Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > INFORMATIONS-CENTER > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   94. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 04. März 2004

   Beginn: 9.30 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU

Haltung der Bundesregierung zur Erleichterung von Einschleusungen und illegalen Einreisen aufgrund von Kontrolllücken an deutschen Flughäfen

(siehe 93. Sitzung)

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Jahr der Technik zur Stärkung der Forschungslandschaft und des Innovationsklimas in Deutschland nutzen

- Drucksache 15/2594 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

Haushaltsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 23)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung

- Drucksache 15/2520 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Nationale Küstenwache schaffen

- Drucksache 15/2581 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Innenausschuss

ZP 4 Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP

Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung

- Drucksache 15/2586 -

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Eine neue Politik für Afrika südlich der Sahara - Afrika fordern und fördern

- Drucksache 15/2574 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln europaweit einheitlich regeln - für mehr Verbraucherschutz und fairen Wettbewerb

- Drucksache 15/2579 -

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Beraterverträge auf den Prüfstand stellen - Transparenz bei Kosten- und Qualitätskontrolle sichern

- Drucksache 15/2422 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 11 a - Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge - sowie 22 - Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sicherstellen - abgesetzt werden.

   Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 91. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden:

Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Detlef Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Marianne Tritz, Claudia Roth (Augsburg), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Den Stabilisierungsprozess in der Demokratischen Republik Kongo nachhaltig unterstützen

- Drucksache 15/2479 -

überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2 auf:

4. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Innovationen und Zukunftstechnologien im Mittelstand - Hightech-Masterplan

- Drucksache 15/2551 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Jahr der Technik zur Stärkung der Forschungslandschaft und des Innovationsklimas in Deutschland nutzen

- Drucksache 15/2594 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Dietmar Staffelt das Wort.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Der ist nicht da! - Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich habe ihn aber schon gesehen!)

- Immerhin.

(Heiterkeit und Beifall - Volker Kauder (CDU/CSU): Die Regierung will schon gar nicht mehr!)

Nach einer kurzen Phase der Verwirrung wird nun Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn alles Notwendige zur Klärung beitragen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Zweite Wahl!)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Bundesministerinnen sind ja zu jeder Zeit einsetzbar.

   Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wissenschaft, Technik, Forschung und Entwicklung sind die Disziplinen, in denen deutsche Unternehmen ihre Medaillen gewinnen müssen. Nur durch Vorsprünge bei der Innovation, der Entwicklung und der Anwendung von hochwertigen Produkten, Dienstleistungen und technischen Verfahren sichern wir unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Nur so schaffen wir die Arbeitsplätze, die wir in unserem Land brauchen, und erhalten damit die Grundlage für Wohlstand, Teilhabe und Gerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb ist es für unsere Zukunft entscheidend, dass wir in den genannten Disziplinen auch weiterhin schnell und gut genug sind. Die rund 200 000 kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die jährlich neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren auf den Markt bringen, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes das Rückgrat unserer technologischen Leistungsfähigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ohne ihre Kompetenz und Innovationskraft hätten wir unsere aktuelle Position als zweitgrößter Technologieexporteur der Welt nicht erreichen können.

Richtig ist aber auch: Die Wachstumsschwäche der vergangenen drei Jahre hat auch im Innovationsverhalten der deutschen Wirtschaft Spuren hinterlassen. Betroffen sind davon nicht nur Branchenriesen und Global Players, sondern gerade auch die rund 35 000 kleinen und mittleren Unternehmen, die regelmäßig in Forschung und Entwicklung investieren. Vor allem die Probleme der Innovationsfinanzierung haben die Spielräume dafür in den vergangenen Jahren zunehmend begrenzt, Und das vor dem Hintergrund, dass wir gerade in wichtigen Bereichen wie zum Beispiel der Biotechnologie oder der Informations- und Kommunikationstechnologie wirklich erheblich dazugewonnen haben, unsere Position erheblich verbessern konnten.

   Damit das, was wir an Exzellenz, an Leistungsfähigkeit in der Forschung erreicht haben, auch zügig zu neuen Unternehmungsgründungen, zu neuen Produkten und zu Unternehmenserweiterungen führt, müssen wir die Finanzknappheit stoppen, beenden und wieder umkehren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genau da setzt der Hightech-Masterplan an. Hier setzen wir den Hebel an, um Finanzierungshindernisse für die Gründung und das Wachstum innovativer Unternehmen zu beseitigen. Das heißt im Klartext: Wir erschließen jungen Innovationsunternehmen neue Finanzquellen. Gleichzeitig verbessern wir damit die Einbindung von kleinen und mittleren Unternehmen in die Forschungs- und Innovationsnetzwerke und unterstützen den Transfer von Forschungsergebnissen durch die gezielte Förderung von technologieorientierten Aus- und Neugründungen.

   Mit dem Hightech-Masterplan setzt die Bundesregierung ihre Forschungs- und Innovationspolitik fort, die seit Jahren an den besonderen Belangen von kleineren und mittleren Unternehmen ausgerichtet ist. Die von uns nach 1998 auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Förderung junger Technologieunternehmen und innovativer Gründungen haben sich bewährt und werden deshalb auch weitergeführt. Gleichzeitig starten wir neue Initiativen, haben wir neue Elemente geschaffen, die am aktuellen Bedarf ausgerichtet sind.

   Einige wichtige Punkte möchte ich herausstellen. Wie ich bereits gesagt habe, müssen Innovationen finanziert werden; sonst werden sie nicht zu Innovationen. Wir geben deshalb dem Wagniskapitalmarkt einen neuen Impuls. Hierfür richten wir einen gemeinsamen Beteiligungsdachfonds des ERP-Sondervermögens und des Europäischen Investitionsfonds ein.

   Auch im Steuerrecht konnten wir Fortschritte erzielen. Ich bin sicher: Die Besteuerung des Carried Interest nach dem Halbeinkünfteverfahren sowie die sachgerechte Abgrenzung von vermögensverwaltenden und gewerblichen Fonds werden die Wettbewerbsfähigkeit gerade kleiner und mittelständischer innovativer Unternehmen deutlich verbessern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wissenschaft braucht Freiheit. In der Forschungspolitik schaffen wir deshalb Freiräume für exzellente Wissenschaft. Gleichzeitig verbessern wir konkret und gezielt die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft. Ein wichtiges Beispiel: Wir setzen den Aufbau professioneller Strukturen zur Patentverwertung von Forschungsergebnissen an den Universitäten fort, damit das, was wir an Know-how, an wirklich guten Forschungsergebnissen an den Hochschulen erreicht haben, auch zügig, schnell und konsequent der Verwertung und damit der Anwendung zugeführt wird und damit in neue Produkte eingeht und Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, kleine und mittlere Unternehmen sind in einem ganz besonderen Maße auf die Kooperation mit Forschungseinrichtungen, mit Hochschulen angewiesen; denn sie können in ihrem eigenen Unternehmen nicht die große Zahl von Wissenschaftlerinnen, von Forschern vorhalten, die notwendig sind, um wirklich Spitze zu sein, um im weltweiten Wettbewerb auch mithalten zu können. Sie brauchen die enge Zusammenarbeit, die Kooperation mit Forschungseinrichtungen, mit Universitäten und Fachhochschulen. Deshalb gestalten wir die Forschungsförderung mittelstandsgerecht und binden kleine und mittlere Unternehmen verstärkt in solche Netzwerke der Spitzenforschung ein. In den letzten Jahren haben wir die Zahl der geförderten kleinen und mittleren Unternehmen um 50 Prozent auf 1 700 Unternehmen erhöht. Dieses Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen.

   Wir brauchen Unternehmergeist, wir brauchen Unternehmer, die bereit sind, Risiken einzugehen und ihre Chancen zu nutzen. Deshalb forcieren und unterstützen wir Ausgründungen innovativer Unternehmen aus der öffentlich geförderten Forschung. Mit der Fördermaßnahme „Exist-Seed“ wurden in den ersten fünf „Exist“-Regionen bislang über 100 Unternehmensgründungen erfolgreich gefördert, wobei eine große Zahl von Arbeitsplätzen entstanden ist. Darüber hinaus werden wir dieses Jahr für eine umfassende Bestandsaufnahme der vielfältigen Maßnahmen im Bereich der Bildung zur Selbständigkeit nutzen.

   Unser Ziel ist klar: ein konsistentes Konzept zur Stärkung der Gründungskultur in Deutschland, dessen Umsetzung in der Schule anfängt und das bis in die Hochschulen, in die berufliche Ausbildung und die Unternehmen selbst hineinwirkt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Innovationen sind ohne qualifiziertes Personal nicht möglich. Innovation findet in Köpfen statt. Darum sind Reformen in den Schulen, in der dualen Ausbildung und in den Hochschulen eine zentrale Grundlage auch für eine erfolgreiche Innovationspolitik. Wir werden deshalb unsere Reformanstrengungen fortsetzen: Schaffung von Ganztagsschulen für eine bessere Bildung, Modernisierung und Verbesserung der Qualität der beruflichen Bildung, Erhöhung der Studienanfängerzahlen. Wir haben in diesem Jahr die höchsten Studienanfängerzahlen in den Ingenieurwissenschaften und den Naturwissenschaften, die es in Deutschland jemals gab.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich habe die notwendigen Reformschritte genannt, die wir angehen mussten und müssen, damit wir endlich wieder das qualifizierte Personal, die qualifizierten Menschen in unserem Land haben, auf denen wirklich alles ruht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Das Wichtigste ist mir aber, dass wir mit der vorliegenden Initiative für kleine und mittlere Unternehmen die Kompetenzen - das, was wir an Initiativen gestartet haben - bündeln. Mein Ministerium und das Wirtschaftsministerium führen ihre Programme zusammen, um sicherzustellen, dass wir wirklich konsistent und zielgerichtet kleine und mittlere innovative Unternehmen fördern.

   Keine Frage: Wir können bei den im Hightech-Masterplan gebündelten Maßnahmen nicht stehen bleiben, sondern wir werden unsere Forschungspolitik für kleine und mittlere Unternehmen weiterhin ausbauen. Ich will noch einige Ansatzpunkte dafür nennen, die mir wichtig sind.

   Wir brauchen einen fokussierten Förderansatz. Wir werden daher unter Einbeziehung von Wissenschaft und Wirtschaft mit einer vorausschauenden Innovationspolitik Forschungsfelder ermitteln, die eine große Chance auf künftige Innovationen und das Potenzial zu Wachstumstreibern haben. Ich möchte ein Beispiel nennen: die Nanotechnologie. Die Automobilindustrie, die Medizintechnik und die pharmazeutische Industrie werden in einem ganz starken Maße ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit auch darauf gründen müssen, dass diese neue Technologie in ihren Unternehmen Einzug hält.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb müssen wir die Forschungsförderung auf genau diese Felder fokussieren.

   Eines ist klar: Wir müssen das Wissen in Hochschulen und Unternehmen noch gezielter für Innovationen nutzen. Deshalb werden wir die Projektförderung stärker auf eine solche Missionsorientierung ausrichten. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft verständigen sich dabei auf ein Ziel und einen Umsetzungszeitraum. Entscheidend ist dabei, dass die Wissenschaft über den besten Weg zur Erreichung dieses Ziels wirklich selbst entscheidet. Staatstechnologien wären der falsche Weg. Es geht vielmehr darum, dass strategische Ziele miteinander - von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik - vereinbart werden und dann Wissenschaft und Wirtschaft selbst über den besten Weg entscheiden, um diese Ziele zu erreichen.

   Wir beobachten aktuell einen Rückzug der Unternehmen aus der Grundlagenforschung. Das ist übrigens eine Entwicklung, die schon seit mehreren Jahrzehnten spürbar sukzessive fortgeschritten ist. Weil das weltweit so ist, ist es umso entscheidender, dass wir einen funktionierenden Wissens- und Technologietransfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft erreichen; wir müssen ihn unterstützen und organisieren. Das Ziel ist, Anreizsysteme zu entwickeln, damit kommerzialisierbare, also verwertbare Potenziale neuer Forschungsergebnisse erkannt und genutzt werden. Dabei ist mir wichtig, noch mehr Transparenz in Bezug auf wissenschaftliche Ergebnisse zu erreichen.

   In Deutschland ist die Zusammenarbeit der Hochschulen mit der Wirtschaft noch immer sehr stark durch die kurzfristig orientierte, zielgerichtete Auftragsforschung gekennzeichnet. Wir brauchen in unserem Land eine langfristige Partnerschaft, eine langfristige Kooperation - sie ist in anderen Ländern stärker ausgeprägt - zwischen Hochschulen und Unternehmen. Das ist wichtig, damit eine Basis des Vertrauens entsteht, damit nicht nur zufällig, sondern wirklich systematisch neue Forschungsergebnisse zu Innovationen führen. Deshalb versuchen wir, mit unseren Initiativen genau das zu erreichen, nämlich eine neue Innovationskultur zu entwickeln und Innovationspartnerschaften zu etablieren.

Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern bestehen in Deutschland zu wenige gemeinschaftlich finanzierte Forschungseinrichtungen, die anteilig von Staat und Unternehmen getragen werden. Diese Forschungseinrichtungen können Themen bearbeiten, die zwar eine langfristige und grundlagenorientierte Forschung erfordern, gleichwohl aber ein hohes wirtschaftliches Anwendungspotenzial besitzen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich begrüße es außerordentlich, dass zwei große Unternehmen endlich auch in unserem Land Forschungsinstitute in Universitäten gründen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das eine Beispiel ist die TU Berlin, das andere Beispiel ist die Universität in Potsdam. Wir brauchen aber mehr solcher Initiativen.

   Innovationen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, die Freiraum für Neues lassen. Die innovationsgerechte Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen ist daher eine zentrale Aufgabe der Innovationspolitik, um sicherzustellen, dass Forschungsergebnisse wirklich genutzt und umgesetzt werden können. Als Beispiele für Gesetze, durch die Rahmenbedingungen beschrieben und festgelegt werden, nenne ich das Telekommunikationsgesetz und das Gentechnikgesetz. Das Gleiche gilt für die Umsetzung der Biopatentrichtlinie. Dadurch werden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, die wir brauchen, damit sich Innovationen wirklich entfalten können und zu Markterfolgen werden.

   Unstrittig ist zudem: Zu viel Bürokratie lähmt Innovationen.

(Albrecht Feibel (CDU/CSU): Woher kommt diese Bürokratie? Ihr habt sie fünf Jahre lang aufgebaut! - Jörg Tauss (SPD), zu Abg. Albrecht Feibel (CDU/CSU) gewandt: Das ist eure! Wir bauen sie ab!)

Wir werden die bürokratischen Hemmnisse im Bereich der Forschung, der Technologie und der Innovation daher weiter abbauen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir müssen das abbauen, was Sie über Jahrzehnte aufgebaut haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Bundesregierung hat es erreicht, dass die Forschungsorganisationen Globalhaushalte aufstellen. Diese Bundesregierung hat es erreicht, dass die HGF, die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, nicht mehr jährlich in mühsame Haushaltsverhandlungen eintreten muss. Unter Ihrer Ägide musste hier alles - von der Renovierung der Kanalisation bis hin zu den einzelnen Forschungsprojekten - ausgehandelt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe den Forschungseinrichtungen die notwendige Freiheit gegeben.

   Ich würde mich freuen, wenn wir darin übereinstimmten, dass wir weiterhin bürokratische Hemmnisse abbauen müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Johannes Singhammer (CDU/CSU): Ja, die ihr aufgebaut habt!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Ja, selbstverständlich.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, zwischendurch will ich darauf hinweisen, dass Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben. Sie erhalten jetzt aber die Chance, weiterzusprechen. - Bitte schön, Herr Schauerte.

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Frau Ministerin, Sie haben gerade die Erfolge sozialdemokratischer Innovationspolitik sehr nach vorne gespielt.

(Beifall bei der SPD)

Können Sie mir beantworten, warum es zum Beispiel bei den Zahlen der Patentanmeldungen pro 100 000 Menschen in bestimmten Regionen unseres Landes - sie sind besonders relevant; ich könnte Ihnen viele nennen - krasse Unterschied gibt?

   Auf 100 000 Bürger in Nordrhein-Westfalen kommen 50 Patentanmeldungen, auf 100 000 Bürger in Baden-Württemberg kommen 112 Patentanmeldungen

(Beifall des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und auf 100 000 Bürger in Bayern kommen 116 Patentanmeldungen. Die Zahl der Patentanmeldungen in Nordrhein-Westfalen - lange Zeit sozialdemokratisch regiert -

(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Immer noch!)

sinkt, während die der Patentanmeldungen in Baden-Württemberg und Bayern steigt. Das nenne ich Innovationspolitik!

(Beifall bei der CDU/CSU - Franz Müntefering (SPD): Schauerlich! - Jörg Tauss (SPD): Wir fördern in Bayern!)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Lieber Kollege, Ihr Beispiel zeigt eines sehr deutlich: Es ist gerade in der Forschungspolitik, im Übrigen aber auch in der Innovationspolitik, falsch, nur einen einzigen Gesichtspunkt herauszupicken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ich könnte Ihnen viele nennen!)

Ich gehe davon aus, dass auch Sie wissen, welche Unternehmen ihren Unternehmenssitz in den genannten Ländern haben.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ja, warum denn nur? - Johannes Singhammer (CDU/CSU): Das ist eine gute Begründung!)

Ich gehe ferner davon aus, dass auch Sie wissen, wo die Patentverwertungseinrichtungen der Forschungsorganisationen ihren Sitz haben.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

Das hat im Übrigen überhaupt nichts mit den Rahmenbedingungen zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Jörg Tauss (SPD): Sondern damit, wer es bezahlt!)

- Ja, es hat damit zu tun, wer es bezahlt. - Die Mittel für die Forschungseinrichtungen zahlt in erster Linie der Bund. Bei der FhG sind das zum Beispiel 90 Prozent.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wo kommen die Unterschiede her?)

   Ich will ausdrücklich sagen, dass es wirklich falsch ist, wenn man so argumentiert und vorgeht wie Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in unserem Land - im Übrigen auch in diesem Bundestag - ein bestimmtes Bewusstsein und eine bestimmte Einstellung brauchen, um unser gesamtes Land nach vorne zu bringen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Genau, sehr schön!)

Es gibt in allen Regionen insgesamt erheblichen Verbesserungsbedarf, um die Zahl der Patentanmeldungen noch weiter zu erhöhen.

   Kurz gesagt: Wir brauchen in unserem Land - das gilt auch für die Opposition - eine Kultur für Innovationen, die nicht kleinkariert agiert,

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Genau!)

sondern die die Chancen sieht, die in Wissenschaft und Forschung liegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wie lange wollt ihr noch regieren?)

Wir brauchen Menschen, die bereit sind - das sage ich ausdrücklich -, auch das Bekannte infrage zu stellen und den Herausforderungen unserer Zeit mit Mut und Fantasie zu begegnen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, nicht Ditmar Staffelt, sondern Sie haben heute Geburtstag. Deswegen ein herzlicher Glückwunsch!

(Beifall)

Nun erteile ich das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch von meiner Seite aus, Frau Ministerin, einen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag. Herr Staffelt hat Ihnen wahrscheinlich den Vortritt gelassen, weil Sie heute Geburtstag haben. Nehmen wir das zumindest einmal an, Herr Staffelt.

(Dietmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, wie höflich ich bin!)

   Mit dem Hightech-Masterplan wird ein für unser Land wichtiges zentrales Thema angesprochen. Wir begrüßen das ausdrücklich.

(Ludwig Stiegler (SPD): Das ist unglaublich!)

Unser Land braucht Innovation und Hightech-Produkte. Unser Land muss schneller, besser und kreativer werden und bleiben. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund des Wettbewerbs mit unserer internationalen Konkurrenz. Der 1. Mai mit der EU-Osterweiterung und damit auch die Billiglohnländer stehen vor der Tür. Wir können, wollen und sollen auch nicht in Konkurrenz mit diesen Billiglohnländern treten. Das wäre vollkommen verfehlt. Wir wissen: Wir brauchen einen funktionsfähigen Niedriglohnsektor. Die so genannte einfache Arbeit muss zukünftig auch in Deutschland wieder möglich sein und darf nicht diskreditiert werden.

   Aber um unseren Wohlstand und unser soziales Netz in der Zukunft aufrecht zu erhalten und die Sozialhilfe, das Kindergeld und unsere Infrastruktur finanzieren zu können, müssen wir als Allererstes Produkte herstellen, die Spitze und besser als die aller anderen Länder sind. Das gilt für das Auto genauso wie für die Chemie, die Medizin und die Forschung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn wir das Wort Innovation hören,

(Jörg Tauss (SPD): Ihr habt das über Jahre verpennt!)

dann ist dies für uns nur ein Schlagwort. Wir sehen vor unseren Augen Hightech und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Aber dahinter steckt ein ganz großer sozialer Prozess, nämlich Bildung, dicht gefolgt von der Forschung. Wenn wir auf diesen Zug Richtung Zukunft aufspringen wollen, dann brauchen wir Bildung, Forschung und Unternehmertum.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

   Nur so schaffen wir es, die Technologieführerschaft wieder zurückzugewinnen, die wie einmal gehabt haben. Wir wissen, wir stellen weiterhin Produkte her, die noch immer weltweit Spitze sind und die zumindest konkurrenzfähig sind, aber leider mit abnehmender Tendenz. Der Trend unserer Wirtschaft ist alarmierend. Wir dürfen davor die Augen nicht verschließen. Das gilt besonders für die Ausbildung in Technologiebereichen, wie Maschinenbau und Elektrotechnik. Hier haben sich die Zahlen in den letzten Jahrzehnten nahezu halbiert. Das ist alarmierend.

(Jörg Tauss (SPD): Vor allem in München!)

- Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. Ansonsten können Sie sich zu einer Zwischenfrage melden.

(Jörg Tauss (SPD): In München habt ihr beim Maschinen- und Fahrzeugbau gekürzt und den Lehrstuhl abgebaut! Die Wahrheit muss man vertragen!)

- Herr Tauss, hören Sie zu! Sie sollten sich wirklich hinter die Ohren schreiben, dass unsere deutschen Unternehmen allein in forschungs- und entwicklungsintensiven Produktionsbereichen einen Anteil von einem Drittel am Welthandel verloren haben.

   Ich sage es Ihnen ganz offen: Ich begrüße es, Frau Ministerin, dass das Wirtschafts- und Arbeitsministerium zusammen mit dem Bildungsministerium ein gemeinsames Papier auf den Tisch gelegt hat. Aber so gut dies auch ist, so fehlt mir hier der Glaube in Bezug auf die Realisierung. Eherne Ziele sind zwar schön und gut, aber sie müssen auch umgesetzt werden. Wie oft haben wir aus dem Munde des Wirtschaftsministers von diesem Pult aus immer wieder Versprechungen gehört, von denen aber keine umgesetzt worden sind! Was nützen tolle Worte, wenn anschließend die konkreten Taten fehlen? Wo ist denn der Masterplan Bürokratieabbau?

Wo ist denn hier Bürokratie abgebaut worden? Während Ihrer Regierungszeit ist doch immer mehr Bürokratie aufgebaut worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörg Tauss (SPD): In Bayern!)

Das hat das Institut für Mittelstandsforschung schwarz auf weiß dargelegt. Im Jahreswirtschaftsbericht vom letzten Jahr haben Sie noch ganz toll getönt: Allianz der Erneuerung. Das war einer der „Erfolge“, der Ihnen im neuen Jahreswirtschaftsbericht nicht mehr ein Wort der Erwähnung wert ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Worthülsen sind das!)

Was hat denn der Wirtschaftsminister alles versprochen? Er hat beispielsweise versprochen, dass die Handwerksordnung gemeinsam mit der Opposition und dem Handwerk geändert werde. Anschließend hat er alleine einen Crashkurs gesteuert.

(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Völliger Quatsch!)

So schaut Ihre Politik aus.

   Wenn Sie im Hightech-Masterplan feststellen, der gesamtwirtschaftliche Nutzen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten in kleineren und mittleren Unternehmen übersteige in der Regel den individuellen Ertrag, dann stimmt das. Das ist richtig. Aber ich frage mich, warum Sie dann so wichtige Programme wie zum Beispiel „Pro Inno“ bereits Ende Oktober eingestellt haben. Über 1 000 Anträge liegen auf Eis, nur weil Sie Ihren Haushalt nicht in den Griff kriegen und nicht wissen, wie man mit Finanzen umgeht. Sie verstoßen gegen den Stabilitätspakt. Sie haben den Europäischen Gerichtshof schon dazu gebracht, ein Eilverfahren gegen Deutschland in Gang zu setzen.

(Jörg Tauss (SPD): Das habt ihr doch gefordert!)

   Was noch viel schlimmer ist: Sie schreiben zwar, dass der Hightech-Masterplan im Mittelstand wirken soll. Aber es ist doch genau der Mittelstand, den Sie mit Ihrer Wirtschaftspolitik vergraulen. Unser Mittelstand braucht keine Glanzbroschüren, die Sie auflegen. Er braucht Zuversicht, er braucht Hoffnung, er braucht Planungssicherheit und er braucht Rahmenbedingungen, an denen er sich orientieren kann. Dann investiert er auch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Er braucht vor allem eine mittelstandsfreundliche Regierung!)

- Richtig, Herr Kollege Hinsken. - Wichtig sind Investitionen, damit man die Strukturen erhalten und die Basis für eine gesamtwirtschaftlich positive Entwicklung schaffen kann.

(Jörg Tauss (SPD): Alles aneinander gereihte Textbausteine!)

Schauen Sie sich um! Wo ist denn das Investitionsfieber in unserem Land? Suchen Sie es doch einmal! Sie werden es nicht finden. Wir haben eine gedämpfte Stimmung.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Ihnen ist die Stimmung gedämpft! - Jörg Tauss (SPD): Sie machen immer alles mies!)

   Der Sparkassen- und Giroverband stellt zu Recht fest, Investitionen hingen sehr stark mit der Psychologie des Wirtschaftens zusammen. Das ist richtig. Das wissen wir alle. Aber wenn man eine gedämpfte Stimmung hat, dann hat man auch keinen fruchtbaren Boden für Investitionen. Wie soll denn ein Unternehmer heute noch optimistisch sein, wenn wir in diesem Jahr eine durchschnittliche Umsatzrentabilität von 3,3 Prozent - das ist der niedrigste Wert seit 1995 - haben und fast 30 Prozent unserer Unternehmen überhaupt keine Gewinne machen und der Rest größtenteils Verluste verbucht? Auch das ist der schlechteste Wert seit 1995 laut der Studie „Diagnose Mittelstand“ des Sparkassen- und Giroverbandes. Der Gewinn bzw. die Aussicht auf Gewinn ist doch die Antriebskraft für wirtschaftliche Entwicklung und Innovationen. Was bringen Sie? - Zwangsabgaben, Neiddiskussion, Ausbildungsplatzabgabe, Erhöhung der Erbschaftsteuer und Wiederbelebung der Vermögensteuer.

(Jörg Tauss (SPD): Müller-Milch! - Johannes Singhammer (CDU/CSU): Ein Mittelstandsvertreibungsprogramm haben sie organisiert!)

Uns brechen die Arbeitsplätze weg. Das wissen Sie.

   Wir haben aber noch ein ganz anderes Problem. Uns brechen nicht nur die Arbeitsplätze weg, sondern uns brechen auch die Unternehmer weg. Wenn wir in unserem Land keine Unternehmer mehr haben und niemand mehr bereit ist, Unternehmer zu werden, dann werden wir zukünftig niemanden mehr haben, der Arbeitsplätze schafft. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass über 45 000 Arbeitsplätze von deutschen Unternehmen jedes Jahr im Ausland geschaffen werden und nicht bei uns, wo sie so dringend notwendig sind.

   Frau Ministerin, Sie glänzen mit unwahrscheinlich kreativen Vorschlägen:

(Jörg Tauss (SPD): Das ist wahr! Da kann man nur zustimmen!)

„Deutschland sucht die Super-Uni“ - wunderbar! Für diesen Aktionismus ist bezeichnend, dass Sie es noch nicht einmal geschafft haben, bei Ihren eigenen Leuten oder bei den Grünen den Begriff „Elite-Universität“ durchzusetzen. Der liebe Herr Cohn-Bendit ruft dem Kanzler zu: „Lieber Gerhard Schröder, das ist Schwachsinn mit der Elite, schmink dir das ab.“ Wir sprechen hier von Innovation. Das zeigt doch, dass Ihr ganzer Hightech-Masterplan nicht das Papier wert ist, auf dem er steht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir diskutieren über Spitzenprodukte.

(Siegfried Scheffler (SPD): Aschermittwoch ist schon lange vorbei! Sie brauchen Ihre Rede nicht zu wiederholen!)

Wir wollen doch die Eliten und die Besten der Besten in Deutschland ausbilden. Wir wollen, dass diejenigen, die gut ausgebildet sind, auch hier bleiben und nicht abwandern.

   Es gibt leider einen immensen Braindrain, eine hohe Abwanderung junger Leute mit guter Ausbildung ins Ausland, und wir wissen ganz genau: Wer weg ist, kommt selten wieder zurück. Das aber sind die Eliten, die den Hightechplan mit Leben erfüllen sollen und müssen. Wer soll das denn sonst machen? Es sind die Cleveren und die Mutigen, die Geschäftsideen umsetzen, Arbeitsplätze schaffen, engagiert sind und unbequeme Fragen stellen. Sie stellen Produktionsabläufe infrage und öffnen den Weg für neue Verfahren. Wir brauchen diese Eliten im nationalen Maßstab genauso wie im internationalen Maßstab und wir müssen uns als Gesellschaft zu diesen Eliten bekennen. Dafür werbe ich hier.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Bill Gates hat viele 100 Millionen US-Dollar verdient. Aber er hat auch viele Tausend Menschen in den USA in Brot und Arbeit gebracht. Das muss hervorgehoben werden; denn das ist die Erfolgsgeschichte dieser Menschen: Sie schaffen Tausende von Arbeitsplätzen. Dies sollte man als positives Beispiel nehmen.

   Wie wir wissen, legt die Globalisierung unsere Schwächen offen. Darauf müssen wir reagieren. Wir müssen aber nicht nur reagieren, sondern wir müssen die Globalisierung gestalten. Uns rennt die Zeit davon, weil Sie das im Bildungsbereich nicht anpacken. Wir brauchen aber Perspektiven für die Sozialversicherungen.

(Siegfried Scheffler (SPD): Kommen Sie doch mal zum Kern und machen Sie ein paar Vorschläge! Das sind nur Sprechblasen!)

   Notwendig ist ein Umsteuern in der Bildungspolitik. Wir wollen kein zweites PISA mit Ergebnissen auf dem Niveau von Mexiko. Wir wissen, dass sich keine Investition so stark rechnet wie die Investition in Bildung und Ausbildung. Die durchschnittliche Rendite eines Hochschulstudiums liegt in Deutschland bei 9 Prozent, in den USA übrigens bei 15 Prozent. Das ist eine bessere Rendite als bei allen anderen Anlageoptionen. - Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, warum nur 32 Prozent der deutschen Abiturienten ein Hochschulstudium in Angriff nehmen. Der internationale Durchschnitt liegt bei 48 Prozent; in Neuseeland sind es sogar 76 Prozent.

(Siegfried Scheffler (SPD): Wie war das denn bei Kohl?)

   Sie haben schon viele Fehler gemacht. Das Einzige, was Sie in diesem Bereich vorhaben, ist aber einer Ihrer größten Fehler. Eine Ausbildungsplatzabgabe

(Jörg Tauss (SPD): Umlage!)

- Abgabe! - ist keine Hightechpolitik von morgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie ist vielmehr der Sozialismus von gestern, den Sie wieder auf den Weg bringen. Das, Herr Müntefering - Sie sind ja hier -,

(Jörg Tauss (SPD): Im Gegensatz zu Frau Merkel! Wo ist sie denn?)

war wieder ein Sieg über den gesunden Menschenverstand, wie das schon öfter der Fall war.

   Angesichts der neuesten Umfrage des DIHK, derzufolge im Falle einer Ausbildungsplatzabgabe mindestens jedes sechste Unternehmen künftig nicht mehr in dem Rahmen ausbilden wird, wie es das bisher getan hat, wird deutlich, dass Sie nicht nur einen immensen Bürokratismus aufbauen und die mittelständischen Unternehmen mit immensen Kosten belasten, sondern dass Sie auch hinsichtlich der jungen Leute, die unsere Zukunft in diesem Lande darstellen, Schaden anrichten.

(Jörg Tauss (SPD): Das Beste waren die Glückwünsche!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Wöhrl, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Sie haben schon deutlich überzogen.

(Franz Müntefering (SPD): Nein, sie soll weitersprechen!)

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):

Bekanntlich haben Sie sich dieses Thema auf die Fahne geschrieben. Ich wünsche Ihnen dabei Erfolg. Ich wünsche vor allem dem Wirtschaftsminister einen großen Erfolg und würde mich freuen, wenn er auch beim Emissionshandel eine wirtschaftliche Lösung erreichen würde. Wenn er das schafft, werde ich ihm höchstpersönlich in Demut eine handwerkliche Meisterleistung meines Kollegen Hinsken überreichen. Richten Sie ihm das bitte aus!

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir und meiner Fraktion alles Gute und die besten Wünsche zum Geburtstag, Frau Bulmahn!

   Frau Wöhrl, Sie haben ausgeführt, in der Innovationsdebatte fehle es an Gestaltung. Ich muss aber, ehrlich gesagt, feststellen, dass Sie keinen einzigen Vorschlag unterbreitet haben. Sie haben nichts anderes gesagt, als dass die Stimmung schlecht sei, und damit dazu beigetragen, dass die Stimmung schlecht bleibt. Das ist das Ergebnis Ihrer Rede.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Es ist ja die entscheidende Voraussetzung für Wachstum, dass sich die Stimmung ändert!)

In Ihrer zehnminütigen Rede haben Sie nichts Konstruktives und Gestaltendes zustande gebracht. Das hat mich etwas erstaunt. Ich hätte Ihnen mehr zugetraut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wir reden heute über den Masterplan!)

Warum wir in Deutschland Innovationen brauchen, ist klar: weil wir nicht mit Billiglohnländern konkurrieren können. Deswegen können wir nur mit neuen Produkten, Dienstleistungen und Produktionsverfahren, die andere Länder - zu welchen Löhnen auch immer - noch nicht am Weltmarkt anbieten können, Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Vor diesem Hintergrund ist der heute vorliegende Masterplan ein richtiger Schritt mit zum Teil bekannten und zum Teil auch neuen Instrumenten. Seine Qualität besteht vor allem in der Bündelung der vielen Programme von Wirtschafts- und Arbeitsministerium sowie Bildungsministerium. Aus diesem Grund begrüßt meine Fraktion diesen Masterplan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Sehr geehrte Frau Bulmahn, ich möchte allerdings auch etwas Kritisches sagen.

(Jörg Tauss (SPD): Nein, jetzt nicht!)

Der Masterplan stellt zwar ein gutes Zusammenspiel der verschiedenen möglichen Maßnahmen dar. Aber die gesellschaftliche Dimension, insbesondere die soziale und die kulturelle, des Innovationsprozesses spricht er nicht an. Auch darüber müssen wir meines Erachtens reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn Innovationen betreffen im Kern immer die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaft muss offen, neugierig und visionsfähig sein, um vernünftige und gute Innovationen auf den Weg zu bringen. Deswegen sind wir, Bündnis 90/Die Grünen, der Meinung, dass der Innovationsprozess eine klare soziale und ökologische Richtung braucht, damit er die gesamte Gesellschaft ergreifen, durchschlagend wirken und neue Arbeitsplätze schaffen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir brauchen - auch darüber wollen wir diskutieren - Ziele, damit die Menschen wissen, worauf sich technologische Prozesse ausrichten und was insgesamt in der Technologieentwicklung zu geschehen hat. Die Politik kann keine Techniken vorschreiben. Dazu ist sie nicht in der Lage und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Wer anderer Meinung ist, der unterliegt einem großen Missverständnis. Aber sie kann die Zielrichtungen vieler politischer und gesellschaftlicher Prozesse vorgeben, aufgrund deren sich dann Techniken, Wissenschaft, Forschung und Intelligenz entwickeln können. Das ist der Weg, den wir vorschlagen und den wir nach unserer Meinung für eine gute Innovationsentwicklung brauchen.

   Ich möchte drei Beispiele nennen, damit Sie verstehen, was wir meinen. Erstes Beispiel: Das Themenfeld der ökologischen Modernisierung gibt eine Richtung vor, die für die Technologieentwicklung und Innovationen wichtig ist. Wenn wir es zum politisch akzeptierten Ziel in diesem Hause machen, Wirtschaftswachstum mit besserer Ressourcenproduktivität zu generieren, das heißt mit weniger Energieverbrauch, insbesondere mit weniger Wasserverbrauch, und mit weniger Landschaftsverbrauch mehr Wirtschaftswachstum, dann setzen wir einen guten Innovationsprozess in Gang. Denn eines ist klar, Herr Schauerte: Man kann mit solchen grünen Ideen der ökologischen Modernisierung schwarze Zahlen schreiben und neue Arbeitsplätze schaffen. Dagegen sollten Sie sich nicht länger sperren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Der Emissionshandel, insbesondere die Vergabe der Zertifikate, ist vor diesem Hintergrund ebenfalls ein entscheidendes Instrument zur Förderung des technischen Fortschritts in Deutschland. Es ist doch ganz klar: Das Land, das am schnellsten und am besten Klimaschutz betreibt, hat Technologievorteile, weil es als erstes die Technologien einsetzt, die wir brauchen, wenn wir einen weltweiten Prozess der CO2-Vermeidung einleiten wollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zweites Beispiel, die Gesundheitspolitik: Die zwölf Leittechnologien der Fraunhofer-Gesellschaft - darüber haben Sie vielleicht gelesen - sind vor allem deswegen sehr intelligent, weil sie sich auf gesellschaftliche Ziele beziehen. Das Projekt, eine persönliche Pille, mit der die Medikation auf das genetische Profil des jeweiligen Patienten abgestimmt werden soll, mithilfe der Gentechnik und der Mikrobiologie zu entwickeln, ist vernünftig; denn so können Unverträglichkeiten ausgeschlossen und die medikamentöse Fehlversorgung, insbesondere die Überversorgung, vermieden werden. Die Patientenversorgung wird also verbessert.

   Die Botschaft lautet: Wenn wir gesellschaftliche Ziele zum Beispiel im gesundheitspolitischen Bereich definieren und den Technologieprozess entsprechend ausrichten, dann leiten wir eine positive Entwicklung ein. Wir dürfen also nicht einfach sagen: Techniker macht, was ihr könnt! Wir schauen nachher, ob wir daraus etwas Vernünftiges machen können. - Gesellschaftliche und politische Ziele müssen also in den Vordergrund.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Drittes Beispiel, der Dienstleistungsbereich: Hiermit müssen wir uns mehr auseinander setzen, als dies im Rahmen des Masterplans geschehen ist. Da Deutschland bekanntermaßen eine Schwäche bei den Dienstleistungen hat, müssen wir dafür sorgen, dass auch der Dienstleistungsbereich in den Innovationsprozess einbezogen wird. Dies tun wir zu wenig, wenn wir nur auf die technische Entwicklung schauen und nicht darauf achten, welche neuen und innovativen Dienstleistungen in Deutschland angeboten werden können. Zum Beispiel bietet die „alternde Gesellschaft“ ein riesiges Feld für neue Dienstleistungen. Der Gehirnschmalz aller Fraktionen dieses Hauses muss darauf verwendet werden, wie auf diesem Gebiet neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich möchte auf Folgendes hinaus: Wir brauchen Zielsetzungen gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Art, die dem Innovationsprozess vorgeschaltet sind; wir dürfen nicht allein über Techniken diskutieren. Frau Ministerin Bulmahn, ich bin nicht für die Nanotechnik um ihrer selbst willen. Ich bin für die Nanotechnik, weil ich sehe, welche positiven Auswirkungen sie zum Beispiel im Bereich der Medizin und in anderen Bereichen hat. Das Gleiche gilt für die neuen Materialtechniken. Wir müssen also über die Ziele reden. Die Politik muss Ziele setzen. Wenn das geschieht, dann kommt es zu einem positiven Technologieprozess.

   Ich sage dies deswegen, weil die Innovationsdebatte in Deutschland merkwürdig kalt ist. Ich finde, sie darf nicht so kalt bleiben. Es muss zu einer warmen Debatte kommen, mit der Zielrichtung, dass die Gesellschaft ihre Probleme mit guten Techniken, mit guten Innovationen lösen kann. Nur wenn das geschieht, kommen wir einen Schritt weiter. Wir kommen aber nicht weiter, wenn wir allein über Technologien diskutieren.

   Damit wir uns richtig verstehen: Ich sage das nicht aus der Perspektive eines Technikskeptikers. Ich weiß vielmehr aus der Geschichte, dass ein Technikprozess mit klaren gesellschaftlichen Zielen viel innovativer, viel explosiver und viel radikaler vonstatten gehen kann

   Übrigens, wir müssen endlich offen über unsere Probleme reden. Wir in Deutschland tun uns zum Beispiel extrem schwer damit, Subventionen abzubauen. Da die Lobbys der alten Techniken das politische System - mit entsprechendem Erfolg - bearbeiten, ist es so schwer, die Subventionen abzubauen. Aber eines ist völlig klar: Nur wer Subventionen radikal und schnell abbaut, ist in der Lage, einen wirklichen Innovationskurs zu steuern. Damit wir uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen: Jeder kann bei den Subventionen anfangen, für die er selbst eingetreten ist; jeder muss sich die Frage stellen, was er selbst dafür tut, dass diese Subventionen abgebaut werden.

(Widerspruch der Abg. Dagmar Wöhrl (CDU/CSU))

   Wir haben ein Gesundheitssystem - dafür sind Sie verantwortlich, Frau Wöhrl -, das den Wettbewerb nicht fördert und deswegen nicht innovativ sein kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Auch über solche Schwächen muss man reden, wenn man hier - in diesem Sinne haben Sie sich ausgedrückt - gestalten will.

(Jörg Tauss (SPD): Lobbyisten!)

   Wenn man sich hinter den Lobbys des alten Systems versteckt - Frau Wöhrl, das haben Sie getan -,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

dann gibt es kein Pro für Innovationen, für neue Techniken und für neue Entwicklungen. Sie selbst haben gesagt, Innovationen seien ein sozialer Prozess. Da hatten Sie wirklich Recht. Aber wenn Sie das so sehen, dann müssen Sie daraus auch die Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Jörg Tauss (SPD): Das ist wahr!)

   Wir sind der Meinung, dass das, was die Regierung in diesem Masterplan vorsieht - mehr für Forschung und Bildung zu tun -, gut ist. Übrigens, im Hinblick auf die Ausgaben des Bundes für Forschung und Bildung, auf Ganztagsschulen und auf die Studienanfängerquote brauchen wir uns in der Tat nicht zu verstecken, weil sich der damit verbundene Prozess seit 1998 kontinuierlich verbessert. Sie haben in diesen Bereichen abgebaut, während wir zugelegt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Bulmahn, ich glaube tatsächlich, dass wir die Elitediskussion vom Kopf auf die Füße stellen müssen. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben nicht daran, das es zu exzellenten Hochschulen kommt, wenn man allein von oben auf die Universitäten einwirkt.

(Jörg Tauss (SPD): Wer sagt denn das?)

Die notwendige Entwicklung muss sich in der Breite vollziehen. Wenn das geschieht, kann man zusätzlich etwas Vernünftiges machen. Wir werden darüber im Detail reden. Eines aber muss man klarstellen: Die Richtung muss die Verbesserung des Hochschulsystems in der Breite sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat eine Arbeitsgruppe zum Thema Innovationsfinanzierung eingerichtet. Die Ergebnisse der Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe sind erst vor wenigen Tagen veröffentlicht worden. Man hat fünf sehr interessante, neue Vorschläge gemacht. Damit es konkret und gestalterisch wird, Frau Wöhrl, möchte ich drei davon kurz darstellen:

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Nicht von der KfW, sondern von Ihnen wollen wir etwas hören!)

   Erstens. Diese Arbeitsgruppe fordert, dass die Fachprogramme des Wissenschaftsministeriums - es sind gute Programme; bisher verpufften die damit verbundenen Zuschüsse in vielen Fällen - auf rückholbare und nicht versicherbare Kredite, also auf Soft Loans, umgestellt werden sollen. Das ist eine vernünftige Forderung, weil mit dem gleichen Geld für Innovationen viel mehr Betriebe erreicht werden können.

   Zweitens. Wir brauchen einen Spin-off-Fonds in Deutschland, wodurch öffentliches Geld, privates Geld und das Geld von Venture-Capital-Gesellschaften zusammenfinden können, damit mehr Existenzgründungen aus den Universitäten unterstützt werden können, damit es zu mehr Existenzgründungen kommt, als es bisher durch das EXIST-Programm der Fall ist.

Drittens. Wir müssen zum Beispiel das FUTOUR-Programm, das nur im Osten durchgeführt wird, auf die ganze Bundesrepublik ausdehnen, weil es ein hervorragendes Technologieprogramm zur Förderung neuer Unternehmen und Techniken ist.

   Damit komme ich zum Schluss.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Gott sei Dank!)

Wir unterstützen den Masterplan in seinen Maßnahmen, wie er vorgelegt worden ist. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen werden sehr darauf achten, dass die Innovationsdiskussion endlich eine stärkere politische und gesellschaftliche Richtung bekommt. Das halten wir für notwendig. Es ist sehr gut, dass Rot und Grün das Thema Innovation aufgegriffen haben, während die Union geschlafen hat

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

und sich seit Wochen und Monaten in einem unwürdigen Prozess zur Findung eines neuen Bundespräsidenten vergnügt, anstatt sich um das Kerngeschäft in der Politik und um neue Arbeitsplätze zu kümmern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Lachen bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort.

Cornelia Pieper (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Bulmahn, im Namen der FDP-Fraktion erst einmal herzliche Glückwünsche zu Ihrem heutigen Geburtstag aussprechen und bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass Sie mit Ihrem Amt eine Schlüsselfunktion für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands innehaben.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist wahr!)

   Seit dem Beginn des Industriezeitalters in Deutschland waren Wissenschaft, Forschung und Entwicklung der Motor für den wirtschaftlichen Aufstieg dieses Landes.

(Jörg Tauss (SPD): Bis 1982!)

Sie schufen zugleich die Grundlage für eine wettbewerbsfähige moderne Volkswirtschaft, die in der Welt ihresgleichen suchte. Was Deutschland bis heute so exzellent getragen hat und was zugleich seinen weltweit guten Ruf begründet, ist sein wissenschaftliches und technologisches Fundament, auf dem seine technologische Leistungsfähigkeit beruht.

   Aber dieses Fundament, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, hat Risse bekommen. Das gibt sogar Ihr Koalitionspartner zu. Wenn schon Herr Kuhn hier kritisiert, dass der Masterplan nicht ausreichend ist, wenn schon Ihr Koalitionspartner von diesem Masterplan nicht überzeugt ist, dann ziehen Sie ihn doch zurück und überarbeiten ihn!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Zufriedenheit ist der Feind allen Fortschritts, Frau Kollegin Pieper!)

   Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands werfen Sie einen Blick in den Bericht der Deutschen Bundesbank! Darin sehen Sie, wie gravierend sich der Saldo Deutschlands seit der Regierungsübernahme von Rot-Grün

(Jörg Tauss (SPD): Na, na, na!)

im Jahr 1998, Herr Tauss, verschlechtert hat.

(Jörg Tauss (SPD): Korrekt bleiben!)

Wir geben heute wesentlich mehr für den Kauf von Patenten und Lizenzen, für Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung, für EDV-Leistungen und Ingenieurleistungen aus, als wir Entsprechendes an das Ausland verkaufen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig! - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): 7,5 Milliarden Euro!)

Betrug der Negativsaldo 1998 noch 2,5 Milliarden Euro, so betrug er im Jahr 2001 schon 7,5 Milliarden Euro. Das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.

(Beifall bei der FDP - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Vom Konto! - Jörg Tauss (SPD): Na, na, na! - Ludwig Stiegler (SPD): Das sind Altlasten, die jetzt wirksam werden!)

Einerseits forschen große global operierende Unternehmen dort, wo sie die besten Rahmenbedingungen oder auch Absatzmärkte vorfinden. Andererseits forschen sie auch dort, wo sie die geringsten bürokratischen Hindernisse erwarten können. Bürokratie haben wir in Deutschland leider noch viel zu viel.

   Die jüngste Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft zeigt, dass die Aufwendungen der Unternehmen für Forschung und Entwicklung, die von 1995 bis 2002 eigentlich kontinuierlich gestiegen sind, im Jahr 2003 das erste Mal sinken. Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Wirtschaft am Bruttoinlandsprodukt betrug 2002 noch 1,75 Prozent, ein Jahr später 1,73 Prozent.

(Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Die Unternehmen sparen an der Forschung, Herr Tauss. So warnte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zu Recht vor der nachlassenden Innovationsdynamik in unserem Land.

   Die Schwächung der technologischen Leistungsfähigkeit verringert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Nicht zuletzt durch den Zusammenbruch des Neuen Marktes, das Scheitern vieler Venture-Capital-Gesellschaften sind gerade junge Technologieunternehmen - das wissen auch Sie - nicht mehr in ausreichendem Maß finanzierbar. Die hohe Zahl von Insolvenzen in Deutschland - über 90 000 - ist doch bezeichnend und alarmierend. Warum ist das so, meine Damen und Herren? Das hat natürlich auch etwas mit politischen Rahmenbedingungen in diesem Land zu tun. Die stimmen einfach nicht. Wir haben zu hohe Steuern. Sie sind mit der Reform der Sozialsysteme in diesem Land immer noch nicht vorangekommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ludwig Stiegler (SPD): Bei Ihnen waren sie mindestens zehn Punkte höher!)

Trotz aller lautstarken Bekenntnisse haben Sie es, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, in Ihrer jetzt schon sechs Jahre währenden Regierungszeit nicht vermocht, einen wirklichen Strukturwandel hin zu einer wissensbasierten Wirtschaft und hin zu einem Höchsttechnologiestandort einzuleiten. Um mit den klaren Worten der Autoren des Berichts „Zur Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ zu sprechen: Alle Ansätze verlaufen im Schneckentempo. Der Anteil der Gesamtausgaben von Bund und Ländern und der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung stieg zwar seit Mitte der 90er-Jahre auf jetzt 2,52 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an,

(Jörg Tauss (SPD): Aha!)

liegt aber noch weit von der 3-Prozent-Zielmarke der EU entfernt, zu der sich die rot-grüne Bundesregierung 2002

(Jörg Tauss (SPD): Eure Hinterlassenschaft! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Herr Tauss, schreien hilft nicht, Sie müssen schon die Fakten zur Kenntnis nehmen - in Barcelona bekannt hat.

   Ich habe mir erlaubt, die Bundesregierung zu fragen, wie sie eigentlich dieses 3-Prozent-Ziel erreichen will.

(Jörg Tauss (SPD): Eine gute Frage!)

Da habe ich von der Frau Ministerin Bulmahn zur Antwort bekommen: Die dafür erforderlichen Steigerungsraten der F-und-E-Ausgaben ergeben sich aus den tatsächlichen Steigerungsraten des BIP bis zum Jahre 2010. Eine belastbare Voraussage der erforderlichen jährlichen Steigerungsraten der staatlichen und privaten F-und-E-Ausgaben ist daher bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. - Was heißt denn das, meine Damen und Herren? Sie haben gar nicht realistisch in Erwägung gezogen bzw. haushaltspolitisch nicht kalkuliert, was da auf Sie zukommt, und haben dieses Ziel überhaupt nicht in die mittelfristige Finanzplanung eingestellt. Deswegen fordern wir heute die Bundesregierung auf, das auch in der mittelfristigen Finanzplanung darzustellen. Daran können Sie beweisen, ob Sie es mit der Forschungsförderung ernst meinen oder nicht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Nur massive Investitionen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sichern einen wirklichen Strukturwandel und damit auch Einkommen und Beschäftigung. Deutschland steht vor der Nagelprobe. Vor dem Hintergrund einer immer noch schwachen Konjunktur ist es gerade jetzt außerordentlich wichtig, einen deutlich stärkeren staatlichen Beitrag zu leisten. Diese Bundesregierung will uns immer noch glauben machen, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung seit ihrem Regierungsantritt enorm gewachsen sind.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

Das ist einfach nicht wahr.

(Jörg Tauss (SPD): Nein!)

Die gesamten staatlichen F-und-E-Ausgaben in Deutschland

(Jörg Tauss (SPD): Die Länder! Reden wir einmal über Bayern!)

- Herr Tauss, ich rede jetzt von Ihrer Regierungsverantwortung - sind von 2000 bis 2002 nur um 6 Prozent gestiegen; dagegen waren es in Schweden knapp 30 Prozent und in den USA 25 Prozent. Wenn Deutschland seine technologische Zukunft nicht aufs Spiel setzen will, sind Investitionen in die Forschung das Letzte, was dem Rotstift zum Opfer fallen darf.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das Budget des BMBF sinkt gegenüber dem Vorjahr um rund 103 Millionen Euro. Hinzu kommen die globalen Minderausgaben in Höhe von 229 Millionen Euro. Da kann man doch nicht von einer Steigerung dieses Haushaltsansatzes sprechen.

(Jörg Tauss (SPD): Sagen Sie einmal die Prozentzahlen!)

Denken Sie bitte auch an die Forschungsbereiche in den anderen Bundesministerien: Allein im Wirtschaftsministerium sinkt der Forschungsetat um 4,7 Prozent. Da ist also keine Rede von Zukunftsinvestitionen.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Hört! Hört! Jetzt kommt es heraus!)

   Meine Damen und Herren, die Entwicklung im Osten unseres Landes bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Auch da setzen Sie keine Zeichen. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass Herr Stolpe so sehr mit der Maut zu tun hat, dass er sich mit Problemen der neuen Bundesländer nicht mehr beschäftigen kann. Es besteht in der Tat eine enorme Innovationslücke in den neuen Bundesländern. Gerade einmal 9 Prozent des gesamtdeutschen F-und-E-Personals arbeiten in den neuen Bundesländern und nur 6 Prozent aller Aufwendungen für Forschung und Entwicklung entfallen auf die neuen Bundesländer.

(Jörg Tauss (SPD): Sachsen-Anhalt!)

- Ja, danke für das Stichwort Biotechnologieregion Sachsen-Anhalt, Herr Tauss. Auch das will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Frau Ministerin Bulmahn preist zu Recht den Biotechnologiestandort Deutschland, aber die Koalitionsfraktionen sprechen, was die Biotechnologie anbelangt, mit gespaltener Zunge. Sachsen-Anhalt ist ein Biotechnologiestandort. Ich nenne hier nur das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Indem Sie in dieser Regierung auf Druck Ihres Koalitionspartners einen wichtigen gentechnischen Versuch gebremst haben, haben Sie einen Wachstumskern in einer ostdeutschen Region infrage gestellt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist Ihre innovative Politik, die wir nicht mittragen können.

   Es ist schon eigenartig, welchen Rückhalt Frau Bulmahn in der Regierung hat.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Nämlich keinen!)

Ich weiß nicht, ob es der Geist von Neuhardenberg war, der Bundeskanzler Schröder bei der Regierungsklausur im Sommer vergangenen Jahres veranlasste, mit seinen Ministern Bulmahn und Clement sowie der Fraktion das Thema Forschungs- und Innovationspolitik für den Standort Deutschland zu diskutieren. Eines ist sicher: Der Kanzler gesteht ein, dass es an allen Ecken und Enden klemmt und Mitglieder der eigenen Regierung hier nicht an einem Strang ziehen. Gleich nach der Bundestagswahl zeigte sich bereits, dass wichtige Forschungs- und Entwicklungsbereiche wie zum Beispiel die Energieforschung nunmehr von drei Ministerien verwaltet werden: Frau Bulmahn ist für die Zukunftsenergien zuständig, Herr Clement für die konventionellen Energien und Herr Trittin für die erneuerbaren Energien, und das mit unterschiedlicher Mittelausstattung. Alles wird überschattet von einem übereilten Atomausstiegsszenario mit den bekannten schweren Konsequenzen für die Forschung bezüglich der kerntechnischen Sicherheit und für die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke, die derzeit für immerhin 30 Prozent der deutschen Stromversorgung zuständig sind. Dazu gibt es im Moment auch keine Alternative. Wir jedenfalls stehen zu dem Energiemix. Aber wir sagen auch ganz deutlich, dass gerade in der Energieforschung Prioritäten gesetzt werden müssen, damit neue Technologien entwickelt werden können.

   Meine Damen und Herren, Frau Bulmahn hat das Jahr der Technik ausgerufen.

(Jörg Tauss (SPD): Sehr gut!)

Der Kanzler überholt sie und ruft das Jahr der Innovation aus.

(Jörg Tauss (SPD): Jahrzehnt! - Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Parole, Parole, Parole! Nur Parole!)

- Jahrzehnt wäre umso besser; aber dann müssten Sie auch im Haushalt der zuständigen Ministerin glaubwürdig entsprechende Zeichen setzen. - Ich frage mich: Stellt Bundeskanzler Schröder damit nicht die Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit seiner eigenen Ministerin infrage?

(Jörg Tauss (SPD): Nein!)

   Hinzu kommt, dass Herr Müntefering und der Ex-Generalsekretär Scholz, ohne sich mit der Ministerin rückzukoppeln, ein Programm für fünf Eliteuniversitäten ausgerufen haben. Einmal davon abgesehen, dass wir als Liberale seit Jahrzehnten für die Förderung der geistigen Elite in diesem Land werben, und zwar glaubwürdig,

(Beifall bei der FDP - Jörg Tauss (SPD): Spitzenverdiener! Ihr habt den falschen Elitebegriff!)

muss diese Förderung frühzeitig beginnen, nämlich mit einer Begabtenförderung im Kindergarten, und bis zu einer differenzierten und individuellen Betreuung in der Schule und natürlich entsprechenden qualifizierten Studienangeboten reichen. Aber wenn Eliteuniversitäten per Beschluss des Zentralkomitees dieser Bundesregierung verordnet werden, geht das voll an den Realitäten des internationalen Wettbewerbs

(Ute Berg (SPD): Dummes Geschwätz!)

um die besten Universitäten und die besten Köpfe vorbei, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.

(Beifall bei der FDP - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Was sagt denn Tauss dazu? - Jörg Tauss (SPD): Albern!)

- Ich werde jetzt nicht ausführen, was Herr Tauss dazu sagt, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Gerhardt, aber ich sage Ihnen, was die Allianz der Wissenschaftsorganisationen dazu meint: dass wir den Wettbewerb von Exzellenzzentren brauchen, in denen Hochschulen auf bestimmten Fachgebieten eng mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen zusammenarbeiten. Deutschland wird nicht umhinkönnen, insbesondere seine Hochschullandschaft breit zu fördern und seine Leistungsspitzen zu erhöhen.

(Jörg Tauss (SPD): Das war die Rede der Ministerin!)

   Sie wollen das Gegenteil, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.

(Ludwig Stiegler (SPD): Sie können weder lesen noch hören!)

Sie machen unglaubwürdig Politik: Sie streichen im Haushalt 2004 die Mittel für die Hochschulen in diesem Land und

(Jörg Tauss (SPD): Bitte?)

kürzen die Mittel für den Hochschulbau auch in den Länderhaushalten, sodass nicht mehr investiert werden kann,

(Ludwig Stiegler (SPD): Und Sie unterstützen die Europäische Kommission bei der Klage! Sparen fordern und Mehrausgaben verlangen!)

und rufen zeitgleich ein Programm für fünf Eliteuniversitäten aus. Das geht meines Erachtens an den Realitäten vorbei.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Zeit deutlich überzogen.

Cornelia Pieper (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident.

   Erlauben Sie mir als Letztes ein Zitat

(Zurufe von der SPD: Nein!)

von Benjamin Franklin: Investition in Wissen bringt die besten Zinsen. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren!

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ludwig Stiegler (SPD): Setzen! Sechs!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kasparick, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ulrich Kasparick (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu unserem Thema zurückkommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Thema heute ist der Mittelstand. Ich hätte erwartet, dass von der FDP zum Thema Mittelstand etwas kommt. Aber wie wir eben alle verfolgen konnten, kam nichts - nicht einmal ein Wort - zu diesem Thema.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ludwig Stiegler (SPD): Da kommt nur Unverstand bei denen!)

Es geht um die Frage, was wir politisch tun können, um dem Mittelstand zu helfen.

   Es sind schon verschiedene Dinge angesprochen worden, die auch das Bundesland betreffen, in dem ich die Lage einigermaßen gut überschauen kann. Zum Stichwort Gentechnologie in Gatersleben sei mir ein Satz gestattet: Zu dem Forum, zu dem die Landwirtschaftsministerin und der Wirtschaftsminister eingeladen hatten, sind noch nicht einmal Vertreter der Bauernverbände gegangen. Was Sie da vorhaben, bedarf eines gründlichen Dialogs.

   Die FDP wirft uns in ihrem Antrag Technikfeindlichkeit vor. Ich will Ihnen hier im Plenum die konkrete Situation in meinem Bundesland schildern. Wir haben am Standort Magdeburg eines der größten Hightech-Unternehmen im Bereich der modernen Energietechnologien. Wir haben mit vielen Verbündeten versucht, auch die Forschungsabteilung des Unternehmens an diesen Standort zu holen. Dieser große Anbieter von modernen Dienstleistungen im Energiebereich, der mittlerweile in über 35 Länder dieser Welt exportiert - so erfolgreich ist er -, lehnte dankend mit der Begründung ab, dass sie nicht in ein Land gehen, in dem es eine so massive Kampagne gegen Windenergie gibt. Was dort gemacht wird, ist Technologiefeindlichkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Das ist das Traurige!)

   Ich sage Ihnen: Wenn Sie - damit meine ich besonders die Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium dieses Bundeslandes - den Standort auf diese Weise systematisch beschädigen, dann werden Sie keinen Erfolg haben.

(Cornelia Pieper (FDP): Die Kapazität ist doch so gering!)

Was wir nämlich in Ostdeutschland brauchen, sind Hightech-Unternehmen, die sich um Zukunftsmärkte kümmern. Wenn die so aus dem Lande vertrieben werden, wie es Ihr Wirtschaftsministerium tut, dann hilft das unserem Land nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Kasparick, es haben sich gleich zwei Kollegen zu einer Zwischenfrage gemeldet.

Ulrich Kasparick (SPD):

Das können wir dann erledigen, wenn ich vorgetragen habe.

   Ich möchte nun etwas zu den konkreten Vorschlägen in dem vorliegenden Hightech-Masterplan sagen. Der eine oder andere von Ihnen weiß, dass ich wie viele unserer Kollegen viel im Lande unterwegs bin und mit den Instituten und auch mit den Unternehmern rede. Ich habe den Hightech-Masterplan von den Praktikern in der Region einmal checken lassen.

   Als Erstes möchte ich der Ministerin und unserem Wirtschaftsminister ein großes Lob für die Zusammenarbeit beider Häuser aussprechen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das ist jetzt völlig überraschend!)

Dabei geht es um die Frage, was wir gemeinsam tun können, um den Mittelstand voranzubringen. Das ist gerade für Ostdeutschland ein ganz wichtiger Punkt.

   Wir haben am vergangenen Wochenende mit den ostdeutschen Abgeordneten und mit Vertretern des für den Aufbau Ost zuständigen Ministeriums in Zeuthen zusammengesessen. Wir wollen die Anstrengungen verstärken. Wir wollen, dass die Häuser enger kooperieren und sich stärker auf die Lösung der Probleme fokussieren. Wir müssen schauen, wie wir die Kompetenzen der Häuser bündeln können, um etwas für den Mittelstand zu tun.

   Die Praktiker sagen, dass es ein brauchbares Papier ist. Die Praxistauglichkeit der Innovationsförderung für kleine und mittelständische Unternehmen wurde erheblich gesteigert. Im Übrigen sei mir die Bemerkung gestattet, dass wir das Programm „Pro Inno“, das in Ostdeutschland läuft, für die alten Bundesländer geöffnet haben. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man vom Osten lernen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass das, was gut gelaufen ist und was sich bewährt hat, auch für die alten Bundesländer geöffnet wird.

   Für Ostdeutschland ist auch die Zusammenarbeit der Unternehmen mit den Fachhochschulen wichtig. Ich stimme der Feststellung in dem vorgelegten Papier ausdrücklich zu, dass das Potenzial für die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Fachhochschulen und KMUs sehr groß ist. Nach meiner Erfahrung liegt es insbesondere an den fehlenden persönlichen Kontakten der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in Ostdeutschland besonders klein sind, dass in diesem Bereich zu wenig passiert. Wir haben hier Betriebsgrößen von durchschnittlich fünf bis zehn Mitarbeitern. Da muss deutlich zugelegt werden.

   Ich fordere von dieser Stelle die Kammern ausdrücklich dazu auf, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Der Dialog zwischen den kleinen und mittelständischen Unternehmen und den Fachhochschulen insbesondere in Ostdeutschland muss deutlich verstärkt werden. Mein Eindruck bei den weit über 500 Besuchen, die ich in den letzten Jahren bei den ostdeutschen Instituten gemacht habe, ist, dass da eine ganz große Schwachstelle liegt. Diesen Dialog müssen wir fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was der Bund in Bezug auf staatliche Förderung tun kann, hat er in dem Papier dargelegt. Wir müssen aber beachten, dass die Forschungsintensität insbesondere in den ostdeutschen Ländern noch sehr zu wünschen übrig lässt. Ich habe mir sagen lassen, dass in dem Bundesland, aus dem ich komme, nur 5 Prozent der KMUs an F und E beteiligt sind. Das heißt also: 95 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen beteiligen sich nicht an der Forschung.

   Das alles kann man natürlich dem Bund in die Schuhe schieben. Nur sage ich Ihnen ganz deutlich, dass dies auch eine zentrale Aufgabe eines Landeswirtschaftsministeriums ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Erfahrung ist: In meinem Bundesland gab es einen Innovationsbeauftragten. Dann wurde die Stelle abgeschafft.

(Cornelia Pieper (FDP): Er hat aber keine Innovationen geschaffen!)

Jetzt hat man den Minister zum Innovationsbeauftragten ernannt. Seither läuft gar nichts mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das ist die Schwierigkeit. Wir müssen deutlich besser werden.

   Insbesondere muss die sachsen-anhaltinische Landesregierung aufhören, bei den Hochschulen pauschal zu kürzen. Es bringt das Land nicht einen Deut weiter, wenn man einfach sagt: Alle Hochschulen müssen 10 Prozent weniger ausgeben.

(Jörg Tauss (SPD): Bayern, Niedersachsen, wo auch immer!)

Was soll denn das für ein Qualitätsgütesiegel sein?

(Beifall des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

30 Millionen Euro sollen die Hochschulen bzw. Universitäten weniger ausgeben. Sie sollten einmal mit Vertretern von Hochschulen sprechen. Ich komme gerade wieder von einer Besuchstour. Ich war beispielsweise bei der Best Practice University in Wernigerode. Dort wurde mir gesagt, dass man seit über einem Jahr auf die Genehmigung des Ministers für Berufungen warte. Fünf Personen, die alle Stadien durchlaufen hatten und hätten anfangen können, sind von der Fachhochschule weggegangen, weil das Ministerium kein Okay gibt.

   Ich sage Ihnen deutlich: Da muss nachgebessert werden. Das, was der Bund im Hinblick auf eine bessere Kooperation zwischen Wirtschaft und Forschung vorlegt, muss von den Länderministerien in Ostdeutschland endlich nachgemacht werden. Denn das ist der richtige Weg. Nur so geht es.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Kasparick, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Bergner?

Ulrich Kasparick (SPD):

Ich bin fast am Ende. Dann kann er die Zwischenfrage stellen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Meine Güte, so eine Arroganz! - Gegenruf von der CDU/CSU: Das ist keine Arroganz, das ist Feigheit!)

   Ich will ein paar Punkte des Programms der Bundesregierung hervorheben, die gut sind und über die wir bisher noch nicht gesprochen haben. Sehr gut finde ich den Vorschlag, Zuschüsse für die Anmeldung des ersten Patents an KMUs zu vergeben. Denn bei vielen KMUs stellt die Finanzierung des ersten Patents eine schwierige Hürde dar. Ich habe mir gerade sagen lassen: Bei europäischen Patenten reden wir über eine Größenordnung von 35 000 Euro. Wenn es dazu Zuschüsse gibt, ist das eine hilfreiche und sehr wichtige Sache.

   Sehr gut ist, dass die Beratung deutlich verbessert wird, dass KMUs die Möglichkeit haben sollen, per Telefon oder über Internetangebote sehr viel schneller an Informationen heranzukommen, die ihnen helfen können.

   Die Ungleichgewichtigkeit, die wir zwischen den einzelnen Bundesländern in Ostdeutschland haben, muss deutlicher ausgeglichen werden. Ich will dazu eine Zahl nennen: Der Ausdifferenzierungsprozess der Länder in Ostdeutschland ist mittlerweile so weit, dass von den Forschungsmitteln für KMUs, die nach Ostdeutschland fließen, allein das Bundesland Sachsen 43 Prozent erhält. Das sagt etwas über die technologische Leistungsfähigkeit der anderen Bundesländer aus. Deswegen sage ich: Dies wird offensichtlich nicht dadurch bestimmt, ob das Land von der Union oder der SPD regiert wird, sondern wird durch die handelnden Personen bestimmt.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Genau! Die müssen weg!)

Deswegen müssen die Landesregierungen zulegen. Es kann nicht sein, dass ein Bundesland 43 Prozent der F-und-E-Mittel erhält, während sich andere dadurch auszeichnen, dass sie erfolgreiche Unternehmen aus dem Lande vertreiben oder zumindest verhindern, dass sie ihre Forschungsabteilung in das Land holen.

   Deshalb: Herzlichen Dank für den Vorschlag, der auf dem Tisch liegt! Wir müssen jetzt ganz genau schauen, dass die Anregungen in Bezug auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit auch im Alltag vollzogen werden. Das, was wir Abgeordneten in unseren Wahlkreisen beitragen können, um den Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu verbessern, wollen wir gerne tun.

   Insgesamt bin ich der festen Überzeugung, dass die politische Linie in dem vorliegenden Papier richtig ist. Sie läuft darauf hinaus, dass die Ministerien besser kooperieren und sich zusammentun, um besondere Schwerpunktprobleme beispielsweise bei der Forschungsbeteiligung von KMUs anzugehen. Das ist genau der richtige Weg; den unterstützen wir gern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Gestatten Sie jetzt die Nachfrage?

Ulrich Kasparick (SPD):

Jetzt kann er gerne fragen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Kasparick, Sie müssen schon am Pult stehen bleiben. Die Nachfrage bezieht sich ja auf Ihre Rede.

Ulrich Kasparick (SPD):

Gerne.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Herr Kollege Kasparick, ich will in meiner Frage unsere gemeinsamen landsmannschaftlichen Erfahrungen ansprechen. Sie haben im Hinblick auf unser gemeinsames Bundesland Sachsen-Anhalt zwei Behauptungen aufgestellt, die mich zu einer Nachfrage provozieren. Die erste Behauptung war, dass Sachsen-Anhalt innovative Aktivitäten von Unternehmen vertreibt,

(Jörg Tauss (SPD): Schlimm genug!)

weil es die Akzeptanz der Windkraft einschränkt. Ist Ihnen bekannt, dass Sachsen-Anhalt inzwischen in Deutschland in Bezug auf die Windkraftdichte eine Spitzenposition bei den küstenfernen Ländern erreicht hat und dass Kommunalpolitiker Ihrer Partei angesichts dieser Dichte die Belastungsgrenze bereits als überschritten betrachten,

(Cornelia Pieper (FDP): Richtig!)

sodass Sie in die Gruppe derjenigen, die angeblich die Windkraft verteufeln, Ihre eigenen Kommunalpolitiker einbeziehen müssen?

   Haben Sie zweitens unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten berücksichtigt, dass die regionalen Energieversorger gerade mit Blick auf die unrentablen Windkraftstandorte die Landesregierung inzwischen hinsichtlich der Energiepreisentwicklung zu Recht warnen, eine solche Politik fortzusetzen?

   Mein zweiter Punkt.

Ulrich Kasparick (SPD):

Das wäre jetzt der dritte Punkt.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Mein dritter Punkt: Sie haben den Eindruck erweckt, als ob in Sachsen-Anhalt die Mittel für die Hochschulen pauschal um 10 Prozent gekürzt wurden. Ist Ihnen entgangen, dass diese 10 Prozent zwar ein Ziel für die Haushaltskonsolidierung sind, dass sie aber sehr wohl mit Vorschlägen zur Strukturveränderung - diese sind, zugegeben, politisch umstritten - unterlegt sind? Mit diesen Vorschlägen wollte man vermeiden, der Hochschullandschaft insgesamt Kürzungen abzupressen; das haben Sie versucht zu unterstellen.

   Ich fühle mich aufgrund unserer gemeinsamen landsmannschaftlichen Herkunft verpflichtet, Ihre etwas kühnen Thesen durch drei Fragen klarzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ulrich Kasparick (SPD):

Ich möchte Ihre drei Fragen gern beantworten. Herr Dr. Bergner, eines unterscheidet uns beide: Sie sprechen über Planungsvorgänge, die den Kommunen und Landkreisen obliegen, nämlich die Entscheidung, wo Windturbinen aufgestellt werden. Ich spreche über Technologiepolitik. Das ist etwas anderes. Es geht um die Frage, ob es uns gelingen wird, die Kernbetriebe hoch innovativer Unternehmen in den neuen Bundesländern zu halten. Wir müssen jeden Betrieb im Land halten und jedem Betrieb, der seinen Hauptsitz und seine großen Produktionskapazitäten in die neuen Länder legen will, helfen.

   Davon ist die Frage zu unterscheiden, an welchen Standorten man Windturbinen aufstellt. Es geht darum, ob man ein Unternehmen unterstützt, das Forschungskapazitäten aufbauen will. Wir haben mit der Geschäftsführung von Enercon gesprochen und wissen, dass diese dankend ablehnt. Sie hat ausgeführt, dass sie ihre Forschungsabteilung nicht in ein Land verlegt, in dem eine solche Kampagne gegen sie geführt wird. Das ist das Problem.

   Sie haben die Hochschulen angesprochen, hier gibt es ein weiteres Problem. Sie wissen, dass ich sehr viele Institute besuche und dabei mit den Professoren spreche. Ich lade Sie herzlich zu diesen Gesprächen ein. Sie werden aus allen Hochschulen des Landes Sachsen-Anhalt hören, dass die pauschale Kürzung der Mittel um 10 Prozent durch die Landesregierung in keinerlei Hinsicht förderlich für eine inhaltlich bessere Aufstellung der Forschungsregionen ist. Es hilft dem Land nicht, wenn Sie die Forschungsmittel kürzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen auch im Land eine Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschafts- und dem Forschungsministerium, wie es der Bund vormacht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Sehr gut! Endlich mal was Vernünftiges!)

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kasparick, nachdem Sie zusammen mit der PDS das Land Sachsen-Anhalt in Grund und Boden gewirtschaftet haben,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

erteilen Sie hier in arroganter Weise Zensuren, wie ich das selten von einem jungen Kollegen gehört habe.

(Ulrich Kasparick (SPD): Waren Sie mal in Sachsen-Anhalt?)

Gucken Sie sich einmal an, was Sie zusammen mit Ihren Freunden in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt kaputtgemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Bereinigen Sie das, bevor Sie hier eine dicke Lippe riskieren!

(Jörg Tauss (SPD): Das war Arroganz pur!)

   Der Anfang dieser Debatte war höchst bezeichnend. Das Wirtschafts- und das Forschungsministerium wussten nicht, wer von ihnen anfangen sollte. Auch daran kann man sehen, dass die Zuständigkeit bei der Innovationspolitik nach wie vor absolut ungeordnet ist. Das ist ein Teil unseres Problems.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Chaos in der Bundesregierung! - Volker Kauder (CDU/CSU): Chaos wie immer! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Chaos mit System!)

Hier weiß die Rechte nicht, was die Linke tut. Sie können sich nicht einmal darüber verständigen, wer die Eröffnungsrede hält. Das setzt sich in den Behörden und bei den Beamten sowie in der Mittelverwaltung fort. Deswegen kommt Deutschland nicht aus den Puschen und deswegen kommen wir nicht dahin, wo wir hin müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das „Jahr der Innovationen“ ist von der SPD zu einem Zeitpunkt ausgerufen worden, als sie erschöpft gesagt hat: Nun ist es mit den Reformen genug.

(Nicolette Kressl (SPD): So ein Blödsinn!)

Man konnte aber nicht ganz ohne Reformen auskommen, also hat man das „Jahr der Innovationen“ erfunden. Der Begriff ist sympathisch, er tut nicht weh, er hilft. Deswegen war ich neugierig, was Sie nun - es wurde am 4. Februar beschlossen - zum „Jahr der Innovationen“ schreiben werden. Ich habe das nüchtern durchgelesen. Dieser Hightech-Masterplan ist ein Sammelsurium aller Maßnahmen, die sich irgendwie unter die Überschrift „Technologie im Mittelstand“ einordnen lassen. Sie haben die Bestände in der Bundesregierung durchforstet und aufgeschrieben, wer oder was entfernt oder nah mit diesem Thema zu tun hat.

   Es ist unglaublich schwer, in diesem Plan einen neuen Punkt zu finden. Daher bin ich nicht überrascht, dass noch niemand von Ihnen einen solchen vorgetragen hat. Sie haben auf keinen neuen Punkt Bezug genommen, auf keinen einzigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich darf Ihnen einen Punkt nennen, den Sie vielleicht übersehen haben. Es gibt wirklich einen durchaus vernünftigen neuen Punkt, über den man sich gar nicht zu streiten braucht. Es wurde nämlich ab 2004 ein Dachfonds für Beteiligungskapital des ERP-Sondervermögens und des Europäischen Investitionsfonds geschaffen. Das ist eine sinnvolle Maßnahme, für die auch wir waren. Das wird aber die Welt nicht verändern. Dieser Fonds ist bei genauem Hinsehen das einzig Neue in diesem Masterplan der Technologieförderung für den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland.

   Ich bewundere den Mut, mit dem Sie zur besten Debattenzeit eine Diskussion zu einem Thema veranstalten, zu dem Sie nichts Neues auf den Tisch legen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie fabrizieren hier eine selbst organisierte Blamage.

   Was sollen wir denn den Mittelständlern draußen sagen? Sie wollen ja ganz viel mit Mittelständlern gesprochen haben. Ich weiß nicht, mit welchen Sie gesprochen haben. Wenn Sie mir einen konkreten Mittelständler zeigen, der mit seinen 10, 15, 20 oder 100 Leuten überlegt, wie er Aufträge hereinholt, und nach Durchsicht dieses Papieres sagt, es helfe ihm, dann gebe ich Ihnen einen Euro extra.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie werden niemanden finden, der damit etwas anfangen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ich lege noch einmal 50 Cent drauf!)

   Nun zu einem anderen Thema. Sehr geehrter Herr Kollege Kuhn, sehr geehrte Herren und Damen der SPD, wir streiten uns sehr wahrscheinlich nur wegen der unpräzisen Bestimmung der Faktoren, über die wir reden wollen. Innovation im Mittelstand findet zu 90 Prozent, zu 95 Prozent bei mutigen, innovativen, kreativen, im Markt befindlichen Unternehmern und Mitarbeitern statt, Gott sei Dank ohne politische Beteiligung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist der mit Abstand größte Block. Wenn der nicht läuft, dann können Sie, Herr Kuhn, auch mit einer noch so starken Erhöhung von Mitteln - die haben Sie nicht; aber selbst wenn Sie sie hätten, wäre es so - nicht gegen das Absterben der Innovationsbereitschaft bei 90, 95 Prozent der Unternehmen in diesem Lande anfinanzieren. Das wird nicht gelingen.

   Der Mittelstand-Masterplan, den Sie hier vorlegen, befasst sich äußerstenfalls mit den restlichen 10 oder 5 Prozent - und für diese legen Sie wirklich nichts Neues vor.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es! - Widerspruch des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

- Herr Kuhn, das wissen auch Sie. Sie sind zu intelligent, um das nicht erkannt zu haben;

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorsicht!)

dieses eingeschränkte Kompliment möchte ich Ihnen schon machen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Er ist so schlau, dass er das nicht mehr erkennt!)

Deswegen dürfen Sie bei diesem Thema keine Ruhe geben, wenn Sie wirklich Innovation haben wollen.

   Ein nächster Punkt. Sie sagen, wir müssten Subventionen abbauen.

(Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spricht mit Abg. Ute Kumpf (SPD))

- Genau, reden Sie doch einmal mit Ihrem Koalitionspartner! - Der Mangel an Patentanmeldungen im Land Nordrhein-Westfalen, auf den ich vorhin mit meiner Zwischenfrage eingegangen bin, liegt darin begründet, dass wir seit 30 Jahren an die 150 Milliarden Euro für Kohle und nicht für Innovation und Erneuerung ausgegeben haben,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und Sie von der SPD ändern das nicht. Sie schieben das weiter vor sich her. In der nordrhein-westfälischen Strukturpolitik sind Fachleute für Sterbehilfe tätig, die zur Geburtshilfe für Neues und Frisches völlig unfähig sind. Deswegen sind wir mit dem Standort, den Patentanmeldungen und der Erneuerung nicht vorangekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Kuhn, was für eine Politik betreiben Sie denn im Moment im Energiebereich? Sie ist doch unerträglich und unglaublich.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Sie haben den Unternehmen in Deutschland eine Energieverteuerung zugemutet. Seit Ihrem Regierungsantritt wurden die Strompreise um 20, 30 Prozent erhöht - die größte Kostenexplosion bei Strom in der Geschichte der Bundesrepublik. Das ist Ihre Innovationspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wie sollen denn die Unternehmen Erträge erwirtschaften, wenn die Löhne und die Lohnzusatzkosten steigen, die Bürokratie zunimmt und die Energiekosten politisch hochgetrieben werden? Woher soll die Innovationskraft für 90 Prozent der mittelständischen Wirtschaft in Deutschland kommen? Da müssen Sie korrigieren.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben 100 000 Arbeitsplätze im Energiebereich geschaffen!)

- Das ist das zentrale Problem Ihrer Politik und Ihrer Wirtschaftsförderung: Sie nehmen die Wirklichkeit wahr, die Sie durch politisches Handeln glauben beeinflussen zu können. Damit gehen Sie über Land und sagen: Guckt einmal, wie toll wir das gemacht haben. - Sie nehmen überhaupt nicht wahr, welche Schäden und Wettbewerbsverzerrungen Sie damit organisiert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen kommt Deutschland nicht auf Wachstumskurs. Das ist, wie ich meine, eine ausgesprochen blamable Situation.

   Ich möchte noch auf einige konkrete Punkte eingehen, die den Mittelstand wirklich interessieren. Für Innovationen brauchen wir wirtschaftliche, planerische und gedankliche Freiheit. Welche Bürokratieexpertisen haben Sie erstellen lassen! Welche Vermehrung der Bürokratie in diesem Land haben Sie verwirklicht! Welche bürokratischen Hindernisse und Hemmnisse haben Sie zum Beispiel im Bereich der Grünen Gentechnik und in Energiefragen immer wieder eingeführt!

   All das macht die Innovationsbereitschaft eher kaputt. Das können Sie mit staatlichen Programmen, die Sie darüber hinaus noch nicht einmal in ausreichendem Maße mit finanziellen Mitteln ausstatten können, weil Sie die Wirtschaft nicht organisieren, nicht auffangen. Weil das Wirtschaftswachstum ausbleibt, werden Sie auch kein Geld für Innovationen haben. Von einer Idee will ich ganz schweigen.

   Was ist also zu tun? Was brauchen wir wirklich? Wir müssen für die genannten 90 Prozent der Unternehmen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine konkrete Äußerung, Herr Schauerte! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Immer das gleiche Gequatsche von Ihnen!)

Dabei geht es auch um Steuern und Abgaben. Ich sage Ihnen: Allein durch Ihre Debatte über die Erbschaftsteuer zerstören Sie in Deutschland mehr Innovationsbereitschaft, als all Ihre Finanzierungsprogramme herbeiführen könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Bürokratieabbau, flexibles Arbeitsmarktrecht, Verbesserung der Eigenkapitalquoten, Wettbewerb und Autonomie, Senkung der Energiekosten und Abschaffung der Gewerbesteuer - all das sind wichtige Aspekte, durch die Freiräume für Innovationen in unternehmerischer Verantwortung gewonnen werden können. Darüber hinaus kann es Korridore geben, bei denen wir Incentives setzen, Anregungen geben und Beschleunigungen herbeiführen wollen und für die wir daher öffentliche Mittel bereitstellen. Dabei muss es sich aber um solche Technologien handeln, die uns wirklich etwas bringen und die nicht ideologisch besetzt sind.

   Die Windenergie ist die unglücklichste Innovation, die wir in Deutschland betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso sind Sie dann für das Erneuerbare-Energien-Gesetz?)

Damit meine ich wohlgemerkt nicht den Bereich der alternativen Energien. Aber die Windenergie ist die unglücklichste, am wenigsten berechenbare und am wenigsten dauerhaft verantwortbare Innovation im Energiebereich. Aber sie ist Ihr Lieblingskind. Das kann ich nicht verstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Fragen Sie mal die Landwirte!)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kommen wir bei diesem Thema nicht weiter. Die Zahlen, die wir alle kennen, sind erschreckend. In Bezug auf den Grad an wirtschaftlicher Freiheit liegt Deutschland abgeschlagen auf Platz 18. Auch beim Innovationstempo ist Deutschland abgeschlagen und verliert sogar an Geschwindigkeit. Sehr wahrscheinlich hilft nichts anderes, als dass wir die Innovationen, wie Sie es formuliert haben, in den Köpfen beginnen lassen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Wir müssen sie nicht in, sondern an den Köpfen beginnen lassen. Wir brauchen eine andere Bundesregierung, Herr Kuhn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das wäre die größte Innovation!)

   Mit dieser Bundesregierung ist in Deutschland kein Innovationsklima herzustellen. Bei der Wahl in Hamburg haben nicht einmal 20 Prozent der Selbstständigen noch Vertrauen in Ihre Regierungskunst gehabt. Wo soll dieses Vertrauen denn auch herkommen? Wir allerdings gehen hier mit gutem Beispiel voran, Herr Kuhn.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Die CDU/CSU-Fraktion ist heute gut aufgestellt. Unser Kandidatenvorschlag für das Amt des Bundespräsidenten ist hoch innovativ und tut Deutschland ausgesprochen gut.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher gehen wir zufrieden in diesen Tag.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Hans-Josef Fell, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, meinen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! - Herr Schauerte, Sie haben zu Recht die alten, Struktur erhaltenden Kohlesubventionen kritisiert. - Herr Schauerte, ich rede mit Ihnen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Entschuldigung!)

Das sehen wir genauso. Dass Sie aber ausgerechnet die volkswirtschaftlich wirklich geringen Kosten für Forschung und Entwicklung sowie für die Markteinführung erneuerbarer Energien ebenso kritisieren, zeigt auf, dass Sie in Wirklichkeit mit Zukunftstechnologien nichts am Hut haben, keinen Strukturwandel wollen und Innovationen dort, wo sie tatsächlich erfolgreich sind, behindern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn bereits bis heute wurden durch sie mit nur geringen volkswirtschaftlichen Kosten mehr Arbeitsplätze geschaffen, als in der Kohlewirtschaft insgesamt zur Verfügung stehen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Sie kennen die volkswirtschaftlichen Kosten ja nicht einmal!)

- Wir kennen sie sehr genau und haben sie genau berechnet, anders als Sie mit Ihren Berechnungen. Wir können sie in jedem Detail genau hinterfragen und werden dann sehen, dass sie nicht zutreffen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ihr könnt nicht einmal eine Steuerreform ausrechnen, da verrechnet ihr euch schon um 1 Milliarde!)

Meine Damen und Herren, Innovationen, Zukunftstechnologien und Dienstleistungen, vor allem im Mittelstand, aber auch in der Industrie zu fördern ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Innovationen sind die Grundlage für neues unternehmerisches Handeln. Ihre Umsetzung in marktfähige Produkte und in Dienstleistungen ist damit ein entscheidender Ansatz, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Neue Arbeitsplätze braucht das Land, nicht bloß die Umschichtung bestehender Arbeitsplätze im Zuge der notwendigen Reform der sozialen Sicherungssysteme.

   Die Bundesregierung hat mit dem „Jahr der Innovation“ einen wichtigen Anstoß dazu gegeben. Die Innovationsstrategie muss nun in den kommenden Monaten mit Inhalten gefüllt werden. Im vorliegenden Hightech-Masterplan werden wesentliche Zielvorstellungen vorgestellt und erste Maßnahmen genannt. Aber - hier stimme ich Ihnen zu, Herr Schauerte - eine Vielzahl weiter gehender Maßnahmen wird nun folgen müssen, um diese Ziele auch erreichen zu können. Entscheidend werden die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sein. Wir müssen Anreize geben, damit die Wirtschaft und die Finanzwelt in Forschung und Entwicklung investieren. Hier stehen die Steuern im Vordergrund. So wird leider auch heute noch Risikokapital gegenüber anderen Anlageformen steuerlich benachteiligt. Noch immer schneidet Deutschland im europäischen Vergleich schlecht ab.

   Dies müssen wir ändern. Der Masterplan hatte hier ursprünglich angesetzt, aber an dieser Stelle ist man zu kurz gesprungen. Jetzt sind wir in den Regierungsfraktionen gefragt, das Innovationsjahr an dieser Stelle mit Inhalt zu füllen. Nur dann wird es in breitem Maße zu großen und erfolgreichen Neugründungen kommen, nur dann können wir den Mittelständlern Innovationen schmackhaft machen. Darüber hinaus sind weitere begleitende Maßnahmen erforderlich. Hierzu gehören zum Beispiel Forschungskredite, die auch beim Mittelstand ankommen, sowie ein Seed-Fonds zur Überwindung der Finanzknappheit bei der Gründung innovativer Unternehmen. Wir müssen unsere Schulen und Hochschulen besser ausstatten, wenn wir viele kluge Köpfe mit kreativen Gedanken bekommen wollen. Auch für die Projektforschung benötigen wir mehr Mittel.

   Die Bildungsziele und das 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung müssen in den Haushaltsberatungen und in der mittelfristigen Finanzplanung wiedergefunden werden können, sonst läuft die Innovationsoffensive ins Leere. Das heißt, wir müssen Prioritäten setzen und diese auch umsetzen. Das heißt auch, dass es wichtiger ist, Hochschulen zu sanieren als Autobahnen zu bauen. Köpfe oder Beton - das, meine Damen und Herren, ist die Frage! Mit mehr Schulden für Autobahnen und Kürzungen bei Bildung und Forschung können wir die Zukunft nicht gewinnen. Damit wir das allseits anerkannte Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung aufzuwenden, erreichen können, sind allein im Bundeshaushalt jedes Jahr durchschnittlich über 600 Millionen Euro notwendig. Dieses Ziel ist hoch ambitioniert: 2010 müssen Bund, Länder und Wirtschaft mehr als 22 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung und Entwicklung ausgeben als heute. Es darf aber nicht nur um Geld gehen: Die Mittel müssen auch effizienter ausgegeben werden. Bei technologischen Flops wie beispielsweise der Kernfusion müssen Konsequenzen gezogen werden: Weitere 50 Jahre Geldverschwendung ohne die Perspektive neuer Arbeitsplätze dürfen wir uns nicht erlauben.

   Es reicht nicht, nur quantitative Ziele zu setzen. Wir müssen offensiv - darauf hat Fritz Kuhn zu Recht hingewiesen - eine Richtung vorgeben. Nur dann können wir die Menschen mitnehmen. Nur dann wird die Innovationsoffensive auch dazu beitragen, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Die Zeitungen sind doch jeden Tag voll davon: Klimawandel, alternde Gesellschaft, anwachsende Verkehrslawinen, Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs. Nichts liegt näher, als die Innovationsoffensive zur Lösung genau solcher Problembereiche zu nutzen. Schaffen wir uns Ziele und Leitbilder, dann werden die Menschen mitgerissen! Gute Ideen sind vielfach entwickelt, aber sie warten auf ihre Umsetzung. Als Beispiele, die bei entsprechenden Anstrengungen in den nächsten Jahrzehnten erreichbar sind, mögen genannt sein: der emissionsfreie Straßenverkehr. Japan entwickelt im Moment emissionsfreie Automobile oder auch Hybridautos. Die deutschen Automobilkonzerne beginnen diese Entwicklung zu versäumen.

   Wir brauchen neue Dienstleistungen für die alternde Gesellschaft. Durch neue Ideen zur Betreuung von Alten und Kranken können in hohem Maße die Sozialversicherungssysteme entlastet und gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen werden. Dienstleistungen zur Prävention halten die Menschen gesund, senken die Gesundheitskosten und schaffen Arbeitsplätze. Wir brauchen neue Medikamente gegen Alzheimer, eine zunehmende Bürde unserer alternden Gesellschaft.

   Wir brauchen Klimaschutztechnologien. Herr Schauerte, erneuerbare Energien und Energieeinspartechnologien schützen das Klima und helfen, die Energieversorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Sie entziehen gleichzeitig Kriegen um Erdöl die Ursache und schaffen zudem viele neue Arbeitsplätze.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Die Querschnittstechnologien wie die Nanotechnologie, die optischen Technologien, die Informationstechnologie und die Kommunikationstechnologie sowie die Biotechnologie spielen dabei eine wichtige Rolle. So wird die Biotechnologie in Kombination mit nachwachsenden Rohstoffen dazu beitragen, die Biokraftstoffe und die Chemie umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten.

   Entscheidend wird aber sein, wie sich Wissenschaftler und die Wirtschaft in den Querschnittsfeldern an den genannten Leitvisionen ausrichten. Es ist die Aufgabe der Politik, über die Festlegung von Rahmenbedingungen und Forschungsschwerpunkten hierfür die richtigen Akzente zu setzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Riesenhuber.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):

   Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! „Innovationen und Zukunftstechnologien für den Mittelstand“ - das ist etwas, bei dem wir uns im Grundsatz sehr einig sind. Der Mittelstand birgt die - wahrscheinlich einzige - Chance zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Dabei können wir über Ich-AGs und Überbrückungsgeld sprechen. All das ist sehr wichtig. Die Chance aber zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Firmenwachstum liegt bei den 40 000 mittelständischen forschenden Unternehmen, bei den jährlich 2 000 bis 3 000 neu gegründeten technischen Unternehmen. Es ist eine strategische Frage, wie man die Politik in diesem Bereich gestaltet.

   Wie ist die Lage? Sie ist nicht sehr beglückend. Die Zahl der Unternehmensgründungen im Mittelstand in diesem Bereich ist derzeit - das zeigen die Zahlen - rückläufig. Die Forschungsaufwendungen im Mittelstand sind rückläufig. In dieser schwierigen Situation haben wir jedoch diese Bundesregierung. Das macht uns glücklich und dankbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr gut!)

Wenn alles ganz schief läuft, wird ein Masterplan aufgestellt. Dann bedient man sich des eleganten Beraterjargons, mit dem man auch schon so wertvolle Dinge wie JUMP und den Jobfloater umschrieben hat.

   Jetzt haben wir also einen High-Tech-Masterplan. Die interessante Frage ist: Was leistet er eigentlich, um die Probleme zu überwinden, vor denen wir stehen? Wenn man die Probleme überwinden will, dann sollte man sie erst einmal analysieren. Ihre Berater würden sagen: Wir machen eine SWOT-Analyse - Strength, Weaknesses, Opportunities, Threats. Ich drücke mich schon langsam in der gebildeten Sprache der gehobenen Ministerialbürokratie aus, die sich dank Ihrer Berater auf ein erhebliches Niveau bewegt hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich beobachte das mit wachsender Bewunderung.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie waren ja lange genug Chef dieses Ressorts! - Ute Kumpf (SPD): Sie haben das ja vorbereitet!)

   Wo liegen die Stärken, die Schwächen, die Chancen und die Bedrohungen? Es gibt eine ausgezeichnete Möglichkeit, hierauf eine Antwort zu erhalten. Uns steht der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zur Verfügung, den uns Frau Bulmahn hier in einer schönen Tradition - wir haben den Bericht damals aus guten Gründen erfunden - vorgelegt hat.

   Wenn wir in den Bericht hineinschauen und jetzt beschreiben wollen, wo wir stehen, dann kommen wir zu folgendem Ergebnis: Seit Anfang der 90er-Jahre - so steht es im Bericht - haben wir in keinem Bereich Vorsprünge gegenüber den Konkurrenten gewonnen. In wesentlichen Bereichen haben wir ständig verloren. Wir haben bei den Forschungsausgaben, bei den Bildungsausgaben, bei den Ausgaben für I-und-K-Techniken, bei der Sichtbarkeit von Forschung, beim Nachwuchs in den technologieorientierten Fächern verloren. Frau Bulmahn, es ist prima, dass die Zahl der Studienanfänger in diesem Bereich - das haben Sie gesagt - anfängt, ein bisschen zu wachsen. Dafür sind wir sehr dankbar.

   Aber Ihr Bericht und auch der Masterplan zeigen: Wir sind weiterhin unter dem Niveau der Konkurrenten. Die Relation liegt hier bei sieben zu zehn. Das heißt also: Wir befinden uns hier in einer verdammt kritischen Lage.

   Wir haben gedacht, jetzt kommt der Masterplan, der uns rausreißt. -

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Bingo! - Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es!)

Hartmut Schauerte hat das mit Verve und Sachverstand vorgetragen. -

(Peter Dreßen (SPD): Ein bisschen Polemik war auch dabei!)

Ich tue mich aber wirklich verdammt schwer damit, herauszufinden, wo er irgendetwas Neues aufzeigt. Den Dachfonds des ERP-Sondervermögens und des EIF loben wir hier seit einem Jahr immer wieder. Diese 500 Millionen Euro sind wirklich prächtig. Ich kann dies nur wieder lobend erwähnen. Man kann aber nicht in allen Debatten von einem einzigen Projekt leben. Es wäre schon ganz gut, manchmal etwas Neues zu bringen.

   Die Frage, woran das liegt, ist komplex. Es ist hier voller Bewunderung festgestellt worden, wie schön die Ministerien zusammenarbeiten. Freunde, das Problem liegt aber darin, dass die Ministerien die Zuständigkeit für die Forschung überhaupt erst auseinander gerissen haben. Seit dem Moment, ab dem die Forschung auf den Umwelt-, den Wirtschafts- und den Forschungsminister aufgeteilt worden ist, ist es eher ein Zufall, wenn hier etwas aus einem Guss entsteht.

   Die Beamten sind nach wie vor tüchtig. Sie erfinden prächtige Programme in großer Vielfalt. Es gibt lauter prächtige Programme: das JUNIOR-Projekt für Schülerinnen und Schüler, das Programm zur Frauenförderung - das ist wirklich eine gute Sache - und zur Existenzgründungsberatung. All dies sind Referatsprogramme. Wunderbar! Den großen Hammerschlag aber, den Urknall, nach dem hier etwas Neues entsteht, eine neue Welt, in der Milliarden für die Innovation ausgegeben werden und in der die Bundesregierung die Führung ergreift, sodass Deutschland wieder an die Spitze der wettbewerblichen Länder kommt, höre ich leider nicht. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Schlüsseln wir das im Einzelnen auf. Diese Zuständigkeitstrennung verursacht natürlich Probleme ganz unterschiedlicher Art. Heute können Sie nicht mehr zwischen der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung trennen. So nah beieinander und so voll integriert war die Forschung noch nie. Die Bildungsministerin hat ihre Freude an BAföG, IGLU, PISA und sonstigen schönen Dingen. Der Wirtschaftsminister, lieber Herr Staffelt, muss mit Hartz I, Hartz II, Hartz III, Hartz IV sowie den Regelungen bezüglich der Alteigentümer und den Emissionsrechten kämpfen.

(Peter Dreßen (SPD): Da sehen Sie einmal, was der für Arbeit hat!)

All das sind bedeutende Sachen. Ich kann aber nicht erkennen, wo die Löwenpranke eines Ministers im Hinblick auf die Forschung auf den Tisch haut und sie sichtbar macht. Die Forschung hat hier kein Gesicht und keine durchschlagende Kraft, weil die Organisationsform nicht stimmt. Das hat bis in die einzelnen Programme hinein ganz bittere Folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich freue mich ja, wenn die Welt reicher wird. Was aber könnten diese Fanfarenstöße sein? Frau Bulmahn hat hier gesagt, jetzt käme ein Programm zur Nanotechnologie. Ich darf daran erinnern: Vor zwei Jahren haben wir in einer Debatte genau dies vorgeschlagen. Das Richtige kommt bei der Bundesregierung ja, aber es dauert immer furchtbar lang. Wir können nicht warten.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geduld!)

   Es wäre einmal eine Innovation, bei dem, was richtig ist, schneller zu sein. Wir haben eine Anfrage zur Forschungspolitik gestellt, um die Sache voranzubringen. Das ist nun schon neun Monate her. Das ist ungefähr die Zeit von der Zeugung bis zur Geburt eines Babys. Ob bei der Antwort etwas herauskommt, was Hand und Fuß hat, ist noch völlig offen. So etwas dauert und dauert. Das kann eine herzbrechende Veranstaltung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU - Peter Dreßen (SPD): Ein Baby ist doch etwas Schönes!)

   Herr Kuhn, einige Ihrer Vorstellungen fand ich im Übrigen ein wenig gespenstisch. Es war so, als ob Sie glaubten, dass Sie die Zukunft mit Forschungsprogrammen vorhersagen oder gestalten können. Hier wäre mir eine ein wenig größere Offenheit des Geistes schon lieber. Dies muss selbst bei einem tüchtigen grünen Politiker möglich sein.

   Sie sprachen aber auch von der Alternsforschung. Das ist ein gutes Thema. Ältere Leute erinnern sich daran, dass es einmal ein prächtiges Programm zur Alternsforschung gab, das man heute leider nicht mehr so deutlich erkennen kann und bei der Pflegeforschung geht es ja nicht nur um die Fürsorge. Sie haben Recht: Hier kommen neue, technikbasierte Dienstleistungen und neue Aufgaben auf uns zu. Es ist gut, dass diese Idee hier endlich einmal aufgekommen ist. Vielleicht kommt dann in zwei Jahren ja ein lichtvoller Vorschlag, über den wir alle sehr glücklich sind.

Der große Hammerschlag - ich glaube, der Kollege Fell hat es angesprochen - wäre natürlich das gewesen, was die Forschungsministerin vorgesehen hatte: Vor einem Jahr ging sie davon aus, sie könnte den französischen „Plan Innovation“ abschreiben. Gut, in der Vergangenheit haben die Franzosen von uns abgeschrieben, aber alles ändert sich. Sie hat vorgeschlagen, junge Forschungsunternehmen acht Jahre lang von der Körperschaftsteuer und anderen Unternehmenssteuern freizustellen. Auch Gewinne aus Stock Options sollten freigestellt sein. Der Plan enthielt noch eine Reihe anderer Vergünstigungen für junge Unternehmen, die konzernunabhängig forschen. Davon ist leider nichts mehr übrig.

(Ludwig Stiegler (SPD): Fragen Sie mal Friedrich Merz!)

- Ich frage lieber den Herrn Eichel. Frau Bulmahn will es, Herr Clement weiß es und Herr Eichel steht daneben und mauert. Aber verantwortlich ist die Bundesregierung insgesamt und natürlich auch Sie, verehrter Kollege. Die Fraktion mit ihrer Innovations- und Prägekraft könnte natürlich das Vernünftige tun, wenn sie es denn wollte. Dass nun bald Herr Müntefering der Vorgesetzte von Herrn Schröder wird, macht das Ganze nur noch überzeugender.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Beim Thema Business Angels sind wir nicht weitergekommen. Ich werde eine ganze Reihe von Punkten wie die Fondsbesteuerung, die wir vor drei Wochen besprochen haben, nicht aufgreifen. Wir reden und tagen sehr oft miteinander. Wir haben sehr viele wunderbare Ideen, die aber leider nicht umgesetzt werden. Es tagt und tagt und wird nicht heller.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Staffelt schaut versonnen in die Innenfläche seiner Hand, als ob er darin die Zukunft des Landes erkennen würde. Sie sollen kraftvoll die Zügel ergreifen, Herr Staatssekretär, damit die Forschung ein Gesicht bekommt, selbst wenn es Ihres ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist von einigen Kollegen mit Stolz auf die finanziellen Leistungen der Bundesregierung hingewiesen worden. Diese sollte man sich einmal liebevoll anschauen. Der Anteil des Staates am Forschungsbudget der Nation ist ständig gesunken, und zwar von circa 37 Prozent im Jahr 1995 auf circa 31 Prozent im Jahr 2001. Aber die Programme sind ständig weitergelaufen. Schauen wir uns einmal das Budget des Wirtschaftsministeriums an. Herr Staffelt, ich diktiere es Ihnen, damit Sie es gleich widerlegen können. Das werden wir mit Interesse verfolgen.

   Die Titelgruppe 05, Forschung, Entwicklung und Innovation im Mittelstandsbereich, ist ausweislich der Unterlagen der Bundesregierung - man muss sich die Istzahlen, nicht die Sollzahlen anschauen - in den vergangenen vier Jahren prächtig gestiegen und liegt 2003 um etwa 130 Millionen Euro höher als im Jahr 2002. Wenn aber das BTU herausgerechnet wird, dann steigt die Zahl in vier Haushaltsjahren von 2000 bis 2003 von 387 Millionen auf nur 388 Millionen Euro. Das BTU ist Ihnen nämlich völlig aus dem Ruder gelaufen, es frisst Ihnen die Gelder weg. Der ganze Forschungs- und Innovationshaushalt für den Mittelstand stagniert bei Ihnen.

   Sie stellen ein großes neues Konzept vor, das Sie nun umsetzen wollen. Das ist dringend notwendig und überfällig. Sie müssen aber so vorgehen, dass für die Umsetzung Ihres Programms auch Platz ist. In Ihrem Masterplan hatten Sie angekündigt, mittelständischen Forschungsunternehmen Gelder aus den Fachprogrammen zur Verfügung zu stellen. Wenn die Mittel für das Wirtschaftsministerium nicht erhöht werden und die Projektmittel für das Forschungsministerium im letzten Jahr um 4 Prozent und in diesem Jahr um 8 Prozent sinken, dann ist das ist nicht die Art von Ermutigung, von Schwung und Unternehmergeist, die wir brauchen.

   In der Forschung werden Millionen abgeknapst. Für die Ganztagsschulen werden Milliarden ausgegeben. Dafür sind Sie nicht zuständig.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist falsch!)

Auch die UMTS-Mittel sind aufgebraucht. Wenn Sie hier einen Anstoß geben wollen, müssen Sie nun ganz hart Prioritäten setzen und das tun, was Ihnen Herr Fell gesagt hat: Bringen Sie den Finanzminister dazu, dass er das Geld freigibt, das wir brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kuhn denkt genauso. Ich bin sicher, auch bei der SPD gibt es viele vernünftig denkende Leute.

(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit, Herr Riesenhuber.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):

Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Ich werde mich sehr beherrschen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ihre Redezeit war schon reichlich bemessen.

(Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU): Wir hören so gern zu!)

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):

Wir sehen dieses Programm durchaus nicht ohne Sympathie. Es enthält wenig Falsches. Aber es fehlt das Notwendige. So ist es bei der Bundesregierung häufiger. Oft macht sie aber etwas wirklich Falsches. Was hier - das ist das Problem - mit den fleißigen Händen der Beamten vorne aufgebaut wird, wirft die Regierung mit ihrem Hintern wieder um, wenn sie die Vermögensteuer und die Ausbildungsplatzabgabe bzw. die -umlage einführt. Gleiches gilt für die Drohung mit der Erbschaftsteuer. Vorne bauen Sie fleißig auf und hinten fällt alles zusammen, weil das Ganze nicht aus einem Guss ist.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Mehr fällt zusammen!)

Deshalb haben wir eine Landschaft, in der es nicht vorangeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Freunde, wir sind am Beginn der Fastenzeit. Der Apostel sagt: „Metanoeite!“, „Denkt um!“

(Ludwig Stiegler (SPD): Johannes der Täufer!)

Dies ist eine gute Gelegenheit. Denken Sie um! Gehen Sie weg von dem Glauben an die Machbarkeit dessen, was in regierungsamtlichen Papieren steht! Gewähren Sie den Freiraum, den wir immer wieder eingefordert haben, damit die Leute Lust haben, etwas zu tun. Denn ohne Lust geschieht auf der Welt nichts Vernünftiges.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Der letzte Satz war der wichtigste!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Riesenhuber, weil wir Ihnen alle so gerne zuhören, bekommen Sie nicht nur Szenenapplaus, sondern immer auch eine reichlich bemessene Redezeit. Aber das nächste Mal etwas knapper, bitte.

   Jetzt hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt. Er kann jetzt die Zügel ergreifen.

Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt mir nach dieser fulminanten Rede des Kollegen Riesenhuber außerordentlich schwer,

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Unterhaltsam, aber nicht fulminant!)

hier noch Wichtiges beizutragen:

   Erstens. Ich habe die Vermutung, Herr Riesenhuber, dass Sie in Bezug auf die Sprachbildung der Beamten im Forschungsministerium in Ihrer früheren Rolle als Bundesforschungsminister ganz erhebliche Vorleistungen erbracht haben. Nur mit dieser intellektuellen Brillanz ist so etwas vermittelbar. Deshalb schreibe ich das in der Hauptsache Ihnen zu.

Zweitens. Sie haben darüber gesprochen, wo wir an Boden verloren haben. Ich hatte einen Moment die Idee, Sie könnten sich wieder in die Zeiten Ihrer Regierung zurückversetzt haben. Wenn ich mich recht entsinne, hatte alleine Ihr Kollege Rüttgers in der Zeit zwischen 1994 und 1998 in seinem Haushalt einen Verlust in Höhe von 400 Millionen Euro zu verzeichnen.

(Ludwig Stiegler (SPD): Der Vergangenheitsminister!)

Das steht im Gegensatz zu dem, was wir gemacht haben. Auch das gehört zu einer redlichen Beschreibung der Situation, in der wir uns befinden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich muss ganz offen gestehen: Manches davon hätte ich einem jungen Kollegen durchgehen lassen. Aber bei der Erfahrung, die Sie mitbringen, und bei der Kenntnis, die Sie unbestritten haben, kann ich das bei Ihnen nicht tun. Wir arbeiten uns im politischen Raum Punkt für Punkt voran. Die politische Debatte ist nicht vernünftig und redlich, wenn Sie jeweils das, was wir im Paket beschlossen haben - zum Teil übrigens gemeinsam beschlossen haben -, außen vor lassen und am Ende immer wieder Einzelpunkte herauspicken und diese zum Anlass nehmen, alles, aber auch wirklich alles, schlechtzureden. Das ist doch kein redliches politisches Handeln!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das war eine unterhaltsame Vernichtung von Altpapier!)

- So ist das.

   Ich will in dem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, dass wir in diesem Lande eine nachhaltige Steuerreform realisiert haben. Das geschah im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat am Ende mit Ihrer Zustimmung. Wir haben im Bereich der Sozialversicherungen wichtige Veränderungen und Einschnitte mit Ihrer Zustimmung vorgenommen. Wir haben bei der Handwerksordnung, bei den Hartz-Gesetzen und beim Bürokratieabbau ganz erhebliche Schritte nach vorn gemacht. Nicht umsonst gibt es im Lande die großen Diskussionen. Das können Sie doch nicht einfach ignorieren. Sie können doch nicht immer wieder auf das zurückkommen, über das wir schon hinweg sind. Das glaubt Ihnen doch am Ende keiner, der die politische Debatte wirklich ernsthaft verfolgt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Worüber sind wir hinweg?)

   Selbst die Verbände, die uns historisch durchgängig nicht nahe stehen - wie der BDI -, kämpfen doch dafür, dass diese Regierung ihren Kurs beibehält, und begrüßen das, was wir bisher erreicht haben. Das kann doch niemand ignorieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Machen Sie es sich deshalb nicht so einfach, wie es insbesondere Herr Schauerte getan hat!

   Die Initiative „Innovation und Zukunftstechnologien im Mittelstand - Hightech-Masterplan“ knüpft durchaus an Defizite an.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wo ist der Master?)

Diese Defizite ergeben sich auch aus einem Tatbestand, der nicht verschwiegen werden darf, nämlich dass sich aufgrund der Erfahrungen in der New Economy das private Venture Capital wieder gänzlich zurückgezogen hat, sodass der Staat letztlich die Risiken auf sich nehmen muss, damit der Laden wieder läuft. Das ist doch die pure Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

   Auch das ist ein Tatbestand, den wir nicht ignorieren dürfen. Das hat etwas mit Rahmenbedingungen, aber auch mit Mentalitäten zu tun. Die Deutschen sind, was Risikokapital betrifft, in aller Regel nicht so erfahren und auch nicht so risikofreudig wie die Amerikaner, Briten oder andere Nationen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oder Westberliner!)

- Dazu äußere ich mich nicht, weil ich, wie Sie wissen, Westberliner bin. Deswegen halte ich mich aus der Frage, die Sie möglicherweise implizieren, gänzlich heraus.

   In jedem Fall versuchen wir in dieser Phase, die Rückgänge im Bereich des privaten Venture Capital auszugleichen. Die Early-Stage-Investitionen der Branche liegen mit rund 290 Millionen Euro im Jahr 2003 inzwischen wieder unter denen des Jahres 1998. Die Gründungsfinanzierungen sind fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Das ist die Realität, der wir richtigerweise gegensteuern müssen. Das müsste eigentlich in vollem Umfang Ihre Unterstützung finden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Bei den KMUs sind die Ausgaben im F-und E-Bereich 2001/2002 um rund 3 Prozent gesunken. Für 2003 war der gleiche Level wie 2001 und 2002 zu verzeichnen. Erinnern Sie sich auch in diesem Zusammenhang wieder an Ihre eigene Geschichte! Als es 1993 zu der großen Rezession kam, ist der gesamte Venture-Capital-Markt zusammengebrochen. Sie aber hatten staatlicherseits keine Vorkehrungen getroffen. Der Markt musste zu einem späteren Zeitpunkt erst wieder angekurbelt werden. Auch das ist ein Teil der historischen Wahrheit, mit der Sie sich auseinander setzen müssen.

(Beifall bei der SPD)

   Was wollen wir mit dem Hightech-Masterplan erreichen? Wir verbessern damit erstens die Finanzierungsbedingungen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Was?)

- Ja, natürlich, Herr Schauerte. - Das gilt insbesondere für junge Technologieunternehmen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wann setzt ihr das denn um?)

   Zweitens werden die Möglichkeiten des Mittelstandes zur Teilnahme an nationalen und internationalen Technologienetzwerken deutlich verbessert.

   Drittens. Mit der Förderung der Innovationskompetenz bei kleinen und mittleren Unternehmen und dem Handwerk stärken wir deren Wettbewerbsfähigkeit.

   Viertens. Im Bereich der Bildung schaffen wir mit den Reformen in der dualen Berufsausbildung und der Verlängerung der Greencard erste Voraussetzungen für einen attraktiven Bildungsstandort und begegnen dem Fachkräftemangel.

   Das sind doch positive Ziele, die im Übrigen in den Diskussionen mit den Mittelständlern auch anerkannt werden. Diese setzen sich übrigens, was die Finanzierungsthematik betrifft, in viel stärkerem Maße mit den Banken und ihrer Praxis in diesem Lande als etwa mit Vorwürfen an die Bundesregierung auseinander.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Thema, um das es auf jeder Versammlung geht.

   Wir müssen uns letztlich - das wäre auch in Ihrem Interesse - mit den Banken, Sparkassen und Volksbanken darüber auseinander setzen, auf welche Weise wir dabei helfen können, die Kreditzuweisungen an Unternehmer zu verbessern und zu vereinfachen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Um dieses Thema geht es. Deshalb sollten Sie mit dieser Art der Auseinandersetzung sehr vorsichtig sein.

   Wir haben bereits Ende letzten Jahres - darauf ist schon hingewiesen worden - gemeinsam mit dem ERP-Sondervermögen und dem Europäischen Investitionsfonds einen Dachfonds für Beteiligungskapital geschaffen. Frau Wöhrl, Sie haben dem - Sie waren zusammen mit Frau Skarpelis-Sperk von unserer Fraktion sozusagen an der Spitze der Bewegung - im ERP-Unterausschuss zugestimmt. Aber hier im Bundestag tun Sie so, als ob Sie mit alledem nichts zu tun hätten. Ist das politische Redlichkeit?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland ist natürlich auf eine weitere Verbesserung der Situation auf dem Beteiligungskapitalmarkt angewiesen. Hier werden wir unsererseits das Notwendige tun. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf einen wichtigen Fakt hinweisen, der nicht außer Acht gelassen werden darf. Neben dem heute diskutierten Masterplan gibt es die Fachprogramme sowohl des Ministeriums für Bildung und Forschung als auch des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums. Alleine in diesem Bereich haben wir von 1998 bis 2003 die Mittel für die KMUs um 20 Prozent erhöht. Auch das gehört zur Wahrheit der politischen Auseinandersetzung.

(Beifall bei der SPD)

   Summa summarum: Wir glauben, mit dem vorliegenden Programm mehr Flexiblität zu schaffen sowie die Bedingungen der internationalen Kooperation für deutsche mittelständische und innovative Unternehmen zu verbessern. Ich habe als Koordinator der Luft- und Raumfahrtindustrie viel mit kleinen und mittleren Unternehmen zu tun und weiß daher, wie wichtig eine kleine Venture-Capital-Unterstützung für diese ist, um Großes zu leisten und sich im Wettbewerb zu behaupten. Genau das machen wir, indem wir die Mittel nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern sehr gezielt dort einsetzen, wo wir es mit Unternehmen zu tun haben, die erwartungsgemäß in der Lage sind, technologischen Fortschritt zu erzielen und exzellente Spitzenleistungen zu erbringen. Das ist der Sinn unserer Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin fest davon überzeugt, dass die Resonanz in der Wirtschaft durchweg positiv sein wird; denn die Wirtschaft weiß sehr wohl - sie ist in der Lage, mit dieser Tatsache umzugehen -, dass die Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte begrenzt sind. Viele Mittelständler wollen auf Dauer auch gar keine Staatsknete, sondern nur eine unterstützende Starthilfe, um letztendlich Produkte auf den Markt zu bringen, mit denen sie ihr Unternehmen stabilisieren und entwickeln sowie für die Volkswirtschaft etwas leisten und Arbeitsplätze in diesem Lande schaffen können.

   Vor diesem Hintergrund wäre mir eine konstruktivere Diskussion vonseiten der Opposition sehr viel lieber gewesen. Sie wäre auch der Vertretung der Interessen derjenigen, über die wir hier reden, angemessener gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sollten lernen, dass Ihre konfrontative Oppositionspolitik unser Land in keiner Weise voranbringt.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph Bergner.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Staffelt, vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass eine Diskussion wie die heutige mit möglichst geringem propagandistischem Eifer und mit möglichst engem Bezug zur Realität geführt werden sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Um diesem Grundsatz zu folgen, möchte ich uns die authentische Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, in der die aktuellen F-und-E-Aufwendungen der Unternehmen in Deutschland analysiert worden sind, in Erinnerung rufen. Ohne auf die Zahlen einzugehen, möchte ich die Grundaussagen zitieren:

... auch für 2004 rechnen die befragten Unternehmen tendenziell mit einer weiteren Senkung ihrer FuE-Aufwendungen: ...
(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das ist die Wirklichkeit!)

Herr Staatssekretär, wie ich sehe, finden Sie die Unterhaltung mit der Frau Ministerin interessanter. - Das ist die Realität, der wir uns stellen müssen, wenn wir die Dimension dieser Aufgabe wirklich erkennen wollen. Zu dieser Realität gehört auch, dass der Rückgang an F-und-E-Aufwendungen vorwiegend kleine und mittelständische Unternehmen betrifft.

(Cornelia Pieper (FDP): Richtig!)

   Nun möchte ich den Generalsekretär des Stifterverbandes zitieren:

Wenn seitens der Politik kein ermutigendes Signal gesetzt wird, ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Jahren, 2003 und 2004, der Anteil der FuE-Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt wieder sinkt. ... So können wir die EU-Zielmarke von 3 % nicht erreichen.

Ich finde diese Nachricht - auch wenn sie den Staatssekretär nicht interessiert - alarmierend, und zwar aus zwei Gründen:

   Wir wissen, dass wir das 3-Prozent-Ziel wahrscheinlich schon im Bereich der staatlich finanzierten F-und-E-Aufwendungen verfehlen werden. Wir stellen fest, dass nun auch noch im Bereich der privat finanzierten wirtschaftlichen Aufwendungen

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ein Abbau stattfindet!)

das Handtuch geworfen wird und dass sich dort ein Abbau vollzieht.

(Ulrich Kasparick (SPD): Das Gegenteil ist richtig!)

- Sie können die Zahlen des Stifterverbandes nicht widerlegen. Herr Kasparick, es bringt doch nichts, über Realitäten zu streiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kasparick (SPD): Aber wir machen doch dieses Programm! Unglaublich!)

   Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, was „3 Prozent“ bedeutet. Ich finde, das ist in der heutigen Diskussion noch nicht richtig zum Ausdruck gekommen. Der Beschluss, den die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Lissabon gefasst haben, besagt, dass es um 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Durchschnitt der 2010 erweiterten Europäischen Union geht.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das weiß doch jeder!)

Das heißt nichts anderes, als dass ein Land wie Deutschland, das den Anspruch erhebt, ein Hochtechnologieland zu sein,

(Ulrich Kasparick (SPD): Sich bewegen muss!)

im Hinblick auf Länder wie die Slowakei, Litauen und Griechenland, die diesen Durchschnittswert aus verständlichen Gründen nicht schaffen werden, dadurch einen Ausgleich zu schaffen hat, dass es, was seine F-und-E-Aufwendungen angeht, deutlich über der 3-Prozent-Marke liegt. Wir sind also weit von dem entfernt, was wir uns im Rahmen der EU selbst zum Ziel gesetzt.

   Wir sollten dieses Thema deshalb ernster nehmen, als Sie es bisher getan haben. Ich will Ihnen eines sagen: Was ich bisher als so genannte Innovationsoffensive erlebt habe, ist vor allen Dingen eine Propagandaoffensive gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zu Jahresbeginn gab es einen Fanfarenstoß „Eliteuniversität“, verbunden mit einer Einladung ins Kanzleramt. Übrigens, zu dieser Zusammenkunft war kein Vertreter des Mittelstandes eingeladen. Auch dies gehört - Sie sprechen über Innovationen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen - bei der Analyse auf die Tagesordnung. Ich kann in all diesen Diskussionen nicht die Bereitschaft erkennen, dicke Bretter zu bohren. Genau diese Bereitschaft werden Sie allerdings brauchen.

   Ich habe bei der Analyse Ihrer internen Reformdiskussion den Eindruck gewonnen - der Kollege Schauerte hat schon darauf hingewiesen -, dass Sie im Moment eine ganz andere Parole ausgeben. Diese Parole lautet - ich halte sie für höchst bedenklich -: Nachdem wir uns in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme herumschlagen mussten, kommt nun der fröhliche Teil der Agenda 2010, der es uns möglich macht, Geld zu verteilen und Menschen zu beglücken.

   So einfach wird die Aufgabe, die vor Ihnen liegt, nicht sein. Die Forschungs- und Technologieförderung ist genauso wie die Bewältigung der Probleme der sozialen Sicherungssysteme eine sehr schwierige Aufgabe. Es geht nämlich darum, verlorene Wettbewerbsfähigkeit und verlorene Rahmenbedingungen für mehr Wachstum wiederzuerlangen. Dies sollten Sie ernster nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulrich Kasparick (SPD): Wir machen es doch!)

- Sie machen es eben nicht, Herr Kasparick.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie sind ignorant!)

Ich schränke mich ein: Ich kann mich nur auf das beziehen, was Sie uns vorlegen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Was Sie wahrnehmen!)

Der Masterplan, den Sie uns mit der Drucksache 15/2551 vorgelegt haben, ist gemessen an der Größe der Aufgabe geradezu lächerlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das ist schon analysiert worden. Ich brauche darauf nicht mehr im Einzelnen einzugehen, weil es in den Förderprogrammen - der Dachfonds ist schon genannt worden - im Grunde genommen nichts oder fast nichts Neues bringt. Es ist unzureichend, weil es bei den Förderprogrammen keine belastbaren Finanzierungsperspektiven gibt. Ich stehe unter dem Eindruck eines Gesprächs, das ich neulich mit dem Technologieberater einer Kammer geführt habe. Zur gegenwärtigen Situation hat er gesagt: Wir haben viele Programme, aber kein Geld, jedenfalls kein verfügbares. - Das ist die Situation, in die wir gekommen sind. Wir haben eine ausdifferenzierte Förderkulisse, die sich dann, wenn man nach den Mitteln fragt, die jetzt verfügbar sind, als Attrappe erweist. Das halte ich für ausgesprochen gefährlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es ist des Weiteren unzureichend, weil die Herausforderung, die wir in Deutschland haben, nämlich eine gespaltene Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Ost und West, nicht mit adäquaten Mitteln berücksichtigt wird; im Gegenteil. Frau Ministerin Bulmahn, wenn es um die staatlich finanzierte Forschungsinfrastruktur geht, leisten Sie sich Dinge - ich denke nur an Ihre Attacken gegen die Leibniz-Gesellschaft -, die gerade für die neuen Bundesländer und für den Aufbau der Forschungslandschaft dort hinderlich sind.

   Frau Ministerin Bulmahn - ich verbinde dies mit einem Glückwunsch zum Geburtstag -, wenn Sie sagen, zu viel Bürokratie hemme die Innovationen, so kann ich nur fragen: Wie verhält sich diese Aussage beispielsweise zu Ihren Plänen einer Ausbildungsplatzabgabe? Haben Sie sich jemals überlegt, was es für ein innovatives Unternehmen, das sich die Frage stellt, ob es einen Hochschulabsolventen einstellt, um ein bestimmtes Innovationsprojekt voranzubringen, bedeutet, wenn es mit einer Zwangsabgabe beauflagt wird, weil es die staatlich vorgegebene Ausbildungsplatzquote nicht erfüllt? Sie bauen damit ein beträchtliches zusätzliches Hemmnis gerade für die kleinen und mittelständischen innovativen Unternehmen auf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Kuhn sagt, grüne Ideen führten zu schwarzen Zahlen. Ich möchte Ihnen deshalb nur die Frage stellen - Frau Pieper hat schon gesagt, dass wir in unserem Bundesland Biotechnologieambitionen haben -, wie Sie einem innovativen Unternehmen mit einer geringen Eigenkapitalbasis die Haftungsrisiken und Rechtshürden zumuten können, die Sie im Bereich der Gentechnik jetzt aufzubauen im Begriff sind.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist Ihnen die Sicherheit egal?)

Dies ist meines Erachtens für Unternehmen, die gerade in der grünen Gentechnik ihr Bewährungsfeld suchen, eine Belastung, die im Grunde genommen den Todesstoß am Anfang der Entwicklung bedeutet. Ich halte das für höchst fatal.

(Beifall bei der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Sicherheit der Bürger ist Ihnen egal? - Gegenruf von der CDU/CSU: Das hat doch nichts mit der Sicherheit der Bürger zu tun! - Gegenruf des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich!)

   An der Vorlage wird noch eines deutlich, das über den Kontext der unmittelbaren Innovationspolitik für den Mittelstand hinausgeht und das sich auf mein engeres Fachgebiet, die Forschungspolitik, bezieht. Wir stellen fest, dass es bei all diesen Forschungsprogrammen, die von zwei bis drei Häusern entworfen werden, an einer Grundphilosophie, an einem Grundwissenschaftsverständnis mangelt, sodass man nicht in der Lage ist, zu wirklich stimmigen Vorgehensweisen - ich rede nicht von der technischen Abstimmung von Förderprogrammen, bei der tatsächlich Fortschritte erreicht worden sind - zu kommen. Ich sehe die Ursache darin, dass die Bundesregierung einer Herausforderung nicht gewachsen ist, die da lautet: Welches Selbstverständnis an unseren Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen erfordert die moderne Wissensgesellschaft?

   Frau Ministerin Bulmahn, was Sie mit dem Vorstoß „Deutschland sucht die Superuniversität“ gemacht haben, belegt für mich in besonderer Weise, dass Sie die Antwort auf diese wissenschaftspolitische Herausforderung in einer schlichten und oberflächlichen Kopie amerikanischer Verhältnisse suchen.

(Jörg Tauss (SPD): Na ja! - Weitere Zurufe von der SPD)

Davor kann ich nur warnen. Sie, Frau Bulmahn, werden für diese Nummer doch aus Ihren eigenen Reihen kritisiert. Sie werden berechtigterweise von Ihrem Koalitionspartner und von den Landesministern mit SPD-Parteibuch, die sich um Wissenschaft zu kümmern haben, kritisiert. Wir müssen hier nicht über die Sache reden, aber daraus klingt schon ein völlig irriges Wissenschaftsverständnis. Natürlich brauchen wir Wettbewerb in der Wissenschaft.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Gerne.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Dadurch bekommen Sie, wie Sie sehen, auch noch Redezeit. Sie müssen aber Ihre Rede mit der Beantwortung beenden.

Jörg Tauss (SPD):

Aber nur Redezeit, die sich auf die Frage bezieht. - Lieber Kollege Bergner, Ihrer Kritik an den Plänen der Forschungsministerin möchte ich Folgendes entgegenhalten: Würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen - ich weiß nicht, ob Sie dabei waren -, dass, als Frau Ministerin Bulmahn ihr Konzept vorgetragen hat, sich Vertreter sowohl der Hochschulrektorenkonferenz als auch der Wissenschaftsorganisationen am Ende ihrer Rede deutlich zu Wort gemeldet und gesagt haben, das sei ein guter Weg und sie seien sehr daran interessiert, über diesen Weg mit der Ministerin in Verhandlungen einzutreten und das voranzubringen?

(Beifall bei der SPD)

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Herr Kollege Tauss, ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Kultusministerkonferenz mit den Stimmen der SPD-Wissenschaftsminister kritisch zu diesem Projekt geäußert hat. Ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Wissenschaftsorganisationen kritisch zu diesem Projekt geäußert haben.

(Ulrich Kasparick (SPD): Eben nicht!)

Und ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass inzwischen jeder seriöse Wissenschaftler, mit dem ich darüber gesprochen habe, dies für eine absolute Lachnummer hält.

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das können aber nicht viele gewesen sein!)

   Herr Kollege Tauss, lassen Sie mich dies noch sagen: Der Wettbewerb in der Wissenschaft, den wir beide wollen

(Ulrich Kasparick (SPD): Sie reden von Herrn Gaehtgens?)

- Sie können den Stenografischen Bericht mit meiner Rede gerne Herrn Gaehtgens schicken; ich habe damit keine Probleme -

(Ulrich Kasparick (SPD): Es ist unglaublich, wie Sie mit Wissenschaftlern umgehen!)

- lassen Sie mich erst einmal meine Ausführungen zu Ende bringen -, findet nicht zwischen Universitäten, sondern zwischen Wissenschaftlern, Fachgebieten und Instituten statt. Das ergibt sich auch aus den vorliegenden seriösen Voten.

(Beifall des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU))

   Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass der Nobelpreis an Wissenschaftler und nicht an Universitäten verliehen wird? Das ist doch wohl ein Beleg dafür, dass wir Qualität der Wissenschaft nicht an einer Körperschaft festmachen können.

(Widerspruch der Abg. Nicolette Kressl (SPD) - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist richtig! Daran merkt man, dass Sie keine Ahnung haben! - Weitere Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Können wir jetzt einmal so lange Ruhe bewahren, bis die Antwort beendet ist?

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Kollege Zöllner bei dieser Gelegenheit völlig zu Recht gesagt hat, der Wettbewerb muss an Fachbereichen und Instituten ansetzen und nicht an einzelnen Hochschulen?

   Das eigentliche Problem, Herr Kollege Tauss, ist, dass keine Maßnahmen Ihrer sonstigen Hochschulpolitik die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Hochschulen einen wirklich ernsthaften Wettbewerb um die Besten durchführen können: weder das Verbot der Habilitation noch das Oktroi der Juniorprofessur.

(Abg. Jörg Tauss (SPD) nimmt wieder Platz)

- Ich beantworte noch Ihre Frage.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das geht jetzt aber doch über die Beantwortung der Frage hinaus. Ich bitte Sie jetzt, zum Schluss zu kommen.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Ich versuche, die Diskussion dadurch zusammenzufassen, dass ich sage: Die Hochschulpolitik leidet an der Situation, dass die Ministerin ihre Vorschläge so wie ein Zirkuszauberer die Kaninchen aus dem Hut zieht. Dies reicht nicht aus. Wir müssen in der Lage sein, zu einem wirklichen Grundverständnis von Wissenschaft unter den Voraussetzungen der Wissensgesellschaft zu kommen. Dies traue ich dieser Ministerin nach all den Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe, nicht zu.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hoffmann.

Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal ganz sachlich Herrn Dr. Bergner korrigieren, der gesagt hat, dass bei der Kanzlerrunde kein Vertreter des Mittelstandes anwesend gewesen sei. Das ist in der Tat nicht so. Es waren Vertreter des Mittelstandes anwesend und haben ihre Interessenlagen in das Gespräch eingebracht.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Wer denn? - Gegenruf des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt - Zuruf von der CDU/CSU: Wer? - Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt: Den kennen Sie nicht, weil Sie sich mit dem Thema nicht auskennen!)

- Herr Staatssekretär Staffelt hat mir das gerade bestätigt.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Noch ein Kaninchen aus dem Hut!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Darf ich darauf hinweisen, dass wir eigentlich nicht gewohnt sind, dass von der Regierungsbank aus in die Debatte eingegriffen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es dürfen natürlich auch keine Fragen zur Regierungsbank hinübergegeben werden.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Hoffmann hat ja die Frage hinübergegeben!)

Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD):

Ich wollte diesen Punkt nur einmal klarstellen, denn eine solche Aussage ist symptomatisch für die Diskussion insgesamt.

   Herr Schauerte hat am Anfang seines Beitrags - da war er noch gut - ein paar Sätze gesagt, die ich sehr wohl unterstreiche. Er sagte, die Unternehmer würden entscheiden und nicht vorrangig die staatliche Wirtschaftspolitik. Ich glaube, es gibt niemand in diesem Raum, der dem widerspricht. Nur, Herr Schauerte, Sie wissen genauso gut wie ich, dass Unternehmer nicht im luftleeren Raum entscheiden. Sie gründen ihre Entscheidungen auf ein bestimmtes Fundament und treffen sie innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, die auch wir heute hier diskutieren. Ein Fundament ist allerdings äußerst problematisch, Herr Schauerte; deswegen habe ich vorhin das Beispiel mit der Teilnahme an der Kanzlerrunde gebracht. Wir haben in diesem Land eine Opposition, die seit vielen Monaten und Jahren eine Negativstimmung erzeugt, die im Grunde keinerlei Motivation beim Mittelstand aufkommen lässt und die ohnehin schwierige Ausgangssituation verschlimmert.

   Wenn ich einen Wunsch äußern darf: Kritisieren Sie in der Sache klar und deutlich - das bemängele ich nicht -,

(Manfred Grund (CDU/CSU): Das hat Herr Bergner gemacht, klar und deutlich!)

aber versuchen Sie, die Stimmung des Mittelstandes gemeinsam mit uns möglichst zu verbessern, und zwar durch konkrete Maßnahmen, die das Fundament für eine Verbesserung der realen wirtschaftlichen Situation legen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich denke, das machen Sie nicht. Lassen Sie mich das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen. In vielen Beiträgen, auch in Ihrem, ist von der Bürokratiebelastung des Mittelstandes gesprochen worden. Das ist richtig. Kleine und mittlere Betriebe klagen über zu viel Bürokratie. Wenn wir ehrlich sind, hat sich die Lage im Prinzip nicht wesentlich gebessert. Aber es gehört ebenfalls zur Wahrheit - wir können das im Jahreswirtschaftsbericht auf Seite 47 ausführlich nachlesen -, dass sich keine Regierung dieses Themas so systematisch und strukturiert angenommen hat wie diese Regierung.

(Beifall bei der SPD)

   Sie wissen alle, dass wir uns am Anfang des Jahres 2003 im Bereich Bürokratieabbau fünf Schwerpunkte vorgenommen haben. Wir haben eine Fülle von Einzelmaßnahmen aufgelistet, mit denen wir konkret etwas ändern wollen. Insgesamt sind es 50 Projekte, weitere werden im Jahr 2004 folgen. Wir befinden uns im Moment in einer Phase, in der diese einzelnen Maßnahmen umgesetzt werden. Ich will Sie mit der Aufzählung nicht langweilen, Sie können sie auf Seite 47 nachlesen: Es geht um die Vereinfachung und Reduzierung von statistischen Belastungen, um die Reform der Handwerksordnung, um die Verschlankung des Vergaberechts, um Änderungen in der Arbeitsstättenverordnung und viele andere Dinge mehr. Wir gehen das Thema Bürokratieabbau systematisch an. Das ist schwierig und problematisch genug. Wir wissen auch nicht, ob wir letztlich erfolgreich sein werden; das ist nicht der Punkt. Aber das Ziel ist klar, der Weg ist klar, die einzelnen Schritte sind klar, weitere Punkte folgen. Das wird sich auch für kleine und mittlere Unternehmen positiv auswirken.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Alles wird gut!)

   Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen; der Kollege Kuhn hat mir hier im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bauch gesprochen.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Der Kollege Kuhn ist ein Bauchredner!)

Immer dann, wenn wir konkret werden und versuchen, reale Erleichterungen für den Mittelstand hinzubekommen, blockieren Sie. Mir fällt unsere Diskussion im Herbst letzten Jahres ein, als es um die Verbesserung der Bedingungen für Existenzgründer ging, als wir über Änderungen der Handwerksordnung, über die Befreiung der Existenzgründer von Kammerbeiträgen in den ersten vier Jahren und über die Erleichterung bei befristeten Arbeitsverträgen diskutiert haben. Das waren keine leichten Diskussionen für uns.

Da standen Sie ständig auf der Seite derjenigen, die konsequent blockierten und knallharte Lobbyisten- und Interessenpolitik betrieben haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gehen Sie also in sich und versuchen Sie, ein bisschen mehr Bescheidenheit zu praktizieren! Seien Sie an unserer Seite, wenn wir konkrete Vorschläge machen!

   Wir haben im Rahmen der Agenda 2010 eine Fülle von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Belastungen des Mittelstandes in der Tat vermindern. Wir befinden uns jetzt in der Phase der Umsetzung. Wir können nicht schon nach knapp zweieinhalb Monaten eine Bestandsaufnahme machen. Wir werden sehen, wie sich die einzelnen Maßnahmen auswirken. Diese sollen - nicht nur, aber auch - ganz entscheidend die Belastungen des Mittelstandes verringern und vor allen Dingen bürokratische Hürden beseitigen.

   Wir haben die Steuern auf das niedrigste Niveau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gesenkt. Gerade für den Mittelstand ist die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ein ganz wichtiger Punkt.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über 10 Milliarden!)

- Das ist ein Volumen von über 10 Milliarden Euro. - Darauf sind wir stolz. Wenn man die Mittelständler direkt darauf anspricht, sagen sie deutlich, wie wichtig das ist. Ich denke, das ist eine gute Sache.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   An dieser Stelle fällt mir eine Diskussion aus dem letzten Jahr kurz vor Beginn des Vermittlungsverfahrens ein. Da ging es um die Frage der weiteren Behandlung der Gewerbesteuer und der Umwandlung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer. Rot-Grün hat die Position vertreten, dass wir eine verbreiterte Bemessungsgrundlage brauchen, damit die Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden, entsprechende Investitionen zu tätigen. Wir haben dieses Ziel im Rahmen des Vermittlungsverfahrens aber nicht erreicht. Die Kommunen waren über dieses Ergebnis nicht erfreut, sondern unzufrieden. Sie sagen, dass es ihnen im Grunde genommen nichts bringt. Daher muss man feststellen, dass Ihre Blockadestrategie gerade bei der Gemeindewirtschaftsteuer eine Strategie gegen den Mittelstand ist; denn es ist der Mittelstand, der in erster Linie von kommunalen Investitionen profitiert. Auch hier gilt: Als es konkret wurde, standen Sie nicht an unserer Seite und haben nicht mitgemacht. Denken Sie einmal darüber nach! So kommen wir insgesamt nicht weiter.

   Wir haben im Rahmen der Agenda 2010 eine Reihe von strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt. Ich möchte an die Begrenzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erinnern. Wir haben beim Kündigungsschutz einige Punkte verändert, um gerade Existenzgründern sowie kleinen und mittleren Betrieben die Möglichkeit zu geben, auf unkomplizierte Weise Beschäftigte einzustellen. Wir haben bei der Bundesagentur im Rahmen der Umstrukturierung den Schwerpunkt auf Vermittlung gelegt. Wir haben das deswegen getan, weil kleine Betriebe in der Regel keine großen Personalabteilungen haben, um Personal zu rekrutieren. Sie sollen - ich hoffe, dass das gut funktioniert - auf die Dienstleistung der Bundesagentur zurückgreifen können. Das wird diese Betriebe entlasten.

   Wir haben nach schwierigen Diskussionen - wir befinden uns eigentlich noch mittendrin - durch die Gesundheitsreform und durch die Rentenreform dafür gesorgt, dass die Beiträge nicht weiter steigen. Wir sind optimistisch, dass es uns kurz- und mittelfristig gelingt, dass ein Teil der Krankenkassen ihre Beiträge senkt. Alle diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass sich die Rahmenbedingungen für die kleinen und mittleren Betriebe verbessert haben.

   Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass wir in den letzten Monaten im Bereich der Mittelstandsbank eine Reihe von Förderinstrumenten vereinfacht haben; denn wir konnten von den kleinen und mittleren Betrieben immer wieder hören - ich komme auf das Thema Bürokratieabbau zurück -, das Verfahren sei insgesamt zu aufwendig, es dauere zu lange und sei zu kompliziert. Auch deshalb haben wir eine Mittelstandsbank und vereinfachte Förderinstrumente geschaffen, von denen ein Teil zum 1. April dieses Jahres in Kraft treten wird. Ich denke, das wird dem Mittelstand weiterhelfen.

   Die stärkere Ausrichtung der Forschungsförderung des BMBF auf die kleinen und mittleren Betriebe ist hier schon erwähnt worden. Ich brauche das nicht zu wiederholen.

   Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der im Moment von großer Bedeutung ist. Es geht um das Zuwanderungsgesetz. Wir kommen jetzt in eine ganz entscheidende Phase. Im Hightech-Masterplan wird der Schwerpunkt darauf gelegt, Arbeitskräfte im Bereich der Hochqualifizierten, aber auch im Niedriglohnbereich dauerhaft zu rekrutieren.

Diese Arbeitskräfte sollen auch den Klein- und Mittelbetrieben zugute kommen.

   Ich fordere die Opposition auf, gerade in dieser kritischen Phase mit uns zu einer Einigung zu kommen. Denn wir brauchen diese Arbeitskräfte in unserem Land sowohl im Hochtechnologiebereich als auch im Niedriglohnbereich kurz-, mittel- und langfristig. Denn es ist - aus welchen Gründen auch immer; darüber diskutieren wir jetzt nicht - im Moment nicht möglich, bestimmte Arbeitsplätze in diesen Sektoren zu besetzen. Deswegen haben wir ein Interesse an vernünftigen Regelungen im Bereich der Zuwanderung, um den gerade bei Klein- und Mittelbetrieben in diesen Sektoren bestehenden Arbeitskräftebedarf zu decken.

   In diesem Sinne glaube ich, dass der Hightech-Masterplan ein Schritt nach vorne ist. Er soll den kleinen und mittleren Unternehmen höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in innovative Produkte ermöglichen. Er soll die Chance, sich gerade in Hightech-Bereichen selbstständig zu machen, vergrößern, die Zugänge zu den Ergebnissen öffentlicher Forschung erleichtern und - ich sagte es bereits - genügend gut ausgebildete Fachkräfte in unserem Land dazu motivieren, tätig zu werden.

   Diesen Plan muss man mit Fleisch füllen. Es ist klar: Das sind zum Teil Absichtserklärungen. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei. Es gibt, wie ich finde, drei, vier gute und neue Akzente in diesem Sektor. Sie sollten sich dem nicht versagen. Es ist klar, dass Innovationen ein Nährboden sind. Was heute in den Forschungs- und Entwicklungslabors erdacht und zu marktreifen Produkten geformt wird, ist die Keimzelle für Jobs von morgen.

   In diesem Sinne ist der Hightech-Masterplan ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten daran arbeiten, ihn jetzt mit Fleisch zu füllen und konkret umzusetzen.

(Beifall bei der SPD - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Vielleicht könnte die Union ja mitmachen!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Zu einer sachlichen Richtigstellung bezogen auf die Rede des Vorredners - aber bitte wirklich nur darauf bezogen - erteile ich dem Abgeordneten Bergner das Wort.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Herr Kollege Hoffmann, Sie haben mir unter Bezug auf einen Nebensatz, in dem ich erwähnt habe, dass kein Mittelständler beim Innovationsgespräch im Bundeskanzleramt anwesend war, eine unredliche Behauptung unterstellt, was nicht der Tatsache entspricht. Ich habe zufällig die Teilnehmerliste des Innovationsgespräches im Kanzleramt am 16. Januar 2004, die im Internet veröffentlicht wurde, vorliegen. Im Sinne der Richtigstellung würde ich diese Liste gern einfach einmal vorlesen

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)

und Ihnen jeweils kurz die Frage stellen, ob Sie den jeweiligen Betreffenden für einen Mittelständler halten.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das geht jetzt wirklich zu weit.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Weisen Sie doch auf die entsprechende Internetseite hin!)

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU):

Frau Präsidentin, dann muss ich aber Wert auf die Feststellung legen, dass ich auf der amtlichen Liste des Bundeskanzleramtes keinen einzigen Mittelständler gefunden habe. Um den Zuruf von Herrn Staffelt von vorhin aufzugreifen: Es war auch niemand aus Bielefeld anwesend.

   Ich will nur sagen: Mir wurde eine unredliche Darstellung - es geht nur um einen Nebensatz - unterstellt. Ich muss diesen Vorwurf schärfstens zurückweisen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jawohl!)

Denn er ist - das sieht man, wenn man die offizielle Liste des Bundeskanzleramtes nachliest - völlig unzutreffend. Auf dieser Liste ist kein einziger Mittelständler ausgewiesen.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU - Manfred Grund (CDU/CSU): Die erzählen hier das Blaue vom Himmel herunter!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Von der SPD kommt noch ein weiterer Redebeitrag, sodass sie dazu Stellung nehmen kann.

   Jetzt hat erst die Abgeordnete Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. - Hightech Masterplan klingt bombastisch. Aber dahinter steckt nicht etwas wirklich Neues. Nach leider altem Muster werden in Ihrem Masterplan, Frau Bulmahn, alle Maßnahmen aufgelistet, die sich irgendwie mit Technologie und Mittelstand in Verbindung bringen lassen. Das ist kein Plan, sondern leider nur ein Sammelsurium von Förderinstrumenten.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Ich habe mir übrigens alle Artikel, die seit dem Beschluss im Kabinett zu diesem Masterplan erschienen sind, herausgesucht und sie gezählt: Es waren genau zwei Stück. Offensichtlich interessieren sich weder die Presse noch andere allzu sehr für Ihren Masterplan. Eine Umfrage des „Handelsblatts“ unter Managern zeigt, dass dieser Masterplan nicht als Priorität angesehen wird.

   Was sind die Gründe dafür, dass sich die Begeisterung in Grenzen hält? Nehmen wir zum Beispiel Ostdeutschland. Hier gibt es ein überdurchschnittliches Wachstum bei der Herstellung von Gütern der Spitzentechnologie. Das ist erfreulich und sollte eigentlich gefördert werden.

   Ein Grund für die erfolgreiche Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Einrichtungen sowie kleinen und mittleren Unternehmen liegt in dieser außergewöhnlichen Kooperation. Das sollte die Bundesregierung eigentlich befördern. Doch was tut die Wissenschaftsministerin Frau Bulmahn? Sie fordert lauthals die Auflösung der Leibniz-Gemeinschaft. Doch gerade die Institute der Leibniz-Gemeinschaft betreiben anwendungsorientierte Wissenschaft und pflegen einen engen Kontakt zu forschungsintensiven Unternehmen.

   Seit 1992 haben sich aus der Leibniz-Gemeinschaft fast 80 Unternehmen ausgegründet, davon mehr als die Hälfte in Ostdeutschland und Berlin. Frau Bulmahn möchte diese Gesellschaft trotzdem auflösen.

(Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Das ist ein Skandal!)

- Das ist ein Skandal, Herr Dr. Bergner, da sind wir uns völlig einig.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Zustimmung von der falschen Seite!)

   Ich befürchte, dass es auch Teil eines Masterplans sein könnte, diese Institute der Leibniz-Gemeinschaft zum x-ten Mal zu evaluieren, neu zu strukturieren und letztendlich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von ihrer Arbeit abzuhalten.

   Wir von der PDS stellen uns einen Masterplan anders vor. Für einen solchen Plan brauchen wir vor allen Dingen eine tragfähige Idee. Diese vermisse ich in dem vorgelegten Hightech-Masterplan. Was soll zum Beispiel die vereinzelte Förderung von Schlüsseltechnologien? Jedes Jahr ist eine andere Schlüsseltechnologie in Mode. Alle freuen sich und strahlen, dass sie das neue Wort aussprechen können. Aber haben nicht der Transrapid- und der Maut-Skandal gezeigt, dass häufig nicht die Schlüsseltechnologien das Problem sind, sondern deren Einführung und Vernetzung? Wäre das nicht eine sinnvolle Kernidee eines Masterplans?

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Natürlich sprechen alle, die sich hier zur Wissenschaftspolitik äußern, häufig mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um sich über die Auswirkungen der Politik der Bundesregierung zu informieren. Ich kann ein Beispiel nennen. Wir haben letztens über die Raumfahrtforschung gesprochen; daran will ich anknüpfen. Ich habe mich mit Menschen, die in der Raumfahrtforschung tätig sind, unterhalten, und mir wurde von einem Professor gesagt, dass er sehr wohl industrieverwertbare Ergebnisse erzielt, dass aber bisher nur ausländische Firmen Interesse an seinen Ergebnissen gezeigt haben.

   Was tut die Bundesregierung? Was tut das Wirtschaftsministerium? Was tut Herr Clement oder der Koordinator für die Raumfahrttechnik - er hat sich hier selber vorgestellt -, damit die Industrie auf Forscher und Wissenschaft zugeht, um Ergebnisse der Forschung umzusetzen?

   Es ist doch wirklich realitätsfremd, zu glauben, dass jeder Wissenschaftler das Ziel hat, sich mit einer eigenen Firma selbstständig zu machen. Das kann nicht unbedingt das Ziel jeder wissenschaftlichen Grundlagenforschung sein. Auch der Ostdeutsche Bankenverband bestätigt, dass es sich bei solchen Spin-off-Gründungen, die sich erfolgreich am Markt etablieren können, in den seltensten Fällen um Gründungen von jungen Hochschulabsolventen handelt.

   Zusammenfassend darf ich Ihnen sagen: Das, was Sie vorgelegt haben, ist kein Hightech-Masterplan und es ist auch nicht der große Wurf im Jahr der Innovationen. Es ist wie so viele Ihrer Pläne und Reformen wieder einmal nur Stückwerk. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Ein paar englische Brocken machen noch keinen guten Plan.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) - Manfred Grund (CDU/CSU): Das war gar nicht schlecht!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann von der SPD.

Dr. Carola Reimann (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Hightech-Masterplan hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt, um kleine und mittlere Unternehmen im Hochtechnologiesektor stärker als bisher zu fördern. Wir brauchen mehr Innovationen, auch mehr Basisinnovationen, die in fundamentaler Art und Weise die Produktionsprozesse verändern, wie zum Beispiel im Bereich der Erfindung des Computers oder der neuen Medien.

   Voraussetzung für solche Neuerungen sind Menschen, die das Wagnis eingehen, neue Ideen zu realisieren. Deswegen brauchen wir ein innovatives Unternehmertum. Dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Mittelstand sinken - das wurde heute Morgen immer wieder beklagt -, ist doch kein Argument gegen einen Hightech-Masterplan, sondern das beste Argument dafür.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland verfügt über gut ausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ingenieurinnen und Ingenieure.

Wir haben ein breites Know-how. Reden Sie doch nicht immer unsere Leute schlecht! Herr Dr. Bergner, ich war entsetzt, als Sie sagten, keine ernsthaften Wissenschaftler hätten dem Wettbewerb der Hochschulen in irgendeiner Weise etwas abgewinnen können. Sie können doch nicht wirklich behaupten, dass die Professoren Gruss, Gaehtgens, Einhäupl keine ernsthaften Wissenschaftler seien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das sagen wollten.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) - Ulrich Kasparick (SPD): Er beleidigt die Wissenschaftler! Unglaublich!)

   Wir haben ein enormes Know-how, dies muss künftig seinen Weg stärker in die Wirtschaft finden; auch ich sehe das so. Dazu brauchen wir eine intensivere Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Das geht natürlich am besten, wenn Wissenschaftler und Ingenieure den Weg in die Wirtschaft suchen und als Unternehmer neue Ideen umsetzen.

   Aber klar ist auch - darauf hat mein Vorredner hingewiesen -: Ohne Kapital bleiben die beste Idee und im Übrigen auch das beste Patent schöne Theorie. Denn - Herr Schauerte ist leider nicht mehr da - ein Patent ist nur der erste Schritt. Es geht aber nicht nur um Patente, sondern auch um Produkte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In der letzten Zeit wird in diesem Bereich weniger Wagniskapital investiert; denn Erfolg in Forschung und Entwicklung ist nur schwer zu kalkulieren. Das wissen wir. Angewandte Forschung ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Deshalb haben wir weniger Wagniskapital für entwicklungsintensive Unternehmen. Ditmar Staffelt hat auf die Finanzierung im Early-Stage-Bereich hingewiesen. Es werden keine neuen Venture-Capital-Fonds mehr aufgelegt. Gerade in den frühen, forschungs- und entwicklungsintensiven Phasen steht den Unternehmen derzeit wenig Kapital zur Verfügung. Das will der Hightech-Masterplan jetzt mit dem Dachfonds ein Stück weit auffangen.

   Nach der Gründungsphase ist Kapital genauso notwendig. Junge Hightech-Unternehmen werden durch das BMBF in vielen Fällen sehr gut gefördert. Ein Stichwort ist das Programm Biochance, das nach dem Hightech-Masterplan jetzt mit Biochance plus und Nanochance - es war angesprochen, was wir in der Nanotechnologie machen - fortgesetzt wird. Aber nach der Gründungsphase fehlt es oft an Kapital. Wer mit kleinen und mittelständischen Unternehmen spricht, der kennt das Problem. Das Ganze wird gar nicht an die Bundesregierung adressiert, sondern an die Banken. Die Unternehmen tun sich schwer, Kredite zu bekommen. Das gilt umso mehr für die forschungsintensiven Unternehmensgründungen.

   Wir brauchen in der deutschen Wirtschaft mehr innovatives Unternehmertum; denn Unternehmer müssen für Visionen und für den Mut, Neues zu probieren, stehen. Die Kehrseite jedes Muts ist ein unternehmerisches Risiko. Wir brauchen mehr Risikofreude als in der Gegenwart. Wir brauchen deshalb ein Klima der Bereitschaft, neue und unkonventionelle Ideen zu unterstützen. Auch das gehört zu einer neuen Innovationskultur.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, die Politik ist gefordert, die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen zu verbessern. Genau darauf zielt der Hightech-Masterplan ab. Der Dachfonds ist schon vorgestellt worden; da will ich mich nicht wiederholen. Auch Seed-Fonds sind dort angedacht.

   Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Kritik sagen. Da kommt immer die Aussage, ein Masterplan alleine nütze nichts; es müssten noch weiter gehende sozial- und steuerpolitische Reformen her. Liebe Opposition, diese Argumentation folgt dem Muster vom Fischer und seiner Frau. Jede von uns durchgeführte Reform wird mit dem Ruf nach noch mehr, noch weiter gehenden Reformen beantwortet. Kernproblem dieses Kritikpunktes ist jedoch, dass hier wirtschaftspolitische Belange mit sozialpolitischen verwechselt werden. Wer aber sozialpolitische Belange als das Grundproblem einer technologieintensiven Wirtschaft versteht, der hat den Kernbereich dieses Wirtschaftszweiges nicht begriffen.

(Beifall bei der SPD)

   Die Bundesregierung setzt deshalb den Hebel an der richtigen Stelle an: Das Kapitalanlageverhalten soll im Sinne der Hightech-Unternehmen verbessert werden.

   All denen, die dennoch glauben, wirklich jedes Thema zu einem allgemein politischen Schlachtfeld machen zu müssen, wie wir es heute Morgen erlebt haben, will ich ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Braunschweig nennen. Da gibt es die Kooperationsinitiative Maschinenbau in der Region Braunschweig. Sie zeigt, wie man mit ganz unterschiedlichen Partnern erfolgreich Innovation organisieren kann.

Was dabei herauskommt, passt gar nicht zu all den lieb gewonnenen Vorurteilen von gewerkschaftlichen Betonköpfen und dirigistischen Genossen - Vorurteile, die gepflegt werden.

   Die Kooperationsinitiative Maschinenbau umfasst in Braunschweig zwölf Unternehmen und ist ein Resultat aus dem Dialog zwischen Arbeitgeberverbänden und IG Metall. Was haben sie gemacht? - Ausgangspunkt der Kooperation war ein neuartiger Tarifvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung. Dadurch können Fachkräfte zwischen den Kooperationspartnern ausgeliehen werden. Das alles ist bekannt. Mittlerweile arbeiten die Firmenchefs und ihre Mitarbeiter in Arbeitsgruppen gemeinsam mit der Technischen Universität vor Ort an der Entwicklung von Möglichkeiten der Prozess- und Produktinnovation, die dann allen Kooperationspartnern zugute kommen. Das ist die Vernetzung von Wirtschaft und Forschung sowie von Wirtschaft und Hochschulen, die wir wollen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Herr Schauerte hat den konkreten Bezug auf die Wirklichkeit angemahnt. Das ist ein solches konkretes Beispiel aus der Wirklichkeit, an dem man zeigen kann, was alles möglich ist, wenn man bereit ist, ausgetretene Pfade zu verlassen. Diese Bereitschaft wollen wir mit dem Hightech-Masterplan stärker unterstützen, als das in der Vergangenheit geschehen ist.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Danke schön. - Damit schließe ich die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/2551 und 15/2594 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Nationale Umsetzung des Emissionshandels

- Drucksachen 15/1282, 15/2390 -

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Nationalen Allokationsplan als Parlamentsgesetz gestalten

- Drucksachen 15/1791, 15/2533 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Marie-Luise Dött
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Klaus Lippold.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, dass wir uns in diesem Hause erneut dem Thema Klimaschutz widmen; denn Klimaschutz ist eine zentrale Problematik. Unbeschadet des Sachverhalts, dass von vielen Seiten Einwendungen erhoben werden, ob Klimaschutz wirklich notwendig sei, da das Problem nicht wissenschaftlich begründet sei, vertrete ich nach wie vor die Auffassung, dass wir - ebenso wie die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler - begründet sagen können: Klimavorsorge ist absolut notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Dafür brauchen wir neue Instrumente und sicherlich auch Zertifikate und den Zertifikatehandel.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wohl wahr!)

Aber genauso dringend notwendig ist es, den Zertifikatehandel unbürokratisch zu organisieren und ihn so zu gestalten, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit auch Arbeitsplätze verliert. Es kann nicht angehen, dass wir Regelungen schaffen, die dazu beitragen, die Beschäftigungssicherung in der Bundesrepublik Deutschland noch weiter zu erschweren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, da ich sehe, wie die Behandlung dieser Thematik erfolgt - dass wir auf der einen Seite über das Treibhausgasemissionsgesetz beraten, dass aber auf der anderen Seite der Nationale Allokationsplan, in dem die wesentlichen Inhalte für Treibhausgasemissionszertifizierungen geregelt werden, noch nicht vorliegt -, sage ich ganz deutlich: Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Trittin, in der vorausgegangenen Anhörung ist deutlich geworden, dass die Methode, das eine Thema zu behandeln, ohne die Inhalte des anderen zu kennen, unsinnig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Nun kennen wir Ihre Vorstellungen, Herr Trittin. Denn wir finden Ihre Papiere in der Straßenbahn und können deshalb auf sie Bezug nehmen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie fahren doch gar nicht mit der Straßenbahn!)

Aber, Kollege Kuhn, das ersetzt nicht ihre sorgfältige Behandlung und Beratung im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das, was sich hier abzeichnet, ist ein weiterer Skandal: dass Sie das TEHG und den Nationalen Allokationsplan in Brüssel behandeln lassen wollen, ohne dass die Zustimmung des deutschen Parlaments zum Nationalen Allokationsplan vorliegt. Dies unter dem Aspekt des Parlamentsvorbehalts in Brüssel behandeln zu lassen, ohne uns aber sagen zu können, wie die Behandlung dieses Themas auf europäischer Ebene fortgesetzt wird, ist skandalös, Herr Trittin.

   Das Ganze liegt daran - auch das muss man sehen -, dass Sie sich nicht rechtzeitig darum gekümmert haben, die Dinge so auf den Weg zu bringen, dass sie parallel zueinander beraten und behandelt werden können. Stattdessen leisten Sie sich im Parlament die üblichen Kleinkriege - diesmal wiederum mit dem Bundeswirtschaftsminister -, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ganz im Gegenteil: In der letzten Runde, aus der weißer Rauch aufsteigen sollte, wurde deutlich, was bei Ihnen immer wieder deutlich wird: erneut vertagt, keine Entscheidung. Noch kürzlich hat der Kanzler in altbewährter Manier gesagt, er werde nicht eingreifen, er werde zusehen, Sie sollten sich einigen. Aber die Zeit verstreicht, Sie lassen diese Zeit ohne Einigung verstreichen. Das kann es nicht sein!

   Dazu leisten Sie sich - aus meiner Sicht - weitere Skandale: Da gibt es in einer Gremiensitzung mit Wirtschaftsvertretern zum einen den Vertreter des Umweltministeriums und zum anderen den Vertreter des Wirtschaftsministeriums, vom Rang her Staatssekretäre. Nun erfährt der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium erst während der Sitzung, dass Sie einen Nationalen Allokationsplan vorgelegt haben, und verlässt aus Protest gegen Ihre Vorgehensweise die Sitzung. Es ist insgesamt ein nicht adäquates Verhalten der Regierung, sich solche Streitigkeiten in Gegenwart von Wirtschaftsvertretern zu liefern. So etwas haben Sie gefälligst vorher abzuklären und nicht in Gremiensitzungen vorzutragen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das ist doch ein Tollhaus! - Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber (SPD): Wir wollten Ihnen nur Stoff für die Rede liefern!)

- Sie wissen doch: Sie liefern mehr als genug Stoff. In der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich gar nicht alle Ihre Schwächen ansprechen.

   Was wir im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung auch nicht wollen, ist, dass Sie unter dem Deckmantel des Klimaschutzes Lenkungspolitik betreiben.

(Zuruf von der SPD: Was denn sonst?)

Hier ist ganz klar: Die Vorschriften, die Sie vorlegen, führen dazu, dass Kohlekraftwerke in Zukunft aus dem Prozess herausgeworfen werden; denn Sie zwingen sie in ein Benchmarking hinein, das nicht auf diese abgestellt ist. Ich kenne natürlich die hervorragenden Streiter aus Nordrhein-Westfalen, die alle gesagt haben: Das kann so nicht sein. - Ich bin einmal gespannt, was von diesem Streit übrig bleibt. Es wird so sein wie immer, nämlich dass man für NRW zwar heldenhaft in die Schlacht zieht, aber genauso heldenhaft unterliegt. Diesen Prozess - das sage ich ganz deutlich - werden wir nicht nur jetzt beobachten, sondern das ganze Jahr über. Es kann nicht angehen, dass Lenkungspolitik gemacht wird zulasten des Energiemixes sowie von Beschäftigung und Beschäftigungssicherung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie müssen einmal belegen, was Sie da erzählen!)

Sie glauben, Sie könnten Ihre erfolglose Beschäftigungspolitik unter der Hand noch weiter verschärfen, indem Sie über andere Instrumente dazu beitragen, dass noch weniger Arbeitsplätze geschaffen werden. Zumindest wir werden das nicht mitmachen.

   Wie ich die Situation in NRW kenne, wird sowohl Ihr dortiger Premier umfallen als auch Ihr dortiger Parteivorsitzender Schartau, der noch einmal vollmundig angekündigt hat, das werde alles geändert werden, das werde so nicht durchgehen. Ich bin einmal gespannt, wie sich diese Helden verhalten, wenn es zum Schwur kommt. Wir jedenfalls werden den Nordrhein-Westfalen ganz deutlich sagen, wie sie sich verhalten haben - das lassen wir nicht unter den Teppich kehren, mit uns läuft das nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist wichtig, dass wir die europäische Einbindung beachten. Im Rahmen der europäischen Einbindung ist es für mich genauso wichtig, dass wir für unsere Unternehmen die Flexibilität erhalten, die andere Länder - ich kann das deren Anstrengungen entnehmen - ihren Unternehmen erhalten wollen. Das heißt, man muss einen Berechnungsfaktor vorgeben, der den Unternehmen die Möglichkeit lässt, mit wachsender Wirtschaft weiter zu wachsen, und für Existenzgründungen Emissionsberechtigungen vorhält, damit sie bezüglich des internationalen Wettbewerbs nicht geschädigt werden.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

Ja, gerne.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es sieht aber nicht so aus, als wenn es gerne wäre!)

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Dr. Lippold, wir hatten gerade eine Debatte über den Innovationsstandort Deutschland. Ihr Kollege Schauerte hat die Kohlesubventionen ganz heftig als innovationsfeindlich kritisiert. Sie haben gerade die Kohle als wichtigen Standortfaktor bezeichnet. Ich frage mich: Was ist denn eigentlich die Position Ihrer Fraktion?

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

Das kann ich Ihnen ganz eindeutig sagen: Wir sind für einen Mix. Innerhalb dieses Mixes sind wir dafür, dass wir die Kohlesubventionen zurückfahren, aber nicht vollständig outphasen, weil wir im Gegensatz zu Ihnen

(Manfred Grund (CDU/CSU): Es gibt auch Braunkohle!)

- darauf komme ich noch - auch noch die Verbindung zur Bergwerkstechnologie herstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen Ihre kleinkarierte deutsche Betrachtungsweise beseitigen. Was wir international, weltweit brauchen - stehen bleiben, Herr Fell! -, sind neue Kraftwerkstechnologien, die wesentlich effizienter sind als das, was wir derzeit haben. Das berücksichtigen Sie nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist aber ein Kernpunkt; denn international können Sie - das sagen Ihnen alle Experten - allein mit Windkraft nichts machen. Das heißt, wir haben eine in sich stimmige Position nicht nur unter Innovationsaspekten, sondern auch unter dem Aspekt des internationalen Klimaschutzes.

   Ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie die Lausitz schlussendlich deindustrialisieren wollen, werden wir deutlich machen, dass das nicht der Weg ist, den wir mitgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger (FDP))

Sie haben sich bislang dadurch ausgezeichnet, wesentlich dazu beigetragen zu haben, dass die Konjunktur, das Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland zurückgehen. Wir werden dafür sorgen, dass es in Zukunft wieder zu einer Wachstumspolitik kommt. Wir werden uns jetzt von Ihnen keine Rahmenbedingungen aufoktroyieren lassen, die eine solche Wachstumspolitik nicht mehr möglich machen. Das kann es beim besten Willen nicht sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, lassen Sie mich kurz etwas sagen. - Herr Kollege Fell, es ist üblich, dass man stehen bleibt, wenn man eine Antwort bekommt. Die Antwort war jetzt zu Ende, wenn ich das richtig gesehen habe.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin der Meinung, dass die Antwort schon längst beendet war!)

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

Es gibt einen weiteren Punkt, der mir aufgefallen ist. Sie haben offen gelassen, nach welchen Kriterien die Zuteilungsrechte bei einigen Töpfen gestaltet werden sollen. Vorsichtshalber haben Sie aber - wenn ich das richtig erkannt habe - vorgesehen: Wenn diese Töpfe - wir sehen die Problematik anders - nicht vollständig ausgeschöpft werden, dann sollen Zuteilungsrechte an den Bundesfinanzminister zurückfallen. Das heißt, Sie sehen bereits im Vorhinein vor, all diese Zuteilungsrechte der Wirtschaft, die sie wirklich dringend braucht, zukommen zu lassen. Sie denken gar nicht daran, das zu tun. Vielmehr wollen Sie in Ihren ohnehin hochdefizitären Haushalt jetzt auf diese Art und Weise Finanzreserven hineinschmuggeln. Das kann es doch beim besten Willen nicht sein. Herr Eichel soll seinen Haushalt gefälligst in Ordnung bringen; er soll den Haushalt aber nicht auf diesem Wege - über die Kriterien, die Sie geschaffen haben -, durch die Vermarktung von Zuteilungsrechten, mit finanzieren. Das kann es beim besten Willen nicht sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger (FDP))

   Ich will auch ganz deutlich sagen, dass ich der Überzeugung bin, dass wir eine schlanke, eine nicht überzogene Bürokratie brauchen. Ich bin der Meinung, dass wir in dieser Frage nicht an den Bundesländern vorbeigehen können und sollten. Ich weiß, dass auch in der Regierung auf der Fachebene die Frage der Zuständigkeit der Länder durchaus umstritten ist und nicht in ihrem Sinne gesehen wird. Wenn Sie es aber dabei belassen wollen, dass Sie das Gesetz nur deshalb umstricken, um die Mitwirkung der Bundesländer auszuschalten, dann treffen Sie auf unseren ganz entschiedenen Widerstand. Das Ganze - das kann ich Ihnen schon jetzt sagen - wird der verfassungsrechtlichen Überprüfung zugeführt werden. Da sind Sie früher schon runtergefallen; das werden Sie auch diesmal.

   Ich sage Ihnen ganz klar: Die Lösungen gehen dorthin, wo wir den Sachverstand haben, und zwar vor Ort. Ich könnte es nicht verstehen, wenn Sie x neue Stellen - ich weiß, Sie brauchen grüne Versorgungspositionen, weil diesbezüglich in den Bundesländern nicht mehr so viel zu machen ist - schaffen würden. Das ist nicht notwendig; das Ganze kann man in die Länderbehörden integrieren. Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit, das in die Länderbehörden zu integrieren, deutlich verankern.

Ich will noch einmal unterstreichen, dass wir darauf hinarbeiten müssen, dass das Kioto-Protokoll verabschiedet wird. Die Achse Paris-Moskau-Berlin, die Sie geschlossen haben, hat bislang noch nicht dazu geführt, dass die Russen den Vertrag ratifiziert haben. Ich meine, hier sind mehr Anstrengungen als bisher notwendig, damit sie ratifizieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich sage auch ganz deutlich: Wenn das Protokoll nicht ratifiziert wird, müssen wir schauen, wie das Ganze in die Landschaft passt, damit unsere Wirtschaft im Vergleich zu anderen nicht unmäßig und zusätzlich belastet wird. Ich erwarte von Ihnen zumindest - dabei nehme ich nicht einmal die Position von Frau Palacio ein -, dass Sie, auch ohne dass das Kioto-Protokoll ratifiziert wurde, einen Weg dafür ebnen, dass der Clean Development Mechanism und die Joint Implementation auch auf EU-Ebene realisiert werden, damit wir auf diese Art und Weise mehr Flexibilität schaffen. Auch hier sehe ich noch keine Vorstöße von Ihnen. Sie behandeln das in der üblichen dilatorischen Art. Das können wir so nicht akzeptieren.

   Ich fasse zusammen: Zertifikate ja, aber schlank, unbürokratisch und nicht zulasten der deutschen Wirtschaft in einer Form, durch die Arbeitsplätze und der Standort gefährdet werden.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Angelika Brunkhorst (FDP))

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es außerordentlich, dass wir heute hier über den Fortgang bei der Umsetzung des Emissionshandels sprechen.

   Lieber Herr Kollege Lippold, Sie sind von dem gemeinsamen Problembewusstsein und dem gemeinsamen Wissen ausgegangen, dass wir, wenn wir die globale Herausforderung des Klimawandels annehmen wollen, Klimaschutz aktiv und - das betone ich ausdrücklich - über das Jahr 2012 hinaus betreiben müssen. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie diesen Anfangsgedanken bis zum Ende durchgehalten hätten. Stattdessen haben Sie dilatorisch abgelehnt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nur eine Bemerkung am Anfang: Sie werfen dem Kollegen Fell die Deindustrialisierung der Lausitz vor. Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass es zur Deindustrialisierung der Lausitz zu der Zeit gekommen ist, als der Kanzler Helmut Kohl hieß.

(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)

Das ist keine Ursachenbeschreibung. Nicht dass wir uns missverstehen: Ich mache Herrn Kohl nicht dafür verantwortlich. Ich rate Ihnen aber dringend, zu vermeiden, dem Kollegen Fell das anzulasten, was damals als Folge der von uns allen begrüßten deutschen Einheit geschehen ist.

   Da Sie gerade den Kollegen Fell, einen der Fürsprecher der erneuerbaren Energien, angesprochen haben: Denken Sie einmal einen Moment lang nach und überlegen Sie sich, welche wenigen Industrien nach 1998 neu in die Lausitz gekommen sind.

(Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Arbeitsplätze!)

Dazu gehört zum Beispiel die Vestas Deutschland GmbH, die Windenergieanlagen produziert und durch die 500 Arbeitsplätze entstanden sind. Sie wurde in Sachsen nicht gewollt, sodass wir sie nach Lauchhammer geholt haben. Erzählen Sie uns also nichts über Industrie- und Existenzgründungen in der Lausitz. Hierfür sind Sie der schlechteste Zeuge.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Treffer, versenkt!)

   Sie haben einen weiteren Konsens angesprochen. Er lautet: Lasst uns beim Klimaschutz weniger auf das Ordnungsrecht und mehr auf den Markt setzen. Das ist der Kern des Emissionshandels. Der Emissionshandel ist ein Instrument, um das, was die deutsche Industrie versprochen hat, nämlich gegenüber 1998 bis zum Jahre 2010 45 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, aus zwei Gründen einfacher und kostengünstiger zu erreichen:

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Dann geben Sie ihnen doch, was sie brauchen!)

Die Selbstverpflichtung bezog sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sie beinhaltete keinen ökonomischen Mechanismus, durch den es dort zur Reduktion kommt, wo es am günstigsten ist.

   Der Emissionshandel führt dazu, dass die Tonne vermiedenen CO2-Ausstoßes einen Preis bekommt. Dies hat zur Folge, dass es vor allem dort zu Emissionen kommen wird, wo es am kostengünstigsten ist. Herr Lippold, ich hätte mir angesichts des strukturkonservativen Geredes einzelner Branchen gewünscht, dass dieser Ansatz - ich weiß, dass er von Ihnen lange Zeit mitverfolgt wurde - von Ihnen gemeinsam mit uns hier hochgehalten worden wäre.

Lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam gehen, weil in dem Emissionshandel eine gewaltige Chance für die deutsche Wirtschaft steckt, die Klimaschutzziele günstiger und effizienter als mit den alten Instrumenten zu erreichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wenn wir darüber einen Konsens erreicht haben und dies nicht nur beharrlich als Belastung sehen, dann können wir uns nicht nur in Deutschland, sondern gemeinsam in Europa darüber verständigen: Wie setzen wir diesen richtigen Gedanken möglichst einfach um? Das ist der ganze Streit, wenn ich von Ihren anfangs gesagten Worten ausgehe, dass Sie den Emissionshandel wollen.

   Es tut mir Leid, aber ich mag die Forderung nach einer unbürokratischen Regelung aus den Reihen von CDU/CSU und FDP nicht mehr hören.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben Folgendes gemacht: Jedes Unternehmen in Deutschland, das nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz eine Berechtigung hat, hat automatisch die Genehmigung, mit CO2-Emissionen zu handeln. Dieser einfache Grundgedanke ohne neue Genehmigungsverfahren wird zurzeit von CDU/CSU und FDP im Bundesrat blockiert. Sie haben die Industrie als Geisel genommen, weil Sie damit Mitbestimmungsrechte und - das geht noch weiter - die Abwicklung des Emissionshandels auf die einzelnen Emissionsschutzbehörden der Länder übertragen wollen.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Sie wollen nicht nur das Parlament, sondern auch den Bundesrat austricksen! Das ist es doch!)

Bei diesem Abgrund von Bürokratie werden wir nicht mitmachen. Das sehen wir nicht ein. Wir wollen eine schlanke und einfache Umsetzung. Hören Sie angesichts solcher Ideen auf, von Entbürokratisierung zu reden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Kommen wir zur Zuteilung. Lieber Herr Lippold, wie sieht denn nach Ihrer Meinung die Menge der zu verteilenden Zertifikate aus, da Sie kritisiert haben, wir seien zu restriktiv? Wir haben an der Verabredung mit der Industrie festgehalten: Wir verteilen die Zertifikate kostenlos auf der Basis der Selbstverpflichtung der deutschen Industrie.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Welcher? Wir haben zwei!)

- Nur noch eine gilt, die andere ist mit der KWK-Vereinbarung aus dem Verkehr gezogen. - Nach dieser, unterschrieben von Herrn Rogowski, Herrn Rauscher und dem Bundeskanzler, gilt eindeutig: Wir wollen bis zum Jahre 2010 45 Millionen Tonnen CO2 einsparen, davon 10 Millionen Tonnen - das muss man der Fairness halber erwähnen - in den nicht emissionshandelsrelevanten Bereichen, nämlich beim Verkehr und in den privaten Haushalten. Das haben wir an dieser Stelle eins zu eins umgesetzt.

   Von allen, die uns vorwerfen, wir hätten falsch gerechnet, erwarte ich den Nachweis, warum wir falsch gerechnet haben und wie man an dieser Stelle richtig rechnet;

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Na, na, Vorsicht!)

denn die Grundrechenarten, sehr geehrter Herr Dr. Lippold, sollten auch Sie wenigstens beherrschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Dann kommen Sie doch demnächst in den Ausschuss! Da sagt Ihr Staatssekretär aber etwas anderes! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

- Wenn Sie alle durcheinander rufen, habe ich Schwierigkeiten, Sie zu verstehen. Deswegen kann ich nicht darauf eingehen, es tut mir Leid.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Sie waren gerade so laut! Selbst schuld! - Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Nun fangen Sie noch einmal an!)

   Kommen wir zu der Frage: Warum brauchen wir den Emissionshandel? Wir brauchen den Emissionshandel, weil sich abzeichnet, dass die Selbstverpflichtung nicht erfüllt zu werden droht. Wir haben aufgrund der Isterhebung von 2 420 Anlagen festgestellt, dass ein Besorgnis erregender Trend nicht in der Industrie und bei den prozessbedingten Emissionen, sondern bei den Emissionen zu beobachten ist, die energiebedingt in der Energiewirtschaft auftreten. Bei dieser Entwicklung zeichnet sich ab, dass die Emissionen steigen, anstatt zu sinken. Das ist eine der Herausforderungen, der wir uns, wie ich finde, bei der Umsetzung des Emissionshandels gemeinsam stellen sollten. Wie bekommen wir diese Sache wieder so auf die Spur, damit das, was die Industrie in der Selbstverpflichtung zugesagt hat, tatsächlich erreicht wird?

   Denn um eines kommen wir nicht herum: Bis zum Jahre 2012 muss die Bundesrepublik Deutschland ihre Emissionen auf 846 Millionen Tonnen CO2 reduziert haben. Alle, die heute mehr Vergünstigungen erwarten, sind auch verpflichtet, zu sagen, wem sie dann mehr Emissionsreduktionen auflasten wollen. Denn es gibt in diesem System keine kostenlosen Vergünstigungen. Das, was ich dem einen gebe, muss ich dem anderen nehmen.

   Meine letzte Bemerkung: Hören Sie auf, so zu tun, als würde Deutschland einen Alleingang machen. Ich empfehle Ihnen, einfach einmal die Ausführungen der EU-Kommission zur Kenntnis zu nehmen. Danach ist es schlicht und ergreifend so, dass die großen Wettbewerber mit Deutschland das gemeinsam ambitioniert umsetzen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Kommission mit Nachdruck erklärt hat, dass sie Überallokationen nicht dulden wird, wie sie übrigens in Österreich stattgefunden haben, nämlich dass man mehr Emissionszertifikate verteilt, als überhaupt emittiert wird. Das ist das Gegenteil von Emissionshandel. Denn bei einem Überangebot - das müssten Sie als Ökonom wissen - besteht kein Anreiz, Emissionen zu reduzieren. Dann sind die Kostenvorteile des Emissionshandels weg.

   Wir hätten viel mehr gemeinsam haben können, wenn Sie den Tenor zu Beginn Ihrer Rede, lieber Herr Lippold, beibehalten hätten. Dann hätten wir einen Konsens über mehr Markt im Klimaschutz statt mehr Ordnungsrecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal in diesem Hause über den Emissionshandel. Leider können wir die entscheidenden Gesetzentwürfe nicht beraten, weil sich die Bundesregierung nicht einigen kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Darum geht es! Das ist der Punkt!)

Mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz liegt im Augenblick einzig und allein das formale Gerüst für den Handel als solchen auf dem Tisch. Die materiell relevanten Regelungen über die Zuteilung, also welche Anlage welche Emissionsrechte erhält, sollen im Nationalen Allokationsplan verankert werden. Über diesen Nationalen Allokationsplan streiten sich, obwohl er Ende dieses Monats nach Brüssel gemeldet werden muss, nach wie vor die Herren Trittin und Clement.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist die Realität!)

   Wir können das nicht im Deutschen Bundestag beraten. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen, Herr Trittin: Das ist im Verfahren und im Ablauf zum wiederholten Male eine Missachtung des Parlaments und im Übrigen ein Armutszeugnis für die Klimapolitik der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die FDP steht zum Emissionshandel und Sie wissen das. Wir haben seit vielen Jahren den Emissionshandel gefordert, weil er enorme umweltpolitische und wirtschaftspolitische Bedeutung hat und weil wir mit dem Instrument des Emissionshandels das klimapolitische Ziel, das wir teilen, auf der einen Seite sicher erreichen können, auf der anderen Seite aber Treibhausgasemissionen dort vermieden werden können, wo dies zu geringsten Kosten möglich ist. Ziel des Emissionshandels ist es, pro eingesetzten Euro so viel Treibhausgase wie möglich zu vermeiden, um Klimaschutz effizienter zu organisieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da muss ich Ihnen sagen, Herr Minister Trittin: Es fehlt der Bundesregierung leider wie so oft die Gesamtkonzeption. Weder gibt es eine Abstimmung der unterschiedlichen Instrumente, die wir derzeit in der Bundesrepublik haben, noch gibt es eine Koordinierung mit dem internationalen Klimaschutz. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die rot-grüne Bundesregierung von dieser Emissionshandelsrichtlinie geradezu überrascht wurde. Tatsächlich versuchen Sie, Herr Minister, diesen Eindruck zu erwecken. Sie wollen davon ablenken, dass Sie über Jahre hinweg die Vorbereitung des Emissionshandels in Deutschland, von dem wir lange wissen, dass er kommen wird, verschlafen haben. Jetzt tun Sie so, als ob der „Kaiser aus Brüssel“ diese Richtlinie bringt und Sie sich ganz arg bemühen, sie so schnell wie möglich umzusetzen. Das sind Ihre eigenen Versäumnisse, Herr Trittin.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die wesentlichen nationalen Grundlagen des Emissionshandels hätte die Bundesregierung bereits parallel zu den Beratungen auf europäischer Ebene erarbeiten und zwischen den Ressorts abstimmen können und müssen. Das hat sie versäumt. Sie haben jahrelang verneint, dass der Emissionshandel notwendig ist. Wenn ich Sie heute so reden höre, dann muss ich feststellen, dass eine unglaubliche Wandlung stattgefunden hat. Für eine vernünftige Umsetzung scheint sie allerdings immer noch nicht zu reichen.

   Da Sie um den Emissionshandel nicht mehr herumkommen, wollen Sie jetzt damit Strukturpolitik betreiben. Sie versuchen den Emissionshandel indirekt zur Durchsetzung politisch motivierter Entscheidungen über den Einsatz von Energieträgern zu nutzen, indem für Neuanlagen, die keine Altanlagen ersetzen, eine Messlatte angelegt wird, die sich am Wirkungsgrad hocheffizienter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert. So werden selbst modernste Kohlekraftwerke unangemessen benachteiligt. Milliardeninvestitionen werden fragwürdig. Das hat mit Klimaschutz nichts mehr zu tun, Herr Trittin.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich will Ihnen deutlich sagen: Angesichts des Bedarfs an Ersatzinvestitionen in Kohlekraftwerke, insbesondere in Anlagen für Steinkohle - bei der Braunkohle stellt sich das anders dar -, von denen rund die Hälfte in der Bundesrepublik Deutschland älter als 30 Jahre ist, könnten wir, wenn die Mittel, die teilweise in anderen Bereichen für den Klimaschutz ausgegeben werden, für Ersatzinvestitionen genutzt würden, deutlich mehr CO2-Emissionen einsparen, als es mit anderen Maßnahmen der Fall ist. Mit Ihrem Vorgehen vergrößern Sie die Verunsicherung noch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wenn Sie über Klimaschutz reden, dann müssen Sie auch den Aspekt der Versorgungssicherheit dieses Landes im Blick haben. Deswegen brauchen wir einen Energiemix und deswegen ist Ihr Versuch, die Kohlekraftwerke - selbst hochmoderne Kohlekraftwerke, die im Übrigen mit anderen Technologien gekoppelt und hinsichtlich ihrer Effizienz gesteigert werden können - zu benachteiligen, ein großer Fehler. Er führt zu einer großen Verunsicherung, die uns noch schwer zu schaffen machen wird.

(Ulrich Kelber (SPD): Sie haben den Vorschlag gar nicht verstanden!)

   Die von der Bundesregierung geplante Umsetzung des Emissionshandels droht den Emissionshandel in Misskredit zu bringen, weil Sie die EU-Richtlinie unnötig bürokratisch und unnötig kostenintensiv umsetzen. Statt die Chancen, die der Emissionshandel bietet, entschlossen zu nutzen, bleibt der Entwurf des Nationalen Allokationsplans nach wie vor dem ordnungsrechtlichen Denken verhaftet; denn die Emissionsrechte sollen den einzelnen Anlagen zugeteilt werden.

   Zu einer modernen marktwirtschaftlichen Umweltpolitik gehören mehr Engagement und Fantasie, Herr Trittin, als lediglich dem alten Ordnungsrecht einen neuen Hut aufzusetzen, auf dem Emissionshandel steht. So funktioniert das nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich will Ihnen das kurz begründen. Warum ist der Emissionshandel zu teuer und zu bürokratisch? Er ist in Deutschland schon deshalb zu teuer, weil es die Untätigkeit der Bundesregierung deutschen Unternehmen bislang nicht ermöglicht hat, günstige Emissionsgutschriften aus Klimaschutzmaßnahmen mit und in anderen Ländern zu erwerben. Diese Verknüpfung ist aber dringend notwendig.

(Ulrich Kelber (SPD): Sie wissen, dass alles falsch ist, was Sie sagen!)

Neben den Anstrengungen im Inland ist auch eine Verknüpfung mit den internationalen Instrumenten erforderlich. Das haben Sie in Deutschland nicht ermöglicht. Andere Länder sind schon weit vorangegangen. Deswegen fordern wir von Ihnen, dass dies auch in Deutschland zulässig wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir haben als FDP immer wieder darauf hingewiesen, dass es unverzichtbar ist, die anderen klimapolitischen Instrumente - beispielsweise Ökosteuer, KWK-Gesetz und EEG - auf den Emissionshandel abzustimmen. Sie bleiben alle nebeneinander stehen. Sie haben in der Anhörung des Umweltausschusses im Prinzip die Lösung auf dem Silbertablett präsentiert bekommen, indem uns die Experten empfohlen haben, in einem Klimaschutzartikelgesetz eine Regelung zu treffen, derzufolge eine Anlage, die in den Emissionshandel einbezogen wird und die die Klimaschutzziele erreicht, von anderen Regeln ausgenommen und somit auch von der Ökosteuer befreit wird. Das aber wollen Sie nicht. Im Gegenteil: Ihr Staatssekretär hat gestern im Umweltausschuss noch einmal betont, dass alle Instrumente beibehalten würden. Das geht aber nicht an, weil es unnötige Kosten verursacht. Das werden wir nicht akzeptieren, Herr Trittin.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Ernst Burgbacher (FDP): Es wäre schön, wenn die Regierungsmitglieder einmal zuhören würden!)

- Lieber Ernst Burgbacher, es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen.

(Ernst Burgbacher (FDP): Wenn der Minister doch einmal zuhören würde! Es gibt auch Stilfragen in diesem Parlament!)

- Stimmt, es gibt auch Stilfragen in diesem Parlament. Darüber, dass es unterschiedliche Stile gibt, kann sich aber jeder sein eigenes Bild machen.

   Herr Trittin, ich möchte auf Ihre Aussage eingehen, dass Sie den Emissionshandel unbürokratisch über das Bundes-Immissionsschutzgesetz regeln wollen. Sie haben sich dabei auf den Streit mit den Ländern bezogen. Das ist allerdings nicht der Punkt, über den Sie sich im Augenblick mit den Ländern streiten. Es geht vielmehr darum, dass der Bund die Emissionsrechte zuteilen soll, dass die Länder aber für die Umsetzung zuständig sein sollen. Wenn es Klagen der betroffenen Unternehmen gibt, weil sie mit Emissionsrechten nicht ausreichend ausgestattet wurden, dann sollen die Länder die Beklagten sein. Das darf nicht sein. Die Länder wollen eine unbürokratischere Regelung und wollen den Emissionshandel von vornherein an einer Börse abwickeln. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, warum Sie in § 20 des TEHG vorsehen, das beim Umweltbundesamt anzusiedeln. Mir scheint es einfacher zu sein, den Emissionshandel von vornherein in private Hände zu geben und an einer Börse abzuwickeln. Sonst muss eine neue Bundesbehörde mit circa 600 bis 1 000 Mitarbeitern errichtet werden. Das wollen wir definitiv nicht, weil es die Sache unnötig verkomplizieren würde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Der Emissionshandel soll Anfang 2005 beginnen. Es wird also Zeit, dass die Bundesregierung ein vernünftiges Gesetzespaket vorlegt. Die Vorschläge der FDP liegen seit langem auf dem Tisch. Ich kann Ihnen nur noch einmal unsere konstruktive Zusammenarbeit anbieten. Wir erwarten aber Lösungen, die uns sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Effizienz - es geht um geringere Kosten - voranbringen. Das ist bisher nicht der Fall. Aber das wollen wir und daran werden wir arbeiten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Kelber.

Ulrich Kelber (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich sollten alle Rednerinnen und Redner in dieser Debatte über die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und Emissionshandel sprechen. Aber ich gehe jede Wette ein, dass wir bis zum Ende dieser Debatte das übliche Schauspiel der Opposition ertragen müssen. Anstatt Vorschläge für notwendige Maßnahmen zum Klimaschutz zu machen, wird über Formalismen lamentiert. Statt Beiträge zur Umsetzung des Emissionshandels zu liefern, werden die Redner der Opposition abwechselnd und wahlweise über Zeitdruck oder eine zu langsame Umsetzung jammern, ohne sich dabei über die eigenen Widersprüche zu wundern. Statt inhaltliche Vorschläge zum Nationalen Allokationsplan zu machen, wird mit jeder Rede versucht, die Teilnehmer und die Öffentlichkeit zu verunsichern. Dabei ist der Klimaschutz notwendiger denn je.

   Vor zehn Jahren haben wir noch darüber diskutiert, ob man den Klimawandel verhindern kann. Heute sprechen wir darüber, dass man nur noch mit größten Anstrengungen die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abmildern kann. Sommer mit Hitze und Dürre wie der im letzten Jahr werden in wenigen Jahrzehnten eher der Normalfall sein als der Extremfall. Es gibt weitere düstere Szenarien des Klimawandels. Wir wissen heute, dass manche Eisschilde im Landesinneren durch die Erwärmung instabiler geworden sind als angenommen. Kommen diese ins Rutschen, kann der Meeresspiegel sehr schnell ansteigen. Neue Untersuchungen zeigen außerdem, dass der Salzgehalt des nördlichen Atlantiks durch das Abschmelzen von Inlandeis und Gletschern schneller sinkt als erwartet und dass ein Versiegen von wichtigen Meeresströmungen wie des Golfstroms möglich ist. Die Klimaauswirkungen auf Europa wären verheerend.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Alles nicht neu!)

   Vor diesem Hintergrund muss die Debatte über den Emissionshandel vor allem auch eine Debatte über die Chancen für den Klimaschutz durch den Emissionshandel sein.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?

Ulrich Kelber (SPD):

Ja.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

Herr Kollege Kelber, Ihre dramatische Schilderung der Folgen des Klimawandels steht in einem nicht unerheblichen Widerspruch zu der just veröffentlichten Studie der Bundesforschungsministerin, in der der Klimawandel mit einem großen Fragezeichen versehen wird. Welchem Teil der Bundesregierung soll man nun eigentlich glauben?

Ulrich Kelber (SPD):

Herr Grill, Sie waren einmal in einer der Enquete-Kommissionen, die sich neben der Frage der Zukunft der Energieversorgung auch mit diesem Thema beschäftigt hat. Von daher sind Sie ein aufmerksamer Leser aller möglichen Studien. Sie wissen, wohin die breite Entwicklung in der Wissenschaft geht, was absolut - so würden das die Juristen nennen - die Mehrheitsmeinung ist. Sie kennen die neuen Studien aus Amerika, die neuen Studien des IPCC, die alle eher in die Richtung gehen, dass sich die Situation verschärft. Wir glauben deswegen, dass der Emissionshandel eine gute Chance bietet, die Klimaschutzverpflichtungen punktgenau zu erfüllen, dass er vor allem eine Chance für Unternehmen in Europa und in Deutschland darstellt, dies mit den kostengünstigsten Verfahren umzusetzen.

   Es wird in Deutschland oft gesagt, man wolle eine Harmonisierung des Umweltrechts. Es ist wichtig, festzustellen, dass der Emissionshandel eine Harmonisierung der Klimaschutzbemühungen in Europa bedeutet. Die scharfe Kritik der EU-Kommission an den Ländern, die zum Thema Emissionshandel bisher überhaupt nichts vorgelegt haben oder deren Vorschläge ein deutlicher Verstoß gegen die Klimaschutzauflagen sind, gibt Anlass zur Hoffnung, dass eine Harmonisierung stattfinden wird.

   Die Fragen an uns sind jetzt: Wie setzen wir den Emissionshandel um? Wann sollen Regierung und Parlament entscheiden? Welche staatliche Ebene ist zuständig? Bis Ende dieses Monats müssen wir der EU-Kommission unsere Vorschläge zur Umsetzung des europäischen Emissionshandels in Deutschland übermitteln. Eines ist klar: Bis dann kann die parlamentarische Beratung nicht abgeschlossen werden. Deswegen wird die Regierung ihre Vorschläge auch nur mit Parlamentsvorbehalt nach Brüssel geben können. Diesen Parlamentsvorbehalt nehmen wir als Abgeordnete der Regierungskoalition ernst. Da können Sie uns beim Wort nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Jetzt gibt es von der Opposition Kritik daran, dass über die zwei entscheidenden Gesetze zum Emissionshandel in Deutschland, also über das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz und über ein Gesetz über den Nationalen Allokationsplan, nicht zeitgleich diskutiert werden kann. Zugegeben, eine zeitgleiche Diskussion wäre wünschenswert; aber auch die Opposition muss zugestehen, dass im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz zum Teil erst die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Verordnungen und den Nationalen Allokationsplan in dieser Form aufzustellen. Auch die Opposition muss Zugeständnisse an den europäischen Terminplan machen. Fast kein EU-Land wird alle notwendigen Beschlüsse des nationalen Parlaments bis zum 31. März umgesetzt haben. Und diese Länder haben keinen Bundesrat, in dem die Opposition vor allem Blockade betreibt.

   Stichwort Bundesrat: Die dort eingenommene Rolle ist wirklich nur noch durch die Kür des Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl an Peinlichkeit zu überbieten. In den Ausschüssen des Bundestages verweigern Sie zumindest nur die Beratung über die Gesetze und versuchen, die entsprechenden Punkte von der Tagesordnung zu nehmen.

(Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Über Luftnummern kann man nicht debattieren!)

Im Bundesrat lehnen Sie aber die kostengünstigste Umsetzung, für die keine neuen Institutionen geschaffen werden müssen, ab und Sie nehmen tatsächlich in Kauf, dass eventuell eine hohe Zahl zusätzlicher Prüfer eingestellt werden muss. Die Kosten dafür müssen auf unsere Unternehmen umgelegt werden. Wie rechtfertigen Sie eigentlich den Wettbewerbsnachteil, den die Unternehmen durch die Kosten der Zertifikate wegen der unnötigen Zahl von zusätzlichen Beschäftigten im Vergleich mit anderen Ländern erfahren? Dafür würden Sie ganz allein die Verantwortung tragen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Am dreistesten ist aber der Versuch der Opposition, jedem am Emissionshandel Beteiligten alles Gewünschte zu versprechen. Man muss dazu nur einmal in die Medien schauen: Dort liest man von Forderungen der Opposition nach einem Sondertopf und nach noch einem Sondertopf oder nach einer günstigen Ausstattung. Liebe Kollegen von der Opposition, hat Ihnen noch nie jemand gesagt, dass diese Sondertöpfe dadurch gefüllt werden müssen, dass die Unternehmen zusätzliche Auflagen bekommen, dass die Unternehmen diese Sonderwünsche bezahlen müssen? Ist es in Ordnung, eine zusätzliche Belastung für die Unternehmen zu riskieren, nur um bei Interessenverbänden parteipolitisch glänzen zu können? Wollen Sie die andere Methode wählen, nämlich die freiwillige Zusage von Energiewirtschaft und Industrie zum Klimaschutz auf die privaten Haushalte und die Verkehrsteilnehmer abwälzen? Frau Dött, Sie haben heute die Gelegenheit, das öffentlich zu bestätigen. Will Frau Merkel eine höhere Ökosteuer im Verkehr? Will Herr Westerwelle zusätzliche Belastungen und Auflagen für Immobilienbesitzer, damit der BDI seine Klimaschutzzusagen nicht einhalten muss?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Paziorek.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Zwischenergebnis der heutigen Diskussion können wir festhalten, dass der Bundesumweltminister wiederum nicht in der Lage gewesen ist, eine abgestimmte Position der Bundesregierung zum Thema Emissionshandel dem Parlament vorzutragen und darzulegen, welchen Nationalen Allokationsplan Deutschland nach Brüssel melden will - und das wenige Tage vor Ablauf der Frist. Uns wird dazu gesagt, das Kabinett, insbesondere der Wirtschafts- und der Umweltminister, wird sich bis Ende März schon einigen. Man muss dazu in aller Deutlichkeit sagen: Es wird nach Brüssel ein Nationaler Allokationsplan gemeldet, der nicht mit den Gremien des Deutschen Bundestages abgestimmt ist. Das ist ein Faktum, und das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Man kann den Emissionshandel in der Tat nur folgendermaßen beschreiben: Er ist ein wichtiges umweltpolitisches Instrument, das massiv in die wirtschaftliche Struktur Deutschlands eingreift. Ein solches Instrument muss deshalb im deutschen Parlament beraten werden, bevor es nach Brüssel gemeldet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wird es doch!)

   Sie setzen sich damit doch auch dem Vorwurf aus, dass Sie Angst haben, dass noch rechtzeitig vor der Meldung nach Brüssel darüber diskutiert wird, was wirklich in dem Plan steht. Wovor haben Sie eigentlich Angst? Haben Sie vielleicht Angst, dass dann deutlich wird, dass es sich um eine Mogelpackung handelt, auf der außen Umweltschutz steht, in der aber in Wirklichkeit der Wirtschaft ein Schraubstock angelegt wird? Genau das könnten wir im Augenblick nicht gebrauchen. Um einen solchen Vorwurf aus dem Weg zu räumen, sollten Sie all das auf den Tisch legen, was inoffiziell bekannt ist. Warum weigern Sie sich, eine offene Diskussion in diesem Hause zu führen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Noch eines sage ich ganz deutlich: Methodisch kann ein Emissionshandel - Herr Kelber, Sie haben das in Ihrer Rede auch angesprochen - natürlich nur dann laufen, wenn gleichzeitig eine Strategie der Verknappung verfolgt wird. Ohne eine Verknappung kann tatsächlich kein Preis gebildet werden.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Jetzt stellt sich doch als Erstes die Frage, von welchen Zahlen überhaupt ausgegangen wird. Ich als Abgeordneter halte es schon für ein starkes Stück, dass wir in den letzten Tagen laufend in den Zeitungen Meldungen lesen konnten, dass die Wirtschaft 501, 505 oder 508 Millionen Tonnen CO2 ausstoße, dass aber der Deutsche Bundestag dazu keine Zahlen bekommt. Ich habe am Mittwoch im Ausschuss die Frage gestellt, ob die Zahlen überhaupt plausibel sind und gegengeschätzt worden sind. Wenn sich bei einer Prüfung herausstellen sollte, dass 508 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß nicht stimmen, ist auch Ihr Vorwurf, Herr Bundesumweltminister, dass die Wirtschaft ihre Selbstverpflichtung nicht eingehalten habe, gegenstandslos. Dieser Vorwurf ist letztlich nur berechtigt, wenn die Zahlen plausibel dargelegt worden sind.

   Ich habe am Mittwoch im Ausschuss auch die Frage gestellt: Wie kommen Sie zu dem Ergebnis - wir wissen das ja nur inoffiziell -, dass Deutschland circa 35 Millionen Tonnen prozessbedingte CO2-Emissionen angerechnet werden können? Ich kann genauso gut anhand von Gegenschätzungen belegen - wir haben uns schon mit einigen Leuten unterhalten -, dass die Zahlen so nicht stimmen und Deutschland eventuell sogar über 50 Millionen Tonnen prozessbedingter CO2-Emissionen angerechnet werden müssen. Das bedeutet, all Ihre Reduktionszahlen stimmen nicht.

(Ulrich Kelber (SPD): Das macht er doch immer, um sich nicht auf inhaltliche Diskussionen einzulassen!)

- Zum Inhaltlichen komme ich gleich noch, Herr Kelber. - Ich möchte also der Öffentlichkeit sagen: Bis jetzt gibt es keine Prüfung, ob die Zahlen, die Sie schon vorab herausgegeben haben, plausibel sind und stimmen. Sie machen diese Zahlen aber zur Grundlage für eine Meldung nach Brüssel. Das halten wir für unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dann sagen Sie, um das Beispiel einmal fortzuführen, wir setzten nur das um, was mit der Wirtschaft vereinbart wurde. Zunächst einmal haben Sie anderthalb Jahre gewartet, bevor Sie diese Vereinbarung unterschrieben haben. Hier stellt sich gleich eine methodische Frage: Soweit ich das richtig in Erinnerung habe, sind die in der Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft enthaltenen Fristen nicht identisch mit denen im Kioto-Protokoll. In der Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft stehen als Fristen die Jahre 2005 und 2010, nach dem Kioto-Protokoll beginnt die entscheidende Phase 2012.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist so!)

Ich möchte gerne einmal wissen, wie die in der Selbstverpflichtungserklärung enthaltenen Zahlen und Ihre Zahlen vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Zeitschienen tatsächlich abgestimmt sind. Darüber muss man doch diskutieren können, Herr Kelber, ohne sich gleich den Vorwurf einzuhandeln, einer objektiven Diskussion zum Emissionshandel ausweichen zu wollen. Das ist nämlich nicht der Fall. Wir wollen aber die verträglichen, guten und richtigen Grundlagen eines Emissionshandels erfahren und keine Scheinzahlen, wie sie im Augenblick durch die interessierte Landschaft geistern. Das muss man einmal klar und deutlich sagen.

   Herr Minister, Frau Homburger hat gerade schon auf den tatsächlichen Hintergrund des Streits im Bundesrat hingewiesen. Es war interessant, dass Sie sich fünf Minuten lautstark mit der Rede von Dr. Lippold befasst haben, aber an keiner Stelle gesagt haben, wo Sie inhaltlich wirklich stehen. Dann haben Sie sich inhaltlich positioniert und gesagt, der Bundesrat wolle keine Vereinfachung der 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stimmt ja auch!)

- Nein, das stimmt nicht. - Aus meiner Sicht war das wiederum eine typische Halbinformation für die Öffentlichkeit, die suggeriert, nur Ihr Weg sei bürokratisch und einfach. Sie nennen nicht den wirklichen Streitpunkt; denn wenn Sie ihn nennen würden, könnten Sie Ihre Argumentationsschiene nicht weiter fahren.

   Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es ist doch bekannt, dass der Bundesrat die Frage gestellt hat, ob Ihr TEHG-Entwurf wirklich richtig sei oder ob dort nicht Bestimmungen aus der 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung aufgenommen werden sollten. Darüber kann man sich doch streiten. Das wäre vielleicht sogar eine sinnvolle Lösung, denn dann wäre dieses Verfahren Bestandteil einer gesetzlichen Regelung. Was haben Sie gemacht? Sie haben gesagt, darüber diskutieren wir überhaupt nicht, fertig, aus. Wer so mit dem Bundesrat umspringt, der darf sich nicht wundern, wenn der Bundesrat als Verfassungsorgan sagt: Herr Trittin, das ist kein ordentliches Auftreten vor dem Bundesrat. - Sie tragen damit die Verantwortung dafür, dass keine Diskussion mit dem Bundesrat darüber zustande kommt, wie das Verfahren einfacher gestaltet werden kann. Sie sagen immer nur: Wenn nicht anerkannt wird, dass meine Zahlen stimmen, dann diskutiere ich mit der Öffentlichkeit und der Industrie nicht. Sie sagen: Entweder übernimmt der Bundesrat meine Vorschläge zu der Abwicklung des Verfahrens oder ich diskutiere mit dem Bundesrat nicht.

   Das ist eine Politik, die dem Klimaschutz auf Dauer nur Schaden zufügen wird. Deshalb sagen wir: Hören Sie auf mit dieser Betonhaltung und versuchen Sie, saubere Kompromisse anzustreben! Dann hätten Sie auch in Sachen Emissionshandel eine bessere Position.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Dann wird gesagt, das Ganze werde wohl keine Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur haben. Es ist schon spannend, zu sehen, dass wir im Deutschen Bundestag vor der Abgabe nach Brüssel nicht rechtzeitig darüber diskutieren sollen, ob ein Benchmarking für den Neubau von Erdgaskraftwerken richtig ist. Die Antwort finden Sie in Nordrhein-Westfalen. Dort soll eines der modernsten Braunkohlekraftwerke der Welt gebaut werden. Wenn sich das Benchmarking für Erdgaskraftwerke durchsetzt, dann lohnt sich der Bau dieses Braunkohlekraftwerkes in Nordrhein-Westfalen nicht mehr.

   Dabei darf nicht übersehen werden, dass Sie damit auch die heimische Energieversorgung durcheinanderwirbeln. Man muss doch im Deutschen Bundestag einmal über die Frage diskutieren, ob es immer richtig ist, auf Erdgas zu setzen.

(Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erdgas? Immer richtig?)

- Herr Loske, das Benchmarking für Erdgaskraftwerke wird die Position des Erdgases so stärken, dass die heimische Braunkohle aus Mitteldeutschland, Ostdeutschland und dem Rheinland nicht mehr konkurrenzfähig ist. Da muss man doch die Frage stellen, ob es richtig ist, über den Emissionshandel eine solche Strukturveränderung herbeizuführen. Das muss auch im Deutschen Bundestag diskutiert werden.

(Ulrich Kelber (SPD): Das stimmt einfach nicht!)

   Die Antwort aus Nordrhein-Westfalen haben wir schon bekommen, Herr Kelber. Der Infrastrukturminister, Herr Horstmann, hat ganz deutlich erklärt, das Konzept des Nationalen Allokationsplanes könne nicht akzeptiert werden, es sei auch eindeutig gegen die wirtschaftlichen Interessen Nordrhein-Westfalens gerichtet. Es ist sehr interessant, dass Sie als Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen erklärt haben, im Zweifel interessiere Sie das alles nicht, Sie verträten die Position des Umweltministers. Das wird vor allem mit Blick auf die in den nächsten Wochen anstehende politische Diskussion in Nordrhein-Westfalen interessant werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die Zeit ist eigentlich abgelaufen.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Deshalb erlaube ich sie ja.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Vizeprädisent Dr. Hermann Otto Solms:

Ich bitte dann um eine kurze Antwort. - Bitte.

Ulrich Kelber (SPD):

Er muss ja gar keine Antwort geben, denn nach § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung ist auch eine Zwischenbemerkung erlaubt.

   Sie haben gerade einen sehr unfairen Trick versucht, indem Sie behauptet haben, dass der Ersatz eines Braunkohlekraftwerks bei einer Gas-Benchmark nicht machbar wäre und ich das als Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen unterstützen würde. Da auch Sie aus Nordrhein-Westfalen kommen und da Sie als Umweltpolitiker vor Ihrer Rede hoffentlich wenigstens Entwürfe und auch Stellungnahmen der SPD gelesen haben, müsste Ihnen bekannt sein, dass bei der Übertragung auf ein neues Kohlekraftwerk die Menge von Zertifikaten mitgenommen werden kann, während das bei der Übertragung auf ein Gaskraftwerk zeitlich begrenzt ist. Auch das sollten Sie wenigstens sagen, um die Öffentlichkeit nicht bewusst in die Irre zu führen.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Herr Kelber, ich muss Ihnen dazu in aller Deutlichkeit sagen, dass die Übertragungsregelungen nicht ausreichend sind. Sie sind nach dem bisherigen Entwurf - die SPD hat vielleicht noch etwas anderes vor -, den wir in der Straßenbahn gefunden haben, nur bis 2012 gültig. Das bedeutet im Klartext, dass all das, was nach 2012 passiert, eindeutig zulasten der heimischen Energieversorgung geht. Herr Kelber, dieser Punkt muss öffentlichkeitswirksam diskutiert werden, damit es nicht eine Entscheidung gibt, die zulasten Nordrhein-Westfalens und der neuen Bundesländer geht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zum Abschluss will ich deutlich sagen: Wir sind für den Emissionshandel. Ich hoffe sehr, deutlich gemacht zu haben, dass die Unionsfraktion dafür plädiert, dass die Zahlen auf den Tisch kommen. Wir können nämlich nur dann Klimaschutz und Wirtschaftspolitik zusammenführen, wenn wir eindeutig wissen, auf welcher Datenbasis wir entscheiden. Wenn wir das nicht erreichen, dann laufen wir in der Tat Gefahr, die Weichen falsch zu stellen und damit zulasten Deutschlands eine negative Entscheidung für unsere Wirtschaft zu treffen. Das wollen wir nicht. Deshalb, Herr Minister, haben wir die große Bitte, dass das deutsche Parlament vor der Abgabe Ihrer Stellungnahme beteiligt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich meine eigenen Argumente vortrage, will ich auf einige Argumente meiner Vorredner eingehen.

   Erstens. Ein Argument, das von beiden Oppositionsfraktionen vorgetragen wurde, war, das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz - das ist ein furchtbar langer Titel - könne nicht behandelt werden, bevor der Nationale Allokationsplan verabschiedet sei. Ich glaube, dieses Argument ist falsch. Denn der NAP verhält sich zum TEHG wie das Kioto-Protokoll zur Klimarahmenkonvention. Das eine ist das Dachgesetz und das andere sind die konkreten Durchführungsbestimmungen, in denen die Lastenverteilung definiert wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber das Interessante!)

Das heißt, wir haben es einerseits mit der Struktur und andererseits mit der konkreten Zuteilung zu tun. Dieses vernünftige Vorgehen ist in gar keiner Weise kritikwürdig.

   Zweitens. Den Vorwurf, es gebe mehr Bürokratie, müssen wir mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Im Gegenteil gilt: Was Sie vorschlagen, bedeutet mehr Bürokratie. Der Vorschlag des Umweltministeriums hinsichtlich der Übertragungsregelung ist so einfach, dass er an Schlichtheit praktisch nicht mehr zu überbieten ist. Ihr Vorschlag - dazu gehören das doppelte Verfahren, das Sie uns über den Bundesrat aufdrücken wollen, aber nicht durchbekommen werden, und inhaltlich die brennstoffspezifischen Benchmarks - würde viel mehr Bürokratie nach sich ziehen. Es ist eindeutig, dass wir das nicht mitmachen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Drittens. Sie haben so getan, als würden unterschiedliche Zahlen im Raum kursieren.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja!)

Das ist nicht zutreffend.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Doch!)

Die Zahl von 508 Millionen Tonnen für das Jahr 1998 ist seit langem in der Öffentlichkeit bekannt und ist zwischen BMWA und BMU unstrittig.

(Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Ich kenne aber auch andere Zahlen!)

Insofern geht dieser Vorwurf ins Leere.

   Ich komme jetzt zu meinen Argumenten. Wenn man sich einmal die Diskussion der letzten Monate anschaut, dann erkennt man, dass das Klimathema aufgrund zweier Aspekte sehr stark im Mittelpunkt gestanden hat. Es geht zum einen um das Thema Sicherheit und zum anderen um das Thema Innovation. Vor wenigen Wochen ist ein Szenario bekannt geworden - es wurde interessanterweise im Auftrag des Pentagons entwickelt -, das beschreibt, was ein abrupter Klimawechsel für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedeuten würde. Dieses Szenario basiert im Wesentlichen auf Forschungen in Deutschland, nämlich auf den Erkenntnissen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Stefan Rahmsdorf bekam dafür den höchsten amerikanischen Wissenschaftspreis.

(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Diesem Szenario kann man entnehmen: Wenn wir in Sachen Klimapolitik so weitermachen wie bisher, dann wird es möglicherweise zu einem abrupten Klimawandel kommen, der uns sehr teuer zu stehen kommen könnte. Ich kritisiere - das ist mein Hauptkritikpunkt -, dass Sie die Kosten aufgrund unterlassenen Handelns überhaupt nicht berücksichtigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Vor wenigen Wochen hat das Fraunhofer-Institut seine zwölf Leitinnovationen vorgestellt. Wenn man sie einmal systematisch durchgeht, dann kann man ganz klar erkennen: Viele Innovationen, um die es geht, beziehen sich unmittelbar auf erneuerbare Energien, dezentrale Systeme, Energieeffizienz und Energieeinsparung. Diese Innovationen können wir nur mobilisieren und lostreten, wenn wir die Rahmenbedingungen tatsächlich so setzen, dass sie förderlich sind. Wir sollten das Thema Klimawandel also auch unter dem Aspekt Innovationsanreiz sehen. Diesem Ziel dient der Emissionshandel.

   Zur Rolle Europas. Die Europäische Union war immer der Vorreiter und der Hoffnungsträger in Sachen internationaler Klimapolitik. Wir waren diejenigen, die das Kioto-Protokoll zusammen mit der G 77 und Japan durchgesetzt haben. Was wir jetzt in Sachen Emissionshandel erleben, ist nichts anderes - Herr Kollege Paziorek, vielleicht hören Sie einmal zu - als die Manifestation des europäischen Willens, die Kioto-Ziele tatsächlich zu erreichen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Genau!)

Darum geht es.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Okay!)

Man kann nicht nach dem Motto verfahren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das sagen wir auch nicht!)

Ich habe manchmal den Eindruck von Ihnen, dass Sie den Emissionshandel schlagen, in Wahrheit aber den Klimaschutz meinen, sich jedoch nicht trauen, das zu sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wenn man sich anschaut, wie es in den anderen Ländern aussieht, dann muss man feststellen: Es gibt bereits in vielen Ländern Nationale Allokationspläne. Die Briten haben einen vorgelegt, der sehr ambitioniert ist und sehr weit geht, sogar über das Kioto-Ziel hinaus. Die Franzosen haben einen vorgelegt, der respektabel ist. Auch bei den Dänen sieht es, obwohl sie noch weit von der Zielerreichung entfernt sind, ganz respektabel aus. Es gibt aber auch Nationale Allokationspläne - das muss man sagen; dazu gehört nach unserer Einschätzung der österreichische -, die nicht notifizierungsfähig sind, weil sie sich nicht an den klaren Aussagen des Kioto-Protokolls orientieren. Es geht um ein Ziel und um die Erreichung dieses Ziels. Man kann nicht erst die Emissionen anwachsen lassen und versprechen, dass man später vielleicht reduziert. Es ist gut, dass die Kommission zugesagt hat, dass sie alle Nationalen Allokationspläne gleich streng behandelt und diejenigen, die nicht schlüssig sind, zurückweist. Das ist ganz wichtig für uns.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zum nächsten Punkt. Für uns ist ganz zentral und so viel Ehrlichkeit erwarten wir von Ihnen - Uli Kelber hat es angesprochen -: Wenn Sie der Industrie mehr Emissionen zugestehen wollen und gleichzeitig sagen, dass Sie das Kioto-Ziel erreichen wollen, dann müssen Sie auch sagen, wer mehr machen muss und wie das bezahlt werden soll. Denn eines geht nicht: Wir können nicht der Industrie mehr Rechte zuweisen und gleichzeitig bei den privaten Haushalten und beim Verkehr mehr Einsparungen verlangen, ohne Instrumente anzubieten. Insofern ist Ihre Politik überhaupt nicht stimmig.

   Zwischen 1990 und 1998 haben wir doch folgende Tendenz gehabt: Bei den privaten Haushalten und beim Verkehr stiegen die Emissionen an, bei der Industrie und bei der Energiewirtschaft sanken sie aufgrund des industriellen Zusammenbruchs in Ostdeutschland und aufgrund von Modernisierungsinvestitionen. Seit 1999 sieht die Tendenz anders aus: Im Bereich der privaten Haushalte und im Bereich des Verkehrs gehen die Emissionen vor allen Dingen aufgrund der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, leicht - wenn auch zu langsam - zurück und im Bereich der Energiewirtschaft steigen sie wieder an. Das heißt, jetzt ist die Industrie an der Reihe. Das muss man im Sinne von Ausgewogenheit und Gerechtigkeit sehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Jetzt konkret zum Emissionshandel. Für uns sind folgende Punkte wichtig und ganz zentral:

   Erstens. Wir brauchen Ziele für beide Perioden, also für die Periode 2005 bis 2007 und für die Periode 2008 bis 2012, damit wir Planungssicherheit haben. Es kommt in der Tat - das wurde von mehreren Rednern gesagt - auf die langen Linien an. Das ist entscheidend. Es kommt, wie Uli Kelber zu Recht sagt, darauf an, was nach 2012 ist. Wir haben es ja häufig mit Investments zu tun, die von der Kapitalbindungszeit her weit über 2012 hinaus reichen. Deswegen setzen wir uns für lange Linien, für Klarheit auf der langen Linie, für Planungssicherheit ein. Das heißt, für die erste und die zweite Periode brauchen wir ein Ziel.

   Zweitens zur Zielmarke. Für 2005/2007 muss das Ziel lauten, deutlich unter 500 Millionen Tonnen CO2-Emissionen zu liegen. Das ist ganz klar. Wir erwarten, dass die Industrie im Jahr 2012 ihre Zusage einlöst, um 45 Millionen Tonnen unter dem Niveau von 1998 zu liegen. Das ist für uns sehr zentral.

   Zur Architektur. Wichtig ist für uns, dass wir eine wirksame Übertragungsregelung haben, die wirklich Anreize für frühe Investitionen und Innovationen schafft. Vor allen Dingen ist auch wichtig - da stimme ich sowohl der Union als auch der FDP zu -, dass wir eine Regelung brauchen, die handhabbar, einfach und unbürokratisch ist und die vor allen Dingen eine geringe Missbrauchsanfälligkeit aufweist. Wir müssen höllisch aufpassen, dass keine Fehlanreize dahin gehend gesetzt werden, dass man anfängt, mit dem ganzen Instrumentarium zu spielen. Das heißt, Einfachheit und Transparenz sind ganz wichtig.

   Zum letzten Punkt, zum technischen Benchmark. Ich will jetzt nicht in die Details gehen. Aber die Wahrheit gebietet es natürlich, auch zu sagen, dass eine Teilstrategie des Klimaschutzes die Substitution von kohlenstoffreichen Energieträgern durch kohlenstoffarme oder kohlenstofffreie Energieträger ist. Das ist der ganze Sinn des Klimaschutzes. Es wäre gelogen, wenn man sagen würde, dass das kein Motiv sei. Aber bei der Übertragungsregelung - jetzt komme ich zu dem eigentlichen Punkt - gibt es überhaupt keinen technischen Benchmark. Das heißt - um es einmal konkret zu sagen -, der Profiteur unserer Übertragungsregelung wären RWE und Eon.

   Was die Early Action, also die frühe Reduzierung, betrifft, sind gerade wir diejenigen, die sagen: Okay, wir erkennen an, was in den neuen Bundesländern geleistet worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht um das, was in den neuen Bundesländern zwischen 1990 und 1998 geleistet worden ist. Das wollen wir ausdrücklich anerkennen.

Ich komme zum Schluss. Für uns ist der Emissionshandel kein Ziel. Der Emissionshandel ist ein Instrument, mit dem wir unserem Klimaschutzziel näher kommen werden. Ich darf vielleicht daran erinnern, dass wir alle einmal bis zum Jahr 2005 eine Reduktion von 25 Prozent erreichen wollten. Es kommt mir daher ein wenig seltsam vor, wenn Sie hier von einer angeblichen Überbelastung reden.

   Zum Zweiten muss es Anreize für Investitionen und Innovationen geben. Dafür werden wir streiten. Das geht auf der Grundlage des Entwurfs, der jetzt im Raum steht.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Peter Paziorek das Wort.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Reinhard Loske, Sie haben mich gerade persönlich angesprochen. Ich möchte die Gelegenheit zur Klarstellung nutzen, damit der Eindruck, den Sie gewonnen und wiedergegeben haben, nicht als richtig und dauerhaft im Raum stehen bleibt.

   Derjenige, der kritische Fragen stellt - wir haben das in unseren Redebeiträgen gemacht - und hinterfragt, ob das Zahlenwerk richtig und damit eine richtige Grundlage für die Ausgestaltung des Nationalen Allokationsplans vorhanden ist, darf nicht zum Handlanger oder zu jemandem, der die Instrumente der Wirtschaft vorbehaltlos übernimmt, degradiert werden. Das geht nicht.

   Es muss klar und deutlich gesagt werden, lieber Reinhard Loske, dass zum Beispiel gewaltige technische Probleme zu lösen sind. Wenn wir den jetzigen CO2-Ausstoß mit 100 Prozent definieren und uns zum Ziel setzen, im Jahr 2008 oder 2012 92 Prozent zu erreichen, dann verlangt das gewaltige technische Anstrengungen. Von der Kalk- und Zementindustrie beispielsweise wissen wir aber genau, dass sie technologisch nicht in der Lage sind, zu weiteren Einsparungen zu kommen. Daher stellt sich die Frage: Ist es ein sinnvoller Weg, bestimmte Industriezweige in Deutschland zu belasten, die sich im Augenblick technologisch nicht verbessern können? Diese wären gezwungen, Kosten aufzuwenden, um Zertifikate zu kaufen; damit würde sich die Produktion in Deutschland verteuern. Das können Sie doch nicht wollen; denn das hätte zur Konsequenz, dass zum Beispiel die Zementproduktion im Ausland günstiger wird. Wir müssen doch berücksichtigen, dass wir Zement mit dem Schiff von Australien nach Deutschland bringen können.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr wirtschaftlich!)

   Das sind unsere konkreten Fragen. Wir wollen uns doch nicht vom Emissionshandel absetzen, sondern wir wollen die offenen Fragen in Ausschuss und Parlament diskutieren. Derjenige, der das will, ist doch kein Gegner des Emissionshandels oder gar Handlanger der Industrie, sondern es handelt sich um jemanden, der bereit ist, über offene Punkte zu diskutieren, damit wir Umwelt- und Wirtschaftspolitik zusammenführen können.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zur Erwiderung erhält Herr Dr. Loske das Wort.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Lieber Kollege Paziorek, selbstverständlich stelle ich Ihre klimapolitische Integrität nicht in Frage. Wie käme ich dazu? Wir ziehen in vielerlei Hinsicht an einem Strang. Zwei Ihrer Argumente halte ich jedoch nicht für stark, ehrlich gesagt halte ich sie für falsch und schwach.

   Sie haben die Zementindustrie angesprochen. Gerade die Prozessenergie wird komplett mit einem Erfüllungsfaktor eins ausgestattet.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Nein!)

- Doch, das ist der Fall. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Industrie anders als die Elektrizitätswirtschaft tatsächlich auf einem moderaten Pfad nach unten ist und deswegen mit der bedarfsgerechten Ausstattung in der ersten Verpflichtungsperiode auskommen wird. Daher ist das Argument, das Sie angeführt haben, schlicht und einfach unzutreffend.

(Ulrich Petzold (CDU/CSU): Was ist Prozessenergie? Erläutern Sie das!)

- Ich habe es doch genannt: Prozessenergie.

(Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Was verstehen Sie darunter?)

   Ihr zweites Argument bezog sich auf das Zwischenziel. Wir haben doch das „Endziel“ - ich benutze Gänsefüßchen, weil das Wort Endziel in der deutschen Sprache belastet ist - oder, anders gesagt, das Abschlussziel 2012. Sie sagten: Macht doch keine Zwischenfestlegungen, keine Etappenziele. Dazu möchte ich zweierlei festhalten: Erstens. Wir haben das Etappenziel, das uns die Industrie zugesagt hat, und geben noch etwas dazu. Zweitens. Ich möchte Ihnen das Bild des Flusses vor Augen führen. Ein Fluss fließt grundsätzlich von oben nach unten. Er mäandriert zwar manchmal ein wenig, das soll und darf er auch, aber er fließt niemals zuerst bergauf und dann bergab. So wollen auch wir das ausgestalten, der Fluss soll von oben nach unten fließen. Dass er zwischenzeitlich ein wenig mäandriert, ist vollkommen klar. Es handelt sich schließlich nicht um ein Korsett oder um einen Schraubstock, sondern um ein Flussbett und in diesem muss er sich bewegen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mehr eine Zwangsjacke!)

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Was Prozessenergie ist, hat er nicht gesagt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion.

Marie-Luise Dött (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema Emissionshandel schreibt die „FAZ“ in der letzten Woche: „Das Parlament ... tappt noch im dunklen.“

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es! Wohl wahr!)

Wie wahr! Denn auch die Beantwortung unserer Großen Anfrage an die Bundesregierung war nicht wirklich erhellend. Auf unsere detaillierten und sehr konkreten Fragen zur nationalen Ausgestaltung des Emissionshandels gibt die Bundesregierung keine Auskünfte oder vertröstet uns auf einen späteren Zeitpunkt. Erst mit der Vorlage des Nationalen Allokationsplanes soll zu den drängenden Fragen der Umsetzung Stellung bezogen werden.

   Dabei hatte das Ministerium, als es unsere Große Anfrage beantwortete, schon längst einen Entwurf des Nationalen Allokationsplanes in der Schublade liegen. Denn nur einen Tag später wurde den Wirtschaftsvertretern vom Bundesumweltministerium ein erster Entwurf überreicht. Auch dem Parlament hätte zu diesem Zeitpunkt unschwer Auskunft erteilt werden können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und müssen!)

Es ist nur eine Frage des Willens.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Herr Trittin, die unzureichende und späte Antwort auf unsere Anfrage reiht sich nahtlos in die Desinformationspolitik ein, die Ihr Haus gegenüber dem Deutschen Bundestag betreibt. Für mich ist es nicht nur eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch eine Frage von Respekt gegenüber der Bevölkerung und gegenüber den Volksvertretern. Es ist eine Frage von Respekt, dem Parlament die Möglichkeit und auch die Zeit zu geben, sich mit den Inhalten eines Gesetzentwurfes zu befassen, insbesondere wenn es sich um ein Gesetz handelt, das den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Deutschland ganz erheblich verändern kann. Beides wird uns im Fall des NAP-Gesetzes verwehrt.

   An dem übereilten Tempo, mit dem Sie das Gesetz durch die parlamentarischen Gremien schleifen wollen, wird deutlich, wie wenig Ihnen an der Meinung und der Einschätzung des Bundestages liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Durch Ihren unnötig straffen Zeitplan verwehren Sie den Abgeordneten eine dezidierte und fachliche Auseinandersetzung mit der Materie.

   Gleiches spielte sich diese Woche beim TEHG ab. Sie haben erhebliche Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf angekündigt. Dem Vernehmen nach soll die administrative Struktur des Handelssystems völlig neu gestaltet werden. Es soll eine Bundeszuständigkeit für die behördliche Überwachung und Kontrolle etabliert werden. Zur Anberatung des Gesetzes am Mittwoch, also gestern, wurden dem federführenden Umweltausschuss die Änderungen aber vorenthalten. Die Abgeordneten wurden nicht informiert.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Dumm gehalten! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

   Aber nicht nur durch das enge Zeitfenster, sondern auch durch das äußerst unübliche Gesetzgebungskonstrukt, das Sie für das NAP-Gesetz vorschlagen, missachten Sie die Rechte des Parlaments. Herr Trittin, machen Sie uns doch nicht weis, dass der Bundestag beim Nationalen Allokationsplan überhaupt noch mitreden könnte. Wir Abgeordneten - damit spreche ich vor allem auch die Kollegen von der Regierungskoalition an - haben doch gar keine wirkliche Einflussmöglichkeit mehr.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Jeder Änderungsentwurf des Parlaments bedeutet zwangsläufig eine Verzögerung des Zuteilungsverfahrens im nationalen Bereich. Die Folge sind Wettbewerbsverzerrungen zulasten unserer Unternehmen. Wer möchte denn das auf sich nehmen?

   Tatsache ist, dass die entscheidenden Weichenstellungen für den Emissionshandel in Deutschland mit der Vorlage des Nationalen Allokationsplanes bei der EU-Kommission festgelegt werden. Die Spielräume des Parlaments werden auf null reduziert, wenn es seine Entscheidungen inhaltlich auf der Grundlage eines Beschlusses fassen muss, der durch die Vorlage bei der Kommission schon bindend ist. Nicht das deutsche Parlament entscheidet, wie der Emissionshandel in Deutschland aussehen wird, sondern das Umweltministerium in Absprache mit der EU-Kommission.

   Der Gesetzgeber wird somit faktisch an die Vorgaben der Verwaltung gebunden. Das widerspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip. Die Sachverständigen haben in der Anhörung des Umweltausschusses sogar von einer Entmachtung des Parlaments gesprochen.

Dieser faktische Ausschluss des demokratisch gewählten Gesetzgebers wiegt umso schwerer, wenn man sich die Folgen, die der Nationale Allokationsplan haben kann, vor Augen führt. Mit der Zuteilung der Bewirtschaftungsrechte können Sie, Herr Trittin, wesentlich in den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Deutschland eingreifen. Es kann zu Wettbewerbsverzerrungen und zu Arbeitsplatzverlusten kommen. Schon gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten können einschneidende Standortnachteile eintreten; denn andere europäische Länder haben erheblich geringere CO2-Minderungslasten übernommen als Deutschland. Hinzu kommt, dass Frankreich und die Niederlande die Belastungen für ihre Klientel so gering wie möglich halten wollen. Dadurch haben die französischen und niederländischen Unternehmen gegenüber den deutschen geldwerte Vorteile.

   Die teilnehmende Industrie, beispielsweise die Stahl- und Chemieindustrie, steht aber nicht nur im europäischen, sondern auch im weltweiten Wettbewerb. Ihre Produkte konkurrieren mit Produkten aus China, aus den USA und aus Russland. Diese Länder haben das Kioto-Protokoll nicht ratifiziert. Sie unterliegen also nicht dem Emissionshandel und warten nur darauf, die deutschen Hersteller über ihre Preise zu schlagen. Mit Ihrer Form des Emissionshandels spielen Sie, Herr Trittin, diesen Wettbewerbern genau in die Hände.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn Sie die Industrie zwingen, über ihre Selbstverpflichtung hinaus Zertifikate hinzuzukaufen, weil Sie zum Beispiel die prozessbedingten Emissionen nicht anerkennen - was prozessbedingt ist, ist ja noch gar nicht definiert -,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

können unsere Unternehmen, was die Preise betrifft, international nicht mithalten. Das hat Folgen für den Standort Deutschland: eine Einschränkung der Produktion, eine massive Verlagerung der Produktionsstandorte, Werksschließungen und damit zwangsläufig einhergehend Arbeitsplatzverluste. Allein in der Stahlindustrie sind in Deutschland 10 000 Arbeitsplätze durch den Emissionshandel bedroht. Diese Arbeitsplätze zu verlieren, das können wir uns schlichtweg nicht leisten. Denken Sie nur an die Arbeitsmarktzahlen, die heute veröffentlicht worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

   Angesichts der verheerenden Auswirkungen, die der Emissionshandel in Deutschland haben kann, ist eine Beschneidung der parlamentarischen Rechte bei der nationalen Gesetzgebung unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So, wie Sie, Herr Trittin, es im TEHG beschreiben, sieht ein sauberes Gesetzgebungsverfahren nicht aus. Ein sauberes Gesetzgebungsverfahren hätte dem Parlament seine Entscheidungsmacht belassen und es bereits vor der Vorlage des Allokationsplans auf europäischer Ebene beteiligt. Das, was Sie, Herr Trittin, anstreben, ist kein Gesetzgebungsverfahren, sondern eine Farce. Es steht auf verfassungsrechtlich wackeligen Füßen und missachtet die Rechte des Parlaments. Die Rechte des Parlaments zu missachten bedeutet in meinen Augen allerdings nichts anderes, als die Bevölkerung zu missachten, die dieses Parlament gewählt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Frau Dött, da Sie so schwere Geschütze aufgefahren haben - Sie haben ja von einer beabsichtigten Missachtung des Parlaments gesprochen -, bitte ich Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Zur Umsetzung dieser Richtlinie, die wir aktiv betrieben haben, hatten wir einen Monat und wenige Tage Zeit. Daher sind wir zurzeit im Verzug. Die eigentliche Frage, die sich jeder vor dem Hintergrund stellen muss, dass wir alle - auch Sie - dieses Instrument im Prinzip befürworten, lautet: Hat die Bundesrepublik Deutschland einen ökonomischen Vorteil oder einen ökonomischen Nachteil, wenn wir diese Richtlinie nicht fristgemäß umsetzen, wenn also deutsche Unternehmen nicht ab dem 1. Januar 2005 am Emissionshandel teilnehmen können? Diese Frage beantworte ich ganz ruhig und übrigens auch im Konsens mit der Industrie. Ich sage, dass wir davon keinen Vor-, sondern einen Nachteil haben werden.

   Wenn deutsche Unternehmen aber ab dem 1. Januar 2005 teilnehmen können, dann muss im Herbst, also am 30. September, dieses Jahres mit der Zuteilung der Zertifikate begonnen werden; denn selbstverständlich muss die Zuteilung rechtsfest geschehen. Wenn es aber zum 30. September dieses Jahres zur Verteilung der Zertifikate kommen soll, dann muss schon heute klar sein, wer überhaupt - nicht, was die Menge, wohl aber, was den Grundsatz betrifft - die Berechtigung hat, an der Zuteilung teilzunehmen.

Ihrer Mehrheit im Bundesrat werfen wir vor, dass sie die einfache Feststellung, dass deutsche Unternehmen am Emissionshandel teilnehmen dürfen, blockiert, indem sie nicht entscheidet. Es wurde auch nicht etwa eine andere Entscheidung herbeigeführt, sondern man hat sich schlicht und einfach vertagt. Das nenne ich Missachtung der Interessen der deutschen Wirtschaft.

   Eine weitere Bemerkung. Wir haben Ihnen immer gesagt: Auch wir hätten uns ein anderes Verfahren gewünscht. Aber wegen des Zeitrasters der Richtlinie und der Umsetzung derselben bleibt kein anderer Weg, als zunächst einmal die Frage der Verteilregeln zu definieren. Dann werden wir - es gibt mehrere Äußerungen von mir hier im Hause, die Sie alle nachlesen können - diesen Nationalen Allokationsplan quasi unter dem Vorbehalt der Ratifizierung durch das Parlament nach Brüssel melden. Ich sage Ihnen eines in aller Deutlichkeit: Wenn der Deutsche Bundestag zu dem Ergebnis kommt, dass er die eine oder andere Regel anders gestalten will - Sie werden nicht nur über die Menge, sondern auch über die grundsätzlichen Regeln zu entscheiden haben - , und dass er dem einen oder anderen mehr zuteilen will, werden wir dieses in Brüssel nachnotifizieren.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Trittin, die Zeit ist vorbei.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Den Vorwurf, wir würden das Parlament missachten, muss ich aus diesem Grunde mit aller höflichen Entschiedenheit zurückweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zur Erwiderung Frau Kollegin Dött.

Marie-Luise Dött (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Minister Trittin, was ich besonders bemängele, ist, dass Sie zwar immer von Transparenz und von Schnelligkeit reden, dass aber diese Transparenz einfach nicht da ist. Es kann doch nicht sein, dass die beteiligten Unternehmen nur teilweise Unterlagen haben, wir als Abgeordnete sogar überhaupt keine. Wir sollten zum Beispiel gestern im Ausschuss über ein deutsches TEHG beraten, sogar abschließend beraten. Wir haben uns für eine „Anberatung“ entschieden, weil überhaupt nichts vorlag, wir somit über Luft debattieren sollten. Daher müssen Sie uns doch bitte gestatten, dass wir das anmerken, da wir uns als Volksvertreter nicht ernst genommen fühlen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dieser letzten Debatte noch das eine oder andere hinzufügen. Die Oppositionsparteien haben sich jetzt im Wesentlichen auf die Frage konzentriert, ob das Parlament in geeigneter Form einbezogen worden ist. Auch ich habe selbstverständlich meine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass das Parlament durch das außerordentlich enge Zeitraster eine zu geringe Mitbeteiligungsmöglichkeit gehabt hat. Ich habe es aber peinlichst vermieden, hieraus einen Vorwurf an die Bundesregierung zu konstruieren, denn das Zeitraster kommt aus Brüssel. Natürlich ist es von der Bundesregierung mitbeschlossen worden; das ist völlig klar. Aber es drängt ja auch, dass wir mit dem Klimaschutz bis 2005 endlich anfangen.

   Natürlich hätten wir uns ein parlamentarisches Verfahren gewünscht und wir verlangen es weiterhin, bei welchem eine öffentliche Anhörung über den Allokationsplan stattfindet. Dieses kann aber doch nicht auf der Basis eines Referentenentwurfes eines Hauses geschehen. Ein solcher ist jedoch das Einzige, was gegenwärtig vorliegen könnte. Wir sind also aus praktischen Gründen gar nicht in der Lage, all dieses vor dem 31. März abzuwickeln.

   Ich habe den Parlamentsvorbehalt, auf den Herr Kelber schon hingewiesen hat, dem Herrn Minister gegenüber noch einmal deutlich gemacht. Er hat soeben bestätigt, dass er diesen außerordentlich ernst nimmt; dafür bin ich dankbar. Dankbar bin ich auch der CDU/CSU-Fraktion für ihre Große Anfrage, die uns die Möglichkeit gibt, jetzt, im März, noch einmal über die wichtige Frage des Klimaschutzes miteinander zu sprechen.

   Der Ausgangspunkt dieser Debatte ist selbstverständlich der Klimaschutz selbst. Das haben viele Redner gesagt. Der Abgeordnete Loske hat schon auf die Pentagon-Studie hingewiesen. Ich gestatte mir noch zu ergänzen: Wir wissen seit 20 Jahren, dass die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen eine wesentliche Klimaveränderung bewirken. Wir wissen überdies, wenn auch erst seit kurzem, dass die polaren Eismassen nicht automatisch mechanisch stabil sind.

Da sind möglicherweise so genannte nicht lineare plötzliche Ereignisse zu befürchten, die dann natürlich einen Meeresspiegelanstieg von 5, 10 oder 15 Metern bedeuten können. Dann wäre Holland in Not, aber zusätzlich wären es auch Ägypten, Bangladesch, Hamburg, Venedig und alle möglichen anderen Regionen. Diese Dimension ist letzten Endes wichtiger als die Frage ob die Aktionäre von 20 bis 30 Firmen glücklich sind. Das müssen wir uns einfach immer wieder vergegenwärtigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die CO2-Reduzierung um 21 Prozent, die Frau Dr. Merkel 1997 als damalige Umweltministerin in Kioto als Verpflichtung Deutschlands zugesagt hat, haben wir, wie schon gesagt wurde, bereits zum allergrößten Teil erreicht; es geht jetzt nur noch um 2 Prozent. Es war die Basis der Selbstverpflichtung der deutschen Industrie, mit diesem Kioto-Ziel konform zu gehen. Diese Selbstverpflichtung - das hat der Minister gesagt - war die Basis für die Empfehlung, die aus seinem Hause kommt, Emissionslizenzen auf der Basis der Emissionen der Jahre 2000 bis 2002 kostenlos zuzuteilen. Wenn der Bundesverband der Deutschen Industrie dieses Vorgehen des BMU als eine Art ökologischen Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit versteht, dann kann das nur auf Vorurteilen gegenüber der Bundesregierung oder dem grünen Umweltminister beruhen.

   Ich habe eher das Gefühl, dass die Vorgabe des Bundesumweltministers zu strukturkonservativ ist. Wenn das, was 2000 bis 2002 Realität war, sozusagen geschenkt und als Basis für den künftigen Handel genommen wird, dann muss man sagen: Wir sind fast schon so schlimm wie die Österreicher. Nur, die Österreicher liefern etwas nach Brüssel, was dort gar nicht akzeptiert werden kann und darf. Ich enthalte mich aber einer Kritik in Richtung Strukturkonservativismus gegenüber dem Minister, erstens weil ich die politische Gemengelage kenne und zweitens weil ich weiß, dass doch noch eine Strategie zustande kommen wird, bei der das Emittieren von CO2 einen Preis hat. Das ist auch zwingend notwendig; denn ansonsten ist - wie vom Minister bereits ausgeführt - gar kein Anreiz zu Effizienz da.

   Gewiss haben wir in den letzten Wochen eine Überraschung erlebt, als wir erfuhren, dass die industriebezogenen CO2-Emissionen der letzten drei Jahre trotz Wirtschaftsflaute ganz erheblich zugenommen haben. Wenn man das im Einzelnen analysiert, dann stellt man aber fest, dass das in keiner Weise eine geeignete Begründungsbasis für die Industrie ist, nun Besorgnis gegenüber ihren eigenen Selbstverpflichtungen zu haben; denn die Industrie im engeren Sinne hat ihre Emissionen weiter reduziert. Lediglich bei der Stromwirtschaft stellen wir einen erheblichen Anstieg der CO2-Emissionen fest. Dieser Anstieg basiert auf zwei Faktoren: Erstens fand eine Verschiebung in Richtung Braunkohle statt - was nicht unbedingt notwendig ist - und zweitens hat Deutschland 8 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr exportiert. Auch das ist nicht unbedingt ein Zeichen von strukturellem Fortschritt. Wir brauchen nicht unbedingt ein Stromexportland zu sein.

   Lassen Sie mich etwas systematischer auf die Frage eingehen, was wir uns eigentlich industriepolitisch vornehmen müssen, um mit dem Thema Klimaschutz angemessen umzugehen. Wir müssen - das wird auch von Dr. Paziorek und von anderen gesagt - Umwelt und Industrie, Umwelt und Wirtschaft zusammenbringen. Das heißt, wir als Hightechland müssen sehen, dass wir die Abkopplung des Wohlstands von CO2-Emissionen zustande bringen. Hightech heute bedeutet etwas ganz anderes als Hightech vor 40 Jahren. In den letzten 40 Jahren hat zum Beispiel die Energieintensität der chemischen Industrie in Deutschland um mehr als den Faktor vier abgenommen. Das wird noch weiter gehen. Wir brauchen noch einmal einen Faktor vier für die Abkopplung des Wohlstands von den CO2-Emissionen. Das muss aber einmal in Gang gesetzt werden. Dafür brauchen wir den entsprechenden Anreiz.

(Beifall bei der SPD)

   Natürlich hat der BDI und haben auch die Oppositionsparteien Recht mit der Aussage, dass die CO2-Minderungsleistung nicht allein aus der Industrie kommen kann, sondern dass Haushalte und Verkehr mit beteiligt sein müssen.

   Ich bin der Opposition für die Frage dankbar, die sie im Rahmen ihrer Großen Anfrage an die Bundesregierung gestellt hat, ob nämlich diese Sektoren in das Emissionshandelssystem einbezogen werden können. Es war völlig richtig, diese Frage zu stellen. Die Antwort der Regierung ist aber ebenfalls richtig. Sie sagt, man müsse sich vorstellen, was es bedeuten würde, 37 Millionen Haushalte und 45 Millionen PKWs im Einzelnen zu erfassen. Wenn das keine Bürokratie ist, dann möchte ich nicht wissen, was Bürokratie ist! Das heißt, wir müssen uns hierfür etwas ganz anderes ausdenken. Von Herrn Kelber und anderen wurde dazu Entsprechendes gesagt. Sollte die Opposition vorschlagen, dies mit einer brutalen Ökosteuer zu leisten, dann möchte ich gerne sehen, wie die Medien darauf reagieren.

   Wir kommen nicht darum herum, die Verminderung von Treibhausgasemissionen bei gleichzeitigem Wohlstandszuwachs und technischem Fortschritt sehr ernst zu nehmen. Es wäre vollkommen verfehlt, wenn wir diese Strategie im Wesentlichen hasenfüßig und mit einem ängstlichen Betrachten der Industriestruktur der Vergangenheit angehen würden. Gehen wir sie stattdessen mit Mut und mit Zutrauen hinsichtlich der Modernisierungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft an! Das wäre diesem Thema und der heutigen Debatte angemessen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über ein Gesetz, durch das der Handel mit Emissionen, also der Handel mit Umweltverschmutzungen ermöglicht werden soll. Wir reden über ein Mittel zum Zweck. Deshalb stellt die PDS im Bundestag auch den Zweck voran. Es geht darum, den CO2-Ausstoß weltweit und hierzulande deutlich zu reduzieren. Das ist notwendig, um eine Klimakatastrophe zu verhindern, und das eilt, damit es nicht tatsächlich zu spät ist. Mein Vorredner hat ja schon einige Szenarien angesprochen.

   Die jüngste Warnstudie aus den USA wurde hier bereits angeführt. Im Gegensatz zu den Grünen berufe ich mich allerdings nicht auf die CIA oder das Pentagon. Dazu fehlt mir nicht erst seit dem Irakkrieg der Glaube an den amerikanischen Geheimdienst.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Überhaupt sind die USA in Sachen Klima- und Umweltschutz das Gegenteil von guten Ratgebern. Sie taugen nicht einmal als Beispiel.

   Es gibt aber genug andere Zeugnisse und Zeugen. Einer davon ist sogar CDU-Mitglied. Ich meine Klaus Töpfer. Der UNO-Umweltchef drängt: „Niemand zweifelt, dass ein Klimawandel stattfindet“. Er spricht von einer „ökologischen Aggression der Reichen gegen die Armen“ und er fasst richtig zusammen: „Klimapolitik ist Friedenspolitik“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, schon deshalb verdient er Respekt, was ich beileibe nicht zu allen Kandidaten sagen kann, die Sie in den letzten Tagen in der Debatte über das Amt des Bundespräsidenten genannt haben.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) - Franz Obermeier (CDU/CSU): Darauf können wir auch gern verzichten!)

   Der europäische Handel mit Emissionsrechten soll nun im Januar 2005 beginnen. Deshalb debattieren wir ja auch über die deutschen Regeln. Das Ziel ist klar: Verglichen mit dem Jahr 1998 soll der CO2-Ausstoß bis 2010 um 45 Millionen Tonnen reduziert werden. So lautete jedenfalls die Selbstverpflichtung der deutschen Industrie. Ich finde, es darf kein Zurück dahinter geben.

   Auch das Grundprinzip des Emissionshandels ist übersichtlich: Wer das Klima weniger belastet, als ihm zugestanden wird, kann mit seinen Anteilsscheinen handeln und so noch ein Plus erwirtschaften. Wer das Klima aber über Gebühr belastet, der muss zusätzliche Anteilsscheine kaufen; er zahlt drauf.

Das ist also ein Versuch, der Umweltverschmutzung mit marktwirtschaftlichen Mitteln beizukommen. Er ist auch unter den Linken nicht unumstritten; denn das Klima ist nun einmal ein Allgemeingut und keine Handelsware. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass sich ausgerechnet die Wirtschaft weigert, in diesem Bereich marktwirtschaftlich zu agieren; denn von ihr kommen derzeit die übelsten Widerstände gegen ein Emissionshandelsgesetz. Es wird um jede Tonne CO2-Ausstoß geschachert, die nicht abgebaut werden muss. Die Wirtschaft versucht, mit Extratricks Extraprofite zu ergaunern, als ginge es nicht um eine alle betreffende, eine globale Herausforderung.

   Dabei bilden sich ganz „ungewöhnliche Koalitionen“, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 25. Februar schrieb: Auf der einen Seite protestieren die Gewerkschaften im Verein mit den Wirtschaftsverbänden und Bundeswirtschaftsminister Clement. Auf der anderen Seite agieren Umweltverbände und Klimaschützer mit Umweltminister Trittin. - Das macht es nicht leichter. Es zeigt aber auch: Im ökologischen „Friedenskampf“, wie Klaus Töpfer meint, geht der Riss mitten durch Rot-Grün.

   Hinzu kommt: In den letzten Jahren hat der CO2-Ausstoß durch die deutsche Wirtschaft nicht ab-, sondern zugenommen, und zwar trotz der Rezession in den zurückliegenden drei Jahren. Ich möchte noch an etwas anderes erinnern. Die deutsche Wirtschaft hält sich zugute, seit 1990 die Umwelt bereits drastisch entlastet zu haben. Das stimmt. Das liegt aber fast ausschließlich daran, dass CO2-Schleudern im Osten stillgelegt wurden und obendrein Konkurrenz aus den neuen Bundesländern abgewickelt wurde.

   Die eigentliche Klimaschutzleistung steht uns also noch bevor. Vor diesem Hintergrund geschehen allerdings seltsame Dinge. Da garantiert Wirtschaftsminister Clement der CO2-trächtigen Kohleindustrie West auf Jahre hinaus milliardenschwere Subventionen. Zugleich attackiert dieser Minister die Förderung erneuerbarer Energien. Das ist keine Innovation. Das ist Klientelpolitik auf Kosten von allen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Abschließend: Der Emissionshandel ist kein Wundermittel. Er kann bestenfalls Teil in einem Mix verschiedener Instrumente sein. Vornan steht alles, was den Energieverbrauch tatsächlich senkt. Hinzu kommt: Solare Energien müssen Vorrang vor fossilen und atomaren Energien haben. Natürlich dürfen Klimakiller nicht noch vergoldet werden. Vielmehr müssen sie dringend reduziert werden.

   Danke.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist wichtig, dass wir heute eine Debatte über den Emissionshandel und die entsprechenden Gesetze sowie die Fragen des Nationalen Allokationsplans führen. Wir sollen die Gelegenheit nutzen, die Bundesregierung noch einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass die Gesetze, die wir umzusetzen haben, enorm wichtig sind.

   Ich möchte betonen, dass wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowohl zu den Zielen des Klimawandels als auch zu dem marktwirtschaftlichen Instrument des Zertifikatehandels stehen. Wenn wir allerdings das Gesetzgebungsverfahren betrachten, beschleichen uns große Sorgen, weil wir Angst haben, dass die Bundesregierung diese Gesetze in der gleichen Art wie beispielsweise die Pfandpflicht oder die ganze Geschichte mit der Maut vollzieht. Diese Angst steckt in uns. Deswegen möchten wir auf das Angebot, Herr Bundesumweltminister, gern zurückkommen, Ihnen bei der Abfassung der notwendigen Gesetze zu helfen. Aber so, wie die Dinge stehen, bleibt uns kaum Raum und Zeit, diese Themen im Einvernehmen vorzubereiten und dem Parlament vorzulegen.

   Der Emissionshandel soll ab Januar 2005 beginnen. Er wird einen ganz entscheidenden Einfluss auf die deutsche Volkswirtschaft haben. Ich habe die große Sorge, dass dieses Element seitens der Bundesregierung nicht gesehen wird.

   Herr Bundesumweltminister, Sie haben uns vor einiger Zeit erklärt, dass der Zertifikatehandel für die deutsche Volkswirtschaft kostenneutral sein wird.

Heute war Ihre Aussage schon wesentlich differenzierter. Nach allem, was wir von der betroffenen Wirtschaft hören, wird es mit der Kostenneutralität nicht mehr so weit her sein. Ich habe konkrete Fälle in meinem Wahlkreis. Beispielsweise hat ein relativ kleines Steinkohlekraftwerk ausgerechnet, dass ihm durch die Maßstäbe 2000 bis 2002 bei einem angenommenen Preis von 10 Euro ein Kostennachteil von 3 Millionen Euro entsteht. Das ist genau der Betrag, den das Energieversorgungsunternehmen an diesem Standort in den letzten Jahren an Personalkosten eingespart hat. Da ist von Kostenneutralität keine Rede mehr.

   Jetzt stellt sich die Frage, wie man derartige Elemente minimieren oder ganz ausschalten kann. Das scheint mir einigermaßen schwierig zu sein. Tatsache ist, dass nach dem Mengengerüst bei den CO2-Emissionen die Bundesrepublik Deutschland die Reduktionsverpflichtungen auch erfüllen würde, wenn wir jetzt keinen Zertifikatehandel einführen würden. Das bedeutet, dass wir ab 2005 eigentlich recht behutsam an den Zertifikatehandel herangehen könnten,

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tun wir doch auch!)

ohne dass wir unsere zugesagten Reduktionsverpflichtungen verletzen würden.

Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, dass die Situation für meine Begriffe schon schwierig ist. Denn die für Energie zuständige Kommissarin der Europäischen Kommission sagte dieser Tage, dass man sehr wohl Überlegungen anstellen muss, wenn das Kioto-Protokoll keine völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt, der Zertifikatehandel auf Europa beschränkt bleibt und zu erwarten ist, dass die Zertifikate einen höheren Preis haben werden. Die Kommissarin de Palacio spricht von einem so genannten Plan B. Mich würde schon interessieren, was das bedeutet. Heißt das, dass sich die Europäische Union von dem Ziel, die Gesamtmenge um 8 Prozent zu reduzieren, verabschiedet?

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die EU-Kommission hat dies entschieden zurückgewiesen! Sie machen sich jetzt zum Sprachrohr dieser falschen Position!)

- Das ist eine Äußerung aus den jüngsten Tagen von einer für meine Begriffe wichtigen Kommissarin. Das stellt uns vor das Problem, dass wir für die deutsche Wirtschaft Wettbewerbsverzerrungen in Kauf nehmen müssen. Ich bitte Sie, Herr Bundesumweltminister, das zu verhindern.

   Lassen Sie mich noch einen Punkt anschneiden, der mir wichtig erscheint. Es zeigt sich jetzt bei der Debatte über die Energiepolitik und die Energiewirtschaft, dass es von größtem Nachteil ist, dass die Bundesregierung fünf Jahre lang kein Energiekonzept vorgelegt hat.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Obermeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Ich kann es ihm nicht abschlagen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Kelber.

Ulrich Kelber (SPD):

Vielen Dank, Herr Kollege. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen die Studie der Dresdner Kleinwort Wasserstein bekannt ist. Sie haben gerade von Wettbewerbsverzerrungen gesprochen und vorhin das Beispiel eines Kraftwerks erwähnt, das vermutlich zu Eon gehört, da Sie von Ihrem Wahlkreis gesprochen haben.

   Schon auf der ersten Seite dieser Studie vom 2. Februar 2004 heißt es sinngemäß: Im Hinblick auf den Nationalen Allokationsplan in Deutschland schätzt man dessen Auswirkungen so ein, dass der Gewinn (EBITDA) von Eon um 15 Prozent gegenüber der bisher allgemein erwarteten Entwicklung ansteigen wird.

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Herr Kollege Kelber, ich kenne diese Studie. Im Unterschied zu Ihnen bin ich aber nicht so studiengläubig. Denn ich habe schon viele Erfahrungen damit, was Wissenschaftler in Studien festgelegt und was Analysten gesagt haben.

Schauen Sie sich an, was sich in unserem Land abspielt! Ich würde Ihnen - Sie sind ja, wie Sie selber sagen, auch Wissenschaftler - dringend raten, sich mit den objektiven Zahlen der vergangenen Jahre auseinander zu setzen und die weitere Entwicklung einigermaßen abzuschätzen.

   Ich komme auf das Energiekonzept zurück. Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland dringend ein Energiekonzept, um denen Planungssicherheit zu bieten, die investieren wollen. Ich drücke mich deswegen so vorsichtig aus, weil das nicht nur die Energieversorgungsunternehmen betrifft, sondern auch diejenigen, die im Bereich der erneuerbaren Energien investieren. Auch sie müssen wissen, wie die Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland mittel- und langfristig aussehen wird.

   Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Aussage anmerken, Herr Trittin, dass die Länder eine entsprechende Regelung blockieren. Ich habe nicht an den Beratungen im Bundesrat und in den zuständigen Ausschüssen teilgenommen. Aber aus dem, was mir aus den Ministerien zugeleitet wird, schließe ich, dass ausschließlich Sie und Ihre Mitarbeiter an dem Desaster schuld sind. Ich habe deswegen die große Sorge, dass Sie das wichtige Anliegen des Zertifikatehandels genauso vergurken wie die Pfandpflicht im Bereich der Mehrwegregelungen und dass Sie Ihr Vorhaben gegenüber den Ländern mit derselben Arroganz umsetzen, statt mit ihnen auf einen Konsens hinzuarbeiten.

   Lassen Sie mich noch etwas zu Ihren Ausführungen sagen, Herr Kelber. Es stimmt nicht, dass seit den 80er-Jahren in der Bundesrepublik Deutschland keine Kraftwerke mit erheblich höheren Effizienzgraden gebaut worden sind. Vor meiner Haustür wurden in dem Zeitraum, von dem Sie gesprochen haben, vier Kohlekraftblöcke abgebrochen und ein neuer, moderner und größerer Kohlekraftblock errichtet. Später kam noch eine große Kraft-Wärme-Kopplungsanlage für einen großen Wärmeverbraucher hinzu. Es gab in diesem Zeitraum also durchaus zielorientierte Investitionen, die uns vorangebracht haben.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir brauchen eine vernünftige Basis für die Diskussion der Gesetze und wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland ein Energiekonzept, um das Thema vernünftig beurteilen zu können. Zu beidem ist die Bundesregierung nicht in der Lage. Deswegen sehen wir der zukünftigen Entwicklung in der Energiewirtschaft mit großer Sorge entgegen.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Wilfried Schreck von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wilfried Schreck (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heißen Luft, die einige der Kollegen aus der Opposition abgelassen haben, hätten wir schon einen schwunghaften Handel beginnen können.

   Aber im Ernst: Es wurde über die Theorie des Klimaschutzes und über Formalismen bei der Gesetzgebung diskutiert. Ich denke, auf den wesentlichen Aspekt des parlamentarischen Vorbehalts ist mein Kollege von Weizsäcker ausführlich eingegangen. Es ist sicherlich allen klar geworden, dass wir diese Debatte in aller Kürze fortsetzen werden, dass wir also noch ausreichend Gelegenheit haben, uns hierüber auszutauschen.

   Der Hintergrund der heutigen Debatte ist offenkundig die völlig abwegige Annahme der Union, dass die Bundesregierung mit der Einführung des Emissionshandels finstere Absichten zulasten des Wirtschaftsstandortes Deutschland im Schilde führt. Darauf kann man wohl nur kommen, wenn man glaubt, dass man aus den noch fehlenden rund 2 Prozent Emissionsminderung bis zum Jahr 2012 der deutschen Wirtschaft im Allgemeinen und der deutschen Industrie im Besonderen einen Strick drehen kann. Daran hat jedoch wirklich niemand ein Interesse und ich bezweifle auch, dass das überhaupt möglich wäre; denn bis 2012 ist die Erreichung des Kioto-Ziels von 21 Prozent Teil des gewöhnlichen Geschäftsablaufs, also das, was wir bei normaler Entwicklung von Wachstum und Effizienz erwarten können.

   Bis 2012 brauchten wir - an dieser Stelle haben die Kritiker Recht - in Deutschland überhaupt keinen Emissionshandel. Aber gerade in dieser Feststellung liegt der springende Punkt. Wir brauchen den Emissionshandel als ein kosteneffizientes Klimaschutzinstrument für die Zeit nach 2012.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet: Wir brauchen möglichst zügig Klarheit darüber, wohin die Reise geht, und zwar national, aber auch international; denn es ist die internationale Dimension des Klimaschutzes, die das internationale Instrument des Emissionshandels so interessant macht. Die Auswirkungen des Emissionshandels auf die deutsche Wirtschaft sind also in meinen Augen bis 2012 relativ moderat.

   Wichtig und entscheidend ist, möglichst noch in dieser Legislaturperiode eine Verständigung über die lange Linie des Klimaschutzes - der Kollege Loske hat darauf schon hingewiesen - zu erzielen,

(Beifall bei der SPD)

und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch und gerade innerhalb Europas, in der EU, die zukünftig nicht mehr 15, sondern 25 gleichberechtigte Mitglieder haben wird. Das wird sicherlich nicht einfach sein. Dennoch ist das von ganz grundlegender Bedeutung; denn damit schaffen wir genau das, was die Wirtschaft, insbesondere die Industrie, und die Verbraucher nicht ohne Grund von uns einfordern: Klarheit über die längerfristigen Rahmenbedingungen für Investitionen in den Energiesektor. Allerdings sollte uns dabei auch bewusst sein, dass Politik in einem liberalisierten Wettbewerbsmarkt nur relative Planungssicherheit für überschaubare Zeiträume schaffen kann. Alles andere wäre übrigens Planwirtschaft und zudem eine etwas merkwürdige Vollkaskoanspruchshaltung, mit der unternehmerisches Risiko möglichst vollständig bei der Politik abgeladen werden soll.

(Beifall bei der SPD)

Sinnvoll kann es jedoch sein - zumindest für die Periode, die von der EU-Richtlinie abgedeckt ist, also bis 2012 -, eine klare Zielfestsetzung vorzunehmen. Damit wäre schon ein gutes Stück Berechenbarkeit geschaffen.

   Wir werden bei den anstehenden Beratungen über den Emissionshandel darauf achten, dass ausreichende Anreize für Investitionen, für Modernisierung und für Wertschöpfung in Deutschland gesetzt werden. Es kann dabei weder um Strukturbrüche noch um die Zementierung des Status quo gehen. Das bedeutet auch, dass klimapolitische Vorleistungen anerkannt werden müssen und dass Effizienz zum Beispiel bei der Modernisierung und dem Neubau von Kraftwerken belohnt und nicht abgestraft wird.

(Beifall bei der SPD)

Wer eine hoch effiziente Stromproduktion betreibt, muss besser ausgestattet werden als derjenige, der das „goldene Ende“ abgeschriebener Kraftwerke hat. Es wäre energie- und volkswirtschaftlich unsinnig, wenn die Betreiber neuer Anlagen Zertifikate zukaufen müssten.

   Neue Anlagen stehen in erster Linie in Ostdeutschland, aber nicht ausschließlich. Allerdings ist die bisherige Reduktionsleistung bei den Klimagasen von rund 19 Prozent, derer wir uns im europäischen Vergleich gemeinsam rühmen, fast vollständig im Osten erbracht worden, und zwar zum einen durch die schmerzliche Deindustrialisierung - übrigens, Herr Dr. Lippold, nicht nur in der Lausitz - und zum anderen durch die Modernisierung der Energiewirtschaft. Die modernsten Braunkohlekraftwerke der Welt kann man bei Anwendung technischen und kaufmännischen Sachverstands nicht schon wieder verbessern. Die Branche ist nach vielen schwierigen Jahren endlich stabil und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

   Wer ernsthaft an einer Belebung des Ostens interessiert ist, kann den Zugpferden nicht neue Lasten aufbürden. Wer in den 90er-Jahren seine Anlage nach dem Stand der Technik erneuert hat, muss bis 2012 von Zukäufen freigestellt werden. Dies gilt gleichermaßen für Ost und West. Aber auch für die Industriezweige, die Prozessenergie benötigen, wird eine angemessene Regelung gefunden werden müssen, damit es zu keinen Verwerfungen kommt und damit Wirtschaftswachstum nicht bestraft wird. Wenn wir den Emissionshandel unter den Leitgedanken der Effizienz und des Anreizes von Investitionen stellen, dann wird es uns gelingen, auch durch dieses moderne und neue Instrument einen Beitrag zur Modernisierung unserer Wirtschaft und zur Aktivierung von Innovationen, also zur Gestaltung des Strukturwandels zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken.

   Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/2533 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Nationalen Allokationsplan als Parlamentsgesetz gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1791 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der fraktionslosen Abgeordneten Petra Pau angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 94. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 5. März 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15094
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion