Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > INFORMATIONS-CENTER > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   92. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Vereinbarte Debatte zur aktuellen Europapolitik

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Angelica Schwall-Düren, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute Morgen über die Europapolitik und stehen am Beginn des Jahres 2004, eines Jahres, das ein Schicksalsjahr für die Europäische Union ist. Zehn weitere Staaten treten der Europäischen Union bei. Wir haben es mit einem großen Schritt zur europäischen Wiedervereinigung zu tun. Im Augenblick finden in New York noch Verhandlungen statt, um zu erreichen, dass Zypern als Ganzes in die Europäische Union eintreten kann. Gerade für ein Land mit einer Vergangenheit als geteiltes Land hoffen wir sehr, dass ein Erfolg erreicht werden kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dieses Jahr bringt Wahlen zum Europäischen Parlament. Ein neues Parlament, neue Kommissare, weitere zehn Kommissare werden dann die Zukunft unserer Europäischen Union gestalten und werden die Lösung der wichtigen Fragen der finanziellen Vorausschau, die im Jahr 2005 beschlossen werden muss, vorbereiten.

   Wir alle hatten gehofft, dass die Vertiefung der Europäischen Union vor der Erweiterung zu erreichen ist. Wir hoffen nun, dass noch in diesem Jahr die europäische Verfassung, aufbauend auf dem Ergebnis, das der Konvent vorgelegt hat, verabschiedet werden kann.

   Wir sind ganz optimistisch, dass die irische Ratspräsidentschaft etwas erreichen kann; denn sie arbeitet proaktiv und sie arbeitet dezent. Gespräche und Verhandlungen finden im Hintergrund statt. Die Kompromissmöglichkeiten sind in diesen Gesprächen auszuloten. Sie können nicht auf dem offenen Markt verhandelt werden.

   Wir wissen, dass in einem großen Teil Übereinstimmung erzielt worden ist. Die Teilnehmer an Regierungsgipfeln sprechen immer von 90 Prozent. Aber es gibt noch eine Reihe offener Fragen, für die sicherlich Lösungen gefunden werden können, wenn sich alle aufeinander zu bewegen.

   Der Hauptdissens betrifft das Prinzip der doppelten Mehrheit. Zunächst einmal will ich sagen, dass ich durchaus Verständnis für die Staaten habe, die sich auf die geltende Vertragsgrundlage von Nizza berufen. Spanien als langjähriges EU-Mitglied hat Erfahrung damit, Interessendivergenzen in diesem europäischen Prozess als Balance zwischen nationalen Interessen und europäischem Mehrwert auszuhandeln. Polen als Repräsentant einer Gruppe von Ländern, die über fünf Jahrzehnte praktisch keine Souveränität hatten, scheint sich zu erhoffen, dass Einfluss auch über Verhinderungsmöglichkeiten gesichert werden kann.

   Die Erfahrungen in der Europäischen Union lehren uns aber, dass mit zunehmender Zahl von Staaten die Entscheidungsfindung immer schwieriger wird. Eine größere EU mit ihren ehrgeizigen Zielen - denken wir nur einmal an die Lissabon-Strategie - wird noch mehr Handlungsfähigkeit als in der Vergangenheit brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist zusätzliche Effizienz - gerade zur Überwindung des Wohlstandsgefälles - dringend erforderlich. Diese zusätzliche Effizienz ist nicht nur in europäischem Interesse, sondern auch im Interesse Ungarns, Estlands, Polens und vieler anderer Staaten. Die Blockademinderheit muss überwunden werden, damit wir eine Gestaltungsmehrheit gewinnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Prinzip der doppelten Mehrheit können weder ein einzelnes Land noch eine Zweierachse noch ein Dreierdirektorium die anderen Länder majorisieren.

   Lassen Sie mich noch kurz etwas zu der nicht unkomplizierten Lage zwischen Deutschland und Polen sagen. Es ist in der Tat schmerzhaft, dass durch verschiedene Ereignisse des Jahres 2003 das bereits entstandene Vertrauensverhältnis zwischen Polen, unserem größten Nachbarn im Osten, und Deutschland gestört wurde. Die Schatten der Vergangenheit haben die Beziehungen wiederum überlagert. Ein unsensibler Umgang mit dem Thema Vertreibung durch den BdV, aber auch durch einige Kolleginnen von der CDU/CSU und Entschädigungsforderungen haben die Beziehungen nachhaltig beeinträchtigt. Wir alle wissen, dass die Regierung wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung diese Entschädigungsforderungen ablehnt. Wir haben die Bitte an Polen, zu erkennen, dass Deutschland seine Interessen ausschließlich in Übereinstimmung mit seinen Nachbarn umsetzen will und umsetzen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Im Juni finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Kollegen aus den neuen Mitgliedstaaten werden an der Arbeit in der Europäischen Union teilnehmen. Zehn neue Kommissare werden dabei sein. Die kommenden Jahre sind für die Umsetzung der Lissabon-Strategie entscheidend. Neben dem, was auf nationaler Ebene geleistet werden muss, ist und bleibt das Solidarprinzip in der Europäischen Union ein Prinzip, das für Kohäsion sorgt. Es gibt - man denke an Spanien und Irland - erfolgreiche Beispiele.

   Mit der Mitteilung der Europäischen Kommission über die politischen und haushaltspolitischen Prioritäten der erweiterten Europäischen Union für die Zeit 2007 bis 2013 und mit dem für die nächste Woche angekündigten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt hat die Debatte um die Zukunft der erweiterten Europäischen Union eine neue Dynamik erreicht. In der Diskussion über den Finanzrahmen geht es um die Frage, wie die erweiterte Union die Herausforderungen der Zukunft meistern und auf welchen Gebieten sie politische und finanzielle Schwerpunkte setzen will.

   Zu den wichtigsten Prioritäten gehören die erfolgreiche Integration der neuen Mitgliedstaaten, die Weiterführung einer erfolgreichen Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, die Reformierung der Agrarpolitik, neue Akzente in der Außen- und Sicherheitspolitik, im Bereich Justiz und Inneres und bei der Fortführung der Lissabon-Strategie. Es geht aber auch darum, wie hoch der EU-Haushalt insgesamt anwachsen soll, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, gleichzeitig aber die finanziellen Möglichkeiten der Mitgliedstaaten nicht zu überfordern. Angesichts der enormen Anstrengungen, die die meisten Mitglieder bei der Konsolidierung ihrer nationalen Haushalte zu bewältigen haben, darf diese Frage nicht ausgeblendet werden.

   Wir stimmen bei den politischen Prioritäten mit der Europäischen Kommission weitgehend überein; wir hätten uns bei der Ausgestaltung des Finanzrahmens aber mehr Realismus und Kohärenz gewünscht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Vorschläge der Kommission sehen nämlich ein deutliches Anwachsen des EU-Budgets vor. Das würde insbesondere die Hauptzahlerländer, Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Österreich, in hohem Maße belasten.

   Damit kein Zweifel aufkommt: Wir bekennen uns zur europäischen Solidarität; aber es gibt Grenzen der Belastbarkeit. Deshalb unterstützen wir die von der Bundesregierung angemahnte Begrenzung des EU-Haushaltes auf 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens.

   Meine Damen und Herren, die europäische Solidarität ist keine Einbahnstraße. Deswegen müssen auch die Staaten, die bisher von der europäischen Struktur- und Kohäsionspolitik profitiert und dadurch an wirtschaftlicher Stärke zugenommen haben, Einschnitte hinnehmen. Die bisherigen Empfängerländer müssen zusätzlich auf Mittel verzichten, denn Verlässlichkeit und Berechenbarkeit aufseiten der Empfänger und Zahler muss zugleich mit Zumutbarkeit für die europäischen Steuerzahler verknüpft werden.

   Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen: Es gibt einen eklatanten Widerspruch in der Argumentation der Europäischen Kommission. Während sie in der Diskussion um den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht anerkannt hat, dass die Haushaltseinschnitte negativen Einfluss auf die Wachstumsaussichten haben, erklärt uns die Europäische Kommission nun, dass eine drastische Ausweitung des EU-Haushaltes vorgenommen werden müsse, wolle man an dem Ziel der Stimulation des Wachstums festhalten. Wir müssen im weiteren Verlauf der Diskussion die Struktur- und Kohäsionspolitik sorgfältig analysieren und intensiv diskutieren. Netzwerke müssen gebildet und Synergieeffekte erreicht werden. Dann wird auch die weitere Entwicklung der EU positiv verlaufen.

(Beifall bei der SPD)

   Europa steht vor großen Herausforderungen: Die Integration von zehn Neumitgliedern muss gelingen. In drei Jahren steht der Beitritt von Bulgarien und Rumänien an. Die Transformation von Nachbarländern der EU muss im Interesse Europas aktiv unterstützt werden. Die schwierigen Verhandlungen für den Finanzrahmen 2007 bis 2013 müssen schnell abgeschlossen werden, weil dies Voraussetzung für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt der EU und für das Behaupten im internationalen Wettbewerb ist.

   Wir wünschen der irischen Ratspräsidentschaft viel Geschick und Glück bei den Verhandlungen über eine europäische Verfassung. Zugleich freue ich mich auf die Feiern zum Beitritt der neuen Mitgliedstaaten am 1. Mai dieses Jahres, die an vielen Orten in unserer so reichen Europäischen Union stattfinden werden.

   Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Altmaier, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Altmaier (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle freuen uns, dass in wenigen Wochen mit dem Beitritt von zehn neuen Staaten die Europäische Union einen großen Erfolg feiern und dass damit auch das Ende des Kalten Krieges in Europa offiziell besiegelt wird. Wir haben die Erweiterung in den letzten Jahren trotz der manchmal nicht einfachen Umstände gemeinsam über alle Parteigrenzen vorangetrieben und freuen uns nun mit den Bürgerinnen und Bürgern der neuen Mitgliedstaaten.

   Aber am Vorabend der Erweiterung steht die Europäische Union auch vor einer schweren Krise, möglicherweise der schwersten Krise seit langer Zeit. Die deutsche Bundesregierung steht inmitten dieser Krise hilflos und konzeptionslos da

(Widerspruch bei der SPD)

und wird von den übrigen Mitgliedstaaten - erstmals in der Geschichte der Europäischen Union - nicht als Teil der Lösung gesehen, sondern zunehmend als Teil des Problems.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Michael Roth (Heringen) (SPD): Das glaubst du doch selber nicht!)

Meine Damen und Herren, es gab in der Europäischen Union schon seit langer Zeit nicht mehr eine derartige Häufung von Spannungen, von Misstrauen, von Gegensätzen und von Polarisierungen wie in den letzten Monaten. Die Tendenz ist leider Gottes wachsend. Wir haben drei Bereiche, in denen eine starke Polarisierung herrscht, die die Europäische Union zu lähmen und ihre Handlungsfähigkeit zu beschädigen droht.

   Erstens. Es gibt eine Frontstellung zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten, geprägt von tiefem Misstrauen.

(Günter Gloser (SPD): Quatsch!)

Das fing im Konvent an und findet seine Fortsetzung bis in die jüngste Zeit. So wurde in den letzten Tagen vor einem Direktorium der großen Mitgliedstaaten gewarnt, das über die Köpfe der kleinen hinweg entscheidet.

Das betrifft nicht nur Italien, sondern auch die Niederlande und viele andere Mitgliedstaaten, mit denen wir seit Jahren und Jahrzehnten gute und enge Beziehungen unterhalten.

   Zweitens. Es gibt eine Frontstellung zwischen dem reichen Europa und dem armen Europa. Im Zusammenhang mit dem Finanzrahmen 2007 bis 2013 hat die Bundesregierung eine Debatte auf den öffentlichen Markt getragen, die dazu geführt hat, dass in der Europäischen Union Misstrauen entstanden ist, und zwar nicht in erster Linie zwischen Deutschland und Spanien, sondern zwischen Deutschland und den Staaten, die jetzt in die Europäische Union kommen und die zu Recht darauf bauen, dass wir sie bei ihrem Aufholprozess nach Kräften unterstützen.

   Drittens. Es gibt die alte Frontstellung zwischen dem alten und dem neuen Europa in der Irakkrise, bei der die deutsche Bundesregierung durch ihre einseitige Festlegung zu einem frühen Zeitpunkt verhindert hat, dass eine gemeinsame europäische Position zustande kommt. Wir haben den dadurch entstandenen Schaden im Übrigen im Konvent erlebt, wo es nicht möglich war, Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durchzusetzen. Wir sehen den Schaden auch jeden Tag bei den Beratungen mit unseren Bündnispartnern in der NATO und in der Europäischen Union.

   Meine Damen und Herren, es muss Ihnen doch auffallen, dass Deutschland zum ersten Mal in diesen ganzen Streitigkeiten nicht als Vermittler auftritt, nicht agiert, um Lösungen zustande zu bringen, sondern angesehen wird als jemand, der polarisiert und seine eigenen Interessen vertritt. Wenn Sie auf diese Art und Weise agieren, dann werden Sie den deutschen und europäischen Interessen nicht nutzen, sondern ihnen schaden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundesaußenminister, das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass jetzt eine Situation entsteht, in der all diese Probleme vermengt werden, in der Junktims entstehen, in der versucht wird, durch Zugeständnisse auf dem einen Gebiet Forderungen auf anderen Gebieten durchsetzen zu können. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass alles in einen Topf geworfen wird.

(Michael Roth (Heringen) (SPD): Das sagen Sie mal der CDU!)

Wir müssen dafür sorgen, dass ein Problem nach dem anderen gelöst wird. Deshalb appellieren wir an Sie - und bieten Ihnen unsere Unterstützung an -, alles zu tun, damit die europäische Verfassung, die Europa und seine Bürger dringend brauchen, noch vor den Europawahlen am 13. Juni dieses Jahres zustande kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Bundesaußenminister, wir wissen, das ist keine leichte Aufgabe. Aber sehen Sie, wir erwarten von den beiden Volksgruppen auf Zypern, dass sie vor der Europawahl und dem Beitritt der zehn neuen Staaten imstande sind, einen jahrzehntealten Konflikt zu lösen und sich wieder zu vereinigen. Dann muss es doch auch möglich sein, dass die Europäische Union den Streit über die Stimmenverteilung im Ministerrat in derselben Frist in annehmbarer und vorzeigbarer Weise löst und dazu beiträgt, dass die Verfassung verabschiedet werden und pünktlich in Kraft treten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Bei der Frage der Stimmengewichtung im Ministerrat geht es natürlich, wie bei anderen Fragen auch, um Interessen. Es geht aber auch um Vertrauen, das die Europäische Union braucht, und es geht um Regeln, die Effizienz gewährleisten sollen. Wir müssen, wenn wir das, was auf dem Gipfel in Brüssel vor Weihnachten geschehen ist, ändern wollen, versuchen, einen Kompromiss zu finden. Das heißt, die Spanier und die Polen müssen sich bewegen, aber auch wir Deutschen müssen uns bewegen, Herr Bundesaußenminister. Ich habe die Sorge, dass es uns genauso ergeht wie bei dem Gipfel in Brüssel: dass wir wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen und in diplomatischen Gesprächen versuchen, eine Lösung zu finden, sich aber niemand bewegt und es am Ende zu spät ist.

   Herr Bundesaußenminister, ich glaube, Sie würden einen großen Beitrag leisten, wenn Sie heute von dieser Stelle aus erklären: Alle müssen sich bewegen, auch wir. Entscheidend ist, dass letzten Endes ein Kompromiss gefunden wird, der dazu beiträgt, dass die Europäische Union handlungsfähig wird und Blockademinderheiten reduziert werden. Da möchte ich der Frau Kollegin Schwall-Düren ausdrücklich zustimmen; das muss unser gemeinsames Ziel sein.

   Meine Damen und Herren, in der Haushaltsfrage sind wir uns einig: Wir müssen auf allen Ebenen sparen, von der kommunalen Ebene über die Länder- bis hin zur Bundesebene. Das gilt natürlich auch für Europa. Aber eines geht nicht: dass Sie in Brüssel ständig neue Aufgaben und Zuständigkeiten für die Europäische Union beschließen und sich anschließend weigern, der Europäischen Union das Geld zur Verfügung zu stellen, das sie für diese Aufgaben und die Wahrnehmung der Zuständigkeiten braucht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir möchten daher ganz gerne von Ihnen wissen, wo denn gespart werden soll. Möchten Sie zulasten der neu hinzukommenden Länder sparen? Möchten Sie zulasten der neuen Bundesländer sparen? - Nein! Da sind wir uns einig. Wo wollen Sie also sparen? Wenn Sie dazu ein vernünftiges und überzeugendes Konzept vorlegen, dann werden Sie uns auf Ihrer Seite haben.

   Lassen Sie mich noch ein Problem ansprechen, das in diesen Tagen oft übersehen wird, aber ganz viele Menschen, was ihre persönliche Situation betrifft, berührt. Die Osterweiterung ist ein Experiment. In ihr liegt eine großartige Chance für die Europäische Union und für die Wirtschaft in den alten Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Aber natürlich sind damit auch Risiken verbunden. Wir haben diese Tatsache parteiübergreifend anerkannt, indem wir Übergangsfristen im Bereich der Freizügigkeit vereinbart haben. Mit dieser Erweiterung sind auch Risiken hinsichtlich der Unternehmensansiedlungen auf beiden Seiten der Grenzen verbunden. Wir werden einen Wettbewerb bei den Lohnkosten erleben, von dem wir uns noch keine genaue Vorstellung machen können. Deshalb appelliere ich an Sie: Messen Sie den Problemen der Menschen in den Grenzregionen, beispielsweise in Bayern, in Sachsen und in Sachsen-Anhalt, mehr Aufmerksamkeit zu! Wir brauchen ein Grenzgürtelprogramm und eine vernünftige Konzeption, um den Menschen zu zeigen, dass ihre Probleme von der Politik anerkannt und ernst genommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen: Wir sind bereit, Herr Bundesaußenminister, Sie in den kommenden schwierigen Wochen und Monaten zu unterstützen.

(Günter Gloser (SPD): Auch die CSU?)

Wir haben in diesem Hause die gute Tradition, dass die Europapolitik trotz aller Unterschiede im Detail in der großen Linie immer eine gemeinsame Politik aller demokratischen Parteien ist. Aber wir erwarten von Ihnen, dass Sie die Anstrengungen unternehmen, die notwendig sind, um die Europäische Union aus ihrer Krise herauszuführen. Wir glauben, das lohnt jede Anstrengung und jede Mühe. Dafür bieten wir Ihnen unsere Unterstützung an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Altmaier, der Schluss Ihrer Rede klang etwas versöhnlicher. Aber das, was Sie am Anfang Ihrer Rede an Analyse geboten haben, hat mit der Entwicklung in Europa und mit der Rolle, die die Bundesregierung dabei gespielt hat, nur relativ wenig zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der SPD: Gar nichts!)

   Sie haben den Konvent angesprochen und versucht, deutlich zu machen, dass die Bundesregierung an dieser Stelle Teil des Problems ist. Sie selber waren weiß Gott genug damit befasst, um das besser wissen zu können: Gerade diese Bundesregierung und insbesondere ihr Außenminister haben alles unternommen, um die Ergebnisse, die in den Verhandlungen im Konvent erreicht wurden, zusammenzuführen und mitzutragen. Das war eine der Kernaufgaben der deutschen Europapolitik und soweit es in diesem Rahmen möglich war, ist sie sehr erfolgreich bewältigt worden. Im Gegenteil, Sie waren es, die durch neue Forderungen, die Sie im Deutschen Bundestag erhoben haben, die Verhandlungen zum Konvent belastet und damit das Erzielen von Ergebnissen erschwert haben, während wir versucht haben, die Ergebnisse zusammenzuführen. Dafür sollten wir dem Außenminister dankbar sein, anstatt ihn nachträglich dafür zu kritisieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Die Gespräche, die mit dem britischen Premierminister anlässlich seines gestrigen Besuches geführt wurden, machen deutlich, dass wir auf einem guten Weg sind, die Probleme des letzten Jahr zu beherrschen und voranzukommen. Gerade was die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angeht, gibt es ein neues Selbstverständnis der großen Partner in Europa. Das ist positiv und das sollten Sie nicht kritisieren. Es ist ein wichtiger Schritt, um in den zentralen Fragen gemeinsam voranzukommen. Wir sollten froh darüber sein, dass Großbritannien wieder mit im Boot ist. Das stärkt unsere Position und auch die Position Europas in der Welt.

   Wenn Sie über Irritationen im Verhältnis zu Polen reden, lieber Kollege Altmaier, dann sollten Sie auch einmal Ihre Kollegin Steinbach ansprechen; denn sie ist für viele Irritationen verantwortlich, die es in der Vergangenheit gegeben hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Diese Argumentation zeigt, dass Sie mehr Probleme als Lösungsangebote haben.

   Wir stehen in Europa vor zwei großen Aufgaben: Zum einen stehen wir vor der Vereinigung des Kontinents nach jahrzehntelanger Trennung, zum anderen wollen wir die wettbewerbsfähigste und eine auf Wissen basierte Volkswirtschaft werden. Dafür brauchen wir - ganz im Sinne der Göteborg-Strategie - eine nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Das sind unsere Ziele, die wir Europa vor dem Hintergrund der schwierigen Haushaltssituation, in der sich alle Länder Europas befinden, ins Logbuch geschrieben haben.

   Wir wollen den Motor Europa wieder anwerfen. Die Schwerpunkte, die in der neuen finanziellen Vorausschau gesetzt worden sind, sind dafür eine Grundlage. Auf der einen Seite besteht die Aufgabe der Solidarität gegenüber den Beitrittsstaaten. Auf der anderen Seite ist in das Blickfeld zu nehmen, dass die Lissabon-Strategie umgesetzt werden muss. Das heißt, es muss mehr Geld für Forschung, Innovation, Infrastruktur und die Transeuropäischen Netze bereitgestellt werden. Das brauchen gerade wir in Deutschland; denn unsere deutsche Volkswirtschaft ist die stärkste Exportwirtschaft auf dem Binnenmarkt der EU. Deshalb ist es im Interesse unserer Wirtschaft und stärkt es unsere Wirtschaftsstruktur, wenn die Infrastruktur in den Beitrittsstaaten so rasch wie möglich an das westeuropäische Niveau angeglichen wird. Solidarität mit den Beitrittsstaaten ist ein Faktor, der die deutsche Wirtschaft stärkt.

   Daher brauchen wir einerseits Aufwüchse. Die Schwerpunkte, so wie sie in der finanziellen Vorausschau gesetzt worden sind - davon bin ich sehr überzeugt -, sind richtig. Andererseits müssen wir sparen. Es gibt in diesem Haushalt noch Ansätze zu sparen. Ich halte es für schwer vermittelbar, dass es, gerade was die Strukturfonds angeht, Haushaltsansätze gibt, die ständig zu Rückflüssen führen. Wir müssen in der Strukturpolitik der EU realistische Haushaltsansätze finden. Wir müssen unsere Mittel auf die Schwächsten konzentrieren, das heißt auf die Beitrittsländer der EU. Das ist eine zentrale Herausforderung, vor der wir stehen.

   Wir dürfen die Nettozahlerdebatte nicht so führen, dass wir nur davon ausgehen, dass es bei den Nettozahlern zu exorbitanten Ausgaben kommt. Die EU hat angeboten, ein Rabattsystem einzuführen. Das halte ich für den richtigen Weg. Den müssen wir weiterverfolgen, sodass wir zwischen den Beiträgen, die wir zu leisten haben, und den Mitteln, die wir zur Verfügung haben, einen vernünftigen Kompromiss herstellen können. Das darf nicht dazu führen, dass wir die neuen Aufgaben gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik und in der Technologiepolitik vernachlässigen. Hier brauchen wir einerseits in Zukunft Schwerpunkte, das heißt mehr Geld. Andererseits müssen wir an anderen Stellen Sparpotenziale finden.

   Mit Blick auf die Verhandlungen über die Zukunft Europas, die jetzt folgen, sollten uns die beiden Pfeiler der Solidarität und der Innovation bei der weiteren finanziellen Vorausschau leiten.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Schiff Europa, das so zuversichtlich mit neuen Passagieren zu neuen Ufern aufbrechen sollte, wurde mit dem Scheitern der Regierungskonferenz im Dezember letzten Jahres abrupt der Wind aus den Segeln genommen. Nun treibt das Schiff in seichten Gewässern und läuft Gefahr, auf Grund zu laufen. Während die Kapitäne öffentlich oder auch hinter verschlossenen Türen um den zukünftigen Kurs streiten, regt sich Unmut unter den Passagieren, nämlich den europäischen Bürgerinnen und Bürgern.

   Werfen wir doch einen Blick auf das letzte Eurobarometer: Die Ergebnisse sind niederschmetternd und spiegeln wider, wie von den Bürgerinnen und Bürgern die Europapolitik wahrgenommen wird. Nur 39 Prozent der deutschen Bevölkerung haben ein positives Bild von der Europäischen Union. Die Institutionen wie das Europäische Parlament haben einen Vertrauensverlust erlitten und mit dem Kapitän, dem Ministerrat, würden höchstens 32 Prozent gemeinsam in See stechen.

   Das zeigt doch: Mit der Politik, wie wir sie hier in diesem Hause formulieren, ist etwas nicht in Ordnung. Wir vermitteln den Bürgerinnen und Bürgern nicht, worum es uns bei der europäischen Entwicklung geht. Es geht uns natürlich um einzelne wichtige Punkte: um doppelte Mehrheiten - wobei 60 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert sein müssen -, um eine handlungsfähige Kommission, um eine geringe Zahl an Kommissaren.

   In Wirklichkeit geht es aber darum, den Bürgern endlich zu sagen: Wir wollen ein demokratischeres, ein bürgernäheres Europa, das natürlich handlungsfähig ist, das sich aber nicht darauf beschränkt, mit diesen Techniken Europapolitik zu betreiben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir erreichen, dass in den nächsten Monaten auch in der Öffentlichkeit stärker über den Wert der europäischen Verfassung und ihre Grundlagen geredet wird.

   Ich habe erwartet, dass von den wichtigen Konsultationen mit dem französischen Premierminister Chirac sowie gestern mit Herrn Blair - in der nächsten Woche finden Konsultationen mit beiden zusammen statt - andere Signale ausgehen würden. Es sind nämlich keine positiven Signale von diesen Treffen ausgegangen. Es ist keine Linie aufgezeigt worden, wie man gemeinsam versuchen will, das dahindümpelnde Schiff wieder in tiefere Gewässer zu bringen. Im Gegenteil: Die Reaktionen auf die Treffen zeigen doch, wie skeptisch diese Gespräche gesehen werden. Man hat nicht deutlich gemacht, dass diejenigen, die für den europäischen Integrationsprozess entscheidend sind, Verantwortung dafür tragen, Kompromisslinien aufzuzeigen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das hat bei dem Treffen zwischen Schröder und Chirac in Genshagen sowie bei dem Treffen zwischen Schröder und Blair gefehlt. Die Reaktion darauf wird Zurückhaltung und Abwarten sein. Man fragt sich: Soll die Angst in der Europäischen Union wirklich stärker dominieren oder nicht? Genau das schafft das falsche Klima und die falsche Atmosphäre für die nächsten Monate.

   Die Iren sind mit ihrer vorsichtigen Art zu sondieren aus meiner Sicht Hoffnungsträger: Sie zeigen mögliche Perspektiven auf und versuchen damit, alle zusammenzubringen.

   Ich erwarte aber, dass man sich in Deutschland nicht nur mit Chirac und Blair trifft. Ich erwarte, dass in den nächsten Wochen - natürlich vor dem 1. Mai - Gespräche mit den Verantwortlichen aus anderen Mitgliedstaaten - natürlich auch mit den Spaniern, selbst wenn es noch so schwierig ist, natürlich mit den Portugiesen, aber auch mit den Ungarn und den Tschechen - geführt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Auch mit der Opposition muss gesprochen werden!)

Sie alle haben nämlich ein Interesse daran, dass die Osterweiterung, die Europäische Union der 25, gelingt und dass der 1. Mai nicht zu einem Datum wird, über das es später einmal heißt: An diesem Datum hat der Rückschritt der Europäischen Union zu einer Wirtschaftsunion begonnen. - Wir brauchen nämlich eine politische Union.

   Wenn die Bürgerinnen und Bürger eines von der Europäischen Union erwarten - das zeigt das Eurobarometer ganz deutlich -, dann ist es eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wir alle wissen, dass es ohne eine Stimme, die letztendlich in der Außen- und Sicherheitspolitik für die Europäische Union spricht, und ohne Strukturen, die die Meinungsbildung erleichtern und Initiativrechte gewähren, jedenfalls im Rahmen der Europäischen Union keine Weiterentwicklung geben wird. Das Verkehrteste wäre, wenn sich das bewahrheiten würde, worüber nachgedacht wird und was manche schon jetzt als große Gefahr erkennen: Man tut sich außerhalb der Verträge zusammen und versucht, Außenpolitik zu betreiben. So sorgt man für mehr Kernspaltung anstatt für Kernfusion innerhalb der Europäischen Union.

   Ich sage deshalb an dieser Stelle noch einmal: Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie ihre große Verantwortung wahrnimmt und auf der Grundlage des EU-Konvents in den nächsten Wochen Kompromissbereitschaft zeigt. Das Prinzip der doppelten Mehrheit ist richtig. Wir unterstützen es aus vielerlei Aspekten. Die Ausgestaltung des Prinzips der doppelten Mehrheit darf aber nicht dazu führen, dass daran letztlich die entscheidenden Verhandlungen zur Verfassung scheitern. Wir wollen bis Mitte dieses Jahres einen Kompromiss; wenn dieser nicht gelingt, dann - das ist unsere Meinung - brauchen wir einen neuen Verfassungskonvent.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Michael Roth, SPD-Fraktion, das Wort.

Michael Roth (Heringen) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zweifellos, liebe Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, ist die Europäische Union in einer schwierigen Lage. Wir befinden uns in einer Krise. Was mich immer noch hoffnungsfroh stimmt, ist, dass es große Erwartungen gegenüber dem wunderbaren politischen Projekt Europa gibt. Andererseits sinkt das Vertrauen in die EU - vor allem das Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union - rapide. Da haben Sie völlig Recht.

   Aber ich komme zu etwas anderen Schlussfolgerungen als Sie. Ich sehe ein großes Problem, über das Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nicht gesprochen haben. Es lohnt sich, über den Kern der Idee eines vereinigten Europas zu reden, gerade weil die Bürgerinnen und Bürger spüren, ahnen und einige vielleicht sogar wissen, dass das nationalstaatlich organisierte politische Handeln immer mehr an seine Grenzen stößt. Was ist die Konsequenz daraus? Darauf haben Sie keine Antwort gefunden. Ich glaube, dass auch die FDP darauf keine Antwort finden wird.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): In Europa bekommen wir die Antworten!)

   Die Globalisierung ruft Ängste, Skepsis und Ablehnung hervor. Das spüren wir überall. Das liegt unter anderem daran, dass sich die EU im Bewusstsein der Menschen zweifellos als funktionierender Binnenmarkt profiliert hat. Aber das ist zu wenig. Die EU hat sich mit einer gemeinsamen Währung profiliert. Das ist ebenfalls zu wenig. Sie hat sich mit einem Wettbewerbsmodell profiliert. Auch das ist zu wenig. Die Europäische Union ist nur zukunftsfähig, wenn sie sich auch - da stimme ich Ihnen zu - als starker, verantwortungsbewusster internationaler Akteur, als Promoter von Bildung, Qualifizierung und Beschäftigung - so wie es Kollege Steenblock ausgeführt hat - profiliert.

   Sie muss sich aber auch als Garant einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Politik mit klaren sozialen Regeln profilieren. Das europäische Sozialmodell ist im internationalen Maßstab wettbewerbsfähig. Aber wir müssen etwas dafür tun, damit dieses europäische Sozialmodell auch in Zukunft wettbewerbsfähig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass die Politik sich ihrer Sorgen und Nöte annimmt und Antworten auf die großen drängenden Fragen der Zeit findet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb bleibt uns gar nichts anderes übrig, als für das europäische Verfassungsprojekt zu streiten. Denn dieses Verfassungsprojekt hat deutlich gemacht: Die Union ist nicht nur eine politische Kraft des Marktes, nein, sie ist auch eine Kraft, die für Werte eintritt. Sie ist nicht nur eine Union der Staaten, sie ist ebenso eine Union der Bürgerinnen und Bürger. Die Vermittlung dieser Tatsachen ist bislang nicht in dem Maße gelungen, wie es eigentlich notwendig wäre.Ich bin davon überzeugt, dass das Verfassungsprojekt die Bürgerinnen und Bürger wieder näher an die EU heranführen kann, weil es zum Gelingen dieses Verfassungsprojektes keine verantwortbare Alternative gibt.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Weil das so sein muss, ist es so!)

   Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie und mit welcher Strategie wir in die nächsten Wochen gehen. Ich plädiere für Kompromissbereitschaft. Aber es kann doch jetzt zu diesem frühen Zeitpunkt keine Festlegung auf vermeintliche Kompromisse geben, die die EU weder demokratischer noch handlungsfähiger machen. Deswegen kann jetzt nicht darüber geredet werden, beispielsweise die EU-Kommission immer größer werden zu lassen. Es kann nicht darum gehen, dass wir noch einmal eine Debatte darüber führen, wo wir von dem Prinzip der Mehrheitsentscheidungen in der Europäischen Union abweichen. Es kann auch nicht noch einmal eine Diskussion darüber geben, dass wir das Prinzip der doppelten Mehrheit infrage stellen. Es kann auch keine Diskussion darüber geben, dass wir die EU als internationale Friedensmacht, als Garant der internationalen Sicherheit infrage stellen.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Über was darf dann diskutiert werden, wenn lauter Tabus am Rande stehen?)

- Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Müller. Kollege Altmaier hat soeben eine Rede gehalten, die hätte er einmal in der CDU/CSU-Fraktion halten müssen.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Herr Fischer schläft schon ein bei Ihrer Rede!)

Denn die Union versagt aus meiner Sicht als Europapartei, und zwar immer mehr, weil Sie mit Ihrer Politik der gespaltenen Zunge an Ihre Grenze stoßen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Jetzt wecken Sie den Fischer auf!)

   Lieber Kollege Altmaier - wir wissen hoffentlich, dass wir uns gegenseitig schätzen -, ich habe ein Thema vermisst, und zwar das Thema Türkei, das vor allem Kollege Hintze wie eine Monstranz vor sich herträgt. Gerade damit wird der Populismus in der Europäischen Union genährt. Mit dieser unsäglichen Türkeidebatte werden Ängste geschürt. Jetzt betreiben Sie noch Harakiri in Sachen Europa, indem Sie, Kollege Müller und Kollege Singhammer,

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Nur noch Tabus!)

heute fordern, dass - auch bei einer Einigung im aktuellen Streit um die Stimmengewichtung - die EU-Verfassung abzulehnen ist.

(Günter Gloser (SPD): Hört! Hört! - Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Der Fischer muss einmal deutsche Positionen formulieren!)

Sie bauen doch immer höhere Hürden auf. Kürzlich, vor wenigen Wochen, haben Sie noch gefordert - in diesem Punkt stimmt Herr Altmaier nicht mehr mit Ihnen und der CSU überein -, die Debatte über die finanzielle Vorausschau mit der Verfassungsdebatte zu verknüpfen.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Das macht er doch!)

Sie stimmen in Ihren eigenen Reihen doch vorne und hinten nicht miteinander überein. Sie müssen erst einmal eine klare Position entwickeln. Dann können Sie hier selbstbewusst auftreten und für Europa streiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Na also, endlich ein bisschen Feuer!)

   Ich will aber nicht nur in Ihre Richtung kritische Anmerkungen machen, sondern auch in Richtung derjenigen, die ab dem 1. Mai dieses Jahres mit uns zusammenarbeiten wollen und müssen. Was mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei vielen Gesprächen beunruhigt hat, ist, dass nicht wenige in Mittelosteuropa die EU als Nachfolgeorganisation der Sowjetunion und Brüssel in der Tradition des stalinistischen Moskau sehen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Mit wem reden Sie denn da?)

   Ich glaube, dass noch viele Gespräche und Diskussionen und viel Überzeugungsarbeit notwendig sind. Denn die Faszination, die von der EU ausgeht, ist, dass wir demokratisch mitentscheiden können, dass wir an diesem Projekt mitarbeiten können und dass jeder gebraucht wird: die Kleinen genauso wie die Großen und die Finanzschwächeren ebenso wie die Finanzstärkeren. Es ist doch gerade das Prinzip der Solidarität, das in anderen politischen Systemen, die glücklicherweise zum Einsturz gekommen sind, vermisst wurde.

   Daher kann ich der irischen Präsidentschaft, die ihre Sache, was das Management angeht, ganz hervorragend macht, nur alles Gute wünschen. Ich bin mir sicher, dass wir während der irischen Präsidentschaft sehr weit kommen werden. Ich hoffe, dass es uns hier im Bundestag gelingt, dem Verfassungsprojekt neue Impulse zu verleihen.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Das schaut nicht so aus!)

Mein Eindruck ist, dass Europa mehr kann, als der Vertrag von Nizza zulässt. Um es deutlich zu sagen: Europa muss auch mehr können als das, was im Vertrag von Nizza festgelegt ist. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union nämlich schuldig.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Albert Rupprecht, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle erwarten die Erweiterung der Europäischen Union in 76 Tagen mit Spannung. Wir stellen aber auch fest, dass die Situation zurzeit ziemlich verfahren ist: Die Finanzierung ist ungeklärt, der Stabilitätspakt ist massiv angegriffen, die institutionellen Fragen sind offen und die Zukunft des Verfassungsvertrages ist unsicher. Natürlich hat Helmut Schmidt Recht, wenn er sagt: Es war ein Fehler, die Erweiterung zu vollziehen, bevor die Finanzierung und die institutionellen Fragen geklärt sind.

   Welchen Beitrag hat die Bundesregierung in der intensiven Phase vor der Erweiterung geleistet? In einem Punkt hat die Bundesregierung absolut Recht: Es ist vollkommen inakzeptabel, dass der Beitrag Deutschlands zur Finanzierung des europäischen Haushalts in den nächsten zehn Jahren um sage und schreibe 43 Prozent ansteigen soll. Das entspricht rund 10 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Das ist schlichtweg nicht finanzierbar und vollkommen unrealistisch.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das mal dem sächsischen Ministerpräsidenten!)

   Insgesamt hat die Bundesregierung bei wesentlichen Fragen der Vorbereitung auf die Erweiterung in den vergangenen Monaten keine überzeugende Rolle gespielt. Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung hat die Konflikte in Europa durch eine Vielzahl von Widersprüchen verschärft. Das war auch beim Thema der Woche, der mittelfristigen Finanzplanung, so. Die Position der Bundesregierung ist voller Widersprüche. Sie laden der Europäischen Union zusätzliche Aufgaben auf, sagen aber nicht, wie sie finanziert werden sollen.

(Günter Gloser (SPD): Es wird nicht richtiger, wenn Sie es wiederholen!)

   Ich nenne drei konkrete Beispiele. Erstes Beispiel: Kanzler Schröder initiiert gemeinsam mit Herrn Chirac zweifelhafte europäische Investitionsprogramme ohne europäischen Mehrwert, ausschließlich um die nationalen Haushalte zu entlasten. Das geplante Volumen beträgt 50 Milliarden Euro.

   Zweites Beispiel: Nach der Lissabon-Strategie soll die Europäische Union der Motor für Innovation in Europa sein. Das Ergebnis finden Sie in der Finanzplanung der Kommission. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden glatt vervierfacht. Offensichtlich glauben die Regierungschefs, eine zentral gesteuerte europäische Innovationspolitik sei erfolgreicher als eine nationale.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Das ist Stamokap!)

Ich glaube, das ist einer der größten Irrtümer der Lissabon-Strategie schlechthin. Ganz im Gegenteil: Innovationen erfolgen in geeigneten Mikrostrukturen, in dezentralen Clustern. Wir werden erleben, dass zig Milliarden Euro ohne Wirkung verpuffen werden.

   Drittes Beispiel: Wer der Türkei den Beitritt in Aussicht stellt, muss auch sagen, wie er ihn finanzieren will; auch das ist gemeint, wenn wir von „Integrationsfähigkeit“ reden. Die Vollmitgliedschaft der Türkei wird Europa nach Berechnungen der Kommission 20 Milliarden Euro pro Jahr kosten; davon entfielen auf Deutschland 5 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland steht Kopf, weil uns die Mautausfälle 2004 2,5 Milliarden Euro kosten. Der Beitritt der Türkei würde Deutschland jedes Jahr das Doppelte kosten, nämlich 5 Milliarden Euro. Erklären Sie das bitte der deutschen Öffentlichkeit!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Statt die Aufgaben und damit auch die Ausgaben der Europäischen Union zu reduzieren, wollen Sie - ganz im Gegenteil - die Kompetenzen der Europäischen Union mehren. Sie sagen aber wiederum nicht, wie Sie das finanzieren wollen. Nach Ihren Vorstellungen werden im Verfassungsvertrag auf 30 Politikfeldern neue Kompetenzen geschaffen und jedes neue Politikfeld führt natürlich früher oder später zu Initiativen und zu höheren Kosten.

   Am Mittwoch waren der Finanzminister und der Außenminister im Europaausschuss. Eichel redet vom Sparen und von einer 1-Prozent-Obergrenze für den europäischen Haushalt, Fischer freut sich dagegen über ein großes Europa mit vielen Aufgaben. Auch die grüne Haushaltskommissarin Schreyer war im Haushaltsausschuss anwesend und hat sich redlich bemüht, den beiden Herren zu erklären, dass derjenige, der Europa ständig mit neuen Aufgaben zudeckt, auch sagen muss, wie er es finanziert.

(Albrecht Feibel (CDU/CSU): So ist es!)

Ich stimme Frau Schreyer in ihrer Analyse zu, absolut. Ich glaube nur, die Lösung ist eine andere: Es geht nicht um mehr Geld, sondern es geht darum, Aufgaben endlich nach Deutschland zurückzuverlagern, wo immer es möglich ist. Es ist doch zum Haareraufen, dass alle diesbezüglichen Versuche bisher im Sande verlaufen sind; auch der Konvent war hier eine klare Enttäuschung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Europa muss an vielen Stellen wesentlich schlanker werden, es muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Ich nenne Ihnen einen konkreten Vorschlag zur Rückverlagerung: die Einführung der nationalen Kofinanzierung der Landwirtschaft im Umfang von 50 Prozent. So spart Europa Geld und die nationale Verantwortung für die Landwirtschaft wird gestärkt.

   Sehr geehrte Damen und Herren, widersprüchlich handelt die Bundesregierung nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch dort, wo Deutschland selbst betroffen ist.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben doch Ihre eigenen Widersprüche!)

Der Kanzler hat Weihnachten 2000 in seiner Weidener Erklärung über fünf Seiten ausgebreitet, wie er Deutschland, insbesondere die Grenzregionen, für die Osterweiterung fit machen will. Er hat unter anderem den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Bayern ein „materiell unterlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen“ versprochen. Dieses nationale Programm ist bis heute - drei Jahre später! - nach wie vor mit 0 Cent ausgestattet.

   Die Ministerpräsidenten der Länder an der Grenze zur Tschechischen Republik und zu Polen sind natürlich in Sorge, denn der Standortwettbewerb wird hart werden. Je näher der 1. Mai kommt, desto panischer werden insbesondere die Ministerpräsidenten der neuen Länder. Deswegen kämpfen sie mit Zähnen und mit Klauen um die Erhaltung der europäischen Strukturförderung. Da gibt es nun zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Die deutschen Regionen bleiben weiter europäische Förderregionen. Dann wird - in der Konsequenz - der europäische Haushalt aufgebläht. Oder Möglichkeit zwei: Die deutschen Regionen fallen aus der Förderung heraus. Der Bund zahlt den betroffenen Regionen aber einen adäquaten Ausgleich. Dann braucht Europa weniger Geld und die horrenden Beiträge Deutschlands könnten reduziert werden.

   Eigentlich wäre die zweite Möglichkeit der wesentlich bessere Weg. Nur, die deutschen Ministerpräsidenten trauen dem Kanzler nicht. Sie glauben nicht, dass es wirklich einen deutschen Ausgleich geben wird. Nach der Erfahrung mit der Weidener Erklärung, ganz frei nach dem Motto „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, ist das auch keine Überraschung.

   So hat sich nun in den vergangenen Wochen eine absolut bedenkliche und abstruse Konstellation

(Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abstrus ist diese Rede!)

herausgebildet: Die ostdeutschen Ministerpräsidenten machen mit der Kommission gemeinsame Politik gegen Bundeskanzler Schröder, ganz vorne dabei die SPD-Ministerpräsidenten.

(Günter Gloser (SPD): Was? Das ist eine Unterstellung!)

Minister Eichel quittiert dies lapidar mit: Die ostdeutschen Ministerpräsidenten spielen unsere Spanier.

(Günter Gloser (SPD): Bayerisches Lügenmärchen!)

Aber das ist doch wirklich abstrus: Die deutschen Ministerpräsidenten trauen eher dem französischen Kommissar Barnier zu, Arbeitsplätze in Deutschland zu retten, als dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Da liegen sie auch richtig!)

Das passiert, wenn man Vertrauen verspielt.

   Dies sind nur einige Beispiele, die aber zweierlei zeigen. Erstens. Die Europapolitik der Bundesregierung ist voll tiefer Widersprüche und dadurch unzuverlässig.

(Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und die der Union nicht?)

Zweitens. Durch diese Widersprüche hat die Bundesregierung und insbesondere der Kanzler massiv an Vertrauen verloren, sowohl bei den Regierungschefs anderer europäischer Staaten als auch bei den Menschen in Deutschland selbst. Gerade Verlässlichkeit und Vertrauen sind aber zwingend notwendig, um Europa aus den derzeitigen Konflikten herauszuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph Fischer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Gernot Erler (SPD): Eine Erlösung!)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben uns gerade vorgeworfen, die Politik der Bundesregierung sei widersprüchlich. Wenn ich aber die Rede des Kollegen Altmaier - ich teile zwar nicht alle, aber doch die meisten seiner Grundannahmen - mit der seines Fraktionskollegen von der CSU vergleiche, dann muss ich feststellen, dass zwischen diesen Reden Welten liegen. Sie vertreten völlig unterschiedliche Konzeptionen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dieses Problem müssen aber nicht wir lösen, sondern Sie. Das wird offensichtlich nicht einfach werden.

(Günter Gloser (SPD): Nun ist Frau Merkel nicht da!)

   Die Europäische Union steht vor einer ganz großen Veränderung. Ich möchte, gerade unter dem Eindruck, den mir meine gestrige Reise nach Kaliningrad vermittelt hat, unterstreichen: Die Überwindung der Teilung Europas führt dazu, dass Deutschland auf der Sonnenseite dieser historischen Entwicklung steht. Dafür sind wir dankbar und dafür sollten wir auch dankbar sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Zum ersten Mal seit der Bildung des Nationalstaats ist für Deutschland die Lage in der Mitte Europas nicht Last. Sie wird in dem zusammenwachsenden Europa mit offenen Grenzen vielmehr zu einem völlig veränderten Sicherheitsumfeld führen. Die Konsequenz wird sein, dass an allen unseren Grenzen die Situation so sein wird wie schon heute an unserer Westgrenze.

   Dieses Europa wird zusammenwachsen. Die Nationen werden zwar bestehen bleiben, aber vieles von dem, was für uns heute noch eine bestimmte Bedeutung hat, wird in dem sich vereinigenden und integrierenden Europa eine ganz andere Bedeutung bekommen. Europa wird offen sein. Die Situation wird kooperativ werden, so wie wir das an den Westgrenzen als selbstverständlich empfunden haben, und nicht mehr konfrontativ sein. Deswegen ist der 1. Mai meines Erachtens ein historisches Datum.

(Albrecht Feibel (CDU/CSU): Nur hat es ein bisschen länger gedauert! Das ist doch die Sorge der Menschen!)

- Selbstverständlich hat es länger gedauert. Ich muss Ihnen dazu aber sagen: Die Frage der europäischen Integration ist 1989 mit dem Fall der Mauer entschieden worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir können die Idee der europäischen Einheit nicht auf einen kleinen westeuropäischen Ansatz reduzieren - ich denke, darin waren wir uns immer einig -, wenn auch die anderen Staaten, gründend auf Freiwilligkeit - das ist selbstverständlich -, dazugehören wollen. Und alle wollen dazugehören. Deswegen können wir keine künstlichen neuen Grenzen ziehen, ohne schweren Schaden für das Europa der Integration anzurichten. Das dürfen wir nicht tun.

   Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, besteht darin, dass nun folgende drei Schritte unternommen werden müssen: Die räumliche Erweiterung der Union muss umgesetzt werden. Gleichzeitig muss eine Vertiefung stattfinden; das heißt diese Union muss handlungsfähig und transparent werden und muss ein Akteur sein, der nach außen seine Interessen vertreten kann.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Das muss doch als Erstes kommen!)

Außerdem muss die Finanzierung dieser erweiterten Union geklärt werden.

   Auch ich könnte hier natürlich Polemik betreiben, Herr Kollege Altmaier, will das heute aber lassen. Ehrlicherweise hätten Sie zuerst eine Antwort auf die Frage finden müssen, warum es uns in Amsterdam nicht gelungen ist, die anstehenden Probleme zu lösen. Diese Situation hat über Nizza schlussendlich zum Konvent geführt. Ich habe damals in der Opposition die Europapolitik von Bundeskanzler Kohl in wesentlichen Teilen mit unterstützt, auch die Finanzierungskonsequenzen, die sich daraus ergeben haben. Sie wissen so gut wie ich, dass es, bedingt durch die deutsche Einheit, durch das wesentlich komplexer werdende Europa und durch die Schwierigkeiten, die im Inneren liegen, schon in Amsterdam nicht gelungen ist, die Fragen zu lösen, die dann am Ende zum Konvent geführt haben.

Damals gab es eine andere Regierung. Weil es dieselben Themen sind, kann es also nicht daran liegen, dass sich die Politik, dass sich das Verhalten etc. verändert haben. Vor allem, weil wir hier einen sehr breiten Konsens haben, verstehe ich, dass die Opposition das alles vorbringen muss. Sie müssen aber auch sehen, dass schon in Amsterdam, wo noch andere die Verantwortung trugen und das Vertrauen angeblich noch vorhanden war, der Konsens aufgrund derselben Probleme nicht möglich war. Für uns war es entscheidend, dass wir in Nizza zugestimmt haben, obwohl wir um die Schwächen wussten, weil es ansonsten zu einer Blockade des Erweiterungsprozesses gekommen wäre. Deswegen wurde während der französischen Präsidentschaft bereits in den Schlussfolgerungen von Nizza der Weg nach Laeken hin zum Konvent geöffnet.

   Im Konvent ist es gelungen, einen Kompromiss zu erreichen.

(Peter Altmaier (CDU/CSU): Dabei haben wir Ihnen ja auch geholfen!)

- Wir bedanken uns dafür. Das ist bestens. Ich bedanke mich ebenfalls für die weitere Hilfe und bin mir sicher, dass es sie auch in Zukunft geben wird, weil wir jenseits aller Konfrontationsrhetorik wichtige Positionen teilen. Mit der CSU ist es etwas schwieriger. Wenn es aber am Ende Ernst wurde, sind auch sie immer dabei gewesen; das finde ich auch gut und richtig.

   Ich möchte hier den entscheidenden Punkt ansprechen: Wir brauchen in der 25er-Union ein transparentes und einfaches Entscheidungsverfahren. Am wichtigsten ist: Es geht hier nicht um das Prestige. Ich habe den Bundestag auch nie so verstanden, dass die Frage, ob Deutschland mit Frankreich, Großbritannien und Italien gleichberechtigt ist, entscheidend ist. Das ist sie zumindest aus Sicht der Bundesregierung nicht. Ich behaupte auch, dass dies über alle Fraktionen des Deutschen Bundestages hinweg in weiten Teilen nicht unser Problem ist. Das Problem von Nizza ist, dass das dort verabschiedete Abstimmungssystem intransparent ist und dass es vor allen Dingen auf die Blockademöglichkeit von Minderheiten gründet. Das ist der entscheidende Punkt. Wir dagegen wollen Gestaltungsmehrheiten.

   Kollege Altmaier, damit komme ich zu einem weiteren wichtigen Punkt. Sie verlangen von uns, zu sagen, alle müssten sich bewegen. Es stellt sich aber die Frage, in welchem System dies geschehen soll. Man wird schwerlich sagen können, dass sich hier alle bewegen müssen. Ich glaube, das wird nicht funktionieren. Sie haben anklingen lassen, es müsse das System der doppelten Mehrheiten geben. Genau das ist auch die Position der Bundesregierung und der Koalition. Hier gibt es einen breiten Konsens. Es wird versucht, das alles in diesem Rahmen anzustreben. Ich muss Ihnen das doch nicht erklären.

   Der Bundestag hat durch seine Ausschüsse enge Kontakte mit den Partnern. Sie wissen um die Schwierigkeiten. Auf diese möchte ich nicht im Detail eingehen. Es bedarf nicht Ihrer Aufforderung, dass wir uns mit den Briten, den Franzosen, den Spaniern, den Polen, den Slowenen, den Ungarn und mit wem auch immer - nur, um einmal abzuarbeiten, mit wem wir in den letzten Tagen und Wochen über diese Fragen gesprochen haben - treffen; denn diese Treffen sind selbstverständlich. Ich möchte unterstreichen: Die irische Präsidentschaft hat unser volles Vertrauen. Ich denke, ihr Verfahrensvorschlag und ihr Engagement verdienen jede Unterstützung. Diese erhält sie von uns auch.

   Frau Leutheusser-Schnarrenberger, eines verstehe ich aber nicht: Die Probleme liegen nicht beim Konvent, sie liegen bei der Umsetzung der Ergebnisse. Es geht um den Weg vom Konvent in die Nationalstaaten, also in die an der Regierungskonferenz beteiligten Regierungen. Sie sagen, entweder müsse die Umsetzung in diesem Frühjahr geschehen oder wir brauchten einen neuen Konvent. Ich begreife nicht, wie uns das helfen sollte. Im Grunde genommen würde dadurch die Tür für einen gewaltigen Rückschritt geöffnet werden. Jeder, der den Verfassungsprozess eher nicht wollte - ich will das Gegenteil; ich unterstütze diesen Prozess voll -, müsste eigentlich auf Ihren Vorschlag eingehen. Er müsste bis Sommer blockieren, um danach einen neuen Konvent durchzuführen. Dann würde er den Faden neu aufziehen. Am Ende gäbe es dann aber gar nichts. Davor möchte ich hier nachdrücklich warnen. Ehrlich gesagt scheint mir das nicht sinnvoll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir befinden uns hier in einer schwierigen Situation. Herr Kollege Altmaier, ich möchte Ihnen nicht ausreden, das zu verbinden. Die Irakposition der Union ist im Volk wirklich sehr mehrheitsfähig. Deshalb wünsche ich mir, dass Sie sie möglichst oft und möglichst laut in möglichst vielen Varianten vertreten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie Sie angesichts der Erfahrungen, die wir jetzt gemacht haben, die Position der Bundesregierung in diesem Punkt noch kritisieren können, verstehe ich nicht. Das geht nur um den Preis des völligen Gedächtnisverlustes bezogen auf Ihre eigene Position. Ich möchte die Irakposition hier aber weiß Gott nicht weiter diskutieren.

   Ich freue mich ausdrücklich, dass die CDU die Türkeifrage jetzt wesentlich realistischer sieht. Bei der CSU ist das ganz offensichtlich noch anders einzuschätzen. Ihrer Meinung nach soll der Beitritt der Türkei abgewehrt werden. Das Thema wird emotionalisiert, obwohl wir hier über eine langfristige Perspektive reden und es um eine rationale Abwägung geht.

Darin werden Sie lesen, was Sie selber gesagt haben, nämlich dass Sie diesen Zeitplan infrage stellen. Sie wissen, dass ich mich besonders mit diesen beiden Ländern beschäftige. Was Sie gesagt haben, ist unheilvoll. Es ist nicht mehr möglich, die von Ihnen verursachten Wogen wieder zu glätten. Ihre Äußerung ist unverantwortlich.

   Es gibt zwar durchaus einen Zusammenhang zwischen Integrations-, Erweiterungs- und Vertiefungsprozess, aber es geht nicht an, den Zeitplan infrage zu stellen. Der Zeitplan hängt doch nur noch davon ab, ob die betreffenden Länder ihre Vorbereitungen für den Beitritt in den entsprechenden Kapiteln - das sind für Bulgarien sechs und für Rumänien noch elf - tatsächlich abschließen. Dann muss es möglich sein, dass die Zusagen, die diesen Ländern gegeben wurden, erfüllt werden. Das kann nicht wegen der Verfassungskrise in Frage gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger?

Gernot Erler (SPD):

Bitte sehr.

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Claudia Winterstein, FDP-Fraktion.

Dr. Claudia Winterstein (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf die Agenda 2007 eingehen, weil dies in den kommenden Monaten in den einzelnen Mitgliedstaaten ein sehr wichtiges Diskussionsthema sein wird.

   Für die FDP ist eine tragende Säule des europäischen Einigungsprozesses das Prinzip der Solidarität unter den Mitgliedstaaten. Das heißt, die armen Mitgliedstaaten müssen selbstverständlich unterstützt werden. Solidarität bedeutet aber auch, dass den Nettozahlern und insbesondere Deutschland, das die finanziellen Folgen der Wiedervereinigung zu tragen hat und den Stabilitätspakt dreimal gebrochen hat, nicht zu viel aufgebürdet wird. Auch unsere Leistungsfähigkeit hat Grenzen. Insofern ist aus Sicht der FDP die Forderung der Bundesregierung, die Ausgabenplanung der EU auf 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu begrenzen, völlig richtig.

   Offensichtlich scheinen dies die Grünen nicht ganz so zu sehen, denn Herr Steenblock hat vorgestern den Vorschlag der Kommission für die Erhöhung der EU-Ausgaben als einen guten Kompromiss bezeichnet. Ich frage mich: Was gilt nun eigentlich? Die Bundesregierung hat noch im Dezember von 1 Prozent gesprochen. Herr Steenblock scheint nun die Grenze von 1,15 Prozent für richtig und gut zu halten. Jedenfalls setzt offenbar die Kommission darauf, für die neuen Aufgaben zusätzliches Geld zu bekommen. Das ist aber unserer Meinung nach der falsche Weg.

   Es darf nicht darum gehen, einfach aufzustocken. Das Ziel muss sein, intelligent und zukunftsorientiert umzustrukturieren. Einige Punkte will ich hierzu nennen. Die Vielzahl der Fonds und Fördertöpfe muss verringert werden, um mehr Transparenz zu schaffen und zu einem effizienteren Mitteleinsatz zu kommen.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen auch eine neue Prioritätensetzung, zum Beispiel für die Bereiche Forschung, Transeuropäische Netze, Sicherung der Außengrenzen und Kriminalitätsbekämpfung. Diese neuen Aufgaben müssen natürlich angemessen ausgestattet, aber aus den vorhandenen Mitteln bezahlt werden.

   Ebenso müssen wir von der Gießkannenförderung weg und die Mittel tatsächlich auf die Schwächsten konzentrieren. Dabei ist klar, dass es Übergangsregelungen für diejenigen geben muss, die dann aus der Förderung herausfallen. Die FDP ist dafür, dass der Kohäsionsfonds mit der nächsten Finanzperiode, also bis 2013, langsam ausläuft. Es muss auch so sein, dass andere Länder, nämlich die armen neuen Mitgliedstaaten, noch in den Genuss dieses Fonds kommen. Die Länder Griechenland, Spanien, Portugal und Irland dürfen diese Gelder nicht weiterhin erhalten.

(Beifall bei der FDP)

   Die EU schiebt einen Berg von über 100 Milliarden Euro an bewilligten, aber nicht abgeflossenen Mitteln vor sich her. Das ist ein gesamter Jahreshaushalt der EU. Es hapert offensichtlich entweder an förderfähigen Projekten oder an der Kofinanzierung der Empfängerländer. Das ist alles andere als eine effektive Einsetzung von Geldern. Daher fordern wir generell kurze Verfallsfristen für die Mittel, die die EU für Projekte bereitstellt, wie es zum Beispiel neuerdings bei den Strukturfonds der Fall ist. Hier beträgt die Verfallsfrist drei Jahre. Ich halte das für einen guten Weg, um die Gelder wirklich abfließen zu lassen. Zurzeit gibt es Staus von über acht Jahren. Das halte ich für einen unhaltbaren Zustand.

(Beifall bei der FDP)

Die Verhandlungen mit den Ländern werden sicher nicht leicht werden. Wir wissen, dass die Diskussion auch um andere Dinge geht. Es wird festzustellen sein, inwieweit Kompromisse gefunden werden können. Dennoch lautet unsere Forderung: umstrukturieren statt aufstocken.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion.

Gernot Erler (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in diesem Jahr einen Höhepunkt des europäischen Wiedervereinigungsprozesses, eines Prozesses von historischer Dimension. Wir werden aber nicht den Abschluss dieses Prozesses erleben. Verfassungsfragen und Finanzfragen sind außerordentlich wichtig und es ist bitter, dass die Probleme im Moment nicht gelöst sind. Diese Probleme dürfen aber dem historischen Prozess nicht in die Speichen greifen.

   Ich möchte für meine Fraktion erklären, dass ich doch sehr besorgt bin, dass einige Äußerungen gerade aus letzter Zeit aus den Reihen der CDU/CSU exakt die Funktion des In-die-Speichen-Greifens haben und die Probleme damit vergrößern. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Erweiterung der Union von 15 auf 25 ein schwieriger Prozess wird, aber wir dürfen dabei nie vergessen, welche enormen Schwierigkeiten in den Staaten überwunden worden sind, die jetzt das Recht auf Integration in die Europäische Union erworben haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese zwölf Jahre sind geprägt von einer enormen, respektablen Leistung. Die müssen wir in Beziehung zu den Problemen setzen, die wir vor uns haben. Das Mindeste, womit wir auf diese Leistung reagieren, ist, dass dieser Integrationsprozess verlässlich bleibt und dass die Zusagen und Zeitpläne eingehalten werden.

   In diesem Zusammenhang muss ich feststellen, dass eine Infragestellung dieser Zeitpläne oder gar eine dumpf-populistische Ausgrenzungspolitik die falschen Antworten auf die Verfassungskrise sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da muss ich eine Frage an Sie, Herr Wissmann, stellen. Sie sind immerhin Vorsitzender des europapolitischen Ausschusses. Sie haben Mitte Dezember plötzlich die von der EU beschlossenen Zeitpläne für Bulgarien und Rumänien infrage gestellt. Wieso tun Sie das? Herr Stoiber hat vor drei Tagen plötzlich von der Notwendigkeit einer Erweiterungspause nach 2007 gesprochen. Wissen Sie eigentlich, was Sie damit anrichten? Wissen Sie eigentlich, wie viel Millionen von Menschen Sie mit solchen unverantwortlichen Äußerungen verunsichern? Haben Sie eigentlich vergessen, welche friedenspolitische Bedeutung dieser ganze Integrationsprozess in den vergangenen zwölf Jahren hatte?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt eine gesplittete Entwicklung in Osteuropa, wo die Integrationsperspektive einerseits tatsächlich zur Lösung von Nachbarschaftskonflikten und Minderheitenkonflikten geführt hat. Andererseits wissen wir heute ganz genau, dass die Probleme auf dem Balkan mit vier blutigen Kriegen auch etwas mit dem Fehlen einer gemeinsamen europäischen Politik und mit dem Fehlen einer Integrationsperspektive zu tun hatten. Deswegen hat die EU ihre Politik auch geändert.

   Denken Sie einmal an die Folgekosten von diesen Konflikten, wenn Sie schon über Kosten reden. Alleine für Bosnien-Herzegowina hat die Weltgemeinschaft seit 1995 mehr als 10 Milliarden Euro ausgegeben. Das wird weitergehen. Die Kosten fallen auch im Kosovo, in Mazedonien und in der ganzen Region an. Der Integrationsprozess ist also auch ein Kosten sparender Prozess, ganz nebenbei gesagt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissmann?

Gernot Erler (SPD):

Herr Wissmann, bitte schön, gerne.

Matthias Wissmann (CDU/CSU):

Herr Kollege Erler, darf ich Sie fragen, wie Sie eigentlich auf die Idee kommen, den Eindruck zu erwecken, ich hätte mich gegen die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien gewendet, wenn ich die Frage gestellt habe - die stelle ich auch hier -, wie wir eine weitere Erweiterung der Europäischen Union verantworten können, ohne vorher zu der von uns geforderten Vertiefung gekommen zu sein? Es ist doch wohl eine gemeinsame Position in diesem Haus, dass wir genau wissen, dass es zwei Seiten einer Medaille gibt, nämlich Vertiefung und Erweiterung. Dass jeder von uns die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien wünscht, wenn die Bedingungen erfüllt sind, ist doch nie im Zweifel geblieben.

Gernot Erler (SPD):

Herr Kollege Wissmann, schauen Sie einmal in die „Berliner Zeitung“ vom 16. Dezember letzten Jahres. Darin werden Sie lesen, was Sie selber gesagt haben, nämlich dass Sie diesen Zeitplan infrage stellen. Sie wissen, dass ich mich besonders mit diesen beiden Ländern beschäftige. Was Sie gesagt haben, ist unheilvoll. Es ist nicht mehr möglich, die von Ihnen verursachten Wogen wieder zu glätten. Ihre Äußerung ist unverantwortlich.

   Es gibt zwar durchaus einen Zusammenhang zwischen Integrations-, Erweiterungs- und Vertiefungsprozess, aber es geht nicht an, den Zeitplan infrage zu stellen. Der Zeitplan hängt doch nur noch davon ab, ob die betreffenden Länder ihre Vorbereitungen für den Beitritt in den entsprechenden Kapiteln - das sind für Bulgarien sechs und für Rumänien noch elf - tatsächlich abschließen. Dann muss es möglich sein, dass die Zusagen, die diesen Ländern gegeben wurden, erfüllt werden. Das kann nicht wegen der Verfassungskrise in Frage gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger?

Gernot Erler (SPD):

Bitte sehr.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):

Herr Kollege Erler, im Europaausschuss befassen wir uns intensiv mit der Fortführung der Erweiterung der Europäischen Union um Bulgarien und Rumänien. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass Kommissar Verheugen, als er das letzte Mal an einer Sitzung des Europaausschusses teilgenommen hat, uns, den Abgeordneten, gegenüber deutlich gemacht hat, dass er nicht richtig nachvollziehen könne, warum von den Volksvertretern das Jahr 2007, sozusagen in Stein gemeißelt, als Datum für den Beitritt von Bulgarien und Rumänien gesetzt worden ist.

   Ich frage Sie, inwiefern Sie die Position von Herrn Verheugen, der unserer Meinung nach eine hervorragende Politik betrieben hat, die am 1. Mai zum Beitritt der zehn Länder führen wird, teilen und ob Sie auch der Auffassung sind, dass der Abschluss der Vorbereitungen in den einzelnen Kapiteln entscheidend für den Vollzug der Erweiterung ist.

Gernot Erler (SPD):

Darin stimme ich Ihnen völlig zu. Das habe ich doch gerade gesagt. Das entscheidende Kriterium muss sein, ob die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt werden.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Eben nicht das Datum!)

Es gibt - das weiß Herr Verheugen ebenso gut wie Sie und ich - sehr klare Voraussagen, dass die Verhandlungen mit Bulgarien sogar noch in diesem Jahr und die mit Rumänien auf jeden Fall im nächsten Jahr abgeschlossen werden können. Insofern sieht die Lage sehr gut aus.

   Welchen Sinn hat es, diese Länder und ihre politischen Eliten, die diesen Verhandlungsprozess mit einem großen persönlichen Risiko führen, zu verunsichern, indem die Entscheidung, die in der EU schon gefällt worden ist, nämlich dass der Januar 2007 als Zielgröße gilt, jetzt wieder infrage gestellt wird? Das ist doch nichts anderes als populistisches Gequatsche - wenn ich das einmal so nennen darf - im Zusammenhang mit der Europawahl.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Das werden wir Herrn Verheugen mitteilen!)

- Ich kenne Herrn Verheugens Position zu Bulgarien und Rumänien sehr gut und weiß, dass er diesen Beitrittsprozess nicht infrage stellt.

   Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes anmerken. Ich habe vorhin über die Kosten gesprochen. Die Erfahrung hinsichtlich der Friedenspolitik und der nach Beendigung von Konflikten anfallenden Kosten hat zu einer Veränderung der europäischen Strategie geführt. Die Europäische Union verfolgt derzeit nur zwei Strategien:

   Eine Strategie verfolgt die Erweiterung und den Integrationsprozess. Dabei ist völlig klar, dass Bulgarien und Rumänien eine völlig unzweideutige Zusage gegeben werden muss, immer vorausgesetzt, dass die Beitrittsbedingungen im Laufe der Verhandlungen erfüllt werden. Noch in diesem Jahr wird über den Beginn von Verhandlungen mit der Türkei entschieden. Auch mit den fünf so genannten Westbalkanstaaten stehen Verhandlungen an. Kroatien hat schon einen entsprechenden Antrag gestellt, den die EU bis spätestens April dieses Jahres beantworten wird. Wir erwarten demnächst einen Antrag von Mazedonien. Des Weiteren sind Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Albanien zusammen mit den beiden anderen Ländern im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess. Seit dem Europäischen Rat von Thessaloniki ist klar, dass auch das eine Integrationsperspektive darstellt.

   Die andere Strategie der EU besteht in der vertieften Nachbarschaft, die sich auf die außerhalb der Europäischen Union liegenden Länder, das „Wider Europe“, bezieht. Eine dritte Strategie gibt es nicht.

   Ihre Kopfgeburten einer privilegierten Partnerschaft oder Ähnliches bedeuten einen europäischen Sonderweg. Ich kann Ihnen nur raten: Hören Sie auf, sich für einen europäischen Sonderweg einzusetzen! Europa wird seine Identität im Hinblick auf Frieden, Stabilität und Wohlstand wahren, wenn es bei der Verlässlichkeit der Aussagen zur Integration bleibt und wenn der Geleitzug der europäischen Integration nicht bei der ersten großen Krise - in der wir uns zurzeit befinden - aus der Spur gerät.

Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, auf das Datum des Europawahlkampfes zu schielen! Hören Sie auf, für das beifällige Nicken von einigen Stammtischen die bisherige Verlässlichkeit infrage zu stellen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos (CDU/CSU): Was haben Sie gegen den Stammtisch? - Gernot Erler (SPD): Dass Sie sich dort wohl fühlen, weiß ich! - Michael Glos (CDU/CSU): Es ist kein Wunder, dass man bei 24 Prozent liegt, wenn man die Stammtische verachtet!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Schäuble, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist wichtig, in dieser Debatte noch einmal klar zu sagen - Peter Altmaier, der Bundesaußenminister und auch andere haben darauf schon hingewiesen -, dass die Erweiterung der Europäischen Union um zehn weitere Mitglieder am 1. Mai dieses Jahres nicht nur etwas ist, was historisch bedeutsam ist und was die europäische Spaltung überwindet, sondern auch etwas ist, was im deutschen Interesse ist und was uns in die Lage versetzt - das ist historisch fast einmalig -, alte Teilungen zu überwinden und eine bessere Zukunft zu gestalten. Deswegen ist es gar keine Frage, dass das, was am 1. Mai geschehen wird, in unserem gemeinsamen europäischen und nicht zuletzt in unserem nationalen Interesse liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Kollege Erler, trotz der Einigkeit über die Bedeutung dieses Datums ist es auch wahr, dass ein Großteil der Menschen der heutigen - das gilt auch für Deutschland - und der künftigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch nicht so sehr davon überzeugt ist wie - hoffentlich - Sie, ich und alle anderen in diesem Hohen Hause. Wir werden viel Arbeit haben, um die Menschen zu überzeugen, dass dies in unser aller Zukunftsinteresse liegt und das Beste ist. Im Hinblick darauf ist es gefährlich, so wie Sie schon von den nächsten Beitritten zu sprechen. Wir müssen zuerst die Europäische Union nach der Erweiterung um zehn neue Mitglieder - das ist ein historischer Schritt - ein Stück weit konsolidieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich rate hier zu äußerster Vorsicht. Sie könnten sonst die Zustimmung der Bevölkerung zu dem europäischen Projekt mehr gefährden, als Sie und wir das wollen.

   Es ist besonders tragisch - darauf hat Peter Altmaier bereits hingewiesen -, dass sich Europa ausgerechnet in dieser historischen Situation in einer schweren Krise befindet. Das macht es nicht leichter, sondern schwieriger. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Ein Grund war das unterschiedliche Verständnis der Regierungen der heutigen und der künftigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Hinblick auf das Verhältnis Europas zur atlantischen Partnerschaft und im Hinblick auf die Rolle Europas angesichts der globalen Probleme. Es ist gut, dass wir dabei sind, dies zu überwinden. Aber das war eine der Ursachen.

   Eine andere Ursache ist natürlich der Streit über den Stabilitäts- und Wachstumspakt gewesen. Der Bundesaußenminister war gestern anlässlich des 200. Todestags von Immanuel Kant in Königsberg; das war auch gut so. Aber gegen den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant ist verstoßen worden. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, der Stabilitäts- und Wachstumspakt sei nicht erfunden worden, um auf Deutschland angewandt zu werden. Ich kann dazu nur sagen: Die Regeln dieses europäischen Paktes gelten für große und kleine Staaten gleichermaßen. Das ist die Grundlage für Vertrauen. Wer dagegen verstößt, gefährdet das europäische Projekt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Beim Streit über die künftige Finanzausstattung der Europäischen Union - das ist in dieser Woche im Europaausschuss deutlich geworden - sind zwei Pole genau zu bedenken. Auf der einen Seite ist es wahr, dass dann, wenn alle öffentlichen Haushalte, also die des Bundes, der Länder und der Kommunen, der Notwendigkeit der Begrenzung von Ausgabezuwächsen unterliegen, dies auch für den europäischen Haushalt gelten muss. Das muss die Europäische Kommission verstehen und akzeptieren.

   Aber wir müssen natürlich auf der anderen Seite sehen, dass in den neuen Bundesländern - da sehen wir übrigens, wie schwer es ist, solche historischen Erweiterungen wirklich zu konsolidieren - noch immer erhebliche Nachteile gegenüber den alten Bundesländern bestehen. Wir hätten vor 15 Jahren vielleicht gar nicht geglaubt, dass es so sein würde, aber es ist die Wahrheit. Deswegen darf bei den Menschen in den neuen Bundesländern natürlich unter gar keinen Umständen der Eindruck entstehen, dass ausgerechnet sie nun durch Verzicht auf die Regionalförderung, die sie bisher aus Brüssel bekommen haben, die Zeche für die Osterweiterung bezahlen sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So reden die Menschen. Darauf muss man die richtigen Antworten finden und darf nicht einfach sagen - das macht überhaupt keinen Sinn -, man dürfe vor Stammtischen nicht einknicken.

   Bei der neuen Prioritätensetzung muss man mit der Kommission der Europäischen Union noch einmal intensiv darüber reden - anders wird es wohl nicht gehen -, ob denn ihr Verständnis, dass jede mitgliedstaatliche Zuständigkeit für Regionalförderung gegen das Prinzip von Wettbewerb und Binnenmarkt verstößt, richtig ist. Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Wenn wir in der europäischen Politik neue Prioritäten setzen müssen - das müssen wir mit der Erweiterung -, dann müssen wir den Spielraum für Regionalförderung durch Mitgliedstaaten und Regionen erweitern. Das eine bedingt das andere. Das hängt zusammen. Nur so geht es.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Um aus diesen Krisen herauszukommen, die sich beim Scheitern des Brüsseler Gipfels gezeigt haben, müssen wir natürlich auch daran arbeiten, zerstörtes Vertrauen wieder aufzubauen. Die Bundesregierung hat da eine Menge zu tun. Auf die Kritik von Peter Altmaier, die Bundesregierung sei an diesen Krisen mit schuldig, hat Herr Steenblock gesagt: Aber sie hat sich doch im Verfassungskonvent so sehr um die Verfassung bemüht. - Das hat sie getan, aber das ist keine Antwort auf die Kritik von Peter Altmaier. Die Bundesregierung hat sich im Verfassungskonvent in der Tat bemüht. Wir unterstützen sie auch darin, dass die Blockademöglichkeiten, die der Nizza-Vertrag bietet, abgebaut werden müssen. Das ist zwischen uns völlig unstreitig. Aber das ändert eben nichts daran, dass die Bundesregierung in anderer Beziehung Fehler gemacht hat und dass als Folge davon Vertrauen zerstört worden ist.

(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Welche denn?)

- Beim Stabilitätspakt zum Beispiel. Dass die Regeln nicht für alle in gleicher Weise gelten, hat unglaublich viel Vertrauen zerstört - bei Großen und bei Kleinen.

(Günter Gloser (SPD): Das stimmt doch auch nicht!)

Ich könnte vieles aufzählen, will es aber gar nicht tun.

(Günter Gloser (SPD): Ist Polen ein großes Land?)

- Der Bundesfinanzminister - er heißt noch immer Eichel - hat gesagt, der Stabilitätspakt sei doch nicht erfunden worden, um auf Deutschland angewandt zu werden; er gelte für kleine Länder, aber nicht für Deutschland. So zerstört man Vertrauen. Das dürfen wir nicht fortsetzen. Das müssen wir korrigieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Polen haben nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen von Frankreich und Deutschland den Eindruck gehabt, sie hätten nicht die gleichen Rechte, sie seien nicht gleichwertig. Ich würde Sie wirklich um eines bitten: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Beschädigungen im wichtigen deutsch-polnischen Verhältnis, das gut entwickelt war, wieder ein Stück weit repariert werden! Hören Sie nun wirklich auf, die Initiative für ein Zentrum gegen Vertreibungen für die Beschädigung des deutsch-polnischen Verhältnisses verantwortlich zu machen! Das ist nun wirklich ein grober Unfug.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Aber es ist so!)

- Frau Schwall-Düren, Sie hatten ja gleich gesagt: die CDU/CSU. Die Frau Steinbach ist eine sehr geschätzte Kollegin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion;

das ist wahr.

(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Auch andere!)

Aber Peter Glotz ist bedauerlicherweise immer noch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Es ist doch eine überparteiliche Initiative. Hören Sie vor allem auf, einigen in Polen die Ausrede zu liefern! Dabei ist es doch so, dass sie sich selber vor manchen Aufgeregtheiten ein bisschen schützen müssen. Die Parole „Nizza oder der Tod“ war auch eine Übertreibung. Es gibt Übertreibungen, nicht nur auf einer Seite.

   Sagen Sie Ihrem Parteifreund Verheugen, er solle aufhören, in einer unverschämten Weise solche Interviews zu geben wie das, das am Mittwoch in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen war! Wir lassen das nicht zu!

(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Unverschämt?)

- Ich kann es Ihnen vorlesen - ich habe es dabei -, will es aber gar nicht tun.

   Die Erklärung der beiden Staatsoberhäupter, des polnischen Staatspräsidenten und des deutschen Bundespräsidenten, zu dieser Frage war doch wirklich versöhnend und weiterführend. Diese Erklärung ist von der Präsidentin des Bundesverbands der Vertriebenen, der Kollegin Erika Steinbach, ausdrücklich begrüßt und unterstützt worden. Deswegen sollten wir es dabei belassen. Mit einer - falschen - Legende zu den Ursachen der Schwierigkeiten im deutsch-polnischen Verhältnis machen wir die Dinge nicht besser, sondern erschweren sie eher.

   Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, das sensible Thema der Vertreibungen im europäischen Kontext mit Polen und Deutschen gemeinsam in einer Weise zu lösen, die die Zukunft besser und nicht schwieriger macht! Aber lassen Sie uns auch daran arbeiten, dass die Europapolitik der deutschen Bundesregierung keinen Schaden anrichtet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Kollege Roth, Sie sind in dieser Debatte darauf eingegangen, welchen Beitrag - Modelle der Sozialpolitik, der Bildungspolitik usw. - Europa leisten muss. Was Sie dazu gesagt haben, mag alles richtig sein. Ich füge hinzu: Bei manchen Punkten bin ich ganz froh, dass nicht alles auf europäischer Ebene, sondern im Sinne der Subsidiarität und der Vielfalt durch die Mitgliedstaaten geregelt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Der wichtigste Beitrag, den Europa in diesem und in den kommenden Jahren leisten muss - auch um die Menschen für die Notwendigkeit des europäischen Projekts zu gewinnen -, ist ein Beitrag zu globaler Stabilität. Angesichts der globalen Herausforderung werden wir uns entscheidend darauf konzentrieren müssen, die europäische Rolle im transatlantischen Verhältnis zu stärken. In diesen Zusammenhang gehört natürlich die Osterweiterung; das ist gar keine Frage. Europa wird keine globale Rolle spielen, wenn es nicht einmal in der Lage ist, die Teilung des europäischen Kontinents zu überwinden.

   Wir sollten aber auch die Chancen sehen. Ich habe in der gestrigen Ausgabe der „Zeit“ mit großem Interesse einen Aufsatz von Robert Kagan - über Äußerungen von ihm haben wir oft in anderen Zusammenhängen diskutiert - gelesen. In diesem Aufsatz steht Folgendes:

Um den globalen Bedrohungen der Welt begegnen zu können, benötigen die Amerikaner die Legitimität, die Europa ihnen verschaffen könnte.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist geradezu eine flehentliche Bitte von amerikanischer Seite - man lernt dort auch aus Fehlern, die jenseits des Atlantiks gemacht worden sind - nach einem einigen, handlungsfähigen und stärkeren Europa. Wir werden uns in den europäischen Debatten vor allen Dingen darauf konzentrieren müssen. Auch deswegen möchte ich von der Bundesregierung, und zwar nicht nur durch den Sprecher der Bundesregierung in Bundespressekonferenzen, etwas Genaueres zu der angeblichen deutsch-britisch-französischen Initiative, verschiedene Bataillone für schnelle Eingreifreserven aufzustellen, hören.

   Herr Bundesaußenminister - wenn ich richtig informiert bin, waren Sie gestern nicht nur in Kaliningrad, in Königsberg, sondern auch in Moskau -, ich hätte von Ihnen gern etwas zu den Meldungen gehört, Moskau mache im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung Schwierigkeiten. Vor allen Dingen sollte man im europäisch-atlantischen Bündnis darüber nachdenken, was wir gemeinsam tun können, um mit Russland besser zusammenzuarbeiten, damit es mehr Verantwortung - das gilt sogar für seine Rolle im Nahen und Mittleren Osten - übernimmt.

   Wir haben eine sehr gute Chance, Russland, das sich in einer kritischen Phase der Entwicklung befindet, in einer positiven Weise zu beeinflussen, wenn wir die Position vertreten: Wir brauchen die Partnerschaft mit Russland; Russland muss an Initiativen wie derjenigen, die in München vorgestellt worden ist - Stichwort „Greater Middle East“ -, teilnehmen; wir beziehen Russland ein; wir nehmen Russland in die Verantwortung; aber wir erwarten von Russland auch einen konstruktiven Beitrag, der dem Verständnis von Russland als einer Großmacht in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gerecht wird; Russland muss mitverantwortlich sein. Das umzusetzen ist eine der großen Aufgaben eines Europas, das sich als Teil der atlantischen Partnerschaft versteht.

(Beifall des Abg. Erich G. Fritz (CDU/CSU))

   Wenn wir europäische Politik so betreiben, dann leisten wir einen Beitrag zur globalen Stabilität und zur Friedenssicherung. Wenn die Menschen Europa als ein Projekt zur Herstellung von globaler Stabilität und Frieden verstehen, dann werden sie dieses Projekt auch weiterhin unterstützen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Osterweiterung und die Annahme einer EU-Verfassung sollten einen Höhepunkt in der Geschichte Europas werden. So klang es bei Hofe; doch die Glocken im Lande wollen einfach nicht jubeln. Zu Missklängen im Zuge des Irakkrieges gesellte sich Krach um die künftige Hausordnung in Europa. Hinzu kommt jetzt Zoff um die gemeinsame Kasse. Es knirscht in nahezu allen Säulen, die das europäische Werk stützen sollen.

   Außerdem sinkt das Interesse der Bevölkerung, auch der deutschen, an der EU. Das ist im Vorfeld von Wahlen kein gutes Omen. Selbst die Medien überschlagen sich mit Eilmeldungen vom USA-Vorvorwahlkampf, während die anstehenden Europawahlen überhaupt keine Notiz wert sind.

Das alles spricht für eine gründlichere Aussprache im Deutschen Bundestag, zumal ich davon ausgehe, dass alle hier vertretenen Parteien proeuropäisch sind; die PDS ist es jedenfalls.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Genau diese proeuropäische Position nährt allerdings auch unsere Kritik an aktuellen und grundsätzlichen Fragen der EU-Debatte. Sie beginnt beim vorliegenden Verfassungsentwurf. Er enthält vieles, was zu mehr Demokratie und zu mehr Transparenz führen kann. Das begrüßen wir ausdrücklich. Er enthält aber auch eine Selbstverpflichtung zur Hochrüstung und Militarisierung der EU. Das ist einmalig und widersinnig; das lehnt die PDS im Bundestag ab.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Ich weiß, über diesen Punkt reden Sie von Rot-Grün nicht gerne; oder Sie reden, wenn doch, diesen Punkt der Verfassung schön. Wahrscheinlich ist das aber auch der wahre Grund, warum SPD und Grüne eine Volksabstimmung in Deutschland über die EU-Verfassung auf jeden Fall verhindern wollten. Dann sollten Sie allerdings in der Debatte nicht weiter so tun, als seien SPD und Grüne die Parteien, die für mehr Demokratie und Bürgerrechte in Europa eintreten. Sie tun es nicht.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Mit der konservativen Opposition müssen wir, wie ich denke, zwei andere Punkte klären. Einerseits gerieren Sie sich als oberste Hüter des so genannten Stabilitätspaktes. Dieser Pakt schafft aber keine Stabilität, er nimmt politische Spielräume und verhindert so eine aktive Politik gegen die Massenarbeitslosigkeit. Deshalb war die PDS schon immer gegen eine Stabilitätspolitik, die zwar Bankgeschäfte bedient, aber für soziale Fragen völlig taub ist.

   Vor diesem Hintergrund komme ich zur aktuellen Finanzdebatte. Die EU-Kommission rechnet überschaubar. Sie sagt, die EU wird größer, also muss auch ihr Haushalt wachsen. Finanzminister Eichel rechnet ebenso übersichtlich. Er sagt, wir müssen Schulden abbauen, also können wir nicht noch mehr Geld an die EU abführen. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Beide Argumente gehen am tatsächlichen Problem vorbei. Der Stabilitätspakt ist eine Fessel, keine Hilfe. Die fehlenden Finanzen resultieren wiederum aus einer falschen Steuerpolitik; darüber haben wir gestern sehr ausführlich diskutiert. So entpuppt sich das vermeintliche EU-Problem als ein hausgemachtes Problem.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ungeklärte Streit über die Zukunft der EU wird allerdings auch nicht in dem auf Eis liegenden Verfassungsentwurf geklärt. Zweimal ist in ihm von der Marktwirtschaft als bestimmender Wirtschaftsordnung die Rede. Einmal ist von einer sozialen Marktwirtschaft die Rede und ein weiteres Mal von einer offenen Marktwirtschaft. Ich wiederhole gern: Die PDS setzt sich strikt für eine soziale Marktwirtschaft und konsequent gegen eine offene Marktwirtschaft ein. Ich fürchte, dass da unsere Auffassung nicht mit der der FDP, die auch heute vorgetragen wurde, übereinstimmt. Es ist aber keine abstrakte Frage, ob die Wirtschaft sozialen Zielen verpflichtet ist oder ob das Soziale untergeordnet oder gar gestrichen wird wie bei der Agenda 2010. Wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik für die EU gewinnen wollen - die PDS will dies -, dann kommen Sie um die soziale Frage nicht herum.

   Nun komme ich zum Schluss noch zu einer innenpolitischen Frage im engeren Sinne. Es ist unübersehbar, wie auch auf EU-Ebene die Bürgerrechte und der Datenschutz ausgehöhlt werden. Immer offensichtlicher ist, dass die Bundesrepublik hierbei zur Avantgarde gehört. Das trifft leider auch mit umgekehrtem Vorzeichen bezüglich der Haltung gegenüber einer humanen Flüchtlings- und Asylpolitik zu. Der nach wie vor anhaltende Streit um ein Zuwanderungsgesetz spiegelt hier nur die Auseinandersetzung um die zukünftige Haltung der EU wider: entweder human und weltoffen oder aber borniert geschlossen. Der aktuelle Stand - das sagt nicht nur die Europaabgeordnete der PDS, Sylvia-Yvonne Kaufmann - ist einfach niederschmetternd. Otto Schily und andere aus der Bundesregierung haben daran aktiv Anteil.

   Es gibt also viele gute und auch drängende Gründe, gründlicher über die künftige EU zu diskutieren, als es Ihnen bisher notwendig erschien. Die PDS wird es jedenfalls als Pro-Europa-Partei im beginnenden Wahlkampf tun.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Axel Schäfer, SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns so ernsthaft über Europa reden, wie es der Situation angemessen ist, und lassen Sie uns vor allen Dingen keine Krise herbeireden. Krise, das war Anfang 1999, als die Kommission zurücktrat, als wir im Kosovo zum ersten Mal in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt waren, als wir einen neuen finanziellen Rahmen bis 2006 schaffen mussten. Diese Krise ist durch diese Bundesregierung bewältigt worden. Wir haben gute Entscheidungen getroffen, was die Kommission, den Kosovo, die Friedenspolitik und die Finanzen anbelangt. Deshalb sollten wir die heutigen Schwierigkeiten nicht zu einer Krise hochreden, weil wir damit die Situation in Europa falsch beschreiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein Wort zur Klage gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Dazu ist alles gesagt, was die Kommission anbelangt, die tatsächlich auf dem falschen Dampfer ist: Alles gesagt hat derjenige, der damals, als der Pakt geschlossen worden ist, führend mit dabei war: Jean-Claude Juncker, luxemburgischer Ministerpräsident. Er ist Christdemokrat; vielleicht sollten die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU einmal lesen, was er gesagt hat; denn das bestätigt exakt die Position der deutschen Bundesregierung. Und das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich zur finanziellen Vorausschau kommen. Es war richtig, dass sechs Länder Position bezogen haben: Großbritannien, Frankreich, Österreich, die Niederlande, Schweden und Deutschland.

(Jürgen Türk (FDP): Wo war denn das richtig?)

Es war richtig, weil damit klar geworden ist, dass wir eine Balance finden müssen zwischen den Notwendigkeiten in Europa einerseits und den Zwängen in den Haushalten, auch den nationalen, andererseits. Dass es richtig war, sieht man vor allem, wenn man sich die Entwicklung in den letzten zehn Jahren anschaut: Der prozentuale Anteil an der Verpflichtungsermächtigung auf der Ebene der EU ist von 1,27 auf 1,08 Prozent gesunken. Bei den realen Ausgaben liegen wir bei 0,98 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die deutsche Position, die richtigerweise in Zusammenarbeit mit anderen Ländern eingenommen worden ist, ist damit bestätigt worden.

   Ich sage, gerade weil es um die Solidarität in Europa - nicht nur, wie bisher, mit 15, sondern mit 25 Staaten - geht: Es gibt eine Reihe der so genannten neuen Mitgliedstaaten, die die Positionierung bei 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens für richtig halten. Es musste berücksichtigt werden, inwieweit die nationalen Haushalte die Mittel für Europa aufbringen können. Die neuen Staaten dürfen nicht überfordert werden. Wir müssen fordern und fördern, wie dürfen aber nicht überfordern. Deshalb ist der Weg richtig.

(Beifall bei der SPD)

   Wir sind ein Stück vorangekommen, was die Umstrukturierung und neue Prioritätensetzung im europäischen Haushalt anbelangt. Wir werden bis 2013 den Agraranteil von 46 auf 37 Prozent senken. Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt, der auf einer Position beruht, die wir gemeinsam vertreten.

   Ein spezieller Satz bezüglich einer deutschen Position in Europa. Es war gut - ich glaube, auch die Christdemokraten im Europäischen Parlament fanden das gut; ebenso sollten das die Christdemokraten im Deutschen Bundestag gut finden -, dass diese Bundesregierung unter schwierigsten Bedingungen entscheidend dazu beigetragen hat, dass ein Abgeordnetenstatut in Europa verhindert wurde, das uns und den Kolleginnen und Kollegen in Brüssel viele Probleme bereitet hätte.

   Obendrein ist gut, dass die deutsche Bundesregierung zu denen gehört, die bei der Frage des Anstiegs der Beamtenbezüge in Brüssel immer auf der Bremse stehen. Auch das spielt beim Thema Ausgaben und Sparmöglichkeiten eine wichtige Rolle.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen jetzt am Beginn des Prozesses zur Verabschiedung der finanziellen Vorausschau. Wir wollen und müssen pro Jahr 4 Prozent unseres BNP im Rahmen des Transfers von West nach Ost zahlen und mit 1 Prozent unseres Haushaltes zur Finanzierung Europas beitragen. Das ist alles richtig so, aber die Balance muss stimmen.

   Ich bin mir sicher, dass wir diese Balance hinbekommen; denn wir haben die Erfahrungen von 1999. 1999 war deutlich: Diese Bundesregierung trägt entscheidend zur Lösung von europäischen Problemen bei. Diejenigen, die das damals gemacht haben, sind - das ist eher die Ausnahme, wie Sie feststellen, wenn Sie sich die anderen europäischen Regierungen heute anschauen - auch heute noch die Akteure, nämlich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesaußenminister Joschka Fischer. XXXXX

Ich habe großes Vertrauen in die beiden, dass sie es auch diesmal schaffen - gemäß unserer Prämisse, dass die europäische Einigung das wichtigste nationale Interesse Deutschlands ist. Das ist in der Tat gut so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige-Lebensmittel-und-Lebensmittelzutaten-Verordnung

- Drucksache 15/2397 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Bundesministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben ein Paket zu Regelungen auf dem Gebiet der Gentechnik in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelproduktion geschnürt: Am Mittwoch hat das Kabinett einen Gesetzentwurf zum Schutz des gentechnikfreien Anbaus verabschiedet. Heute geht es um ein Gentechnik-Durchführungsgesetz der Koalitionsfraktionen, das Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht bei gentechnisch veränderten Organismen regelt. Ab 18. April ist also drin, was draufsteht.

   Wie Sie wissen - das will ich vorab erwähnen -, sind die zentralen Bausteine bereits auf EU-Ebene geregelt worden. Mitte der 90er-Jahre wurden Genehmigungen für das In-Verkehr-Bringen von gentechnisch verändertem Mais und Soja in der EU erteilt. 2001 trat eine Freisetzungsrichtlinie in Kraft, die vor allem den Freilandanbau gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft regelt. Am 18. April dieses Jahres tritt die europäische Verordnung über die Kennzeichnung von Lebens- und Futtermitteln in Kraft, was konkret bedeutet, dass ab dem 18. April 2004 in allen EU-Mitgliedstaaten alle Produkte gekennzeichnet werden müssen, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, egal in welchem Ausmaß.

   Die Kennzeichnungspflicht ist wesentlicher Bestandteil unserer und auch der europäischen Politik auf diesem Gebiet. Diese Kennzeichnung geschieht zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich bewusst für ein bestimmtes Produkt entscheiden wollen. Sie geschieht zum Schutz der Bäuerinnen und Bauern - dabei ist es egal, ob es sich um konventionelle oder um Ökolandwirte handelt -, die in Zukunft auf den Einsatz der Gentechnik verzichten möchten. Solche Kennzeichnungsregelungen schützen auch Hersteller und Weiterverarbeiter, die Produkte ohne Gentechnik auf dem Markt anbieten wollen und die für die gesamte Produktionskette zurückverfolgen müssen, dass keine Gentechnik eingesetzt wurde.

   Es ist daher angemessen, dass wir uns in dieser Woche noch einmal mit dem Thema Gentechnik in der Landwirtschaft beschäftigen. Es geht jetzt darum, wie sichergestellt werden kann, dass diese Regeln auch eingehalten werden. Die konkreten Fragen lauten: Was passiert bei Verstößen? Wie können Verbraucherinnen und Verbraucher sicher sein, dass sich Produzenten an die Regeln halten?

   Das Gentechnik-Durchführungsgesetz, das jetzt auf der Tagesordnung steht, regelt genau das. Wir haben in diesem Gesetz Sanktionen und Zuständigkeiten klar und deutlich benannt. Dieses Gesetz sieht - dazu hat uns die EU aufgefordert - Strafvorschriften vor: Bußgelder bis zu 50 000 Euro bei Verstößen gegen die Kennzeichnungspflicht bei gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln und Haftstrafen bis zu drei Jahren bei schwerwiegenden Verstößen. Darunter fällt, dass mit nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen gehandelt wird.

   Wir regeln die Mitwirkung von Zolldienststellen und Stellen, die für Lebensmittelkontrollen zuständig sind. Auch deren gute fachliche Arbeit wird von herausragender Bedeutung sein.

   Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das zeigt, dass Lebensmittelkontrollen funktionieren können. In Bayern wurden illegal aus Hawaii eingeführte Papayas sichergestellt. Aufgrund von Kontrollen konnte festgestellt werden, dass diese Produkte aus den USA, die hier keine Zulassung haben, auf den europäischen Markt gebracht worden sind.

Wir haben uns an die Botschaft mit der Aufforderung gewandt, dafür Sorge zu tragen, dass das deutsche bzw. europäische Recht eingehalten wird.

   Sie sehen, die hochsensibilisierten Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land können sich darauf verlassen, dass wir und die Länder darauf achten, dass Lebensmittel- und in Zukunft auch Futtermittelkontrollen tatsächlich funktionieren.

   Nach Umfragen sagen 70 Prozent der Menschen in Deutschland, sie wollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel kaufen.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Gestern waren es nur 60 Prozent!)

Landwirte - da haben wir fast die gleiche Prozentzahl - fragen sich an dieser Stelle, was eigentlich mit ihrem Acker passiert - deshalb sind diese Vorschriften wichtig -, wenn es zum Beispiel Auskreuzungen gibt oder einmal nicht sorgfältig gearbeitet wird. Wir alle wissen, dass es an dieser Stelle auch darum geht, den grundgesetzlich festgelegten Schutz des Eigentums für diejenigen sicherzustellen, die zum Beispiel nicht gentechnisch veränderte Organismen anbauen wollen. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz im Gesamtkontext des Regelwerkes die dafür notwendigen Vorschriften geschaffen haben.

   Sie wissen, dass wir mit der Novelle zum Gentechnikgesetz und der damit verbundenen Verordnung, in der die gute fachliche Praxis geregelt wird und die die Haftungsregeln enthält, auch an anderer Stelle notwendige Sicherheitsvorschriften festlegen, dies immer unter dem Gesichtspunkt, dass man bei neuen Technologien darauf achten muss, dass in Zukunft auch noch die bisherigen Technologien praktiziert werden können und es nicht zu einer schleichenden Dominanz kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wählen können. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist die Ergänzung zu dem, was am 18. April dieses Jahres starten wird. Dann wird nämlich jede Verbraucherin und jeder Verbraucher, jede Landwirtin und jeder Landwirt jeweils auf der Zutatenliste eines Produktes erkennen, welche Bestandteile enthalten sind. Auf der Zutatenliste muss dann nämlich bei dem entsprechenden Bestandteil stehen, dass zum Beispiel genetisch verändertes Soja, genetisch veränderter Mais oder genetisch verändertes Lecithin benutzt wurde. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher können sich täglich im Supermarkt anhand der Kennzeichnung entscheiden. Im Übrigen: Wider viele andere Behauptungen gelten diese Regeln ab dem 18. April auch für den Wochenmarkt und die Restaurants.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Man kann insgesamt sagen: Wir haben mit diesem Gentechnik-Durchführungsgesetz einen Beitrag dazu geleistet, die Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitsregeln zum Tragen zu bringen. Wir sichern damit wirtschaftliche Aktivitäten. Wir verbinden ein Höchstmaß an Transparenz mit dem Schutz des Eigentums und werden damit meines Erachtens dem im Grundgesetz verankerten Schutz des Eigentums gerecht. Wir müssen dies tun; wir haben es getan. Den Rest entscheiden die Verbraucherinnen und Verbraucher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist erstaunlich, dass die Koalition - und nicht das Ministerium, Frau Künast - schon jetzt, wenige Monate nach der Verabschiedung der Verordnungen auf EU-Ebene, einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Thema vorlegt. Im Bereich der Bio- und Gentechnik sind wir von Ihnen anderes gewohnt.

   So haben Sie das Gentechnikgesetz, das Sie, wie eben von Ihnen ausgeführt, vor zwei Tagen endlich dem Kabinett vorgelegt haben, seit dem Jahre 2001 vor sich hergeschoben. Die Umsetzungsfrist war schon 2002 abgelaufen. Da wir ja die ehemalige Bundesministerin der Justiz hier haben, lassen Sie mich einflechten: Sie schieben die Biopatentverordnung

(Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Die Richtlinie!)

- sehr wohl, die Richtlinie; man sieht, die Fachfrau ist anwesend -, also die Biopatentrichtlinie seit 1998 vor sich her und sind bis heute nicht in der Lage gewesen, in diesem Hause darüber zu diskutieren.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau, weil sie schlecht ist!)

   Das Gentechnikgesetz, das Frau Künast eben angesprochen hat und das dem Kabinett am vergangenen Mittwoch vorgelegt worden ist, ist trotz der langen Zeit, die Sie gebraucht haben, keine reife Leistung, sondern schlicht und einfach unbrauchbar.

Es ist ebenso unsystematisch wie unlogisch und es ist ein Widerspruch in sich.

   Die Ministerin scheut sich nicht, öffentlich zu sagen - gerade hat sie es wieder getan -, das Gesetz schütze den gentechnikfreien Anbau.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollen Sie wohl nicht?)

Mit Verlaub, sie sollte einmal in den Gesetzentwurf hineinschauen. In § 1 heißt es, Sinn und Zweck des Gesetzes sei die Nutzung und Förderung der Bio- und Gentechnik.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist falsch zitiert!)

Das hat, wie man hört, wohl auf Druck des Kanzleramtes in dieses Gesetz hineingeschrieben werden müssen. Das, was Sie, verehrte Frau Künast, öffentlich verbreiten, ist genau das Gegenteil dessen, was in § 1 des Entwurfs eines Gentechnikgesetzes steht.

   Sie haben gerade die Haftungsregelungen angesprochen, die im Gesetzentwurf vorgesehen werden. Diese sind ein nationaler Alleingang Ihrerseits; die entsprechenden Haftungsregelungen werden nicht zu einer Koexistenz führen. Das haben auch Sie gerade deutlich gesagt.

(Albert Deß (CDU/CSU): Sie führen nur zu Wettbewerbsverzerrungen!)

Sie wollen eine Subexistenz, eine Unterordnung der Biotechnologie unter die Ansprüche Ihrer rot-grünen Ideologie in diesen Bereichen. Das werden wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich frage Sie: Wie passt das mit der Vorgabe Ihres Kanzlers zusammen - die man landauf, landab in allen Reden zu hören bekommt - Bio- und Gentechnik in Deutschland sei die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts? Wie passt das zusammen? Mir scheint, hier ist die Richtlinienkompetenz des Kanzlers - ich muss Herrn Müntefering fragen, ob diese ihm noch geblieben ist - oder des großen Vorsitzenden gefordert. Es muss endlich geklärt werden: Wollen Sie Bio- und Gentechnik als Schlüsseltechnologie oder wollen Sie diese Technologie wie Frau Künast verhindern und das öffentlich als Sinn des Gentechnikgesetzes erklären?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Quatsch!)

- Verehrte Frau Höfken, dass müssen Sie mit Ihrem Kanzler und mit Ihrem Koalitionspartner klären. Der Gesetzentwurf ist so, wie Sie ihn vorgelegt haben, Quatsch.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)

- Doch.

   Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen Sie in der eben angeführten Eile den zweiten Schritt vor dem ersten. Insgesamt beinhaltet dieser Gesetzentwurf wieder einmal eine völlig überzogene und unverhältnismäßige Regulierung. Er widerspricht damit auch den Verordnungen der Europäischen Union, in denen ausdrücklich steht, es werde eine verhältnismäßige Umsetzung verlangt.

   Ich will Ihnen das, da ich genügend Redezeit habe, weiter erläutern.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist auch sonst keiner von Ihnen da!)

In diesen Verordnungen geht es gerade nicht um die Regelung sicherheitsrelevanter Aspekte. Herr Müntefering, Sie werden das sicherlich verstehen. Es geht auch nicht um die Erhaltung gesundheitlich wichtiger Kriterien wie zum Beispiel bei der Ausweisung von Allergenen oder den Abdruck von Diäthinweisen, wie wir sie aus dem Lebensmittelbereich kennen. Nein, es geht in diesem Fall ausschließlich um eine Kennzeichnung zur Information des einkaufenden Verbrauchers. Das muss man wissen.

   Da es bei Ihnen immer in Vergessenheit gerät, möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass es unsere Fraktion war, die schon 2001, als Erste in diesem Plenum, eine Kennzeichnung von Gentechnik beinhaltenden Produkten gefordert und dies mit der Forderung eines einprozentigen Grenzwertes eingebracht hat. Ich glaube, das haben wir heute fast erreicht. Sie können uns also nicht vorwerfen, dass wir an dieser Stelle nicht frühzeitig unterwegs gewesen wären.

(Matthias Weisheit (SPD): Ich glaube, sie wird jubeln!)

- Herr Weisheit, ich überlasse es ganz Ihnen, wie Sie das nach außen darstellen wollen.

   Zurück zur Verordnung: Die Koalitionsfraktionen wollen, dass bei einem fahrlässigen Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorschriften zur Information Sanktionen bis zu 50 000 Euro eingeführt werden. Das ist im Lebensmittelrecht weder üblich noch angemessen. In vergleichbaren Kennzeichnungs- und Etikettierungsvorschriften, die es im LMBG gibt, werden maximal 15 000 Euro angesetzt, so beispielsweise beim Fehlen oder bei der fehlerhaften Angabe des Herstellers, beim Fehlen von Verkehrsbezeichnungen, bei Nichtaufdruck der erforderlichen Nährwertkennzeichnung. Hier geht der Ansatz, den Sie verfolgen, weit über die Verhältnismäßigkeit hinaus.

   Auch der von Ihnen angeführte Vergleich mit der Strafbewehrung in § 38 des Gentechnikgesetzes ist nicht plausibel. Bei dieser Vorschrift geht es nämlich ausdrücklich um Verstöße gegen Sicherheitsmaßnahmen. Bei den heute vorgelegten Verordnungen geht es - wie ich eben deutlich gesagt habe - jedoch um Hinweise für den Verbraucher und nicht um Sicherheitsmaßnahmen.

   In beiden Bereichen ist also - das wird auch der Bundesrat heute, der parallel zu uns tagt, fordern - eine Harmonisierung mit dem übrigen Lebensmittelrecht angesagt. Das bedeutet konkret eine maximale Strafgebühr von 25 000 Euro.

   Ansonsten sind - auch das wird vom Bundesrat moniert - viele der von Ihnen verwendeten Rechtsbegriffe von einer erheblichen Unbestimmtheit. Die von Ihnen vorgelegten Gesetzesvorschriften müssen also auch insoweit überarbeitet werden.

   Eines ist aber noch viel wichtiger: Frau Künast, Sie haben vorhin gesagt, alle Inhaltsstoffe würden klar und deutlich benannt und auf die Produkte werde draufgeschrieben, was drin ist. Frau Künast, dem ist nicht so. Die Inhaltsstoffe werden von Ihnen weder klar und deutlich benannt noch wird draufgeschrieben, was drin ist. Sie schreiben auch dann drauf, es handele sich um gentechnisch verändertes Material, wenn gar keine Gentechnik drin ist. Das ist die Vorschrift, die auf europäischer Ebene - mit Ihrer Zustimmung - erlassen worden ist, und das ist etwas anderes.

   Hier jedoch - und das wissen Sie genauso wie die Regierungsfraktionen - wissen wir noch nicht, wie diese Anwendungsregeln im Einzelnen aussehen sollen. Sie regeln also schon die Sanktionen, wissen aber überhaupt noch nicht, was genau sanktioniert werden soll. Ich will Ihnen das anhand einiger Beispiele belegen: Sowohl der Lebensmittelhandel als auch die Hersteller beklagen, dass bis jetzt völlig offen ist, ob und, wenn ja, wie in den Fällen, in denen im Produktionsprozess Gentechnik eingesetzt wird, im Endprodukt aber kein gentechnisch verändertes Material mehr enthalten ist, die Kennzeichnung erfolgen muss.

(Matthias Weisheit (SPD): Nicht mehr nachweisbar ist!)

- Nicht mehr drin ist! Wenn nichts mehr drin ist, ist auch nichts mehr nachweisbar.

(Lachen bei der SPD)

- Ganz ruhig. Ich will Ihnen das ein Stück weit auf der technischen Ebene erläutern. Vielleicht verstehen wir uns dann etwas besser.

   Lassen Sie mich diese technische Seite etwas näher betrachten. Beim Import von Soja, von dem wir seit Jahren zigtausend Tonnen importieren, wird - so steht es im Gesetz - per Zertifikat, das geprüft wird, mitgeteilt: kein gentechnisch verändertes Material enthalten. Staatssekretär Berninger war so freundlich, mir das auf meine Fragen deutlich darzustellen. Die Importbehörden schauen auf das Zertifikat und prüfen, ob das Zertifikat mit dem äußerlichen Zustand des Soja übereinstimmt. Beispiel Brasilien: Brasilien zertifiziert immer: alles gentechnikfrei. Jeder Mensch weiß aber, dass in Brasilien seit Jahren Gensoja angebaut wird.

(Ulrich Heinrich (FDP): Zunehmend!)

   Wie lautet die Regelung für den Importeur? Der Lieferant bestätigt ihm: gentechnikfrei. Nach Ihren Vorschriften hat der Importeur bislang jedenfalls nicht die Pflicht, eine Analyse vorzunehmen. Er nimmt sich das Zertifikat, sagt, es steht „gentechnikfrei“ drauf, also gebe ich meine Produkte als gentechnikfrei weiter. Irgendwann in der Kette nimmt jemand eine Analyse vor und sagt: Halt, Betrug! Diesen wollen Sie dann mit 50 000 Euro sanktionieren, obwohl Sie die Anwendbarkeit dieser Regel noch nicht geklärt haben. Das ist ein Beispiel.

   Es wird aber noch interessanter. Bei Soja kann man wenigstens noch eine Analyse durchführen.

(Zuruf von der SPD: Das war ziemlicher Unfug!)

- Das ist die Wahrheit und nicht Unfug. Das passiert täglich. Sie sollten sich einmal in der Praxis umhören, dann wüssten Sie auch, wovon Sie reden.

   Zweites Beispiel: Sie importieren jetzt nicht mehr Soja, sondern daraus erzeugte Stoffe, zum Beispiel Vitamine aus China oder Südkorea, Futterzusatzmittel, Aminosäuren, Fermentationsprodukte. Bei diesen können Sie trotz Analyse keine gentechnisch veränderten Materialien mehr nachweisen. Der Erzeuger im Ausland ist nun aber nicht an unsere Vorschriften gebunden. Er kennt ein völlig anderes Recht. Für ihn gilt: Ich muss Gentechnik nur dann zertifizieren, wenn sie analytisch nachweisbar ist. Wenn Sie nicht nachweisbar ist, muss er auch nichts zertifizieren. Diese Produkte werden nun also geliefert. Per Analyse können Sie nicht mehr feststellen, ob irgendwann im Produktionsprozess gentechnisch verändertes Material verwendet worden ist. Das ist technisch nicht möglich.

   Im Übrigen haben Sie bis heute auch noch keine Analyserichtwerte festgeschrieben. Sie haben auch noch keine Referenzlabore festgelegt. Sie haben das ganze Verfahren überhaupt noch nicht geklärt, sagen aber trotzdem: Wer dagegen verstößt, soll 50 000 Euro Strafe zahlen. Hier wird wirklich das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Sie haben hier eine große Bringschuld, bevor wir dieses Gesetz überhaupt verabschieden können. Das ist jedenfalls meine Auffassung.

   Wenn sich der Importeur auf diese Daten verlässt und entsprechend weitergibt, macht er sich dann strafbar oder nicht, weil er die Verwendung gentechnisch veränderten Materials analytisch nicht nachweisen kann?

Auch hier ist die Situation völlig offen. - Da Sie den Kopf schütteln, empfehle ich Ihnen, sich einmal mit den Experten auf europäischer Ebene zu unterhalten. Rufen Sie beim Europäischen Handelsinstitut an und lassen Sie sich sagen, welche Probleme es gibt! Die werden Ihnen das sehr ausführlich und deutlich vortragen.

   Ich meine, wir müssen in diesen Anwendungsbereichen erst einmal klären, wie die Probeentnahme erfolgt, wo das Referenzlabor ist, welche Analytik vorgeschrieben ist und wie der entsprechende Nachweis erbracht wird.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Erst dann können wir uns über Strafbewehrungen unterhalten.

   Ich könnte noch weitere hübsche Beispiele nennen. Aber so lang, dass ich sie hier vortragen könnte, ist meine Redezeit nicht. Das können wir allerdings gerne in einem persönlichen Gespräch nachholen.

   Es freut mich, Frau Künast, dass die Lebensmittelkontrolle in Bayern hervorragend funktioniert. Dieses Lob werden die Bayern sicherlich gerne mit nach Hause nehmen; denn Sie haben hier ja schon ganz andere Aussagen verbreitet. Dass man entdeckt hat, dass in Bayern Gen-Papayas aus Hawaii angeliefert wurden, ist sicherlich ein Fortschritt in der Lebensmittelkontrolle. Hier haben die Bayern hervorragende Arbeit geleistet. Das ist erfreulich.

   Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, mit dem auch Sie sich jetzt massiv beschäftigen: die Frage der Zuständigkeit der Behörden für den Bereich der Gentechnik. In diesem Jahr haben Sie ja schon einmal in Form eines Vorschaltgesetzes den Anlauf unternommen, das Bundesamt für Naturschutz hier als Benehmensbehörde zu installieren. Dazu gab es im Bundesrat zwar einen langen Beratungsprozess; aber letztlich ist dies umgesetzt worden. Jetzt tun Sie dasselbe wieder. Ausgerechnet das Bundesamt für Naturschutz soll für die Zulassung von Lebensmitteln zuständig sein. Da fragt sich doch wirklich jeder: Wo ist hier der inhaltliche Zusammenhang?

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also wirklich! Es geht doch um Umweltwirkungen! Bei Ihnen wäre wahrscheinlich Aventis zuständig!)

Ich sage Ihnen: Es gibt keinen inhaltlichen Zusammenhang. Wenn überhaupt, dann müssten Sie sich für das Umweltbundesamt entscheiden. Aber das Bundesamt für Naturschutz hat da inhaltlich nichts zu suchen.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich! Das ist Monitoring!)

- Ja, Frau Höfken. Der Bundesrat hat es selber so formuliert: Die Beteiligung des Bundesamtes für Naturschutz wird als nicht sachgerecht erachtet. Vielmehr ist hierfür das Umweltbundesamt vorzusehen. - Das ist also nicht nur meine Auffassung, sondern auch die einer ganzen Reihe anderer.

   Ich kann mir schon vorstellen, warum Sie so sehr darauf drängen. Wir haben ja schon einmal über den Mann an der Spitze dieses Amtes, Herrn Vogtmann, und seine Auffassung debattiert.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, da haben Sie auch verloren!)

Jetzt lese ich, dass dort zum Thema Gentechnik ganz zufällig eine neue Abteilung geschaffen wird und Frau Tappeser vom Ökoinstitut in Freiburg im BfN eingestellt wird. Das sind schon Zufälle!

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine von allen absolut anerkannte Wissenschaftlerin!)

   Ich sage Ihnen einmal, welchen Eindruck ich habe: Sie sind dabei, das Bundesamt für Naturschutz zu einer Biotech-Blockadebehörde auszubauen. Deswegen wird es immer nach vorne geschoben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Entscheidende ist dabei Ihr politisches Ziel und nicht die inhaltliche Auseinandersetzung.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Aber selbstverständlich. Das gibt mir Gelegenheit, einen Schluck Wasser zu trinken.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Sie haben ja auch nicht mehr viel Redezeit. Es wäre gut, das miteinander zu verbinden.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Ja, auf diese Weise verlängert sich meine Redezeit.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich übernehme gerne die Redezeit, wenn Sie weiter Wasser trinken wollen.

   Ich frage Sie Folgendes: Erstens. Ist Ihnen bekannt, dass im Rahmen des Gentechnikgesetzes die Umweltwirkungen zu beobachten sind, dass dafür selbstverständlich eine Naturschutzbehörde sach- und fachgerecht zur Verfügung stehen sollte und dass mit dem Monitoring kaum andere Aufgaben verbunden sind? Zweitens. Welche Einwände haben Sie gegen Frau Tappeser und an welchen inhaltlichen Punkten machen Sie sie konkret fest?

(Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Das würde uns auch interessieren!)

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage. Wir reden hier nicht über das Gentechnikgesetz.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie doch die ganze Zeit gemacht! - Heiterkeit bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Dann haben Sie mir vielleicht nicht richtig zugehört. Wir reden hier über den Gesetzentwurf zur Durchführung der Verordnungen, den Ihre Fraktionen vorgelegt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe eine kurze Replik zum Gentechnikgesetz gegeben.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Frau Künast hat diese Argumentation eingeführt. Sie hat mit dem Thema Gentechnikgesetz begonnen, obwohl es gar nicht auf der Tagesordnung steht. Daher fühlte ich mich veranlasst, Frau Künast zu replizieren.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ja, ist doch in Ordnung!)

Das ist, wie ich denke, der normale parlamentarische Umgang, den wir hier haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie haben jetzt also zum Gentechnikgesetz gefragt und nicht zu den Gentechnikverordnungen; das sage ich nur, damit wir die Dinge auseinander halten. Beim Gentechnikgesetz ist sicherlich für das Monitoring in dem schmalen Bereich, den Sie anführen, auch das Bundesamt für Naturschutz mit einzubeziehen. Aber für den Beurteilungsbereich in seiner vollen Breite hat das Bundesamt für Naturschutz überhaupt nicht die Kompetenz. Es gibt ein Amt, das hier die breite Kompetenz hat, nämlich das Umweltbundesamt. Das Umweltbundesamt hat das in der Vergangenheit auch immer gemacht, und zwar erfolgreich. Offensichtlich hat das Umweltbundesamt aber nicht die Ergebnisse erbracht, die politisch erwünscht sind. Deswegen wurde es weggeschoben und stattdessen das BfN eingespannt, das - ich sage es noch einmal - von Ihnen jetzt auch personell zu einer Biotech-Blockadebehörde ausgebaut wurde. Diesen Eindruck habe ich; das ist meine politische Beurteilung.

   Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht: Ich meine, dass es über die Person von Frau Tappeser in der wissenschaftlichen Kommunität sehr eindeutige Auffassungen gibt. Ich will darauf hinweisen, dass Sie Frau Tappeser schon zweimal in Anspruch genommen haben, um eine schon beschlossene Zulassung von modernen Biotechnikprodukten mit einem Gutachten - aus meiner Sicht kam das einem Gefälligkeitsgutachten sehr nahe - auszuhebeln. Dieses Gutachten hat Ihnen die Argumentation geliefert, um gegen eine schon im Gang befindliche Zulassung per Ministerdekret, wie bei den Apfelbäumen in Quedlinburg, einzuschreiten.

   Dass es da, aus meiner Sicht, sehr enge Zusammenhänge gibt, können Sie mir, glaube ich, nun wirklich nicht absprechen. Deswegen halte ich Ihre Besetzung des BfN für sehr einseitig. Ich hoffe, dass ich Ihnen damit ausführlich gedient habe.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich danke Ihnen für die Aussage, die sicherlich einer Überprüfung standhalten wird.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Da bin ich mir ganz sicher. Ich kenne die wissenschaftliche Literatur so gut, dass meine Aussage einer Überprüfung standhält.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Jetzt nicht zum Dialog, sondern zum schnellen Ende.

Helmut Heiderich (CDU/CSU):

Nun zum schnellen Ende, Frau Vorsitzende. - Summa summarum: Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen - so unscheinbar er daherkommt -, bedeutet aus meiner bzw. unserer Sicht erneut eine unverhältnismäßige Belastung der Bio- und Gentechnik. Er bringt erneut die notwendige Innovation ins Stolpern, die der Kanzler will. - Ihr Oberster ist gerade gegangen; er kann es schon weitergeben. - Der Gesetzentwurf bringt dem Standort Deutschland weitere Benachteiligungen, Herr Müntefering, und Sie wären gut beraten, den Kanzler zu unterstützen, dass Bio- und Gentechnik eine Schlüsseltechnik in Deutschland werden kann und nicht ständig von Frau Künast ausgebremst wird.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.

Matthias Weisheit (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war nichts anderes von Ihnen zu erwarten, Kollege Heiderich, und der Zeit angepasst war es fast eine Büttenrede.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die Wahrheit muss auf den Tisch! - Albert Deß (CDU/CSU): Das war sachlich sehr überzeugend!)

Dass Sie das alles natürlich kritisieren - -

(Abg. Helmut Heiderich (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich lasse keine Zwischenfrage zu.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Das ist bedauerlich!)

- Wir können uns die Freundlichkeiten im Ausschuss noch in großem Umfange an den Kopf werfen,

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Gerne!)

aber wir müssen hier heute die Zeit nicht unnötig verzögern.

   Ihre Rede war schon ganz bemerkenswert. Sie kritisieren immer, dass wir zu lange brauchen; das haben Sie heute auch wieder gemacht. Dieses Mal waren wir schnell. Das passt Ihnen aber auch nicht.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Sage ich doch: Erstaunlich!)

   Dass wir diese drei EU-Verordnungen in nationales Recht umsetzen, ist schon bemerkenswert. Letztendlich geht es darum, den Verbraucheransprüchen auf Klarheit auf dem Etikett, auf Klarheit der Kennzeichnung nachzukommen. Wir kommen auch den Ansprüchen der Landwirtschaft nach, die wissen will: Können wir - als Ökobauer oder als konventioneller Bauer, der gentechnikfrei produzieren will - uns darauf verlassen, dass die Futtermittel, die wir einsetzen, auch tatsächlich gentechnikfrei sind? Dass die Futtermittel Gegenstand der EU-Verordnung sind, ist also ganz wichtig.

   Das Problem des Nachweises ist altbekannt; Sie haben das bereits angesprochen. Wir wissen sehr wohl, dass das eine oder andere Produkt aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt ist, was am Produkt selbst aber nicht nachweisbar ist. Deshalb haben wir bei der Novel-Food-Verordnung, in der unter anderem die Kennzeichnung geregelt war, darauf verzichtet, eine Regelung aufzunehmen, dass man ein solches Produkt kennzeichnen muss.

   Indem die Herkunft dokumentiert werden muss und die Rückverfolgbarkeit sichergestellt ist, ist meiner Überzeugung nach ein Weg gefunden worden, dass die Hersteller ausweisen müssen, dass gentechnisch veränderte Organismen verwendet wurden, auch wenn dies im Produkt nicht mehr nachweisbar ist. Sind sie im Einkauf irgendwann nachweisbar, dann erscheint das auch in der Dokumentation. Eine solche Regelung ist auch im freiwilligen QS-System bei Futtermitteln vorgesehen. Es werden hohe Sanktionen verhängt, wenn jemand dagegen verstößt. Das hat die Wirtschaft freiwillig so geregelt. Warum soll man das also nicht auch in einem Gesetz regeln?

   Es muss möglich sein, entsprechend hohe Sanktionen auszusprechen. Ich bin dafür, dass wir diesen Bereich mit dem übrigen Lebensmittelrecht harmonisieren, allerdings in dem Sinne, dass die Sanktionen im übrigen Lebensmittelrecht nach oben korrigiert werden. Ein großer Konzern, der wissentlich und fahrlässig dagegen verstößt, lacht doch nur über 25 000 Euro.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Ein kleiner nicht! Es gibt auch kleine Unternehmen!)

- Gibt es die wirklich noch?

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Ja!)

- Deswegen heißt es im Gesetzentwurf auch „bis zu“. Wie hoch genau die Sanktion ausfällt, müssen die Gerichte entscheiden. Meiner Überzeugung nach könnten die Sanktionen noch höher ausfallen.

   Durch die Dokumentationspflicht und die Verpflichtung, die Rückverfolgbarkeit sicherzustellen, ist es also möglich, die Kennzeichnung von Produkten zu verlangen, in denen gentechnisch veränderte Organismen enthalten sind, die man aber nicht mehr nachweisen kann. Die Verbraucher haben inzwischen ein großes Interesse daran; hier hat eine tolle Entwicklung stattgefunden. Ich kann Ihnen das an folgendem Beispiel deutlich machen: Greenpeace - für Sie ein Feindbild - hat eine Broschüre mit einer Erstauflage von 200 000 Stück herausgegeben, in der zu lesen ist, in welchen Produkten gentechnisch veränderte Organismen enthalten sind und in welchen nicht. Diese Broschüre war wenige Tage, nachdem sie auf den Markt gekommen ist, bereits vergriffen. Man bekommt sie nicht mehr. Dabei hätte ich sie gerne heute mitgebracht und gezeigt.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Ich habe sie!)

Daran sehen Sie, welch hohes Interesse in der Bevölkerung besteht, zu wissen, ob zum Beispiel für dieses bestimmte Ketchup gentechnisch veränderte Tomaten verwendet wurden oder nicht.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Das weiß Greenpeace auch nicht! Das behaupten die nur!)

- Man kann das kontrollieren, wenn man weiß, woher die Tomaten kommen, wer die Tomaten angebaut hat und ob sie gentechnisch verändert sind oder nicht. Das kann man in der Dokumentation eindeutig verfolgen.

   Ich habe mich schon oft gefragt, warum man es nicht deklariert und kennzeichnet, dass gentechnisch veränderte Organismen enthalten sind, wenn das so unbedenklich ist, wie immer behauptet wird. In diesem Fall könnte es sogar ein hervorragendes Werbemittel sein. Ich hege folgenden Verdacht: Man möchte es natürlich nicht deklarieren, wenn man Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Organismen durch die Hintertür einführen will. Menschen, die über zehn Jahre und länger geglaubt haben, sie könnten sich gentechnikfrei ernähren, erklärt man, das stimme nicht, weil man ihnen mit diesen oder jenen Produkten, die sie jeden Tag einkaufen, seit langem heimlich gentechnisch veränderten Organismen zugeführt habe, und dann fragt man sie, ob es ihnen geschadet habe. Das ist eine Strategie verschiedener Konzerne, die auf diesem Gebiet arbeiten, und in meinen Augen leider auch eine Strategie einiger Vertreter hier im Deutschen Bundestag.

Diese Strategie darf nicht aufgehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen daher eine klare Kennzeichnungsregelung, die Möglichkeit zur Rückverfolgung und eine Sanktionsregelung.

   Ich sehe, ich bin mit meiner Redezeit richtig gut ausgekommen. Ich hätte zwar noch ein paar Sekunden, aber die schenke ich dem nächsten Redner.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Der wird sich freuen!)

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das ist eine seltene Großzügigkeit. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst einmal bei der CDU/CSU und nun auch bei der SPD für die zusätzliche Redezeit. Ich bin das nicht gewohnt. Es ist aber eine Sitte, die durchaus fortgeführt werden könnte.

   Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Redebeitrag einleitend gesagt, dass das Gentechnikgesetz, das am Mittwoch im Kabinett verabschiedet worden ist, dem Schutz des gentechnikfreien Anbaus dienen solle. Kollege Heiderich hat zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass im Gesetz etwas anderes steht. Als Ziel des Gesetzes steht unter Punkt 2 zum Beispiel, dass die Koexistenz von gentechnikfreiem Anbau mit gentechnisch modifizierten Organismen geregelt werden solle.

   Ich darf daran erinnern, dass der ökologische Anbau zurzeit ungefähr 4 Prozent ausmacht. Diese Landwirte haben sich verpflichtet, die Gentechnik nicht zu nutzen. Ich bin der Meinung, dass eine solche Minderheit sehr wohl geschützt werden muss und dass das Gentechnikgesetz dazu dienen muss, die Produktionsmöglichkeiten dieser Minderheit zu erhalten. Eine Minderheit darf eine Mehrheit aber nicht majorisieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

So, wie sie es regeln, wird die Minderheit die Mehrheit majorisieren. Das ist schlichtweg nicht in Ordnung.

   Ich darf daran erinnern, dass in der überregionalen Presse bezüglich Ihrer Politik von einem Veräppeln der Forschung gesprochen wird. Genau das tun Sie, wenn die Forschung zwar zugelassen wird, Freisetzungen von Ihnen aber kurzfristig unterbunden werden, wie dies beispielsweise beim Apfelversuch in Pillnitz und Quedlinburg geschehen ist. Damit haben Sie gegen die Interessen der Obstbauern in Deutschland gehandelt, die darauf warten, diese genetisch veränderten Organismen anbauen zu können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Frau Ministerin, ich darf Ihnen auch sagen: Mit einer Ihrer Aussagen liegen sie schlichtweg falsch. Gentechnisch verändertes Lezithin wird auch in Zukunft nicht angezeigt werden müssen. Ich erinnere an die Verordnung 1829/2003. In Absatz 16 steht ausdrücklich:

Diese Verordnung sollte Lebensmittel und Futtermittel abdecken, die „aus“ einem GVO, jedoch nicht solche, die „mit“ einem GVO hergestellt sind.

Bei Lezithin handelt es sich um ein Lebensmittel, das mit einem GVO hergestellt worden ist. Es muss also nicht gekennzeichnet werden.

   Frau Ministerin, Ihre Falschaussagen auch hier im Parlament nehmen überhand.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Beim goldenen Reis haben Sie hier wider besseres Wissen Falschaussagen getroffen. Heute haben Sie es wieder getan. Bereiten Sie sich auf Ihre Regierungstätigkeit bitte ein bisschen besser vor!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Kollege Weisheit, ich würde mir wünschen, dass Sie die Kontrolle der Regierungsarbeit auch im Bereich der Gentechnik ein bisschen ernster nehmen. Zu Recht haben auch Sie darauf hingewiesen, Bundeskanzler Schröder habe im Januar die Innovation hervorgehoben und herausgestellt. Das war eine notwendige und sinnvolle Initiative des Bundeskanzlers, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen und unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Schon im Februar ist das aber wieder vergessen.

   Das uns heute aus dem Hause Künast vorgelegte kleinkarierte Gesetz macht deutlich, dass die Innovationsinitiative des Bundeskanzlers eine Luftblase war.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Regierungsalltag setzen sich grüne Pepitapolitiker durch, die in Lebensmitteln aus genetisch veränderten Pflanzen den Untergang des Abendlandes wittern, obwohl diese Lebensmittel seit langem in aller Munde sind.

   Kollege Weisheit, ich glaube nicht, dass dies eine Strategie der bösen Großkonzerne gewesen ist.

(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo leben Sie denn?)

Es sind schlicht und ergreifend sinnvolle praktische Anwendungen. Denken Sie daran, dass Chymosin normalerweise aus Kälbern gewonnen wird! Denken Sie an das Verfahren! Es ist nicht gerade appetitfördernd. Genetisch hergestelltes Chymosin ist allemal die bessere Alternative. Dies wird gegessen und hat noch niemandem geschadet. Der Käse schmeckt uns allen.

(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ernähren Sie sich doch künstlich und gehen Sie an den Tropf!)

- Hören Sie in den hinteren Reihen doch auf zu pöbeln. Das brauche ich nicht.

   Sie, Frau Ministerin Künast, stehen wie ein begossener Pudel da, seit Sie - darin unterstütze ich Sie ausdrücklich - erklärt haben

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- hören Sie doch bitte zu, was Ihre Ministerin gesagt hat! -, es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass von Lebensmitteln aus genetisch veränderten Pflanzen Gesundheitsgefährdungen ausgehen. Recht hat sie; das muss man einmal sagen dürfen.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Das sagt sie aber selten!)

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat Sie in dieser Frage richtig beraten. Daher ist jetzt die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gefragt; denn Sie, Frau Ministerin, sind von den Gegnern der Gentechnik eingebunden und gefesselt und daher nicht in der Lage, die richtigen Konsequenzen aus der eigenen Erkenntnis zu ziehen.

   Ein Ergebnis Ihrer Unfähigkeit, die eigenen Erkenntnisse umzusetzen, ist der Entwurf des Gentechnik-Durchführungsgesetzes, das wir beraten. Drei bzw. fünf Jahre Haft sowie Geldbußen bis zu 50 000 Euro werden in den Strafvorschriften des Gesetzentwurfs gefordert. Das ist völlig überzogen. Damit werden bei Verfehlungen gegen das Gentechnik-Durchführungsgesetz deutlich härtere Strafen als im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz gefordert, obwohl das Schutzgut dasselbe ist und die möglichen Gefährdungen sogar eher geringer sind.

   Die Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften sind in der Sache nicht gerechtfertigt. Sie müssen mit denen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes harmonisiert werden. Herr Kollege Weisheit, auch Sie haben dies gefordert. Ich bedanke mich, dass wir hier einer Meinung sein können. Diese Harmonisierung darf aber nicht auf zu hohem Niveau erfolgen, sondern es muss zu einer praktikablen Lösung kommen. Meines Erachtens kann man beispielsweise fehlende Kennzeichnung nicht mit der Gefährdung von Leib und Leben gleichsetzen. Das ist einfach falsch.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   In dem Gesetz müssen jegliche Wertungswidersprüche vermieden werden; denn die Klärung darf in der Praxis nicht der Rechtsprechung überlassen werden. Dieser Gesetzentwurf ist unsauber ausgearbeitet. Es sollen für die Durchführung von drei EU-Verordnungen die zuständigen Behörden bestimmt und Strafvorschriften festgelegt werden. Es geht um die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen, die Umsetzung des Cartagena-Protokolls und die Umsetzung der Verordnung über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel. Es müssen zügig die gesetzlichen Voraussetzungen für die Umsetzung dieser drei Verordnungen geschaffen werden; denn die Verordnungen müssen direkt umgesetzt werden. Aber dieser Aufgabe wird der Gesetzentwurf nicht gerecht.

   Die Regierung missbraucht das Gesetz, um den Umgang mit genetisch veränderten Organismen und daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln durch die Hintertür der Umsetzung von EU-Vorschriften an den Pranger zu stellen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vorliegt. Der Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht gearbeitet, so wie die Regierungsarbeit dieser rot-grünen Koalition handwerklich schlecht ist,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

weil er die notwendige Harmonisierung mit den Strafvorschriften des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes unterlässt und neue Rechtsbegriffe einführt.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wollen die Verbraucher weiter täuschen!)

- Man muss keine neuartigen Rechtsbegriffe einführen und keine Wertungswidersprüche in ein Gesetz aufnehmen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Das ist schlicht Humbug. Man kann ein solches Gesetz fachlich und ordentlich sauber erarbeiten.

   Die Verordnung 1829/2003 beschreibt als Ziel die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für Leben und Gesundheit des Menschen sowie Gesundheit und Wohlergehen der Tiere. Dieses Ziel gehört eindeutig nicht zu den Kernaufgaben des Bundesamtes für Naturschutz. Die rot-grüne Vorliebe für die Beteiligung des Bundesnaturschutzamtes bei der Umsetzung von Gentechnikgesetzen ist schon auffällig. Sie hat nichts mit Ihrem Interesse am Naturschutz zu tun, sondern gilt der personellen Ausgestaltung des Amtes als Hort des grünen Fundamentalismus.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das mag gut für grüne Karriereaussichten sein, aber es ist schlecht für den Naturschutz.

(Beifall bei der FDP)

   Wir alle haben verfolgt, wie schlecht die FFH-Richtlinie in Deutschland umgesetzt worden ist und wie viele Fehler das Bundesnaturschutzamt, grüne Minister und Verwaltungen dabei gemacht haben. Es ist eine Katastrophe, in welcher Weise Naturschutz von Ihnen zugrunde gerichtet wird. Das wird der Sache überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist 15 Jahre her!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, denken Sie daran, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Das ist ausgesprochen schade.

(Peter Dreßen (SPD): Das ist unanständig!)

- Das ist nicht unanständig. - Es ist eine Tatsache, dass es keine genfreien Tomaten gibt und es sie niemals gegeben hat. Ebenso gibt es keine gentechnikfreien Haushalte. Freiheit von Genen gibt es nicht. Der Verzicht auf Gentechnik stellt - anders als Sie es uns weismachen wollen - keinen Wert dar.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, das könnte doch Ihr Schlusssatz gewesen sein.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Ich bin beim letzten Satz. - Daher ist es an der Zeit, notwendige Regelungen mit geringstem bürokratischen Aufwand zu organisieren und sich vom Antigentechnikpopanz zu verabschieden.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Peter Dreßen (SPD): Jetzt haben Sie uns aber den Appetit verdorben! - Gegenruf des Abg. Ernst Burgbacher (FDP): Das war der Sinn der Sache!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Herta Däubler-Gmelin.

   Es geht um eine klare Kennzeichnung und Kontrolle. Ob noch Verbesserungen an dem Gesetz möglich sind, wird sich zeigen. Das werden wir genau prüfen.

   Bei Ihren Ausführungen aber, Herr Heiderich, habe ich mir einen Moment vorgestellt, alles, was Sie angesprochen haben, müsste in das Gesetz aufgenommen werden. Ich bin mir sicher: Nicht nur ich würde schreiend vor einem solchen unlesbaren Horrorgesetz davonlaufen, sondern auch Sie würden das tun.

   Wenn es Ihnen nur um eine Regelung des Verfahrens geht, was nicht im Gesetz erfolgen muss - davon gehe ich aus, weil ich Sie kenne -, dann macht es doch keinen Sinn, alle Ihre Anwürfe der Ministerin an den Kopf zu werfen.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Doch! Sie muss doch die Verfahrensregelungen schaffen!)

   Ich komme zu einen weiteren Punkt. Ich fand das von Ihnen angeführte Beispiel eines Importeurs von Sojabohnen aus Brasilien merkwürdig. Wären Sie statt von Sojabohnen von Automobilen und den entsprechenden Sicherheitsvorschriften ausgegangen, dann wäre Ihnen - ich sehe, Sie lächeln schon - Ihr Gedankengang komisch vorgekommen. Denn Sie wissen genau, dass da bestimmte Standards eingehalten werden müssen. Wenn dies nicht der Fall ist, haftet selbstverständlich auch der Importeur, wenn er Produkte einführt, die den geltenden Standards nicht entsprechen.

   Warum das bei der Einfuhr von Pflanzen oder Futtermitteln anders sein soll, erschließt sich, glaube ich, nicht nur mir nicht, sondern in Wirklichkeit auch Ihnen nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hierbei zeigt sich, dass es wahrscheinlich klüger gewesen wäre, wenn Sie einfach gesagt hätten: Ich bin für genveränderte Pflanzen, mir passt der ganze Kurs nicht.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Ich habe immer noch eine Wortmeldung!)

- Ich mache es so wie Sie und lasse die Zwischenfrage am Ende meiner Redezeit zu; dann kann ich sie verlängern. Das war ein guter Tipp.

   Aber neutral zu tun und dann zu erklären, das Gesetz sei richtig, das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme zu einem weiteren Punkt. Notwendig ist auf jeden Fall, dass die Rückverfolgbarkeit und die Rückholbarkeit sichergestellt werden, weil wir, wenn wir ehrlich sind, alle nicht wissen, was im Einzelnen auf uns zukommt. Wenn ich mich mit Landwirten in Bayern und Baden-Württemberg unterhalte, die - lassen Sie mich das hinzufügen; Gott sei es geklagt - immer noch überwiegend die CDU wählen und ihnen Ihre heutigen Ausführungen schildere, lieber Herr Heiderich, dann wird das für die Landwirte ein starkes Aha-Erlebnis sein. Sie können Gift darauf nehmen, dass ich das tue.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, es gibt zwei Wortmeldungen zu Zwischenfragen, nämlich der Kollegin Happach-Kasan und des Kollegen Heiderich.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Ich habe noch 50 Sekunden Redezeit. Ich habe das genau berechnet, weil ich schließlich meine Redezeit verlängern will. Das ist doch klar.

   Wenn heute nicht die Mehrheit des Bundesrates den Haushalt 2004 sinnloserweise - weil wir das natürlich zurückweisen werden - abgelehnt hätte, dann hätte ich schon heute Nachmittag in Ulm/Ermingen angefangen. Ich mache Ihnen aber einen Vorschlag, Herr Heiderich. Wir - CDU-Leute, die so denken wie Sie, und SPD-Leute, die eine differenzierte und klare verbraucher- und landwirtsfreundliche Regelung anstreben - gehen gemeinsam zu den Landwirten. Dann erleben wir hoffentlich, dass die Argumente korrigiert werden; vielleicht können wir sogar voneinander lernen.

   Jetzt haben Sie die Möglichkeit zu Zwischenfragen. Ich habe noch 6 Sekunden Redezeit.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die will ich Ihnen nicht mehr nehmen!)

Bitte schön, Frau Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Man sollte die Chance für einen Dialog nutzen. Ich bedanke mich für die Möglichkeit einer Zwischenfrage.

   Frau Kollegin Däubler-Gmelin, haben Sie zufällig zur Kenntnis genommen, dass der Bundesrat eine sehr umfangreiche Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf abgegeben und darin sehr deutlich verschiedene Kritikpunkte zum Ausdruck gebracht hat? Ist Ihnen bewusst - ich denke, das ist der Fall -, dass ein solches Gesetz von den Ländern umzusetzen ist und dass der Bundesrat deswegen ein sehr großes Interesse daran hat, dass die darin enthaltenen Regelungen vollziehbar und umsetzbar sind? Vor diesem Hintergrund sind die Vorstellungen zu sehen, dass beispielsweise die Straf- und Bußgeldvorschriften harmonisiert und Wertungsunterschiede aufgehoben werden sollen, dass die Regelung nicht der Praxis des Strafvollzugs anheim gestellt werden darf und dass auch Bundesbehörden beteiligt werden sollen, die über entsprechende Erfahrungen verfügen, wie es beispielsweise beim Umweltbundesamt der Fall ist, nicht aber beim Bundesamt für Naturschutz. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Liebe Frau Happach-Kasan, wie Sie wissen, geben wir uns im Ausschuss große Mühe - übrigens seit 1998 ganz besonders -, in die Gesetzgebungsverfahren auch die Länder einzubeziehen. Das wird auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fall sein.

   Das Einzige, was ich an Ihrer Fragestellung korrigieren würde, wenn Sie es gestatten, ist das Wort „zufällig“. Denn

(Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Gestattet!)

selbstverständlich habe ich die entsprechenden Äußerungen gelesen. XXXXX

Ich gehe davon aus, dass Sie gehört haben, was der Kollege Weisheit gesagt hat, und dass wir über das eine oder andere noch nachdenken werden.

   Ich möchte Sie auffordern, bei den Beratungen über den vorliegenden Gesetzentwurf das zu tun, was wir - erfreulicherweise - immer machen, nämlich die Argumente der Andersdenkenden, insbesondere derjenigen, die berechtigte Sorgen haben, sehr ernst zu nehmen und nicht so zu tun, als ob die anderen nur deswegen dumme Jungen oder rückwärts gewandte Ideologen wären, weil sie der Meinung sind, dass die Agrochemie, wenn sie etwas haben möchte, nicht nur nachweisen solle, dass es nützlich ist, sondern auch, dass es nicht gesundheitsschädlich und nicht umweltschädlich ist.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ich danke auch und schließe damit die Aussprache.

   Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/2397 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelungen im Strafrecht und zur Wiedereinführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (KrzErgG)

- Drucksache 15/2333 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster der Abgeordnete Dr. Norbert Röttgen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 92. Sitzung - wird am
Montag, den 16. Februar 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15092
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion