denn gemacht, wenn die Leipziger und Hallenser damals in der Leipziger Bahnhofspassage nicht mit den Füßen abgestimmt hätten? Dann hätten wir bis heute nicht die Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes. Wir hätten bis heute keine Betriebsbündnisse zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern und keine Arbeitsplätze gesichert, wenn die Ostdeutschen nicht die entsprechende Einsicht gezeigt hätten. Wir hätten bis heute keine Debatte über moderne Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland.

   Im Osten gibt es mehr Kreativität und Wachstumspotenzial als im gesamtdeutschen Durchschnitt. Die Bereitschaft zur Veränderung, selbst zu sozialen Einschnitten, ist weitaus größer. Vieles, was im Osten gelebte Praxis ist, ist für Gesamtdeutschland noch blanke Theorie. Denken Sie an die Aufhebung des Tarifzwangs, an die Streichung der Arbeitsplatzsubvention im Braunkohlebergbau - im Gegensatz zum Steinkohlebergbau! Denken Sie an die kürzeren Ausbildungs- und Studienzeiten, aber auch an die hohe Mobilität der jungen Menschen im Osten Deutschlands!

(Beifall bei der FDP)

   Aber genau Letzteres ist das Problem. Das kommt auch in dem Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit zum Ausdruck. Von 1989 bis 2002 hat eine Abwanderung von 1,45 Millionen Menschen aus dem Osten stattgefunden. Allein im Jahr 2002 ist die Bevölkerung einer Stadt in der Größenordnung Jenas von der Bildfläche verschwunden. Deswegen muss es das Ziel dieser Bundesregierung sein, für Wachstum zu sorgen und die Menschen in den neuen Ländern mit Zuversicht zu erfüllen. Aber ich erlebe, dass - insbesondere in den Ländern - von Politikern der Regierungskoalition im Prozess der deutschen Einheit mehr Zwietracht gesät wird.

(Karin Rehbock-Zureich (SPD): Na, na, na!)

Es war Herr Vesper von den Grünen, der gefordert hat, die Fördermittel für den Wohnungsbau zu streichen. Es war Herr Steinbrück, der die Investitionszuschüsse für die neuen Länder infrage gestellt hat.

   Ich bin Liberale. Ich will, dass strukturschwache Regionen in allen Ländern gefördert werden. Aber trotzdem halte ich diese Diskussion für nicht gerechtfertigt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Menschen dort brauchen Arbeit. Jeder Fünfte im Osten Deutschlands ist arbeitslos. Das ist die eigentliche politische Herausforderung, auch für die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat versäumt - wir wissen, Herr Stolpe, dass die Industriebasis nicht stark genug ist, um den nötigen Beschäftigungszuwachs zu befördern -, gerade für den Mittelstand, die Freiberufler und das kleine Gewerbe die Grundlagen für die Entstehung von Arbeitsplätzen zu schaffen. Dazu gehört für uns zuallererst ein Niedrigsteuergebiet mit einem Dreistufentarif für ganz Deutschland.

(Beifall bei der FDP)

Dazu gehört auch die Senkung der Lohnzusatzkosten. Wir wollen sie auf 35 Prozent reduzieren. Gerade im Hinblick auf die EU-Osterweiterung ist doch klar, dass der Druck auf die Unternehmen, was die Löhne und Gehälter anbelangt, auch in Ostdeutschland viel größer wird. Deswegen brauchen wir schnell Entscheidungen; wir brauchen den großen Wurf und nicht kleine Trippelschritte in Reformpaketen.

   Während im Westen trotz Konjunkturschwäche 2002 ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent zu verzeichnen war, haben wir im Osten erstmals seit zehn Jahren ein Minuswachstum von 0,2 Prozent. Das ist auch ein Ergebnis falscher Weichenstellungen Ihrer Politik für den Aufbau Ost, meine Damen und Herren von der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Trotz des Lichtblicks der Zuwachsraten in der Industrie und im verarbeitenden Gewerbe, die in diesen Branchen zu einem Beschäftigungszuwachs beigetragen haben, fehlt es an großen, wertschöpfungsstarken Betrieben. Der Anteil der in der Industrie Beschäftigten beträgt in Ostdeutschland lediglich 68 Prozent des Westniveaus. Die Gründungsquote im Osten nimmt seit 1998 radikal ab. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle gab Mitte September bekannt, im Osten fehlten nach wie vor rund 100 000 Unternehmen. Da müssen wir den Hebel ansetzen. Niedrigere Steuern und niedrigere Sozialabgaben müssen das Ziel für Gesamtdeutschland, aber insbesondere für die neuen Bundesländer sein.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Pieper, denken Sie bitte an die Redezeit!

Cornelia Pieper (FDP):

Der Anteil der Industrieforschung im Osten beträgt nur noch 5 Prozent. Das ist zu wenig. Auch in diesem Bereich setzt die Bundesregierung keine Prioritäten. Die Bundesforschungsministerin hat gerade einmal 1 Prozent der Mittel, die für Großgeräte zur Verfügung standen, in die neuen Bundesländer fließen lassen. Das ist nicht die richtige Weichenstellung.

   Ich erwarte auch, dass die Bundesregierung das nächste größere europäische Forschungsvorhaben, nämlich die Neutronenspallationsquelle, unterstützt und sich für einen Standort in Deutschland, möglichst in den neuen Bundesländern, einsetzt. Das wäre eine richtige Weichenstellung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber Sie vernachlässigen dieses Gebiet schon seit längerem.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin, ich muss Sie nun wirklich bitten, auf die Redezeit zu achten.

Cornelia Pieper (FDP):

Ja, Herr Präsident. - Was Sie tun, hat nur Alibifunktion. Wir haben daher nur wenig Hoffnung, dass für die Bundesregierung der Aufbau Ost Herzenssache ist.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. - In dieser Debatte haben sich schon alle über Altkanzler Helmut Schmidt empört. Ich will ihn in Schutz nehmen. Natürlich gibt es Weinerlichkeit, in Ost und in West; auch ich finde sie nicht gut. Mir sind die 5 000 Rentnerinnen und Rentner lieber - das ist eine andere Reaktion -, die am Montag dieser Woche auf den Straßen Berlins gegen die Rentenpläne der Bundesregierung demonstriert haben. Ich hoffe, es werden in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Menschen gegen Sozialabbau auf die Straße gehen.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Ich finde es wirklich nicht erträglich, wenn von der Bundesregierung immer wieder argumentiert wird, dass es den Rentnern gut gehe. Viele Rentnerinnen und Rentner haben 40 Jahre und länger gearbeitet und müssen nun mit Minirenten auskommen. Sie empfinden es als ungerecht, wenn sie nach einem langen Arbeitsleben zu Bedürftigen degradiert werden sollen. Altkanzler Schmidt ist wirklich schlecht informiert, wenn er in der Rentenfrage behauptet, es werde über manches geklagt, was nicht beklagenswert sei.

   Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Die ehemaligen Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn haben in der DDR Ansprüche auf eine Altersversorgung erworben, die ihnen der Bund nicht gewähren will. Obwohl die Bahnen und das entsprechende Vermögen zusammengeführt wurden, erhielten nur die Bundesbahner Besitzschutz für ihre Altersversorgung. Für die Hunderttausend Reichsbahner wurde bis heute keine Regelung gefunden. Es geht also nicht um Weinerlichkeit, sondern es geht um berechtigte Forderungen, denen die Bundesregierung endlich nachkommen muss. Da helfen auch schöne Sonntagsreden, wie wir sie heute gehört haben, nicht.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Altkanzler Schmidt hat in dem Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ auch viel Richtiges gesagt, was in der allgemeinen Hysterie leider untergegangen ist. Er hat festgestellt, dass der Aufholprozess im Osten schon 1996 unterbrochen wurde und dass in Ostberlin und Bonn ökonomische Dilettanten am Werk waren. Einen dieser laut Altkanzler Schmidt ökonomischen Dilettanten, Herrn Schäuble, will die CDU nun zum Bundespräsidenten wählen. Ein wahrlich schlechter Vorschlag!

   Der Osten kippt. Die Arbeitslosigkeit im Osten ist doppelt so hoch wie im Westen. Die Investitionen sinken und die Jugend wandert aus dem Osten in den Westen ab. Natürlich wurde viel Geld in den Osten transferiert. Aber offensichtlich haben diese Transfers ihre Wirkung nicht erzielt. Ist es nicht verwunderlich, dass unsere östlichen Nachbarn ein beachtliches Wirtschaftswachstum haben, obwohl sie über weniger Geld verfügen und ihre wirtschaftliche Ausgangslage schlechter ist als die im Osten Deutschlands? Es ist eben so, dass es offensichtlich nicht reicht, nur viel Geld auszugeben. Man muss manchmal auch ganz neue und ungewöhnliche Maßnahmen und Methoden anwenden, um etwas nach vorne zu bringen. Doch dazu fehlt es Ihnen an Mut und Ideen.

   Es ist wirklich schlimm, dass die Bundesregierung die Besonderheiten des Ostens in ihrer Gesetzgebung nur unzureichend berücksichtigt. Ein Beispiel sind die Hartz-Gesetze; der Kollege von den Grünen hat es klar erkannt. Bei einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland von 20 Prozent ist es absurd und menschenverachtend, den Druck auf die Arbeitslosen ständig zu erhöhen, ohne ihnen Arbeitsplätze anzubieten. Die Gesetze, die morgen verabschiedet werden sollen, machen deutlich, dass es in diesem Bundestag ein dramatisches Defizit an Ostkompetenz gibt.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Hier haben Ost-SPD und Ost-CDU völlig versagt. In der morgigen Abstimmung über die Hartz-Gesetze haben Sie Gelegenheit, diesen Eindruck zu korrigieren. Dazu fordere ich Sie auf.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Scheffler für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Siegfried Scheffler (SPD):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es heute wie im vorigen Jahr: Angesichts des Zuvorgesagten kann man die vorbereitete Rede nur beiseite legen. Insbesondere das, was Sie, Frau Pieper, ausgeführt haben, ist blanke Theorie und entbehrt jeder Tatsache. Die Situation ist schon sehr schwierig.

   Ich darf Ihnen einmal ein Zitat von Ministerpräsident Böhmer - ich gehe einmal davon aus, dass Sie den Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt unterstützen; Kollege Ludwig Stiegler und ich waren zwei Tage nach der Feier in Magdeburg in Sachsen-Anhalt unterwegs - aus „Innovative Verwaltung“, Heft 10 des Jahres 2003, vorlesen:

Heute haben sich an zahlreichen Standorten, die mit hohem finanziellen Aufwand saniert wurden, wieder zukunftsträchtige Unternehmen angesiedelt. Dieser Strukturwandel läuft permanent weiter.

Denken Sie, dass sich diese Unternehmen erst seit dem Zeitpunkt angesiedelt haben, seit dem Ministerpräsident Böhmer die Regierung übernommen hat? Das ist vielmehr ein Prozess, den die rot-grüne Regierung seit 1998 mit ihren Clusters in Gang gesetzt hat.

(Beifall bei der SPD)

   Frau Pieper, wir haben Unternehmen besucht. Wir haben uns nicht nur in der Staatskanzlei mit dem Finanzstaatssekretär bzw. mit Kollegen des Landtages unterhalten. Wir waren auch bei Unternehmern in Staßfurt und Barleben. Die haben uns händeringend darum gebeten, in der Förderpolitik, aber insbesondere auch in der Steuerpolitik nicht nachzulassen und Einfluss auf die Länder zu nehmen, damit steuerliche Entlastungen zustande kommen und unsere Förderung weiter fließt.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Scheffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Siegfried Scheffler (SPD):

Bitte.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Bitte schön.

Cornelia Pieper (FDP):

Herr Kollege Scheffler, Sie hatten mich direkt angesprochen. Deswegen eine Rückfrage von mir: Ist Ihnen bekannt, dass es SPD-Ministerpräsidenten und -Minister sind, die Investitionszuschüsse und -zulagen für die neuen Länder infrage stellen? Diese sind ja mehreren Gutachten gemäß die Ursache dafür, dass es überhaupt Anreize für Investitionen und Industrieansiedlungen gibt. Ist Ihnen bekannt, dass das Bundesland Sachsen-Anhalt eine Bundesratsinitiative gestartet hat - sie hat dem Bundesrat vorgelegen -, Modellregionen im Hinblick auf den Bürokratieabbau zu schaffen, und dass die Bundesregierung bis heute nicht gehandelt hat und, wie ich gehört habe, plant, nur in strukturschwachen Regionen in den alten Bundesländern Modellregionen zuzulassen?

Siegfried Scheffler (SPD):

Ich möchte darauf jetzt nicht direkt eingehen, weil ich im Laufe meiner Rede den Masterplan Bürokratieabbau konkret ansprechen werde. Ich werde die Probleme am Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz deutlich machen.

(Norbert Schindler (CDU/CSU): Wissen Sie es oder wissen Sie es nicht?)

Auf die I-Zulage und auf weitere Dinge werde ich dann in diesem Zusammenhang zu sprechen kommen.

   Insofern kann ich Sie nur ermuntern, auf die Ministerpräsidenten über die Parteigrenzen hinaus einzuwirken - das betrifft nicht nur Herrn Steinbrück, sondern auch Ministerpräsident Koch; hier sind die verschiedenen Parteifarben verantwortlich -, dass für die neuen Bundesländer letztendlich eine entsprechende Entlastung zustande kommt. Insofern stimme ich Ihnen zu und kann Sie nur ermuntern, diese Bundesratsinitiative zu unterstützen.

   Herr Minister Schönbohm, der Bericht, den Minister Stolpe für die Bundesregierung heute vorgestellt hat, ist überhaupt nicht glatt. Wer ihn intensiv gelesen hat, kommt zu der Meinung, dass das der erste Bericht ist,

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das ist der dünnste, den wir jemals gehabt haben!)

in dem die Probleme in aller Deutlichkeit aufgezeigt werden. Ganz wichtig ist - das ist in den vorherigen Debattenbeiträgen und auch in dem von Frau Pieper überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen -, dass auch konstruktive Vorschläge vorgetragen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wird das dargestellt, was im Grunde genommen in den alten Bundesländern bemängelt wird. Sie gehen nur auf die Problemregionen ein. Natürlich haben wir solche Problemregionen; das kehren wir nicht unter den Tisch. Aber bei einer Redezeit von zwölf Minuten kann weder der Minister noch ich all das ansprechen.

   Auf konstruktive Dinge sollte man eingehen, zum Beispiel auf das Konzept des Ministerpräsidenten Milbradt - er ist Ihr Kollege -

(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Guter Mann!)

für den Aufbau Ost, das er in einigen Monaten vorlegen will. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn der Bericht in den Ausschuss überwiesen wird, wird die Landesgruppe Ost gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen eigenen Antrag vortragen, und nicht erst in Monaten. Darin werden die Dinge konstruktiv angesprochen, die wir in Abstimmung mit der Bundesregierung erarbeitet haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Den Kollegen, die dazwischenrufen, möchte ich sagen:

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen sich besser auf Ihre Rede vorbereiten! So ein Blödsinn! Das darf nicht wahr sein!)

Der Einigungsprozess muss mit Blick auf die aktuelle Steuersituation und unter Berücksichtigung der weltweiten Entwicklung, aber insbesondere unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklung, fortgeschrieben werden. Es wäre doch schlimm, wenn wir bei den Konzepten der alten Regierung stehen bleiben würden. Die Welt hat sich weiterentwickelt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch hinsichtlich der EU-Osterweiterung mussten bestimmte Maßnahmen ergriffen werden.

(Jürgen Türk (FDP): Dann tun Sie es endlich mal!)

   Auf den Solidarpakt II möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Gestatten Sie aber auch mir als Landesgruppensprecher Ost in der SPD-Fraktion, die Menschen in den neuen Bundesländern direkt anzusprechen; einige Kollegen haben das bereits getan. Trotz aller Transferleistungen, die wir über die Parteigrenzen hinaus anerkennen, haben die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern einen unvergleichlichen Härtetest bestanden und müssen ihn wahrscheinlich noch einige Jahre lang bestehen. Die übergroße Mehrheit der Menschen hat ihn mit Bravour bestanden. In diesem Zusammenhang weise ich den Vorwurf der Weinerlichkeit in den neuen Bundesländern zurück.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das hat Herr Schönbohm schon gesagt!)

Auch schließe ich mich über die Parteigrenze hinweg den Worten von Minister Schönbohm an. Er hat ausgeführt, dass auch dann, wenn die Parteifarben wecheln, nicht weniger Geld für den Aufbauprozess zur Verfügung gestellt werden dürfe. Ja, auch wir fordern das. Ich füge hinzu: Wer weiß, ob das Selbstvertrauen der Menschen in den neuen Ländern, das durch diese Erfahrung gewachsen ist, nicht noch einmal zu einem wichtigen Kapital für ganz Deutschland wird, nämlich dann, wenn wir die anstehenden Reformen - hier wird sich noch so mancher aus den alten Bundesländern wundern - umsetzen werden.

   Wir haben heute schon vom überproportionalen Wachstum im verarbeitenden Gewerbe gehört. In Brandenburg gibt es international wettbewerbsfähige Zentren. Das gilt auch für Berlin; in meinem Wahlkreis gibt es unter anderem den Wissenschafts-, Wirtschafts- und Medienstandort Adlershof. Diese Zentren gibt es auch in der chemischen Industrie und im Automobilbau. Aber - das wurde weder von Minister Stolpe noch von der Bundesregierung beschönigt - Fakt ist, dass Jahr für Jahr einhunderttausend zumeist gut ausgebildete und qualifizierte junge Leute unsere strukturschwachen Regionen verlassen. Bei unserer Reise durch Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere durch den Landkreis Uecker-Randow - der Kollege Meckel wurde bereits erwähnt -, konnten wir uns davon überzeugen.

Wir verkennen nicht, dass hier besondere Anstrengungen notwendig sind; der Kollege Hettlich hat das Hartz-IV-Paket bereits angesprochen. Aufgrund der Finanzsituation des Bundes ist es manchmal aber nicht möglich, die Situation besser zu meistern. Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, dass wir Arbeitsplätze nicht auf dem zweiten, dem öffentlich geförderten Arbeitsmarkt schaffen wollen, sondern auf dem ersten. Wir wollen den ersten Arbeitsmarkt beleben, dort wollen wir die Arbeitsplätze schaffen. Aber auch im Jahr 2004 und darüber hinaus müssen wir den Menschen auf dem zweiten Arbeitsmarkt durch Anstrengungen der Bundesanstalt für Arbeit bzw. der Bundesagentur für Arbeit, wie sie nach den Hartz-III-Vorstellungen heißen wird, helfen. Auch ABM, SAM und Wiedereingliederungshilfen müssen in der Bilanz berücksichtigt werden. Diese Hilfen werden uns immer wieder bei Veranstaltungen in den alten Bundesländern vorgeworfen, wenn es um den Vergleich von neuen Bundesländern und strukturschwachen Regionen in den alten Bundesländern geht. Ich erkenne durchaus an, dass es zum Beispiel in der Oberpfalz und im Ruhrgebiet durchaus Regionen gibt, in denen die Arbeitslosenquote wie bei uns bei über 20 Prozent liegt. Aber an die alten Bundesländer - das hat Minister Stolpe hier angeführt - grenzen wirtschaftlich sehr viel stärkere Regionen an, im Gegensatz zu den neuen Bundesländern.

   Hinzu kommt ein spezielles ostdeutsches Problem bei der demographischen Entwicklung. Das ist der so genannte Wendeknick. Dieser wird in einigen Jahren Auswirkungen auf die Ausbildungsplatzsituation in den neuen Bundesländern haben. Dann werden dort junge Menschen fehlen, die von den Unternehmen gesucht werden. Das wird auch gravierende Folgen für die Transferleistungen in die Sozialsysteme haben, wie es die Debatte zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz gezeigt hat.

   Minister Schönbohm, Sie haben die kommunalen Finanzen angesprochen. Anfang des Jahres hätten wir hier über das Steuervergünstigungsabbaugesetz Einigkeit erzielen können. Wenn uns das gelungen wäre, wäre die Finanzkraft der Kommunen in den neuen und alten Bundesländern jetzt wesentlich stärker.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die unionsregierten Länder haben uns hier auflaufen lassen. Ich gebe zu, wir haben uns hier eine Watschen, wie Herr Stiegler sagen würde, abgeholt. Den Kommunen haben Sie damit aber überhaupt nicht geholfen. Es gibt gravierende Probleme und ich hoffe, dass wir im Rahmen der Verhandlungen von Bundestag und Bundesrat zu den anstehenden Reformen eine Einigung erzielen und die Finanzkraft der Kommunen in den neuen und den alten Bundesländern stärken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich halte das integrative Aufbaukonzept der Bundesregierung für richtig. Natürlich ist dann, wenn man mehr Geld hat, alles verbesserungsbedürftig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Wir können gern einmal die Leistungen unserer Bundesregierung für Bildung und Forschung mit den finanziellen Leistungen in diesem Bereich unter Ihrem damaligen Superminister Rüttgers bis 1998 vergleichen. Die Mittel für diesen Bereich waren rückläufig. BAföG und Meister-BAföG müssen finanziert werden, und zwar vor dem Hintergrund der Konsolidierung des Haushalts. Ich bitte Sie wirklich, einmal ganz ehrlich Bilanz zu ziehen und das entsprechend zu berücksichtigen.

   Zur Ehrlichkeit gehört - Minister Stolpe, hier würde ich Sie stellvertretend für die Regierung bitten; vorhin war noch Minister Schily hier - auch, den Goldenen Plan Ost und die Förderung der Kultur in den neuen Ländern anzusprechen.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Ich denke auch, dass das angesprochen werden muss!)

Ich glaube schon, dass mit dem Goldenen Plan Ost in den Ländern und Kommunen Investitionen angeschoben werden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allen Dingen würde es der Innenminister an seiner Kriminalitätsstatistik merken, wenn es gelingt, das ehrenamtliche Engagement zu stärken und in den Vereinen etwas für junge Leute aufzubauen, das nicht hinterher wieder weggenommen wird. Das wäre ebenso wichtig wie die Förderung der Kultur in den neuen Ländern.

   Im Zusammenhang mit dem Sanierungsprogramm „Dach und Fach“ könnte ich die Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik der Bundesregierung beim Namen nennen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es bis 1998 so etwas wie unsere Programme Soziale Stadt, Stadtumbau Ost und Denkmalschutz in der gegenwärtigen Höhe gegeben hätte. Das betrifft Brandenburg ebenso wie Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern. Wir Berliner profitieren vor dem Hintergrund der schwierigen Haushaltslage in erheblichem Maße davon, dass hier Mittel bereitgestellt werden. Ich behaupte, Ihre Bauminister hätten davon noch nicht einmal geträumt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das Gleiche gilt für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Insofern verstehe ich überhaupt nicht, Minister Schönbohm, dass Sie dieses Thema hier so negativ dargestellt haben.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Keine Ahnung auf hohem Niveau!)

   Wenn ich über die Lande in Brandenburg fahre, also dort, wo der Bund Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur trägt und auch schon unter der alten Bundesregierung Verantwortung getragen hat,-

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Scheffler, denken Sie freundlicherweise an die Überschreitung der Redezeit, sodass die Schilderung der Eindrücke aus den Fahrten über Land etwas knapper ausfallen muss.

(Heiterkeit)

Siegfried Scheffler (SPD):

- dann kann ich schon eine gut ausgebaute Infrastruktur erkennen.

   Ich komme zum Schluss. Ich kann Minister Stolpe nur ermuntern, dass er in den Beratungen des Kabinetts und wir als Parlament in den Haushaltsberatungen bzw. in den Sitzungen, in denen es um Haushaltsbereinigung geht, über die Bereiche Bürokratieabbau, Verkehrsinfrastruktur und insbesondere Innovationen in Forschung und Bildung eine Verstetigung der Mittel erreichen, sodass hier wie bisher das hohe Niveau gehalten werden kann.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält der Kollege Werner Kuhn für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Nüchternheit der Zahlen, die wir in diesem Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit nachlesen können, dürfen wir nicht verkennen, dass wir uns in Europa insgesamt in einem gesellschaftlichen Umwälzungsprozess befinden, der schon epochalen Charakter hat.

   In diesem Kontext muss man den 16. Oktober 1978 erwähnen, an dem ein Mann in ein wichtiges Amt gewählt wurde. Aus diesem Grund wurde an den Unis in der DDR im wissenschaftlichen Kommunismus seinerzeit die Botschaft verkündet, in dieser Nacht sei ein Anschlag des Imperialismus auf die sozialistische Staatengemeinschaft verübt worden, ein Pole sei zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt worden. Das war ein ganz wichtiges Ereignis, das die Bürgerbewegung in Polen, in Europa insgesamt befördert hat und das dazu beigetragen hat, dass der Eiserne Vorhang letztlich gefallen ist. Diesem Mann möchte ich zu Beginn meiner Rede zu seinem 25-jährigen Dienstjubiläum die Reverenz erweisen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

   Ich möchte nun auf meinen Kollegen Scheffler eingehen. Er hat hier auf interessante Weise dargestellt, wie in Ostdeutschland Investitionen gerade im Bereich der weichen Standortfaktoren weiter befördert werden, und hat den Goldenen Plan Ost angesprochen. Wenn ich meinen Kollegen Riegert richtig verstanden habe, so sind in den Haushaltsberatungen die Mittel im Goldenen Plan Ost auf null gefahren worden. Im Goldenen Plan Ost sind für die neuen Bundesländer überhaupt keine Investitionen mehr vorgesehen. Das halte ich für sehr besorgniserregend.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Weiterhin ist besorgniserregend - Herr Stolpe, das können Sie tagtäglich aus den Zeitungen erfahren -, dass die Einnahmen aus der Maut fehlen, die für die Infrastruktur verwendet werden sollten. Wir können uns heute nicht hier hinstellen und verkünden, wir würden in den neuen Bundesländern die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit zu Ende bringen und zusätzliche Straßen bauen. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen: Im Vermittlungsausschuss ist vereinbart worden, dass über 1 Milliarde Euro für die Infrastruktur im Straßenbau zur Verfügung gestellt werden. Was ist das Ende vom Lied? Der Haushaltsansatz wurde gekürzt. Es wurden nur noch 200 Millionen Euro draufgelegt. Das wird alte und neue Bundesländer gemeinsam treffen. Gegen diesen Dilettantismus, der von der Bundesregierung hinsichtlich Maut und Verkehrsinfrastruktur zurzeit betrieben wird, müssen wir uns wehren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD)

- Lassen Sie Herrn Mangold in Ruhe! Schauen Sie sich besser die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in den neuen Bundesländern im letzten Jahr an! Es ist erstmals seit 1991 auf 60 Prozent des Niveaus in den alten Bundesländern geschrumpft.

(Siegfried Scheffler (SPD): 0,2 Prozent Rückgang! Das haben wir schon angesprochen!)

Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts beschreibt die Lage insgesamt: Wir haben im Osten eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent. Sie ist doppelt so hoch wie im Westen. Die gut ausgebildeten, mobilen jungen Menschen verlassen unser Land; das wurde heute in dieser Debatte immer wieder angebracht.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Faden finden!)

Das ist besorgniserregend. Diese Menschen stehen uns nämlich nicht nur als Humanressourcen nicht mehr zur Verfügung, sondern auch als zukünftige Existenzgründer, als unsere Köpfe für die kleinen und mittelständischen Unternehmen.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Als Familien!)

Deshalb ist das sehr problematisch.

   Von der Bundesregierung muss etwas unternommen werden. Uns steht noch kein Aufbauplan Ost, aufgeschrieben von dieser Bundesregierung, federführend Herr Stolpe, zur Verfügung, über den wir debattieren könnten. Eine Stunde wird uns gerade einmal für ein so wichtiges wirtschaftspolitisches Thema zur Verfügung gestellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist zu wenig! Viel zu wenig!)

Man könnte drei Stunden darüber diskutieren. Ministerpräsident Milbradt hat das ganz eindeutig gesagt. Es muss viel mehr Zeit investiert werden. Wir dürfen das Thema Aufbau Ost nicht nonchalant einem Minister anvertrauen, der die meiste Osterfahrung hat, bei dem aber nichts passiert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Siegfried Scheffler (SPD): Das ist Quatsch! Blödsinn!)

   Herr Scheffler, jetzt wartet eure Fraktion darauf, dass Ministerpräsident Milbradt einen Aktionsplan vorlegt, den ihr dann abschreiben könnt, sodass ihr euch in diesem Bereich wieder gut verkaufen und positionieren könnt.

(Siegfried Scheffler (SPD): Wir sind schon lange so weit!)

So spielen wir nicht. Hier werden Sie unseren erbitterten Widerstand spüren.

   Die Menschen in den neuen Ländern fallen in eine gewisse Mutlosigkeit und Resignation; das muss man so sagen.

(Ludwig Stiegler (SPD): Jeder, der Sie reden hört, wird resignativ!)

Für die Eltern und Großeltern ist es sehr bedauerlich, wenn die jungen Leuten fortgehen. Das sollten sie natürlich auch sagen. Sie werden aber auch von der Bundesregierung verlassen, die ihnen seinerzeit große Versprechungen gemacht hat. Die Bundesregierung ist in den neuen Bundesländern mit über 40 Prozent wieder in dieses Amt gewählt worden. Hier helfen Ihnen keinesfalls die platten Parolen - Sie sagten: „Lieber mit Schröder in der Arbeitslosigkeit als mit Stoiber im Krieg“ -, die Sie über die Marktplätze getragen haben. Sie wollen die erste Androhung doch nicht etwa tatsächlich wahrmachen!

(Siegfried Scheffler (SPD): Das ist doch unerhört!)

Hier muss endlich ein Aktionsplan in Angriff genommen werden, damit Sie mehr Arbeit in die neuen Bundesländer bringen. Als allererstes muss hier eine Industriepolitik gestartet werden, die ihren Namen verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es gibt gerade im verarbeitenden Gewerbe etliche hoffnungsvolle Ansätze. Früher haben wir immer darüber diskutiert, dass die Lohnstückkosten in Deutschland zu hoch sind, dass es keine vernünftige Auslastung gibt, dass die Maschinenlaufzeiten zu gering sind usw. Mittlerweile haben sich im verarbeitenden Gewerbe sehr gute Unternehmen herausgebildet, die eine Wettbewerbsposition erreicht haben. Das gilt besonders in den Ländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, in denen die Landesregierungen für eine Kofinanzierung und -förderung sorgen. Das muss man einmal positiv erwähnen.

   Die Konjunktur insgesamt befindet sich in einer absolut desolaten Lage. Sie müssen erst einmal dafür Sorge tragen, dass die Binnenkonjunktur wieder in Gang kommt. Die privaten Haushalte sind mit ihren Investitionen sehr zögerlich, weil sie nicht wissen, welche private Vorsorge in der Renten- und Krankenversicherung in Zukunft für sie erforderlich ist. Dies alles ist Teil einer strukturellen Krise. Hier müssen die Reformen möglichst schnell zu Ende gebracht werden, damit jeder genau weiß, welche Vorsorge für sich persönlich in Zukunft notwendig ist. Dann wird auch die Binnenkonjunktur wieder anspringen.

   Im Moment bleiben die öffentlichen Aufträge aus. Die Haushalte der Gemeinden, Städte und Landkreise sind am absolut unteren Niveau angekommen.

(Ludwig Stiegler (SPD): Nur jammern!)

Sie können leider keine Investitionen mehr tätigen. Deshalb ist es notwendig, dass die Gemeindefinanzreform so schnell wie möglich greift.

   Es fehlt ein schlüssiges Konzept der Bundesregierung.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Kuhn, würden Sie zur Verlängerung Ihrer Redezeit nun eine Zwischenfrage des Kollegen Scheffler zulassen?

Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU):

Ich warte schon sehr darauf. Ich hoffe nicht, dass er enttäuscht sein wird.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Siggi, hilf ihm, seinen Faden zu finden!)

Siegfried Scheffler (SPD):

Lieber Werner Kuhn, Sie kommen ja aus Mecklenburg-Vorpommern, das in diesem Jahr wahrscheinlich Tourismusland Nummer eins ist und sich im Jahre 2002 mit Bayern um diesen Platz gestritten hat.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Ich bin in Mecklenburg-Vorpommern sehr viel unterwegs. Stimmen Sie mir zu, dass das, was dort bei der Verkehrsinfrastruktur, der Wohnungsbauförderung, den Existenzgründungen und durch entsprechende Förderprogramme insbesondere in den vergangenen Jahren - ich gebe zu: auch schon seit 1992 - durch die rot-grüne Bundesregierung geschehen ist, dazu beigetragen hat, dass Mecklenburg-Vorpommern zum Tourismusland Nummer eins in Deutschland werden konnte?

   Da ich dort oft unterwegs bin und die Unternehmen und Bauernhöfe besuche - ich kenne sehr viele Höfe dort -, weiß ich, dass der Bericht, den Sie hier der Öffentlichkeit vorgetragen haben, in keinster Weise zutrifft.

Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU):

Verehrter Herr Kollege Scheffler, dieser Bericht trifft natürlich schon zu. Wir dürfen uns nämlich nicht einfach nur fragen, wie wir das Dienstleistungsgewerbe, die Serviceunternehmen und was weiß ich noch alles in Deutschland fördern, und dabei unser „core business“, unsere Kernkompetenzen, total vernachlässigen. In unserer Industrielandschaft gibt es eine Entvölkerung. Hier ist aber eine größere Wertschöpfung möglich. Daher muss man so arbeiten, dass man Kapital dort generiert und Leute dort in Arbeit bringt. Alles andere hat nur einen sehr kurzen Bestand.

   Wir haben schließlich bis 1998 die Regierungsverantwortung gehabt und das Erreichte ist nicht einfach vom Himmel gefallen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Eduard Oswald (CDU/CSU): Das war eine gute Zeit für Deutschland!)

Im Bezug auf die Infrastruktur in unseren Städten und Gemeinden haben wir mit der Städtebauförderung viel geleistet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die kommunale Wohnungsverwaltung der DDR hat doch den Slogan gehabt: Ruinen schaffen ohne Waffen. Wohnblocks wurden einfach auf die grüne Wiese gesetzt und die Infrastruktur wurde vernachlässigt. Schauen Sie sich unsere Städte genau an. Dann wissen Sie, dass die Transferleistungen richtig angelegt sind.

   Ich war mit meiner Rede noch gar nicht fertig.

(Zurufe von der SPD: Doch!)

Lieber Siegfried Scheffler, wir müssen uns darauf konzentrieren, wie wir den Osten tatsächlich nach vorne bringen können. Dies kann nicht mit Minijobs oder mit der Förderung des Dienstleistungs- und Tourismusgewerbes erreicht werden, sondern wir müssen Industriepolitik machen. Diese Industriepolitik vermisse ich.

(Siegfried Scheffler (SPD): Das ist eine Frechheit! Was ist mit dem Hafenausbau und der Hinterlandanbindung?)

   In der Rede des Bundesfinanzministers bei der Haushaltseinbringung tauchten nur Marginalien wie Entfernungspauschale und eine mögliche Änderung der Eigenheimzulage auf. Daher muss ich schon sagen, dass dies sehr verwunderlich ist. Der erste Kaufmann unserer Nation muss doch erst einmal die Einnahmeseite vernünftig erklären und deutlich machen, welche Steuer zu Einnahmen in welcher Höhe führt. Er muss andererseits aufzeigen, welche Kosten auf uns zukommen. Danach wird eine Gewinn- und Verlustrechnung aufgemacht, wobei ein riesiger Verlust herauskommt. Dieser Verlust muss entweder durch Kredite oder durch einen Liquiditätskredit ausgeglichen werden.

   Diese betriebswirtschaftliche Analyse muss für die Deutschland AG, die Bundesrepublik, gemacht werden. Dabei wird sich herausstellen, dass dieser Liquiditätskredit möglichst in zwei oder zweieinhalb Jahren abgebaut werden muss. Danach kommt der Break-even-Point. Durch das wirtschaftliche Wachstum sind dann höhere Steuereinnahmen zu erwarten. - Das, was Sie erzählen, ist doch nur blauer Dunst. Davon lässt sich nichts verwirklichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Mit dem Thema Bürokratieabbau beschäftigen wir uns immer wieder. In den neuen Bundesländern sollte als Erstes ein Pilotprojekt zum Bürokratieabbau starten. - Denn die Bürokratie hat eher zu- als abgenommen. In der letzten Wahlperiode sind 24 Änderungsgesetze zum Einkommensteuergesetz eingebracht worden. Durch 118 Gesetze und 87 Verordnungen muss sich jeder quälen, der ein Unternehmen neu gründen oder den Bestand erhalten will. Ein Unternehmer beschäftigt sich Dreiviertel des Tages nur mit diesen Regelungen und um sein eigentliches Geschäft kann er sich nicht kümmern. Das kann so nicht weitergehen. Hier muss aufgeräumt werden.

   Genauso ist es beim Arbeitsrecht. Das trifft für die neuen wie für die alten Bundesländer zu. Das alte bundesrepublikanische Rechtssystem mit allen Verordnungen und Vorschriften für die Wirtschaft hat - das müssen wir einfach konstatieren - die Herausforderungen des Aufbaus Ost nicht bestehen können. Die Bundesregierung ist gefordert, entsprechende Änderungen auf den Weg zu bringen. Dazu ist die Opposition auf jeden Fall bereit. Wir sind immer

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Immer bereit!)

in der Lage, diese Initiativen aufzugreifen.

   Wichtig ist aber auch, dass die ostdeutschen Regionen unbedingt die Ziel-1-Förderung bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ behalten. Die neuen Bundesländer dürfen nicht zwischen die Mühlsteine der reichen Regionen im Westen und der Billiglohnländer im Osten geraten. Wenn der Europäischen Union noch mehr Länder mit einem niedrigen Bruttoinlandsprodukt beitreten, dann wird das Niveau weiter gesenkt und die neuen Länder werden möglicherweise zu einem Ziel-3-Gebiet.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Dazu darf es nicht kommen!)

   Dagegen müssen wir gemeinsam kämpfen. Das trifft übrigens auch auf die Förderung in den alten Bundesländern zu. Das sind Tatsachen. Die Investitionszulage muss umgebaut werden. So, wie sie jetzt gestaltet ist, führt sie nicht zum Ziel. Ich sage Ihnen: Sie müssen die Industriepolitik verbessern. Synergieeffekte und Investitionen, durch die Arbeitsplätze geschaffen werden, müssen kombiniert werden. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt unseres Spitzenreiters Sachsen in den neuen Bundesländern liegt bei 17 358 Euro pro Kopf. Die rote Laterne in den alten Bundesländern hat Nordrhein-Westfalen; dass muss ich leider so sagen. In NRW liegt das Bruttoinlandsprodukt aber bei 22 957 Euro pro Kopf. Das zeigt, dass die Schere zu weit auseinander klafft und wir diese besondere Förderung brauchen.

   Für die gegenwärtige desolate Wirtschafts- und Haushaltslage in der Bundesrepublik Deutschland wird alles Mögliche verantwortlich gemacht. Der 11. September, die schwache Binnenkonjunktur und die allgemeine weltwirtschaftliche Lage werden als Argumente angeführt. Aber Herr Eichel hat es auf den Punkt gebracht - für ihn ist die Lage klar -: Hauptgrund für die düstere Misere sind die Folgen der deutschen Einheit mit ihren hohen Transfers. Dies sind die Ursachen für die Wachstumsschwäche.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das ist Quatsch!)

Hier wird immer nur über die Transferleistungen gesprochen. Dabei wird offensichtlich vergessen, dass wir in Ostdeutschland mit 16 Millionen Einwohnern ein interessanter Markt sind, und zwar auch für Unternehmen aus den alten Bundesländern. Eine gesamtwirtschaftliche Bilanz würde die Situation aufhellen. Nur so können wir das Werk der deutschen Einheit wieder gemeinsam in Angriff nehmen. Aber ich erwarte auch ein Umdenken von der Bundesregierung. Das muss ich ganz eindeutig sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind letztendlich nicht nur mit einer Stunde Debattenzeit über dieses wichtige Thema bedient, sondern wir sind auch mit einem Minister bedient, der sozusagen mit der Maut total überfordert ist

(Zuruf von der FDP: Die sind schon ohne Maut überfordert!)

und überhaupt keine Aktivitäten mehr in den Aufbau Ost einbringen kann. Hier muss sich etwas ändern. Da müssen sich möglicherweise auch Köpfe ändern.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Jahresbericht auf Drucksache 15/1550 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 66. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 17. Oktober 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15066
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion