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15. Wahlperiode
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   69. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Der Kollege Eckhart Lewering feiert heute seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses sehr herzlich und wünsche alles Gute.

(Beifall)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU

Haltung der Bundesregierung zu Berichten über Äußerungen des Bundesumweltministeriums, die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch das Dosenzwangspfand sei politisch gewollt. (siehe 68. Sitzung)

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Seib, Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Für mehr Wettbewerb und Flexibilisierung im Hochschulbereich - der Bologna-Prozess als Chance für den Wissenschaftsstandort Deutschland

- Drucksache 15/1787 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Dr. Peter Paziorek, Bernhard Schulte-Drüggelte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Multitalent nachwachsender Rohstoff effizient fördern

- Drucksache 15/1788 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Heinen, Julia Klöckner, Uda Carmen Freia Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Verbraucher aufklären und schützen - Innovation und Vielfalt in der Produktentwicklung und Werbung für Lebensmittel erhalten

- Drucksache 15/1789 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Rainer Funke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Sorgerecht für nichteheliche Kinder vor Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform regeln

- Drucksachen 15/757, 15/1807 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Ute Granold
Irmingard Schewe-Gerigk
Sibylle Laurischk

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Dirk Niebel, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Reform der Arbeitsstättenverordnung muss zu einem echten Bürokratieabbau für Unternehmen in Deutschland führen

- Drucksache 15/1699 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Des Weiteren ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b - Mautvertrag und Güterkraftverkehrsgewerbe -, 18 - Normenflut begrenzen - und 20 b - Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - abzusetzen. Der Tagesordnungspunkt 15 - Änderung des Hochschulrahmengesetzes - soll bereits heute als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen werden.

   Sodann möchte ich Sie darüber informieren, dass die erste Beratung der Rentengesetze morgen gegen 11 Uhr aufgerufen wird.

   Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:

   Der in der 43. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden:

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten

- Drucksache 15/1653 -

überwiesen:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss

   Der in der 51. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Zustimmung zur Änderung der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank

- Drucksache 15/1654 -

überwiesen:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung - 14./15. Legislaturperiode

- Drucksache 15/1303 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Rahmenbedingungen für Geschäftsreisen verbessern

- Drucksache 15/1329 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Angelika Brunkhorst, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Marketing für Wassertourismus in Deutschland verbessern

- Drucksache 15/1595 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)
Sportausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Edeltraut Töpfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Schaffung einer familienfreundlichen, verkehrsentlastenden und wirtschaftsfördernden Ferienregelung

- Drucksachen 15/934, 15/1286 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn

   Zum tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesminister Wolfgang Clement das Wort.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Vergnügen, Ihnen den tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung zu erläutern und damit auch zu den Anträgen, die zur Tourismuspolitik in Deutschland gestellt worden sind, Stellung zu nehmen.

   Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Tourismus einer der wichtigsten Motoren unserer Dienstleistungswirtschaft und damit ein handfester Wirtschaftsfaktor ist. Ich denke, wir stimmen auch in der Zielsetzung überein, den Tourismus in Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Tourismuswirtschaft zu stärken. Gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Phase ist dies von außerordentlicher Bedeutung.

   Die Reisetätigkeit - ob Urlaubsreisen oder Reisen zu geschäftlichen Zwecken - steuert etwa 8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt in Deutschland bei. Diese Zahl führen sich wenige vor Augen. Vom Tourismus insgesamt hängen direkt und indirekt etwa 2,8 Millionen Arbeitsplätze ab. Allein in der Hotellerie und in der Gastronomie in Deutschland werden etwa 1 Million Menschen beschäftigt. Die Tourismuswirtschaft hat sich zu einem außerordentlich wichtigen Ausbildungssektor entwickelt. Etwa 100 000 junge Leute werden in diesem Bereich ausgebildet.

   Wenn man den Tourismus von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet, dann stellt man fest, dass Deutschland neben den USA interessanterweise die wichtigste touristische Quellregion der Welt ist. Das hört sich etwas vornehm an. Es bedeutet, dass viele Deutsche außerhalb der Bundesrepublik Deutschland Urlaub machen. Als jemand, der aus dem Ruhrgebiet kommt und die Sehnsucht des Reviermenschen nach Mallorca und nach anderen Regionen kennt, weiß ich, was das bedeutet: Ziemlich viel Kraft und Geld werden ins Ausland getragen.

   Unser Land ist aber gleichzeitig ein bedeutendes Ziel für den Tourismus, und zwar in zunehmenden Maße sowohl für uns Deutsche selbst - das werde ich noch zeigen - als auch für Gäste aus dem Ausland. Die Bundesbürger bewegen bei Reisen in Deutschland jährlich etwa 100 Milliarden Euro.

   Wichtig ist, dass Deutschland als Messestandort weltweit an Platz eins steht, was die nach Deutschland kommenden ausländischen Gäste anbelangt. Hier nehmen wir eine absolut führende Position im weltweiten Vergleich ein.

(Beifall bei der SPD)

   Die unternehmerischen Strukturen in der Tourismusbranche sind sehr vielgestaltig. Wir haben einerseits die Big Players des Tourismus wie TUI - wahrscheinlich weltweit das größte Tourismusunternehmen -, Thomas Cook und REWE-Touristik. Wir haben mit der Lufthansa und der Deutschen Bahn auch Unternehmen, die ganz überwiegend im Tourismussektor tätig sind. Andererseits haben wir auch sehr ausgeprägte kleine und mittelständische Strukturen in Form von Hotels und Gaststätten, Reiseveranstaltern und Reisebüros, Busunternehmen und Reedereien. Sie alle sind für die Tourismuswirtschaft von außerordentlicher Bedeutung.

   Das heißt zugleich, dass die Tourismuswirtschaft wie andere mittelständisch strukturierte Bereiche unserer Wirtschaft von den mittelstandspolitischen Initiativen der Bundesregierung profitiert, etwa von unseren Bemühungen zur Unterstützung von Existenzgründung oder um Bürokratieabbau. Sie sind für den kleinstrukturierten Reisebürosektor ebenso wichtig wie für Hotels und Restaurants. Nehmen Sie als ein ganz kleines Beispiel den Abbau von statistischen Verpflichtungen der Unternehmen.

   Über die allgemeine Wirtschaftspolitik hinaus unternehmen wir einige Anstrengungen, um den Deutschlandtourismus gezielt voranzubringen. Reisen in und nach Deutschland kommen nämlich nicht nur der Tourismuswirtschaft unmittelbar zugute, sondern auch anderen Branchen, etwa dem Einzelhandel, der Konsumgüterindustrie, dem Fahrzeugbau oder anderen. Letztlich birgt das Kommen von Gästen aus dem Ausland immer auch die Chance der Imagewerbung für den Standort Deutschland, das heißt für die Landschaft, die Produkte, die Dienstleistungen, also insgesamt für unser Land.

   Was tun wir nun konkret? Die tragende Säule der Tourismuspolitik des Bundes ist die Deutsche Zentrale für Tourismus mit Sitz in Frankfurt am Main. Diese DZT wirbt im Auftrag der Bundesregierung im Ausland für Deutschland als Reise- und Urlaubsziel. Die Bundesregierung hat die Arbeit der DZT, die aus dem Haushalt des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums finanziert wird, bewusst ausgebaut. Wir haben in diesem Jahr die Zuwendungen an die DZT erneut erhöht, auf jetzt 23,5 Millionen Euro.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich denke, dass der Erfolg uns Recht gibt: Die DZT arbeitet vorzüglich und hat sich in den letzten Jahren - das ist, wie ich erfahren habe, allgemein anerkannt - mit professioneller Arbeit hohe Anerkennung bei uns in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft erworben. Auch die Zahlen, die sie mit beeinflusst, sprechen eine deutliche Sprache: Die Anzahl der Übernachtungen ausländischer Gäste hat in den sieben Jahren von 1996 bis 2002 um 17,4 Prozent, bis zum Jahr 2000 - da kam der Rückschlag durch terroristische Anschläge und anderes - sogar um ein Viertel zugenommen. Deutschland ist als Reiseziel im Aufwind.

   Wir unterstützen über die Deutschlandwerbung hinaus die mittelständische Tourismuswirtschaft, um sie noch leistungsfähiger und besser zu machen. Wir tun das mit recht bescheidenen Haushaltsmitteln. Ich meine, dass wir damit recht fruchtbare Anstöße geben können. Ich nenne als Beispiele den so genannten barrierefreien Tourismus. Dabei geht es um Reisen von Menschen mit Behinderungen, denen wir besondere Aufmerksamkeit schenken. Das wirkt sich sehr positiv auf die touristischen Möglichkeiten von behinderten Menschen aus. Wir haben ebenso im Themenbereich naturnaher Tourismus Akzente gesetzt und damit den Deutschlandtourismus gestärkt. Immerhin verbrachten 58 Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr ihren Urlaub in Deutschland. Dieser Tourismus wurde natürlich besonders auch durch die Temperaturen begünstigt.

   Wir machen mit der Tourismuspolitik natürlich nicht an unseren Grenzen Halt. Eine wichtige Aufgabe sehen wir darin, neue Quellmärkte zu erschließen, also Gäste aus dem Ausland für Reisen nach Deutschland zu gewinnen. Ein besonders hervorhebenswertes Ereignis ist gewiss der Abschluss eines Memorandum of Understanding mit der Volksrepublik China Mitte letzten Jahres. Es ermöglicht jetzt zum ersten Mal chinesischen Bürgerinnen und Bürgern, private Gruppenreisen nach Deutschland zu unternehmen. Wir sind ein ganz klein wenig stolz darauf, als erstes Mitgliedsland der Europäischen Union einen solchen Status im Reiseverkehr mit China erreicht zu haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist völlig klar, dass China ein besonders interessanter Quellmarkt, wie es so wunderschön heißt, ist und angesichts des in der nächsten Zeit wachsenden Potenzials eine besondere Aufmerksamkeit verdient.

   Wir bemühen uns in ähnlicher Weise um die immer interessanter werdenden Märkte in Mittel- und Osteuropa; auch diese Märkte sind nicht zu unterschätzen. Die Länder in dieser Region sind sowohl als Zielländer für den Tourismus aus Deutschland als auch als Quellländer, deren Bürger in zunehmender Zahl unser Land besuchen, interessant. Die Zahlen, was gerade den Tourismus aus den Beitrittsländern Mittel- und Osteuropas angeht, sind sehr ermutigend.

   Aber ebenso wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Lage nicht immer nur rosig ist. Terroranschläge, der Irakkrieg und die Lungenkrankheit SARS hatten die Tourismuswirtschaft schwer getroffen. Wir haben mit unseren Mitteln und Möglichkeiten versucht, vor allen Dingen die Sicherheit im Flugreiseverkehr zu erhöhen. Nachdem wir einige dieser Herausforderungen gemeistert haben, scheint es so zu sein, dass die Reiseveranstalter und die Fluggesellschaften die Talsohle durchschritten haben.

   Beim Gipfeltreffen der Tourismuswirtschaft vor wenigen Wochen in Berlin hat sich gezeigt - das haben diejenigen Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament, die sich für die Tourismuswirtschaft besonders interessierenm mitterlebt -, dass die Zuversicht in die weitere Entwicklung zurückgekehrt ist.

   Ich möchte auch noch gerne darauf hinweisen, dass wir uns in Deutschland angewöhnen sollten, bestimmte Ereignisse als imagefördernde Werbung für unser Land und damit auch für tourismuspolitische Belange stärker zu nutzen, als es bisher der Fall war. Ich denke beispielsweise an ein Ereignis wie die Fußballweltmeisterschaft 2006. Die Bedeutung dieses Ereignisses ist uns vielleicht nicht ausreichend bewusst. In anderen Staaten wird der Stellenwert eines solches Ereignisses mehr zur Kenntnis genommen.

   Wahrscheinlich ist die Fußballweltmeisterschaft 2006 -unsere Nationalmannschaft wird ja daran teilnehmen; wir hoffen, dass sie bis dahin noch einige Fortschritte erzielt - das wichtigste Ereignis für die Bundesrepublik Deutschland innerhalb dieses Jahrzehnts, was das Ansehen Deutschlands und das Interesse für Deutschland angeht. Es wird innerhalb dieses Jahrzehnts vermutlich kein Ereignis geben, das weltweit eine solche Aufmerksamkeit auf Deutschland ziehen wird wie die Fußballweltmeisterschaft 2006. Angesichts eines solchen Ereignisses empfiehlt es sich, alle Register zu ziehen und zu zeigen, was wir in Deutschland leisten können. Wir sollten also alles tun, um diese Fußballweltmeisterschaft, deren Austragungsorte in allen Regionen Deutschlands liegen, zu einer groß angelegten Werbeveranstaltung für Deutschland zu machen.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Dann müssen unsere Frauen spielen! - Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Herr Kollege Benneter, Ihr Hinweis ehrt Sie ganz besonders; ich vermute, dass Sie deshalb diesen Zwischenruf gemacht haben. Ich gratuliere der Frauennationalmannschaft. Ich sprach aber von der Fußballweltmeisterschaft der Männer, was man mir verzeihen möge.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland kann ein großartiges touristisches Ereignis für unser Land werden. Das Beherbergungsgewerbe rechnet mit zusätzlich 5 Millionen Übernachtungen. Ich denke, dass wir dieses Ereignis nutzen sollten, um noch mehr für Deutschland zu werben. Die Deutsche Zentrale für Tourismus bemüht sich schon darum.

   Ich möchte noch drei Anmerkungen zu Anträgen der Oppositionsfraktionen zum Tourismus machen. Zum einen fordern Sie eine Stärkung der Förderung von Geschäftsreisen in die Bundesrepublik. Die DZT, die schon erwähnte Deutsche Zentrale für Tourismus, ist dabei, in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kongressbüro, dem alle renommierten deutschen Tagungs- und Kongressstandorte Deutschlands angehören, das Thema „Tagungen, Kongresse und Geschäftsreisen“ sehr intensiv zu bearbeiten. Die DZT hat die Werbung im Ausland für 2003 ausdrücklich unter dieses Thema gestellt.

   Zum Thema Wassertourismus. Es ist zweifellos richtig, dass wir in Deutschland bisher nicht genügend von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Im Vergleich mit den Niederlanden, mit Großbritannien, den USA und Kanada nutzen wir das Potenzial des Wassertourismus in Deutschland bisher nicht ausreichend. In den Städten und Ländern müssen in diesem Bereich noch erhebliche Investitionen getätigt werden; das gilt auch für das Land, für das ich bis vor einiger Zeit die politische Verantwortung getragen haben. Wir können in diesem Bereich erheblich mehr Tourismus, auch internationalen Tourismus, auf uns ziehen. Wir wollen uns jetzt vor allen Dingen auf softe Themen wie die Charterscheinregelung und die bundesweite Einführung der „Gelben Welle“ konzentrieren.

   Mit der neuen Sommerferienregelung, die die Ministerpräsidentenkonferenz für das Jahr 2005 schon auf den Weg gebracht hat, sind einige Kolleginnen und Kollegen noch ein wenig unzufrieden. Die Ferienspanne liegt jetzt bei 85 Tagen; das ist nicht das Maximum - sie könnte auf 90 Tage ausgedehnt werden -, allerdings schon deutlich mehr als bei der Ferienregelung, die für dieses Jahr galt und die nicht besonders günstig war, wie zu Recht allgemein festgestellt wurde. Die Regelung, die wir jetzt vorliegen haben, ist dagegen eine deutliche Verbesserung. Deshalb schlage ich Ihnen vor, mit dieser Neuregelung erst einmal Erfahrungen zu sammeln, anstatt sie schon jetzt infrage zu stellen.

   Zum tourismuspolitischen Bericht habe ich die Bitte, dass wir möglichst gemeinsam daran weiterarbeiten, den Tourismus in unserem Land zu stärken. Ich denke, es lohnt sich für unser Land und für alle, die in der Tourismuswirtschaft besondere Interessen haben, wenn wir auch bei diesem Thema an einem Strang ziehen.

   Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das war eine historische Rede!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen, verehrter Herr Präsident, der Sie gestern Ihren 60. Geburtstag feiern konnten, auf das Herzlichste - sicherlich im Namen aller hier Versammelten - zu gratulieren.

(Beifall)

   Nun zur Sache. Die Haupturlaubszeit und die Reisezeit sind vorbei. Heute wird tourismuspolitisch Bilanz gezogen. Verehrter Herr Minister Clement, Sie haben versucht, vieles schönzumalen. So ist es aber nicht. Ich werde Ihnen den Beweis dafür bringen. Ich bin dankbar dafür, dass gerade heute die Möglichkeit besteht, diese Debatte im Rahmen der Kernzeit durchzuführen; denn dadurch wird die Bedeutung der Tourismuswirtschaft für die Bundesrepublik Deutschland besonders unter Beweis gestellt.

   Machen wir alle uns nichts vor: Der Tourismus ist die Leitökonomie der Zukunft. Es gab im vergangenen Jahr weltweit 715 Millionen Reisende. Die WTO rechnet mit jährlichen Steigerungsraten von 12 Prozent. Weltweit sind 225 Millionen Menschen im Tourismus beschäftigt. Nach den Rückschlägen durch SARS und andere Umstände - Sie, Herr Minister Clement, haben das angesprochen - ist der Tourismus dabei, sich wieder zu erholen.

   Ich möchte es nicht versäumen, auch einige Zahlen zu nennen, die speziell für uns in der Bundesrepublik Deutschland von besonderer Bedeutung sind. 140,6 Milliarden Euro Umsatz im Tourismus entsprechen 8 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Zählt man den vor- und nachgelagerten Bereich hinzu, kommt man auf circa 2,8 Millionen Beschäftigte. Das sind dreimal so viel Beschäftigte wie im Baugewerbe, viermal so viel Beschäftigte wie im Automobilgewerbe bzw. sechsmal so viel Beschäftigte wie in der chemischen Industrie. Zudem - das ist mir besonders wichtig, gerade in der heutigen Zeit - stellt die Tourismuswirtschaft 107 000 Ausbildungsplätze.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, ein bisschen Werbung ist in diesem Falle durchaus angebracht: Vom Kochlehrling zum Hoteldirektor, solche Karrieren sind im Tourismus kein Einzelfall.

(Beifall bei der CDU/CSU - Volker Kauder (CDU/CSU): Mit Meisterbrief!)

Hier gibt es die Möglichkeit dazu. Wir müssen die jungen Leute nur motivieren.

   Leider ist nicht zu leugnen, dass der Tourismus auch bei uns in einer schweren Krise steckt. Wir haben Grund zur Sorge: 52 Prozent der Deutschen haben in diesem Sommer keine Urlaubsreise angetreten. Große Reiseveranstalter schreiben dicke Verluste: Der eine muss feststellen, dass sein Verlust doppelt so hoch ist wie im vergangenen Jahr; der andere - ohne jetzt Namen zu nennen - verzeichnet einen gar zwölfmal so hohen Verlust.

Wir müssen uns gerade heute die Frage stellen: Was hält die Leute vom Reisen ab? Erstens ist es die Konsumzurückhaltung, zweitens die Konjunkturflaute, drittens die Angst um den Arbeitsplatz und viertens die Arbeitslosigkeit. Für diese vier Posten ist die Bundesregierung verantwortlich; das möchte ich besonders unterstreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Bei der wichtigsten Zielgruppe in Sachen Tourismus, bei der Gastronomie, ist es besonders katastrophal. Der Umsatz im vergangenen Jahr lag bei minus 7,2 Prozent. Verehrter Herr Minister Clement, das Jahr 2002 war das schlechteste Jahr für die Gastronomie seit 1949. Leider wahr! Seit 1974 ist die Anzahl der Betriebe von 274 000 auf 248 000 geschrumpft. Auch hier also ein Minus von 10 Prozent, obwohl die Bevölkerungszahlen nach oben deuten.

   Ein probates Mittel, um dem Gastronomiegewerbe zu helfen, wäre die Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze. Herr Minister Clement, bereits auf der ITB 1999 hat Ihr Vorgänger, Herr Bundesminister Müller, angekündigt, dass er sich dafür verwenden werde. Geschehen ist nichts. Alles Schall und Rauch! Ein entsprechender Richtlinienvorschlag, aus Brüssel kommend, liegt bei Ihnen auf dem Tisch. Aber Bundesfinanzminister Eichel tritt auf die Bremse. Obwohl auch Tourismuspolitiker der SPD und insbesondere unser wichtigster Bündnispartner in der Europäischen Union, Frankreich, eine solche Reduzierung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie befürworten, wird das nicht gemacht.

(Renate Gradistanac (SPD): Wer soll das bezahlen?)

   Wie ist es zu rechtfertigen, Herr Schmidt, dass die Mehrwertsteuer für Leistungen im Hotelbereich in zwölf Ländern der EU niedriger ist als bei uns in der Bundesrepublik Deutschland? In Frankreich liegt sie bei 5,5 Prozent und in Österreich bei 10 Prozent. Aber wir sind mit 16 Prozent Spitze.

   Warum ist in zehn Ländern der Europäischen Union der Mehrwertsteuersatz für Angebote von Freizeitparks niedriger als bei uns? Warum ist in acht Ländern der Europäischen Union der Mehrwertsteuersatz für Leistungen in der Gastronomie niedriger als bei uns? Wettbewerbsverzerrungen über Wettbewerbsverzerrungen!

   Wir alle sind aufgefordert, dem entgegenzusteuern und dafür zu sorgen, dass bestimmte Wirtschaftsbereiche bei uns im Vergleich zu denen in anderen Ländern in der Europäischen Union nicht weiter durch Steuern belastet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Eine ganz besondere Herausforderung steht vor der Tür: Die EU wird erweitert. Tschechien, Ungarn und Polen treten ein. Diese behalten aber ihre niedrigeren Mehrwertsteuersätze bei. Deshalb fordere ich nochmals, darüber nachzudenken, ob es nicht gewisse Korrekturen geben sollte.

   Auch bei den Kur- und Heilbädern ist ein schärferer Wind zu erwarten. Wir sind darüber besorgt, dass bei der Leistungserbringung im In- und Ausland keine einheitlichen Qualitätsstandards vorhanden sind. Darum sollten wir ganz besonders besorgt sein. Unsere deutschen Kurorte brauchen vor allen Dingen zusätzliche Einnahmen über die Gemeindefinanzreform, um Geld für den Ausbau und den Erhalt ihrer Infrastruktur zur Verfügung zu haben, damit sie mit den Kurorten in anderen Ländern konkurrieren können.

(Renate Gradistanac (SPD): Stimmen Sie zu!)

   Der Gesundheitstourismus gewinnt an Bedeutung. Im Jahr 2030 wird die Zahl der über 60-Jährigen von heute 17 Millionen auf 26 Millionen angestiegen sein. Schon heute gibt es in der Bundesrepublik Deutschland 3,3 Millionen Mitbürger, die älter als 80 Jahre sind. Vor allem die frönen dem Gesundheitstourismus. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen.

   Die Senioren gelten übrigens schon heute als Wachstumsmotor des Tourismus. 2002 sind mehr als 12 Millionen Deutsche über 60 Jahre mindestens einmal im Jahr in den Urlaub gefahren; das waren 67 Prozent. Schätzungen gehen davon aus, dass in 20 Jahren 80 Prozent der Senioren in den Urlaub fahren werden. Sie brauchen ein auf sie zugeschnittenes Angebot und der Tourismusbereich benötigt von uns den politischen Flankenschutz, also Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, für Senioren besondere Programme aufzulegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas ausführen, was im Zusammenhang mit dem Tourismus besonders wichtig ist: Wir brauchen einen funktionierenden Verkehr. Speziell spreche ich hier das Auto an; denn 60 Prozent der Deutschen wählen das Auto, um in Urlaub zu fahren. Verehrter Herr Minister Clement, durch die Ökosteuer haben Sie das Autofahren nicht gerade billiger gemacht. Insofern ist es ein kleiner Luxus, mit dem Auto in den Urlaub zu fahren. Als Beleg dafür nehme ich einen Hamburger, Herr Kollege Klimke, der bereit ist, seinen Urlaub im Berchtesgadener Land zu verbringen. 1 000 Kilometer hin, 1 000 Kilometer zurück und ein paar Kilometer dazwischen ergeben einen Spritverbrauch von etwa 200 Litern. Mit der Ökosteuer ziehen Sie dem Bürger 200 mal 15 Cent aus der Tasche. Das sind sechs gute Mittagessen, die Sie dem Bürger nicht gönnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Lächerlich!)

In diesem Zusammenhang erteile ich der von verschiedener Seite geforderten PKW-Maut eine Absage, weil sie weitere Umsatzeinbrüche beim Gastronomiegewerbe mit sich brächte.

   Eine Bemerkung zur Bustouristik: Verehrter Herr Minister Clement, Sie haben dieses Thema hier nur ganz knapp abgehandelt, obwohl 6 000 mittelständische Unternehmen mit über 65 000 Beschäftigten im Bustouristikgewerbe tätig sind. Gerade in der jetzigen Zeit ist es wichtig, ein Bekenntnis zur Bustouristik abzulegen, weil der Bus nach wie vor das sicherste Verkehrsmittel in der Bundesrepublik Deutschland ist; er ist 62-mal sicherer als das Auto.

   An dieser Stelle muss ich auch die Bürokratie ansprechen. Es passt nicht zusammen, meine Damen und Herren, wenn ewig von Bürokratieabbau gesprochen, aber nichts getan wird. 5 000 Gesetze und 85 000 Verordnungen machen insbesondere der Tourismuswirtschaft zu schaffen. Es ist doch ein Ding der Unmöglichkeit, dass jemand, der in einem Hotel unter Kopfweh leidet, aufgrund des deutschen Arzneimittelrechts von der Hotelrezeption keine Kopfschmerztablette bekommen kann und an die nächste Apotheke, die ein paar Kilometer entfernt wird, verwiesen werden muss. Hier sind wir alle gefordert, etwas zu unternehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deutschland ist Messeplatz Nummer eins. Zwei Drittel aller internationalen Messen finden hier statt. Zusammen sind hier 220 000 Aussteller betroffen, die 17 Millionen Besucher anlocken. Wir müssen für den Messetourismus mehr tun, um unseren Rang, wichtigster Messeplatz der ganzen Welt zu sein, behalten zu können. Dies geht nicht von selbst; vielmehr ist es erforderlich, das Notwendige zu tun.

   Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Gerade die mittelständische Tourismuswirtschaft ist auf günstige Rahmenbedingungen wie zu verkraftende Steuern, Arbeitsmarktflexibilität, zügige Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie, eine ergänzende Ferienregelung usw. angewiesen. Wir dürfen nicht nur über den Tourismus reden, sondern müssen auch entsprechend handeln. Es ist das Gebot der Stunde, dass wir seitens der Politik die vernünftigen Rahmenbedingungen schaffen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig! Das können die nicht!)

Ich fordere uns alle, insbesondere aber die Bundesregierung, vertreten durch Sie, Herr Minister Clement, auf, das Notwendige zu tun, damit dieser wichtige Wirtschaftszweig auch in der Bundesrepublik Deutschland wieder richtig in Schwung kommt.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Besucherrängen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Bericht der Bundesregierung sind eine Menge Zahlen genannt worden; im Entschließungsantrag der FDP sind sie wiederholt worden und auch Herr Hinsken hat sich eben zum Teil auf sie berufen. Diese Zahlen belegen, einen welch wichtigen Wirtschaftsfaktor die Tourismuswirtschaft in unserem Lande darstellt. Sie, Herr Minister, haben dankenswerterweise sehr klar formuliert, dass der Tourismus zu den Schwergewichten unserer Volkswirtschaft gehört und dass die Bundesregierung diesen Wirtschaftszweig sehr ernst nimmt.

   Herr Hinsken, ich kann nicht recht verstehen, warum Sie diesen Wirtschaftszweig und seine momentanen Chancen schlechtreden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich werde Ihnen eine Zeitung überreichen,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Reichen Sie sie mal her!)

der man nicht nachsagen kann, dass sie den Grünen oder Rot-Grün besonders freundlich gesonnen ist. Diese Zeitung schreibt auf der Titelseite: Reisebranche kann hoffen, Umsatzplus von 5 Prozent möglich.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Von Hoffnungen allein konnte noch niemand leben!)

Ich glaube nicht, dass ein Wirtschaftszweig so etwas verkünden würde, wenn er diese Hoffnung nicht hätte. In aller Regel neigt man doch dazu, eher zu klagen und viele Änderungen zu fordern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich kann wirklich nicht verstehen, wie Sie diese Zahlen heranziehen konnten, um eine Branche, die für unser Land wichtig ist, schlechtzureden.

   Reisen ist unbestritten eine der schönsten Seiten des Lebens und obwohl der Tourismussektor nicht nur aus Urlaubsreisen besteht, sind Fernweh und Urlaubswunsch die wichtigsten Impulse, um diesen zu einem führenden und schnell wachsenden Wirtschaftszweig weltweit zu machen. Gleichzeitig müssen wir aber auch zur Kenntnis nehmen: Der Tourismus ist ein sehr anfälliger Wirtschaftszweig, der auch Zufällen unterworfen ist. Politische Unruhen, Terroranschläge, spektakuläre Entführungen, Krankheiten wie SARS, Naturkatastrophen in den Zielregionen, aber auch konjunkturelle Schwankungen in den Herkunftsländern der Touristen können die Nachfrage nach einem Reiseland in kürzester Zeit zusammenbrechen lassen. Die starken Konkurrenzen unter den einzelnen Reiseländern und ihre zunehmende Austauschbarkeit machen die Situation zusätzlich schwierig und lassen den Gast sehr leicht umschwenken. Dies wiederum kann zu dramatischen Folgen für die Tourismusregionen führen.

   Was heißt das auf unser eigenes Land bezogen? Was müssen wir tun, um dem Tourismus in Deutschland auf die Beine zu helfen? Es wurde bereits gesagt, dass die Nachfrage nach deutschen Reisezielen erfreulicherweise gestiegen ist. Deutsche reisen wieder verstärkt nach Deutschland und das ist gut so. Die Umsatzzahlen in Gastronomie und Hotellerie stabilisieren sich; auch das ist gut. Das zeigt: Wir haben die im Rahmen der Bundeszuständigkeit gegebenen Möglichkeiten in den zurückliegenden fünf Jahren ernsthaft und gut genutzt und die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Deutschlandtourismus verbessert. Der Bericht der Bundesregierung dokumentiert das.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Aber auch international haben wir deutliche Anstrengungen unternommen, um die Zukunftsfähigkeit, also die Nachhaltigkeit des Tourismus - auch ich möchte das viel bemühte Wort verwenden - zu sichern. Ich nenne beispielhaft den im Herbst 2002 mit Unterstützung der Bundesregierung überarbeiteten Entwurf der Richtlinie für Tourismus und Biodiversität, der jetzt der 7. Vertragsstaatenkonferenz mit der Empfehlung zur Annahme vorliegt. Der Entwurf ist eine Art Leitfaden für die Tourismusentwicklung. Er bezieht sich auf alle Formen und Aktivitäten des Tourismus, sowohl auf den traditionellen konservativen Massentourismus als auch auf den Ökotourismus. Darüber hinaus bezieht er sich auf alle geographischen Regionen.

   Wir beweisen mit solchen Aktivitäten, dass wir uns der ökologischen Konsequenzen des Tourismus und der daraus resultierenden Aufgaben sehr wohl bewusst sind und auch handeln wollen. Wir alle wissen: Für den Tourismus ist intakte Natur ein überaus wichtiger Faktor. Die von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen jährlich durchgeführte Reiseanalyse bestätigt, dass der Wunsch, Natur zu erleben, zu einem der wichtigsten Reisemotive der Deutschen zählt. Fakt ist aber auch, dass der Tourismus in erheblichem Maße zu den vorhandenen Umweltproblemen beiträgt.

   Ich meine damit zum Beispiel seine allgemeinen Auswirkungen auf das Klima; sie stellen den direkten Bezug zur Ökosteuer her. Der von Deutschland ausgehende Tourismus verursachte 1999 mehr als 75 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen. Die chemische Industrie, die allgemein zu den großen Emittenten zählt, hat im gleichen Zeitraum 37,5 Millionen Tonnen, also die Hälfte, emittiert. Ich glaube, das verdeutlicht die Dimension des Problems, vor dem wir stehen.

   80 Prozent der Treibhausgase, die aus dem Tourismus resultieren, verursacht der Flugverkehr. Wenn die Prognosen der Reiseanalysen zutreffen, wird sich dieses Problem in Zukunft noch verschärfen. Auch aus diesem Grund werden wir Bemühungen, attraktive Urlaubsangebote in Deutschland zu schaffen, unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Uns ist aber klar: Auch wer nicht das Flugzeug nutzt, muss nicht unbedingt „sündenfrei“ reisen. Immer noch werden 70 Prozent der inländischen Urlaubsreisen - diese Zahl liegt mir vor - mit dem Auto angetreten, nicht einmal 20 Prozent der Gäste reisen mit der Bahn. Das kann man nicht als Erfolg verkaufen. Wenn es uns gelingt, attraktive und zuverlässige Serviceangebote zu machen, schaffen wir es vielleicht, mehr Kunden zur Bahn zu bringen. Herr Klimke könnte dann eventuell die Bahn nutzen und sich ein Essen mehr leisten. Damit wäre doch allen geholfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Das Fahrrad!)

- Das Fahrrad wäre noch eine wunderbare Ergänzung.

   Es ist in unser aller Interesse, wenn wir nicht in erster Linie daran denken, den Urlaub mit dem Auto billiger zu machen, sondern überlegen, ob es andere Möglichkeiten gibt, den Urlaubsort bequem, gut und zuverlässig zu erreichen. Schließlich bleibt das nahezu sprichwörtliche Ökogewissen der Deutschen auch im Urlaub erhalten. 84 Prozent der Deutschen legen Wert auf umweltfreundliches Verhalten im Urlaub. Deshalb war es richtig, die Dachmarke Viabono für umweltorientierte touristische Angebote zu entwickeln. Sie bietet Verbraucherinnen und Verbrauchern in Bezug auf natur- und umweltverträgliche touristische Angebote eine einfache Entscheidungshilfe.

   Ich appelliere von dieser Stelle aus noch einmal an alle Hoteliers, Gastronomen, Betreiber von Bauernhöfen, Campingplätzen, Naturparks und Heilbädern sowie an die Kommunen: Sie alle sollten überlegen, ob sie diese Dachmarke nicht der Natur und ihren Gästen zuliebe sowie zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die ostdeutschen Länder können hiervon besonders profitieren. Hier entstanden in den letzten Jahren durch Förderungen und sehr viel Eigeninitiative zahlreiche neue, moderne touristische Angebote, die sich für eine Verbindung mit Viabono geradezu anbieten.

   Die zur Überweisung anstehenden Anträge will ich angesichts der Kürze der Zeit nicht im Einzelnen behandeln. Wir haben dazu in den Ausschüssen sicherlich ausgiebig Zeit. Ich möchte nur eines versichern: Wir werden sinnvolle Vorschläge nicht ignorieren, billige Polemik aber freundlich zurückweisen.

   Ich möchte noch etwas anderes ansprechen, wofür sich die Vielschichtigkeit der eben erwähnten Anträge gut als Beispiel eignet: Hätten wir jetzt ausreichend Zeit, würden wir über Geschäftsreisen, die Ferienregelungen und über den Wassertourismus debattieren, und das sicher auch zu Recht. Das sind jeweils Aspekte des Tourismus, die erheblich in andere Politikfelder hineinreichen und die klar machen: Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe. Querschnitt sollte aber nicht heißen: Jeder macht irgendetwas, alle machen es gleichzeitig, aber keiner hat den Überblick.

   Deshalb glaube ich, noch einmal betonen zu müssen: Im Moment gibt es viele gute tourismuspolitische Ansätze in den einzelnen Ressorts. Sie werden nebeneinander entwickelt. Seien wir ehrlich: Wir alle sind schon einigermaßen erstaunt, wenn wir von einem uns bisher völlig unbekannten Modellprojekt eines Ressorts erfahren. Ich frage mich und Sie, ob es nicht an der Zeit ist, dieser Zersplitterung der Verantwortung für die Entwicklung des Tourismus zumindest auf Bundesebene entgegenzuwirken. Mir erscheint es als eine erhebliche Vergeudung finanzieller und personeller Ressourcen, wenn in jedem Bundesressort die Tourismuspolitik neu erfunden wird.

(Beifall des Abg. Klaus Brähmig (CDU/CSU) und des Abg. Ernst Burgbacher (FDP))

- Es freut mich, dass Sie applaudieren, dass wir einer Meinung sind.

   Eine Bündelung der Ressourcen und der Verantwortung im eigentlich zuständigen Wirtschaftsministerium erscheint mir nicht nur sinnvoll, sondern auch erstrebenswert. Ich weiß, dass dazu Umstrukturierungen erforderlich sind, und ich weiß, dass das nicht einfach sein wird. Das kann aber nicht dazu führen, dass man eine als notwendig erachtete Aufgabe nicht angeht. Ich glaube, dass wir gemeinsam versuchen sollten, auf diesem Gebiet etwas zu erreichen, um die vielen guten Ansätze, die es bereits gibt, weiterzuführen und um für diesen wirklich wichtigen Wirtschaftszweig in unserem Land etwas zu erreichen.

   Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Ernst Burgbacher, FDP-Fraktion, das Wort.

Ernst Burgbacher (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich glaube, die Ausgangsbasis desseb, worüber wir heute reden, ist tatsächlich ziemlich kompliziert.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): So ist es!)

Der weltweite Tourismus hat eine große Krise, bedingt durch den 11. September 2001, den Irakkrieg, SARS und andere Dinge, hinter sich. Im Augenblick gibt es Anhaltspunkte dafür, dass es uns gelingt, diese Krise ein Stück weit zu überwinden. Das bezieht sich aber leider weniger auf die Binnennachfrage. Von daher erfordert die Situation eine sehr differenzierte Betrachtungsweise.

   Es gibt einige Bereiche, die mir wirklich Sorgen bereiten. Das ist zunächst der Hotel- und Gaststättenbereich, der für mich die Basis jeglichen Tourismus in Deutschland ist. Wenn es im Hotel- und Gaststättenbereich nicht stimmt, brauchen wir über den Tourismus eigentlich nicht zu reden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir müssen zusehen - die Entwicklungen in diesem Punkt betrachte ich mit großer Sorge -, dass sich die Ertragslage bei den Betrieben wieder so entwickelt, dass sie investieren können. Denn sonst werden sie die Qualität nicht bieten können, die sie bieten müssen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Auch bei den Reisebüros ist die Situation schwierig. In dieser Branche gab es, wie wir wissen, eine Krise, die weiterhin besteht. Niemand weiß im Augenblick, wie sich die Veränderungen bei der Buchung von Pauschalreisen - ich nenne nur das Internet - und andere Veränderungen auf die Reisebüros auswirken werden. Auch in dieser Branche stehen viele Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel.

   Es gibt etwas, um das wir, Herr Minister, uns wirklich noch einmal kümmern müssen, nämlich um die Ferienregelung. Wir alle miteinander hatten bei der Ferienregelung ja schon einen Erfolg erzielt. Aber die Erfahrung in diesem Jahr hat gezeigt, dass das nicht ausreicht. Wir müssen dieses Thema noch einmal problematisieren und versuchen, die Gesamtzeit etwas auszuweiten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird viel Kritisches in dieser Zeit gesagt. Lassen Sie mich deswegen auch einmal ein paar lobende Worte sagen. Ich möchte die leistungsfähige Abteilung Tourismus im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit mit ihren hoch engagierten Mitarbeitern loben.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bitte Sie, Herr Minister, dieses Lob weiterzugeben. Hier wird hervorragende Arbeit geleistet. Das wissen wir aus unserer Ausschussarbeit.

   Ich möchte auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen im Tourismusausschuss, loben. Vieles haben wir gemeinsam versucht. Manches ist uns nicht ganz gelungen. In manchen Fragen sind wir politisch weit auseinander. In manchen Punkten haben Sie leider in der eigenen Fraktion keine Mehrheit gefunden. - Schade.

(Beifall bei der FDP)

   Einiges aber ist uns gemeinsam gelungen: Ich freue mich nach wie vor, dass wir es vor allem auf intensiven Druck der FDP in der letzten Legislaturperiode geschafft haben, dass das Haus einstimmig die Trinkgeldbesteuerung abgeschafft und damit ein deutliches Zeichen gesetzt hat.

(Beifall bei der FDP)

Ich freue mich, dass wir im Bereich der touristischen Beschilderung wenigstens einen kleinen Schritt weitergekommen sind, auch wenn wir, liebe Kollegin Faße, erheblich mehr gewollt haben. Zumindest dieser kleine Schritt ist uns aber gelungen. Gemeinsam haben wir Einiges für das Schaustellergewerbe in Deutschland getan.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Auf anderen Gebieten allerdings waren wir weniger erfolgreich. Vier Jahre lang haben wir gegen die unsinnige Rücknahme der 630-Mark-Regelung gekämpft. Jetzt haben wir eine solche Regelung wieder, zwar mit mehr Bürokratie, aber immerhin haben Sie nach fünf Jahren gelernt. Es ist ein Befreiungsschlag für die Branche, dass es jetzt wenigstens die Minijobs gibt. Wenn Sie das fünf Jahre vorher nicht abgeschafft hätten, wäre die Branche heute in einer viel besseren Lage.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich sage auch Lob für den Haushalt, was die Deutsche Zentrale für Tourismus angetrifft. Ich finde es gut, dass es gelungen ist, die Mittel dafür zu erhöhen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen: Was gestern im Tourismusausschuss geschehen ist, kann ich nicht mittragen. Bei einem Haushaltstitel wurden 100 000 Euro draufgelegt, danach wurden 200 000 Euro in manchen Bereichen bei drei Organisationen zweckgebunden für Klientel der Grünen. Diese Klientelpolitik werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es gibt Bereiche, bei denen wir leider nicht weitergekommen sind: bei den Sperrzeiten insbesondere für die Außengastronomie und beim Jugendarbeitsschutzgesetz; das wird sich vielleicht heut Mittag noch zeigen.

   Es gibt Vieles, was nach wie vor zu tun ist. Einiges ist besonders wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Dazu zählt die Förderung des barrierefreien Tourismus. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Große Anfrage dazu gestellt. Daraus müssen wir jetzt etwas machen. Wir haben einen Antrag zum Wassertourismus vorgelegt. Ich will dem Kollegen Hinsken beim Thema Bustourismus ausdrücklich zustimmen: Es kann nicht sein, dass der Bustourismus durch ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrungen, zum Beispiel durch die Ökosteuer, benachteiligt ist. Das werden wir immer anmahnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Bei allen positiven Zeichen: Tourismuspolitik von Rot-Grün ist nach wie vor ideologisch zu verbrämt. Sie ist viel zu mutlos. Die Rahmenbedingungen sind völlig falsch gesetzt. Hierzu gibt es übrigens ein schönes Zitat von Wilhelm Busch: Froh schlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt man hat die Mittel.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Genau das ist das Problem.

   Ich möchte Ihnen einen Satz aus einem vor zwei Wochen erschienenen Prognos-Gutachten zitieren. Dort heißt es:

Die Reiseausgaben der Deutschen stiegen in den 90er-Jahren kontinuierlich, stagnierten 2001 und sanken 2002 und 2003 geringfügig. Damit wurde der mit 25 Prozent Marktanteil wichtigste europäische Quellmarkt ähnlich stark von exogenen Marktentwicklungen betroffen wie andere Quellmärkte. Die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland wird dabei von „hausgemachten“ wirtschaftlichen Hemmnissen stärker tangiert als die Entwicklung in den meisten anderen europäischen Staaten, die bereits wieder auf Wachstum eingeschwenkt sind.

Herr Minister, hier wird deutlich gesagt: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass es uns im Gegensatz zu all unseren Nachbarn nicht gelingt, beim Tourismus wieder aus dem Tief herauszukommen, und dass die Nachfrageflaute bei uns nach wie vor bestimmend ist. Das müssen Sie auf Ihre Kappe nehmen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie haben es nicht geschafft, Bürokratie abzubauen. Die FDP hat die Aktion „Bürokratie abbauen - Wir machen es einfacher“ gestartet. Wir haben jede Woche einen konkreten Vorschlag für Bürokratieabbau gemacht. Leider haben Sie so gut wie keinem zugestimmt. Wir erwarten, dass Sie endlich nicht nur reden, sondern auch handeln.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie haben nicht dereguliert, sondern mehr reguliert. Vor allem bei den Reformen im Arbeitsrecht, die für das Gewerbe wichtig sind, sind sie total blind. Wenn wir an das Arbeitsrecht nicht herangehen, werden wir die Probleme dieser Branche nicht lösen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss im Bild des Tourismus bleiben: Die Regierung nimmt uns seit 1998 auf eine Abenteuerreise mit. Dabei gab es durchaus einige schöne Strecken; das sei zugegeben. Insgesamt war es jedoch eine Abenteuerreise. Die Reisenden wollen aber etwas anderes. Herr Minister, sie wollen das Ziel kennen und wissen, wohin es geht. Das ist das Entscheidende. Die Reisenden wollen auch wissen, wie lang eine solche Reise dauern wird.

(Dirk Niebel (FDP): Bis 2006!)

Sie lassen sich nicht ewig auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten. Es muss ja keine Pauschalreise sein, bei der alles vorbestimmt ist. Die Reisenden sind sehr wohl bereit, auch einmal steile Berge zu überqueren und Baustellen in Kauf zu nehmen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Aber nur mit der entsprechenden Ausrüstung! - Volker Kauder (CDU/CSU): Nur, wenn es eine Seilbahn gibt!)

Sie wollen dann aber auch wissen, dass sie nach einer abschätzbaren Zeit an dem richtigen Ziel ankommen. Genau das ist Ihr Problem: Weder Zeit noch Ziel sind bekannt. Deshalb wäre es die beste Maßnahme für den Deutschlandtourismus, wenn wir der Regierung eine Fahrkarte in die Opposition schenken und wieder die richtigen Leute an das Steuer lassen würden.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Klaus Brähmig (CDU/CSU): Fahrkarte in die Opposition ohne Rückfahrschein!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion, das Wort.

Brunhilde Irber (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist eine Sternstunde für die Tourismuspolitiker des Deutschen Bundestages, weil wir den tourismuspolitischen Bericht in der Kernzeit debattieren können. Das freut uns und ist der Bedeutung des Tourismus angemessen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir danken der Bundesregierung für diesen sehr aussagekräftigen Bericht,

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Was? - Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das ist er nicht!)

in dem erstmals auch der Gender-Gedanke berücksichtigt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In dem Bericht wird der Tourismus unter anderem auch als Wirtschaftsfaktor behandelt. Minister Clement hat dies soeben sehr ausführlich dargelegt. Deshalb kann ich darauf verzichten.

   Ich möchte hier heute auf die Rolle des Parlaments und insbesondere auf die der Regierungsfraktionen für den Tourismus in Deutschland ausführlicher eingehen.

Unser Bestreben war und ist es, den Stellenwert des Tourismus für Wachstum und Beschäftigung bei den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft ins Bewusstsein zu bringen. Deshalb kann es als Erfolg bezeichnet werden, dass es gelungen ist, bei den Fraktionen des Deutschen Bundestages mehr Aufgeschlossenheit für Tourismusthemen zu erzielen, was auch durch gemeinschaftliche Anhörungen mit verschiedenen anderen Ausschüssen zum Ausdruck kommt. Dafür möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken.

(Beifall bei der SPD)

   Erfreulich ist auch, dass der Tourismus nun als Fachbereich beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag und beim BDI etabliert ist. Wir erhoffen uns hiervon starke Wachstumsimpulse für den Deutschlandtourismus.

   Eine Erfolgsstory ist auch das von der Bundesregierung initiierte länderübergreifende Inlandsmarketing durch die Deutsche Zentrale für Tourismus, das nun seit drei Jahren besteht und das sich insbesondere bei der Hochwasserkatastrophe im letzten Jahr als Instrument für die betroffenen Regionen positiv ausgewirkt hat. Ich hoffe, dass es diese Zusammenarbeit auch über 2006 hinaus geben wird.

   Ein Blick zurück sei mir dennoch erlaubt. Zur Zeit unserer Regierungsübernahme war die touristische Situation von Stagnation und rückläufigen Zahlen geprägt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jetzt ist das der Fall!)

- Nein, Herr Vorsitzender, so ist es nicht. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann werden Sie eines Besseren belehrt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In Ihrer Regierungszeit hatten Sie geplant, die Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus um 11 Millionen DM - damals haben wir noch in D-Mark gerechnet - auf 25 Millionen DM zu kürzen. Dies wäre ein Kahlschlag gewesen.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht! Die Unwahrheit wird nicht durch ständiges Wiederholen zur Wahrheit!)

Das haben wir aufgrund der Änderung der Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus stoppen können.

(Beifall bei der SPD)

   Wir haben den Haushaltsansatz für die Deutsche Zentrale für Tourismus von einstmals 25 Millionen DM, die Sie angepeilt hatten, im Jahre 2004 auf 24,474 Millionen Euro erhöht.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Eine rückwärts gewandte Betrachtung! Die hilft uns nicht weiter!)

Damit haben wir das Ergebnis im Vergleich zu Ihnen fast verdoppelt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Unter anderem der guten Arbeit der DZT ist es zu verdanken, dass wir im Jahre 2002 fast 38 Millionen Übernachtungen von Ausländern in Deutschland hatten. Hierzu nur ein Zahlenvergleich: Von 1998 bis zum Jahr 2002 hat sich die Zahl der Übernachtungen in Deutschland trotz SARS, trotz des Irakkriegs, trotz der Ereignisse vom 11. September 2001 insgesamt um 24 Millionen erhöht. Dies ist ein Faktum, das Sie nicht wegdiskutieren können.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Innerdeutsch!)

- Das sind die insgesamt getätigten Übernachtungen in Deutschland. Nur das ist eine aussagekräftige Zahl.

(Beifall bei der SPD)

   Die Maßnahmen der DZT geben der Branche vielfache Wachstumsimpulse. Dadurch werden zielgerichtet Potenziale für den Deutschlandtourismus erschlossen. Ich möchte mich deshalb auch bei Frau Schörcher von der Deutschen Zentrale für Tourismus und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken.

(Beifall bei der SPD)

   Im Bund-Länder-Ausschuss „Tourismus“ wurde vor einer Woche eine Studie der DZT mit ersten Zahlen, Daten und Fakten zum Inlandstourismus vorgestellt. Ein Ergebnis dieser Repräsentativbefragung bestätigt: Urlaub in Deutschland ist in.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Es jammern aber alle, dass nichts mehr geht! Sie haben mit den Gastronomen schon lange nicht mehr gesprochen!)

   Die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen dies. Nach der Statistiknovelle, die wir angeregt haben und nach der seit Januar dieses Jahres erstmals due Zimmerauslastung erfasst wird, ist die Auslastung der Zimmer im ersten Halbjahr kontinuierlich von 27 Prozent im Januar auf 43 Prozent im Juli gestiegen. Sie strafen sich also Lügen mit Ihren Aussagen, die Sie hier getroffen haben.

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Im Sommer steigen die Zahlen immer an!)

Insgesamt kommt man damit für das erste Halbjahr auf eine Auslastung von 37 Prozent, bei den Hotels auf mehr als 40 Prozent. Das ist mehr, als in Ihrer Regierungszeit zu verzeichnen war.

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist gar nicht wahr!)

   Von Januar bis August wurden 234 Millionen Gästeübernachtungen gezählt; das entspricht in etwa dem Vorjahresergebnis. Die Zahl der Gästeübernachtungen im August ist im Vergleich zu dem entsprechenden Vorjahrsmonat um 6 Prozent bzw. zum Juli dieses Jahres um 8 Prozent höher.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Alles Milchmädchenrechnungen!)

Der Auslandstourismus hat im August sogar um 1 Prozent zugenommen. - Aber ich möchte mich jetzt nicht weiter mit Zahlen aufhalten.

   Deutschland ist ein sicheres Reiseland. Deshalb entscheiden sich viele Gäste, zu uns zu kommen. Die Bundesregierung hat in der Zeit nach dem 11. September 2001 und den vielen anderen Ereignissen mit umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen dafür gesorgt, dass unser Land ein sicheres Reiseland bleibt.

Deutschland hat von der Ferienwohnung bis zum Fünf-Sterne-Hotel gute Unterkünfte, eine gute Küche, köstliche Weine und ein gutes Bier, das sich international messen lassen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland hat ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wir sind zwar bei den Dienstleistungen bestimmt noch keine Weltmeister, aber wir stärken Qualität durch verschiedene Modellprojekte, die der Bund finanziert hat. Damit kommen wir dem Ziel „Der Kunde ist König“ näher. Deshalb gilt mein Dank allen Dienstleistern im Tourismus.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Deutschland hat hohe Spritpreise! Das haben Sie vergessen!)

   In der vergangenen Legislaturperiode haben wir die Trinkgeldbesteuerung abgeschafft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg van Essen (FDP): Auf Initiative der FDP!)

- Dass dies auf Initiative der FDP geschah, ist ein Märchen. Aber die FDP hat uns dabei unterstützt.

(Jörg van Essen (FDP): Viermal mussten wir es einbringen!)

Dadurch haben wir die Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe motiviert, höchste Leistungen zu erbringen. Dies gilt auch für die Betriebsrente, die durch die Zusammenarbeit der Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten und des DEHOGA eingeführt wurde.

   Auf die Mehrwertsteuer will ich nicht mehr eingehen. Da befinden wir uns in Europa in einem guten Mittelfeld. Diese Sache ist es nicht wert, dass man sich damit noch einmal auseinander setzt; das alles haben wir schon längst abgehandelt.

   Deutschland hat vielfältige attraktive touristische Angebote und eine gute Verkehrsinfrastruktur, die durch den Bundesverkehrswegeplan noch einmal verbessert werden wird. Deshalb kommen viele ausländische Gäste zu uns. China wurde schon erwähnt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Viele fahren zum Tanken in die Nachbarländer!)

   Deutschland hat ein interessantes Kulturangebot. Gerade Ostdeutschland hat die Chance, im Tourismus weiter voranzukommen. Leider wird hierzu im Bericht nichts ausgeführt. Wir werden in einer gemeinsamen Anhörung mit dem Kulturausschuss entsprechende Akzente setzen.

   Deutschland hat - Frau Kollegin Kurth hat es schon angesprochen - viel Natur zu bieten. Familienurlaub in Deutschland wird unser nächstes Thema sein. Ich freue mich, dass wir mit unserem Antrag im Sommer dieses Jahres gerade im Bereich des barrierefreien Tourismus Schwerpunkte gesetzt haben.

   Ich sehe, dass meine Zeit abläuft.

Präsident Wolfgang Thierse:

Es ist doch nur Ihre Redezeit.

(Heiterkeit)

Brunhilde Irber (SPD):

Ich komme zum Schluss. - In Deutschland wird sich das Freizeitverhalten verändern. Deshalb erwarten wir uns von der von uns in Auftrag gegebenen Herbststudie „Zukunftstrends im Tourismus“ neue Grundlagen für die Tourismuspolitik und die Branche. Ich denke, dass wir diese Klientel im Sinne von mehr Wachstum und Beschäftigung stärken können.

   Qualität und Qualitätssteigerung, das ist der rote Faden, der sich durch unsere Politik zieht. Nur mit Qualität werden wir uns auf dem heiß umkämpften Markt behaupten können. Deshalb werden wir nicht nur gewerbepolitischen Forderungen nachkommen, sondern langfristige Ziele in der Tourismuspolitik setzen, damit das, was im Bericht steht, wahr wird, dass der Tourismus einerseits ein Instrument der Völkerverständigung und andererseits ein Markt der Zukunft ist. Wir wollen erreichen, dass sich dies in Deutschland auszahlt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Klimke, CDU/CSU-Fraktion.

Jürgen Klimke (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Studieren des Berichtes, aber auch während der einführenden Worte von Minister Clement bin ich bisweilen an den Katalog eines unseriösen Reiseanbieters erinnert worden, gegen den wir als Bürger und Politiker immer wettern.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Bisher lief es eigentlich ganz gut!)

Darin wird ein Zimmer mit Meerblick versprochen, aber das Meer liegt 20 Minuten zu Fuß entfernt.

   Man kann Ihnen nur den Abschluss einer Schadensersatzversicherung empfehlen; denn der Bericht formuliert Ziele, die nicht erreicht werden können. Es handelt sich um Scheinangebote. Ich darf das an vier Beispielen belegen.

Ein Beispiel haben wir angesprochen - im Bericht wird es nicht erwähnt, Herr Minister -, nämlich die Situation der Geschäftsreisenden. Dieses Reisesegment wird von der Bundesregierung ignoriert. Dabei geht es um 10 Millionen Geschäftsreisende, von denen jeder 22 Reisen im Jahr unternimmt. Das sind 50 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Das ist fast ein Drittel des Gesamtumsatzes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hinzu kommt noch Folgendes: Im Gegensatz zu den Urlaubsreisen, bei denen drei Viertel des Geldes im Ausland ausgegeben werden, bleiben 70 Prozent des Geldes, für Geschäftsreisen im Inland. Somit schaffen und sichern Geschäftsreisen bundesweit ganzjährig Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von diesen Ausgaben abhängig sind. Das muss immer wieder deutlich gemacht werden.

   Aber trotz vollmundiger Versprechen, die wir vorhin noch einmal gehört haben, nämlich dieses Marktsegment zu fördern, wird nichts getan. Es heißt in dem Bericht: „Darüber hinaus profitiert die Tourismuswirtschaft von den allgemeinen wirtschaftspolitischen Initiativen der Bundesregierung, ...“

(Lachen des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU))

Das ist schlicht und einfach eine Drohung für den Tourismus.

(Beifall bei der CDU/CSU - Klaus Brähmig (CDU/CSU): Wo er Recht hat, hat er Recht, der Kollege Klimke!)

Schauen Sie sich unseren Antrag an, was die Geschäftsreisen betrifft! Richten Sie die Auslandswerbung über die DZT stärker auf Geschäftsreisen aus! Wer Deutschland beruflich besucht, der kommt auch später sicherlich mit seiner Familie hierher. Hier besteht also Zuwachspotenzial.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Reduzieren Sie die Bürokratie - das ist ein wichtiges Thema, das wir hier immer wieder angesprochen haben - durch eine Vereinfachung der steuerlichen Behandlung von Bewirtungs-, Hotel- und Mietwagenbelegen! Das alles ist im Moment fürchterlich bürokratisch. Ich weiß das. Ermöglichen Sie bessere Ausbildungsmöglichkeiten für Spezialisten im Bereich der Geschäftsreisen und professionalisieren Sie dieses Arbeitsplatzpotenzial! Denn auch hier ist der Tourismus eine Jobmaschine. Weitere Anregungen, Herr Minister, können Sie unserem Antrag entnehmen.

   Mein zweiter Punkt betrifft das Defizit beim Hauptstadtmarketing. Im gesamten Bericht findet sich kein Wort dazu.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist aber traurig!)

Ich fordere: Berlin muss als deutsche Hauptstadt touristisch endlich in der ersten Liga spielen,

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das muss das touristische Flaggschiff sein!)

genauso wie Rom, London, Paris oder auch New York, obwohl Letzteres nicht Hauptstadt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung aber sagt: Das sollen mal andere machen, zum Beispiel die Berlin Tourismus Marketing GmbH, bei der wir gestern gewesen sind und die ihre Arbeit im Übrigen hervorragend macht. Aber Berlin ist fast pleite und hat kein Geld zu sagen: „Andere sollen die Arbeit machen“ reicht nicht. Was Berlin fehlt, ist ein Netzwerk von Land, Bund und Tourismuswirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass eine solche Symbiose funktioniert, zeigt das Beispiel Hamburg. Ich will mich hier nicht dem Verdacht aussetzen, meine hanseatische Eitelkeit zu befriedigen, aber der Erfolg spricht für sich. Dieses Jahr wird in Hamburg die Zahl der Besucher auf 5 Millionen steigen. Hamburg hat als einzige Region in Deutschland mit 6 Prozent einen starken Zuwachs, während die Zahlen für Gesamtdeutschland um 4 Prozent zurückgegangen sind. Das muss doch Gründe haben. Es wird auf die Musicals verwiesen, aber das Entscheidende ist das so genannte One-Stop-Shopping, das heißt: Alles aus einer Hand. So wird die Hamburger Tourismuszentrale von den wichtigsten Interessenvertretern der Stadt mitgestaltet. Die Wirtschaftsbehörde ist eng mit der Tourismuszentrale verbunden, aber bevormundet sie nicht. Was wichtig ist: Wo Hamburg draufsteht, ist auch Hamburg drin. Hamburg wird als Marke verkauft. Genauso brauchen wir ein Label „Hauptstadt Berlin“

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und eine Schnittstelle zwischen dem Land und dem Bund, mit der dieses Hauptstadtmarketing unterstützt werden kann. Das heißt nicht, dass wir unendlich viel Geld dort hineinstecken wollen. Nein, wir müssen einfach kreativer sein und die Potenziale nutzen. Wir haben die DZT, die das intensiver machen könnte, wir haben deutsche Botschaften im Ausland, wir haben Auslandshandelskammern, wir haben die Goethe-Institute und die politischen Stiftungen.

(Brunhilde Irber (SPD): Ja, das gibt es alles! Das ist nichts Neues!)

Hier stärker zu kooperieren und Berlin stärker als Hauptstadt zu vermarkten ist eine ganz wichtige Sache,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

gerade jetzt, wo die EU-Osterweiterung Berlin große Chancen bietet, sich stärker als das Zentrum in Mitteleuropa zu profilieren.

   Das dritte Beispiel ist die Ostseekooperation. Auch hier verliert sich die Bundesregierung in Ankündigungen. Es gebe keine einheitliche Linie, kein einheitliches Image, beklagte sie. Wird sie jedoch aktiv? - Nein.

(Brunhilde Irber (SPD): Doch!)

Um in der Ostseepolitik Profil zu zeigen, muss auch in dieser Frage eine Zusammenarbeit der Anrainerstaaten notwendig werden. Es gilt auch hier, die Ostsee als Marke zu verkaufen. In Brüssel gibt es den so genannten Club Méditerranée. In ihm sind all diejenigen vertreten, die ein Interesse am Mittelmeer und an dessen Vermarktung haben. Deutschland liegt aber nicht am Mittelmeer, sondern an der Ostsee.

(Zurufe von der SPD: Auch an der Nordsee!)

- An der Nordsee, aber auch an der Ostsee. Ich rede jetzt über die Ostsee.

   Schaffen wir doch einen Club Mare Balticum, zum Beispiel unter Einbindung der Russen! Damit hätten wir ein geeignetes Instrument, um europäischen Belangen mehr Aufmerksamkeit zu sichern.

(Brunhilde Irber (SPD): Das zeigt doch, dass ihr sonst nichts zum Kritisieren gefunden habt!)

   Tourismus darf, wie wir wissen, nicht nur auf Europa beschränkt sein. Auch die Entwicklungsländer sind ein lohnendes Ziel. In diesem Zusammenhang müssen aber auch Themen wie Ausbeutung, soziokulturelle und ökologische Beeinträchtigung, mangelnde Sicherheit für Touristen und - das ist besonders tragisch - die sexuelle Ausbeutung von Kindern berücksichtigt werden. An dieser Stelle ist der Bericht der Bundesregierung sehr ausführlich.

   Wir unterstützen wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz von Kindern. Bei dieser Form der Ausbeutung handelt es sich nicht um Kavaliersdelikte. Es sind vielmehr Straftatbestände, die auch in der Bundesrepublik konsequent verfolgt werden müssen.

   Ansonsten gilt: Internationaler Tourismus kann nur funktionieren, wenn er nachhaltig und langfristig ist, wenn die lokalen Wirtschaftssysteme integriert werden und die Bevölkerung vor Ort in die Planung und Realisierung von Projekten einbezogen wird.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Klimke, Sie müssen zum Ende kommen.

Jürgen Klimke (CDU/CSU):

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich darf das Bild des Reisekatalogs, das ich zu Beginn meiner Rede erwähnt habe, noch einmal aufgreifen. Der Bericht enthält viele Scheinangebote, ein paar Ankündigungen, Lockangebote und vielleicht einige Ausrufungszeichen. Aber der Tourismus als Jobmaschine ist viel zu wenig berücksichtigt worden.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Annette Faße, SPD-Fraktion, das Wort.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Die kommt von der Nordsee!)

Annette Faße (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Polemik und Schlechtreden helfen der Branche nicht.

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Vernünftige Politik machen! Eine gute Politik machen! Dann läuft es!)

Was Sie heute Morgen betreiben, wird keinen Boom und Aufwuchs bringen. Die Menschen werden vielmehr sagen: Mein Gott, warum soll ich eigentlich in Deutschland Urlaub machen?

   Die Bundesregierung hat einen hervorragenden Bericht vorgelegt, in dem hervorragende Zukunftsperspektiven dargestellt werden. Ich möchte allen Menschen, die uns heute zuhören, Mut machen: Urlaub in Deutschland lohnt sich!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Daran haben wir nicht gezweifelt!)

   Ich möchte zu einem speziellen Bereich des Tourismus Stellung nehmen, und zwar zum Wassertourismus. Wassersport und Tourismus auf unseren Wasserstraßen haben seit 1990 stark an Bedeutung gewonnen. Auf diese Entwicklung hat die Bundesregierung umgehend reagiert und in ihren tourismuspolitischen Berichten dem Wassertourismus einen eigenen Punkt gewidmet.

   Es gibt in Deutschland ein Wasserwandernetz von circa 10 000 Kilometern Länge. Damit verfügen wir über eines der attraktivsten Wassersportgebiete innerhalb Europas.

(Beifall der Abg. Brunhilde Irber (SPD))

Neben den Bundeswasserstraßen gibt es die Landesgewässer und viele Fließgewässer, die nur von Kanus und Ruderbooten befahrbar sind. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland über 6,3 Millionen Wassersportler. Etwa 17 Millionen Bundesbürger verbringen ihre Freizeit oder ihren Urlaub in, an oder auf dem Wasser.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Und unter Wasser!)

- Ja, auch unter Wasser. Manchmal würde ich auch Sie ganz gern einmal unter Wasser sehen, Herr Hinsken.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Als Tiefseetaucher!)

   Die Wassersportwirtschaft nimmt mit einem Umsatz von 1,7 Milliarden Euro eine gute Position ein. Die Zahlen sprechen für sich. Wir haben erkannt, dass sich dieser Wirtschaftszweig zu entwickeln lohnt und dass in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die rot-grüne Bundesregierung wird dieses touristische Marktsegment weiter fördern. Für Bau, Betrieb und Unterhaltung der Wasserstraßen wenden wir jährlich über 1 Milliarde Euro auf. In der Erschließung historischer und romantischer Kanäle liegen weitere Möglichkeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist der Finowkanal nordöstlich von Berlin, der gemeinsam mit dem Land Brandenburg für den Wassersport erschlossen wird.

Die zunehmende Nutzung unserer Wasserstraßen erfordert allerdings auch angemessene Regelungen. Ohne Regeln geht es nicht; zu viele allderdings behindern die wirtschaftliche Entwicklung. An dieser Stelle möchte ich als Beispiel dafür, dass wir bereits Regelungen verändert bzw. gestrichen haben, den so genannten Charterschein nennen, den die Bundesregierung im Jahr 2000 - zunächst als Feldversuch - eingeführt hat. Der Bundesverkehrsminister hat im April dieses Jahres den ersten Ergebnisbericht vorgelegt. Aus diesem ist eine Verordnung hervorgegangen, die gestern im Verkehrsausschuss beschlossen wurde. Es steht fest, dass sich der Charterschein bewährt hat.

(Beifall bei der SPD)

Somit ist die Befristung aufgehoben und die Ausdehnung auf geeignete, weitere Wasserstraßen im Osten unseres Landes vorgenommen worden. Auch an den bisherigen Regelungen betreffend die Personenzahl und die Länge eines Bootes haben wir Korrekturen vorgenommen. Dies ist ein Zeichen gerade für den Osten unseres Landes, wo es sehr viele Wasserstraßen gibt.

(Beifall bei der SPD)

Die Erfordernisse der Sicherheit werden dabei weiter beachtet. Wir haben die entsprechenden Regelungen erweitert: Im Bereich der Schleusen und des Begegnungsverkehrs gelten neue Kriterien.

   Wie vielfältig die Urlaubsform „Wassertourismus“ ist, verdeutlicht die Grundlagenuntersuchung zum Wassertourismus, die das Wirtschafts- und Arbeitsministerium in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse jetzt vorliegen. Neben dem Wassertourismus im engeren Sinne, zu dem Wasserwandern, Kanutourismus, Segeln, Motorbootfahren, Surfen, Wasserski, Tauchen sowie Angeln und Fischen gehören, gibt es den Wassertourismus im weiteren Sinne, der alle Aktivitäten am Wasser wie beispielsweise Strand- und Campingtourismus sowie Ruderbootverleihe umfasst. Maritime Großveranstaltungen, Werftbesichtigungen und Schifffahrtsmuseen werden in der Untersuchung als „mit dem Wassertourismus verbundene Segmente“ bezeichnet. Gerade die Großveranstaltungen, wie wir sie von der Küste her kennen, haben Magnetwirkung. Der ganze Bereich der Fahrgastschifffahrt, von der Kreuzfahrtschifffahrt über die Flussschifffahrt bis hin zu der Fährschifffahrt, ist ein sehr wichtiges Segment für Nord- und Ostsee, Herr Kollege Klimke. Schon im Jahr 1998 gab es tourismuspolitische Kontakte betreffend den Ostseeraum. 1999 gab es die ersten Modellprojekte. Sie sollten fairerweise zugeben, dass auch das im tourismuspolitischen Bericht enthalten ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sie haben noch etwas vergessen, Frau Kollegin Faße! Auch die Bundesregierung schwimmt den Bach herunter!)

   Lassen Sie mich die Forderungen zum Wassertourismus nennen, die sich aus dem Bericht ergeben. Landesweite Entwicklungskonzepte gibt es leider nicht in allen, sondern nur in einigen Bundesländern. Wir haben uns auch mit Regelwerken auseinander zu setzen, die keinem ausländischen Gast verständlich zu machen sind. So ist es einem ausländischen Gast kaum zu vermitteln, dass sein Angelschein nur für die Gewässer eines Bundeslandes gilt und dass er einen Gesetzesverstoß begeht, wenn er die Grenze zu einem anderen Bundesland überschreitet und dort angelt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach der öffentlichen Anhörung werden wir an diesem Wochenende in Cuxhaven eine Veranstaltung mit ausländischen Gästen durchführen; denn bei diesem Thema können wir von England, Irland, den Niederlanden und Frankreich lernen.

   Ich möchte gerne noch ein paar abschließende Sätze sagen. Verkehrspolitik und Tourismuspolitik - Herr Hinsken hat in seiner Art schon darauf hingewiesen - haben sehr viel miteinander zu tun.

   Erstens. Wir sollten ganz deutlich darstellen, dass die Sicherheit der Busse auch nach den Unglücken, mit denen wir leider leben müssen, weiterhin große Priorität hat. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Bundesländern gehandelt. Dort, wo es notwendig ist, werden wir die entsprechenden Regelungen ändern. Die Sicherheit unserer Gäste in den Bussen zu gewährleisten bleibt weiterhin ein vorrangiges Ziel.

   Zweitens. Es gibt zum ersten Mal einen nationalen Radwegeplan. Für seine konsequente Umsetzung haben wir im Haushalt des Bundesverkehrsministeriums jeweils 2 Millionen Euro über drei Jahre eingestellt. Wir haben auch eine personelle Verstärkung gefordert. Herr Hinsken, Verkehr und Tourismus bedeuten nicht ausschließlich Auto und Tourismus. Es gibt auch viele andere Verkehrsmittel.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Es gibt auch den Kinderwagen, Frau Kollegin!)

Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass unsere Gäste sowie unsere Bürgerinnen und Bürger das Verkehrsmittel nutzen können, das sie gerne nutzen möchten.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wilhelm Josef Sebastian, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Bericht der Bundesregierung und die heutige Debatte zeigen uns die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus in unserem Land. Aber es ist auch zu konstatieren, dass sich Dinge verändert haben, nicht nur durch den 11. September 2001, sondern auch durch die wirtschaftliche Lage in unserem Land. Aber es heißt ja so schön: Jede Krise bietet auch eine Chance. - Viele Menschen in unserem Land haben nun entdeckt, wie schön Deutschland wieder ist oder auch immer gewesen ist. Urlaub im eigenen Land hat große Vorzüge.

   Als ich die Ausführungen von Frau Irber eben gehört habe, fiel mir ein Lied ein, das vor Jahren ein großer Schlager war - ich singe es Ihnen einmal vor -:

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Wir singen mit!)

„Wann wirds mal wieder richtig Sommer?“

(Brunhilde Irber (SPD): Es war ein schöner Sommer!)

Eine Zeile hieß: „Denn Schuld daran ist nur die SPD!“

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Als ich Ihnen eben gelauscht habe, habe ich gedacht, Sie hätten sagen wollen, der schöne Sommer dieses Jahres sei allein der SPD zu verdanken.

(Annette Faße (SPD): Natürlich! So ist das! - Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Bitte noch ein Lied!)

Nein, so ist das wirklich nicht.

   Der großartige Sommer, den wir gemeinsam erlebt haben, hat vielen Menschen einfach Anlass gegeben, zu Hause zu bleiben oder Urlaub im eigenen Land zu machen. Nordsee, Ostsee, Bayerischer Wald, Eifel, Erzgebirge, unzählige Urlaubsziele in unserem Land haben besonderen Reiz. Die Bedürfnisse der Menschen sind natürlich anders geworden. Viele Junge fahren immer noch in den Süden, wollen da sein, wo etwas los ist. Aber Ältere - dazu zähle ich mich auch schon -

(Widerspruch bei der CDU/CSU - Klaus Brähmig (CDU/CSU): Wann ist man älter?)

haben mehr das Bedürfnis, geruhsame Tage zu erleben, gut zu essen, guten Wein zu trinken. Das ist in unserem Land ganz hervorragend möglich.

   Wir reden seit einigen Wochen über die Strukturveränderungen im Gesundheitswesen. Dabei spielt Tourismus für mich auch eine Rolle;

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sehr wahr!)

denn in unserem Land gibt es hervorragende Heilbäder und Kurorte, die die Menschen dazu einladen, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Wir wissen, dass wir zukünftig selbst sehr viel mehr Vorsorge für unsere Gesundheit treffen müssen und auch mit höheren Eigenanteilen rechnen müssen.

   Das verändert natürlich auch die Landschaft der Kurorte und Heilbäder. Die Heilbäder allein sind in der Kürze der Zeit nicht in der Lage, die sich verändernden Anforderungen zu erfüllen. Hinzu kommt - Ernst Hinsken hat es angesprochen -, dass es durch die EU-Erweiterung einen stärkeren Wettbewerb gibt. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass er unter gleichen Bedingungen stattfindet,

(Beifall bei der CDU/CSU)

dass es nicht zu Verschiebungen kommt,

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Vor allem für Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern!)

dass nicht in anderen Ländern, in denen andere Standards gelten, Leistungen mit unseren Mitteln gleich honoriert werden.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Richtig!)

   Ein wichtiger Bestandteil des Tourismus - darauf hat eben schon die Kollegin Faße hingewiesen - ist der Wassertourismus in Deutschland. Ich will kurz darauf eingehen, weil wir bereits im Mai einen Antrag zum Wassertourismus in Deutschland eingebracht haben. Heute steht der Antrag der Kollegen der FDP auf der Tagesordnung. Das Thema ist zeitgemäß. Nicht umsonst steht das Motto „Faszination Wasser“ im kommenden Jahr im Zentrum der Aktivitäten der Tourismusverbände. Es ist unser Anliegen, auf die Bedeutung dieses äußerst breit gefächerten touristischen Segments aufmerksam zu machen, um den Wassertourismus in Deutschland zu einem noch höheren Stellenwert zu verhelfen.

   Wenn man bedenkt, dass es in Europa 40 000 Kilometer Wasserwege gibt, davon allein 10 000 Kilometer in Deutschland, dann erkennt man: Das ist eine große Chance. Aber es muss zu mehr Gemeinsamkeiten kommen. Vor nicht allzu langer Zeit hat die zuständige Bund-Länder-Kommission eine einheitliche Beschilderung gefordert. Minister Clement hat heute Morgen gesagt, dass man auf dem Weg ist, die so genannte Gelbe Welle einzuführen. Hier ist gesagt worden, dass für eine einheitliche Beschilderung in der Bundesrepublik 340 000 Euro notwendig sind. Das ist gemessen an den Gesamtausgaben, ein minimaler Betrag. Jeder in den Tourismus investierte Euro bringt das Doppelte und Dreifache an Wirtschaftswachstum mit sich. Es ist immer ein gut angelegter Euro - bei aller Knappheit, die wir haben.

   Wassersport lässt sich vielfältig beschreiben. Eben ist gesagt worden, mit welchen Dingen er zu tun hat. Es geht aber nicht nur um die, die den Wassersport ausüben, sondern auch um die, die sozusagen begleitend tätig sind. Die Gastronomie und viele andere, beginnend vom Bootsbauer bis hin zum Reiseveranstalter, partizipieren daran.

   Ich kann ebenso erfreut feststellen, dass sich der Deutsche Industrie- und Handelstag dieser Dinge angenommen hat. Er fordert eine moderne Infrastruktur am Wasser, kreative Wassersportangebote und vor allen Dingen ein professionelles Marketing. Diese Dinge müssen wir gemeinsam verbessern; denn - man schaue auf unsere Nachbarn! - die Konkurrenz ist groß.

   Ich komme zum Schluss. Wir sollten nicht nur reden, sondern auch handeln. Gerade die Regierung hat in der Vergangenheit oftmals zu wenig gehandelt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Für den Josef noch ein Lied!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-Fraktion, das Wort.

Bettina Hagedorn (SPD):

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich beschäftige mich hier mit dem Antrag der CDU/CSU zur Ferienregelung. Diese Regelung - sie ist von der Kultusministerkonferenz schon 1999 beschlossen worden - hat uns in diesem Jahr in den Urlaubsregionen in Deutschland erstmals zu schaffen gemacht. Im Antrag der CDU/CSU wird ein Problem beschrieben. Ich unterstreiche gerne: Die CDU/CSU wird hier, in diesem Haus, breite Unterstützung finden.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist gut!)

Das ist auch kein Wunder, Herr Hinsken, weil die in diesem Antrag enthaltene Problembeschreibung weitestgehend abgeschrieben worden ist. Die SPD-Fraktion im Bundestag hat anlässlich der ITB, die in diesem Jahr im März in Berlin stattgefunden hat, das Thema Ferienregelung auf die Tagesordnung gesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie hat dieses Problem im Verbund mit den Tourismusverbänden in Deutschland lange vor Ihnen behandelt. Außerdem hat sie ihre engen Kontakte zu den Ländern - es war ein Kultusministerbeschluss; also waren die Länder diejenigen, die erfolgreich handeln konnten - genutzt, um etwas voranzubringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Wir wollen das auch! Da pflichten wir Ihnen bei!)

- Sehr geehrter Herr Hinsken, wenn Sie „Wir wollen das auch!“ sagen, dann darf ich Sie daran erinnern, dass ich schon am 4. Juni, als wir dieses Thema im Ausschuss für Tourismus behandelt haben, an Sie appelliert habe, sich in den verbleibenden drei Wochen bei den Ministerpräsidenten der Länder des Südens - das Problem liegt bei Bayern und Baden-Württemberg - dafür einzusetzen, dass sie sich gegen die Kultusminister durchsetzen und den Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz vom 14./15. Mai dieses Jahres umsetzen.

(Klaus Brähmig (CDU/CSU): Das haben wir alles gemacht! Wir machen eine neue Anhörung! Da brauchen wir Ihre Unterstützung!)

Das haben Sie offenbar entweder versäumt oder Sie waren bei den Ministerpräsidenten, denen Sie politisch nahe stehen, nicht erfolgreich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Klaus Brähmig (CDU/CSU): Ich kann Ihnen die Briefe alle zeigen! Wir waren sehr aktiv!)

   Am 26. Juni hat die Ministerpräsidentenkonferenz letzten Endes einen Beschluss gefasst, der eindeutig in die richtige Richtung geht, auch wenn er keine Maximallösung ist. Die Forderung der Wirtschaftsministerkonferenz ist mit der des Antrags der CDU/CSU-Fraktion absolut identisch. Leider ist es so, dass Sie sich aufgrund der mangelnden Unterstützung der CDU- oder CSU-regierten Länder nicht durchsetzen konnten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Bettina Hagedorn (SPD):

Ja.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Verehrte Frau Kollegin Hagedorn, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich insbesondere der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber nachhaltig für eine neue Ferienregelung verwandt hat? Sind Sie zudem bereit, uns bei einem neuen Anlauf, die Ferienregelung auf mindestens 90 Tage auszuweiten, zu unterstützen?

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Hinsken als Jubelperser! - Weiterer Zuruf von der SPD: Frau Hohlmeier hat es abgelehnt!)

Bettina Hagedorn (SPD):

Herr Hinsken, die Federführung in der Wirtschaftsministerkonferenz - ihr lag ein Antrag vor, der mit dem, den Ihre Fraktion hier vorgelegt hat, identisch ist - hatte der schleswig-holsteinische Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Bernd Rohwer. Die Wirtschaftsministerkonferenz ist dieser Vorlage auch gefolgt, die Ministerpräsidentenkonferenz leider eben nicht. Ich habe hier das Ergebnisprotokoll der Besprechung der Regierungschefs der Länder am 26. Juni 2003 in Berlin. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es dort heißt:

Die Regierungschefs der Länder nehmen den modifizierten Vorschlag der Kultusministerkonferenz vom 12. Juni 2003 zur Regelung der Sommerferientermine zustimmend zur Kenntnis.
Protokollerklärung der Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern:

- ich muss an dieser Stelle nicht erwähnen, von wem diese Länder regiert werden -

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Doch! Erwähnen Sie das ruhig noch ein bisschen! So lange ist das nicht mehr!)
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterstützen die von der Wirtschaftsministerkonferenz mit Beschluss vom 14./15.05.2003 vorgeschlagene Neuregelung der Sommerferientermine.

Sie sehen, hierfür gibt es eine breite Koalition.

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sehen Sie, da war Stoiber dabei! Sie haben mich jetzt bestätigt! Dafür danke ich Ihnen! - Volker Kauder (CDU/CSU): Die baden-württembergische SPD ist die fußkranke SPD! - Gegenrufe von der SPD)

- Es wäre schön, wenn ich jetzt weitersprechen dürfte.

Präsident Wolfgang Thierse:

Sie dürfen.

Bettina Hagedorn (SPD):

Ungeachtet der Tatsache, dass Frau Irber schon zu Recht darauf hingewiesen hat, dass es ausgesprochen positive Anzeichen für eine Verbesserung der Situation bei den Übernachtungszahlen gibt - das Sommerhoch „Michaela“ hat sicherlich ein Stück weit dazu beigetragen -, muss, um die ganze Wahrheit darzustellen, selbstverständlich auch gesagt werden, dass die Sommerferienregelung, die 1999 beschlossen worden ist, negative Auswirkungen gehabt hat, die wir dieses Jahr zum ersten Mal gespürt haben. Die Zahlen von 2003 hätten nämlich noch besser sein können. Das soll nicht unerwähnt bleiben.

   Auf der Basis der Zahlen von Schleswig-Holstein - die bundesweiten Zahlen liegen mir noch nicht vor - kann ich feststellen, dass es in den Monaten von Januar bis Juli ein deutliches Minus von 5 bis 8 Prozent weniger Übernachtungen in Pensionen, Ferienwohnungen und Jugendherbergen gegeben hat. Man könnte auch andere Einrichtungen betrachten; ich habe aber diese Unterbringungsmöglichkeiten zum Beleg herangezogen, weil sie unter anderem für Familien besonders interessant sind. Das Minus bei den Übernachtungszahlen in diesem Zeitraum hängt natürlich mit der Ferienregelung zusammen, weil sich ja erst Ende Juli 41 Millionen Einwohner Baden-Württembergs, Bayerns und Nordrhein-Westfalens fast gleichzeitig auf den Weg in die Ferien begeben konnten. Das hat zu dramatischen Engpässen in unseren Ferienregionen, auch in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, geführt und stellte natürlich auch ein Ärgernis für die betroffenen Urlauberinnen und Urlauber dar. Ich würde mich freuen, wenn die Länderchefs, die in den südlichen Ländern Verantwortung tragen, einen Beitrag zu einer weiteren Optimierung der Sommerferienregelung leisten würden.

(Beifall der Abg. Brunhilde Irber (SPD))

Tatsache ist aber auch, dass das Supersommerwetter im August die Gesamtstatistik noch einmal deutlich verbessern wird. Bei den Übernachtungsformen, die ich gerade angesprochen habe, verzeichnen wir in Schleswig-Holstein für diesen Zeitraum teilweise ein Plus von bis zu 18 Prozent.

   Zu Ihrem Antrag ist schließlich noch zu sagen: Das Urheberrecht, die Probleme richtig erkannt zu haben, die Sie in Ihrem Antrag darstellen, können Sie nicht für sich beanspruchen

(Ernst Burgbacher (FDP): Das ist nicht das Entscheidende! Entscheidend ist, was herauskommt!)

und die Lösungsvorschläge, die Sie dazu machen, sind völlig kontraproduktiv. Wir können unter anderem deshalb Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil darin gefordert wird, dass sich der Bund in eine Sache einmischt, für die die Zuständigkeit allein bei den Ländern liegt. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wir haben gerade vor einer Woche gemeinsam eine Kommission ins Leben gerufen, die die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern parteiübergreifend und im Dialog zwischen Bund und Ländern neu definieren soll. Da können wir ja gemeinsam über diese Dinge diskutieren. Aber sich jetzt von Bundesseite, wie Sie es wünschen, in eine Länderangelegenheit einzumischen, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Ein solches Vorgehen würde von den Ländern mit Sicherheit auch nicht begrüßt werden.

   Darüber hinaus regen Sie an, dass Vertreter der Tourismuswirtschaft in Zukunft bei Beschlüssen der Kultusminister ein Wörtchen mitreden sollen. Damit würden wir ein völlig systemfremdes Element einführen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Da haben Sie Recht!)

Das ist auch nicht nötig, weil die Ministerpräsidentenkonferenz auf Vorschlag von Frau Simonis bereits am 27. März dieses Jahres beschlossen hat, dass die Kultusministerkonferenz nur im Einvernehmen mit der Wirtschaftsministerkonferenz eine neue Beschlusslage herbeiführen soll.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist gut so!)

- Das ist richtig; das ist gut so. Dabei handelte es sich aber um eine Initiative von Frau Simonis und nicht um eine, die von Ihrer Seite ausgegangen ist.

(Beifall bei der SPD)

   Vor diesem Hintergrund - ich muss zum Schluss kommen - möchte ich noch eines sagen: Sie werden mit Sicherheit, wenn es um eine weitere Optimierung geht, die SPD-Fraktion, die Tourismusverbände und insbesondere auch die Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern an Ihrer Seite haben.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das würde uns überraschen! Die Frau Irber hat etwas anderes gesagt!)

- Es wäre schön, wenn Sie mich ausreden lassen würden. - Der Kompromiss, den jetzt die Ministerpräsidenten erreicht haben, wird ja für eine deutliche Verbesserung der Terminierung der Ferienzeiten sorgen. Das bedeutet bei 1,05 Millionen Übernachtungen und einem Durchschnittspreis von 69 Euro pro Ferientag ein Plus für die Tourismuswirtschaft von 385 Millionen Euro, das ab 2005, wenn die neue Ferienregelung greift, zu erzielen sein wird.

   Es wäre allerdings viel besser gewesen, wenn sich die Wirtschaftsminister der Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern durchgesetzt hätten. Dann wäre es nämlich zu einer Ferienregelung gekommen, die in den nächsten Jahren bis 2010 im Durchschnitt für sieben weitere Ferientage gesorgt hätte. Das hätte zu einem weiteren Plus von 420 Millionen Euro pro Jahr aufseiten der Tourismuswirtschaft geführt.

   Sie sehen: Wir werden mitarbeiten, die von Herrn Burgbacher hier genannten hausgemachten Hemmnisse, die es in Deutschland gibt, zu beseitigen.

(Ernst Burgbacher (FDP): Schön wär’s!)

Der von Ihnen so gerne erzeugte Eindruck, dass für diese Hemmnisse immer die SPD-geführte Bundesregierung zuständig ist,

(Ernst Burgbacher (FDP): So ist es leider!)

ist von mir an dieser Stelle widerlegt worden. Wie so häufig gilt: Der Knüppel liegt bei den Ländern des Südens.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Der Knüppel liegt beim Bund!)

Es wäre schön, wenn Sie Ihren Einfluss geltend machen würden, an dieser Stelle für Bewegung zu sorgen.

   Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Klaus, auf geht‘s!)

Klaus Brähmig (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung und dankt ausdrücklich den Mitarbeitern des Tourismusreferats im Superministerium für Wirtschaft und Arbeit.

   Dieser Bericht ist eine wichtige Grundlage für die Diskussion über die richtigen Strategien, die notwendig sind, Deutschland als Tourismusstandort zu stärken. Bisher wird unser Land in der Öffentlichkeit meist nur als Industriestandort wahrgenommen. Diese einseitige Sichtweise ist aber angesichts der beeindruckenden Umsatz- und Beschäftigungszahlen im Tourismusbereich nicht gerechtfertigt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Richtig!)

Die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben darauf schon hingewiesen. So steht Deutschland im internationalen Reiseverkehr bei den Gästeankünften immerhin auf Platz 10. Wie wir diese Position halten und sogar verbessern können ist Inhalt der heutigen Debatte.

   Grundsätzlich mangelt es dem vorgelegten Bericht aber an Strategien für die Zukunft; er ist fast ausschließlich rückwärts gewandt. Der Teil, der die Ziele und die Instrumente der Tourismuspolitik der Bundesregierung darstellen soll, ist mit nicht einmal einer halben Seite nun wirklich sehr knapp, wenig wegweisend und nicht sehr konkret.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Leider wahr!)

   Zusätzlich werden ernsthafte Probleme der Tourismusbranche wie etwa die Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze im Gastgewerbe innerhalb der EU, die Ökosteuer oder die Probleme bei der Nutzung von Urheberrechten totgeschwiegen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt deshalb grundsätzlich die jährliche Vorlage des Tourismusberichts vor, der neben einer reinen Marktbeschreibung auch Zukunftsperspektiven und Handlungsempfehlungen aufzeigen sollte. Ich nenne zum Beispiel die Probleme bezüglich der Demographie, Entwicklung der Kaufkraft, Reiseverhalten, neue Trends und anderes mehr.

   In Verbindung mit fundiertem und umfassendem Zahlenmaterial - ich nenne zum Beispiel das OSGV-Tourismusbarometer - könnte der Bericht als grundlegende Planungshilfe für die gesamte Branche dienen. Die Bundesregierung widmet sich auch anderen Bereichen mit jährlichen Berichten. So gibt es den Waldzustandsbericht, den Migrationsbericht, den Agrarbericht und einen Strahlenbelastungsbericht. Warum soll es nicht einen jährlichen Tourismusbericht geben? Leider wird dem Tourismus vonseiten der Bundesregierung nicht die Bedeutung beigemessen, die ihm eigentlich zukommen müsste.

   Sehr geehrter Herr Minister Clement, Sie haben in Ihrer Rede das Ruhrgebiet erwähnt. Ich bin der festen Überzeugung: Gerade Rhein und Ruhr sind touristisch noch sehr unterentwickelt. Dort gibt es riesige Potenziale. Wie in den letzten 20 Jahren der Strukturwandel gerade im Bereich von Tourismus und Dienstleistung vollzogen wurde, ist schon sehr respektabel.

   Im Rahmen der engen deutsch-französischen Zusammenarbeit ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass es in Frankreich wie in vielen anderen Ländern einen Staatssekretär für Tourismus gibt. Da der Tourismus in Deutschland etwa denselben Anteil am Bruttoinlandsprodukt wie in Frankreich hat, bleiben wir bei unserer Forderung, dass es auch in Ihrem Hause einen Staatssekretär geben sollte, der sich hauptsächlich dem Tourismus widmet.

(Ernst Burgbacher (FDP): Aber nicht namens Schlauch!)

Mit der Koordination tourismuspolitischer Fragestellungen in den Bundesressorts und der Verbesserung der Kommunikation mit den zuständigen Ressorts in den Bundesländern dürfte ein Staatssekretär ausreichend ausgelastet sein.

   In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass auch das Fachreferat Tourismus im Bundeswirtschaftsministerium logistisch und personell zu schlecht aufgestellt ist. Durch die Zusammenlegung der Ressorts Wirtschaft und Arbeit ist die Bedeutung dieses Referats noch weiter geschrumpft. Aus diesem Grund fordert die CDU/CSU eine deutliche Stärkung der Stellung des Tourismusreferats innerhalb dieses Bundesministeriums.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine der volkswirtschaftlich wichtigsten Branchen muss auch von einem schlagkräftigen Team betreut werden.

   Herr Clement, Sie empfinden zwar durchaus Sympathie für den Tourismus, doch weder Sie noch Ihr Vorgänger haben sich mehr als einmal im Jahr im zuständigen Ausschuss blicken lassen. Diese Aussage sollten Sie auch als Einladung auffassen.

   Wie wichtig es für die Tourismusbranche wäre, dass beim Bund eine zentrale Anlaufstelle zur Koordinierung der Tourismuspolitik installiert würde, zeigt sich am Beispiel der Sommerferienregelung. Ich habe gestern den Vorschlag gemacht, eine weitere Anhörung der betroffenen Branche zu diesem Thema durchzuführen und gemeinsam mit den Ländern nach weiteren Lösungen zu suchen. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen dazu ein.

   Das Statistische Bundesamt meldet für den Juli 2003 gegenüber dem Vorjahresmonat - da gab es noch keinen Einfluss des Hochwassers; dieser kam erst im August - einen deutlichen Rückgang bei den Übernachtungszahlen, und zwar um insgesamt 4 Prozent auf - in Euro ausgedrückt - 40 Millionen Euro. Diese Entwicklung beruht ausschließlich auf der sinkenden Zahl von Übernachtungen inländischer Gäste. Zu Recht hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband darauf hingewiesen, dass das unter anderem die katastrophalen Folgen der neuen Ferienregelung sind. Wegen der Verkürzung des Sommerferienzeitraums auf 75 Tage durch die Kultusministerkonferenz konnten in der ersten Hälfte des Monats Juli wesentlich weniger Bundesbürger in Urlaub fahren.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ja, so ist es!)

Ein Teil der Betten hat daher leer gestanden.

Im August gab es dank des Jahrhundertsommers einen großen Ansturm auf deutsche Reiseziele: Die Zimmer hätten doppelt oder dreifach vergeben werden können.

   Mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom Juni 2003 zu einer Neufeststellung der Ferienregelung von 2005 bis 2010 sind die Probleme aus Sicht der CDU/CSU und der Tourismuswirtschaft noch immer nicht befriedigend gelöst. Zu dem von der CDU/CSU geforderten Gesamtferienzeitraum von 90 Tagen gibt es keine Alternative.

(Beifall bei der CDU/CSU - Brunhilde Irber (SPD): Wer hat denn das verhindert?)

Die Bundesregierung muss koordinierend tätig werden, wenn auch - das ist uns klar - in vielen Fragen die Zuständigkeit bei den Bundesländern liegt.

   In der Tourismuspolitik beobachten wir seit einigen Jahren ein Phänomen, das wir auch aus anderen Politikbereichen kennen: Hinweise auf sich abzeichnende Probleme und Meldungen über eine negative Entwicklung quittiert die rot-grüne Bundesregierung mit der Argumentation, die Opposition rede unser Land schlecht und betreibe Panikmache.

(Brunhilde Irber (SPD): So ist es ja auch! - Peter Dreßen (SPD): So seid Ihr! - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist wirklich unerhört!)

Tatsache ist aber, dass Hotels, Gaststätten, Reisebüros und Reiseveranstalter gegenwärtig unter der allgemeinen Konsumzurückhaltung, der weit verbreiteten Angst um die Arbeitsplätze sowie steigenden Steuern und Abgaben leiden.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Wenn die Leute kein Geld mehr haben, können sie nicht mehr in Urlaub fahren!)

Die kurzatmigen Reformversuche der Bundesregierung, die ohne übergreifendes Konzept eine Notfalllösung nach der anderen produziert, verunsichern die Bevölkerung zusätzlich. Die Folgen: Es wird weniger gereist und viel weniger ausgegeben.

(Brunhilde Irber (SPD): Das stimmt nicht!)

   Die nur leicht rückgängigen Übernachtungszahlen zeigen aber noch lange nicht den dramatischen Ernst der Lage.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es!)

Die Umsatzeinbrüche führen zu Entlassungen, Betriebsauflösungen in der Tourismuswirtschaft, im Einzelhandel und auch im Handwerk sowie im Dienstleistungssektor.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Richtig!)

Im Moment stehen pro Tag 1 Million Betten leer, wie der DEHOGA neulich anmerkte. Es geht aber nicht nur darum, dass die Betten belegt werden, sondern wichtig ist auch, von wem und zu welchem Preis sie belegt werden. Das gilt nicht nur für das Hotel oder die Pension, sondern für die gesamten Dienstleistungs- und Einzelhandelsunternehmen in einer Stadt oder Region. So sind etwa ausländische Gäste, Geschäftsreisende oder Messe- und Kongressbesucher besonders ausgabefreudig und haben mehr Kaufkraft als andere.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, um diese Potenziale wirksam auszuschöpfen, gibt es die Deutsche Zentrale für Tourismus, die - mit Unterstützung des Bundes - im Ausland für Reisen nach Deutschland wirbt. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, sehr geehrte Frau Kollegin Irber, dass falsche Sachverhalte auch dann nicht richtig werden, wenn man sie ständig wiederholt.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Bei der Rede von Frau Irber hat vieles nicht gestimmt!)

   Während wichtige Konkurrenzländer ihre öffentlichen Ausgaben für touristische Vermarktung massiv erhöhen, bleibt der Mittelansatz im Bundeshaushalt 2004 für die DZT mit einer Erhöhung um 1 Million Euro auf 24,5 Millionen Euro vergleichsweise sehr gering.

(Brunhilde Irber (SPD): Ihr habt gestrichen und nicht erhöht!)

Spanien zum Beispiel investiert in die nationale Tourismuswerbung fast viermal so viel öffentliche Mittel wie Deutschland, Großbritannien fast dreimal so viel und selbst das kleine Österreich fast doppelt so viel. Beim Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben für die öffentliche Förderung des Auslandsmarketings bildet Deutschland innerhalb der Europäischen Union sogar mit Abstand das Schlusslicht.

   Den Glauben an die Macht des Marketings hat die rot-grüne Bundesregierung schon, aber nur dann, wenn es um die eigenen Interessen geht.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Unsinn!)

Für ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit will sich die Bundesregierung für 2004 einen satten Zuwachs, von 78 Millionen Euro auf 88 Millionen Euro, genehmigen - Selbstbedienung vom Feinsten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Ernst Burgbacher (FDP): Unerhört!)

   In diesem Zusammenhang lehne ich auch einen Subventionsabbau nach Rasenmähermethode, wie im Koch/Steinbrück-Papier vorgeschlagen, ab.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aha!)

Bei den DZT-Mitteln handelt es sich nicht um eine künstliche Maßnahme zur Lebensverlängerung eines nicht wettbewerbsfähigen Industriezweiges, sondern um Investitionen in eine Zukunftsbranche, die vor allem dem Mittelstand in Deutschland zugute kommen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jawohl!)

   Neben den positiven wirtschaftlichen Effekten ist eine intensivere Werbung für den Tourismusstandort Deutschland grundsätzlich auch eine verbesserte Imagewerbung, die Deutschland insgesamt als Wirtschafts-, Wissenschafts-, Kultur- und Verkehrsstandort sichert und stärkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Mehr Werbung für den Tourismusstandort Deutschland ist auch deswegen wichtig, weil der Tourismus eine besonders arbeitsplatzintensive Branche mit Beschäftigungspotenzialen auch für gering qualifizierte Arbeitnehmer ist. Der große Vorteil ist: Diese Arbeitsplätze sind nicht exportierbar. Produziert werden müssen diese Dienstleistung und der Service an Ort und Stelle, also hier in Deutschland.

   Sehr geehrter Herr Minister Clement, wenn Sie die Jobmaschine Tourismus wieder flottmachen wollen, müssen Sie als Wirtschaftsminister endlich das Steuer herumreißen. Wir brauchen eine Aufbruchstimmung sowie klare Signale für mehr Wachstum und Beschäftigung statt eines kleinkarierten Stopfens von Haushaltslöchern ohne übergreifendes Konzept. Die Tourismusbranche wird zu den ersten Gewinnern in unserem Land gehören, wenn die Verunsicherung der Verbraucher und die Angst um den Arbeitsplatz von hoffnungsvolleren Zukunftsaussichten abgelöst werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) - Peter Dreßen (SPD): Jetzt übertreiben Sie aber mal nicht!)

   Meine Damen und Herren, es gibt keine rechte oder linke Tourismuspolitik, sondern nur eine gute oder schlechte Politik. Es gibt in unserem Land viel zu tun. Lassen Sie uns dies gemeinsam anpacken!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1303, 15/1329 und 15/1595 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1799 soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 15/1303 überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Tagesordnungspunkt 3 d, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus, Drucksache 15/1286, zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Schaffung einer familienfreundlichen, verkehrsentlastenden und wirtschaftsfördernden Ferienregelung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/934 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Dr. Christian Ruck, Christa Reichard (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Verantwortung für die Sicherung der Welternährung übernehmen - Chancen der grünen Gentechnik nutzen

- Drucksache 15/1216 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Peter Carstensen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Erst einmal auch von mir nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich habe Ihnen kein Geschenk mitgebracht. Aber ich bin gestern extra zum Friseur gegangen, weil ich Ihnen ordentlich gegenübertreten wollte.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren! Planungssicherheit ist in der Politik ein hoher Wert. Die Bundesregierung ist von Planungssicherheit weit entfernt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Halbwertszeit einiger Beschlüsse - ob das in der Sozial-, in der Renten-, aber auch in der Agrarpolitik ist - wird immer geringer. Nur in einem Bereich kann man sich darauf verlassen, dass die Feindbilder gleich bleiben: in der Agrarpolitik.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

   Eines der größten Feindbilder der Regierungskoalition ist die grüne Gentechnik. Wer eine Zukunftstechnologie, wie es die Biotechnologie ist, derart ideologisch und mit Vorurteilen behandelt, wie es die Bundesregierung tut, macht sich doppelt schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum einen werden Investitionen zurückgehalten und zum anderen werden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nicht mehr von deutschen Wissenschaftlern und Studenten an den heimischen Universitäten durchgeführt. Diese wandern vielmehr ins Ausland ab.

   Die Bundesregierung wird damit nicht nur ihrer nationalen Verantwortung nicht gerecht, sondern verhält sich, auch global betrachtet, verantwortungslos.

   Die Gentechnik ist eine der Schlüsseltechnologien der Zukunft und wird helfen, die Welternährung im 21. Jahrhundert zu sichern. Dies ist im Übrigen nicht nur meine private Einschätzung, sondern auch die Auffassung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Fatal und makaber an der momentanen Politik sind zwei Dinge: Zum Ersten werden die Auswirkungen nicht heute, sondern erst übermorgen sichtbar, wenn uns die Entwicklung der Weltbevölkerung dazu zwingen wird, die Erträge pro Hektar auf ein Vielfaches des heutigen Niveaus zu steigern. Zum Zweiten werden die Leidtragenden einer falschen Weichenstellung von heute nicht die Länder der Weichensteller wie die satte Bundesrepublik sein, sondern die Länder Afrikas und Südostasiens.

   Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich gefragt, wie Menschen, die in der Verantwortung stehen, gegen gute Argumente so resistent sein können. Wenn die besseren Argumente seit 1998 immer wieder von der Opposition kommen,

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann kann ich es ja begreifen, wenn eine Regierung sie nicht zur Kenntnis nimmt. Aber ich habe kein Verständnis für die Taubheit, wenn die gleichen Argumente aus den Reihen von Wissenschaftlern an die Regierung herangetragen werden und sie trotzdem nicht zur Kenntnis genommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Vonseiten der Grünen und von Teilen der SPD - ich sage ganz bewusst: von Teilen der SPD - wird immer wieder gern behauptet, wir würden das Argument der Sicherung der Welternährung nur instrumentalisieren, um unsere Vorstellungen in den Gesetzgebungsverfahren durchzudrücken.

(Matthias Weisheit (SPD): Was anderes tut ihr doch nicht! - Manfred Helmut Zöllmer (SPD): So ist es doch auch!)

Dazu kann ich nur sagen: Das stimmt. - Aber wenn wir dieses Argument nicht einmal mehr vorbringen dürfen und über grüne Gentechnik nicht gesprochen werden darf, lieber Kollege Weisheit, obwohl 820 Millionen Menschen auf dieser Erde hungern, dann ist dies ein trauriges Faktum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Für die Union ist die grüne Gentechnik ein zentrales Instrument, um die Ernährung der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert sicherzustellen.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Weil Sie engstirnig sind!)

- Engstirnig? Also sind diejenigen, die sich öffnen, engstirnig, während diejenigen, die von Ideologie behaftet sind, offen sind. Liebe Frau Kollegin Wolff, Sie sind ganz schön weit von der Wirklichkeit entfernt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich wiederhole: Für die Union ist die grüne Gentechnik ein zentrales Instrument, um die Ernährung der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert sicherzustellen.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Guten Appetit!)

Aber bitte unterstellen Sie uns nicht, dass wir die Komplexität des Hungers nicht verstünden und davon überzeugt wären, dass die grüne Gentechnik das einzige Instrument zur Lösung des Hungerproblems ist. Spätestens seit der grünen Revolution in Asien wissen wir aber, dass die Weitergabe von Wissen und Technologie ein sehr wirksamer Ansatzpunkt ist, mit dem der gordische Knoten des Hungers zerschlagen werden kann. Die grüne Revolution ist vor allem durch die Entwicklung ertragreicher Reissorten vorangetrieben worden.

   Wir müssen uns darauf einstellen, dass im Jahre 2020 zwischen 7 und 8 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Diese Bevölkerung ausreichend mit Nahrung, Wasser, Gesundheitsdiensten, Bildung und Arbeit zu versorgen ist die größte globale Herausforderung der kommenden Jahre. Dieser Herausforderung werden Sie nicht mit Flächenstilllegung und Extensivierung gerecht, sondern dadurch, dass wir auf den begrenzten Flächen die Produktion um 60 Prozent erhöhen.

   Meine Damen und Herren, die Frage ist erlaubt, welche Probleme die Gentechnik mit sich bringen kann. Seit zehn Jahren wird sie angewandt und wir machen den Menschen immer noch vor, dass es bei uns überall von Gentechnik freie Nahrung gäbe. Wir haben bei uns einen weißen Kreis. Aber diejenigen, die Verantwortung übernehmen wollen, dürfen sich nicht nur fragen, was passieren wird, wenn Gentechnik eingesetzt wird, sondern sie müssen sich genauso fragen, welche Folgen es haben wird, wenn Gentechnik nicht eingesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen empfinde ich es schon als makaber, dass die Reichen und Satten dieser Welt denjenigen eine neue Technologie vorenthalten, die sie brauchen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Bundesministerin Renate Künast das Wort.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt wird es für die Gentechnik Nacht!)

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach übereinstimmender Auffassung aller internationalen Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationen sind die Hauptursachen für Hunger und Armut fehlender Zugang zu Ressourcen wie Land, Saatgut und dem Lebensmittel Nummer eins, Wasser, das Fehlen geeigneter Lager- und Transportbedingungen, unfaire Handelsbedingungen und eine unfaire Agrarpolitik sowie Krieg, Korruption und Misswirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Man muss deshalb meines Erachtens sagen, dass 800 Millionen von Hunger bedrohte Menschen Folge eines tief greifenden Politikversagens sind. Ich freue mich deshalb, aus den Worten des Herrn Carstensen schließen zu können, dass auch er für eine Agrarwende innerhalb der EU ist. Na endlich, Herr Carstensen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wenn wir bei der Bekämpfung des Hungers erfolgreich sein wollen, müssen wir bei den konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen ansetzen. Wir stellen fest: Von den über 800 Millionen Menschen, die auf der Welt hungern, leben 70 Prozent im ländlichen Raum; das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 70 Prozent der Hungernden leben dort, wo Mann und Frau normalerweise Lebensmittel produzieren.

   Das besonders Perfide daran ist, dass sie zu einem großen Teil sogar in der Landwirtschaft arbeiten. Aber sie arbeiten auf großen Plantagen zu extremen Hungerlöhnen, mit denen sie ihre Familien nicht ernähren können. Sie arbeiten meist auf Plantagen, die Futtermittel herstellen. Herr Carstensen, es sollte uns christlich Erzogenen eigentlich in der Seele wehtun, dass man in der Sojaproduktion zum Beispiel, statt das Produkt zu nutzen, um viele Menschen zu ernähren, das Prinzip umdreht und Soja dem Tierfutter beimischt. Statt mit dieser Menge Soja zehn oder 20 Menschen zu ernähren, landet das Fleisch später als kleines Steak auf unseren Tellern. Das tut mir in der Seele weh.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Albert Deß (CDU/CSU): Dann sollten Sie bei der WTO eine andere Richtung vertreten!)

Das ist falsch organisiert, weil man die gleiche Menge Soja, statt sie durch das Tier zu schicken, nutzen könnte, um viel mehr Menschen zu ernähren.

   Für diese Menschen ist nicht die erste Sorge, wie sie jedes Jahr ohne Nachbaurecht das teure gentechnisch veränderte Saatgut kaufen können, sondern ihre Frage lautet: Wie kann ich hier und heute die Ernährung meiner Familie organisieren?

(Albert Deß (CDU/CSU): Ich werde Ihnen dazu etwas sagen!)

   Wir wissen, dass die teure grüne Gentechnik für den kommerziellen Landbau entwickelt wurde und entsprechend designed ist. Deshalb ist die erste gentechnisch veränderte Pflanze Soja, Futtersoja.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Was ist dagegen einzuwenden?)

Produktentwicklungen zur Bekämpfung des Hungers der Menschen standen nicht im Vordergrund. Sonst hätte als Erstes gentechnisch verändertes Maniok entwickelt werden müssen; denn das essen die Menschen zum Beispiel in Afrika.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Was ist mit Golden Rice?)

Doch es ging nicht darum, Produkte im Interesse der Hungrigen zu entwickeln.

   Es ist mir ehrlich gesagt mittlerweile egal, wie oft Sie die ideologische Keule ins Feld führen.

(Albert Deß (CDU/CSU): Ihnen ist alles egal, Frau Künast!)

Die Gentechnikfirmen haben Soja für das Tierfutter und nicht die Nahrungsmittel entwickelt, die die Menschen in den Regionen gewöhnt sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie sagen oft - das steht auch in vielen Werbebroschüren -, dass zum Beispiel Vitamin-A-haltiger Reis der große Retter in Hungergebieten sei, um mangelernährte Menschen vor Blindheit zu schützen.

(Albert Deß (CDU/CSU): So ist es!)

Vandana Shiva, die alternative Novelpreisträgerin, hat die Sache klar auf den Punkt gebracht, als sie fragte: Wenn sich die Menschen in diesen Gebieten nicht einmal normalen Reis kaufen können, wie sollen sie sich eigentlich gentechnisch veränderten Reis als Saatgut kaufen können? Das ist eine logische Frage.

(Albert Deß (CDU/CSU): Ist der teurer?)

Er ist teurer, weil man das dazu passende Herbizid braucht

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Er ist normal!)

und weil die Menschen dort kein Nachbaurecht haben.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Natürlich haben sie das! Es ist falsch, was Sie sagen, Frau Künast!)

Sie dürfen den Samen nicht selber herstellen, sondern sind wegen der Patentrechte verpflichtet, jährlich neu zu kaufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb ist er teurer.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Das ist falsch!)

- Das ist nicht falsch. Die in dem von Ihnen so geschätzten Landwirtschaftsministerium tätigen Mitarbeiter haben es recherchiert; deshalb kann es nur richtig sein, Herr Carstensen. Sie selber sagen doch immer, ich soll auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören. Das tue ich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Wir wollen etwas anderes: Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe und nicht neue finanzielle Abhängigkeiten.

Deswegen haben wir und hat auch unsere Entwicklungshilfepolitik hier einen ganz anderen Ansatz. Ich will Ihnen sagen, wie das geht: So hat beispielsweise der brasilianische Staatspräsident Lula mit einem Aktionsplan zur Bekämpfung von Hunger angefangen.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Er hat gerade Gentechnik genehmigt!)

Auch Sierra Leone hat damit angefangen. Wir meinen, dass nicht immer nur die Eliten in einem Land von Geld profitieren sollen, sondern dass Aktionspläne zur Bekämpfung von Hunger tatsächlich ein zwingender Bestandteil von Good Governance werden sollen. Deshalb gibt es jetzt zum Beispiel in Sierra Leone mithilfe der GTZ entsprechende Projekte. Dabei geht es darum, das regionale Saatgut der Menschen zu sichern und sie im Kampf gegen Hunger zu unterstützen.

   Ich meine - das muss ich an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU sagen -, Sie versuchen, mit dem Stichwort Hungerbekämpfung ein Deckmäntelchen über Ihre Position zur Gentechnik zu legen.

(Beifall der Abg. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie versuchen, an dieser Stelle unter dem Schlagwort „Verantwortung für die Welternährungssituation“ eine ganz andere Diskussion zu führen. Das ist aus mehreren Gründen falsch: Wir müssen zunächst - das ist meine Leitlinie - Wahlfreiheit für die Landwirte hier herstellen. Ihr Text enthält die Aussage: Wir sollen hier verstärkt mit Gentechnik veränderte Pflanzen anbauen, damit wir das Welthungerproblem lösen können.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Nein, das steht nicht drin! - Albert Deß (CDU/CSU): Sie kennen die einfachsten Zusammenhänge nicht!)

- In Ihrem Antrag steht hinter einem Spiegelstrich, die Bundesregierung solle dafür Sorge tragen, hier mehr gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen, damit so ein Beitrag zur Sicherstellung der Welternährung geleistet werden kann.

   Ich sage Ihnen: Die hiesigen Landwirte wollen das zu 70 Prozent nicht. Wir müssen hier also die Wahlfreiheit geben und an dieser Stelle entsprechende Regeln einführen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Bitte.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön.

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU):

Frau Ministerin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Antrag nicht auf die Ausweitung des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Bundesrepublik Deutschland zielt, sondern dass wir dafür sorgen wollen, dass gerade unsere Forschungseinrichtungen in diesem Bereich wieder wesentlich mehr tun können, damit sie ihre Ergebnisse an die Länder der Dritten Welt weiterleiten können?

(René Röspel (SPD): Die Dritte Welt als Experimentierfeld!)

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie die Forschung an dieser Stelle ausweiten wollen. Ich glaube auch, dass es durchaus gute Forschungsergebnisse gibt. Es sollte allerdings nicht wieder für die Tierhaltung, sondern mit Blick auf eine Lösung der Probleme der Menschen vor Ort geforscht werden.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Sie sind so einseitig!)

Herr Carstensen, die Frage lautet: Was will man über die Gene von Pflanzen wissen?

   Unter einem Spiegelstrich fordern Sie aber auch den Anbau grüner Gentechnik hier in Europa, damit ein Beitrag zur Bekämpfung des Welthungers geleistet werden kann. Jetzt habe ich Ihren Antrag nicht hier, sondern nur meine eigene Rede, sodass ich Ihnen die entsprechende Passage aus Ihrem Antrag nicht vorlesen kann.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Soll ich Ihnen den geben?)

Ich habe beides in Ihrem Antrag wiedergefunden.

   Ich meine, Sie sollten den Mut haben, die Debatten über Welternährung einerseits und über die Gentechnik hier und ihre Bedingungen andererseits zu trennen. Sie sollten auch wissen, dass Sie neue Abhängigkeiten schaffen, wenn Sie hier Nahrungsmittel für andere produzieren.

   Der richtige Weg heißt Hilfe zur Selbsthilfe. Genauso machen wir unsere Entwicklungshilfepolitik. Die Menschen sollen in ihren Ländern, in ihren Regionen Nahrungsmittel anbauen können. Wenn sie hungern, dann sollen sie Lebensmittel aus ihren jeweiligen Regionen und nicht aus dem Überfluss des Nordens zukaufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich meine, dass die katholische Soziallehre an dieser Stelle nicht falsch ist. Auch sie betont: Hilfe zur Selbsthilfe ist das Prinzip.

(Albert Deß (CDU/CSU): Kein Widerspruch!)

   In Großbritannien zum Beispiel, einem Land, das nun wirklich nicht verdächtig ist, eine kritische Haltung zur roten oder grünen Gentechnik einzunehmen, haben neueste Befragungen unter Wissenschaftlern ergeben - auf diese Untersuchungen hat Herr Carstensen gar nicht Bezug genommen; ich würde mich freuen, wenn Sie auch so etwas einmal sehen würden -, dass sich die grüne Gentechnik negativ auf die Artenvielfalt auswirkt. Da wir alle christlich erzogen sind, gehe ich davon aus, dass auch die CDU/CSU die Artenvielfalt erhalten möchte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Nach all dem kann man meines Erachtens nur eines sagen: Der Einsatz gentechnisch veränderten Saatguts zur Bekämpfung von Hunger will gut überlegt sein. Wir sollten uns an dieser Stelle genau überlegen, ob wir gut beraten wären, über die Köpfe anderer hinweg zu agieren. Es gilt auch, die Wahlfreiheit der Menschen, die hungern, zu berücksichtigen.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Darauf können die gerne verzichten!)

- Herr Carstensen, die haben selber viele gute Forderungen wie zum Beispiel die, dass wir unsere Agrarpolitik ändern, damit sie Produkte anbauen können und darüber zu Deviseneinnahmen kommen, um in ihren Ländern die hungernde Bevölkerung in den Städten zu ernähren.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Sie fahren doch nach Brasilien! Sie wissen doch, wie die Schlachtordnung ist!)

- Genau, für solche Gespräche fahre ich nach Brasilien. Ich werde bestimmt mit vielen Informationen für Sie zurückkommen.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Das ist sehr schön!)

   In Ihrem Antrag hat mich am meisten die Aufforderung irritiert, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit Freilandversuche zu genehmigen und zu unterstützen. Ich komme ja auf brillante Ideen, aber auf den Gedanken, Freilandversuche mit Gentechnik zwecks Öffentlichkeitsarbeit durchzuführen, bin ich nun nicht kommen und möchte auch nach Lektüre Ihres Antrags nicht darauf kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Das ist die Ideologie!)

   Die größten Ursachen von Hunger und Elend kann man nur beheben, indem man den Menschen in den Ländern selbst die Möglichkeit gibt, Anbau zu betreiben.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Damit wir hier zu einem Ergebnis kommen, müssen wir die guten und positiven WTO-Verhandlungen unterstützen. Es muss ein Recht auf Nahrung geben. Diese Länder müssen - unterstützt durch unsere Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit - dafür sorgen, dass die Menschen ihre Lebensmittel selber produzieren können. Darin liegt die Lösung und nicht darin, zu versuchen, Umwege über die grüne Gentechnik zu gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan, FDP-Fraktion.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, Pflanzenzuchtunternehmen richten ihre Strategie nach ihren eigenen Verdienstmöglichkeiten aus, und das ist auch gut so. Ansonsten müssten wir den Mitarbeitern Sozialhilfe bezahlen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So sieht es aus!)

   Sie, Frau Künast, richten Ihre Strategie nach den grünen Klientelinteressen satter Menschen aus.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen haben die Menschen der armen Länder bei Ihnen keine Chance. Das kann man sehr deutlich daran erkennen, dass Sie in einer solchen Debatte als Erstes die Frage der Wahlfreiheit thematisieren. Als ob derjenige, der Hunger hat, gerne wählen möchte!

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Zynisch!)

Er möchte einfach nur essen und satt werden, nichts anderes.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie haben hier Hilfe zur Selbsthilfe propagiert. Das ist richtig. Das ist übrigens ein liberales Prinzip. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis: 6 Millionen Kleinbauern in den Schwellenländern und in der Dritten Welt bauen bereits transgene Pflanzen an und haben damit gute Erfahrungen gemacht; denn jedes Jahr werden es mehr.

(Beifall bei der FDP)

   Haben Sie die FSE, die Farm Scale Evaluations, wirklich einmal gelesen? Dabei geht es nicht um Negativwirkungen transgener Organismen, sondern um nichts weiter als um Unkrautmanagement. Dort, wo weniger Beikräuter wachsen und es weniger Tiere und Insekten gibt, die auf diesen leben, sind die Erträge höher. Von daher ist dieses Beispiel absolut ungeeignet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Ernährungsprobleme in der Dritten Welt sind groß. Ursache sind die Armut und die Verantwortungslosigkeit totalitärer Regime - dazu zählt zum Beispiel das kommunistische Regime in Nordkorea -, aber auch die wachsende Weltbevölkerung, der kaum vermehrbare Ackerflächen gegenüberstehen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion zu steigern, damit alle Menschen statt werden.

   Die Probleme bei der Welternährung konnten in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert werden. Es wurden neue Sorten entwickelt. Wir können erwarten, dass mit gentechnischen Methoden Erträge weiter gesichert und die Qualität der Nahrungsmittel weiter verbessert wird. Deutsche Unternehmen wollen sich ihrer Verantwortung bei der Entwicklung neuer Sorten stellen. Dafür brauchen sie praktikable Rahmenbedingungen, die ihnen die rot-grüne Regierung noch immer verweigert.

   Der Bundeskanzler ist einmal angetreten, im kritischen Diskurs eine verantwortbare Position zur Gentechnik zu finden. Im Zuge von BSE hat ihn der Mut verlassen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, allein Ihre Abwesenheit dokumentiert:

(Albert Deß (CDU/CSU): Wo ist er denn?)

Welternährung ist nicht Ihr Thema,

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

grüne Gentechnik ist es auch nicht mehr.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Sie lassen aber auch nichts aus!)

Sie haben grüne Gentechnik wegen BSE kurz vor dem erfolgreichen Abschluss gestoppt. Schade!

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Wo ist denn Herr Westerwelle?)

- Herr Westerwelle weiß, dass ich eine gute Rede halte. Er muss nicht hier sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dennoch muss der Streit zwischen Frau Künast und Herrn Clement sowie Frau Bulmahn endlich im Sinne der grünen Gentechnik entschieden werden. Herr Bundeskanzler, nehmen Sie Ihre Richtlinienkompetenz wahr, sprechen Sie ein Machtwort, beenden Sie die Grabenkämpfe und bringen Sie diese Innovation in Deutschland voran!

(Beifall bei der FDP)

   Mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung mit der grünen Gentechnik zeigt: Die grüne Gentechnik ist verantwortbar, durch ihr Innovationspotenzial hilft sie, in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen, und sie ist zur Verbesserung der Ernährung der Menschen in den ärmsten Ländern der Erde ethisch geboten. Daher unterstützt die FDP den Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Grundsatz.

   Herr Kollege Carstensen, in einem Punkt widersprechen wir dem Antrag aber ausdrücklich:

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Ui!)

Kennzeichnungsschwellenwerte oberhalb der technischen Machbarkeitsgrenze sind anders, als Sie es sagen und als Sie es in Ihrem Antrag fordern, sehr wohl akzeptabel.

(Beifall bei der FDP)

Bei der Festlegung der Schwellenwerte müssen die technischen Machbarkeitsgrenzen berücksichtigt werden, aber nicht mehr. Dabei orientiert man sich am Umwelt- und Gesundheitsschutz.

   Transgene Pflanzensorten werden geprüft wie andere, sie haben dieselben Risiken wie andere und sie verhalten sich in der Umwelt wie andere, auch wenn die Grünen meinen, etwas anderes behaupten zu müssen. Eine Sonderstellung transgener Sorten ist daher durch nichts gerechtfertigt.

(Beifall bei der FDP)

Das sieht auch Staatssekretär Catenhusen, SPD, aus dem Forschungsministerium so. In einem Interview in der „Zeit“ hält er gesonderte Haftungsregelungen für den Umgang mit transgenen Sorten für nicht erforderlich. Ihr Staatssekretär hat Recht. Wer Recht hat, soll auch Recht behalten.

   Gesundheitsschäden werden in unserer Gesellschaft zumeist durch falsche Ernährung und Umweltschäden, insbesondere durch den Schadstoffeintrag, verursacht. Das haben auch die Bürgerinnen und Bürger erkannt. Deswegen finden sie es gut, wenn mit gentechnischen Methoden Pflanzen und Tiere gezüchtet werden, die gegen Schädlinge immun sind. Nach einer Umfrage, die vom Bundespresseamt in Auftrag gegeben wurde, sind 46 Prozent dafür. Die Grünen sind dagegen. Aber: Welche in der Zeit seit ihrer Gründung etablierten Zukunftstechnologien haben die Grünen jemals befürwortet?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Kurzzeitig oder längerfristig wurden abgelehnt: die friedliche Nutzung der Kernenergie, der Computer - der Beschluss existiert noch immer -, das Handy, der Transrapid, die PET-Flaschen und die rote Gentechnik.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Bei der SPD kommt noch der Fernseher dazu!)

- Danke, Herr Carstensen.

   Der jetzige Außenminister hat im Hessischen Landtag die Turnschuhe eingeführt und den Bau der Anlage zur gentechnischen Herstellung von Humaninsulin 14 Jahre lang verzögert. Mit dieser Lebensleistung wurde er dann Außenminister.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Mit dem Kulturpessimismus der Grünen wären die Ernährungsprobleme Europas nie gelöst worden.

(Beifall bei der FDP)

Daher ist der Kulturpessimismus der Grünen auch nicht geeignet, den Menschen in den ärmsten Ländern der Erde zu helfen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Genau! Das ist die Wahrheit!)

Noch immer folgen die Grünen ganz treu Karl Valentin: Die Zukunft war früher auch besser.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Kann man wirklich so flach sein?)

   Warum unterstützt eine SPD, die sich immer auf ihre soziale Verantwortung beruft, diese Politik? Sie ist unethisch, weil sie verhindert, dass die Möglichkeiten der grünen Gentechnik zur Entwicklung leistungsfähiger Sorten genutzt werden. Sie ist umweltfeindlich, weil sie die Potenziale der grünen Gentechnik zur Verminderung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln nicht nutzt. Sie ist verbraucherfeindlich, weil sie sich nicht am Wunsch der Verbraucher nach sicheren Lebensmitteln orientiert - transgene Sorten werden besser geprüft als andere. Schließlich ist sie unsozial, weil sie die Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland fördert.

   Ich fordere die SPD auf, eine derartig dem Gemeinwohl zuwiderlaufende Politik des grünen Koalitionspartners zu verhindern.

(Beifall bei der FDP)

Laufen Sie den Grünen nicht wie die Lemminge hinterher und springen Sie nicht in den Abgrund!

   In den letzten zehn Jahren wurden transgene Sorten mit sehr interessanten und für die Ernährungssituation der Menschen in den ärmsten Ländern der Erde wichtigen Eigenschaften entwickelt. Golden Rice ist das bekannteste Beispiel; es gibt einige andere mehr. Die Frage, ob transgene Sorten verantwortbar sind, ist beantwortet: Sie sind verantwortbar. Inzwischen stellt sich die Frage, ob es ethisch verantwortbar ist, den Landwirten in den Entwicklungsländern diese Sorten weiter zu verweigern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Professor von Weizsäcker hat in seiner Rede zum Cartagena-Protokoll über ein Beispiel aus Indien berichtet, bei dem sich der Anbau einer transgenen Sorte nicht bewährt haben soll. Das mag so sein. Vor solchen Sorten muss aber niemand geschützt werden. Professor von Weizsäcker, ich bedauere sehr, sagen zu müssen: Dieses einzige Beispiel in Ihrer Rede zum Cartagena-Protokoll war unter Ihrem Niveau. 6 Millionen Landwirte haben im vergangenen Jahr transgene Kulturpflanzen angebaut. 75 Prozent davon waren Kleinbauern in Entwicklungs- und Schwellenländern. Ihre Anzahl ist von Jahr zu Jahr gestiegen.

   Der Beauftragte für Welternährungsfragen des Evangelischen Entwicklungsdienstes stuft den Beitrag der grünen Gentechnik zur Sicherung der Welternährung als gering ein und sieht die Gefahr der Abhängigkeit der Kleinbauern von Patentinhabern. Die Realität sieht anders aus. Den theoretischen Vorbehalten stehen ganz konkrete Vorteile der grünen Gentechnik gegenüber, wie zum Beispiel sichere Ernten durch Bt-Mais in China. Das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften in München hat einen Leitfaden entwickelt, mit dem transgene Sorten nach ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien individuell bewertet werden können.

Ein solcher Leitfaden ist ethisch sehr viel wertvoller als die grüne Fundamentalopposition gegen die grüne Gentechnik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Er ermöglicht es, die Eignung einzelner Sorten zu bewerten, statt alle pauschal zu verdammen. Eine wachsende Weltbevölkerung stellt steigende Anforderungen an die Landwirtschaft. Diese Herausforderungen können wir nur meistern, wenn wir Armut und totalitäre Regime bekämpfen -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

- ich bin beim letzten Satz - und die Intelligenz sowie den Erfindungsreichtum von Menschen für die Weiterentwicklung der Landwirtschaft nutzen. Die grüne Gentechnik kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Carstensen und Frau Happach-Kasan, ich schätze Sie beide sehr. Aber ich muss sagen: Nach Ihren beiden Redebeiträgen ist, glaube ich, auch dem letzten Zuhörer klar, worum es Ihnen heute Morgen geht: Es geht um das alte Ritual: „Wie beschimpft die Opposition die Regierung?“ und das, wieder möglichst laut in der Öffentlichkeit. Ich finde es außerordentlich schade, dass Sie die wichtige und ernste Frage der Bekämpfung des Welthungers und die Frage, was wir dazu beitragen können, mit diesem Ritual vermischen. Das tut dem Thema nicht gut und das tut auch dem Deutschen Bundestag nicht gut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dabei sind und waren wir schon weiter. Die Frage des Welthungers und seiner Bekämpfung beschäftigt Sie genauso wie uns im Agrarausschuss. Gerade gestern haben wir über einen Antrag - übrigens der SPD - zur Frage der Landreform geredet, die selbstverständlich mit der Frage der Bekämpfung des Welthungers zu tun hat; denn in den Entwicklungsländern bedarf es insbesondere der Sicherung von bäuerlichen Familienexistenzen und einer vernünftigen Sozialstruktur. Das fehlt jedoch in Ihrem Antrag; das wissen Sie auch.

   Gerade gestern hat der Kollege Deß von der CDU/CSU einen sehr bemerkenswerten Beitrag geleistet. Er hat darauf hingewiesen, dass auch im Zusammenhang mit der Zuckerordnung sehr sorgfältig auf die Sicherung der bäuerlichen Familienbetriebe und damit den Aufbau von Sozialstrukturen in der Dritten Welt geachtet werden muss, die für die Bekämpfung des Welthungers dringend erforderlich sind. Wo ist denn das in Ihrem Antrag?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Lesen Sie den doch einmal!)

   Ich habe den Eindruck, dass Sie wieder einmal eine polemische Diskussion und keine seriöse Diskussionsgrundlage gesucht haben. Ich kann das nur bedauern und alle auffordern, das im Zuge der weiteren Diskussion zu ändern; denn es ist doch völlig klar: Das Recht auf Nahrung gehört zu den Grundrechten jedes Menschen. Darüber wird sich dieses Haus doch wohl auch im Klaren sein.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Sind wir doch auch!)

   Wenn Sie, Herr Carstensen, was ich gut finde, die Dokumente der FAO zitieren, dann tun Sie es doch bitte richtig.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Dann zitieren Sie erst einmal unseren Antrag richtig!)

   Ich lese es Ihnen gerne noch einmal vor. In der letzten Woche, nämlich am 16. Oktober, war Welternährungstag. Am Welternährungstag hat der Generaldirektor der FAO ausdrücklich dazu aufgefordert, gemeinsam eine Allianz gegen den Hunger zu bilden, die die Ursachen für den Hunger bekämpft. Zu den Ursachen des Hungers gibt es eine Menge an wirklich wichtiger internationaler Übereinstimmung. So weist zum Beispiel der Welternährungsgipfel deutlich darauf hin, dass „Hunger sowohl Ursache als auch Auswirkung von extremer Armut ist, durch den die Armen dieser Welt davon abgehalten werden, von neuen Entwicklungen zu profitieren“. Das müssen wir berücksichtigen und angehen.

   Da spielt natürlich auch die deutsche Agrarpolitik und die europäische Agrarpolitik eine große Rolle. Wir alle wissen ganz genau, dass die Agrarmärkte der Entwicklungsländer auch durch die Subventionen der EU beim Agrarexport mit kaputt gemacht werden. Mit den Überlegungen, das zu ändern, haben wir uns in diesem Sommer beschäftigt. Mich ärgert, dass die CDU den deutschen Bauern immer wieder erklärt, das gehöre zu der schlechten Agrarpolitik dieser Regierung oder der EU.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Sehen Sie, das ist gerade die Widersprüchlichkeit, die mich dazu bringt, zu sagen: Es geht Ihnen eben um Polemik und Rituale, nicht etwa um die Sicherung der Welternährung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Quatsch!)

   Zur Stabilisierung der Märkte - bitte akzeptieren Sie auch das - sind Landreformen in vielen Teilen der Welt notwendig. Wenn Sie das genauso sehen, dann unterstützen Sie es doch.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das tun wir doch auch! Sagen Sie einmal etwas zum Antrag!)

   Wichtig sind auch Technologie- und Wissenstransfer. Wer will das denn bestreiten? Wir alle wissen, dass die Erwartungen an die Biotechnologie - ich meine nicht nur die grüne Gentechnik, Sie müssen den Gesamtbereich sehen - sehr hoch sind. Wir dürfen aber nicht nur diese Erwartungen sehen, sondern wir müssen auch die Erfahrungen und Probleme zur Kenntnis nehmen. Diese werden übrigens in allen internationalen Dokumenten - außer Ihrem Antrag - auch diskutiert. Das ist auch erforderlich, um das Thema richtig anzugehen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Später gerne. Zunächst möchte ich ein paar Punkte, die vielleicht seine Zwischenfrage beantworten werden, weiter ausführen. Aber keine Sorge, die Zeit für Ihre Zwischenfrage habe ich noch.

   Richtig seriös wäre es, wenn Sie diese Aspekte in Ihrem Antrag nennen würden. Aber auch Ihr Beitrag hat gezeigt, dass Sie daran kein Interesse haben. Ihr Antrag ist eine ärgerliche Mischung aus Einbahnstraßendenken - er vermittelt den Eindruck, als könne man mit einem Knopfdruck und der richtigen Technik die Welternährungsprobleme lösen -

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das sagt doch keiner!)

und Vernebelungstaktik, wo es um klare Feststellungen gehen müsste, zum Beispiel bei der Kennzeichnungspflicht. Darauf werde ich gleich noch eingehen. Außerdem liest sich Ihr Antrag streckenweise wie der Werbewaschzettel der entsprechenden Industrie, die ihr Produkt verkaufen will. Das gilt auch für Functional Food, die ja mit Gentechnik nicht zwangsweise etwas zu tun haben muss. Diese Art von Lebensmitteln wird heute schon vielfach ohne Gentechnik hergestellt.

   Ich finde Ihren Antrag deswegen so ärgerlich, weil der Generalsekretär der Vereinten Nationen in seinem jüngsten Bericht, der jetzt in der Generalversammlung diskutiert wird, den Industrieländern viel konkreter Richtiges und Verpflichtendes ins Stammbuch geschrieben hat. Er hat deutlich gemacht, dass die Abhängigkeit der Entwicklungsländer nicht vergrößert werden darf, sondern vermindert werden muss. Was aber finden wir in Ihrem Antrag? Die Bundesregierung soll sicherstellen, dass Kleinbauern nicht abhängig werden, sagen Sie und wollen gleichzeitig deren Abhängigkeit von Patenten erhöhen. Auch Ihr Widerstand gegen die EU-Agrarreform muss in diesem Zusammenhang benannt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen einmal laut sagen, was Sie wollen, und sich nicht in Unverbindlichkeiten ergehen. Lesen Sie einmal nach, was Genetiker aus Äthiopien vom „Goldenen Reis“ und vor allem von seinen Auswirkungen auf die Ernährungslage oder die Sozialstruktur im ländlichen Raum halten. Das ist doch keineswegs nur positiv, sondern sehr problembehaftet.

   Ich komme zu einem Punkt, der mich zusätzlich sehr ärgert: Ihre Äußerungen zur Kennzeichnungspflicht. Da habe ich Frau Happach-Kasan überhaupt nicht verstanden. Ich habe immer gedacht, Sie würden mit mir die Grundauffassung teilen, dass die Wahlfreiheit der Landwirte und der Verbraucher ein hohes Gut ist. Wenn Sie die grüne Gentechnik mit Schwellenwerten einführen wollen, von denen Sie gerade gesprochen haben, hat weder der Verbraucher noch der Landwirt irgendeine Chance zu Wahlfreiheit. Sie als Biologin müssten das eigentlich laut sagen. Ich halte nichts davon, den Menschen - unter welchem Vorwand auch immer - ein X für ein U vorzumachen. Wer Wahlfreiheit und die Chance für Koexistenz will, darf bei der Kennzeichnung nicht über die technische Nachweisgrenze gehen.

(Abg. Helmut Heiderich (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage

   Ich bedaure es sehr, dass die Union in ihrem Antrag einen sehr vagen Begriff von „technischer Machbarkeit“ benutzt und nicht klar herausstellt, dass der Grenzwert von 0,1 Prozent beim Saatgut - das muss jetzt entschieden werden - die Grundlage für Wahlfreiheit und Koexistenz ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, inzwischen wollen zwei Kollegen eine Zwischenfrage stellen. Herr Kollege Carstensen, bitte schön.

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich habe den Eindruck, dass Sie unseren Antrag nicht richtig gelesen haben.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das soll es öfter geben!)

Ich habe weiterhin den Eindruck, dass Sie mir nicht zugehört haben. Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen - das ist Ihnen vielleicht entgangen -, dass die grüne Gentechnik für die Union ein Instrument ist und sie sehr wohl um die Komplexität des Themas Hunger weiß.

Können Sie mir aufgrund Ihres landwirtschaftlichen Sachverstands sagen, wie Sie den Herausforderungen der nächsten Jahre begegnen wollen? Die FAO spricht davon, dass wir eine Steigerung der Erträge um 60 Prozent brauchen, davon notwendigerweise 80 Prozent durch eine Steigerung des Flächenertrags. Wie wollen Sie diese Steigerung erreichen, wenn Sie den Entwicklungsländern nicht moderne Technologien zur Verfügung stellen?

   Lassen Sie mich bitte eine letzte Frage stellen. Wenn das Thema so wichtig ist, wieso gibt es eigentlich keinen Antrag zu diesem Bereich von der Koalition?

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Das wollte ich auch fragen!)

Warum haben Sie nicht die Möglichkeit genutzt, Ihre Position in einem Antrag deutlich zu machen? Wieso gibt es denn einen Streit zwischen dem Wirtschaftsminister und dem Umweltminister und dem Verbraucherschutzministerium? Die Forschungsministerin und der Wirtschaftsminister sagen, wir müssten viel mehr Geld in die neuen Biotechnologien investieren, andererseits aber wird die Biotechnologie abgeblockt. Wir können Ihre Politik nicht mehr begreifen. Können Sie uns das erklären?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Lieber Herr Carstensen, es würde eine Antwort viel leichter machen, wenn nicht aus jedem Wort herauszuhören wäre, dass Sie die Antwort eigentlich gar nicht interessiert.

(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist nicht fair!)

Ich will es dennoch probieren. Lassen Sie mich noch einmal wiederholen: Ich habe jedem Wort, das Sie vorhin gesagt haben, ehrfürchtig, so wie es der Respekt vor Ihnen gebietet, zugehört. Natürlich haben Sie auch diesen Satz vorgetragen. Jetzt haben Sie ihn wiederholt. Ich bin froh darum, weil er dadurch vielleicht eine größere Bedeutung bekommt. Er hat vorher auch nicht länger gedauert als wenige Sekunden und Sie haben insgesamt 7,5 Minuten geredet. Das war der einzige Satz.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Ich habe nur sechs Minuten geredet!)

Über die Frage Ihrer Gewichtung und der damit verbundenen Wertigkeit sollten Sie jetzt vielleicht noch einmal nachdenken.

   Der zweite Punkt ist folgender: Eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Hungerproblem - Sie wissen, dass ich gerade bei der FAO in Rom war - zeigt, dass es in der Tat richtig ist, dass die Erwartung von Mitte der 90er-Jahre, man könne die Zahl der Menschen, die auf der Welt Hunger leiden, bis 2015 halbieren, im Moment skeptisch beurteilt wird. Wenn man sich anschaut, welche Länder der Welt bei der Verbesserung der Hungersituation Erfolg haben und welche Länder nicht, dann stößt man auf das auch von Frau Happach-Kasan, allerdings in falschem Zusammenhang, erwähnte Indien.

   Indien ist ein Land, das seit Jahren GMOs einsetzt, das Nahrungsmittel exportiert und ein steigendes Hungerproblem hat, trotz all der hervorragenden Ergebnisse, die Indien unzweifelhaft erreicht hat. Schon dieses müsste jedem sagen, dass das Hungerproblem, was auch auf dem World Food Summit gesagt wurde, ein Verteilungs- und Armutsproblem ist. Dass die Technik und der Techniktransfer aus den verschiedenen Zonen der Welt eine Rolle spielen, ist gar keine Frage, aber keine entscheidende. Schauen Sie doch einmal in den Bericht des UN-Generalsekretärs! Dann werden Sie genau das feststellen. Ich will Ihnen die Passage gerne zitieren, damit Sie nicht meinen, ich würde etwas Falsches sagen. Der Generalsekretär schreibt in seinem Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen:

Biotechnology has yet to deliver products in agriculture, health industry and environment in developing countries.
(Zurufe von der CDU/CSU und FDP: Oh!)

- Er spricht nun einmal Englisch. Ich finde gut, dass Sie so deutlich machen, dass Sie es verstehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich übersetze es aber bei Bedarf auch gerne. Er führt fort: Es gibt ein bisher ausgesprochen begrenztes Interesse des privaten Sektors, transgene Produkte von einigermaßen großer Bedeutung an die sich entwickelnden Länder zu übergeben.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Natürlich!)

Das sind die Probleme, mit denen wir es zu tun haben. Da geht es um Geld und Gewinne, nicht um die Überwindung des Welthungers. Das ist in Ihrem Antrag, der durch Einbahnstraßendenken gekennzeichnet ist, leider Gottes in keiner Weise ersichtlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Heiderich, ich gehe wegen Ihrer Reaktion davon aus, dass Ihre Frage bereits vom Kollegen Carstensen gestellt worden ist. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie können fortfahren.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Frau Happach-Kasan hatte sich auch noch gemeldet.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Happach-Kasan hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet, wenn ich das richtig verstanden habe.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Ich bitte um Entschuldigung.

   Lassen Sie mich noch einmal Folgendes sagen: Ich fände es ausgesprochen gut, es gäbe in diesem Haus einige Zukunftsthemen, die wir von allen Seiten mit vergleichbarer Seriosität behandeln würden, und - -

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

- Zur Seriosität gehört auch, Herr Goldmann, dass man zunächst einmal die erste Hälfte eines Satzes anhört, bevor man gleich in Jubel oder Klagen ausbricht.

Die Bekämpfung des Welthungers und die Frage, was wir dazu beitragen können, gehört ohne Zweifel zu den wichtigen Zukunftsthemen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Deswegen gibt es diesen Antrag!)

Wie gesagt, das Recht auf Nahrung - dazu gehört auch die Sicherung der Pflanzen und der so genannten genetischen Ressourcen in allen Ländern - ist ein Menschenrecht.

   Deswegen - das darf ich noch ausführen, bevor Frau Happach-Kasan ihre Kurzintervention vorträgt - sind Ihre Ausführungen zur Artenvielfalt und deren Sicherung problematisch. Ich bin sicher, dass wir noch öfter über dieses Thema diskutieren werden. Aber wenn Sie die neue Studie, die in England erstellt wurde, einfach abtun, werden wir nicht vorankommen.

   Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit einigen englischen Kollegen zu reden. Auch die Biologen bzw. Molekularbiologen oder Genetiker unter ihnen nehmen sich die Zeit, die Studie sehr sorgfältig zu prüfen, bevor sie sie bewerten. Das sollten auch wir tun.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Heiderich (CDU/CSU): Das tun wir auch!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich erteile der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan zu einer Kurzintervention das Wort.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Liebe Frau Däubler-Gmelin, Sie haben mich als Biologin nach meiner Meinung gefragt, wofür ich ausgesprochen dankbar bin. Denn ich meine, dass gerade in der grünen Gentechnik Biologiekenntnisse sehr wohl von Bedeutung sind.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Das ist hilfreich für Juristen!)

   Ich habe mich in der Tat mit den Farm Scale Evaluations beschäftigt. In diesem Zusammenhang habe ich mich mit Botanikern auseinander gesetzt und mich über die tatsächlichen Ergebnisse informiert. Festzustellen ist, dass die Ergebnisse nicht so eindeutig sind, wie Sie und auch Ministerin Künast es darstellen.

   Aus den Ergebnissen geht schlicht und ergreifend hervor, dass bei dem Anbau von herbizidtolerantem Raps die Menge der Unkräuter sinkt. Wenn es in einem Rapsfeld weniger Beikräuter gibt, ist auch weniger Nahrung für Insekten vorhanden, die auf solchen Beikräutern leben. Von daher ist es richtig, dass die Artenvielfalt in einem Rapsfeld - in dem allerdings ohnehin in erster Linie Raps wachsen soll - dadurch sinkt. Gleichzeitig steigt aber auch der Ertrag, weil der Boden verstärkt dem Raps zugute kommt statt den Beikräutern.

(René Röspel (SPD): Das steht aber nicht im Gutachten!)

   Das ist eine Frage des Unkrautmanagements; es geht dabei nicht darum, auf welche Art und Weise die Herbizidtoleranz in einem Rapsfeld hergestellt wurde. Das ist mit gentechnischen Methoden wie auch mit anderen Zuchtmethoden möglich. Im Ergebnis kommt es zu einer geringeren Artenvielfalt im Rapsfeld. Das bedeutet aber nicht, dass sie außerhalb des Rapsfeldes ebenfalls sinkt.

   Von daher rate ich Ihnen Frau Kollegin: Beschäftigen Sie sich doch ein bisschen gründlicher mit dieser Thematik und fragen Sie auch einen Botanikprofessor nach der Frage der Artenvielfalt im Rapsfeld, unabhängig davon, ob es sich bei der angebauten Pflanze um eine transgene Sorte handelt oder nicht!

   Ich darf auch darauf hinweisen, Frau Däubler-Gmelin, dass sich der Antrag der CDU/CSU-Fraktion auch mit der Sicherung der Welternährung befasst. Wenn wir diese Aufgabe Ernst nehmen, dann spielt die Wahlfreiheit, die nur in satten Gesellschaften, nicht aber in der Dritten Welt ein Thema ist, in diesem Zusammenhang keine Rolle.

   Das gilt auch für die Kennzeichnungspflicht. Sind Ihnen die Zahlen bekannt, wie viele Menschen in den ärmsten Ländern der Erde lesen und schreiben können? Was hilft diesen Menschen eine Kennzeichnung, wenn sie hungrig sind und nicht lesen können?

   Sie sprechen Punkte an, die in der Auseinandersetzung in Deutschland an Relevanz gewonnen haben, weil wir eine reiche und satte Gesellschaft sind und es uns leisten können, die Trennung von aus transgenen Pflanzen und aus anderen Pflanzen hergestellten Lebensmitteln zu fordern.

   Ich bitte Sie herzlich, das Thema Welternährung in den Mittelpunkt zu stellen, statt sich an Fragen abzukämpfen, die nur in der Auseinandersetzung innerhalb Deutschlands ein Rolle spielen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Zur Erwiderung hat nun Frau Kollegin Dr. Däubler-Gmelin das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Frau Happach-Kasan, Sie wissen, dass ich immer für Ratschläge dankbar bin. Aber darf ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf den letzten Spiegelpunkt auf Seite 3 des Antrags der CDU/CSU lenken. Dort wird auf die Frage der Kennzeichnung ziemlich ausführlich eingegangen. Darauf habe ich mich bezogen. Vielleicht sollten Sie - wenn ich das zurückgeben darf - den Antrag einfach einmal lesen. Dann werden Sie feststellen, dass die Frage der Kennzeichnung sehr wohl angesprochen wird. Dort, wo der Kennzeichnungsschwellenwert als klare Voraussetzung für Wahlfreiheit und Koexistenz eine Rolle spielen sollte, muss man sich festlegen. Man kann man nicht argumentieren - das tun Sie bedauerlicherweise -: Einerseits, andererseits, ich meine aber gar nichts! Wer so verfährt, nimmt unseren Bauern jede Chance für Wahlfreiheit und Koexistenz.

   Ich darf Sie darauf hinweisen, dass zum Beispiel der Träger des Alternativen Nobelpreises des letzten Jahres, ein Biologe und Genetiker aus Äthiopien, der sicherlich auch Ihren strengen fachlichen Ansprüchen genügt, sehr deutlich die Mängel des Goldenen GV-Reises kritisiert hat. Er meinte auch, das die Grundsätze von Wahlfreiheit und Nichtabhängigkeit, auf die wir für unsere Bauern Wert legen, auch für die Bauern in den sich entwickelnden Ländern gelten müssten. Er wies auch deutlich auf die Probleme von GMO, beispielsweise für Auswirkungen auf die Sozialstruktur und die Abhängigkeit von gewerblichen Schutzrechten hin. Er befürchtet sogar, dass sich das Armutsproblem durch den Einsatz der grünen Gentechnik vielfach verschärfen werde - aber auch das ist zunächst nur eine Meinung -, und weist außerdem darauf hin, dass man die Bedeutung der Artenvielfalt, also der Biodiversität, selbstverständlich auch unter biologischen Gesichtspunkten zur Kenntnis zu nehmen habe. Das ist das, was auch ich tue und empfehle.

   Lassen Sie mich nochmals deutlich sagen, dass bei einem Schwellenwert über der technischen Nachweisbarkeit für die Kennzeichnung von Futtermitteln die Chancen für Wahlfreiheit und Koexistenz nicht mehr bestehen. Das ist so. Und darüber, welche der Erwartungen an Biotechnologie und grüne Gentechnik tatsächlich erfüllbar sein können, sollten wir - dafür habe ich plädiert - sehr sorgfältig beraten.

   Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt zu der Studie aus England ansprechen. Ich habe es mir angewöhnt, dass ich eine neue Studie - die jetzt vorliegende ist in der Tat im Internet zu bekommen und ist sehr dick - erst einmal lese und sie dann mit Kollegen und Fachleuten bespreche. Da die Studie aus England erst in dieser Woche veröffentlicht wurde, wird man noch Zeit benötigen, um sie genau einzuschätzen. Ich denke, dazu wird in unserem Ausschuss jede Möglichkeit bestehen. Wenn Sie, Frau Happach-Kasan, diese Studie offenbar per Handauflegen bewerten können, dann sage ich Ihnen: Ich kann das nicht und bisher hat nur Carlo Schmid so etwas geschafft.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Tagen trifft sich die FAO in Rom, um dort erneut über den „Kampf gegen den Hunger“ zu debattieren. Sie wird dort sicherlich die Forderungen betreffend die Nutzung der Bio- und Gentechnik fortschreiben, die sie bereits beim Weltgipfel im vergangenen Jahr formuliert hat. Frau Künast und Frau Däubler-Gmelin, auch das ist Bestandteil der Forderungen internationaler Organisationen. Warum wird genau dieser Punkt von Ihnen in allen Ihren Reden unterschlagen? Auch das sollten Sie eigentlich erwähnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn alle Fachleute kommen weltweit übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass diese Technologie in den nächsten Jahrzehnten wichtige Beiträge zur Ernährung der Weltbevölkerung leisten kann. Wir behaupten nicht, dass sie die Ernährung der Weltbevölkerung alleine sicherstellen kann. Aber sie kann, wie gesagt, einen Beitrag leisten. Wenn man sie verhindert, dann verhindert man auch eine positive Entwicklung.

   Zwei Entwicklungen stehen unverrückbar fest: Erstens. Die Weltbevölkerung wird sich in absehbarer Zeit mehr als verdoppeln. Zweitens. Die verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf wird auf weniger als die Hälfte zusammenschrumpfen. Als Fachleute behaupten wir nicht, dass diese Herausforderungen alleine mit der Biotechnik zu meistern seien. Aber sie werden auch nicht alleine durch Ihren Antrag zur Landreform sowie das, was Sie jetzt vorgetragen haben, gemeistert werden. Die Erfolge der grünen Revolution haben jedenfalls gezeigt, wie deutlich solche neuen Technologien zur Bekämpfung des Hungers beitragen können.

   Die Biotechnik steht noch am Anfang, obwohl sie bereits auf 60 Millionen Hektar eingesetzt wird. Aber sie bietet unendlich viele Möglichkeiten, die wir uns gerade erst zu erarbeiten beginnen. Trotzdem, Frau Künast, blockiert die Bundesregierung deren Erforschung, Entwicklung und Anwendung in Deutschland bereits seit Jahren. Was Sie eben zu den Grenzwerten vorgetragen haben, Frau Däubler-Gmelin, wird diese Blockade weiter erhöhen.

   Ich bringe Ihnen einmal eine Warnung der deutschen Wissenschaft zur Kenntnis, die aktuell an uns gerichtet worden ist: Mit diesen neuen Gentechnikregeln von Frau Künast wird Forschung zur grünen Gentechnik in Deutschland nicht mehr möglich sein. - Die Leute wissen, wovon Sie reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Inzwischen ist die Bundesregierung in sich völlig zerstritten. Die BMBF-Ministerin Bulmahn hat am Montag dieser Woche erklärt: Nach weltweiten Schätzungen wird im Jahr 2020 jede zweite Innovation mit einem biotechnologischen Verfahren zusammenhängen. - Der BMWA-Minister Clement - er war vorhin noch hier - sagte im Mai 2003 in Washington: Ich werde mit Nachdruck dafür eintreten, dass Europa sein De-facto-Moratorium bei gentechnisch veränderten Produkten aufgibt. - Liebe Frau Däubler-Gmelin, würden Sie sagen, dass auch diese beiden jede Seriosität in der Diskussion um dieses Thema vermissen lassen, oder haben Sie da eine andere Messlatte, als wenn Sie über uns reden?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die positiven Einstellungen werden durch die ideologische Verklemmung von BMVEL-Ministerin Künast ständig ausgebremst und konterkariert. Die Ministerin redet öffentlich zwar immer von Wahlfreiheit, meint damit aber wohl eher, dass sich jeder in diesem Lande ihrem einseitigen Weltbild völlig unterwerfen müsse.

(Albert Deß (CDU/CSU): Bevormundung meint sie!)

   Sie haben uns vorhin vorgeworfen, dass wir Polemik in die Diskussion hineinbringen. Ich sage Ihnen: Die Rede von Frau Künast war eine einzige Attacke auf unseren Antrag und auf die Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU - Renate Künast, Bundesministerin: Das stimmt! - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist auch richtig so! - Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat er gut erkannt!)

   Ich will einige wenige Beispiele dazu vortragen, wie wir nach unserer Auffassung die Biotechnik hilfreich im Kampf gegen den Hunger einsetzen könnten. Ich meine, dass wir als Technologienation genau an dieser Stelle etwas leisten müssen, damit die Entwicklungsländer transgene Innovationen in ihren landesüblichen Pflanzenanbau einbringen können. Die Labors haben ja schon einiges entwickelt, zum Beispiel Süßkartoffeln mit einer eingebauten Virusresistenz, wodurch die heute üblichen Ertragsverluste von bis zu 80 Prozent vermieden werden können, oder Bananenpflanzen, die gegen den Sigatoka-Pilz resistent sind. Auf Hawaii ist der Papaya-Ringspot-Virus durch Gentechnik erfolgreich bekämpft worden.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Kein Viehfutter!)

Die Papayaproduktion auf Hawaii ist heute überhaupt nur noch möglich, weil eine solche Veränderung stattgefunden hat. Aber das interessiert Frau Künast natürlich nicht. Sie redet lieber mit anderen, statt sich solche Argumente anzuhören.

   Ein weiteres Beispiel ist die Bekämpfung der Wurzelunkräuter in der Saharazone in Afrika. Heute müssen die Menschen dort, im Wesentlichen die Kinder und die Frauen, jeden Tag auf das Feld gehen und diese Unkräuter von Hand ausreißen. Trotzdem müssen sie am Schluss einen Ernteverlust hinnehmen. Frau Däubler-Gmelin, wo ist da Ihr Blick auf die Sozialstruktur? Haben Sie auch einmal über dieses Thema nachgedacht?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es gibt eine ganze Menge Möglichkeiten, die bereits vorhandenen Entwicklungen auch zum Nutzen der Entwicklungsländer umzusetzen, aber wir müssen etwas dafür tun. Da frage ich Sie, Frau Künast: Wo sind der Beitrag Ihres Ministeriums und der Beitrag Deutschlands als Forschungsnation, um den Entwicklungsländern in dieser Frage zu helfen? Eines ist doch klar: Die großen privaten internationalen Organisationen kümmern sich zunächst um die weit verbreiteten Nahrungsmittel, weil sie ja ihren Ertrag erzielen müssen. Aber wir mit unseren Universitäten und Institutionen hätten die Möglichkeit, etwas für die für die Entwicklungsländer so wichtigen Früchte und Nahrungsmittel zu entwickeln und mit ihnen gemeinsam so umzusetzen, dass diese Technik dort erfolgreich angewendet werden kann. Hier liegt unsere Aufgabe. Wir sollten einiges tun, um den Entwicklungsländern, wie Sie gesagt haben, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

   Gerade die kleinen Landwirte dort brauchen keine neue technische Ausstattung. Sie müssen keine großen Kapitalinvestionen vornehmen, um mit dem biotechnisch fortentwickelten Saatgut Erfolge erzielen zu können. Es geht doch nicht an, dass wir uns verpflichten, den Entwicklungsländern zu helfen - in der letzten Woche haben wir den Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll von Cartagena verabschiedet -, und gleichzeitig, wenn es um diese Fragen geht, außen vor bleiben und lieber über Bürokratieabbau in Deutschland statt über Erfolge für die Entwicklungsländer diskutieren. Hier sind wir in der Pflicht und hier muss die Bundesregierung endlich etwas tun.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP))

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion.

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Hunger in der Welt bekämpfen, das ist eine Vorstellung, die wir alle teilen. Den Hunger in der Welt mit grüner Gentechnologie bekämpfen, das ist eine große, eine sehr interessante Herausforderung. Aber ist es eine realistische Herausforderung? Diese Frage muss erlaubt sein. Ist der Hunger in der Welt zum Beispiel nicht eher - Frau Ministerin Künast und auch Herta Däubler-Gmelin haben darauf hingewiesen - ein Problem der ungerechten Verteilung? Müsste dieses Problem nicht politisch gelöst werden?

(Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Auch!)

Kann man ein politisches Problem mit einer technischen Antwort lösen?

(Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Unter anderem!)

Ich glaube, auch das ist eine interessante Frage.

   Ich habe meine Zweifel, ob grüne Gentechnologie die richtige Antwort auf diese Frage ist. Ich will das auch begründen. Wir haben einigen Optimismus gehört. Wenn man optimistisch ist, dann kann man sagen, dass der verstärkte Anbau gentechnisch veränderter Organismen und Nahrungsmittel die Produktion der Entwicklungsländer erhöhen könnte. Aber ist diese optimistische Sicht realistisch? Ich stelle diese Frage, weil der Zeitraum der Erfahrungen, die wir mit grüner Gentechnologie haben, gemessen an der Evolution sehr klein ist. Ist es nicht geradezu notwendig, Pro und Kontra in einer Angelegenheit, die möglicherweise nicht rückholbar ist, abzuwägen?

   Herr Carstensen und Sie von der FDP haben heute wie üblich behauptet, wir seien vorurteilsbehaftet und ideologieverblendet. Es wird langsam langweilig. Es war fast herausragend, dass Herr Heiderich auch einmal ein paar positive Beispiele genannt hat. Ich will Ihnen einige Argumente nennen, die mindestens zum Nachdenken anregen sollten.

   Mein Kollege Ernst Ulrich von Weizsäcker hat letzte Woche von dieser Stelle von seiner Reise nach Indien in diesem Monat berichtet. Er traf dort Bauern, die eine gentechnisch veränderte Baumwollart anpflanzen. Dieser Baumwollart wurde ein Gen aus einem Bodenbakterium eingepflanzt, das das Insektizid gegen den ärgsten Feind selbst produziert. Dieses Saatgut ist zwar viermal so teuer wie das bisher verwandte konventionelle; aber die Mittel für die höheren Kosten sollten dadurch wieder hereinkommen, dass die Bauern weniger Pestizide einsetzen müssen.

   Diese Rechnung ist nicht aufgegangen; das Gegenteil ist eingetreten. Der Pestizideinsatz der Bauern ist größer geworden, weil auch andere Schädlinge auftraten, und der Ernteertrag war deutlich geringer als beim Einsatz des konventionellen Saatgutes. Den Schaden haben nun die Bauern in Indien, die weit weg von diesem Hause sind. Ich glaube, das muss man berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das Bt-Insektengiftgen ist übrigens eines der Vorzeigeprodukte der grünen Gentechnologie. Auch wird immer propagiert, wie sinnvoll der Einsatz des so genannten Bt-Maises gegen den ärgsten Feind des Maises, den Maiszünsler, sein könne. Man ist zunächst geneigt, zu glauben, dass man im Vergleich zu normalen Maispflanzen weniger Pestizide, also weniger Insektengift, ausbringen muss.

   Bt ist übrigens das einzige im ökologischen Landbau zugelassene Gift. Es wird bei Befall der Pflanzen in seiner inaktiven Kristallform auf die Felder versprüht. Erst im Magen der Insekten wird es - diese interessante Variante kennen wahrscheinlich die wenigsten - in die aktive, giftige Form umgewandelt. Wenn es von den Insekten nicht aufgenommen wird, dann wird es vom Sonnenlicht binnen weniger Stunden zerstört; das Gift kann nicht mehr aktiv werden und es bilden sich keine Resistenzen.

   Genau das ist der elementare Unterschied zum gentechnisch veränderten Mais; er produziert dieses Gift nämlich ständig in seiner aktiven Form. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Gift nach der Ernte im Pflanzenabfall noch persistent ist. Das führt schlicht und einfach dazu, dass die Gefahr sehr groß ist, dass die Schadinsekten Resistenzen ausbilden. Wenn Resistenzen ausgebildet werden, dann bedeutet das automatisch das Aus für den ökologischen Landbau und die Nutzung des Bt-Giftes.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Röspel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heiderich?

René Röspel (SPD):

Ja.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Heiderich, bitte, Sie haben das Wort.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Herr Kollege Röspel, da Sie hier über die Frage des Bt-Maises sprechen, sind Ihnen sicherlich auch die Studien aus Nordamerika bekannt, die genau zu diesem Problem der Resistenzen gemacht worden sind. Im Endergebnis hat man in allen Studien festgestellt, dass es selbst dort nicht zu solchen Resistenzen gekommen ist, wo man keine Refuges, also Bt-Mais-freien Zonen, eingerichtet hat. So hat sich das Problem, das Sie eben angesprochen haben, in der landwirtschaftlichen Praxis nicht bewahrheitet.

René Röspel (SPD):

Das stimmt in dieser Konsequenz nicht. Es gibt zwar in der Tat diese Studien, es gibt aber auch andere Studien, die zu anderen Ergebnissen gekommen sind. Das hat dazu geführt, dass die US-amerikanische Umweltbehörde, die für die Zulassung zuständig ist, die EPA, den Anbau von Bt-Mais nur zulässt, wenn ein Insektenresistenz-Managementprogramm nachgewiesen wird. Das wiederum beinhaltet, dass auf 20 Prozent jeder Anbaufläche konventioneller Mais angebaut werden muss. Der wissenschaftliche Beirat bei der EPA hat übrigens einen Anteil von 50 Prozent gefordert, das heißt, man hätte auf der Hälfte der Fläche konventionellen Mais anbauen müssen, um sicherstellen zu können, dass es zu keinen Resistenzen kommt. Gerade aufgrund der Erkenntnisse in den USA, dass es Resistenzen gibt, hat die EPA, die nun wirklich nicht technikfeindlich ist, dieses Management in den USA vorgeschrieben.

   An diesem Punkt wird deutlich, dass diese Technologie schlicht und einfach nicht dazu geeignet ist, unter in Entwicklungsländern herrschenden Bedingungen angewandt zu werden. Dort gibt es in der Regel wenig große Flächen. Außerdem setzt diese Technologie ein Vorgehen und eine Kenntnis von Landwirtschaft voraus, die üblicherweise in den kleinbäuerlichen Strukturen nicht vorhanden sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt übrigens andere Wege - es wird ja immer nach Alternativen gefragt -: 65 000 Kleinbauern in Bangladesh versuchen künftig, ohne Chemie Landwirtschaft zu betreiben, das heißt auch ohne Abhängigkeit von Importen und großen Konzernen. Sie bauen im Wechsel Früchte wie Zwiebeln, Knoblauch, Rettich, Linsen, Kartoffeln, Kürbisse und Zuckerrohr an. Statt Kunstdünger nehmen sie stickstoffhaltige Hülsenfrüchte oder Wasserhyazinthen; man kann immer noch dazulernen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie bezeichnen in Ihrem Antrag an anderer Stelle - das haben wir heute schon mehrfach gehört - den so genannten goldenen Reis als mögliche Waffe gegen Vitamin-A-Mangel, der ja leider sehr häufig Kinder in der Dritten Welt betrifft. Was ist das nun für ein Reis? In diesen hat man gentechnisch Betacarotinmoleküle eingebaut, die die Vorstufe von Vitamin A darstellen. Die Chemiker und Biologen, verehrte Kollegin von der FDP, wissen, dass Betacarotin ein fettlösliches Molekül ist. Das heißt, Sie können es nur für den Körper verfügbar machen, wenn Sie geeignete fettreiche Nahrung zu sich nehmen. Deswegen essen wir den Salat mit Öl, um diese Moleküle überhaupt mobilisieren zu können. Nun gibt es aber gerade in den Bereichen, wo Vitamin-A-Mangel kombiniert mit anderen Mangelerscheinungen auftritt, keine Möglichkeit, sich fettreich zu ernähren. Das heißt, wer will, dass Golden Rice als Mittel gegen Mangelerscheinungen geliefert und angebaut wird, muss auch für fettreiche Ernährung sorgen, damit dessen Wirkungen überhaupt mobilisiert werden können. Ansonsten wird Betacarotin vom Körper ausgeschieden, ohne dass es in Vitamin A umgewandelt wurde. Das ist schlicht und einfach wissenschaftliche Erkenntnis, die berücksichtigt werden muss. Golden Rice bringt also auch Schwierigkeiten mit sich.

   Das Verrückte an dieser ganzen Geschichte ist: Der ursprünglich in den Entwicklungsländern angebaute Reis, der braune Reis, enthält in seiner Schale genug Betacarotin und sogar Vitamin A. Er ist aber von dem in der westlichen Zivilisation bevorzugten weißen Reis verdrängt worden. Dadurch, dass kein brauner Reis mehr angebaut bzw. dieser nicht mehr ungeschält gegessen wird, entstand das Vitamin-A-Problem.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Eines ist allen Technologien gemeinsam, die wir in die Dritte Welt exportieren: Sie werden einheimische, standortgerechte, bodenständige, traditionelle Verfahren und Saatgute verdrängen und neue Abhängigkeiten von großen Konzernen der ersten Welt schaffen und wahrscheinlich kleinbäuerliche Strukturen dauerhaft zerstören. Es ist nicht zu erwarten, dass diese teure Technologie den Entwicklungsländern dauerhaft gratis zur Verfügung gestellt wird. Das Eigeninteresse der Industrieländer wird natürlich bestehen bleiben. Einige Kollegen und ich haben das gestern wieder direkt erfahren können.

   Wir hatten Besuch von einem Reisbauern aus Thailand. Dieser Besuch wurde vermittelt von einer Organisation, die nicht unbedingt verdächtig ist, der Gentechnik mit Vorurteilen zu begegnen, nämlich von Misereor, dem Hilfswerk der katholischen Kirche. Dieser Reisbauer aus Thailand hat uns nicht nur die Situation seiner Familie, sondern auch die Situation von 5 Millionen Kleinbauern in der Region, in der er lebt, geschildert. Diese Bauern leben vom Anbau des Jasminreises. Das ist ein Reis mit einem besonderen Aroma, der in die USA exportiert wird. Damit erzielen die Bauern einen Teil ihrer Erlöse.

   Die USA versuchen nun im Rahmen eines Forschungsprojekts, diesen Reis mit gentechnischen Verfahren an die klimatischen Bedingungen in den USA anzupassen. Gelingt der Anbau in den USA, wird den thailändischen Bauern die Existenzgrundlage entzogen. Dann werden wir wieder eine Debatte führen und uns wahrscheinlich überlegen, mit welchen gentechnischen Methoden wir diesen Bauern helfen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Regelmäßig erscheinen neue wissenschaftliche Arbeiten zu den Auswirkungen der Gentechnologie auf die Umwelt, manchmal mit gegensätzlichen Aussagen: Mendelsohn et al. relativieren in der September-Ausgabe von „Nature Biotechnology“ die Auswirkungen von Bt-Pflanzen auf die Umwelt. In Großbritannien gibt es die weltweit größte Studie zu den Auswirkungen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Im Rahmen dieser Studie wird von massiven Auswirkungen auf die Vielfalt von Ackerkräutern und auf die Insektenfauna gesprochen. Wir wissen also nicht eindeutig, welche Folgen das Ausbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen in die Natur haben kann.

   Ich habe vor einigen Wochen zusammen mit Herrn Bundestagspräsident Thierse von der Aktion „Mensch“ das Ergebnis der Kampagne „www.1000fragen.de“ überreicht bekommen. Eine der Fragen hat mich sehr beeindruckt: Dürfen wir ein Spiel spielen, dessen Regeln wir nicht verstehen? Wenn wir nicht wissen, welche Konsequenzen es haben kann, ein Gen aus einem Bodenbakterium in eine höhere Pflanze einzubauen, ist es dann nicht sinnvoller, eher zurückhaltend zu sein? Sollten wir nicht gerade gegenüber den Entwicklungsländern aufhören, zu glauben, dass unsere Technologie besser sei als ihre Tradition?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Mein letzter Punkt. Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass Gentechnik helfen könnte, Pflanzen zum Beispiel gegen Salz toleranter zu machen. Vielleicht sind die Entwicklungsländer schon weiter, als wir glauben. Ein thailändischer Forscher hat sich die 7 000 einheimischen Reissorten vorgenommen und hat 230 Varietäten unter salzhaltigen Bedingungen in seinem Institut angebaut. Vier Sorten haben diese salzhaltigen Bedingungen ertragen. In ihrem Anbau liegt die Zukunft in dieser salzhaltigen Region: ohne Gentechnik und mit Sorten, die die einheimischen Bauern bezahlen können und die sie selbst vermehren können, weil diese Sorten seit Jahrhunderten an die dortigen Bedingungen angepasst sind.

   Ich hoffe, ich habe Ihnen ein wenig erläutern können, warum ich glaube, dass wir das Problem der Welternährung nicht technisch lösen können. Die wichtigsten Ursachen haben andere schon erwähnt. Technik hilft da wenig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Albert Deß, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Albert Deß (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Bedeutung der grünen Gentechnik für die Welternährung gibt Gelegenheit, auf die Chancen der modernen Biotechnologie hinzuweisen und die Öffentlichkeit erneut über die unsinnige Bremserrolle von Rot-Grün bei der Nutzung dieser Zukunftstechnologie aufzuklären.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Dass immer noch über 800 Millionen Menschen, hauptsächlich in den Entwicklungsländern, an Unterernährung leiden, ist schlichtweg ein Skandal. Neben eigenen Anstrengungen der betroffenen Länder ist die Völkergemeinschaft politisch und moralisch gefordert, alles zu tun, um die Eigenversorgung der von Unterernährung betroffenen Länder zu verbessern.

   Ein Mittel zur Hungerbekämpfung stellt ohne Zweifel der Einsatz der grünen Gentechnik zur Produktivitätssteigerung in den Entwicklungsländern dar. Diese moderne Technologie, Herr Kollege Röspel, ergänzt die konventionellen Verfahren zur Ertragssteigerung. Für eine gesicherte Ernährung der rasant wachsenden Weltbevölkerung ist der Einsatz der grünen Gentechnik unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jüngstes Beispiel ist die genetische Schaffung des so genannten Goldenen Reises - er wurde gerade schon angesprochen - durch Professor Ingo Potrykus von der Technischen Hochschule in Zürich und Professor Peter Beyer von der Universität Freiburg. Beide Biologen haben die Gene von Reispflanzen so verändert, dass sie Vitamin A produzieren. Diese revolutionäre Entwicklung ist für mehr als 2 Milliarden Menschen in der Dritten Welt, die sich hauptsächlich von Reis ernähren, von größter Bedeutung. 400 Millionen Menschen hat die einseitige Ernährung krank gemacht. Denn herkömmlichem Reis fehlt das lebenswichtige Vitamin A. Wegen dieses Vitaminmangels werden jedes Jahr rund eine halbe Million Kinder blind geboren.

   Wie das ZDF am 29. Juli 2003 in „Frontal 21“ eindrucksvoll berichtete, kann laut Professor Potrykus mit einer Tagesration von 200 Gramm von diesem Goldenen Reis der Vitamin-A-Mangel für rund 2 Milliarden Menschen beseitigt werden. Wenn hier behauptet wird, dass dadurch eine Abhängigkeit von Konzernen geschaffen werde, ist das - das sage ich mit aller Deutlichkeit - gerade in diesem Fall eine glatte Lüge und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser Goldene Reis geht kostenlos, ohne Einschränkungen und ohne irgendeine Limitierung an die Reiszüchter in den Entwicklungsländern und wird zurzeit weiterentwickelt, um dort die notwendigen lokalen und regionalen Sorten für die Bevölkerung herzustellen. Wie wollen Sie hier eine Abhängigkeit erklären, wenn die Patente kostenlos dorthin geliefert werden?

   Vitamin-Gene werden in traditionelle Reissorten eingekreuzt. Reisforscher sprechen von einem historischen Ereignis: Goldener Reis werde - Rot-Grün wird das nicht verhindern - die Gesundheit der Menschen verbessern. In den USA gelten die Erfinder schon als Nobelpreiskandidaten. Die Heimatländer der Erfinder aber, Deutschland und die Schweiz, bewilligen ihnen nicht einmal Forschungsgelder.

   So kann man mit seinen führenden Wissenschaftlern nicht umgehen. Deshalb fordere ich die rot-grüne Bundesregierung auf, ihre ideologischen Scheuklappen abzulegen und die Forscher Professor Ingo Potrykus und Professor Peter Beyer als Nobelpreisträger vorzuschlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die selbst ernannten Menschheitsbeglücker von Greenpeace aber kritisieren den Goldenen Reis als Trojanisches Pferd der Saatgutindustrie und beschwören angebliche Gefahren. Wie der genannte ZDF-Bericht zeigt, bringt Greenpeace aber nicht Frieden, sondern Unfrieden: So zerstörte kürzlich eine Greenpeace-Gruppe ein gentechnisches Versuchsfeld in Gotha, das vorher von den zuständigen Bundesbehörden genehmigt worden war. Wo, Frau Ministerin Künast, bleibt Ihre eindeutige Distanzierung von diesem Gesetzesbruch?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Frau Künast lehnt die Gentechnik als Mittel zur Hungerbekämpfung ab, schließt sich der Desinformation von Greenpeace an und behauptet in dieser ZDF-Sendung sogar, dass die grüne Gentechnik nur den Interessen der internationalen Saatguthersteller diene. Frau Künast, wenn Sie etwas für die Kleinbauern in der Dritten Welt tun wollen, dann - ich habe das gestern in der Ausschusssitzung angesprochen - müssen Sie sich bei der WTO für eine ganz andere Richtung einsetzen, als sie heute verhandelt wird. Denn wenn die Agrarmärkte vollständig liberalisiert werden, werden die Leidtragenden die Kleinbauern in den Entwicklungsländern sein, weil dann nur noch die Agrarkonzerne in den Industrieländern und in den Entwicklungsländern überleben werden. Aber dazu habe ich von Ihnen nichts gehört.

(Renate Künast, Bundesministerin: Was?)

   Biologen in der Dritten Welt halten die Ablehnung der grünen Gentechnik als Mittel zur Welthungerbekämpfung zu Recht für westliche Arroganz und werfen den Industrieländern vor, den weltweiten Hunger nicht ernst zu nehmen. Ein Professor aus Nairobi sagte in dieser Sendung:

Das reiche Europa hat die Wahl: Genfood - ja oder nein? Segen oder Fluch? - Hungerländer haben sie nicht.

   Wir sollten den Ländern, in denen Hunger herrscht, helfen, indem wir ihnen die Ergebnisse unserer Forschung kostenlos zur Verfügung stellen, damit sie den Hunger im eigenen Land besser bekämpfen können. Dies wäre wirkungsvolle Entwicklungshilfe.

   Eines sage ich in aller Deutlichkeit: Mit sozialistischen Ideen lässt sich der Hunger in der Welt nicht bekämpfen. Da kann mit grüner Gentechnik wesentlich mehr erreicht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wie unglaubwürdig die Bundesregierung ist, möchte ich an einem Beispiel darstellen. Bundeskanzler Schröder besuchte im Juni 2000 die Saatgutfirma KWS. Er sprach dort den Forschern und Unternehmern im Bereich der grünen Gentechnik höchstes Lob aus und bot ihnen an, dass der Staat und die Wirtschaft gemeinsam ein Anbau- und Forschungsprogramm fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist doch genau das Gegenteil von dem, was heute von Rot-Grün vorgetragen wird. Aber Widersprüche gehören zu dieser Bundesregierung; das sind wir gewohnt.

   Wir werden mit unserem Antrag dafür sorgen, dass in der Öffentlichkeit über die grüne Gentechnik im Zusammenhang mit der Welternährung sachgerecht diskutiert wird.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich ganz herzlich bei der CDU/CSU-Fraktion für die Möglichkeit, diese Debatte heute zu führen. Damit hört der Dank aber auch schon auf; denn ich finde Ihre Argumente wirklich gruselig. Sie sind voller Ideologie.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ihre Ideologie, die Sie unter dem Deckmantel, das Hungerproblem in der Welt - das nehme ich Ihnen übel - mit der Gentechnik lösen zu wollen, verbreiten, finde ich infam. Das ist ein leeres Versprechen, von dem keiner satt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich gehe noch einmal - eigentlich wollte ich es nicht tun - auf den Golden Rice, diese angebliche Wunderwaffe, ein. Erstens wird er - das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat hier nachgeforscht - nicht kostenlos abgegeben.

   Zweitens ist diese Art von Zwangsmedikation - das möchte ich den Ausführungen meines Kollegen Röspel hinzufügen - keineswegs positiv für die menschliche Gesundheit. In der EU wurden extra, von Deutschland unterstützt, Grenzwerte in Bezug auf Betacarotin eingeführt, weil die Verwendung von Betacarotin für die Gesundheit problematisch ist.

   Drittens beinhaltet das Recht auf Nahrung die Möglichkeit - damit komme ich noch einmal auf die WTO-Konferenz in Cancun zurück; das möchte ich den Ausführungen der Ministerin hinzufügen -, die Zwangsbeglückung in Form von gentechnisch veränderten Nahrungsmittelhilfe zurückzuweisen, wie das Sambia nach den Problemen, die in Mexiko bestehen, zu Recht getan hat. Das betrifft darüber hinaus die Aspekte der Nachhaltigkeit. Denn die Ackerflächen gehen doch aufgrund nicht standortgemäßer Bewirtschaftung verloren. Hier muss etwas getan werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Erneuerbare Energien wären zum Beispiel ein gutes Mittel, um die Armut in diesen Ländern bekämpfen zu helfen und die Hilfe zur Selbsthilfe voranzutreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Albert Deß (CDU/CSU): Gerade dazu brauchen wir die Gentechnik!)

   Den Ausführungen über Indien will ich hinzufügen: Dort ist gerade die gentechnisch veränderte Sorte eines Partners von Monsanto zurückgewiesen worden, weil sie die lokalen bzw. regionalen Sorten gefährdet, die eine bessere Resistenz gegen einen dort vorherrschenden Schädling haben.

   Damit komme ich zum Thema Resistenzen - Sie berücksichtigen offensichtlich überhaupt nicht die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse -: In den USA - davon hat der Kollege Röspel gesprochen - gibt es die Erkenntnis, dass es drei neue Mutationen gibt, und zwar im Zusammenhang mit dem Bt-Mais. Auch hier gibt es warnende Schilder, die in Anbaumanagementplänen gipfeln und die in allen betroffenen Ländern - auch bei uns - eingeführt werden müssten.

   Ich möchte auf die Studie aus Großbritannien zu sprechen kommen. Sie ist die aktuellste; einige Teile liegen seit längerem vor. In ihr werden wesentliche Punkte dargestellt: Erstens ist der Einsatz von gentechnisch veränderten Agrarprodukten und Lebensmitteln - das deckt sich übrigens mit unseren Erkenntnissen - unwirtschaftlich, weil sie unverkäuflich sind. Der Markt will sie nicht; der LEH lehnt sie ab.

(Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Das wissen Sie doch nicht!)

- Aber natürlich. Es gibt Dutzende von Untersuchungen in Großbritannien. - Sie sind zweitens unwirtschaftlich, weil sie nicht zu gesicherten höheren Erträgen führen; die entsprechenden Studien kann man zuhauf wiederholen. Zudem führen sie zu geringeren Kosten.

   Sie sind drittens umweltschädlich; sogar die Vögel sind bedroht. Die Auskreuzungen sind wesentlich bedrohlicher, als bisher angenommen. Bisher ging man von 800 bis 900 Metern aus. Jetzt ist in Großbritannien von 26 Kilometern die Rede. Das heißt, man muss diese Erkenntnisse einbeziehen.

   Das „Handelsblatt“ schreibt heute: „Die Gentechnik ist tot.“ Es verweist darauf, dass Monsanto Großbritannien verlassen hat. Ich sage einmal: Monsanto hat es wahrscheinlich getan, weil es sowieso pleite ist.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen - das ist für uns wichtig - klare Regelungen zur Sicherung der gentechnikfreien Produktion; dies ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Koalitionsvertrages. Sie ist die Voraussetzung für die Wahlfreiheit der Verbraucher, die Sie doch alle wollen. All das, was an gesetzlichen Rahmenbedingungen dazugehört, ist keine Formalität, sondern zwingende Notwendigkeit:

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

verursachergerechte Haftung, Standortregister, Monitoring, Schutz der ökologisch sensiblen Gebiete. All dies gehört zur Wahlfreiheit. Wer sich diesen Regelungen von der Industrieseite widersetzt - die uns immer gesagt hat, die Koexistenz sei möglich, jetzt aber plötzlich Zweifel äußert und anders lautende Aussagen trifft - der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass dies ein Angriff auf die Demokratie, die Souveränität der Menschen und die Freiheit von Unternehmern und Verbrauchern ist. Der Mensch ist, was er isst; das ist seine Intimsphäre. Wer sie verletzt, verletzt damit auch die Persönlichkeitsrechte des Menschen.

   Deswegen begrüßen wir mit allem Nachdruck, dass die Ministerin Künast in Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie ein neues Gentechnikgesetz

(Albert Deß (CDU/CSU): Ein Behinderungsgesetz!)

in die Diskussion und in die Ressortabstimmung gebracht hat. Ihnen, insbesondere denen, die vor allem die Wirtschaft im Auge haben, lege ich nahe, was die Bauern sagen. Sie sagen, sie brauchten den Frieden in den Dörfern, sie brauchten Schwellenwerte - die 0,1 Mikrogramm sind gerade nach den britischen Studien wichtig -,

(Albert Deß (CDU/CSU): Das sagt Greenpeace!)

die es in der Praxis ermöglichen, dass man die Food- und Feed-Verordnung tatsächlich einhalten kann. Ferner sagen die Bauern, sie wollten keine Kosten für diejenigen, die gentechnikfrei produzieren. Ich füge hinzu: Wir wollen auch nicht, dass der Bundeshaushalt mit weiteren Kosten belastet wird.

   Der Bundesverband für Verbraucherschutz lehnt ebenfalls jede Maßnahme ab, die die Wahlfreiheit der Verbraucher gefährden könnte.

   In diesem Sinne werden wir in die Diskussion gehen, um den Schutz der gentechnikfreien Produktion zunächst einmal national zu gewährleisten; die EU hat sich ja um Regelungen herumgedrückt.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir werden - auch unterstützt von der heutigen Diskussion; hier bin ich ganz zuversichtlich - damit erfolgreich sein.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christa Reichard, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich beginne mit einer Meldung von gestern: In Deutschland haben mittlerweile jedes fünfte Kind und jeder dritte Teenager Übergewicht. Die meisten essen zu viel, zu fett oder zu süß. Mit einer groß angelegten Kampagne will Bundesverbraucherministerin Renate Künast nun dem Übergewicht der Jugend in Deutschland zu Leibe rücken. Die Welternährungsorganisation meldet zur selben Zeit, dass über 800 Millionen Menschen an Hunger litten und weitere 1,5 Milliarden von Mangelernährung betroffen seien, und sagt, es seien verstärkte Anstrengungen erforderlich, um das Millenniumsziel überhaupt noch erreichen zu können. Diese Meldungen zeigen uns, dass sowohl der Mangel als auch der Überfluss Probleme bereiten.

   Wir können und dürfen nicht zusehen, wenn Millionen von Menschen hungern. Im Gegenteil, wir im reichen Norden stehen gerade deshalb in der Verantwortung, weil wir mit unserem wissenschaftlichen und technischen Know-how dazu beizutragen können, diese Not entscheidend zu lindern. Fruchtbares Ackerland ist in den meisten Entwicklungsländern ein knappes Gut, das durch Wüstenbildung sogar zusätzlich gefährdet ist. Daher muss auf derselben Fläche eine höhere Ernte erzielt werden, möglichst ohne Böden und Grundwasser stärker zu belasten. Dafür brauchen wir auch neue Ansätze und müssen die Erkenntnisse von Wissenschaft und Forschung für diese Aufgaben nutzbar machen. Natürlich sind gute Regierungsführung, der Zugang zu Wasser und Land und funktionierende Märkte von großer Bedeutung; das will hier niemand in Frage stellen. Aber es wird eben auch die grüne Gentechnik gebraucht. Sie schließt keine der anderen Strategien aus.

   Mit unserem Antrag wollen wir besonders die Chancen der grünen Gentechnik bei der Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung in den Mittelpunkt einer parlamentarischen Debatte stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Durch gentechnische Methoden können Pflanzen gegen tierische Schädlinge, aber auch gegen Virus- und Pilzerkrankungen resistent werden. Der Verlust von Ernten ließe sich entscheidend reduzieren. Gentechnik kann helfen, Pflanzen in Bezug auf Einflüsse von Dürre und Salz tolerant zu machen, sodass sie auch auf schlechten Böden besser wachsen können. Auch die Qualität von Nahrungsmitteln ließe sich deutlich verbessern.

   Wir haben es schon mehrfach gehört: Durch Vitaminanreicherung im Reis könnte die Kindersterblichkeit um etwa ein Viertel gesenkt werden. Das glaubt nicht irgendwer, sondern das ist die Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)

   Besonders hervorheben möchte ich die positiven Umweltaspekte. Resistente Pflanzen können zu einem deutlich reduzierten Einsatz von chemischen Pflanzenschutz- und mineralischen Düngemitteln führen. Dagegen spricht auch nicht das eine oder andere Beispiel, bei dem das nicht der Fall ist. Aber durch diese Technik erhalten wir Chancen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie helfen uns, Böden und Grundwasser vor Belastungen zu schützen.

   Ist Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, eigentlich klar, dass die grüne Gentechnik auch große Chancen für den Naturschutz bietet? Ertragreiche Sorten können helfen, die Rodung von Regenwäldern und Savannen zu verhindern. Sie leisten damit einen Beitrag zum Klimaschutz.

(Lachen des Abg. Matthias Weisheit (SPD))

- Das ist überhaupt nicht zum Lachen, Herr Kollege.

   Vor allem aus ideologischen Gründen verschließen Sie die Augen vor dieser Schlüsseltechnologie. Lassen Sie mich auf ein Beispiel aus meinem Wahlkreis verweisen.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dort sind die Regenwälder!)

Dort will die Bundesanstalt für Züchtungsforschung nach langjähriger, öffentlich finanzierter Forschung genveränderte Apfelbäume freisetzen, um die Resistenz gegen Schädlinge zu testen. Grüne Bundestagsabgeordnete kämpfen nun gegen die Freisetzung dieser Bäume und stellen damit den Erfolg dieser Investition infrage.

(Renate Künast, Bundesministerin: Das stimmt nicht!)

Um den Erhalt dieser Forschungseinrichtung hatte ich mich vor Jahren erfolgreich bemüht

(Beifall des Abg. Helmut Heiderich (CDU/CSU))

und bin über die zukunfts-, forschungs- und standortfeindliche Aktion dieser Abgeordneten entsetzt.

   Natürlich dürfen wir mögliche Risiken nicht außer Acht lassen. Auch die Risikobewertung muss Teil der Forschung sein und bleiben. Das ist doch selbstverständlich. Ich fordere die Bundesregierung auf, die Öffentlichkeit endlich objektiv und nicht einseitig über die grüne Gentechnik zu informieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich erwarte, dass das angekündigte 100-Millionen-Euro-Programm für Biotechnologieunternehmen, das am Montag dieser Woche verkündet wurde, auch für die Förderung der grünen Gentechnik eingesetzt wird.

   Angesichts der Potenziale der grünen Gentechnik für die Welternährung und die Umwelt ist eine Politik, welche Forschung, Entwicklung und Anwendung der grünen Gentechnik hemmt, einfach verantwortungslos. Wir haben die Chance, einen Beitrag gegen Hunger und Mangelernährung zu leisten. Nutzen wir sie!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Reinhold Hemker, SPD-Fraktion.

Reinhold Hemker (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im Antrag, über den wir heute debattieren, wird mit Recht auf den Welternährungsgipfel des Jahres 1996 und seine Abschlusserklärung verwiesen. Es wird im Antrag deutlich, dass die Nachfolgekonferenz im Jahr 2002 noch einmal die Brisanz der Welternährungskrise bewusst gemacht hat. In der Abschlusserklärung wurde auch betont, dass weltweit kaum Fortschritte erzielt wurden.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): So ist es!)

   Vor allem wurden die Rahmenbedingungen national und international nicht so verbessert, dass mit besseren Produktionsbedingungen für Nahrungsmittel sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu rechnen ist. Der im Antrag erwähnte so genannte versteckte Hunger, also Mangelernährung, konnte nicht eingeschränkt werden.

Die Bemühungen im Rahmen des Welternährungsprogramms, auf das verwiesen wird, für und in bestimmten Notstandsgebieten haben im Übrigen dazu beigetragen - zum Teil mit Miniüberlebensrationen aus gentechnisch verändertem Mais bzw. Soja -, dass die Zahl der Verhungerten bzw. Verhungernden vorübergehend zurückgegangen ist und weiter zurückgeht, Herr Carstensen. Allerdings wurden und werden damit keine Chancen für ein lebenswertes Leben eröffnet. Aber - das ist das Entscheidende - insgesamt ist die Produktions-, Verteilungs- und damit auch die Versorgungssituation zurzeit so, dass - darauf ist schon hingewiesen worden - die Ziele des Aktionsprogramms 2015 weltweit auch nicht annähernd erreicht werden können. Das ist das eigentliche Problem und der eigentliche Skandal.

   Ein Mangel an Nutzung der Chancen der grünen Gentechnik bestand und besteht in diesem Zusammenhang - so stellt es auch die FAO dar - nicht, wie es die CDU/CSU in ihrem Antrag direkt oder indirekt unterstellt. Aber es besteht nach wie vor ein Mangel darin, die Auswirkungen der Kolonialzeit abzustellen und die Bedingungen der Globalisierung sowie die ungerechte Welthandelsordnung mit tief sitzenden spürbaren strukturellen Problemen zu ändern. Dafür müssen wir uns einsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Stimmt! Gar keine Frage!)

   Hinzu kommt, dass sich die Besitz- und Eigentumsverhältnisse nicht geändert haben. Diese wurden oft sogar politisch und ökonomisch stabilisiert und verstärkt. Das ist ein weiterer Skandal. So führen zum Beispiel fehlende Bestimmungen über Mindestbetriebsflächen, das Fehlen einer Grundsteuer in vielen Ländern, fehlgeleitete Subventionen und Steuervorteile und die allgemeine Orientierung der bestimmenden Gesetze am Prinzip des Großfarmbetriebes weiterhin zu einer ungerechten Landverteilung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Deß?

Reinhold Hemker (SPD):

Gerne.

Albert Deß (CDU/CSU):

Herr Kollege Hemker, ich bin Ihrer Meinung, dass in vielen Entwicklungsländern die Besitz- und Eigentumsverhältnisse nicht in Ordnung sind. Aber sind Sie mit mir der Meinung, dass in Simbabwe durch die Veränderung der Besitzverhältnisse, die dort vorgenommen worden ist bzw. wird, die Ernährungssicherung für das Land verstärkt wird, sodass dort die Einkommenssituation der Bevölkerung verbessert wird?

Reinhold Hemker (SPD):

Lieber Kollege Deß, Sie wissen, dass ich in letzter Zeit an der Erarbeitung vieler Anträge beteiligt war, in denen auf die skandalöse Landverteilung sowie die daraus resultierenden Konflikte hingewiesen worden ist. Einen solchen Konflikt gibt es in der Tat in Simbabwe im Zusammenhang mit den schlimmen und ungerechten Methoden des Regimes und der Mobilisierung von jungen Kräften, den so genannten Green Bombers, die abseits aller gesellschaftlichen Strukturen gelebt haben und deswegen mobilisiert werden können. Genau deswegen - darauf verweise ich noch einmal - geht es darum, die strukturellen Bedingungen grundsätzlich zu verbessern,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit nicht Diktatoren oder solche Leute wie in Simbabwe, zum Beispiel Herr Mugabe, diese Menschen mobilisieren können. Das ist unser Anliegen. Darum geht es bei jeder Welternährungsdebatte.

   Es muss klar sein, dass der größte Teil der Bevölkerung - das gilt und galt übrigens auch in Simbabwe - keinen direkten Zugang zu eigenen nutzbaren Landflächen hat. Oder sie haben wie in vielen Entwicklungsländern viel zu kleine Flächen - und dann auch noch ohne Besitztitel - für eine angemessene, effiziente Produktion.

   Daraus folgt nicht nur für mich - darüber müssen wir bei einem solchen Antrag wie dem heute vorliegenden diskutieren -: Die Welternährungskrise ist vor allem durch strukturelle Probleme bedingt. Dieser Aspekt muss folglich auch bei den Reformbemühungen als wesentliche Ursache berücksichtigt werden, an denen sich im Übrigen unser Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seit fünf Jahren international und national sehr intensiv beteiligen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Neben dem Regelungsrahmen der Konvention über biologische Vielfalt und des Cartagena-Protokolls - darüber wurde hier vor einiger Zeit debattiert - ist für die Reformen, die Lösungsansätze und Programme die Vereinbarung für die Schaffung eines internationalen Rechts auf Nahrung von entscheidender Bedeutung. Lieber Kollege Carstensen, dazu haben wir im Übrigen vor einigen Monaten bereits einen Antrag vorgelegt.

   Ich hoffe nun, dass durch den Druck der USA und der international im GVO-Bereich tätigen Konzerne die anstehenden Vereinbarungen nicht aus wirtschaftlichen und politischen Eigeninteressen boykottiert und das Setzen auf GVO-Produkte einseitig verfolgt wird, wie das teilweise in der Vergangenheit der Fall war.

   Für die Lösungen bedarf es politischer Entscheidungen für umfassende Agrar- und Bodennutzungsreformen, die nicht durch ein einseitiges - da bedanke ich mich insbesondere bei dem Kollegen René Röspel, weil er die Details schon dargestellt hat - technisches Konzept ersetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Hinzu kommt: Politische Entscheidungen zur Bekämpfung der Welternährungskrise müssen zunächst in den Industrieländern getroffen werden; auch darauf ist schon hingewiesen worden. Diese müssen darauf zielen, dass Subventionen für solche Produkte Schritt für Schritt gekürzt werden, die von uns aus in den Export und in den Handel gehen, und dass der Import solcher Produkte gefördert wird, die mit dem Transfair-Siegel ausgestattet sind und die aus den Ländern der Dritten Welt zu uns kommen.

   Die Bekämpfung der Hungerkrise sollte also vor allem durch eine Optimierung der Landnutzung erfolgen, die unter anderem durch eine effektivere und am Standort ausgerichtete Gestaltung der Bodennutzung, durch Qualifizierung der Farmbesitzer und der Arbeiter, durch Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsaspektes und durch verbesserte Arbeitsbedingungen erreicht werden kann.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?

Reinhold Hemker (SPD):

Ja, gerne.

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU):

Herr Kollege Hemker, Sie wissen, dass ich Ihnen gerne zuhöre, weil Sie sehr sachkundig und sehr überlegt reden. Ich stimme Ihnen zu, dass bei der Bekämpfung des Hungers in der Welt eine ganze Reihe von Maßnahmen notwendig sind. Aber können Sie mir erläutern, warum Sie noch immer gegen eine dieser Maßnahmen in diesem großen Bündel, nämlich die technische Maßnahme Gentechnologie - sie stellt eine bestimmte Facette dar -, argumentieren?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Reinhold Hemker (SPD):

Lieber Kollege Carstensen, Sie verweisen in Ihrem Antrag darauf - und zwar, wie ich finde, ein wenig kritisch -, dass sich zum Beispiel die Consultative Group of International Agricultural Research mit diesen Fragen beschäftigt. Weiter schränken Sie sich insoweit ein, als Sie sagen, insbesondere die Förderung der grünen Technologie müsse weiter ausgebaut werden, was auch die Einschätzung dieses Institutes ist. Dieses Institut wird übrigens von den USA gefördert; ich nenne nur die Rockefeller-Stiftung. Das müssen wir hier aber nicht im Detail besprechen, sondern können das auf die Ausschussberatungen verschieben.

   Sie erwähnen an dieser Stelle aber nicht, dass es eine Reihe von internationalen Instituten gibt, die sich zum Beispiel für die Weiterentwicklung traditioneller Saatgutsorten einsetzen und zum Beispiel durch Mischung oder durch Verzicht auf Monokulturen bessere Ergebnisse erreichen als diejenigen Institute, zu denen hier heute auch schon kritische Anmerkungen zu hören waren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Bei der Bekämpfung der Welternährungskrise geht es nicht nur darum, sich hinter die FAO und diese Institute zu stellen, sondern man muss sich zunächst auf die Rahmenbedingungen konzentrieren und darf nicht einen Teil besonders hervorheben und besonders positiv darstellen. Wir haben doch das Problem, lieber Kollege Carstensen, dass für all die Maßnahmen zur Bodennutzungs- und Landreform und zur Unterstützung der internationalen Institute noch kein Geld vorhanden ist, aber dass sich auf der anderen Seite viele Konzerne mit Unterstützung zum Beispiel der US-amerikanischen Regierung oder der kanadischen Regierung dafür einsetzen, die grüne Gentechnik weiter nach vorne zu bringen. Eigentlich besteht gar kein Mangel bei der Förderung der grünen Gentechnik. Stattdessen sollte etwas mehr für die Verbesserung der Rahmenbedingungen getan werden. Das ist ein anderer Ansatz.

   Sie haben vorhin darauf hingewiesen, wir hätten zu dieser Frage keine parlamentarischen Initiativen entwickelt. Das stimmt einfach nicht. Sie haben in Ihrer Intervention eben sogar Initiativen genannt. Wir haben vor den Verhandlungen in Cancun einen sehr umfangreichen Antrag vorgelegt, in dem wir auf die Rahmenbedingungen eingegangen sind. Wir haben einen Antrag zur Bodennutzungs- und Landreform vorgelegt; darüber haben wir gestern im Fachausschuss sogar noch gesprochen. Es gibt darüber hinaus einen Antrag von uns - er ist noch nicht in der parlamentarischen Beratung, ist aber schon eingebracht -, der sich mit der Frage Recht auf Nahrung beschäftigt; darauf hat Frau Ministerin Künast in ihrer Eingangsrede dankenswerterweise hingewiesen. So gesehen, lieber Kollege Carstensen, haben wir das Gesamtkonzept dargestellt; in diesem Zusammenhang wäre auch über Ihren Antrag zu diskutieren. Aber dass Sie diese Diskussion so eng führen, das lehnen wir ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte Ihnen deswegen sagen: Es kommt jetzt darauf an, dass wir dies in der parlamentarischen Debatte und dann in den Debatten in den Ausschüssen deutlicher machen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Hemker, sehen Sie bitte einmal auf die Uhr.

Reinhold Hemker (SPD):

Ich beantworte doch die Frage des Kollegen Carstensen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nein, Sie beantworten die Frage des Kollegen Carstensen schon lange nicht mehr. Ich habe genau darauf geachtet, dass die Uhr während Ihrer Beantwortung angehalten wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Reinhold Hemker (SPD):

Ich war der Meinung, dass ich noch die Frage beantwortet habe.

   Ich werde dem Kollegen Carstensen dies im Ausschuss noch einmal erläutern, damit er versteht, in welchem Gesamtzusammenhang nicht nur mein, sondern unser politisches Engagement steht.

   Ich komme zum Abschluss.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nein, Herr Kollege Hemker, Ihre Redezeit ist deutlich abgelaufen. Bitte schließen Sie schnell ab.

Reinhold Hemker (SPD):

Ja, ich schließe mit drei ganz kurzen Hinweisen aus einem Papier ab.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Hemker, ich lasse diese drei kurzen Hinweise nicht mehr zu. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Reinhold Hemker (SPD):

Gut.

   Dann sage ich nur noch: FAO ist eben nicht nur GMO

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Aus ist aus, Hemker!)

und Welternährung ist mehr als Gentechnik. Schauen Sie sich die Erklärung von „Misereor“ und „Brot für die Welt“ sehr genau an!

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ausschalten!)

Dort wurden kritische Anmerkungen für die Öffentlichkeit gemacht.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Voodoo, Zauberei, schwarze Magie, Hexenwerk - manchmal könnte man meinen, man spräche von solchen Machwerken, wenn die grüne Gentechnik angeschnitten wird.

   Mittlerweile sind wir weit davon entfernt, sachlich über die Gentechnik - gar nicht zu sprechen von der grünen Gentechnik - diskutieren zu können. Ich muss sagen: leider. Die Medien spielen auf dieser Klaviatur ebenso gerne mit. Horrorszenarien werden aufgemalt und damit Emotionen sowie Ressentiments in der Bevölkerung geschürt, die für meine Begriffe der Sache nicht gerecht werden, sondern ihr eher schaden.

   Die Prämisse der Bundesregierung, unter der sie ihre Haltung zu diesem Thema darlegt, scheint Handeln durch Nichthandeln zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Albert Deß (CDU/CSU): Das sind wir von dieser Regierung schon gewohnt! - Uta Zapf (SPD): Na, na, na!)

Im Falle des De-facto-Moratoriums auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung ebenso durch Nichtstun geglänzt. Der Vorstoß von Wirtschaftsminister Clement in diesem Frühjahr war, wie ich meine, richtig. Was ist damit geschehen? Er wurde unter Protest von Rot-Grün begraben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):

Ja, gerne.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Kollegin, im „Handelsblatt“ steht heute, dass die Versicherungen in Großbritannien das Risiko im Zusammenhang mit der Gentechnik ähnlich bewerten wie das Risiko des Terrorismus oder die Gefährdungen durch Contergan und ähnliche Dinge. Würden Sie das auch als Voodoo bezeichnen?

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Das ist das, was sie meinte!)

Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):

Das bezeichne ich nicht als Voodoo, aber es passt zu dem, was ich vorhin gesagt habe, dass Medien nämlich sehr gerne - fast ausschließlich und in erster Linie - Horrorszenarien aufnehmen. Deshalb wurde das logischerweise auch als Erstes aufgenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Im Übrigen stellt unsere Frau Ministerin für Verbraucherschutz Künast Unternehmen der Biotechnologie öffentlich an den Pranger. Frau Ministerin Künast, das haben Sie auch heute wieder getan. Haben Sie unseren Antrag überhaupt gelesen? Sie haben nämlich nur herzlich wenig dazu gesagt, dass die grüne Gentechnik als Chance begriffen werden kann. Lehrer würden in diesem Zusammenhang sagen: Thema verfehlt.

   Sie haben mit Recht auf Risiken hingewiesen. Chancen, die zweifelsohne auch vorhanden sind, haben Sie aber mit keinem Wort erwähnt. Sie haben es ungeprüft abgelehnt, zur Kenntnis zu nehmen, dass Chancen existieren. Das halte ich für Ideologie pur.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es ist der falsche Weg, Unternehmen der Biotechnologie schlechtzureden. Die deutschen Unternehmen der Biotechnologie verlieren ihre Kompetenz, betroffene Unternehmen wandern ins Ausland ab und der Standort Deutschland ist um Arbeitsplätze wesentlich ärmer. Dies nimmt die Bundesregierung billigend in Kauf. Das ist eine falsche Politik. Sie hilft Deutschland nicht und sie verdeckt die vorhandenen Chancen der grünen Gentechnik völlig.

Die Politik ist ideologisch motiviert. Uns, liebe Frau Kollegin Höfken, Ideologie vorzuwerfen halte ich doch für etwas verfehlt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich plädiere daher vehement dafür, dass wir zu einer sachlichen und offenen Auseinandersetzung über das Thema zurückkehren. Dabei - das sehe ich genauso wie Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün - dürfen die Risiken nicht außen vor bleiben. Jede Medaille hat zwei Seiten, auch diese. Es lohnt sich, beide zu betrachten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Deß?

Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):

Gerne.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Ach, um die Ecke!)

Albert Deß (CDU/CSU):

Frau Kollegin Pfeiffer, ich habe vor kurzem gelesen, dass die Grünen vor etwa 20 Jahren einen Parteitagsbeschluss gefasst haben, mit dem sie sich gegen die Einführung der EDV-Technik ausgesprochen haben. Meine Frage ist: Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Grünen mit ihrem Widerstand gegen die grüne Biotechnologie weltweit genauso scheitern werden, wie sie mit ihrem Widerstand gegen die Einführung der EDV-Technik gescheitert sind?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):

Herr Kollege Deß, jeder, der Zukunft nicht zur Kenntnis nimmt, jeder, der, ideologisch verbrämt, sich die Zukunft selbst verbaut, jeder, der Zukunftstechnologien nicht als Chance begreift, wird zwangsläufig scheitern; das ist keine Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU - Albert Deß (CDU/CSU): So sehe ich das auch!)

   Wir sind uns darin einig, werte Kolleginnen und Kollegen, dass die Themen Welternährung und Gesundheit, Hunger und Armut auch uns betreffen. Grüne Gentechnik kann unter anderem oder auch - das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen: unter anderem oder auch - als Ergänzung oder Lösung dafür dienen. Diese Ergänzungen zur Kenntnis zu nehmen ist, denke ich, auch Ihre Aufgabe, die Aufgabe von Rot-Grün. Dies sage ich auch im Anschluss an das, was Kollege Deß eben gesagt hat.

   Die grüne Gentechnik könnte dem versteckten Hunger den Kampf ansagen. Die vielfältigen Möglichkeiten muss Politik zur Kenntnis nehmen, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir dürfen sie nicht von vornhinein ablehnen. Es geht nicht an, dass wir sie nicht zur Kenntnis nehmen oder überhaupt nicht darüber diskutieren. Im Gegenteil: Man sollte ihnen in Teilbereichen nachgehen.

   Ich fordere Sie auf, genau das zu tun, nämlich von Ihrer kategorischen Ablehnung zurückzukehren zu einer sachlich geführten Diskussion, damit wir nicht mehr über Hexenwerk, Teufelswerk, schwarze Magie und Ähnliches reden müssen.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Schwarze Magie ist keine Ideologie! Sie haben jetzt viermal „ideologisch“ gesagt, aber nicht ein einziges Sachargument geliefert!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1216 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 69. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 24. Oktober 2003,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15069
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